10. Kapitel
Es war schon nach vier Uhr früh, als Stephanie
Judge-Neilson aufblickte und ihren Mann mit Marcus im Schlepptau
die große Bar des Rathnew Manor betreten sah. Die meisten anderen
Gäste hatten sich schon vor Stunden in ihre Zimmer
zurückgezogen.
Sie drückte ihre Zigarette aus, ließ den Stummel in
ein leeres Glas fallen und griff nach ihrem Wodka-Orange. »Und?«,
erkundigte sie sich ohne jedwedes Interesse. »Wie geht es dem
lieben Cameron? Besteht eine Überlebenschance?«
»Steph«, tadelte Caroline, die allein für sich in
der Mitte des Raumes tanzte, ihre Schwester laut und vernehmlich.
»Sprich nicht so abfällig von deinem einzigen Bruder.«
»Du sei lieber still«, erwiderte Stephanie
kampfeslustig. »Und setz dich endlich hin, Caroline, dein Gehampel
macht mich wahnsinnig.«
»Hörst du die Musik denn nicht?«, fragte Caroline
verträumt. »Sie ist wunderschön.«
»Nein, ich höre sie nicht, weil ich nicht bis zum
Stehkragen zugedröhnt bin«, gab Stephanie bissig zurück.
David trat zu ihr und ließ sich neben ihr in einen
Sessel fallen, dann stibitzte er seiner Frau eine Zigarette.
»Deinem Bruder fehlt weiter nichts, er hat nur
einen harten Tag hinter sich und kann ein bisschen Unterstützung
seitens der Familie vertragen, wenn das nicht zu viel verlangt
ist, Stephanie.«
Caroline hatte derweilen versucht, Marcus zum
Tanzen zu überreden, aber er zog sie zu einem der weichen Sessel am
Feuer hinüber, und sie machte es sich zufrieden auf seinem Schoß
bequem.
»Die ganze Familie hat heute einiges durchgemacht«,
gab Marcus zu bedenken. »Jede Wette, dass sich das gesamte Dorf das
Maul über die Judges zerreißt. Am besten, ihr schenkt den Gerüchten
überhaupt keine Beachtung.«
Stephanie beäugte den neuesten Galan ihrer
Schwester argwöhnisch. »Deine Sorge um die Familie ist wirklich
rührend, Marcus, aber vollkommen überflüssig. Kein Wort von dieser
Geschichte ist wahr, warum sollten wir uns also deswegen den Kopf
zerbrechen?«
Caroline setzte sich so ruckartig auf Marcus’ Schoß
auf, als habe sie eine Erleuchtung gehabt. »Und wenn es doch
stimmt?«, kicherte sie.
»Werde bitte nicht geschmacklos«, schnitt Stephanie
ihrer jüngeren Schwester scharf das Wort ab.
»Nein, im Ernst... was, wenn die alte Vogelscheuche
in der Kirche die Wahrheit gesagt hat? Vielleicht hatte sie eine
Affäre mit Daddy. Sie wäre nicht die Erste, die einen unehelichen
Judge-Sprössling in die Welt setzt.«
»Caroline!«
Aber Caroline, einmal in Fahrt, war nicht zu
bremsen. »Oder kann es sein, dass Mummy die süße kleine Samantha
White heimlich zur Welt gebracht und dann weggegeben hat, weil sie
keine Judge ist?«
Diesmal griff David ein. »Caroline, jetzt geht aber
wirklich deine Fantasie mit dir durch.«
»Und was, wenn unser lieber Bruder Cameron gar
nicht unser Bruder ist? Vielleicht haben Mum und Dad ihn adoptiert,
weil sie selbst keinen Sohn und Erben zustande gebracht
haben.«
»Hör jetzt mit diesem Unsinn auf«, wies David sie
streng zurecht, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte. »Wir
sollten uns lieber bedeckt halten, bis die Presse die Sache genug
ausgeschlachtet hat und sich auf das nächste Opfer stürzt.«
Stephanie barg das Gesicht in den Händen. »Lass
mich bloß mit der Presse zufrieden! Diese Geier werden kein gutes
Haar an uns lassen. Hat jemand die Sonntagsblätter gesehen? Die
müssten doch mittlerweile schon raus sein.«
Marcus musterte sie nachdenklich. Kaum vorstellbar,
dass sie die ältere Schwester seiner Freundin war. Die beiden waren
so verschieden wie Tag und Nacht – Caroline wild und unbekümmert,
Stephanie sauertöpfisch und nörglerisch. Caroline hatte eine
gertenschlanke Figur und sehr helle, glatte Haut; ihre Schwester
neigte dagegen deutlich zur Fülle. Marcus’ Freundin prunkte mit
einer üppigen Mähne langen, dunkelbraunen lockigen Haares und
konnte jeden Mann mit ihren großen Audrey-Hepburn-Augen betören.
