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Eines Abends fuhren der Prinz und die Prinzessin nach Moskau, um eine Party bei den Barinskys zu besuchen. Er wußte, was ihn erwartete – dieselben Gesichter wie eh und je, dieselben Kartenspiele, dieselben Tänze. Großer Gott, dachte er, allmählich reicht’s. Die Pose des pflichtbewußten Ehemanns, der seine Gemahlin ausführte, ermüdete ihn. Mindestens einen Monat lang würde er die Datscha nicht mehr verlassen. Diese idiotischen Leute! Mit Ausnahme von Yuri und einigen anderen Freunden konnte ihm die ganze restliche Gesellschaft gestohlen bleiben.
Mißgelaunt schenkte er sich einen Cognac ein und schlenderte in den Spielsalon, wo man wenigstens ein bißchen Abwechslung fand. Einige Stunden später lockerte er – ziemlich angeheitert und beträchtlich reicher – die Krawatte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er bestellte eine neue Flasche Cognac und mischte die Karten.
Am Nebentisch saß ein dicker Mann mit hochroten Wangen, der schon seit einiger Zeit unentwegt verlor. »Zu wem gehört eigentlich diese neue Schwangere? Eine Schönheit, aber für meinen Geschmack ein bißchen zu rund.«
Alex hob die Brauen. »Die Dame, von der Sie sprechen, Krasskov, ist meine Frau.« Obwohl seine Stimme kühl klang, schwang ein herausfordernder Unterton darin mit.
Verblüfft wandte sich der korpulente Mann zu ihm. »Was, Sie sind verheiratet, Bogenschütze? Und offensichtlich keine Minute zu früh!« fügte er hinzu und brach in gellendes Gelächter aus. Er haßte Alex, seit ihm eine seiner Gespielinnen den Prinzen vor etwa einem Jahr vorgezogen hatte. Für hübsche danseuses stets empfänglich, war Alex ihren Reizen erlegen. Aber mit einem Schäferstündchen in Krasskovs Schlafzimmer und Krasskovs Bett hatte er die Privilegien des Hausherrn vielleicht ein wenig verletzt.
Ohne aufzublicken, legte er die Karten auf den Tisch und teilte den anderen Spielern mit: »Vingt-et-un. Verzeihen Sie, meine Herrn, heute abend bleibt mir das Glück treu.« Mit einer lässigen Geste schob er ein paar Goldmünzen zu dem Geld, das sich vor ihm häufte. Erst danach wandte er sich wieder zum Nebentisch. »Ich dulde keine öffentliche Diskussion über meine Gemahlin, Krasskov. Offenbar haben Sie zuviel getrunken.«
»Das dulden Sie nicht?« stieß Krasskov hervor. »Sie arroganter Kerl …«
Einer seiner Tischgefährten sah das gefährliche Glitzern in den Augen des Prinzen. Unbehaglich berührte er Krasskovs Arm. »Beruhige dich, Felix! Wenn der Bogenschütze so tief ins Glas geschaut hat, ist er gefährlich.«
Mochte Alex auch betrunken sein – sein Gehirn funktionierte immer noch einwandfrei.
Gemächlich zündete er sich eine Zigarette an. »Haben Sie mich verstanden, Krasskov?«
»Diese Frage muß ich Ihnen nicht beantworten, Kuzan.«
»Nein?«
Nun entstand ein drückendes, erwartungsvolles Schweigen.
»Felix!« Hastig erhob sich Kiril aus seinem Sessel an Alex’ Seite. »Um Himmels willen, entschuldigen Sie sich! Immerhin geht’s um seine Frau.«
»Verdammt will ich sein, wenn ich auch nur ein einziges Wort des Bedauerns äußere!«
»Sasha!« flehte Kiril, und der Prinz warf ihm einen belustigten Blick zu.
»Reg dich nicht auf. Krasskov will sich nicht bei mir entschuldigen. Diese Entscheidung liegt selbstverständlich bei ihm.« Langsam zog er an seiner blauen Zigarette und blies eine Rauchwolke in die Luft. Dann beugte er sich vor und drückte den glühenden Stummel im Aschenbecher aus. »Also? Keine Entschuldigung?«
»Nein, zum Teufel!« schrie Krasskov.
