7

 

Während der ganzen Fahrt hatte es konstant geregnet. Pine Creek war wirklich nur ein winziges Kaff, das ich ohne Tracys Warnung fast nicht bemerkt hätte. Ein Gemischtwarenladen, eine Tankstelle und ein paar Häuser, die alle wie Schutz suchend dicht beieinander standen. In dem unbefestigten Pfad, der zu Don Blakes Refugium führte, waren große Schlaglöcher, und stellenweise drehten die Wagenräder durch, bis ich das letzte Stück endlich geschafft hatte.

Das hübsche, kleine Blockhaus überblickte ein tiefes Tal, dessen intensive Stille mich ganz nervös machte. Wenn ich mich nur räusperte, befürchtete ich, der Himmel könnte womöglich einstürzen. Ich stieg aus dem Wagen und watete durch den Regen zu der Holztreppe, die zur Veranda hinaufführte. Die Bretter knarrten unter meinem Gewicht, als ich den Schlüssel ins Schloß steckte. Die Tür gab quietschend meinem Druck nach, und ich war froh, daß noch Tageslicht herrschte, denn wer konnte wissen, ob nicht irgendwo drinnen der Schatten Boris Karloffs auf mich lauerte.

Der Wohnraum war groß und rustikal eingerichtet. Dazu gab es zwei Schlafzimmer und ein Bad. Alles wirkte sehr adrett, aber so steril, als sei es dafür gedacht, Überlebenden eines Atomangriffs Obdach zu bieten, nur daß es leider keine Überlebenden gegeben hatte. Jenseits des Wohnraums befand sich die Küche, aseptisch in ihrer Sauberkeit. Der Kühlschrank war abgeschaltet und seine Tür geöffnet, damit sich keine schlechten Gerüche in seinem blankpolierten Inneren bilden konnten. Allmählich bekam ich das Gefühl, tatsächlich der einzige Überlebende eines Atomangriffs zu sein. Ein Jammer nur, daß sie vergessen hatten, in dem Blockhaus Lebensmittel zu deponieren, weil ich nun leider würde verhungern müssen.

Von der Küche führte eine Tür auf die hintere Veranda. Ich trat hinaus in den Regen und beobachtete, wie sich der Nebel im Grunde des Tals zu sammeln begann. Ich merkte, daß ich unruhig wurde. Meine Vorstellung von Naturverbundenheit liegt mehr zwischen den Oberschenkeln einer Frau, und die viele Landschaft um mich herum fing an, mich zu deprimieren.

Ich stieg die Hintertreppe hinab und entdeckte unter dem Blockhaus einen Vorrats- und Abstellraum, dessen Tür durch ein schweres Vorhängeschloß gesichert war. Den Schlüssel dazu fand ich an dem Bund, den mir Tracy gegeben hatte.

Ich machte die Tür auf. Don Blake schien offenbar ein begeisterter Bastler zu sein. Jedenfalls war eine komplette Werkbank vorhanden mit teuer aussehenden Drechselmessern und einem Schlagbohrer. An den Wänden hing Werkzeug aufgereiht. Der Raum roch feucht und muffig. Ich knipste das Licht an und ließ die Tür weit offen. An einer Wand stand eine große hölzerne Gerätekiste. Sie war etwa zwei Meter lang, einen Meter breit und einen guten halben Meter tief. Ich fragte mich unwillkürlich, welche Gerätschaften Don Blake wohl in dieser Kiste aufbewahren mochte, statt sie wie das übrige Werkzeug an die Wand zu hängen? Also ging ich auf die Kiste zu und hob den Deckel an. Für eine Sekunde, in der mir fast das Herz stillstand, wünschte ich, meiner Neugier nicht nachgegeben zu haben.

Der Mann, der in der Kiste lag, sah aus, als sei er einbalsamiert worden inklusive der klaffenden Wunde am Hals, die ihm jemand mit einem scharfen Instrument beigebracht hatte. Er war voll bekleidet und trug einen teuer wirkenden Anzug, Oberhemd und Krawatte. Sein Gesicht hatte eine wächsern-bleiche Farbe, und ich erinnerte mich plötzlich an einen Toten, der ähnlich ausgesehen hatte. Ein amtlicher Leichenbeschauer hatte ihn mir vor etwa sechs Jahren gezeigt. Der Adipocire-Zustand, hatte er mir beinahe stolz erläutert, den man nur sehr selten antrifft. Es findet dabei ein Umwandlungsprozeß des Leichenfetts in Leichenwachs statt, der durch eine Verbindung von Feuchtigkeit und Luftmangel verursacht wird und frühestens sechs Wochen nach dem Tode beginnt. Der komplette Vorgang ist erst nach mindestens sechs Monaten abgeschlossen.

Ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, schätzte ich. Etwa einen Meter achtzig groß und schlank. Die spärlichen Haare waren sandfarben. Die blaßblauen Augen blickten mit einer Art von liebenswürdiger Duldsamkeit zu mir empor, auf die ich gern verzichtet hätte. Ich griff hastig in die Innentasche seines Jacketts und zog die Brieftasche heraus. Sie enthielt etwa zweihundert Dollar in bar, ein ganzes Bündel Kreditkarten und seinen Führerschein. Es war keine große Überraschung für mich, feststellen zu müssen, daß es sich bei dem Toten um Don Blake handelte. Ich steckte die Brieftasche zurück und senkte behutsam den Kistendeckel.

Dann trat ich wieder in den Regen hinaus, befestigte das Vorhängeschloß und ließ es einschnappen und stieg die Hintertreppe zum Haus hinauf. Ich verschloß die Hintertür von innen, durchquerte das Haus bis zur vorderen Veranda und schloß die Haustür von außen zu. Es war eine recht lange Reise gewesen, um schließlich nur eine Leiche zu finden. Aber wenigstens brauchte ich mich nun nicht mehr um den Verbleib von Don Blake zu kümmern.

Im Ranchero traf ich gegen zehn Uhr abends desselben Tages ein und nahm sofort den Lift hinauf zur Suite im fünften Stock. Tracy öffnete mir die Tür, nachdem sie sich erkundigt hatte, wer draußen sei. Ich trat in das Wohnzimmer. Im Fernsehen lief einer der frühen Filme von Sam, und sie saß gemütlich in einem Sessel, einen Drink in der Hand, und hörte dem Ton zu. Beide Frauen trugen Blue jeans und weiße T-Shirts. Das fand ich irgendwie deprimierend.

»Ist das Rick fragte Sam.

»Ja, ich bin’s«, bestätigte ich.

»Mach bitte das Fernsehgerät aus, Schätzchen«, wandte sie sich an Tracy.

»Lassen Sie sich durch mich nicht stören«, protestierte ich hastig. »Ich habe sowieso einen Mordshunger. Vielleicht kann mich Tracy hinunter ins Restaurant begleiten, während Sie hier bei Ihrem Film bleiben

»Okay.« Sam zuckte die Achseln. »Sagen Sie mir nur das eine, bevor Sie gehen. Waren meine Brüste wirklich so üppig, wie ich sie in Erinnerung habe

Ich betrachtete ihr Abbild auf dem kleinen Bildschirm. »Na, und wie«, erwiderte ich. »Sie waren sogar beinahe so mächtig, wie ich sie in Erinnerung habe

Sie lachte unterdrückt, und ich spürte das vertraute Ziehen in der Lendengegend. Zugleich bemerkte ich, daß Tracys Miene eisig geworden war.

»Wir kommen bald zurück«, sagte ich und ging zur Tür. Unten im Restaurant bestellte ich ein Steak, Pommes frites und grünen Salat. Damit konnte, wie ich meinte, selbst die Küche des Ranchero kaum etwas falsch machen. Tracy wollte nur eine Tasse Kaffee und ein Stuck Käsekuchen. Als Apéritif ließ ich mir einen Bourbon kommen, Tracy wollte jedoch auf ihren Kaffee warten. Nachdem sich der Ober zurückgezogen hatte, sah mich Tracy erwartungsvoll an.

»Er ist noch immer da und wartet«, sagte ich. »Der stille Hafen, für den Fall, daß das Weltende kommt.«

»Wovon reden Sie eigentlich fragte sie befremdet.

»Von dem kleinen Blockhaus, das über das Tal hinwegblickt«, antwortete ich. »Es hat mir ein Gruseln über den Rücken gejagt. Nur Natur und Landschaft, und die ganze Zeit goß es in Strömen

»Und was war sonst

»Alles adrett und unberührt«, versetzte ich. »Als warte das Häuschen, daß jemand kommt und wieder darin lebt

Der Ober brachte ihren Kaffee und den Käsekuchen. Ich wartete, bis der Mann wieder verschwunden war.