Das dünne mausbraune Haar der Älteren war zu einem unvorteilhaften
halblangen Pagenkopf geschnitten, und sie schaffte es, sogar am
Hochzeitstag ihres Bruders hausbacken zu wirken. Sie leidet sicher
sehr darunter, dachte Marcus in einer Anwandlung von Mitgefühl.
Rose Judge war selbst im Alter noch eine äußerst attraktive Frau,
und Caroline hatte ihr gutes Aussehen geerbt, Stephanie dagegen die
kräftigen Knochen ihres Vaters, nur fehlte ihr
seine joie de vivre. Es machte wenig Spaß, mit ihr zusammen
zu sein. Marcus fragte sich, was in aller Welt David Neilson wohl
an ihr gefunden haben mochte. Dann fiel ihm wieder ein, was er
selbst an Caroline am anziehendsten fand – das ungeheure Vermögen
der Judges.
Aber in einem Punkt war er sich ganz sicher: Er
wollte sich morgens um vier nicht mit Stephanie Judge-Neilson
herumstreiten. Also schenkte er ihr ein freundliches Lächeln. »Ganz
recht, Steph«, stimmte er zu, ohne zu wissen, wogegen sie zuletzt
gewettert hatte.
David rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die
Augen. »Wie ist es, fahren wir morgen nach dem Frühstück wieder
nach Hause?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«, lachte
Caroline, während sie sich einen neuen Joint drehte.
David sah die Schwestern an. »Was ist mit James? Er
macht sich große Sorgen um Rose.«
Caroline begann, Rauchringe in die Luft über ihrem
Kopf zu blasen. »Mum hat eine Rossnatur, die haut so schnell nichts
um. Wetten, dass sie bald wieder die Alte ist? Steph, warum nimmst
du Daddy nicht ein paar Tage zu dir, bis sich die ganze Aufregung
gelegt hat. Ein Tapetenwechsel würde ihm guttun.«
»Ich? Warum denn ich? Warum sollten wir ihn bei uns
aufnehmen? Ich habe Kinder, falls du das vergessen hast, und mit
denen habe ich schon genug zu tun. Wie steht es denn mit dir? Du
lebst ohne jegliche Verantwortung in den Tag hinein und wohnst
dafür auch noch mietfrei auf dem Gelände von Dunross. Warum ziehst
du nicht für ein paar Wochen ins Haupthaus, um dich um deinen Vater
zu kümmern? Immerhin lässt du dir von ihm ja auch
deinen Lebensunterhalt finanzieren. Mit Arbeit machst du dir die
Hände nicht schmutzig!«
Aufgrund der Menge Gras, die Caroline konsumiert
hatte, fiel ihre Antwort weit gemäßigter aus, als das sonst der
Fall gewesen wäre. »Nimm das zurück«, forderte sie träumerisch.