»In diesem Fall – wählen Sie Ihre Waffen.«
Schwankend erhob sich Baron Achieff, der ebenfalls zu tief ins Glas geschaut hatte. Aber er fühlte sich verpflichtet, einzugreifen. »Laß den Unsinn, Bogenschütze! Du siehst doch, daß Felix sternhagelvoll ist.«
»Das bin ich auch, Vassily«, entgegnete Alex grinsend. »Trotzdem merke ich’s immer noch, wenn jemand meine Frau beleidigt.«
Damit schwand Vassilys vage Hoffnung, einen Skandal zu verhindern, und diese Erkenntnis ernüchterte ihn abrupt.
Einer seiner Tischgefährten bemerkte: »Seltsam, wie empfindlich der Bogenschütze ist, wenn’s um seine Frau geht … So etwas hätte ich ihm niemals zugetraut.«
»Haben Sie die Dame schon gesehen?« lautete die neidische Antwort. »Wenn ich mit ihr verheiratet wäre, würde ich sie auch gegen alle Angriffe verteidigen.«
Der Prinz seufzte dramatisch. »Über Geschmack läßt sich natürlich nicht streiten. Aber ich persönlich ziehe meine wohlgerundete Gemahlin einer Bohnenstange wie Martine Ivanovna vor.«
Mit dieser Beleidigung schlug er dem Faß den Boden aus, denn Martine Ivanovna war jene umstrittene danseuse.
Wütend sprang Krasskov auf, stolperte zum Nachbartisch und schmetterte seine fleischige Faust auf den grünen Filz, so daß die Goldmünzen in alle Richtungen flogen.
»Pistolen, verdammt noch mal!« brüllte er.
»Einverstanden«, stimmte Alex gleichmütig zu.
»Wirst du’s auch schaffen?« fragte Kiril ängstlich.
»Natürlich. Eigentlich solltest du mich besser kennen. Der Cognac hat meine Zielsicherheit noch nie beeinträchtigt.«
Ein Diener wurde beauftragt, die Waffen zu holen, während die Duellanten durch die Terrassentür in eine neblige Nacht hinaustraten. Nachdem sie ihre Jacketts ausgezogen hatten, wurden ihnen die Pistolen überreicht. Zwanzig Schritte mußten sie sich voneinander entfernen. Sobald ihnen ein Zeichen gegeben wurde, durften sie dreimal schießen. Sollten beide Duellanten am Leben bleiben, würde man die Angelegenheit für erledigt halten.
Als die Regeln verlesen wurden, hob Alex die Brauen.
Drei Schüsse? Er wirkte erschreckend schläfrig. Sanft schwang die Waffe in seiner Hand hin und her.
Das Zeichen erklang, und die Hand des Prinzen schnellte empor. Fast gleichzeitig krachten zwei Schüsse. Alex ließ die Pistole fallen, zog sein Taschentuch hervor und preßte es auf den Blutfleck, der seinen rechten Hemdsärmel tränkte. Lautlos brach Baron Krasskov zusammen. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Alex holte sein Jackett und schlenderte zum Palast zurück. »Verdammt, ich werde ganz naß.«
Angstvoll rannte Kiril ihm nach. »Offenbar hast du ihn getötet, Sasha.«
»Das will ich hoffen.« Das seidene Taschentuch um seinen Arm geschlungen, betrat Alex den Spielsalon.
»Oh, du bist verletzt, Bogenschütze!« rief einer seiner Freunde.
»Nur ein Kratzer, nichts Ernstes.« Alex verknotete die Zipfel des Taschentuchs und schlüpfte in sein Jackett.
Atemlos rannte Vassily herein. »Sasha, er lebt!«
»Verdammt, Kiril, deine Pistole hat einen Linksdrall!« beklagte sich Alex. »Sonst wäre der Schurke jetzt tot. Jammerschade!« Er zuckte fatalistisch die Axeln und zog das Zigarettenetui aus seiner Brusttasche. Langsam wanderte er zum Ballsaal, eine Zigarette zwischen den Lippen. Als er Zena auf einem Sofa entdeckte, setzte er sich zu ihr.
»Regnet es, Liebling?« fragte sie. »Dein Haar ist naß. Warst du draußen?«
»Nur ganz kurz, meine Süße. Die Luft im Spielsalon war so stickig.« Etwa zwanzig Minuten blieb er noch sitzen, um sich mit seiner Frau und einigen Freunden zu unterhalten. Dabei erfrischte er sich mit mehreren Gläsern Champagner.
Während die Zeit verstrich, wurde er immer einsilbiger und hörte Zena mit ihren Bewunderern schwatzen. Manchmal schaute sie ihn erstaunt an und fragte sich, warum er sie nicht zum Tanz aufforderte.
