Achtes Kapitel

Das Gildenhaus hatte noch nie so böse ausgesehen.

Wie eine buckelnde Katze, geifernd und fauchend. Ein dicker Krebs mit gezückten Scheren. Ein Mutterkrokodil, das über ein Nest voller Eier wachte. Und ich war diejenige, die kurz davorstand, mit einem Stock darin herumzustochern.

Ich zog mir den feuchten Schal fester um das Haar und ließ mich im milden Regen mit den Leuten zum Gildeplatz treiben.

Das Haupttor ragte vor mir auf. War es immer schon so hoch gewesen? So breit? Es verschluckte mich und ein halbes Dutzend andere, und wir wälzten uns in den Vorraum. Die üblichen schmalen Lichtstreifen der Nachmittagssonne, die durch die Kuppelfenster hereindrangen, waren heute fahl und grau, verschleiert vom Regen. Ein trostloses Licht. Eine trostlose Stimmung. Trostlose Aussichten.

Aber nicht so trostlos wie die von Tali, sollte ich es nicht schaffen, sie hier rauszuholen.

Mit angehaltenem Atem ging ich an den Soldaten vorbei, aber keiner schenkte mir auch nur einen Blick. Ich watete durch die Massen zerschlagener und verwundeter Menschen, die auf Heilung hofften und von denen keiner ahnte, dass ihre Heilung, sollte die Gilde sie denn einlassen, einem armen Lehrling mehr Schmerzen auferlegen würde, als er ertragen konnte. Hätte es irgendjemandem geholfen, hätte ich die Wahrheit hinausgeschrien, dass sie von den Mauern widerhallte, aber ich hatte in jüngster Zeit genügend Beispiele dafür bekommen, was verzweifelte Menschen zu tun bereit waren.

Ich tauchte nach rechts ab und ging den Korridor zu Talis Zimmer hinunter. Ein dunkelhaariger Gildewachmann lehnte an einem Türrahmen und sah recht gelangweilt aus. Als ich nähertrat, entflammte sein Interesse.

»Entschuldige«, sagte er, »aber dieser Bereich ist gesperrt.«

In der unendlichen Pause zwischen zwei Herzschlägen holte ich mein schönstes Lächeln und den größten Teil des Selbstvertrauens hervor, das ich bei Aylin vorgetäuscht hatte. »Ich weiß, und danke, dass du auf mein Zimmer aufpasst.« Beinahe hätte ich ihm zugeblinzelt, aber das hätte den Eindruck eines nervösen Ticks hinterlassen können.

»Du wohnst da?«

»Seit dem letzten Moedstag.« Ich tat einen Schritt, um an ihm vorbeizugehen, aber er verstellte mir den Weg. Hatten alle Wachen so breite Schultern ? Mussten mir diese Rapiere immer so entgegenragen? »Kann ich jetzt gehen? Ich bin schon spät dran für die Visite.«

»Ich kenne dich nicht.«

»Ich bin neu.« Ich warf den Kopf herum, sodass die perlengeschmückten Zöpfe über meine Schulter glitten.

Er zögerte. Sein Unterkiefer arbeitete, als müsste er meine Angaben erst durchkauen. »Wo ist deine Uniform?«

»In meinem Zimmer.« Oje, um der Liebe der Heiligen Saea willen, all diese Mühe, und ich sollte hier versagen? Tali hatte Besseres verdient als eine Schwester mit einem halbgaren Plan.

»Dann bist du also vor einer Weile hinausgegangen?«

»Genau.«

Er grinste spöttisch. »Warum habe ich dich dann nicht gehen sehen? Ich habe heute Morgen angefangen, ganz früh, und ich war den ganzen Tag hier.«

Mein Gehirn ruderte schneller als die Füße eines verschreckten Huhns. »Ich wollte den Sonnenaufgang sehen« würde nicht funktionieren. Warum sollte ein Mädchen vor Tagesanbruch draußen sein. Jedenfalls ein Lehrlingsmädchen - ein gewöhnliches Mädchen dagegen ...

