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Kapitel 8

Lock parkte seinen SUV vor dem Haus seiner Eltern in New Jersey und stieg aus. Wäre es am Wochenende gewesen, wo er meist den größten Teil seiner Zeit in seiner Werkstatt verbrachte, hätte er es eiliger gehabt, hin- und wieder wegzukommen. Aber an diesem schönen Oktobermorgen beschloss er, es nicht eilig zu haben. Abgesehen davon verbrachte er gern Zeit mit seinem Dad. Der alte Mann konnte auf seine ganz eigene, exzentrische Art ziemlich unterhaltsam sein – es sei denn, man war ein armer Kerl, der versuchte, die Rohrleitungen zu reparieren, um schnell zum nächsten Auftrag weiterfahren zu können.

Mit demselben Schlüssel, den er besaß, seit er neun war, betrat Lock das Haus seiner Eltern.

»Dad? Bist du hier irgendwo?« Als Lock nicht sofort eine Antwort bekam, schloss er die Tür und ging durch die Glasveranda ins Wohnzimmer, durchs Esszimmer und direkt in die Küche. Eine große Schüssel Beeren stand auf dem Tisch, und er nahm sich eine Handvoll. Er hörte Geräusche aus dem Keller, also ging er in den winzigen Flur, wo eine Tür nach rechts in den Garten und in die Garage führte, und links eine Treppe hinunter in den Keller.

Lock hatte kaum den Fuß auf die oberste Stufe gesetzt, als er ein »Nein, nein, nein, nicht!« hörte, gefolgt von einem Rauschen und einem eindeutig mädchenhaften Kreischen, von dem er nicht glauben wollte, dass es von seinem alten Herrn kam.

Lock rannte die Treppe hinunter, blieb aber auf der letzten Stufe stehen. Er hatte einfach keine Lust, sich die Stiefel nass zu machen.

Er sah seinen Lieblings-Plüschhund von früher vorbeischwimmen, bevor er in die Ecke schaute, wo sein Vater mit seinem typisch schuldbewussten Gesichtsausdruck und einem riesigen Schraubenschlüssel stand. Neben ihm stand …

Lock blinzelte, nicht sicher, ob er richtig gesehen hatte.

»Du«, sagte er, zu schockiert, um es nicht zu zeigen. Dann tat er etwas, das er selten tat – er lachte. Aus vollem Hals. Er konnte nicht anders. Kein Tag war vergangen, an dem er nicht an sie gedacht hatte. Ein Teil von ihm schämte sich immer noch, dass er sie alleingelassen hatte, ein anderer Teil war wütend, weil sie schuld war, dass es ihm etwas ausmachte. Aber er hätte nie geglaubt, sie je wiederzusehen. Zumindest hätte er nie gedacht, dass er sie hier in seinem Keller wiedersehen würde, mit seinem Dad, klitschnass bis zu den Knien dank dem Mist, den Brody MacRyrie wieder einmal gebaut hatte.

»Lock?«, fragte sein Vater, höchstwahrscheinlich schockiert über das Gelächter seines einzigen Sohnes. »Ist alles in Ordnung?«

Lock konnte nicht antworten. Er musste zu sehr lachen, was die kleine Katze mit der Krankenhausphobie natürlich nur sauer machte. Obwohl sie es eindeutig nicht schätzte, ausgelacht zu werden, beschloss sie, es an Brody auszulassen und nicht an Lock.

Sie riss Brody den Schraubenschlüssel aus der Hand und drohte ihm damit – immerhin schlug sie ihm nicht damit den Schädel ein, wofür Lock ihr ewig dankbar war.

»Was habe ich gesagt? Ich sagte: Nicht anfassen!«

»Ich war nur neugierig.« Das genügte, dass Lock noch mehr lachen musste. Er hatte aufgehört zu zählen, wie viele üble Tage mit seinen Eltern mit dem Satz »Aber ich war neugierig!« angefangen hatten. Es stimmte, fast alle Bären waren von Natur aus neugierig, sogar Lock, aber Brody war so extrem, dass alle, die ihn kannten, ihn am liebsten dafür geschlagen hätten, sosehr sie ihn auch liebten. »Ich wollte nur sehen …«

»Raus!«, brüllte die kleine Katze, was ziemlich Furcht einflößend klang, denn irgendwie schien es das Brüllen eines Löwen, der sein Revier verteidigt, mit dem warnenden Knurren eines verärgerten Tigers zu kombinieren.

»Aber warum? Ich habe doch nichts …«

»Dad.« Lock stand auf und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Einen Augenblick dachte er, der Schraubenschlüssel werde auf seinen Kopf herabsausen. »Geh rauf.«

»Ich bin dein Vater, Junge. Du kannst mir nicht vorschreiben …«

»Geh. Rauf. Oder ich rufe Mum an.«

»Verräter«, brummelte Brody, aber er hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, also ließ Lock es gut sein. »Und ihr seid beide unvernünftig.«

Lock wartete, bis sein Vater die Treppe hinauf in die Küche marschiert war, dann wandte er sich an Gwen.

