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Von wirbelnden Flocken umgeben, stand ein Gast des Dolgorouky-Balls auf den Eingangsstufen, wesentlich schlechter gelaunt als der Mann, der mit langen Schritten zu seiner schönen, reichverzierten roten Troika eilte. Zitternd und angstvoll zog Zena Turku ihr dünnes Cape enger um die Schultern.
Sie hatte Baroneß Adelberg, ihre Tante, auf den Ball begleitet und zuvor den Auftrag erhalten, General Scobloff, der sie heiraten wollte, möglichst liebenswürdig zu begegnen. Schluchzend und fluchend protestierte Zena, brachte die Tante aber nicht von ihrem Entschluß ab, sie mit diesem abscheulichen, dicken, lüsternen Mann zu vermählen, der mit seinen einundsechzig Jahren schon zwei Ehefrauen unter die Erde gebracht hatte. Zena und ihre verwitwete Tante konnten einander nicht ausstehen.
Vor drei Jahren war Zenas schöne tscherkessische Mutter im Kindbett gestorben. Der Vater versank in lethargischer Verzweiflung, aus der er nie mehr auftauchte. Eine Woche nach dem Begräbnis verließ er mit Zena und dem Baby das idyllische, ertragreiche Landgut bei Astrachan und zog nach Petersburg. Dort begann er, zu trinken und zu spielen, im vergeblichen Versuch, seiner Melancholie zu entrinnen. Nur selten blieb er lange genug nüchtern, um zu bemerken, daß Zena ihn brauchte, und ihr zu versprechen, bald würden sie heimkehren.
Doch er fürchtete die schmerzlichen Erinnerungen, die ihn zu Hause erwarteten. Ebensowenig ertrug er den Anblick des Jungen, dessen Geburt der geliebten Frau das Leben gekostet hatte. Eines frühen Morgens, vor sechs Monaten, hatte Baron Turku eine Pistole an seine Schläfe gehalten und abgedrückt.
Seine Halbschwester übernahm die Verantwortung für Zena und deren kleinen Bruder Bobby1 und eignete sich alles an, was vom Vermögen des Barons übriggeblieben war. Unentwegt verkündete sie, ihre Nichte müsse dankbar für das Dach über ihrem Kopf sein, nachdem ihr Vater praktisch jeden seiner Rubel verspielt habe. Vor drei Wochen war Zena achtzehn geworden, und Baroneß Adelberg hatte ihr befohlen, den General zu heiraten, da sie ein so undankbares Mädchen nicht länger ernähren wolle.
Hoffentlich würde Zena ihr Glück zu schätzen wissen, denn mittellose junge Frauen seien nicht leicht unter die Haube zu bringen, schon gar nicht, wenn sie von einer Tscherkessin abstammten.
Zena ignorierte die spitze Bemerkung, auf das Erbe ihrer wunderbaren Mutter genauso stolz wie auf die konventionellere aristokratische Herkunft des Vaters. Immerhin war Baroneß Turkus Vater das mächtige Oberhaupt eines Clans, der jahrhundertelang im Kaukasus regiert hatte.
Seit dem Tod des Barons drangsalierte seine Halbschwester das junge Mädchen, das in düsterer Einsamkeit zu einer Schönheit heranwuchs. An manchen Nachmittagen, wenn Turku aus seinem Alkoholnebel erwacht war, hatte er die frappierende Ähnlichkeit zwischen seiner Tochter und der verstorbenen Gemahlin erkannt. Von qualvollen Erinnerungen gepeinigt, war er Zena in den letzten Monaten seines Lebens aus dem Weg gegangen.
In der Woche vor dem Dolgorouky-Ball hatten Tante und Nichte erbittert gestritten. Schließlich drohte die wütende Baroneß, das Mädchen hinauszuwerfen, sollte es den General abweisen.
Zena blieb trotzdem bei ihrem Entschluß. Alles würde sie ertragen – alles außer einer Ehe mit dem widerwärtigen alten Mann, dessen stechende kleinen Augen sie begierig anstarrten. Fast jeden Abend besuchte er sie, faßte sie an, wenn die Tante nicht hinschaute, und bestand auf einer baldigen Hochzeit.
An diesem Abend hatte Zena mit dem General getanzt und war in ihrem Entschluß bestärkt worden. Viel zu fest preßte er sie an seinen runden Bauch, und sie mußte sich sehr beherrschen, um ihn nicht wegzustoßen und davonzulaufen. Nach dem Tanz entschuldigte sie sich unter dem Vorwand, sie würde sich frisch machen, floh aus dem Saal und die Treppe hinab, ließ sich ihren Umhang geben und eilte aus dem Haus.
Ein paar Minuten lang stand sie auf der Treppe und überlegte, wie sie die Pläne ihrer Tante vereiteln könnte. Flüchtig erwog sie sogar, sich in die Newa zu stürzen.
Aber diesen Gedanken verwarf sie, weil sie erkannte, daß sie sich bei einem Sprung von einer Brücke auf die Eisschicht des Flusses beide Beine brechen und dann langsam erfrieren würde. Trotz ihrer Verzweiflung besaß sie immer noch genug jugendlichen Optimismus, um das Leben dem Tod vorzuziehen. Außerdem brauchte Bobby jemanden, der für ihn sorgte. Da sie intelligent, gesund und voller Tatendrang war, würde sie sicher Mittel und Wege finden, um gemeinsam mit dem kleinen Jungen zu überleben.
Zunächst mußten sie sich möglichst weit von Petersburg, ihrer bösartigen Tante und dem lüsternen alten General entfernen. Sie überdachte die Möglichkeiten, die sich einer Achtzehnjährigen und ihrem dreijährigen Bruder boten. Und dann traf sie eine Entscheidung. Sie wollte bei ihrem Großvater in den Bergen Zuflucht suchen. Irgendwie würde sie ihn aufspüren.