
DAS WORT
»Schmalenbach, wir müssen etwas bereden«, sagte Elke kürzlich.
Sie mussten alle nasenlang etwas bereden. Manche Frauen können nicht sein, wenn sie nicht unentwegt mit ihrem Partner Sachen bereden, die viel besser klappen, wenn man nicht darüber redet.
»Diesmal ist es ernst«, sagte Elke und guckte auch so.
Eigentlich war es immer ernst, das war ja das Schlimme. Bei Elke gab es keine Unterschiede zwischen einer Debatte über die richtige Soße zu den Rigatoni und über ihre Angst vor dem Alter. Beides wurde mit Inbrunst verhandelt, und wenn Schmalenbach auch nur die Spur einer Ermüdung zeigte, blühten ihm Sanktionen gastronomischer oder sexueller Art.
»Es fällt mir nicht leicht, mit dir darüber zu reden.« Elke schlug die Augen nieder, sie war verlegen. Wirklich verlegen.
Schmalenbach hätte hüpfen können vor Vergnügen: Wann kam es schon mal vor, dass Elke verlegen war? So gut wie nie. Dabei hatte er doch gar nichts getan. Er war nur ruhig geblieben und hatte trotz der sich abzeichnenden Gefahr Souveränität bewiesen. Aber das genügte, um selbst eine so knallharte Frau wie Elke aus dem Konzept zu bringen.
»Sprich einfach!«, ermunterte Schmalenbach sie. »Du weißt ja, ich höre dir zu.«
Sie nahm seine Hand. Rührend, dieser schutzbedürftige Augenaufschlag. »Es ist … Es geht um Sex.«
Aha. Das machte die Sache nicht einfacher. Aber Schmalenbach würde auch dieses Gespräch mit Würde überstehen.
»Ich muss dir etwas gestehen: Ich kann es einfach nicht mehr hören.«
Schmalenbach hatte eine himmlische Geduld. Aber er hatte nicht alle Zeit der Welt. Immerhin wartete Pfeifenberger auf ihn. »Was kannst du nicht mehr hören, mein Schatz?«
»Dieses Wort.« Sie ließ seine Hand los wie ein Stück glühende Kohle. »Bitte erwarte nicht, dass ich es in den Mund nehme! Ich würde sterben vor Scham.«
»Aber wie soll ich wissen, was dich quält, wenn du dich weigerst, es auszusprechen?«
Solchen Argumenten konnte selbst Elke sich nicht verschließen. »Ich weiß, dass es auch für dich nicht einfach ist, über das alles so offen zu reden. Aber es muss sein: Ich kann nicht mehr. Wenn ich dieses schreckliche Wort höre, würde ich vor lauter Widerwillen am liebsten wegrennen. Verstehst du das ein bisschen?«
Er traute sich wieder, ihre Hand zu nehmen. »Ich weiß doch, wie es in dir aussieht. Aber wenn du möchtest, dass ich dir helfe, müsstest du mir dieses schlimme Wort schon sagen …«
Nun entriss sie ihm wütend ihre Hand. »Es macht dir also Spaß. Du genießt es, mich so leiden zu sehen. Jetzt verlangst du sogar, dass ich dieses fürchterliche Wort in den Mund nehme. Manchmal bist du richtig billig. Ja, billig!«
Langsam wurde es Schmalenbach zu viel. »Wenn du mir nicht sagen willst, welches Wort du meinst, kann ich auch nicht versprechen, es nie wieder zu benutzen …«
Elke war durcheinander. »Nun quäl mich doch nicht so! Du kannst es dir doch denken. Es ist dieses Wort, das du immer benutzt – für den Sex.« Wieder schlug sie die Augen nieder.
So lief also der Hase. »Aber ich benutze dafür verschiedene Worte, mein Schatz.«
»Es ist dieses drastische Wort, das man auch manchmal in schlechten Filmen hört.«
Schmalenbach fand das Wort gar nicht so schlimm. Er hatte sich eben daran gewöhnt. Er benutzte es auch den Freunden gegenüber. Bisher hatte sich von denen noch keiner beschwert. Wäre ja auch ein Wunder: Bei dem Vokabular, das in sexuellen Belangen unter ihnen üblich war, gehörte Schmalenbachs Wort noch zu den sensibleren Lösungen.
»Hast du denn einen Ersatz für das Wort?«, fragte er Elke.