»Er fuhr weg und wurde an jenem Wochenende zurückerwartet. Aber er tauchte nicht wieder auf. Stimmt’s

»Ach, Sie reden von Don Blake! Ja, das stimmt

»Und das war vor zwei Monaten

»Vielleicht ist es schon ein bißchen länger her. Aber nicht viel.«

»Sie haben also einen Monat abgewartet, und dann dachten Sie beide, er würde vielleicht überhaupt nicht mehr zurückkommen und entschieden sich, nach Los Angeles zu kommen

»Genau.«

Ich nahm einen Schluck aus meinem Glas und musterte sie prüfend. Ihre kurzgeschnittenen blonden Haare waren glatt an den Kopf gebürstet, und die weich geschwungene Oberlippe sah noch immer aus, als könne man darüber ins Träumen geraten. Aber inzwischen wußte ich, daß meine Träume oder die eines anderen Mannes, was Tracy betraf vergeblich sein würden. Ihre wachen blauen Augen betrachteten mich fragend, aber nicht ungeduldig. Sie wußte, daß ich schließlich einmal zum Kern der Sache kommen mußte, und sie hatte recht damit.

»Sonst kam nie jemand anders in das Blockhaus

»Nein, natürlich nicht.«

»Keine Eindringlinge nachts vielleicht? Irgendwelche Landstreicher?«

»Sie haben doch gesehen, wie das Haus liegt«, erwiderte sie. »Motorengeräusch kann man fast zehn Kilometer weit hören

»Als Sie Don Blake zum letztenmal gesehen haben«, sagte ich. »Wann war das genau

»An einem Montagmorgen«, antwortete sie. »Er verabschiedete sich von Sam, und ich begleitete ihn bis zu seinem Wagen. Er sei sehr zufrieden über ihre Fortschritte, sagte er mir und bedankte sich ausdrücklich. Dann stieg er ein und fuhr los

»Ein Mann etwa Anfang vierzig«, meinte ich nachdenklich, »mit dünn werdenden sandfarbenen Haaren und blaßblauen Augen.«

»Haben Sie ihn gesehen

»Was trug er an jenem Morgen

»Ich kann mich doch nicht mehr erinnern, was er anhatte

»Freizeitkluft? Ein Sportsakko und Rollkragenpullover vielleicht?«

»Er trug einen Anzug, ganz korrekt mit Schlips

»Und er war ein Bastler«, ergänzte ich. »Arbeitete gern mit den Händen

Sie nickte. »Das stimmt

»Ich habe den Raum unter dem Blockhaus entdeckt mit der ganzen Heimwerkerausstattung

»Er verbrachte immer viel Zeit da unten, wenn er in Montana war«, berichtete sie. »Eigentlich hat er nie etwas Besonderes gebastelt. Es schien ihm einfach nur Spaß zu machen und ihn zu entspannen

»Nun, über mangelnde Entspannung kann er jetzt nicht mehr klagen

Ihre Miene erstarrte, und sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen. In dem Moment erschien jedoch der Ober mit meinem Steak und legte es mir samt den Pommes frites und dem Salat mit einem Aufwand vor, als handele es sich um eine besondere kulinarische Offenbarung.

»Erinnern Sie sich an die große Holzkiste da unten fragte ich, nachdem der Ober sich endlich wieder zurückgezogen hatte.

»Die an der Wand steht fragte sie zurück. »Ja.«

»Darin ist er beigesetzt

Sie schluckte trocken und starrte mich an. »Er ist... was brachte sie flüsternd heraus.

»Haben Sie je etwas von Leichenwachs gehört

Sie schüttelte stumm den Kopf. Ich erläuterte ihr den Begriff in plastischen Details, und ihr Gesicht wurde immer blasser, während sie zuhörte.

»Der Prozeß setzt frühestens sechs Wochen nach dem Tode ein«, schloß ich meinen eindrucksvollen Monolog.

