6

 

Sie saß in einem meiner Sessel, das Glas mit ihrem Drink zwischen beiden Händen, und musterte mich gleichgültig.

»Sie wollen etwas über Morris Darrach erfahren, hat Damien mir gesagt. Was gibt es über Morris schon zu erzählen? Er ist ein Schweinehund

»Das will ich Ihnen gern glauben«, versetzte ich. »Ein richtiger Schweinehund, besonders während dieser langen Seereise, als er dauernd mit Samantha Dane ins Bett stieg, statt mit Ihnen.«

»Neil hatte recht«, meinte sie ruhig. »Er sagte gleich, daß es darum gehen würde

»Was stieß Samantha Dane zu, daß sie die Yacht in Nassau verlassen mußte

»Wer will das wissen

»Mein Klient.«

»Wer ist das

»Don Blake«, antwortete ich.

»Sie sind ein Lügner. Don Blake weiß längst, was ihr passiert ist

»Okay, dann weiß er es eben«, sagte ich. »Er weiß aber nicht warum

»Das weiß ich auch nicht«, behauptete sie.

»Erzählen Sie mir, was Sie wissen. Was passiert ist

Sie sah mich an und lächelte träge. Es war nicht gerade ein sympathisches Lächeln.

»Wenn ich es Ihnen erzählen würde, könnte es Ihnen doch nicht weiterhelfen. Aber Sie würden tot sein«, erklärte sie. »Ist es das, was Sie wollen, Holman

»Na klar

Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und richtete den Blick dann wieder auf mich. »Es gab einen Streit«, begann sie. »Alle waren stinkbesoffen und in ausgesprochen gereizter Stimmung. Sie fingen an, sich gegenseitig zu beleidigen, und die Situation spitzte sich immer mehr zu. Ich machte auch mit, beschimpfte Morris, was er für ein Schweinehund sei, und er brüllte zurück, mit mir sei er fertig, wenn wir in die Staaten zurückkämen, würde er mich wieder in die Gosse schicken, wo ich hingehörte. Craig Martin versuchte, ihn zu beruhigen, aber Morris warf ihm an den Kopf, er sei doch bloß ein stupider Rammler und solle gefälligst den Mund halten. Dann bemühte sich Teresa Klune, die Gemüter zu besänftigen und bekam zur Abwechslung einmal ihrerseits ihr Schicksal vorausgesagt! Neil Friar nannte sie eine billige Schwindlerin und dazu eine widerliche Nymphomanin! Don Blake meinte schließlich, alle sollten noch einen Schluck trinken und die ganze Geschichte vergessen. Daraufhin schlug ihn Neil Friar zu Boden. Samantha saß die ganze Zeit nur wie üblich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunken dabei und hatte ihr gewohntes albernes Grinsen im Gesicht

»Das war alles frage ich angewidert.

»Ich wollte Ihnen bloß erst einmal die Atmosphäre schildern«, erklärte sie. »Jeder stritt sich mit jedem, und Neil hatte gerade Don Blake niedergeschlagen. Da trat plötzlich Samantha in Aktion und schrie über alle hinweg, sie sollten endlich still sein. Wenn sie nicht mit der Streiterei aufhörten, müßten sie dazu gezwungen werden, denn sie könne den verdammten Lärm nicht länger aushalten. Niemand schenkte ihr besondere Beachtung. Nur Neil sagte etwa sinngemäß: >Warum gibt denn keiner der dämlichen Kuh noch etwas zu trinken?< Samantha sah ihm ins Gesicht und konterte: >Warum hören Sie nicht auf, Morris zu erpressen? Können Sie sich ihr Geld nicht anders verdienen?< Einen Augenblick lang dachte ich, er würde sie umbringen. Morris sah aus, als habe er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Er fuhr Samantha an, sie solle um Himmels willen den Mund halten. Sie wisse ja gar nicht, was sie überhaupt rede. Sie musterte ihn nur lächelnd und sagte, er solle seine Energie lieber für sie aufsparen und zum Beispiel aufhören, Craig Martin zu bumsen. Morris schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht, aber ich bezweifle, ob sie es gespürt hat. Jedenfalls hörte sie die ganze Zeit nicht zu lächeln auf. Teresa wandte sich an Morris, er solle Samantha in Ruhe lassen und bekam für ihre Einmischung auch gleich eine mit der flachen Hand ins Gesicht. Craig wollte Morris einen Fausthieb versetzen und wurde von Neil Friar niedergestreckt Sie leerte ihr Glas und stellte es auf einem Tisch ab, bevor sie weitersprach.

