10. Kapitel
Es war schon nach vier Uhr früh, als Stephanie Judge-Neilson aufblickte und ihren Mann mit Marcus im Schlepptau die große Bar des Rathnew Manor betreten sah. Die meisten anderen Gäste hatten sich schon vor Stunden in ihre Zimmer zurückgezogen.
Sie drückte ihre Zigarette aus, ließ den Stummel in ein leeres Glas fallen und griff nach ihrem Wodka-Orange. »Und?«, erkundigte sie sich ohne jedwedes Interesse. »Wie geht es dem lieben Cameron? Besteht eine Überlebenschance?«
»Steph«, tadelte Caroline, die allein für sich in der Mitte des Raumes tanzte, ihre Schwester laut und vernehmlich. »Sprich nicht so abfällig von deinem einzigen Bruder.«
»Du sei lieber still«, erwiderte Stephanie kampfeslustig. »Und setz dich endlich hin, Caroline, dein Gehampel macht mich wahnsinnig.«
»Hörst du die Musik denn nicht?«, fragte Caroline verträumt. »Sie ist wunderschön.«
»Nein, ich höre sie nicht, weil ich nicht bis zum Stehkragen zugedröhnt bin«, gab Stephanie bissig zurück.
David trat zu ihr und ließ sich neben ihr in einen Sessel fallen, dann stibitzte er seiner Frau eine Zigarette.
»Deinem Bruder fehlt weiter nichts, er hat nur einen harten Tag hinter sich und kann ein bisschen Unterstützung seitens der Familie vertragen, wenn das nicht zu viel verlangt ist, Stephanie.«
Caroline hatte derweilen versucht, Marcus zum Tanzen zu überreden, aber er zog sie zu einem der weichen Sessel am Feuer hinüber, und sie machte es sich zufrieden auf seinem Schoß bequem.
»Die ganze Familie hat heute einiges durchgemacht«, gab Marcus zu bedenken. »Jede Wette, dass sich das gesamte Dorf das Maul über die Judges zerreißt. Am besten, ihr schenkt den Gerüchten überhaupt keine Beachtung.«
Stephanie beäugte den neuesten Galan ihrer Schwester argwöhnisch. »Deine Sorge um die Familie ist wirklich rührend, Marcus, aber vollkommen überflüssig. Kein Wort von dieser Geschichte ist wahr, warum sollten wir uns also deswegen den Kopf zerbrechen?«
Caroline setzte sich so ruckartig auf Marcus’ Schoß auf, als habe sie eine Erleuchtung gehabt. »Und wenn es doch stimmt?«, kicherte sie.
»Werde bitte nicht geschmacklos«, schnitt Stephanie ihrer jüngeren Schwester scharf das Wort ab.
»Nein, im Ernst... was, wenn die alte Vogelscheuche in der Kirche die Wahrheit gesagt hat? Vielleicht hatte sie eine Affäre mit Daddy. Sie wäre nicht die Erste, die einen unehelichen Judge-Sprössling in die Welt setzt.«
»Caroline!«
Aber Caroline, einmal in Fahrt, war nicht zu bremsen. »Oder kann es sein, dass Mummy die süße kleine Samantha White heimlich zur Welt gebracht und dann weggegeben hat, weil sie keine Judge ist?«
Diesmal griff David ein. »Caroline, jetzt geht aber wirklich deine Fantasie mit dir durch.«
»Und was, wenn unser lieber Bruder Cameron gar nicht unser Bruder ist? Vielleicht haben Mum und Dad ihn adoptiert, weil sie selbst keinen Sohn und Erben zustande gebracht haben.«
»Hör jetzt mit diesem Unsinn auf«, wies David sie streng zurecht, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte. »Wir sollten uns lieber bedeckt halten, bis die Presse die Sache genug ausgeschlachtet hat und sich auf das nächste Opfer stürzt.«
Stephanie barg das Gesicht in den Händen. »Lass mich bloß mit der Presse zufrieden! Diese Geier werden kein gutes Haar an uns lassen. Hat jemand die Sonntagsblätter gesehen? Die müssten doch mittlerweile schon raus sein.«