»Wenn du es unbedingt wissen musst.« Ich trat näher und sah mich um, als hielte ich Ausschau nach Ältesten. Was ich tat, aber nicht aus dem Grund, den er glauben sollte. »Ich bin letzte Nacht nicht nach Hause gekommen«, log ich. »Ich kenn da einen Jungen. Er hat seine Mutter bei dem Fährenunglück verloren und etwas Trost gebraucht.« So ausstaffiert, sah ich alt genug aus für ein Mädchen, das sich davonschleicht, um einen Jungen zu treffen. Hoffte ich zumindest.

Drei peinigende Herzschläge lang starrte er mich nur an, dann zeigte sich ein listiges Lächeln in seinem Gesicht. »Damit solltest du vorsichtig sein. Die Mentoren versohlen dir den Hintern, wenn sie dich erwischen.«

»Sie werden mich nicht erwischen.« So die Heiligen wollten.

»Dann beeil dich.« Er trat zur Seite, und ich zwang mich, den Rest des Weges zu Talis Zimmer nicht im Laufschritt zurückzulegen.

Schließlich huschte ich hinein und brach auf ihrem Bett zusammen. Ein heftiges Zittern überkam mich, und ich brauchte gute fünf Minuten, um meinen Mut zurückzugewinnen. Was ziemlich lange war angesichts all der Dinge um mich herum, die mich an Tali erinnerten, aber allein die Vorstellung, dass sie diesen Raum vielleicht nie wieder betreten würde, ängstigte mich mehr als alle Wachleute, denen ich je in die Quere kommen konnte.

Schließlich hatte ich mich wieder etwas gefasst, wenn auch nicht wirklich beruhigt. Ich zog Aylins Kleid aus und Talis weiße Uniform an. Sie war zu kurz und an Taille und Hüften zu eng, aber das grüne Leibchen verbarg diese Makel ausreichend. Ich faltete Aylins Sachen zusammen und versteckte sie in einer Schublade für den Fall, dass irgendjemand den Kopf zur Tür hereinstecken sollte.

Dann ging ich los. Ich bemühte mich, nicht zu schleichen, sondern schlenderte in aller Ruhe zum Behandlungstrakt. Nach einigen sonderbaren Blicken von diversen Ein- und Zweilitzern ging ich ein wenig schneller. Ein Lehrling, der zu spät zur Visite kam, würde kaum schlendern.

Der Hauptkrankensaal sah noch genauso aus, wie ich ihn aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte, damals, als ich Mama bei der Visite geholfen hatte. Ich hatte nicht viel getan, nur Handtücher gehalten oder Schüsselchen mit warmem Wasser, um Blut wegzuwaschen, aber ich war mir wichtig vorgekommen. Das war das Leben, das ich eines Tages zu führen gehofft hatte, damals, bevor ich erkennen musste, dass meine Träume hoffnungslos waren. Der Raum sah heute kleiner aus, weil ich größer war. In den vier Ecken des Raums standen säuberlich angeordnete Reihen von Betten mit dünnen Vorhängen dazwischen, die ein wenig Privatsphäre gewährleisteten. Die meisten Leute, die hierherkamen, waren nur leicht verwundet oder erkrankt, oder sie konnten den Preis für eine vollständige Heilbehandlung nicht bezahlen. Für die Reichen und die Schwerverletzten gab es separate Krankenzimmer.

Ich machte kehrt und ging in Richtung dieser Räume. Der Schweiß stand mir im Nacken. Ich war in keinem dieser Zimmer mehr gewesen, seit Papa gestorben war, getötet von einem Soldaten des Herzogs nur wenige Monate vor Kriegsende. Mama hatte versucht, ihn zu retten, aber bis die anderen Soldaten seiner Einheit ihn zur Gilde hatten schaffen können, war es schon zu spät gewesen. Niemand hatte uns je erzählt, wo Mama gestorben war; sie hatten sie einfach in einer Kiste zurückgebracht wie ein unerwünschtes Geschenk. Zu der Zeit hatten die Baseeris bereits die Leitung der Gilde übernommen, um mit ihrer Hilfe die letzten Regungen unserer Rebellion zu ersticken.

Geschlossene Türen säumten einen Korridor, der beinahe ebenso einschüchternd wirkte wie der im Tempel. Am Ende führte eine breite Wendeltreppe nach oben und ins Dunkel. Ich ergriff den kupfernen Handlauf und trat einen Schritt näher an den Ort, an dem ich Tali zu finden hoffte.