»Danach schaute uns Samantha der Reihe nach an und erklärte, wenn sie in die Staaten zurückkäme, würde sie die ganze Wahrheit über uns in einem Exklusivinterview ihrer Lieblingskolumnistin weitergeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Don Blake sich wieder auf die Beine gerappelt, packte Samantha bei der Hand und sagte, sie müsse unbedingt ein bißchen ruhen. Während er sie zur Tür zerrte, meinte sie, die volle Wahrheit bezöge sich auch auf ihn, denn er sei ein falscher Hund, der auf beiden Schultern trage

»Was geschah dann

Sie zuckte die Achseln. »Das war alles

»Warum ging sie von Bord

»Don Blake behauptete, sie sei krank. Alle waren froh, als sie verschwand

»Sie wurde im Verlauf des Streits nicht verletzt

»Nein.« Karen Morgan sah mich ausdruckslos an. »Vielleicht hat ihr Blake ein paar blaue Flecken verpaßt, als er sie hinausbugsierte, falls Sie das meinen

»Das soll wirklich alles gewesen sein fragte ich ungläubig. »Jemand will mich umbringen, bloß weil ich gerade den ganzen Quatsch über eine im Suff geführte Auseinandersetzung gehört habe

»Es ist sein Stolz«, erläuterte sie.

»Wessen Stolz?«

»Neils«, erwiderte sie. »Was ihn betrifft, so ist der ganze Vorfall tot und begraben. Er will nicht, daß Sie alles wieder aufrühren, Holman. Nötigenfalls bringt er Sie lieber um

»Sind Sie jetzt seine Freundin, nachdem Darrach Sie rausgeschmissen hat

»Er hat mir den Job im Taboo-Club beschafft«, antwortete sie. »Die Tätigkeit ist gar nicht so übel, wenn man so gebaut ist wie ich. Sex liegt mir, und Voyeure geben mir einen besonderen Nervenkitzel

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet

»Von Zeit zu Zeit steigt er mal mit mir ins Bett«, erklärte sie. »Ich glaube aber nicht, daß es ihm viel Spaß macht. Für ihn ist das bloß eine biologische Notwendigkeit, und ich bin gerade so bequem vorhanden

»Na, dann besten Dank für so gut wie nichts«, sägte ich.

»Es war Ihre Idee, nicht meine Sie zuckte die Achseln. »Und wenn ich Neil Friar von dieser Unterhaltung erzähle, werden Sie große Schwierigkeiten bekommen, Holman

»Ich bringe Sie zu ihm«, schlug ich vor. »Dann verlieren Sie keine Zeit, es ihm unter die Nase zu reiben

»Das soll wohl ein Witz sein

»Ich möchte ihn gern kennenlernen«, erklärte ich aufrichtig.

»Die große Frage ist, ob das auf Gegenseitigkeit beruht«, versetzte sie.

»Warum rufen Sie ihn nicht an und bringen es in Erfahrung

Sie fuhr sich langsam mit der Zunge über die Unterlippe. »Soll ich ihm sagen, wie Sie mich aus dem Club gelotst haben, was Sie von mir wissen wollten und alles

»Warum nicht?«

»Natürlich, warum nicht?« Sie lächelte wieder. »Sie sind verrückt. Wissen Sie das

Ich trank meinen Bourbon aus, während sie telefonierte und dabei mit gedämpfter Stimme sprach, so daß ich ihre Worte nicht verstehen konnte. Besonders lange dauerte das Telefonat nicht. Schließlich legte sie auf und kam zum Sessel zurück.

»Er will Sie nicht sehen«, erklärte sie. »Er schickt einen Wagen, um mich abzuholen, und der dürfte bald hier sein

»Sehr bedauerlich«, sagte ich.