Marcus musterte sie nachdenklich. Kaum vorstellbar, dass sie die ältere Schwester seiner Freundin war. Die beiden waren so verschieden wie Tag und Nacht – Caroline wild und unbekümmert, Stephanie sauertöpfisch und nörglerisch. Caroline hatte eine gertenschlanke Figur und sehr helle, glatte Haut; ihre Schwester neigte dagegen deutlich zur Fülle. Marcus’ Freundin prunkte mit einer üppigen Mähne langen, dunkelbraunen lockigen Haares und konnte jeden Mann mit ihren großen Audrey-Hepburn-Augen betören. Das dünne mausbraune Haar der Älteren war zu einem unvorteilhaften halblangen Pagenkopf geschnitten, und sie schaffte es, sogar am Hochzeitstag ihres Bruders hausbacken zu wirken. Sie leidet sicher sehr darunter, dachte Marcus in einer Anwandlung von Mitgefühl. Rose Judge war selbst im Alter noch eine äußerst attraktive Frau, und Caroline hatte ihr gutes Aussehen geerbt, Stephanie dagegen die kräftigen Knochen ihres Vaters, nur fehlte ihr seine joie de vivre. Es machte wenig Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Marcus fragte sich, was in aller Welt David Neilson wohl an ihr gefunden haben mochte. Dann fiel ihm wieder ein, was er selbst an Caroline am anziehendsten fand – das ungeheure Vermögen der Judges.
Aber in einem Punkt war er sich ganz sicher: Er wollte sich morgens um vier nicht mit Stephanie Judge-Neilson herumstreiten. Also schenkte er ihr ein freundliches Lächeln. »Ganz recht, Steph«, stimmte er zu, ohne zu wissen, wogegen sie zuletzt gewettert hatte.
David rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Wie ist es, fahren wir morgen nach dem Frühstück wieder nach Hause?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«, lachte Caroline, während sie sich einen neuen Joint drehte.
David sah die Schwestern an. »Was ist mit James? Er macht sich große Sorgen um Rose.«
Caroline begann, Rauchringe in die Luft über ihrem Kopf zu blasen. »Mum hat eine Rossnatur, die haut so schnell nichts um. Wetten, dass sie bald wieder die Alte ist? Steph, warum nimmst du Daddy nicht ein paar Tage zu dir, bis sich die ganze Aufregung gelegt hat. Ein Tapetenwechsel würde ihm guttun.«
»Ich? Warum denn ich? Warum sollten wir ihn bei uns aufnehmen? Ich habe Kinder, falls du das vergessen hast, und mit denen habe ich schon genug zu tun. Wie steht es denn mit dir? Du lebst ohne jegliche Verantwortung in den Tag hinein und wohnst dafür auch noch mietfrei auf dem Gelände von Dunross. Warum ziehst du nicht für ein paar Wochen ins Haupthaus, um dich um deinen Vater zu kümmern? Immerhin lässt du dir von ihm ja auch deinen Lebensunterhalt finanzieren. Mit Arbeit machst du dir die Hände nicht schmutzig!«
Aufgrund der Menge Gras, die Caroline konsumiert hatte, fiel ihre Antwort weit gemäßigter aus, als das sonst der Fall gewesen wäre. »Nimm das zurück«, forderte sie träumerisch. »Ich arbeite schwerer, als du es je getan hast. Ich bin Künstlerin – ich stehe vierundzwanzig Stunden am Tag im Dienst meiner Kunst.«
Steph schnaubte verächtlich. »Ich bitte dich! Du vertrödelst deine Zeit damit, dich zuzukiffen und mit einem Pinsel ein Stück Leinwand vollzuschmieren. Komm auf den Boden der Tatsachen zurück, Caroline!«
»Dass ich nicht lache! Okay, ich rauche ab und zu ein bisschen Gras, aber ich male obendrein großartige Bilder.« Sie fuchtelte erregt mit den Armen in der Luft herum. »Und du? Sieh dich doch an! Du bist nichts als eine verbitterte Frau mittleren Alters mit einem trostlosen Leben und einer noch trostloseren Zukunft. Du hast eine Figur wie eine Matrone, keine Ziele und keine Interessen und einen Mann, den du schon lange nicht mehr liebst.« Sie brach ab, um erneut an ihrem Joint zu ziehen, ohne zu merken, welch wunden Punkt sie soeben berührt hatte.