»Du da!«

Ich erstarrte. Meine Finger spannten sich um das kalte Metall. Und dann tat ich noch einen Schritt.

»Lehrlingsmädchen! Komm runter. Du wirst im Krankensaal gebraucht.«

Ich drehte mich mit geöffnetem Mund um, aber mir fiel nicht ein einziger glaubwürdiger Grund ein, um mich der Anordnung zu verweigern. Ein kleiner, kahler Mann mit sechs goldenen Litzen auf einer Schulter und zwei silbernen auf der anderen starrte mich an. Ein Meisterheiler.

»Sofort!«, schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir haben Verwundete, die behandelt werden müssen.«

Alle Heiligen, steht mit bei! Ich ging zu ihm, und er packte mich am Schlafittchen, nicht allzu hart, aber wie jemand, der es gewohnt war, ungehorsame Lehrlinge herumzuscheuchen. Er führte mich zurück in den großen Krankensaal und blieb zwischen den Bettreihen stehen. Vier Betten waren belegt mit sitzenden oder liegenden Personen, die alle verletzt waren.

»Wie lautet der erste Schritt bei der Untersuchung einer Wunde?« Er sprach mit der Stimme eines Lehrers. Bei einer falschen Antwort würde er vermutlich recht ungnädig werden.

Ich schluckte, aber mein Mund war trocken. »Man, äh ...« Meine Hände schwebten über der Frau auf dem Bett vor mir. Gut gekleidet, trotz der Risse und Blutflecken in dem Stoff.

Der Meisterheiler tappte ungeduldig mit dem Fuß.

»Man legt eine Hand auf den Kopf und eine auf das Herz, um das Ausmaß der Verletzung zu bestimmen.«

Er nickte, und das Tappen hörte auf. »Weiter.«

Ich blickte hinab auf die Patientin. Sie war wach, aber ihre Augen waren glasig und blickten ins Leere. Dennoch sah sie nicht aus, als wäre sie schlimm verwundet. Ich legte meine Hände auf sie und tastete mich in ihr Inneres vor, wie Tali es mir gezeigt hatte. »Rippen- und Schädelprellung. Keine Brüche.«

»Blutungen?«

Blutungen? Tali hatte mich nie gelehrt, wie man Blutungen ertastet. »Ich, äh, ich kann nichts erkennen.«

Der finstere Blick kehrte zurück. »Hast du im Unterricht irgendwann einmal aufgepasst?«

Er legte seine Hände über die meinen. Ein leichtes Prickeln rann durch mich hindurch und in die Frau unter meinen Fingern. Die Prellungen wurden in meinem Kopf heller, schärfer. Dann tauchte etwas anderes auf, ein dunkler Funke, wie die Flecken, die man hinter geschlossenen Lidern sieht, wenn man zu lange in die Sonne geschaut hatte.

»Siehst du es? Da, an der Schädelbasis?«

Ich sah es. »Ja.«

Seine Hände entfernten sich, und der Fleck verblasste. Ich tastete nach ihm, und er flammte wieder auf. Ein schuldbewusstes Schwindelgefühl machte sich in meinem Inneren breit. Tali lernte diese Dinge Tag für Tag. Echtes Heilen.

»Gibt es noch andere?« Der Meisterheiler hörte sich zufrieden an, und mir wäre beinahe ein Lächeln entschlüpft.

»Ich sehe keine.«

»Dann fahr fort.«

»Was?«

Das enttäuschte Stirnrunzeln zeigte sich erneut. »Heile die Patientin. Innere Blutungen stoppt man genauso wie äußere.«

Er wollte wirklich von mir, dass ich heilte! Ich könnte weglaufen, aber dann käme ich nie wieder herein, würde Tali nie finden. Er hatte mir lange genug ins Gesicht gestarrt, um mich wiederzuerkennen, sollten wir uns noch einmal begegnen. Und da ich direkt durch seinen Herrschaftsbereich musste, um die Treppe zu erreichen, würde er mich mit absoluter Sicherheit mindestens noch einmal zu sehen bekommen.