»Du bist der Klempner?«

Ihre goldenen Augen wurden gefährlich schmal. »Was soll das jetzt heißen?«

»Es heißt, dass ich nur schwer glauben kann, dass du die Rohrleitungen meiner Eltern in Ordnung bringen kannst.«

»Warum? Weil ich eine Frau bin?«

»Nein. Weil du du bist.«

Der Schraubenschlüssel klatschte in ihre linke Handfläche. »Erst mein Bruder und jetzt du. Was für ein perfekter Scheißtag!«

Er watete zu ihr hinüber, dankbar, dass er seine Arbeitsstiefel trug und keine Turnschuhe. »Ich kenne deinen Bruder nicht. Nur den Halbbruder deines Halbbruders, was ich immer noch unterhaltsam finde.« Er nahm ihre linke Hand und hob sie hoch. »Aber das sind keine Klempner-Nägel.«

»Was stimmt nicht mit meinen Nägeln?« Sie entriss ihm ihre Hand und musterte sie. »Der Lack blättert kein bisschen ab.«

»Genau! Welcher Klempner hat makellose Nägel?«

»Ein geschickter.«

Lock nahm ihre Hand noch einmal, um ihre Nägel zu studieren. »Sind das die Farben der Philadelphia Eagles?«

Wieder entriss sie ihm ihre Hand. »Ich unterstütze meine Teams. Hast du damit auch ein Problem?«

»Wenn es die Eagles sind …«

»Zumindest haben wir ein Team«, schoss sie zurück. »Und nur weil ich Stil habe und meine Nägel gut aussehen, heißt das nicht, dass ich nicht die beste Klempnerin bin, die du je kennenlernen wirst!«

»Ach ja? Bist du überhaupt in Jersey zugelassen, Mr Mittens?«

»Zufällig ja!«

»Wie hast du das geschafft? Man muss in Jersey wohnen, um eine Lizenz zu bekommen.«

»Was bist du? Die Klempner-Polizei?«

»Nur für die Drei-Staaten-Region. Und wieso willst du meine Frage nicht beantworten?«

»Weil ich nicht muss! Und …« – sie warf den Schraubenschlüssel auf den Boden, dass das Wasser ihm die Vorderseite der Jeans vollspritzte – »… du mich alleingelassen hast!«

Er konnte nicht beschreiben, wie befriedigend es war, zu wissen, dass es ihr etwas ausgemacht hatte, dass er damals gegangen war, und dass sie immer noch an ihn dachte. Es hätte ihm gar nicht gefallen, wenn nur er ihre Begegnung nicht aus dem Kopf bekommen hätte. »Ich musste gehen. Sie haben die Park Ranger gerufen.«

»Wer?«

»Ich schätze, der Halbbruder deines Halbbruders – muss ich ihn bis in alle Ewigkeit so nennen?«

»Nein. Sein Name ist Brendon. Und du hast dich von irgendeinem Cop zwingen lassen, mich zu verlassen, obwohl du versprochen hattest, dass die Organdiebe mich nicht kriegen werden?«

»Die Organdiebe haben dich ja auch nicht gekriegt, und ja, das habe ich gerade laut und deutlich gesagt. Aber es war nicht irgendein Cop oder Ranger … es war Toots.«

»Wer zum Geier ist Toots?«

Verlegen zögerte Lock mit der Antwort, und Gwen stemmte die Hände in die Hüften. »Also?«

»Er ist ein Eisbär. Okay? Zwei Meter dreißig groß, fast hundertachtzig Kilo, und er hat mich einmal verprügelt.«

»Er hat dich verprügelt?«

»Wir waren damals erst fünfzehn, aber es hat einen bleibenden Schaden hinterlassen.«

»Körperlich?«

Lock räusperte sich. »Nein, seelisch.«

»Ein seelischer Schaden?«

»Das kann genauso verheerend sein, Mr Mittens!«

»Ja. Ich verstehe. Du siehst komplett am Boden zerstört aus.«

»Zumindest kann ich meine Ängste eingestehen, im Gegensatz zu gewissen anderen, die von den Organdieben Amerikas verfolgt werden.«

»Das reicht, ich gehe!«

Lock fing wieder an zu lachen. »Warum? Weil ich unhöflicherweise andeute, dass du Probleme hast?«

»Ich habe keine Probleme.« Sie beugte sich nieder und hob ihren Schraubenschlüssel auf. »Mir geht’s gut.«

»Du hast dich aus dem Fenster davongemacht, als keiner hingesehen hat, um vor deiner Ärztin zu fliehen!«

»Ich will nicht darüber sprechen.«

Er nahm ihr den Schraubenschlüssel ab. »Du hast damit angefangen.«

»Ich sagte, dass du mich zum Sterben in dieser Leichenhalle zurückgelassen hast!«

»Du nennst ein Ärztezentrum Leichenhalle und glaubst, du hättest keine Probleme?«

Knurrend griff sie nach dem Schraubenschlüssel, aber er hob ihn hoch über seinen Kopf. »Du musst den Schaden, den mein Vater angerichtet hat, reparieren, bevor meine Mutter nach Hause kommt.«

»Such dir jemand anders.«

»Bitte. Ich verspreche, dass ich aufpasse, dass er oben bleibt, damit er dir nicht mehr in die Quere kommt.«

»Noch ein Versprechen? Damit wirfst du ganz schön wahllos um dich.«

»Diesmal kann ich es halten, solange nicht der Halbbruder deines Halbbruders auftaucht und alles ruiniert.«

»Nenn ihn nicht immer so!«

»Kein Grund zu fauchen, Mr Mittens.«

»Und nenn mich auch nicht immer so!« Sie sprang hoch und entriss ihm den Schraubenschlüssel. »Geh mir aus den Augen!«, befahl sie, nachdem sie wieder gelandet war.