Stephanie und David wechselten einen Blick. Es war ein Moment absoluter Aufrichtigkeit zwischen ihnen.
Sogar in ihrem benebelten Zustand spürte Caroline, dass sie zu weit gegangen war. »Schon gut, schon gut.« Sie kicherte verlegen. »Entschuldige. Das mit dir und Dave war nicht so gemeint.« Dann ließ sie sich wieder gegen Marcus sinken. Er begann, ihre Schultern zu massieren und ihr etwas ins Ohr zu flüstern, um sie von dem heiklen Thema abzulenken.
Doch für Stephanie ließ sich einmal Gesagtes nicht mehr zurücknehmen. Sie sprang auf und lief in Tränen aufgelöst aus dem Raum.
»Soll ich ihr nachgehen?« Caroline sah die beiden Männer unschlüssig an.
»Nein, du bleibst besser, wo du bist, Schätzchen«, erwiderte David. »Fakt ist, dass du, ohne dir dessen bewusst zu sein, etwas laut ausgesprochen hast, was schon lange zwischen Stephanie und mir schwelt.«
Caroline runzelte verwirrt die Stirn, dann hellte sich ihre Miene auf. Sie rutschte von Marcus’ Schoß und zog ihn auf die Füße. »Komm tanzen.«
Marcus schielte zu David hinüber. »Alles in Ordnung?«
David nickte. »Ich gehe ihr nach.« Er drückte seine Zigarette aus und stärkte sich mit einem letzten Schluck Whiskey. »Diese Aussprache ist schon lange überfällig«, seufzte er, als er sich aus seinem Sessel erhob und seiner Frau nach oben folgte.
 
James Judge war der einzige Gast des Rathnew Manor, der vernünftig genug gewesen war, früh zu Bett zu gehen. Aber es hatte nichts genutzt, er fand keinen Schlaf. Er lag in dem Bett, das er eine Nacht zuvor mit seiner Frau geteilt hatte, und starrte ins Dunkel. Der Schreck, den er in der Kirche erlitten hatte, saß ihm noch immer in den Gliedern, und er fand, dass er allmählich zu alt für diese Art von Überraschungen war, aber er konnte nicht leugnen, dass Kathleen White womöglich die Wahrheit gesagt hatte. »Großer Gott.« Er seufzte tief. »Samantha White ist Katie Garcias Tochter.« Er hätte den Zusammenhang vielleicht sofort erkannt, wenn Sam den Namen Garcia benutzen würde. Warum hatte sie nicht schon früher mit ihm gesprochen? Warum hatte Katie oder Kathleen, wie sie sich jetzt nannte, so lange gewartet und erst etwas unternommen, als es schon fast zu spät gewesen war? Diese Fragen kreisten James unaufhörlich im Kopf herum; er kam sich vor, als säße er auf einem Karussell, von dem er nicht abspringen konnte. Einmal mehr stieg er aus dem Bett und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Fassen wir zusammen«, sagte er laut. »Katie Garcia ist Samantha Whites Mutter. So weit, so gut. Katie behauptet, Cameron und Samantha wären Bruder und Schwester. Das kann nur bedeuten, dass ich Katie damals geschwängert habe. Aber warum hat sie mir nie etwas gesagt? Ich hätte sie nicht im Stich gelassen – wir Judges haben uns immer um unsere Kinder gekümmert.« Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild von Katie Garcia, wie sie früher gewesen war – ein bildhübsches kleines Ding, immer fröhlich, immer guter Dinge. Er erinnerte sich noch gut an das auffallende schwarz-weiße Minikleid, mit dem sie auf der Party Furore gemacht hatte. War es möglich, dass es sich bei der entzückenden, temperamentvollen Katie Garcia, die er einst gekannt hatte, und der verlebten alten Alkoholikerin heute in der Kirche um ein und dieselbe Frau handelte? Das konnte einfach nicht sein.