»Abschaum wie Sie sollte beseitigt werden und sich nicht auch noch ausbreiten Sie verzog das Gesicht erneut zu einem Lächeln. »Das hat Neil gesagt

»Sie finden sicherlich allein hinaus, wenn der Wagen kommt«, meinte ich und stand auf. »Mir ist gerade eingefallen, daß ich noch etwas Dringendes zu erledigen habe

»Sie wollen weg

»Das ist der Werwolf in mir«, entgegnete ich. »Jeden Abend um diese Zeit überkommt mich dieses unwiderstehliche Bedürfnis, meine Zähne in einen Hals zu graben. Ihrer sieht mir ein bißchen zu dürr aus, um wirklich Vergnügen zu bereiten

Ich verließ das Haus, knallte die Tür hinter mir zu und stieg in den Wagen. Dann fuhr ich langsam um den Block herum und parkte mit ausgeschaltetem Motor und ohne Licht etwa drei Häuser von dem meinen entfernt am Bordstein. Nach etwa fünfzehn Minuten rollte eine langgestreckte schwarze Limousine in meine Einfahrt. Kurz darauf kam sie wieder heraus. Ich wartete, bis sie um die erste Ecke gebogen war, bevor ich den Motor anließ und ihr hinterherfuhr. Einen anderen Wagen zu verfolgen ist nicht besonders schwer, so lange der Fahrer nicht damit rechnet und entsprechend aufpaßt. Ich hoffte, sie würden annehmen, mir sei bei dem Gedanken ungemütlich geworden, in Reichweite zu sein, wenn der Wagen kam, um Karen Morgan abzuholen. Besonders für den Fall, daß womöglich Grant und Herbie darin saßen mit genauen Anweisungen von Friar, mir übel mitzuspielen, bevor sie wieder zurückfuhren. Wenn dem so war, würden sie nicht die ganze Zeit in den Rückspiegel sehen.

Es herrschte noch genügend Verkehr, um meinen Wagen nicht auffallen zu lassen. Zehn Minuten später erklommen wir eine gewundene Canyonstraße, bis die Limousine in einer Einfahrt verschwand. Ich fuhr daran vorbei um die nächste Kurve, wendete und fuhr langsam zurück. Als ich meinerseits in die Einfahrt bog, konnte ich nur hoffen, daß die Insassen der großen Limousine bereits ins Haus gegangen waren.

Das Haus war ein mächtiger, zweistöckiger Kasten ohne jeden architektonischen Stil. Ich stellte meinen Wagen hinter der Limousine ab, stieg aus, ging zur Haustür und läutete. Nach ein paar Sekunden bereits wurde die Tür von einem mißtrauisch aussehenden Grant Denver geöffnet. Ich drückte ihm den Lauf der Achtunddreißiger in den Bauch, so daß er unwillkürlich zurückwich und mich eintreten ließ.

»Rick Holman möchte Mr. Friar einen Besuch abstatten«, erklärte ich. »Sie brauchen mich nicht erst anzumelden. Zeigen Sie mir einfach den Weg

»Sind Sie übergeschnappt fragte er heiser. »Er mag es nicht, wenn man ihm so auf die Bude rückt

»Es ist Ihr Bauch«, sagte ich.

»Na gut«, brachte er mühsam heraus. »Aber das werden Sie bedauern, Holman

»Was bedeutet schon ein Bedauern mehr für die Spanne eines ganzen Lebens versetzte ich philosophisch.

Wir durchquerten die große Halle und betraten den Wohnraum. Die Möbel waren kostspielig, aber geschmacklos. Karen Morgan saß auf einer Couch und plauderte angeregt. Bei meinem Anblick hielt sie plötzlich inne. Der Mann, der ihr zuhörte, hatte mir den Rücken zugewandt. Er drehte sich jedoch langsam um und folgte ihrer Blickrichtung. Er war kräftig, beinahe massiv. Ein Muskelberg, der allmählich Fett ansetzte. Um die Vierzig, schätzte ich, mit ordentlich geschnittenen ergrauenden Haaren. Seine tief gebräunte Gesichtshaut ließ die breite Narbe, die von seinem linken Auge bis hinunter zum Kinn lief, besonders hervortreten. Die Farbe der Augen war von einem leblosen Grau, der Mund schmallippig und an beiden Winkeln gesenkt. Er trug einen vorzüglich geschnittenen Anzug mit sorgfältig ausgewähltem Zubehör und hätte jederzeit meine Stimme als bestangezogener Mann des Jahres bekommen, falls er darauf Wert gelegt hätte.