Ohne sich sein Grinsen verkneifen zu können, deutete Lock auf die Treppe. »Ich bin oben, falls du mich brauchst.«

»Ja. Geh nur.«

Lock ging wieder nach oben und fand seinen Vater in der Küche – schmollend.

»Wie wär’s mit Kaffee, Dad?«

»Ich verstehe nicht, warum ich nicht zusehen soll.«

»Dad«, fragte Lock ernsthaft, »kennst du überhaupt die Bedeutung dieses Wortes?«

Sein Vater zuckte die Achseln. »Manchmal.«

Nach vollen fünfzehn Minuten ohne Unterbrechung hatte Gwen drei Dinge entdeckt. Erstens: Die MacRyrie-Familie brauchte einen neuen Boiler. Zweitens: Sie musste die Pumpe aus ihrem Truck holen, denn das Wasser würde auf diesem Betonboden nicht ablaufen. Und drittens … Dieser treulose Idiot war noch niedlicher, als sie es in Erinnerung hatte.

Sie marschierte die Treppe wieder hinauf, wobei sie eine nasse Spur hinterließ, ging in die Küche und blieb abrupt stehen. Vater und Sohn saßen am Tisch, die Ellbogen aufgestützt, die Hände um riesenhafte Kaffeetassen gelegt und mit demselben Gesichtsausdruck. Sie waren so sehr Vater und Sohn, dass Gwen ein komisches Ziehen in der Herzgegend spürte.

»Also?«, fragte der Grizzly-Sohn.

»Brauchen Sie Hilfe, Liebes?«, bot der Grizzly-Vater eifrig an.

»Nein, Dad.«

»Aber …«

»Nein.«

Und die ganze Wut, die sie seit ihrem Streit mit Mitch an diesem Morgen mit sich herumgetragen hatte, verschwand einfach. Sie waren einfach so verflixt süß, dass sie auf keinen von beiden böse sein konnte.

Ihr Lächeln unterdrückend, sagte Gwen: »Sie brauchen einen neuen Boiler.«

»Das klingt teuer«, sagte der ältere Bär und runzelte die Stirn. »Es wird deiner Mutter nicht gefallen, wenn es teuer wird, Lock.«

»Mum hat keine Wahl.« Er wandte sich achselzuckend an Gwen: »Ich versuche schon seit Jahren, sie zu einem neuen zu überreden. Ich habe getan, was ich konnte.«

»Er hat länger gehalten als die meisten anderen. Sie hatten Glück, aber jetzt wird es Zeit, dass wir dieses Haus auf den heutigen Stand bringen.«

»Natürlich, natürlich.« Brody MacRyrie stellte seine Kaffeetasse ab. »Ich verstehe.«

Puh! Vor zwanzig Minuten hatte sie noch vorgehabt, dem Kerl eine saftige Rechnung zu präsentieren, weil er sie nervte. Jetzt brachte sie es nicht mehr übers Herz. »Keine Sorge, Mr MacRyrie. Da lässt sich bestimmt was machen.« Sie zwinkerte ihm zu, und der ältere Bär errötete.

»Na ja … äh … hm … hätten Sie gern eine Tasse Kaffee, Liebes?«

Gwen grinste. »Sehr gern.«

Bis sie damit fertig waren, den neuen Boiler zu installieren und den alten hinauszuwuchten – mit Locks Hilfe, der ihn einfach hochheben und nach draußen tragen konnte – und den Keller getrocknet hatten, war es spät. Beinahe sieben Uhr abends.

Gwen saß auf dem Bordstein hinter dem Haus der Familie MacRyrie. Sie sah dem Firmenlaster nach, der von einem ihrer Angestellten gefahren wurde, während sie sich bei Blayne abmeldete.

»Wie lief dein Auftrag?«, fragte Blayne, nachdem sie sich fast zehn Minuten über ihren eigenen beschwert hatte.

»Ein neuer Boiler ist installiert und funktioniert bestens.«

»Boiler-Installation erledigt!« Blayne imitierte das Geräusch einer Registrierkasse.

»Du wirst allerdings nicht glauben, wem das Haus gehört.«

»Wem?«

Gwen lächelte, als sie an Lock dachte, der seinen Vater beschäftigte und von ihr fernhielt, sobald er auch nur einen Blick in Richtung Keller warf. »Dem Bär.«

»Welchem Bär?«

»Dem vom berühmt-berüchtigten Wochenend-Fiasko am Labor Day. Der, der mich den Organdieben vorgeworfen hat.«

»Sag das nicht immer! Ich hatte dir doch erzählt, was passiert ist!«

»Ja, von mir aus. Er hat sich sowieso entschuldigt.«

»Du hast den Mann dazu gebracht, sich zu entschuldigen?«

»Ja! Zufällig habe ich das.«

»Du bist unglaublich!«

»Mir stand eine Entschuldigung zu.«

»Ich werde mich nicht mit dir darüber streiten. Ich muss los.«

Gwen machte schmale Augen. »Oh? Wohin?«

»Zum … äh …«

Gwens Augen wurden noch schmaler, bis sie nur noch Schlitze waren. Die Wolfshündin heckte etwas aus, und zwar schon seit Wochen, und Gwen war wild entschlossen, herauszufinden, was das war. »Zum …?«, hakte sie nach.