James kroch wieder ins Bett. »Eventuell hat sie auch nur wirres Zeug geredet«, suchte er sich zu überzeugen. »Schließlich hängt sie an der Flasche, und solchen Leuten darf man kein Wort glauben.« Er zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch. Es gab wirklich nur einen einzigen Ausweg aus dieser Zwickmühle. Er musste Katie Garcia aufsuchen und Klartext mit ihr reden. Ein Blick auf die Leuchtziffern seiner Uhr verriet ihm, dass es auf fünf Uhr zuging. Noch zwei Stunden, dann konnte er aufstehen und sich auf den Weg ins Krankenhaus machen.
 
David Neilson klopfte an die Tür seines Hotelzimmers.
»Wir müssen reden, Stephanie«, verlangte er, als er die Suite betrat.
»Nein, das müssen wir nicht. Es ist spät, und ich bin müde.« Sie lag auf dem Bett und hatte offenbar geweint.
»Du bist ständig müde.«
»Zwei Kinder sind eben anstrengend«, verteidigte sie sich.
»Stephanie, wir haben seit Amys Geburt nicht mehr miteinander geschlafen.«
»Das ist mal wieder typisch«, entrüstete seine Frau sich. »Es geht immer nur um Sex. Könnt ihr Männer eigentlich an nichts anderes denken?«
»Doch, aber wenn sich seit über einem Jahr im Bett nichts mehr abspielt, fängt man langsam an, etwas zu vermissen.«
Stephanie ging erneut in die Defensive. »David, du weißt genau, wie sehr mich die Kinder auf Trab halten. Für mich ist diese Zeit schwieriger als für dich. Meine Figur ist nicht mehr so, wie sie mal war, und ich bin kein Glamourgirl wie dieses kleine Flittchen da unten, das weiß ich selbst, aber ich tue mein Bestes.«
David schlug einen versöhnlicheren Ton an. Er wollte keinen Streit, er hatte die pausenlosen Zankereien, zu denen es in der letzten Zeit gekommen war, gründlich satt. »Davon rede ich doch gar nicht. An deiner Figur ist nichts auszusetzen. Ich spreche von uns beiden, Stephanie. Liebst du mich eigentlich noch?«
»Dumme Frage. Natürlich liebe ich dich noch. Du bist mein Mann, oder etwa nicht?«
»Nur auf dem Papier.«
»Wir haben Kinder miteinander. Zählt das denn gar nicht?«
»Warum bist du überhaupt noch mit mir zusammen? Ich spüre doch, dass dir nichts mehr an mir liegt. Möchtest du nicht lieber wieder frei sein?«
»Du meinst, du willst deine Freiheit zurück«, erwiderte sie triumphierend. »Hast du eine andere, David? Das muss es sein – du hast eine Geliebte!«
David durchquerte den Raum und setzte sich zu ihr auf das Bett, achtete aber darauf, ausreichenden Abstand zu ihr zu halten. Der Ernst der Situation hatte ihn so ernüchtert, dass er klar und ruhig sprechen konnte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine hitzige, tränenreiche Auseinandersetzung.