»O mein Gott!« Sie preßte eine Hand vor den Mund. »Soll das heißen, Don muß schon so lange tot sein

»Jemand hat ihm die Gurgel durchgeschnitten«, erklärte ich. »Und der Betreffende muß dabei äußerst geräuschlos vorgegangen sein. Ich meine, wenn man das Geräusch eines Wagens mehrere Kilometer weit hören konnte, hätten Sie doch sonst irgend etwas gemerkt. Es sei denn, der Mörder und sein Opfer hätten keinen Laut von sich gegeben

»Woher wissen Sie, daß es passiert ist, während wir noch dort waren

»Ganz simple Rechnung«, versetzte ich kühl. »Der Adiopocire-Prozeß braucht mindestens sechs Wochen, bevor er in Erscheinung tritt. Sie und Sam haben aber erst vor einem Monat beschlossen, Montana zu verlassen und nach Los Angeles zu kommen. Dazwischen gibt es eine Lücke von zwei Wochen

»Glauben Sie, ich habe ihn umgebracht

»Es besteht zumindest die Möglichkeit, daß ihn eine blinde Frau getötet haben könnte«, erwiderte ich ausweichend. »Sie wären aber doch wohl die logischere Lösung

Sie saß mit unbewegtem Gesicht da und starrte mich noch immer an. »Okay«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihn also ermordet und die Leiche in der Kiste versteckt. Dann, einen Monat später, ließ ich mich von Sam überreden, nach Los Angeles zu fahren und Sie zu engagieren, um herauszufinden, wer für ihre Blindheit verantwortlich ist, sowie Ihnen alles zu erzählen, was sich, soweit Sam sich erinnert, auf der Kreuzfahrt abgespielt hat. Und auch alles über Don Blake. Ich habe nicht einmal im Traum daran gedacht, Sie würden nach Montana fahren und sich das Haus ansehen wollen, weil das nur zu logisch gewesen wäre! Und ich machte Ihnen bereitwillig eine Straßenskizze, um Sie sicher dorthin gelangen zu lassen. Natürlich gab ich Ihnen auch die Schlüssel zum Haus, weil ich genau wußte, Sie würden zu blöd sein, sich in Dons Hobbyraum umzugucken

»Natürlich habe ich mir das auch überlegt«, räumte ich ein.

»Aber Sie halten noch immer für möglich, daß ich ihn ermordet habe. Stimmts

»Stimmt

»Was geschieht jetzt also

Mein Steak, das ich nur kurz gebraten gewünscht hatte, sah aus wie ein Stück Holzkohle. Mit meinem Appetit war es plötzlich vorbei.

»Bleiben Sie hier und essen Sie Ihren Käsekuchen«, sagte ich. »Geben Sie mir fünfzehn Minuten mit Sam allein, ehe sie hinaufkommen

»Gut.« Ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß ihr mein Vorschlag gar nicht behagte.

Auf dem Weg aus dem Restaurant hielt mich der Ober an und erkundigte sich, ob etwas nicht in Ordnung sei. Ich sagte ihm, alles sei ganz wunderbar, ich hätte nur das Gefühl, um mein Steak zu essen, nicht richtig angezogen zu sein. Deshalb wolle ich in mein Zimmer hinauf und mich in Sack und Asche kleiden. Er blieb ziemlich ratlos stehen und zerbrach sich offensichtlich den Kopf, was ich damit gemeint haben könnte.

Sam öffnete mir die Tür, nachdem ich gesagt hatte, wer draußen sei. Das Fernsehgerät zeigte kein Bild mehr, stellte ich fest, während Sam vorsichtig zu ihrem Sessel zurückkehrte.

»Sind Sie allein fragte sie, als sie sich setzte.

»Tracy ist noch im Restaurant geblieben, um ihren Käsekuchen aufzuessen«, erwiderte ich. »Ist der Film zu Ende

»Es wurde mir langweilig, meiner eigenen Stimme zuzuhören«, antwortete sie gleichmütig. »Sind Sie fündig geworden, Rick

»Wie meinen Sie das

»Wenn Sie nicht wissen, wovon ich spreche, werde ich es Ihnen nicht auf die Nase binden«, versetzte sie.