»Ich arbeite schwerer, als du es je getan hast. Ich bin Künstlerin
– ich stehe vierundzwanzig Stunden am Tag im Dienst meiner
Kunst.«
Steph schnaubte verächtlich. »Ich bitte dich! Du
vertrödelst deine Zeit damit, dich zuzukiffen und mit einem Pinsel
ein Stück Leinwand vollzuschmieren. Komm auf den Boden der
Tatsachen zurück, Caroline!«
»Dass ich nicht lache! Okay, ich rauche ab und zu
ein bisschen Gras, aber ich male obendrein großartige Bilder.« Sie
fuchtelte erregt mit den Armen in der Luft herum. »Und du? Sieh
dich doch an! Du bist nichts als eine verbitterte Frau mittleren
Alters mit einem trostlosen Leben und einer noch trostloseren
Zukunft. Du hast eine Figur wie eine Matrone, keine Ziele und keine
Interessen und einen Mann, den du schon lange nicht mehr liebst.«
Sie brach ab, um erneut an ihrem Joint zu ziehen, ohne zu merken,
welch wunden Punkt sie soeben berührt hatte.
Stephanie und David wechselten einen Blick. Es war
ein Moment absoluter Aufrichtigkeit zwischen ihnen.
Sogar in ihrem benebelten Zustand spürte Caroline,
dass sie zu weit gegangen war. »Schon gut, schon gut.« Sie kicherte
verlegen. »Entschuldige. Das mit dir und Dave war nicht so
gemeint.« Dann ließ sie sich wieder gegen Marcus sinken. Er begann,
ihre Schultern zu massieren und ihr etwas ins Ohr zu flüstern, um
sie von dem heiklen Thema abzulenken.
Doch für Stephanie ließ sich einmal Gesagtes nicht
mehr zurücknehmen. Sie sprang auf und lief in Tränen aufgelöst aus
dem Raum.
»Soll ich ihr nachgehen?« Caroline sah die beiden
Männer unschlüssig an.
»Nein, du bleibst besser, wo du bist, Schätzchen«,
erwiderte David. »Fakt ist, dass du, ohne dir dessen bewusst zu
sein, etwas laut ausgesprochen hast, was schon lange zwischen
Stephanie und mir schwelt.«
Caroline runzelte verwirrt die Stirn, dann hellte
sich ihre Miene auf. Sie rutschte von Marcus’ Schoß und zog ihn auf
die Füße. »Komm tanzen.«
Marcus schielte zu David hinüber. »Alles in
Ordnung?«
David nickte. »Ich gehe ihr nach.« Er drückte seine
Zigarette aus und stärkte sich mit einem letzten Schluck Whiskey.
»Diese Aussprache ist schon lange überfällig«, seufzte er, als er
sich aus seinem Sessel erhob und seiner Frau nach oben
folgte.
James Judge war der einzige Gast des Rathnew
Manor, der vernünftig genug gewesen war, früh zu Bett zu gehen.
Aber es hatte nichts genutzt, er fand keinen Schlaf. Er lag in dem
Bett, das er eine Nacht zuvor mit seiner Frau geteilt hatte, und
starrte ins Dunkel. Der Schreck, den er in der Kirche erlitten
hatte, saß ihm noch immer in den Gliedern, und er fand, dass er
allmählich zu alt für diese Art von Überraschungen war, aber er
konnte nicht leugnen, dass Kathleen White womöglich die Wahrheit
gesagt hatte. »Großer Gott.« Er seufzte tief. »Samantha White ist
Katie Garcias Tochter.« Er hätte den Zusammenhang vielleicht sofort
erkannt, wenn Sam den Namen
Garcia benutzen würde. Warum hatte sie nicht schon früher mit ihm
gesprochen? Warum hatte Katie oder Kathleen, wie sie sich jetzt
nannte, so lange gewartet und erst etwas unternommen, als es schon
fast zu spät gewesen war? Diese Fragen kreisten James unaufhörlich
im Kopf herum; er kam sich vor, als säße er auf einem Karussell,
von dem er nicht abspringen konnte. Einmal mehr stieg er aus dem
Bett und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Fassen wir zusammen«, sagte er laut. »Katie Garcia
ist Samantha Whites Mutter. So weit, so gut. Katie behauptet,
Cameron und Samantha wären Bruder und Schwester. Das kann nur
bedeuten, dass ich Katie damals geschwängert habe. Aber warum hat
sie mir nie etwas gesagt? Ich hätte sie nicht im Stich gelassen –
wir Judges haben uns immer um unsere Kinder gekümmert.« Vor seinem
geistigen Auge entstand das Bild von Katie Garcia, wie sie früher
gewesen war – ein bildhübsches kleines Ding, immer fröhlich, immer
guter Dinge. Er erinnerte sich noch gut an das auffallende
schwarz-weiße Minikleid, mit dem sie auf der Party Furore gemacht
hatte. War es möglich, dass es sich bei der entzückenden,
temperamentvollen Katie Garcia, die er einst gekannt hatte, und der
verlebten alten Alkoholikerin heute in der Kirche um ein und
dieselbe Frau handelte? Das konnte einfach nicht sein.
