10

Zwischen dem Regierungsviertel von Neu-Genf und der Nabe von Capstone auf Plinry hatte Caine eine Menge Festungsstädte gesehen, aber Athena war einzigartig. Die Hügel des Hogback schützten es im Westen, der Green Mountain erhob sich im Norden, und es sah überhaupt nicht wie eine Festungsstadt aus. Der einfache Maschendrahtzaun und die von Scheinwerfern beleuchtete äußere Umgrenzungslinie waren beinahe ein Atavismus aus einem Zeitalter, in dem es noch keine ausgeklügelten Sensoren und automatische Abwehreinrichtungen gegeben hatte. Zwar waren am oberen Rand des Zauns Sensoren angebracht, aber die Waffen, die auf die Anzeigen der Sensoren reagieren sollten, glänzten durch Abwesenheit, und zwar so offensichtlich, dass ein entsprechend naiver Angreifer tatsächlich auf die Idee hätte kommen können, die Stadt wäre ein leichtes Ziel.
Es sei denn, ihm fielen die flachen Gebäude auf dem Green Mountain auf.
»Fertig«, murmelte Alamzad und unterbrach damit Caines Gedankengang. Caine wandte sich ihm wieder zu. Die drei behelfsmäßigen Katapulte waren tatsächlich fertig. Das elastische Gewebe war straff gespannt und an den im Dach versenkten Bügeln befestigt. Auf dem Dach befanden sich insgesamt vier Männer. »Sieht gut aus«, stellte Caine anerkennend fest. »Glauben Sie, dass sie Zeit haben werden, zu explodieren, bevor die Laser dort drüben sie erwischen?«
»Das werden wir bald genug merken«, meinte Alamzad. »Aber wir haben die Sprengkapseln ausreichend in Hitze ableitendes Material gewickelt, um ihnen eine Chance zu geben.«
Caine nickte. Es spielte zwar kaum eine Rolle - Laserfeuer über Athena würde beinahe genauso viel Aufmerksamkeit erregen wie Laserfeuer plus Explosionen, aber die zusätzliche Geräuschkulisse würde dem Ganzen den letzten Schliff geben. »Okay. Machen Sie sie abschussbereit!« Er griff nach seinem Pocher.
Braune: Erregen wir die Aufmerksamkeit unfreundlicher Menschen?
Nein.
Caine lächelte. Als sie von der Wasserwiedergewinnungsanlage zurückgekehrt waren, hatten ihnen Pittman und Braune die Trophäe präsentiert, die sie selbst organisiert hatten: ein Satz Autokennzeichen und Polizeisender, die sie sich für diese Nacht von einem Fahrzeug ausgeliehen hatten, das einige Blocks von ihrem Versteck entfernt geparkt war. Sie hatten es auf ihren Wagen transplantiert; diese Tarnung sollte ihnen den Sicherheitsdienst wenigstens für den Rest der Nacht vom Hals halten.
»Alles fertig«, meldete Alamzad, dessen Gesicht kurz von einer aufflackernden Flamme beleuchtet wurde. »Verzögerungsschnüre brennen - wir haben fünf Minuten, um auf Distanz zu gehen.«
Die Schnüre brannten genau sechseinhalb Minuten, und sie sahen aus einer Entfernung von vier Häuserblocks zu, wie die winzigen Sprengladungen im Bogen durch die Luft flogen und wie die helleren Laserstrahlen von der Bergspitze auf sie zuschossen.
Drei Miniaturbomben pro Schlinge - insgesamt neun - und mindestens vier von ihnen gelang es, ein leises Krachen zu erzeugen, bevor sie sich in kleine Wölkchen auflösten.
»Das wär's«, stellte Caine fest, als die kurze Son et lumière-Show vorbei war. »Gehen wir nach Hause, bevor sie Aufklärer ausschicken, die jemanden suchen, den sie dafür verantwortlich machen können.«
»Glauben Sie, dass sie es überhaupt bemerken werden?«, fragte Colvin.
»Wenn ich der diensthabende Offizier wäre, würde ich es bemerken«, antwortete Caine. »Außerdem ist es uns ohnehin gleichgültig, ob der Sicherheitsdienst es merkt.«
»Hauptsache, die Fackel bekommt es mit«, murmelte Pittman.