»Nein, Stephanie, ich habe keine Geliebte und gedenke auch nicht, mir eine zuzulegen, aber ich bin auch nicht glücklich, schon lange nicht mehr. Wir hätten nach Zoë gar kein zweites Kind mehr bekommen sollen. Steph, es funktioniert nicht mehr. Was zwischen uns war, ist vorbei; wir haben uns auseinandergelebt.« Er brach ab und wartete geduldig, bis sie sich in den Kissen aufgesetzt und sich geräuschvoll die Nase geschnäuzt hatte. Seine Stimme klang sanft und verständnisvoll, als er fortfuhr: »Steph, du liebst mich nicht mehr, nicht wahr?«
»O doch.«
»O nein.«
Sie seufzte. »Also gut, ich liebe dich nicht mehr. Zufrieden?«
David lachte gequält auf. »Das war’s dann wohl, oder? Unsere Ehe ist am Ende. Na prima.«
»Wie pathetisch das klingt!«
»Stimmt.« David fühlte sich erbärmlich. »Ich denke, ich sollte lieber nicht hier schlafen.«
»Wie du willst.«
»Ich werde versuchen, für den Rest der Nacht ein anderes Zimmer zu bekommen. Das dürfte nicht weiter schwierig sein, weil die meisten Gäste ihre Buchungen storniert haben. Morgen fahre ich dich und die Kinder nach Hause und packe dann ein paar Sachen zusammen.«
»Vergiss Cathy nicht.«
»Wen?«
»Unser Kindermädchen, David.«
»Richtig, wie konnte mir das nur entfallen?«, erwiderte er sarkastisch. »Ich werde in das Apartment in der Stadt ziehen und dort bleiben, bis wir entschieden haben, wie es weitergehen soll.«
»In Ordnung.« Stephanie brachte nicht die Kraft auf, Einwände zu erheben. Sie konnte ihrem Mann nicht in die Augen sehen.
»Das war’s dann wohl«, wiederholte er, und da es sonst nichts mehr zu sagen gab, erhob er sich ohne ein weiteres Wort vom Bett und verließ die Suite. Wie in einem bösen Traum gefangen, ging er zur Rezeption hinunter, verlangte ein anderes Zimmer und nahm den Schlüssel entgegen. Marcus und Caroline, die wie zwei Teenager, die sich auf eine heiße Nacht freuen, die Treppe hinaufpolterten, bemerkte er überhaupt nicht.
Der Nachtportier begleitete David Neilson zu seiner neuen Unterkunft. David schloss die Tür hinter sich, entkleidete sich bis auf seine Boxershorts und kroch in ein unberührtes Bett. Es war so kalt und einsam wie sein neues Leben.
 
»Warte, ich habe eine bessere Idee«, verkündete Caroline, als Marcus sich aus seinen Kleidern zu schälen begann. »Lass uns nach draußen gehen.«
»Caroline, ich bin heilfroh, dass wir es endlich bis in unser Zimmer geschafft haben. Jetzt möchte ich nur noch eines, und zwar, dich bis ungefähr Mitte nächster Woche vögeln.« Er blickte sich im Zimmer um, während er fieberhaft nach Gründen suchte, dort zu bleiben, wo sie waren. »Sieh dir mal das tolle Himmelbett an. Hättest du nicht Lust auf ein kleines Spielchen? Ich könnte dich an den Pfählen festbinden oder so was in der Art.«
»Klingt verlockend«, schnurrte sie. »Aber dazu haben wir später noch Zeit. Jetzt komm.«
Caroline war bereits splitterfasernackt, Marcus trug noch seine Hosen, hatte sich aber sein Hemd über den Kopf gezogen. Sie packte ihn bei der Hand, zog ihn zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, schlich sie, Marcus noch immer mit sich ziehend, zum Treppenabsatz.
»Wenn dich jemand so sieht, kriegst du eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Wir kommen nie unbemerkt bis nach draußen«, gab er nervös zu bedenken.
Caroline fuhr zu ihm herum. Ihre Augen blitzten herausfordernd. »Wollen wir wetten?« Leise in sich hineinkichernd rannte sie anmutig wie eine Nymphe die Treppe hinunter und quer durch das Foyer des Rathnew Manor.