»Zum Krankenhaus.«

Gwen richtete sich auf. »Was soll das …«

»Als Freiwillige.«

»Als Freiwillige?«

»Mhm.«

Blayne log, und das wussten sie beide. »Dort warst du also in den letzten Wochen immer nach der Arbeit?«

»Mm … hmm.«

»In einem Krankenhaus?«

»Yup!«

»Als was? Als Therapiehund?«

Blaynes empörtes Luftschnappen drang durchs Telefon. »Das war unter der Gürtellinie, O’Neill!« Ja, nun gut. Aber sie hasste es, wenn Blayne sie anlog. Trotzdem war das schwach gewesen. Selbst für Gwen.

»Blayne, warte. Es tut mir …«

Es überraschte nicht, dass das Gespräch abrupt beendet wurde und Gwen nur ihr Telefon anstarren konnte, bis sie etwas neben sich atmen hörte.

»Du solltest tapsen«, warf sie ihm leise vor und schaute den Grizzly an, der ruhig neben ihr saß. Die armen Vollmenschen. Ohne Gwens Gehör konnte man nicht ahnen, dass der Bär neben einem saß, bis er etwas sagte oder einen zerfleischte. Der Gedanke ließ sie schaudern. »Denn Tapsen kann ich hören.«

»Ich tapse. Seit ich acht bin.«

»Dann musst du lauter tapsen. Keiner will plötzlich bemerken, dass ein lebendiger Bär neben ihm sitzt.«

»Na, vielen Dank!« Er zeigte mit dem Daumen in Richtung Haus. »Meine Mutter ist heimgekommen. Sie will mit dir reden.«

»Ihr kriegt nirgends einen besseren Preis«, stieß Gwen hervor.

»Würdest du bitte damit aufhören?«

»Womit?«

»Über etwas zu diskutieren, bevor dir irgendwer einen Grund dafür gegeben hat. Du musst nicht voreilig argumentieren. Das nervt.« Er stand auf, und Gwen tat es ihm nach. »Ich habe es dir gesagt, weil ich dich vor meiner Mutter warnen muss.«

Gwen stemmte die Hände in die Hüften. »Lass mich raten: Sie mag keine Katzen. Sie wird bissige Bemerkungen über Auf-Bäume-Klettern und Haarknäuel-Herauswürgen machen, und du willst dich jetzt schon dafür entschuldigen, was auch immer sie sagen wird. Stimmt’s?«

»Du tust es schon wieder!«, beklagte er sich.

Mist. Er hatte recht.

»Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, würde ich dir erklären, dass meine Mutter eine in der Wolle gefärbte Feministin ist und es kaum erwarten kann, dich kennenzulernen, weil sie total in die Vorstellung eines weiblichen Klempners verliebt ist, der ihr den neuen Boiler installiert hat. Vielleicht fragt sie dich auch, ob sie dich für ihren monatlichen Newsletter interviewen darf, aber du musst nicht zustimmen, es sei denn, du willst es.«

Gwen konnte mit aller Offenheit sagen, dass sie nichts dergleichen geahnt hatte. »Oh. Also gut.«

Er beugte sich herab, bis sich ihre Nasen beinahe berührten. »Wusstest du, dass du sehr frustrierend bist?«

»Vielleicht habe ich das schon ein oder zwei Mal gehört.«

Seine Mutter war verliebt. Hals über Kopf. Lock wusste es, sobald sie den ersten Blick auf Gwen geworfen hatte.

Zum einen war Gwen »korrekt« gekleidet. Robuste Arbeitsstiefel statt niedlichen Schühchen. Die Locken mit einem Haarband aus dem Gesicht gehalten statt einer niedlichen Frisur, die eher glamourös als funktional sein sollte. Cargohosen mit vielen Taschen, damit sie leicht an oft gebrauchte Werkzeuge oder Stift und Papier herankam, statt niedlichen Jeans, aus der hinten der String herausschaute. Ein langärmliges Philadelphia-Eagles-Sweatshirt, das schon bessere Tage gesehen hatte, aber seinen Zweck immer noch erfüllte, statt eines »Ich bin Ihre sexy Klempnerin«-Shirt in Pink.

Doch die Perfektion waren für Dr. Alla Baranova-MacRyrie Gwens Fingernägel, denn nach Meinung seiner Mutter bedeuteten diese, dass sie ihre Weiblichkeit lebte, ohne sich an die gesellschaftlichen Maßstäbe für Frauen anzupassen. Lock könnte problemlos den Vortrag schreiben, den seine Mutter bei der nächsten Versammlung zur Stärkung der Frauen halten würde, die sie an Neujahr ausrichtete.

»Sie machen das also schon seit Jahren«, sagte Alla zu Gwen, ohne auf den Brandgeruch aus dem Ofen zu achten.