»Richtig. Wenn es nicht klappt, müssen wir uns etwas Spektakuläreres einfallen lassen.«

Die Laser hatten den Nachthimmel aufgehellt, während sich Galway auf dem Heimweg vom Shandygaff befand, und er war beinahe darauf gefasst gewesen, bei seiner Rückkehr Tote, Chaos und ein zerstörtes Eingangstor vorzufinden. Doch diese Angst vergaß er bald; bis auf das aufgestockte Wachkontingent am Tor sah alles genauso aus wie vor einigen Stunden, als er fortgegangen war. Aber er war lange genug Sicherheitspräfekt und nahm daher nicht an, dass im Lageraum die gleiche Ruhe herrschte, womit er recht hatte.
Er hatte aber nicht vorhergesehen, dass Quinn anwesend sein würde.
»Wir haben drei davon auf dem Dach genau an der von der ballistischen Zurückverfolgung errechneten Stelle gefunden«, berichtete jemand über das Kommunikationssystem, als Galway eintraf. Der Monitor zeigte ein katapultartiges Gebilde, das von zwei Sicherheitsmännern vorsichtig untersucht wurde.
»Irgendwelche Hinweise auf Fernsteuerung oder Zeitzünder?«, fragte Quinn.
»Asche, die von einer Verzögerungsschnur stammen könnte«, antwortete der Sicherheitsmann. »Wir werden es erst mit Sicherheit wissen, wenn sie analysiert worden ist.«
Quinn warf Galway einen Blick zu und wandte sich dann wieder dem Monitor zu. »Vergewissern Sie sich, dass sie keine versteckten Sprengladungen enthalten, und bringen Sie sie dann hierher.«
»Ja, Sir.«
Quinn drehte sich zu einem Mann um, der hinter ihm stand. »Haben Sie etwas Neues über den Einbruch in die Wasserstation?«
»Es handelt sich eindeutig um Caine und Braune.«
Der Mann überreichte Quinn ein Blatt Papier.
»Positive Identifizierung durch jeden, der sie gesehen hat. Sie sind mit einer Schachtel mit fünfzig AK-29 Sprengkapseln verschwunden, deren Sprengkraft mit 0,2 bewertet wird. Kaum stärker als kleine Knallfrösche.«
»Wir können wohl annehmen, dass sie mehr vorhaben, als zu ihrem Vergnügen ein bisschen Lärm zu machen«, sagte Quinn eisig. »Schicken Sie den Bericht zur Analyseabteilung! Sie soll herausfinden, ob dies der Stärke der Bomben entspricht, die vor einer halben Stunde über Athena gezündet wurden.«
Der Mann schluckte. »Ja, Sir.« Er verschwand eiligst.
»Idiot«, murmelte Quinn und wandte sich zum ersten Mal Galway zu. »Hat Sie der Lärm geweckt?«
Galway schüttelte den Kopf. »Ich war noch auf - in der Shandygaff-Bar.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass der Zutritt für Sie verboten ist.«
»Sie sind hier, General. Zumindest Lathe und Skyler - und nach dem Gemetzel vor dem Lokal zu urteilen, müssen mit ihnen mindestens noch zwei Leute hierhergekommen sein.«
Quinn stieß zischend die Luft aus. »Ich sollte Ihnen die Haut bei lebendigem Leib abziehen lassen. Es ist wahrscheinlich unmöglich, dass Sie sich geirrt haben.«
»Allerdings. Aber das ist noch nicht alles: Zwei Ihrer örtlichen Blackcollars haben den beiden geholfen, sich durchzuschlagen.«
Quinn kniff die Augen zusammen. »Zwei Blackcollars haben ihnen geholfen? Vielleicht haben sie nur nichts unternommen, um die beiden aufzuhalten.«
»Sie haben ihnen sehr aktiv geholfen. Einer von ihnen war Kanai - er wird in Ihren Akten als Kontaktmann der Gruppe bezeichnet -, und er hat nicht nur die Gegner abgelenkt, sondern auch den Reservemann an der Bar ausgeschaltet.«
»Sie werden ihn bei lebendigem Leib braten.« Quinn schüttelte den Kopf. »Er sucht die Bar jede Woche auf - für so etwas wird Nash seinen Kopf verlangen.«
Ich habe Sie davor gewarnt, Ihre Blackcollars zu unterschätzen. Die Worte lagen Galway auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter. Es war für den General schon demütigend genug, dass er einen Fehler zugeben musste; Galway musste ihn nicht auch noch daran erinnern, dass er von Anfang an recht gehabt hatte. »Soll ich die Fotos von Lathe und den anderen kopieren lassen, damit sie überall verteilt werden können?«, fragte er stattdessen.