»Ich glaube es einfach nicht«, stöhnte Marcus. »Jedes andere Mädchen würde ich laufen lassen und zurück in mein Bett kriechen.« Dann folgte er ihr und schaffte es gerade noch, an der Rezeption vorbeizukommen, ehe der Nachtportier, der David sein neues Zimmer gezeigt hatte, an seinen Platz zurückkehrte.
»Ist es nicht wunderschön hier draußen?«, jubelte Caroline, die übermütig über die Rasenfläche vor dem Manor tanzte. Das Gras war so weich wie eine grüne Flauschdecke.
»Entschieden eine Verbesserung, wenn man bedenkt, dass es vorhin noch in Strömen gegossen hat«, gab Marcus widerwillig zu. Er sehnte sich wirklich nach seinem Bett.
»Das ist Ewigkeiten her, Süßer. Die Sonne geht bald auf.« Sie lief zu ihm und umarmte ihn. »Ist das nicht viel besser als in dem muffigen Zimmer?« Sie ließ sich auf den Rasen fallen. »Der Boden ist sogar schon trocken. Fühl doch mal.« Lachend rollte sie sich auf den Bauch.
»Das ist unmöglich, Caroline, nicht nach diesen Regenmengen – und überhaupt müsste das Gras vom Tau feucht sein«, widersprach Marcus gereizt. »Komm, wir gehen wieder rein.«
»Es ist ganz trocken! Fühl doch mal!«
»Deswegen bin ich nicht hier.« Marcus kauerte sich neben sie und streichelte ihr perfekt gerundetes Hinterteil. »Wenn du glaubst, ich würde dich direkt hier vor den Stufen des Manor vernaschen, dann irrst du dich gewaltig.« Er zog sie hoch. »Wir suchen uns ein etwas abgelegeneres Plätzchen.«
Hand in Hand schlenderten sie durch den Hotelgarten. Caroline schien sich ihrer Nacktheit überhaupt nicht bewusst zu sein.
»Hast du denn gar keine Angst, zufällig irgendeinem Nachtschwärmer zu begegnen?«, fragte Marcus.
»Wenn, dann kann ich es auch nicht ändern. Und außerdem brauche ich mich für meinen Körper wirklich nicht zu schämen.«
»Gesprochen wie eine wahre Künstlerin!« Marcus küsste sie und ließ die Hände über ihre weichen Rundungen gleiten. »Du machst mich verrückt«, murmelte er in ihr dichtes, lockiges Haar. »Ich will dich, Caro.«
»Dann nimm mich«, flüsterte sie, seine Küsse leidenschaftlich erwidernd.
Als sie sich an seiner Hose zu schaffen machte, war Marcus’ Widerstand gebrochen. Ohne Gegenwehr ließ er sich von ihr auf den weichen Rasen hinunterziehen.
»Was soll’s«, seufzte er. »Vermutlich schläft alles ringsum tief und fest.«
»Mit Sicherheit«, stimmte Caroline atemlos zu.
Das Liebesspiel unter freiem Himmel erregte sie so stark, dass sie alles um sich herum vergaßen. Marcus kam noch nicht einmal dazu, seine Hose herunterzustreifen, was sich als Glück erwies, denn einen Moment später kamen Gillian und Luke an ihnen vorbei.
Luke hatte das Paar nicht bemerkt. Hätte er sie gesehen, hätte er darauf bestanden, einen anderen Rückweg zum Hotel zu nehmen, aber Gillian wusste genau, was sie tat. Hier bot sich ihr eine Gelegenheit, und Gelegenheiten sollte man nie ungenutzt verstreichen lassen. Sie griff nach Lukes Hand und ging einen Schritt vor ihm her, sodass sie ihm die Sicht versperrte. So gelang es ihr, ihn direkt an dem Liebespaar vorbeizuführen.