»Mum, wann hast du das letzte Mal nach dem Fleisch im Ofen geschaut?«

»Hmmm?«

»Du solltest es aufwärmen, weißt du? Nicht noch mal komplett durchgrillen.« Lock bedeutete ihr, zur Seite zu gehen, damit er die Ofentür öffnen konnte.

»Ich bin immer meinem Onkel Cally nachgelaufen, wenn er rüberkam, um bei uns die Rohre zu reparieren, und als ich dreizehn war, hatte ich einen regelmäßigen Ferienjob in seiner Firma.«

»Und dieser Onkel Cally, ist das ein richtiger Onkel oder nur einer der vielen Männer, die Ihre Mutter zur Nachwuchsproduktion hatte, während Sie aufwuchsen?«

Lock schoss so schnell hoch, dass er sich den Kopf am Ofen stieß. »Mum!«

Perplex sah seine Mutter ihn an, während er sich den Hinterkopf rieb. »Was ist bloß los mit dir?«

»Mit mir? Du kannst Gwen doch nicht solche Fragen stellen!«

Alla stöhnte genervt. Sie hatte Lock oft gesagt, er sei zu höflich, um je ein wahrer Intellektueller zu werden. »Aber wir reden hier über Rudel, Lachlan! Sie halten sich die Männer nur zum Schutz und für die Nachwuchsproduktion.«

»Mum!«

»Die Spermaspender, die wir im Haus hatten«, unterbrach ihn Gwen ruhig, »wurden nie Onkel genannt. Ma fand das immer gruslig.«

»Da muss ich ihr recht geben«, murmelte Alla vor sich hin und kümmerte sich auch weiterhin nicht um die wütenden Blicke ihres Sohnes.

»Mein Onkel Cally ist ein Bruder von Ma.«

»Ein Halbbruder?«, fragte Lock.

Gwen warf ihm einen finsteren Blick zu, aber er wusste, dass sie das nur tat, damit sie nicht lachen musste. »Halt die Klappe!«

Brody kam in die Küche und klatschte voller Vorfreude in die Hände. »Ist das Essen fertig?«

»Mum hat das Fleisch verbrennen lassen. Schon wieder.«

Alla warf nicht ihrem Sohn, sondern ihrem Ehemann einen wütenden Blick zu. »Hättest du ein Heimchen am Herd gewollt, hättest du eines heiraten sollen!«

»Ich hab überhaupt nichts gesagt!«, wehrte sich Brody und richtete einen anklagenden Finger auf Lock. »Das war der Junge!«

»Aber du hast es gedacht!«, warf sie ihm vor. »Also, ich gehe jetzt mit Gwen ins Wohnzimmer, und ihr zwei könnt fürs Abendessen sorgen.« Sie lächelte Gwen zu. »Sie bleiben natürlich zum Essen.«

»Okay«, sagte Gwen einfach, was Lock überraschte.

Alla ging zum Kühlschrank, und Gwen ging ihr aus dem Weg. Die Küche war immer zu klein für eine Familie von vier Bären gewesen, aber Lock fragte sich, ob Gwen sich ein bisschen erdrückt fühlte. Sie war nur einszweiundsiebzig groß. Seine Mutter war einszweiundneunzig und hatte kräftige Hüften und Schultern. Lock konnte sich nicht daran erinnern, als Kind bei seiner Mutter jemals ein unsicheres Gefühl gehabt zu haben. Denn wer wäre verrückt genug gewesen, sich in seine Nähe zu wagen, wenn seine Mutter nicht weit war?

»Ich habe Eistee, Liebes. Oder Bier?«

»Vielleicht eine Untertasse mit Milch?«

Gwen und Alla sahen zu Lock hinüber, der sofort auf seinen Vater deutete. »Er war’s!«, log er.

Sein Vater, der wie immer nichts mitbekommen hatte, hielt eine Speisekarte aus dem Stapel hoch, den sie in einer Schublade aufbewahrten. »Wie wäre es mit chinesischem Essen? Sie liefern und haben diese wunderbaren Familienportionen für vier. Dann bestelle ich acht davon.«

Gwen war ziemlich erstaunt. Auch eine Mutter mit mehreren akademischen Graden und einer prestigeträchtigen Stelle an einem Ivy-League-College war kein Garant dafür, dass sie ihrem Kind weniger peinlich war als eine Mutter, die ihre Ausbildung zur Krankenschwester in der Abendschule gemacht hatte. Gwen war sich dessen sicher, als Alla zu ihrer Rede zum Thema »Unglückliche Veränderungen in meiner Vagina nach Lachlans Geburt« ansetzte.

Lock hatte sein großes Glas Milch abgestellt und den Kopf in den Händen verborgen. Die Teile seines Gesichtes, die nicht von seinen langen Fingern verdeckt wurden, hatten einen hübschen dunkelroten Farbton angenommen. Gwen besaß Nagellack, der perfekt dazu gepasst hätte.

»War es sein riesiger Dickschädel?«, fragte Gwen, die jede Sekunde von Locks Leiden weidlich genoss.

»Nein. Es waren seine Schultern. Er hatte schon immer sehr breite Schultern. Ich meine, sehen Sie ihn sich an. Schon als Baby waren sie abnorm breit.«

»Abnorm?«, blaffte Lock.