»Was kann ihnen Lathe geboten haben, das ihnen das Risiko wert war, den Shandygaff-Schuppen auf den Kopf zu stellen?«, fragte Quinn.
Galway runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit? Lathe muss keine Geschäfte machen, er verfügt über die Autorität, die Gruppe wieder in vollen Kampfstatus zu bringen.«
»Unsinn! Ich kenne diese Leute, Galway, sie fangen bestimmt nicht wieder an, einen dreißig Jahre toten Krieg auszugraben. Nein, Lathe hat ein Geschäft mit ihnen abgeschlossen, und die einzige Frage ist, worin der Gewinn besteht.«
Galway holte tief Luft. »Ich stelle Ihre Kenntnis von der Stadt und ihren Bewohnern nicht infrage, General, aber ist es nicht möglich, dass Kanai und seine Leute sich still verhalten und nur auf eine solche Gelegenheit gewartet haben?«
»Eine Gelegenheit wofür? Sie haben mir bis jetzt nicht einmal eine plausible Mission für Caine präsentieren können, ganz zu schweigen von einer Mission, für die er Lathe brauchen würde.«
»Ich habe Berichte vorgelegt...«
»Ich habe plausible Missionen gesagt«, unterbrach ihn Quinn. »Dass jemand in die Basis Aegis eindringen will, ist kaum plausibel.«
Galway unterdrückte mit Mühe einen Wutanfall. »Also gut, was wollen Sie jetzt unternehmen?«
»Wir werden Caine finden«, erklärte Quinn grimmig. »Ihr Plan mit Postern ist offensichtlich danebengegangen - entweder ist er übergelaufen, oder sie sind ihm auf die Schliche gekommen.«
»Er würde nie überlaufen...«
»Verschonen Sie mich mit Ihren unqualifizierten Ansichten. Postern hat versagt, und seit heute Abend ist Caine mehr als nur ein lästiger Störenfried. Ganz gleich, was er vorhat, er hat begonnen, es auszuführen, und ich habe genug davon, hier herumzusitzen und auf Anrufe zu warten. Von diesem Augenblick an hat die Jagd auf ihn absolute Priorität. Wir werden uns den Wagen holen, mit dem er aus den Bergen entkommen ist, und wir werden alle Meldungen über gestohlene Fahrzeuge überprüfen, für den Fall, dass er das Fahrzeug gewechselt hat. Und wenn wir ihn finden, bringen wir ihn hierher!«
»Wenn Sie das tun, wird sich Präfekt Donner Ihren Skalp holen.« Mit Galways Selbstbeherrschung war es vorbei. »Das heißt, wenn die Ryqril Sie nicht zuerst zu fassen kriegen.«
»Überlassen Sie es mir, mit Donner und den Ryqril fertig zu werden! Ganz gleich, wie Sie ihnen dieses Abkommen untergejubelt haben, ich werde es annullieren.«
Galway biss die Zähne zusammen und kämpfte seine Frustration nieder, bis er wieder fähig war, zu sprechen. Quinn konnte sich den Luxus einer persönlichen Fehde leisten; Galway konnte es nicht. Hier stand Plinrys Überleben auf dem Spiel. »Wären Sie zumindest bereit, mit Präfekt Donner darüber zu sprechen, bevor Sie Ihre Brücken verbrennen?«
Quinn schien ihn abzuschätzen. »Ich verspreche nichts«, antwortete er schließlich. »Wir wollen erst einmal sehen, wie viel Mühe es uns macht, ihn zu finden.«
»Wollen Sie, dass inzwischen Lathes Bild in Umlauf gebracht wird?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, ist es mir lieber, wenn ich mich immer nur mit einer Gruppe befasse. Außerdem können wir Lathe jederzeit finden, wenn wir ihn brauchen - oder haben Sie vergessen, dass er sich offensichtlich mit Kanai zusammengetan hat?« Quinn sah auf die Tür. »Morgen erwartet uns ein anstrengender Tag, deshalb sollten Sie jetzt schlafen gehen.«
Er war entlassen. »Ja, Sir. Ich werde dann morgen früh mit Ihnen sprechen.«
Galway drehte sich um und stolzierte zur Tür hinaus. Im Augenblick hatte er mehr als genug von Quinn; in einer Beziehung hatte der General allerdings recht:
Morgen würde ein anstrengender Tag werden.