»Wer, zum Teufel, ist das verlangte er mit tiefer Baßstimme zu wissen.

»Holman«, antwortete Grant nervös. »Ich habe die Haustür aufgemacht, und er rammte mir eine Pistole in den Bauch

»Es klingelt um diese späte Stunde an der Haustür, und du machst einfach ganz naiv auf sagte Friar.

Grants Brillengläser begannen vor Verzweiflung zu beschlagen. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich...«

»Spar dir das für deine Beerdigung auf schnitt ihm Friar das Wort ab. »Was wollen Sie, Holman

»Eine kleine Unterhaltung«, erwiderte ich. »Gegen einen Drink hätte ich nichts einzuwenden

»Mach ihm einen Drink«, befahl er Grant. »Und dann verschwinde hier und steck deinen Kopf ins Klobecken oder sonstwohin. Hauptsache, es kurbelt deinen Verstand ein bißchen an!«

»Bourbon mit Eis«, sagte ich hilfreich.

Grant füllte ein Glas und reichte es mir. Ich schob meine Pistole ins Halfter und bedankte mich mit einem Lächeln. Wenn Blicke töten könnten, hätte mich Grants Blick wie mit einem stumpfen Messer tausendfach durchlöchert. Er machte abrupt kehrt und verließ den Raum.

»Willst du dir nicht die Nase pudern oder so etwas wandte sich Friar an Karen Morgan.

Sie erhob sich gehorsam von der Couch und folgte Grant hinaus.

»Allmählich beginnen Sie lästig zu werden, Holman«, bemerkte Friar mit Nachdruck.

»Aber warum denn versetzte ich unschuldsvoll.

»Was auf dieser verdammten Kreuzfahrt passiert ist, gehört der Vergangenheit an«, sagte er. »Ich ziehe es vor, die ganze Geschichte zu vergessen. Und ich will nicht, daß ein berufsmäßiger Schnüffler wie Sie überall herumrennt und alles wieder auszugraben versucht

»Ich habe einen Klienten, der wissen will, was mit Samantha Dane geschehen ist«, erklärte ich.

»Aber dieser Klient ist nicht Don Blake«, entgegnete er. »Don ist bereits informiert. Ich vermute sogar, daß er als einziger Bescheid weiß. Er verließ mit ihr zusammen die Yacht. Wer ist also Ihr Klient, Holman

»So viel wußte ich auch schon«, versetzte ich ungerührt. »Aber warum ging sie in Nassau von Bord

»Es gab da am Abend zuvor diese Auseinandersetzung«, antwortete er. »Sie wissen davon, Karen sagte, sie hätte es Ihnen erzählt

»Kein Grund für Samantha, am nächsten Tag so plötzlich die Yacht zu verlassen.«

»Vielleicht langweilte sie sich«, meinte er.

»Heute am frühen Abend fuhr ich zum Taboo-Club, um mit Karen zu reden«, sagte ich. »Kaum hörte sie, daß ich gekommen sei, als sie auch schon bei Ihnen anrief. Sie schickten daraufhin zwei Ihrer Handlanger, um mich abzuschrecken. Warum diese Mühe? Wozu der Aufwand?«

»Sie sind ziemlich kühn, einfach hierher in mein Haus zu kommen und mich zur Rede zu stellen«, sagte er. »Ich bewundere das, Holman. Aber treiben Sie es nicht zu weit. In dieser Angelegenheit ist für Sie nichts drin. Vergessen Sie das Ganze. Suchen Sie sich einen neuen Klienten. Machen Sie Urlaub. Mir ist vollkommen egal, was Sie tun, aber lassen Sie diesen Fall auf sich beruhen. Andernfalls ergeht es Ihnen schlecht. Sie werden nicht bloß mit ein paar Kratzern oder Beulen davonkommen, sondern müssen damit rechnen, bleibenden Schaden davonzutragen

»Warum?«

»Verschwinden Sie, solange Sie noch auf Ihren eigenen Beinen gehen können«, sagte er drohend.