»Sie haben mich ausgedehnt!«

»Mum!«

Brody zuckte die Achseln und nahm sich noch von dem Schweinefleisch mit Pilzen. »Mir macht es nichts aus.«

»Dad!«

»Tja, Schatz, du warst immer ziemlich breit, dadurch wurde das Ganze beim Sex ein bisschen einfacher für uns.«

»Mum!«

Alla schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was mit dir passiert ist, Lachlan MacRyrie.« Sie wandte sich an Gwen. »Ich habe immer darauf bestanden, mit meinen Kindern offen über menschliche Körper zu sprechen. Der Körper einer Frau ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Und wie alles andere auf der Welt wird er älter. Also, Gwen, meine Liebe, genießen Sie Ihren exquisiten Körper und Ihre vorgeburtliche Vagina, mit denen Sie gesegnet wurden, solange Sie sie noch haben!«

»Kann ich dich irgendwie dazu bringen, damit aufzuhören?«, flehte Lock.

»Iss dein Essen und hör auf zu jammern, Lachlan! Das ist nicht sehr anziehend.«

Brody hob den Kopf, lehnte sich zurück und schaute durch das Wohnzimmer ins Empfangszimmer. Ihr Haus war ein lang gestrecktes Gebäude, alles linear angeordnet. Es passte so gut zu ihnen.

Kurz darauf ging die Eingangstür auf und Brody lächelte. »Schau an, wer da kommt!«

Drei kleine Kinder rannten schreiend herein. Brody stand auf und breitete die Arme aus, damit die Kinder sich auf ihn werfen konnten. Beim Aufprall rührte er sich keinen Zentimeter.

»Mum?« Als sie ins Zimmer kam, sah Gwen sofort die Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester. Sie bezweifelte, dass Lock und seine Schwester jemals gefragt wurden: »Was, ihr zwei seid verwandt?«, wie es Gwen und Mitch immer passierte.

»Hallo, Schatz. Was tust du denn so spät hier?«

»Ich wollte die …« Sie brach ab, als sie Gwen am Tisch sitzen sah. Ihre Nasenflügel zuckten und blähten sich, und ihr Blick ging sofort zu ihren Kindern, während sich ihr ganzer Körper spannte.

»Hör auf damit, Iona«, warnte Alla, die sich gerade noch von dem Honighühnchen mit Cashews nahm. Die Frau hatte einen Appetit wie Mitch und Brendon zusammen.

»Iona, das ist Gwen O’Neill«, sagte Lock. »Gwen, das ist meine Schwester Iona MacRyrie-Phillips.« Doppelnamen waren in dieser Familie offenbar beliebt.

»Hi.«

Sie musterte Gwen misstrauisch, bevor sie schließlich antwortete: »Hallo.«

»Sie ist unsere Klempnerin«, sagte Brody interessanterweise äußerst fröhlich. Er kehrte zu seinem Stuhl zurück, setzte sich und zog eines der Kinder, ein Mädchen, auf seinen Schoß.

»Laden wir jetzt schon Klempner zum Abendessen ein?«, fragte die Zicke.

Gwen lehnte sich entspannt zurück und antwortete: »Ich bin so gut in dem, was ich tue, dass ich immer hinterher zum Essen eingeladen werde. Manchmal bekomme ich auch Blumen.«

Lock verschluckte sich an seiner Milch, während Brody zustimmte: »Sie hat ihre Sache ganz ausgezeichnet gemacht, Schatz. Wir haben jetzt einen neuen Boiler. Ich habe vor, ihn morgen zu inspizieren.«

»Nein!«, rief seine ganze Familie, und er zuckte zusammen.

Sogar die Enkelin auf seinem Schoß sah ihn an und sagte mit der feierlichen Ernsthaftigkeit einer Vierjährigen: »Tu das nicht, Opa.«

»Das ist wirklich ein hübscher Tisch«, sagte Gwen, nachdem Iona und Alla in die Küche gegangen waren, um das alte Familiensilber für eine von Ionas exklusiven, für Ärzte reservierten Parties zu holen. Natürlich erwähnte Lock Gwen gegenüber nicht, dass seine Schwester eine dieser bösen »Organdiebinnen« war. Dafür lief der Abend viel zu gut.

Gwen tippte auf den Tisch. »Wo haben Sie den her?« Sie beugte sich herab, um die Unterseite zu inspizieren. »War der teuer?«

Lock warf seinem Vater einen Blick zu, und dieser zuckte kurz die Achseln und murmelte. »Ich habe nichts gesagt.«

»Worüber nichts gesagt?«, fragte Gwen.

»Warum fragst du nach dem Tisch?«, wollte Lock wissen, denn er fragte sich wirklich, was sie im Schilde führte.

»Weil er hübsch ist und ich irgendwann einmal Möbel brauche.«

Brody richtete sich auf. »Na, dann …«

»Dad.«

Gwen sah von einem zum anderen. »Was?«

»Nichts«, sagte Lock. »Der Tisch wurde für meine Eltern angefertigt.« Was keine Lüge war.