James kroch wieder ins Bett. »Eventuell hat sie
auch nur wirres Zeug geredet«, suchte er sich zu überzeugen.
»Schließlich hängt sie an der Flasche, und solchen Leuten darf man
kein Wort glauben.« Er zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch. Es gab
wirklich nur einen einzigen Ausweg aus dieser Zwickmühle. Er musste
Katie Garcia
aufsuchen und Klartext mit ihr reden. Ein Blick auf die
Leuchtziffern seiner Uhr verriet ihm, dass es auf fünf Uhr zuging.
Noch zwei Stunden, dann konnte er aufstehen und sich auf den Weg
ins Krankenhaus machen.
David Neilson klopfte an die Tür seines
Hotelzimmers.
»Wir müssen reden, Stephanie«, verlangte er, als er
die Suite betrat.
»Nein, das müssen wir nicht. Es ist spät, und ich
bin müde.« Sie lag auf dem Bett und hatte offenbar geweint.
»Du bist ständig müde.«
»Zwei Kinder sind eben anstrengend«, verteidigte
sie sich.
»Stephanie, wir haben seit Amys Geburt nicht mehr
miteinander geschlafen.«
»Das ist mal wieder typisch«, entrüstete seine Frau
sich. »Es geht immer nur um Sex. Könnt ihr Männer eigentlich an
nichts anderes denken?«
»Doch, aber wenn sich seit über einem Jahr im Bett
nichts mehr abspielt, fängt man langsam an, etwas zu
vermissen.«
Stephanie ging erneut in die Defensive. »David, du
weißt genau, wie sehr mich die Kinder auf Trab halten. Für mich ist
diese Zeit schwieriger als für dich. Meine Figur ist nicht mehr so,
wie sie mal war, und ich bin kein Glamourgirl wie dieses kleine
Flittchen da unten, das weiß ich selbst, aber ich tue mein
Bestes.«
David schlug einen versöhnlicheren Ton an. Er
wollte keinen Streit, er hatte die pausenlosen Zankereien, zu denen
es in der letzten Zeit gekommen war, gründlich satt. »Davon rede
ich doch gar nicht. An deiner Figur ist
nichts auszusetzen. Ich spreche von uns beiden, Stephanie. Liebst
du mich eigentlich noch?«
»Dumme Frage. Natürlich liebe ich dich noch. Du
bist mein Mann, oder etwa nicht?«
»Nur auf dem Papier.«
»Wir haben Kinder miteinander. Zählt das denn gar
nicht?«
»Warum bist du überhaupt noch mit mir zusammen? Ich
spüre doch, dass dir nichts mehr an mir liegt. Möchtest du nicht
lieber wieder frei sein?«
»Du meinst, du willst deine Freiheit
zurück«, erwiderte sie triumphierend. »Hast du eine andere, David?
Das muss es sein – du hast eine Geliebte!«
David durchquerte den Raum und setzte sich zu ihr
auf das Bett, achtete aber darauf, ausreichenden Abstand zu ihr zu
halten. Der Ernst der Situation hatte ihn so ernüchtert, dass er
klar und ruhig sprechen konnte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen
konnte, war eine hitzige, tränenreiche Auseinandersetzung.