»Don Blakes Leiche in der Holzkiste«, sagte ich ruhig. »Ja, die habe ich gefunden

»Er fuhr an jenem Montagmorgen fort«, begann sie. »Etwa drei Tage später wachte ich mitten in der Nacht auf. Ich wußte nicht, wie spät es war, und ich konnte nicht wieder einschlafen. Nach einer Weile hörte ich erstickte Geräusche von irgendwo außerhalb des Blockhauses. Das Ganze spielte sich ab, bevor Tracy und ich uns wirklich nahe gekommen waren. Sie schlief in einem anderen Zimmer, und ich fragte mich, ob sie vielleicht einen Freund bei sich habe. Nun, und wenn schon, dachte ich, so ging mich das nichts an. Etwas später hörte ich in einiger Entfernung einen Wagen anspringen und losfahren. Schließlich wurde es mir zu dumm, so im Dunkeln herumzusitzen. Draußen regnete es. Ich konnte die Tropfen gegen das Fenster prasseln hören. Es drängte mich danach, hinauszugehen. Mich im Haus zurechtzufinden, bereitete mir keine Mühe mehr. Also zog ich mein Nachthemd aus, trat auf die hintere Veranda und stieg die Treppe hinab. Der Regen fühlte sich angenehm an auf meiner nackten Haut. Dann hörte ich eine Tür leise im Wind schlagen. Ich tastete herum und stellte fest, daß die Tür von Dans Hobbyraum nicht abgeschlossen war

»Beunruhigte Sie das nicht

»Ich tastete die Erde ab und fand das Vorhängeschloß. Zuerst dachte ich, Dan hätte es vor seiner Abfahrt vielleicht nur nicht richtig einschnappen lassen. Dann fiel mir das Motorgeräusch ein, das ich zuvor gehört hatte. Ich entschloß mich deshalb, den Hobbyraum zu untersuchen, um zu sehen, ob etwas fehlte. Vielleicht sollte ich lieber sagen: zu fühlen? Ich betrat den Raum also und tastete umher. Mir schien nichts abhanden gekommen zu sein, trotzdem öffnete ich auch noch die Holzkiste und faßte hinein. Nur so, für alle Fälle.«

Sie schwieg sekundenlang. »Es ist eigenartig, Rick. Nach dem Schock, Säure ins Gesicht bekommen zu haben und blind zu sein, kann mich offenbar nichts mehr völlig aus der Fassung bringen. Jedenfalls nicht mehr in dem Maße, wie es mein persönliches Unglück getan hat. Sein Gesicht fühlte sich bei der Berührung natürlich eiskalt an, und ich ertastete auch die Wunde in seinem Hals, die ihm offenbar mit einem Messer beigebracht worden war. Dann klappte ich den Deckel wieder zu und ging hinaus. Ich befestigte das Schloß an der Tür, ließ es einschnappen und kehrte anschließend in mein Zimmer zurück

»Sie sprachen am folgenden Morgen nicht mit Tracy darüber

»Ich hatte stundenlang darüber nachgedacht«, antwortete sie. »Hätte ich ihr davon erzählt, hätte sie etwas unternehmen und die Polizei einschalten müssen. Und dann hätte die ganze Welt erfahren, was mit Samantha Dane geschehen ist. Das wollte ich nicht. Außerdem bestand ja auch noch die andere Möglichkeit

»Daß Tracy ihn umgebracht hatte

»Ja«, bestätigte sie unbewegt. »Ich war mir nicht sicher, was das für mich für Folgen haben würde. Deshalb ließ ich erst einmal eine gewisse Zeit vergehen und fing dann allmählich an, von meinem Plan zu sprechen, nach Los Angeles zu fahren und jemanden wie Sie zu engagieren, um endlich Licht in die ganze Affäre zu bringen. Sie erhob nie irgendwelche Einwände, sondern wollte bloß, daß ich kräftig genug sei, bevor wir uns auf den Weg machten

Ich sah unwillkürlich die nackte, blinde Frau vor mir, allein im Regen und ewiger Finsternis, wie sie den Kistendeckel anhob und mit den Fingerspitzen den toten Körper von Don Blake befühlte. Dann war sie ins Haus zurückgekehrt, um mit einer anderen weiterzuleben, die möglicherweise eine Mörderin war.

»Glauben Sie, Tracy hat ihn getötet, Rick

»Ich weiß nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Sie hätte dafür ein überzeugendes Motiv haben müssen

»Ich habe viel darüber nachgegrübelt Sam lächelte zufrieden. »Ich denke, der einzige Grund, den sie gehabt haben könnte, ihn umzubringen, könnte gewesen sein, mich zu schützen