»Samantha Dane war angeblich hinterher krank«, versetzte ich. »Soviel ich in Erfahrung gebracht habe, ist sie von niemandem mehr gesehen worden, seit sie die Yacht verlassen hat. Mit Ausnahme vielleicht von Don Blake. Angeblich hält er sich augenblicklich irgendwo in Europa auf. Kein Mensch will über Samantha reden. Nichts ist an Bord der Yacht passiert, was ihren plötzlichen Aufbruch gerechtfertigt hätte, behaupten alle. Das stinkt doch

»Mir ist völlig schnuppe, was Samantha zugestoßen ist«, erklärte Friar. »Sie war eine blöde Kuh, die meist unter Alkohol stand. Außerdem hat sie mich einen Haufen Geld gekostet

»Der Film, den sie nie zu Ende gedreht hat fragte ich verständnisinnig. »Hatten Sie durch Darrach Geld investiert

Die grauen Augen blickten womöglich noch eine Spur ausdrucksloser. »Sie haben ein sehr loses Mundwerk, Holman«, sagte er unterdrückt.

»Sie sollten sich einmal von Teresa Klune die Zukunft voraussagen lassen«, riet ich ihm. »Da ist dieser große, dunkle Fremde, der Ihnen das Leben ungemütlich machen wird, bis er herausfindet, was mit Samantha Dane los ist

»Raus hier«, stieß er gepreßt hervor. »Bevor ich Sie eigenhändig an die Luft setze

Ich zog die Pistole aus dem Halfter und richtete den Lauf auf ihn. Er lachte, kam dann auf mich zu und streckte mir beide Hände entgegen.

»Richten Sie nie die Waffe auf jemanden, wenn Sie nicht auch entschlossen sind abzudrücken«, sagte er. »Hier drin würden Sie sowieso nicht schießen. Sie begehen keinen Mord, wo es so viele Zeugen gibt!’

Damit hatte er nicht unrecht, mußte ich zugeben und begutachtete den Raum mit einem schnellen Blick. Auf einem Teak-Schränkchen standen zwei riesige chinesische Vasen. Ihre Farbe war ein dunkles Rotbraun, und sie sahen aus, als könnten sie sehr wertvoll sein. Auf jeden Fall selten, wenn nicht gar T’ang-Dynastie. Ich peilte mein neues Ziel an und drückte den Abzug. Die Vase, die mir am nächsten stand, zersplitterte in tausend Scherben. Friar erstarrte. Sein Gesicht war vor Zorn kalkweiß.

»Sind Sie wahnsinnig fauchte er. »Diese Vase war fünftausend Dollar wert

»Also auch die andere?«

Von draußen klang das Geräusch rennender Füße herein, dann stürzten Grant und Herbie in den Raum. Sie wirkten erleichtert, ihren Boss unversehrt vorzufinden, blickten jedoch etwas unsicher drein, weil ich den Pistolenlauf bereits wieder auf Friars Magen gerichtet hielt.

»Wir haben den Schuß gehört«, begann Grant zögernd. »Deshalb wollten wir...«

»Er hat meine Vase zerschossen«, unterbrach ihn Friar in ersticktem Ton. »Fünftausend Eier sinnlos zerknallt, bloß weil du so dämlich gewesen bist! Du hast ihm die Tür aufgemacht, ohne erst einmal zu überlegen. Aber du wirst mir das zurückzahlen, Freundchen. Dollar für Dollar!«

Grants Gesicht nahm eine grüngraue Farbe an, während sein Adamsapfel krampfhaft auf und ab tanzte.