»Oh.« Sie zog eine kleine Schnute. »Dann liegt er wohl außerhalb meiner Preisklasse.«

Brody warf seine Serviette hin. »Ja, aber …«

»Dad«, unterbrach ihn Lock wieder und warf seinem Vater diesmal einen warnenden Blick zu.

Gwen beobachtete die beiden genau. »Was ist los mit euch beiden?«

Die MacRyrie-Männer zuckten identisch die Schultern und antworteten unisono: »Nichts.«

Gwen verabschiedete sich von den MacRyries und gab ihnen ihre private Handynummer für den Fall, dass es Probleme mit dem neuen Boiler gab. Lock begleitete sie zu ihrem Truck.

»Es tut mir leid, dass wir dich so lange aufgehalten haben«, sagte er.

»Kein Problem. Ich habe mich wirklich gut amüsiert.«

»Sicher, dass ich dir nicht bis in die Stadt hinterherfahren soll?«

Sie lachte. »Ja, klar. Ich weiß nicht, wie ich ohne deine Überwachung so lange überlebt habe.«

Gwen schloss ihren Wagen auf und öffnete die Tür.

»Äh, Gwen … wollen wir irgendwann mal ausgehen?«

Da war es.

Sie wandte sich ihm zu, die offene Wagentür im Rücken. Er hatte die Hände in den Taschen und den Blick auf die Büsche hinter ihrem Kopf gerichtet. Er war schüchtern und liebenswert und hätte keine zehn Sekunden mit ihr oder ihrer Familie überlebt. Klar konnte er es mit Gwens Onkeln und Mitch aufnehmen, wenn es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kam, sie sich anschlichen und ihn erschreckten, sodass er heftig reagierte. Aber in den verbalen Duellen, aus denen die Familienzusammenkünfte der O’Neills bestanden? Keine zwei Sekunden. Er wurde ganz komisch, wenn sie Fragen über den Esstisch seiner Eltern stellte und konnte ihr nicht einmal in die Augen sehen, wenn er sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wollte.

»Danke, Lock, lieber nicht.« Viel besser, ihm sofort einen Korb zu geben, als ihn später zu enttäuschen, wenn er Gefühle für die Gefühllose entwickelt hatte. »Es ist nicht persönlich gemeint«, fügte sie hinzu.

Er lachte und sah ihr jetzt doch in die Augen. »Ja, einen Korb zu bekommen, ist nie persönlich gemeint.«

»Du weißt, was ich meine.«

»Eigentlich nicht.« Doch er lächelte, und sie konnte weder Bitterkeit noch Wut erkennen. Das wusste sie zu schätzen, und es sagte eine Menge über ihn als Mann aus.

»Ich hatte einen sehr schönen Abend. Belassen wir es dabei, okay?«

»Okay.«

Hmm. Vielleicht nahm er es zu gut auf. Hätte er nicht wenigstens ein kleines bisschen um sie kämpfen können? Mann, war sie froh, ihre Zeit nicht verschwendet zu haben.

Sie stieg ein, und Lock schloss die Tür für sie. Er beugte sich zum offenen Fenster hinab und sah sich überall im Auto um. Er war genauso neugierig wie sein Vater, aber immerhin musste er nicht alles anfassen.

Gwen startete den Wagen und legte den Sicherheitsgurt an.

»Den Scheck hast du, ja?«

»Yup. Danke.« Sie liebte prompte Bezahler.

»Okay. Wir sehen uns.«

»Ja.« Sie wandte den Kopf, um auf Wiedersehen zu sagen, und plötzlich war sein Mund auf ihrem.

Es war … merkwürdig. Seine Lippen … sie … äh … sie wusste es nicht. Aber so seltsam sich seine Lippen auf ihren anfühlten – es war auch wunderbar. Unglaublich schön. Und statt zurückzuweichen, entsetzt über den peinlichen Augenblick oder erschreckt von seinen seltsamen Lippen, endete es damit, dass sie seinen Kuss erwiderte. Sie lehnte sich förmlich in diesen Kuss, ihr Mund öffnete sich unter seinem, seine Zunge drängte herein, bis sie sich vom Geschmack nach chinesischem Honig-Hühnchen überflutet fühlte.

Sie ließ das Lenkrad los, ihre Hände griffen nach ihm, und da machte er einen Schritt zurück. Er hielt die Augen geschlossen und leckte sich die Lippen, als genieße er immer noch ihren Geschmack.

Als er sie wieder ansah, sagte er: »Nacht.«

Und ging!

Gwen sah ihm nach und spürte, wie sich das Brennen zu einer hübschen, schäumenden Wut auswuchs, weil er sie einfach hier in ihrem laufenden Truck sitzen ließ.

Schon wieder! Er hatte sie schon wieder verlassen! Diesmal war es noch schlimmer als beim letzten Mal, denn sie war wach und sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass er sie verließ!

Du hast ihm einen Korb gegeben, erinnerte sie ihre rationale Katzenseite. Und ihre menschliche Seite sagte der Katze, sie solle verdammt noch mal die Klappe halten!

»Bären!«, knurrte sie. »Verschlagene, aus Mülltonnen fressende Jersey-Bären! Ich hasse sie alle!«

Sie rammte den Rückwärtsgang rein und schoss aus der Einfahrt der MacRyries, wobei sie sich schwor, niemals zurückzukehren, ganz egal, wie gern sie seine Eltern mochte oder was für ein großartiger Küsser Lock MacRyrie war.