Ich legte meine Hände über ihre Rippen und zog. Dann auf ihren Kopf. Stoppte die schwache Blutung an der Schädelbasis, ließ ihr aber die Beule. Die Blutung hätte sie umgebracht, aber sie würde wohl ein paar Tage mit Kopfschmerzen leben können.

»Fertig.« Ich zog die Hände weg. Ein leichter Schmerz pochte in meinem Kopf und meinen Rippen.

Er legte die Hände wieder auf und musterte mich erneut stirnrunzelnd. »Du hast etwas übersehen.«

»Oh.« Ich nahm ihr auch die Beule ab und akzeptierte die Schmach. Wäre ich ein echtes Lehrmädchen, hätte er mich dann für solch einen Fehler rausgeworfen? Vermutlich nicht.

Egal. Wenn ich hierher gehören würde, hätte ich die Beule sicherlich nicht ausgelassen. Ich wäre begierig darauf gewesen, meinen Wert unter Beweis zu stellen, und um dem Meister zu beeindrucken, hätte ich sogar den Knöchelbrand erwähnt, den ich gespürt hatte, als ich angefangen hatte, ihre Hände und Füße zu ertasten, um ihn zu beeindrucken.

Aber ich gehörte nicht hierher. Zum ersten Mal in meinem Leben schmerzte es mich nicht, das zuzugeben. Würde ich hierher gehören, so wäre ich vermutlich zusammen mit Tali in irgendeinem Zimmer eingesperrt, und es gäbe niemanden, der uns zu Hilfe kommen würde.

»Gut. Wie steht um diesen Herrn?« Der Meisterheiler ergriff meinen Ellbogen und führte mich zum nächsten Bett. Ich musste den Patienten nicht berühren, um zu sehen, dass seine beiden Arme gebrochen waren. Und ich konnte Tali nicht mit schmerzenden Armen tragen.

»Ich kann nicht.«

»Du kannst nicht?« Seine Brauen bogen sich weiter hinauf als die Fensterbögen. »Willst du dich weigern, einen Patienten zu heilen?«

Ein Lehrling am nächsten Bett blickte ruckartig auf und stierte mich mit deutlichem Entsetzen auf dem pockennarbigen Gesicht an. Er wusste ganz gewiss nicht, was hier vorging, anderenfalls hätte er nicht so schnell geurteilt.

»Nein, ich ... äh... ich ...« Konnte nicht bleiben, weil ich meine Schwester retten musste. Nicht gerade das, was mir helfen würde, hier herauszukommen oder Tali zu helfen. »Es geht mir nicht gut.«

Der Lehrling musterte mich erbost. Sein stacheliges schwarzes Haar stand so vom Kopf ab, dass er an eine verrußte Pusteblume erinnerte. Der Meisterheiler schaubte höhnisch und breitete die Hände aus, als hätte er genug von mir. Ich konnte nur hoffen.

»Die Aufgabe eines Heilers ist heilen, Mädchen. Anderenfalls bist du nur ein nutzloser Löser, gerade gut genug, um einen halbreinen Pynviumlöffel mit Schmerz zu füllen. Ich weiß, dass es beängstigend ist und wehtut, aber wenn du dir deine erste Litze verdienen willst, dann solltest du dich besser erinnern, was wir erdulden, um anderen zu helfen. Aber vielleicht bist du ja nicht stark genug, um Brüche zu kitten?« Er sagte es wie eine Herausforderung. Ich wette, bei den Jungs funktionierte es immer, vertrieb ihre Furcht, auf dass sie ihre Arbeit machen konnten.

»Ich, äh...« Zwei Älteste betraten den Raum, und jeder von ihnen sah sich um wie ein Soldat auf Wachposten.

Der Meisterheiler ergriff meine Hände. Ich keuchte auf, und ein kaltes Prickeln überlief meinen ganzen Körper. Dann räusperte er sich grollend und ließ mich los, aber in seinen Augen flackerte ein Funke der Anerkennung. »Du bist sehr stark. Du könntest es hier weit bringen, wenn du es willst.«

Worte, die ich mein Leben lang nur zu gern gehört hätte, die aber jetzt keinen Wert mehr besaßen.