»Nein, Stephanie, ich habe keine Geliebte und
gedenke auch nicht, mir eine zuzulegen, aber ich bin auch nicht
glücklich, schon lange nicht mehr. Wir hätten nach Zoë gar kein
zweites Kind mehr bekommen sollen. Steph, es funktioniert nicht
mehr. Was zwischen uns war, ist vorbei; wir haben uns
auseinandergelebt.« Er brach ab und wartete geduldig, bis sie sich
in den Kissen aufgesetzt und sich geräuschvoll die Nase geschnäuzt
hatte. Seine Stimme klang sanft und verständnisvoll, als er
fortfuhr: »Steph, du liebst mich nicht mehr, nicht wahr?«
»O doch.«
»O nein.«
Sie seufzte. »Also gut, ich liebe dich nicht mehr.
Zufrieden?«
David lachte gequält auf. »Das war’s dann wohl,
oder? Unsere Ehe ist am Ende. Na prima.«
»Wie pathetisch das klingt!«
»Stimmt.« David fühlte sich erbärmlich. »Ich denke,
ich sollte lieber nicht hier schlafen.«
»Wie du willst.«
»Ich werde versuchen, für den Rest der Nacht ein
anderes Zimmer zu bekommen. Das dürfte nicht weiter schwierig sein,
weil die meisten Gäste ihre Buchungen storniert haben. Morgen fahre
ich dich und die Kinder nach Hause und packe dann ein paar Sachen
zusammen.«
»Vergiss Cathy nicht.«
»Wen?«
»Unser Kindermädchen, David.«
»Richtig, wie konnte mir das nur entfallen?«,
erwiderte er sarkastisch. »Ich werde in das Apartment in der Stadt
ziehen und dort bleiben, bis wir entschieden haben, wie es
weitergehen soll.«
»In Ordnung.« Stephanie brachte nicht die Kraft
auf, Einwände zu erheben. Sie konnte ihrem Mann nicht in die Augen
sehen.
»Das war’s dann wohl«, wiederholte er, und da es
sonst nichts mehr zu sagen gab, erhob er sich ohne ein weiteres
Wort vom Bett und verließ die Suite. Wie in einem bösen Traum
gefangen, ging er zur Rezeption hinunter, verlangte ein anderes
Zimmer und nahm den Schlüssel entgegen. Marcus und Caroline, die
wie zwei Teenager, die sich auf eine heiße Nacht freuen, die Treppe
hinaufpolterten, bemerkte er überhaupt nicht.
Der Nachtportier begleitete David Neilson zu seiner
neuen Unterkunft. David schloss die Tür hinter sich, entkleidete
sich bis auf seine Boxershorts und kroch in ein unberührtes Bett.
Es war so kalt und einsam wie sein neues Leben.
»Warte, ich habe eine bessere Idee«, verkündete
Caroline, als Marcus sich aus seinen Kleidern zu schälen begann.
»Lass uns nach draußen gehen.«
»Caroline, ich bin heilfroh, dass wir es endlich
bis in unser Zimmer geschafft haben. Jetzt möchte ich nur noch
eines, und zwar, dich bis ungefähr Mitte nächster Woche vögeln.« Er
blickte sich im Zimmer um, während er fieberhaft nach Gründen
suchte, dort zu bleiben, wo sie waren. »Sieh dir mal das tolle
Himmelbett an. Hättest du nicht Lust auf ein kleines Spielchen? Ich
könnte dich an den Pfählen festbinden oder so was in der
Art.«
»Klingt verlockend«, schnurrte sie. »Aber dazu
haben wir später noch Zeit. Jetzt komm.«
Caroline war bereits splitterfasernackt, Marcus
trug noch seine Hosen, hatte sich aber sein Hemd über den Kopf
gezogen. Sie packte ihn bei der Hand, zog ihn zur Tür und öffnete
sie einen Spalt breit. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass
die Luft rein war, schlich sie, Marcus noch immer mit sich ziehend,
zum Treppenabsatz.
»Wenn dich jemand so sieht, kriegst du eine Anzeige
wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Wir kommen nie unbemerkt
bis nach draußen«, gab er nervös zu bedenken.