Markus und Caroline waren blind und taub für ihre Umgebung; Marcus hatte sich über seine Freundin gerollt, Caroline blickte zu den Sternen empor, die im ersten Tageslicht allmählich verblassten.
Und dann kam Gillian Johnstons Kopf in Sicht.
»Hi, Caro.« Sie lächelte auf Camerons Schwester hinab.
»Guten Morgen, Gillian«, erwiderte Caroline ohne jede Spur von Verlegenheit.
Marcus und Luke hatte es die Sprache verschlagen. Luke blickte starr zu Boden und tat so, als hätte sich der peinliche Zwischenfall überhaupt nicht ereignet. Marcus erstarrte mitten in der Bewegung. Er war so mit Caroline beschäftigt gewesen, dass er nichts gehört und nichts gesehen hatte.
»Hast du da gerade jemanden begrüßt?«, flüsterte er in Carolines Haar, dabei betete er, dass sich seine Freundin nur einen Spaß mit ihm erlaubt hatte.
Sie streichelte liebevoll seinen Rücken. »Ja, Gillian Johnston und Luke Delaney. Er ist ein alter Freund von Cameron.«
Marcus blickte auf und sah gerade noch Gillys und Lukes Rücken in Richtung des Hotels entschwinden.
»Leck mich!«, entfuhr es ihm.
»Jetzt sofort?« Caroline verstand ihn absichtlich falsch. »Aber gerne.«
 
Luke Delaney war vor Verlegenheit hochrot angelaufen.
»Ich glaube einfach nicht, dass du Hi zu der Frau gesagt hast. Hast du nicht gesehen, was die beiden... du meine Güte!«
»Ich hab die zwei erst gesehen, als wir schon fast über sie gestolpert sind, sonst hätte ich doch einen großen Bogen um sie gemacht«, log Gillian, wobei sie ihrer Stimme einen angewiderten Ton verlieh.
»Aber du hast sie angesprochen.«
»Sie hat mir direkt ins Gesicht gesehen. Da wäre es ziemlich unhöflich gewesen, sie nicht zu beachten, findest du nicht?«
»Weiß nicht.« Luke hob die Schultern. »In so einer Situation war ich noch nie.«
Gillian schlang die Arme um seine Taille. »Nein?«, schnurrte sie, dabei hob sie eine perfekt gezupfte Braue.
Ihre Laune hatte sich beträchtlich gebessert. Als Cameron ihr ein paar Stunden zuvor eine schroffe Abfuhr erteilt hatte, war sie außer sich vor Wut gewesen – und hatte beschlossen, Luke als Rachewerkzeug zu benutzen. Und nun hatten sich die Dinge noch besser entwickelt, als sie zu hoffen gewagt hatte. Mit etwas Glück würde Caroline ihrem Bruder von der nächtlichen Begegnung erzählen, und Cameron würde von einem Anfall guter alter Eifersucht geplagt werden. Er mochte Luke offenbar sehr gern, was diesen zum perfekten Kandidaten für ihr Vorhaben machte. Gillian hatte nicht beabsichtigt, tatsächlich mit ihm zu schlafen, konnte aber der überwältigenden Anziehungskraft, die von ihm ausging, einfach nicht widerstehen.
Der Sandstrand vor dem Rathnew Manor fühlte sich warm und weich unter ihren nackten Füßen an. Der Mond begann zu verblassen, er hing wie ein fahler Geist seines früheren Selbst am Himmel und spiegelte sich im glatten Wasser der Irischen See wider. Gillian konnte sich der magischen Atmosphäre dieser Nacht nicht entziehen, und so kam es, dass sie sich mit diesem völlig fremden Mann auf ein wundervolles erotisches Abenteuer einließ.
Luke sah ihr tief in die Augen. »Was ich vorhin meinte, war...«
Sie schnitt ihm mit einem Kuss das Wort ab. »Was du gemeint hast, Luke Delaney, war, dass du nur nie erwischt worden bist.«
Zurueck ins Glueck
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