Nie wieder!

Lock ging zum Haus seiner Eltern zurück, Gwens süßen Geschmack immer noch auf den Lippen.

Es war lange her, seit eine Frau solche Gefühle in ihm ausgelöst hatte. Eine lange Zeit, seit etwas anderes als Essen oder sein Überleben sein Interesse geweckt hatte. Und es gefiel ihm. Er mochte dieses Gefühl, das einmal nicht Hunger oder Furcht, Panik oder Ruhe, Wut oder absolut gar nichts war. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte er sich von innen heraus warm, und er liebte das Gefühl. Er wollte mehr davon.

Er wollte mehr von Gwen O’Neill.

Sie würde allerdings nicht leicht zu bekommen sein. Wie eine Katze, die ihn von einem dreißig Meter hohen Baum anstarrte, sicherte sich Gwen gegen Außenstehende ab; nur Auserwählte durften in ihre Welt eintreten.

Doch wenn Lock eines war, dann ausdauernd. Er hatte schon alte Bäume an den Wurzeln ausgerissen, um an ein Bienennest heranzukommen, und mit Vollblut-Grizzlys in Alaska um den besten Platz an einem Fluss voller Lachse gekämpft. Wenn Gwen also glaubte, sie könne ihn mit einer Handbewegung und einem »Es liegt nicht an dir, es liegt an mir« aus ihrem Leben vertreiben, dann irrte sie sich gewaltig.

»Gut gemacht, Sohn«, lobte ihn sein Vater, als Lock ins Haus trat, und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, als er an ihm vorbeiging.

Lock lächelte zurück – überraschend zufrieden mit sich selbst. »Danke, Dad.«

Niles, erschöpft bis auf die Knochen, rieb sich die Stirn und blickte finster über den Tisch im Sitzungssaal. Sie stritten nun schon seit drei Stunden; jetzt war er an seine Grenzen gestoßen.

Als er mit der flachen Hand auf den Tisch hieb, richteten sich sämtliche Raubtieraugen auf ihn. Es war ein beunruhigender Anblick, aber er hatte sich im Lauf der Jahre, die er nun schon Mitglied in diesem Gremium war, daran gewöhnt. »Wir können nicht ewig weiterstreiten. Noch können wir ignorieren, wie sich die Dinge ändern.«

Die alte Matriarchin des Llewellyn-Rudels, Matilda, tippte mit den Krallen auf den Tisch. Sie war so alt, dass sie sie nicht mehr einziehen konnte. »Was schlägst du vor, Van Holtz?«

»Du weißt, was ich vorschlage, und ich bin es leid zu reden. Tun wir es nun … oder nicht?«

»Haben wir eine Wahl?«

»Jetzt nicht mehr.«

Die Vertreter sämtlicher großer Meuten, Rudel und Klans sowie die Abgeordneten der nicht in Gruppen lebenden Rassen, sahen einander an. Nach einer viel zu langen Zeit nickten sie alle und gaben schweigend ihre Zustimmung.

Matilda war die Letzte. Sie nickte; ihre weiß-goldene Mähne bedeckte kurz ihr Gesicht.

»Gut«, sagte Niles und gab seiner Assistentin ein Zeichen. »Dann sind wir fertig.«

Sie erhoben sich zum Gehen; eine von Matildas Nichten half der alten Löwin beim Aufstehen. Doch bevor sie ging und nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, richtete sie ihre immer noch scharfen goldenen Augen auf Niles. »Ich hoffe, du weißt, was du tust.«

»Matilda, du hast eben zugestimmt …«

Sie wedelte mit einer weißen Kralle. »Ich spreche nicht von der Entscheidung, die hier getroffen wurde, junger Herr Niles. Ich spreche von deiner neuesten Anwerbung.«

Oh. Das. Tja, er hatte gewusst, dass einige mit seiner Wahl nicht einverstanden sein würden, aber das war einfach Pech. »Ich habe die Vollmacht des Gremiums, solche Entscheidungen zu treffen. Ohne vorher deine oder sonst irgendeine Zustimmung einholen zu müssen.«

»Die hast du. Aber sei vorsichtig, Pudel.« Sie bewegte sich langsam auf die Tür zu, ihre Nichte stützte sie am Ellbogen. »Mit ihrem Vorgänger … hat es nicht allzu gut geendet, oder?«

»Vielleicht«, murmelte Niles und verbarg sein Lächeln. Denn wenn man Niles’ Vater Glauben schenken konnte, endete es in Wirklichkeit schlecht für den Zuchtmann der Llewellyns, der ihm in die Quere gekommen war.

»Sie wird Schwierigkeiten machen«, erinnerte ihn seine Assistentin, als Matilda weg war.

»Stimmt. Aber eines dürfen wir nicht vergessen …«, Niles nahm seine Papiere und schob sie in seine Aktentasche, »… die alte Schlampe kann nicht ewig leben.«

Seine Assistentin sah ihn mit einem Blick an, den Niles als Belustigung gemischt mit Mitleid deutete. »Das vielleicht nicht, Sir. Aber sie wird ganz sicher ihr Bestes geben.«