Caroline fuhr zu ihm herum. Ihre Augen blitzten
herausfordernd. »Wollen wir wetten?« Leise in sich hineinkichernd
rannte sie anmutig wie eine Nymphe die Treppe hinunter und quer
durch das Foyer des Rathnew Manor.
»Ich glaube es einfach nicht«, stöhnte Marcus.
»Jedes andere Mädchen würde ich laufen lassen und zurück in mein
Bett kriechen.« Dann folgte er ihr und schaffte es gerade noch, an
der Rezeption vorbeizukommen, ehe der Nachtportier, der David sein
neues Zimmer gezeigt hatte, an seinen Platz zurückkehrte.
»Ist es nicht wunderschön hier draußen?«, jubelte
Caroline, die übermütig über die Rasenfläche vor dem Manor tanzte.
Das Gras war so weich wie eine grüne Flauschdecke.
»Entschieden eine Verbesserung, wenn man bedenkt,
dass es vorhin noch in Strömen gegossen hat«, gab Marcus
widerwillig zu. Er sehnte sich wirklich nach seinem Bett.
»Das ist Ewigkeiten her, Süßer. Die Sonne geht bald
auf.« Sie lief zu ihm und umarmte ihn. »Ist das nicht viel besser
als in dem muffigen Zimmer?« Sie ließ sich auf den Rasen fallen.
»Der Boden ist sogar schon trocken. Fühl doch mal.« Lachend rollte
sie sich auf den Bauch.
»Das ist unmöglich, Caroline, nicht nach diesen
Regenmengen – und überhaupt müsste das Gras vom Tau feucht sein«,
widersprach Marcus gereizt. »Komm, wir gehen wieder rein.«
»Es ist ganz trocken! Fühl doch mal!«
»Deswegen bin ich nicht hier.« Marcus kauerte sich
neben sie und streichelte ihr perfekt gerundetes Hinterteil. »Wenn
du glaubst, ich würde dich direkt hier vor den Stufen des Manor
vernaschen, dann irrst du dich
gewaltig.« Er zog sie hoch. »Wir suchen uns ein etwas
abgelegeneres Plätzchen.«
Hand in Hand schlenderten sie durch den
Hotelgarten. Caroline schien sich ihrer Nacktheit überhaupt nicht
bewusst zu sein.
»Hast du denn gar keine Angst, zufällig irgendeinem
Nachtschwärmer zu begegnen?«, fragte Marcus.
»Wenn, dann kann ich es auch nicht ändern. Und
außerdem brauche ich mich für meinen Körper wirklich nicht zu
schämen.«
»Gesprochen wie eine wahre Künstlerin!« Marcus
küsste sie und ließ die Hände über ihre weichen Rundungen gleiten.
»Du machst mich verrückt«, murmelte er in ihr dichtes, lockiges
Haar. »Ich will dich, Caro.«
»Dann nimm mich«, flüsterte sie, seine Küsse
leidenschaftlich erwidernd.
Als sie sich an seiner Hose zu schaffen machte, war
Marcus’ Widerstand gebrochen. Ohne Gegenwehr ließ er sich von ihr
auf den weichen Rasen hinunterziehen.
»Was soll’s«, seufzte er. »Vermutlich schläft alles
ringsum tief und fest.«
»Mit Sicherheit«, stimmte Caroline atemlos
zu.
Das Liebesspiel unter freiem Himmel erregte sie so
stark, dass sie alles um sich herum vergaßen. Marcus kam noch nicht
einmal dazu, seine Hose herunterzustreifen, was sich als Glück
erwies, denn einen Moment später kamen Gillian und Luke an ihnen
vorbei.
Luke hatte das Paar nicht bemerkt. Hätte er sie
gesehen, hätte er darauf bestanden, einen anderen Rückweg zum Hotel
zu nehmen, aber Gillian wusste genau, was sie tat. Hier bot sich
ihr eine Gelegenheit, und Gelegenheiten sollte man nie ungenutzt
verstreichen lassen. Sie griff
nach Lukes Hand und ging einen Schritt vor ihm her, sodass sie ihm
die Sicht versperrte. So gelang es ihr, ihn direkt an dem
Liebespaar vorbeizuführen.