Aufgeregt drängte sich Yuri durch die Menge und flüsterte in Alex’ Ohr: »Kiril hat gesagt, du seist verwundet.«
Obwohl er leise gesprochen hatte, verstand Zena jedes einzelne Wort. Erschrocken wandte sie sich zu ihrem Mann.
»Nur ein winziger Kratzer, meine Liebe«, versicherte er. Aber sie sah, wie bleich und erschöpft er wirkte.
Und dann bemerkte sie die Blutstropfen, die durch den Ärmel seines Jacketts sickerten und zu Boden tropften. »O Sasha, du bist ja verletzt!«
»Schau nicht so erschrocken drein, Prinzessin. Allzu schlimm ist’s wirklich nicht.« Sein Blick streifte die rote Pfütze, die sich am Parkettboden gebildet hatte. »Vielleicht sollten wir uns von der Gastgeberin verabschieden. Würdest du mir dein Taschentuch leihen? Ich glaube, bis wir unsere Kutsche erreichen, kann ich diesen peinlichen Blutstrom eindämmen.«
Sobald sie in der Kuzan-Wohnung angekommen waren, ließ Zena einen Arzt holen. Inzwischen waren Alex’ Wangen aschfahl geworden.
Bereitwillig sank er ins Bett. Nachdem der Doktor die Wunde verbunden hatte, versicherte er, die Kugel würde nicht im Fleisch stecken und die Verletzung sei nicht gefährlich.
»Das hätte ich dir auch sagen können, Zena«, murmelte Alex.
Am nächsten Morgen kehrten sie in die Datscha zurück. Zena meinte, vor der Reise hätte Alex sich noch einige Zeit ausruhen müssen. Aber er setzte seinen Willen durch.
Als sie sich nach dem Duell erkundigte, erwiderte er: »Krasskov, diese Kanaille, war so unverschämt, in aller Öffentlichkeit über meine Frau zu diskutieren. Das konnte ich nicht dulden, und so habe ich ihm eine Lektion erteilt, die seine Manieren hoffentlich bessern wird. Diesen vulgären Kerl konnte ich noch nie ausstehen. Und ich werde wohl niemals begreifen, was Martine an ihm fand.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Jetzt werde ich mindestens einen Monat lang keine Party besuchen. Wenn dir diese langweiligen Feste gefallen, geh nur hin. Aber ohne mich.«
»Oh, ich fühle mich sehr wohl auf dem Land und muß mich nicht in Moskau amüsieren.«
»Sehr gut. Dann solltest du in der nächsten Zeit alle Einladungen ablehnen. Es schickt sich ohnehin nicht, daß eine schwangere Frau an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnimmt, sobald ihr Zustand sichtbar wird.«
»Und deshalb befiehlst du mir, in Podolsk zu bleiben?« frage sie kühl.
»Sei nicht beleidigt, Liebes. Wie du weißt, lege ich wenig Wert auf die Etikette. Und was die Leute von mir halten, ist mir völlig egal. Wenn du dich bis zur Niederkunft in der Öffentlichkeit zeigen willst – bitte, du hast meine Erlaubnis.«
»Deine Erlaubnis?« fragte sie in eisigem Ton.
»Oder meine Zustimmung, wie immer du’s nennen willst. Wenn ich mich auch nicht entsinnen kann, daß ich auf diesen Parties jemals hochschwangere Frauen gesehen hätte …«
»Weil du zu beschäftigt warst, die gutgebauten Damen anzustarren, die dir verlockende Blicke zuwarfen!« fauchte Zena.
Verständlicherweise fand sie sich in ihrem Zustand nicht mehr besonders attraktiv. Aber sie wußte, daß sie Alex ungerecht behandelte. Kein einziges Mal hatte er ihr zu verstehen gegeben, sie wäre reizlos. Trotzdem fiel es ihr manchmal schwer, ruhig und gelassen zu bleiben. Ihrem freiheitsliebenden Geist mißhagte die Pflicht, eine perfekte, gehorsame Ehefrau und künftige Mutter zu spielen – genauso, wie sich der Prinz nur mühsam an die Rolle des braven Ehemanns gewöhnen konnte.
Beide taten ihr Bestes. Aber weil sie sich gefangen fühlten – zwei Temperamente, die großen Wert auf ihre Unabhängigkeit legten –, war die Explosion unvermeidlich. Zena erweckte den Anschein, sie wäre zufrieden mit den wenigen Beweisen seiner Zuneigung, die Alex ihr gab. Wenn er auch den glücklichen Ehemann mimte – sein ungestümes Wesen ließ sich nicht unterdrücken und entlarvte das Täuschungsmanöver.