»Ich denke, ich werde mich jetzt empfehlen«, meinte ich. »Denken Sie darüber nach, Friar. Es könnte für Sie bedeutend billiger werden, wenn Sie mit mir reden. Oder ich komme zurück und jage auch noch eine Kugel in Ihre zweite Vase

Ich zog mich von drei Augenpaaren beobachtet vorsichtig in die Halle zurück, verließ im Eiltempo das Haus und sprang ebenso schnell in meinen Wagen. Auch während der Rückfahrt drückte ich das Gaspedal durch. Ich hielt mich nur lange genug in meinem Haus auf, um das Ranchero anzurufen und ein Zimmer zu bestellen. Dann packte ich hastig eine Tasche zusammen. Falls Grant und Herbie — und wer weiß, welche Ganoven mir Friar womöglich noch auf den Hals schicken würde? — mitten in der Nacht anrückten, sollten sie mich wenigstens nicht antreffen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Das Ranchero gab mir ein großes Zimmer im dritten Stock mit einem Fenster zum Luftschacht. Es war zwar schon spät, kurz nach Mitternacht, aber nicht zu spät für einen Mann, der in seinem Beruf immer hart am Ball bleibt. Ich fuhr mit dem keuchenden Lift in den fünften Stock hinauf, ging bis zu der bewußten Suite und klopfte an die Tür. Ich mußte mein Klopfen jedesmal gesteigert dreifach wiederholen, bevor eine mißtrauische Stimme fragte, wer, zum Teufel, denn da draußen sei.

»Rick Holman«, sagte ich, und die Tür wurde langsam aufgemacht.

Tracy Simon trug einen dünnen weißen Morgenrock, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, fest um den Körper gewickelt. Ihr verbiesterter Gesichtsausdruck verriet mir, daß ich nicht gerade willkommen war.

»Was soll denn das mitten in der Nacht fragte sie ungehalten. »Ich war gerade eingeschlafen

»Ich muß mit Ihnen reden«, sagte ich.

»Kann das nicht bis morgen früh warten

»Morgen früh habe ich etwas anderes zu tun«, erklärte ich.

»Dann kommen Sie herein«, forderte sie mich verdrießlich auf.

Ihre festen Backen hüpften unter dem dünnen Material des Morgenrocks, als ich ihr in das Wohnzimmer folgte. Zwei Tischlampen gaben dem Raum eine angenehm gedämpfte Beleuchtung. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und schlug mit einer schnellen Bewegung die Beine übereinander. Ich hatte dabei nicht feststellen können, ob sie unter dem Morgenrock ein Höschen trug, und die Ungewißheit irritierte mich ein wenig.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir einen Whisky einschenke fragte ich.

»Auch das noch versetzte sie gereizt. »Als wäre das ein Anstandsbesuch

Ich goß mir Bourbon pur in ein Glas. Eis war natürlich nicht vorhanden.

»Wie geht es Sam erkundigte ich mich.

»Gut«, erwiderte Tracy. »Sie liegt im Bett. Ich habe ihr zwei Beruhigungstabletten gegeben, damit dürfte sie bis morgen früh durchschlafen. Was wollen Sie denn nun eigentlich

»Ich habe mit allen gesprochen«, sagte ich. »Mit Ausnahme von Don Blake natürlich. Auf der Yacht ist nicht das geringste passiert, das behaupten jedenfalls Craig Martin, Darrach und Teresa Klune

»Dann haben sie gelogen

»Wahrscheinlich.«

»Karen Morgan rief sofort Friar an, als sie hörte, daß ich mit ihr sprechen wolle, und der schickte gleich zwei seiner Handlanger, um mich abzuschrecken

Tracy Simons Miene belebte sich. »Und wie ging das aus

»Ich habe trotzdem mit ihr gesprochen. Sie sagte, es hätte einen mächtigen Streit mit handgreiflichen Auseinandersetzungen gegeben. Plötzlich hätte sich dann Sam eingemischt und gesagt, sie sollten endlich alle aufhören, sonst müßte sie Zwangsmaßnahmen ergreifen. Daraufhin wurde Friar recht grob zu ihr, und sie erwiderte: >Warum hören Sie nicht auf, Morris zu erpressen? Können Sie sich Ihr Geld nicht anders verdienen?< Riesensensation! Die Männer schlugen sich erneut, und Samantha drohte, wenn sie in die Staaten zurückkäme, würde sie die volle Wahrheit über alle Anwesenden ihrer Lieblingskolumnistin erzählen. Daraufhin versuchte Don Blake, sie schleunigst hinauszubugsieren, und sie sagte, die volle Wahrheit schlösse auch ihn ein, denn er sei ein ganz linker Hund. Und das war’s. Am nächsten Morgen ging Blake mit ihr an Land, und danach hat niemand mehr etwas von ihr gesehen

»Das war wirklich alles Sie starrte mich ungläubig an.