Markus und Caroline waren blind und taub für ihre
Umgebung; Marcus hatte sich über seine Freundin gerollt, Caroline
blickte zu den Sternen empor, die im ersten Tageslicht allmählich
verblassten.
Und dann kam Gillian Johnstons Kopf in Sicht.
»Hi, Caro.« Sie lächelte auf Camerons Schwester
hinab.
»Guten Morgen, Gillian«, erwiderte Caroline ohne
jede Spur von Verlegenheit.
Marcus und Luke hatte es die Sprache verschlagen.
Luke blickte starr zu Boden und tat so, als hätte sich der
peinliche Zwischenfall überhaupt nicht ereignet. Marcus erstarrte
mitten in der Bewegung. Er war so mit Caroline beschäftigt gewesen,
dass er nichts gehört und nichts gesehen hatte.
»Hast du da gerade jemanden begrüßt?«, flüsterte er
in Carolines Haar, dabei betete er, dass sich seine Freundin nur
einen Spaß mit ihm erlaubt hatte.
Sie streichelte liebevoll seinen Rücken. »Ja,
Gillian Johnston und Luke Delaney. Er ist ein alter Freund von
Cameron.«
Marcus blickte auf und sah gerade noch Gillys und
Lukes Rücken in Richtung des Hotels entschwinden.
»Leck mich!«, entfuhr es ihm.
»Jetzt sofort?« Caroline verstand ihn absichtlich
falsch. »Aber gerne.«
Luke Delaney war vor Verlegenheit hochrot
angelaufen.
»Ich glaube einfach nicht, dass du Hi zu der Frau
gesagt
hast. Hast du nicht gesehen, was die beiden... du meine
Güte!«
»Ich hab die zwei erst gesehen, als wir schon fast
über sie gestolpert sind, sonst hätte ich doch einen großen Bogen
um sie gemacht«, log Gillian, wobei sie ihrer Stimme einen
angewiderten Ton verlieh.
»Aber du hast sie angesprochen.«
»Sie hat mir direkt ins Gesicht gesehen. Da wäre es
ziemlich unhöflich gewesen, sie nicht zu beachten, findest du
nicht?«
»Weiß nicht.« Luke hob die Schultern. »In so einer
Situation war ich noch nie.«
Gillian schlang die Arme um seine Taille. »Nein?«,
schnurrte sie, dabei hob sie eine perfekt gezupfte Braue.
Ihre Laune hatte sich beträchtlich gebessert. Als
Cameron ihr ein paar Stunden zuvor eine schroffe Abfuhr erteilt
hatte, war sie außer sich vor Wut gewesen – und hatte beschlossen,
Luke als Rachewerkzeug zu benutzen. Und nun hatten sich die Dinge
noch besser entwickelt, als sie zu hoffen gewagt hatte. Mit etwas
Glück würde Caroline ihrem Bruder von der nächtlichen Begegnung
erzählen, und Cameron würde von einem Anfall guter alter Eifersucht
geplagt werden. Er mochte Luke offenbar sehr gern, was diesen zum
perfekten Kandidaten für ihr Vorhaben machte. Gillian hatte nicht
beabsichtigt, tatsächlich mit ihm zu schlafen, konnte aber der
überwältigenden Anziehungskraft, die von ihm ausging, einfach nicht
widerstehen.
Der Sandstrand vor dem Rathnew Manor fühlte sich
warm und weich unter ihren nackten Füßen an. Der Mond begann zu
verblassen, er hing wie ein fahler Geist seines früheren Selbst am
Himmel und spiegelte sich im
glatten Wasser der Irischen See wider. Gillian konnte sich der
magischen Atmosphäre dieser Nacht nicht entziehen, und so kam es,
dass sie sich mit diesem völlig fremden Mann auf ein wundervolles
erotisches Abenteuer einließ.
Luke sah ihr tief in die Augen. »Was ich vorhin
meinte, war...«
Sie schnitt ihm mit einem Kuss das Wort ab. »Was du
gemeint hast, Luke Delaney, war, dass du nur nie erwischt worden
bist.«