Einer der Ältesten kam herbei, und das Herz stieg mir in den Hals. Es war der Älteste, den ich getreten hatte, als ich Merlaina war. »Gibt es Probleme, Meisterheiler Ginkev?«

»Oh nein, ganz und gar nicht.« Der Meisterheiler zuckte ein wenig zusammen und ließ ein unsicheres Lächeln aufblitzen. »Die übliche Angst der Anfänger, würde ich sagen.«

»Sie hat sich geweigert, den Patienten zu heilen, Herr«, sagte der Lehrling und steckte seine spitze Baseeri-Nase in Dinge, in denen sie nichts zu suchen hatte.

»Geweigert?« Der Älteste maß mich finsteren Blickes, wich dann zurück und stierte mich an. »Wie heißt du?«

»Tatsa.« Das war nicht einmal ein richtiger Name, sondern eine alte Verwünschung, die Großmama immer ausgestoßen hatte, wenn wir hinter den Möbeln hervorgeschossen kamen. Sie hatte uns erzählt, der Fluch stamme noch von ihrer Großmama aus dem Bergvolk.

Er musterte mich eingehender.

Heilige Saea, lass nicht zu, dass er mich erkennt!

»Einem Patienten die Heilung zu verweigern ist ein Grund für einen Ausschluss«, sagte er schließlich.

»Ich, äh...« Ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte inzwischen etwas Schmerz in mir. Ich könnte die beiden damit schlagen, die Treppe hinaufrennen, mir Tali schnappen und sie vorbei an Wachen, Ältesten und Meisterheilern ins Freie schaffen. Bitte, wem wollte ich hier etwas vormachen ?

»Oh, ich bin überzeugt, wenn sie erst erkannt hat, dass es nichts zu fürchten gibt, wird sie sich gut machen.« Der Meisterheiler klopfte mir auf die Schulter und versuchte, mich wegzudrehen. Welche Farbe mochte sein Haar gehabt haben, ehe es ausgefallen war? Ich hätte geschworen, dass es nicht schwarz gewesen war. »Ich will sie nicht vorzeitig unter Druck setzen.«

»Nein ?«

Der Meisterheiler zögerte. »Es wäre schade, sie zu verlieren.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Ältesten. »So stark ist sie also?«

Sogar meine Haarspitzen wollten schreien.

»Sie ist, äh...« Er sah mich an und schluckte. »Sie ist ziemlich stark. Aber ungeübt«, setzte er hastig hinzu.

»Vielleicht war ich ein bisschen vorschnell«, säuselte der Älteste. »Ich werde noch einmal über deinen Ausschluss aus der Gilde nachdenken, wenn du uns bei einer hochrangigen Heilbehandlung hilfst. Weigerst du dich, wirst du aus der Gilde verstoßen. Raus in die Gosse.«

Eine wirkungsvolle Drohung, wäre ich ein echter Lehrling gewesen. Selbst ein Einlitzer würde ja sagen und dankbar für die zweite Chance sein. Arbeit, Essen und ein Zimmer waren heutzutage zu schwer zu kriegen, um sie aus reiner Furchtsamkeit einfach sausen zu lassen. Allerdings würde ein echter Lehrling auch nicht wissen, was wirklich hinter dieser angebotenen zweiten Chance steckte. Ich hatte keine große Wahl. Tali hatte mir einmal erzählt, die hochrangigen Heilbehandlungen fänden »oben« statt. Danach hatte sie die Augen verdreht, als wären einfache Lehrlinge nicht gut genug, um nach »oben« zu gehen.

Das hatte sich anscheinend geändert.

Ja zu sagen würde mich nach oben bringen, aber wenn diese Heilung so ausfiel wie die des Fischers, könnte sie mich mit so viel Schmerz erfüllen, dass ich außerstande wäre, Tali zu helfen. Nein zu sagen würde geradewegs zu meinem Rausschmiss führen, und ob ich es noch einmal bis hier schaffen würde, dafür gab es keine Garantie. Meine größte Chance, meine Schwester zu retten, war jetzt. Aber das damit verbundene Risiko war gewaltig.

Der Ältere grinste mich an wie eine Katze. »Entscheide dich.«

Leichter gesagt als getan.