»Ich habe genauso reagiert«, versetzte ich. »Karen behauptet, Friars Stolz sei verletzt worden, und deshalb wolle er den ganzen Vorfall ein für allemal vergessen sein lassen. Friar habe ich vorhin auch aufgesucht. Er will, daß ich meinen Auftrag zurückgebe und droht mir widrigenfalls große Unannehmlichkeiten an

»Das kann unmöglich alles sein«, meinte Tracy nachdenklich. »Es klingt viel zu trivial. Jedem einzelnen auf der Yacht muß doch klar gewesen sein, daß Sam gar nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Drohung zu verwirklichen

»Ihre eigene Position war viel zu gefährdet«, meinte ich. »Und Don Blake hätte es schon deswegen niemals zugelassen, nicht wahr

Sie nickte.

»Okay«, sagte ich. »Dann lügen sie also. Oder vielleicht lügt Sam

Tracys Miene erstarrte. »Was haben Sie gesagt

»Nicht vorsätzlich«, besänftigte ich sie. »Vielleicht ist es so gewesen, wie Karen Morgan erzählt hat. Sam befand sich seinerzeit in keiner guten Verfassung. Beruhigungs- und Aufputschmittel, Alkohol und Drogen. Der Schock, plötzlich blind zu sein und die Zeit im Krankenhaus anschließend. Womöglich hat sich ihr Gedächtnis verwirrt, und sie bildet sich nun diese gewaltige Enthüllung ein, die sie damals gemacht zu haben meint

»Warum sollte ihr dann jemand Säure ins Gesicht geschüttet haben

»Aus irgend einem ganz anderen Grund«, entgegnete ich. »Das wäre doch möglich. Ich sage nicht, es ist sogar wahrscheinlich, aber möglich immerhin

»Und das hieße

»Daß ich bis jetzt auf dem ganz falschen Dampfer gewesen bin und vielleicht mein Glück woanders versuchen sollte

»Wo etwa?«

»In Montana«, erwiderte ich. »In Don Blakes kleinem Häuschen.«

»Wozu denn das?«

»Ich weiß nicht«, erklärte ich aufrichtig. »Ich möchte mich dort einfach einmal umsehen, das ist alles

»Sie sind verrückt

»Nein, das ist er nicht

Wir wandten beide ruckartig die Köpfe und sahen Samantha Dane auf der Schwelle zu einem der Schlafzimmer stehen. Sie hatte daran gedacht, ihre große Sonnenbrille aufzusetzen, aber sonst trug sie nichts am Leib. Ihre kurzen Haare waren zersaust und sahen beinahe jungenhaft aus, ebenso wie ihre Figur. Es war fast unglaublich, Samantha Dane nackt mit einem knabenhaft wirkenden Körper. Kleinen Brüsten, deren Warzen sich an der kühlen Luft zusammengezogen hatten, schmaler Taille und einem flachen Bauch.

»Ich habe zugehört«, bekannte sie. »Ich war neugierig, als du aufgestanden bist, um die Tür zu öffnen, Tracy. Als ich merkte, daß es Rick war, wurde ich ein bißchen eifersüchtig. Ich dachte, also deshalb wollte sie mir heute abend unbedingt die Beruhigungspillen aufschwatzen. Zufällig habe ich sie nicht genommen, sondern die Toilette hinuntergespült und nur ein Glas Wasser getrunken. Ich muß mich deswegen bei dir entschuldigen, Schätzchen

»Sam«, sagte Tracy steif. »Weißt du, daß du überhaupt nichts anhast

»Wirklich?« Sie lachte unterdrückt, und wieder klang der dunkle, gurgelnde Laut ungeheuer sexy. »Was hat das für eine Wirkung auf Rick? Wird er schon unruhig