»Wie bitte?«
»Na ja, irgendein Wort brauche ich dafür. Auch wenn wir es immer seltener tun – ich muss mich ja verständlich machen können, wenn ich dich fragen will, ob du Lust dazu hast.«
Das sah Elke ein. Sie dachte angestrengt nach. »Bei dir klingt es entweder roh oder kindisch. Dabei gibt es so schöne Worte dafür. Die Literatur ist voll davon.«
»Zum Beispiel?«
Elke wurde ungehalten. »Nun soll ich dir auch noch das richtige Wort dafür suchen. Kannst du denn nichts selbst machen?«
Schmalenbach blieb ganz ruhig. Er bestand nur darauf, dass sie auch ihren Teil der Abmachung erfüllte. »Elke, vergiss bitte nicht: Du hast damit angefangen. Nun tu auch etwas dafür, dass es in dieser Hinsicht bei uns besser klappt!«
»Liebe machen ist doch eine nette Formulierung, oder?«
»Etwas umständlich. Ich mag es lieber in einem kurzen und aussagekräftigen Verb. Ich meine, wir sind keine zwanzig mehr. Und wir wollen, wenn wir uns schon mal dazu durchgerungen haben, es zu tun, nicht unnötig Zeit mit komplizierten sprachlichen Konstruktionen verlieren, oder?«
Das sah sie ein, sie war eben ein praktischer Mensch. »Dann ist zusammen ins Bett gehen wahrscheinlich auch zu lang, was?«
»Nicht nur das. Es ist auch zu profan. Du würdest selbst nicht wollen, dass wir so uninspiriert darüber reden.«
»Und einfach schlafen. Das klingt romantisch: Schlaf mit mir!«
Doch Schmalenbach war in sprachlichen Dingen sensibel. Ihm erschien auch diese Formulierung zu ungenau. »Je länger ich drüber nachdenke, desto klarer wird mir, wie unreflektiert wir bisher in diesem wichtigen Bereich agiert haben«, erklärte er. »Zur Not müssen wir ein neues Wort erfinden.«
Doch Elke zierte sich. »Man kommt ja auch mal in die Verlegenheit, Dritten gegenüber von dieser Sache reden zu müssen. Stell dir vor, dann benutzt man aus Versehen unser Wort! Im Nu wird man schief angesehen. Im Übrigen wäre es auch dir gegenüber nicht fair, wenn ich unser Wort Dritten gegenüber gebrauchen würde.«
Jetzt befiel Schmalenbach ein quälendes Unbehagen. »Dritten gegenüber? Welchen Dritten gegenüber? Möchtest du etwa fremdgehen? Mit unserem Wort?«
Elke erschrak. »Nein. Natürlich nicht. Aber ich rede doch mit meinen Freundinnen darüber.«
»Aha. Und welches Wort benutzt ihr dafür?«
Elke hielt erst damit hinterm Berg – aber Schmalenbach gab nicht nach, bis sie gestand. »Carola und ich – wir sagen meistens miteinander verkehren.«
»Miteinander verkehren?« Schmalenbach schüttelte sich. »Du sagst miteinander verkehren, wenn du mit Carola Pfeifenberger über Sex sprichst? Ehrlich gesagt: Damit komme ich gar nicht klar. Das klingt so nach Auffahrunfall und Blechschaden.«
Elke war rot geworden. »Bitte, sag Pfeifenberger nichts davon!«
»Um Gottes willen: Der bringt es fertig und macht es öffentlich. Dann könnt ihr euch nirgendwo mehr sehen lassen. Du und deine feine Carola.«
Elke grübelte eine Weile. Dann fasste sie sich ein Herz: »Warum tun wir es nicht einfach, anstatt unentwegt darüber zu reden?«
Doch so leicht nahm Schmalenbach die Sache nicht. »Es widerspricht meinem aufgeklärten Selbstverständnis, etwas zu tun, wofür ich keinen Begriff habe. Ehrlich gesagt: Ich könnte es auch nicht.«
Elke stampfte trotzig mit dem Fuß auf den Boden. »Auch wenn wir uns nicht auf ein passendes Wort einigen können – wir können ja deshalb nicht damit aufhören.«
»Gut, dann tun wir es jetzt. Aber dann benutze ich auch das Wort dafür, das ich gewohnt bin. Komm, Elke lass uns mal wieder …«
»Untersteh dich!«
»… aber was ist so schlimm daran, mal wieder richtig zu …«
Elke schloss ihm den Mund mit einem Kuss.
Als es vorbei war, lagen sie lange still nebeneinander. Bis Schmalenbach fragte: »Und was haben wir jetzt getan?«
»Es. Wir haben es getan«, gurrte Elke wohlig.
»Da ist ja flachlegen origineller«, sagte Schmalenbach.
Elke fuhr hoch. »Mit mir nicht!« Sie schwebte hinaus.
Schmalenbach seufzte. In Zukunft würde es noch schwerer werden.