»Sam

»Okay.« Sie stieß einen leisen Seufzer aus. »Dann hole ich mir eben einen Morgenrock, wenn dir das lieber ist. Und von Ihnen bin ich enttäuscht, Rick Holman. Wie uncharmant, so negativ auf eine nackte Dame zu reagieren.«

»Eine nackte, blinde Dame«, versetzte Tracy scharf. »Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben hat sich Holman wie ein Gentleman benommen

»Natürlich«, sagte Sam steif. »Eine nackte, blinde Dame. Wie dumm von mir, für einen Augenblick nicht daran gedacht zu haben. Ich nehme an, das ganze zärtliche Getue von meiner liebreichen, mitfühlenden Krankenschwester ist im Grunde rein therapeutisch

Sie machte kehrt und verschwand ins Schlafzimmer.

Tracy Simons leuchtend blaue Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, die ihr jetzt langsam die Wangen herunterkullerten.

»Ich bin so ein gemeines Biest«, flüsterte sie.

Sam kehrte mit einem blauen Bademantel bekleidet zurück, der sie vom Hals bis zu den Knöcheln einhüllte. In der Türöffnung blieb sie einen Augenblick stehen, machte dann fünf Schritte vorwärts und streckte die rechte Hand aus, um nach der Stuhllehne zu tasten, bevor sie sich niederließ.

»Wenn man eine nackte, blinde Dame erblickt«, sagte ich in möglichst unbefangenem Plauderton, »empfindet man eine gewisse Verlegenheit, weil man unwillkürlich Blindheit mit Geistesabwesenheit gleichsetzt, was natürlich höchst töricht ist. Aber als Sie zu lachen anfingen, wurde ich sofort sehr, sehr unruhig. So ist es mir schon immer gegangen, wenn ich Ihr Lachen hörte

Ihre Miene entspannte sich, während sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. »Vielen Dank, Rick.«

»Ich sollte mir vielleicht am besten die Zunge herausschneiden«, warf Tracy schuldbewußt ein.

»Rick kann sich geschmeichelt fühlen«, versetzte Sam. »Du warst für einen Augenblick ein wenig eifersüchtig auf ihn, Schätzchen

Tracy saß steif aufgerichtet in ihrem Sessel. Auf ihren Wangen brannten rote Flecken.

»Sie könnten durchaus recht haben, Rick«, fuhr Sam fort, als habe sie überhaupt nichts zu Tracy gesagt. »Vielleicht ist wirklich nichts Besonderes gewesen, und ich habe mir den Rest einfach nur eingebildet. Und wer immer mir die Säure ins Gesicht geschüttet hat, kann dafür natürlich einen ganz anderen Grund gehabt haben. Obwohl ich eigentlich nicht recht daran glaube

»Ich möchte gern einmal das Haus in Montana unter die Lupe nehmen«, meinte ich. »Wie komme ich am besten dorthin

»Sie können nach Butte fliegen«, erläuterte Tracy, »sich am Flugplatz einen Wagen mieten und das letzte Stück selbst fahren. Es sind etwa noch hundert Kilometer. Ich werde Ihnen eine Karte zeichnen. Die nächstgelegene Ortschaft ist Pine Creek, aber Sie müssen mächtig aufpassen, sonst übersehen Sie das Nest

»Wie komme ich ins Haus

»Tracy hat noch die Schlüssel«, antwortete Sam.

»Ich werde sie Ihnen morgen früh geben«, sagte Tracy.

»Ich hätte sie aber lieber noch heute abend und die Skizze dazu«, erklärte ich. »Dann kann ich schon zeitig aufbrechen

»Na gut.« Tracy stand auf. »Ich werd’ die Schlüssel holen und Ihnen den Plan zeichnen

Sie ging ins Schlafzimmer und schloß mit betonter Sorgfalt die Tür hinter sich.

»Es ist merkwürdig«, meinte Sam nachdenklich.

»Was?«

»Ich habe es bis jetzt nicht gewußt. Nicht genau, meine ich

»Was denn wiederholte ich.

»Tracy ist eine echte Lesbierin«, konstatierte Sam mit einem befriedigendem Lächeln. »Und ich habe die ganze Zeit gedacht, sie wolle nur einfach nett zu mir sein