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Beginn der Rache

Die Verwüstung Mardus lag nun vier Tage zurück, und der Mann, der sich Karandras nannte, wurde die Gesellschaft der Trolle allmählich leid. Broggh und seine Jäger mochten zwar furchterregende Krieger sein, doch ihr Gebaren missfiel dem Menschen.

Mensch – war er das überhaupt noch? Seit seiner … Veränderung schlief Karandras kaum mehr. Unablässig arbeitete sein Verstand, versuchte all das neue Wissen in seinem Kopf zu sortieren, zu kontrollieren, denn es drohte ihn sonst dem Wahnsinn preiszugeben. Seine eigenen Gefühle wurden von jenen Gefühlen überlagert, die Aurelion ihm geschenkt hatte. Täglich wuchs sein Hass auf Alghor und dessen Geschwister, auf die verfluchten Götterkinder. Wie hatten sie es nur wagen können, sich gegen ihren eigenen Vater zu stellen? Ihn zu erniedrigen und in das Gefängnis der Niederhöllen zu verbannen?

Karandras war nicht nur zu einem Gefäß von Aurelions Macht geworden, er wurde auch zum Gefäß seines Hasses.

»Wann wir wieder kämpfen?«, fragte Broggh mit einer Stimme, die eher an das Bellen eines Hundes erinnerte als an ein denkendes Wesen. »Mehr Jäger aus Ulzular holen«, schlug Broggh wiederholt vor.

Karandras überhörte den Vorschlag bewusst. Die Trolle und er mochten vielleicht demselben Gott folgen, er selbst verabscheute die Trolle jedoch. Möglicherweise der letzte Rest seines früheren Lebens, dachte Karandras. Obwohl er sich an so gut wie gar nichts mehr erinnern konnte, was vor seiner Veränderung stattgefunden hatte, so spürte er doch eine tief in ihm wurzelnde Abscheu gegen die ungeschlachten Kreaturen. Zudem wäre seine Aufgabe ungemein schwieriger, falls er mit einer ganzen Armee der Monster durchs Land zöge. Gerne hätte er die Trolle zurück in den Sumpf geschickt, aber für den Augenblick überwog ihr Nutzen die Unannehmlichkeiten, die sie bereiteten, bei Weitem.

»Einen Tagesmarsch westlich von hier müssten wir wieder auf eine Siedlung stoßen«, beantwortete er schließlich Brogghs Frage, und der Troll bleckte die Zähne bei dem Versuch, ein menschliches Grinsen zu imitieren.

Es war genauso, wie der Mensch ihm gesagt hatte. Im Verlauf des nächsten Tages trafen sie auf einen ausgetretenen Pfad, der von den ansässigen Bauern benutzt wurde, und mit Anbruch der Abenddämmerung kam die von Karandras erwähnte Siedlung, die sich als größeres Dorf entpuppte, am Horizont in ihr Blickfeld.

Der Mensch hatte ihnen ein langsames Tempo befohlen, er wollte in jedem Fall den Schutz der nächtlichen Dunkelheit nutzen, um die Dörfler zu überraschen. Broggh gefiel der Plan, denn das grelle Sonnenlicht schmerzte ihm und seinen Jägern in den Augen.

Die Ulzular umgebenden Sümpfe waren ein Ort der ewigen Dunkelheit. Bei Tag versperrten dunkle Wolken und Nebel der Sonne die Sicht auf das Land und erlaubten nicht mehr als eine schwache Dämmerung. Die Trolle hatten sich perfekt an ihre Heimat angepasst und waren die uneingeschränkten Herrscher des westlichen Sumpfes. Doch hier in der »Sonnenwelt«, wie die Trolle es nannten, waren sie am Tage verwundbar. Viele unbekannte Gerüche überschwemmten Brogghs empfindliche Nase, fremde Laute drangen in seine Ohren. Alles schien ihm fremd.

Mit dem Sonnenuntergang änderte sich dies. Die Geräusche verebbten, selbst die Gerüche wurden seltener und denen des Sumpfes ähnlicher. Nun war Broggh wieder der perfekte Jäger, wie auch im Sumpf.

Der Mensch hatte ihnen befohlen, sich in der Nähe des Dorfes zu verstecken. Er würde allein vor das Stadttor treten und um Einlass ersuchen. Die Menschen würden ihm vertrauen, und später in der Nacht, wenn sie alle schliefen, würde er ihnen das Tor öffnen.

Zwar scherten sich die Trolle nicht um ein schwaches Holztor, das kaum größer war als sie selbst, doch sie schätzten die Grausamkeit des Planes. Das Vertrauen der Menschen zu missbrauchen und dann viele von ihnen im Schlaf zu zerreißen, gefiel Broggh über alle Maßen.

Heute Nacht würde er in Thaurgs Namen reichlich Blut vergießen!

Als der Mond seinen Zenit erreichte, öffnete sich das in Brogghs Augen lächerlich dünne Tor der das Dorf umgebenden Palisade und eine dunkle Gestalt trat hindurch. Der Mensch trat sicheren Schrittes auf sie zu, und Broggh konnte spüren, wie seine Begleiter unruhig wurden. Den ganzen Tag hatten sie dem Kampf entgegengefiebert und nun sollten sie ihn bekommen.

»Es gibt nur ein paar Bewaffnete unter den Bewohnern«, begrüßte Karandras sie ohne Umschweife.

Also kein guter Kampf, dachte Broggh, sagte aber: »Vor Sonnenaufgang alle tot.«

»Tut, was immer ihr wollt«, erwiderte der Mensch mit kalter Stimme. »Hier gibt es nichts von Wert für mich.«

Broggh vergeudete keine Zeit mit weiteren Worten. Der Anführer erhob sich aus seinem Versteck und marschierte mit langen Schritten auf das Dorf zu, dicht gefolgt von den übrigen Jägern. Karandras staunte einen kurzen Moment darüber, mit welcher Besonnenheit die Trolle vorgingen und wie leise sie sich zu bewegen vermochten.

Sie waren im Augenblick das perfekte Werkzeug für seine Pläne.

Broggh erreichte das Tor als Erster und machte den anderen durch ein Handzeichen klar, dass er auch als Erster hindurchgehen würde. Der Mensch hatte die Wahrheit gesprochen. Innerhalb der schwachen Palisade war alles still. Nicht ein einziger Wachmann lief zwischen den Häusern umher. Wie konnten die Menschen sich nur auf den Schutz ihrer kümmerlichen Umzäunung verlassen? Denn viel mehr stellte die Palisade in Brogghs Augen nicht dar. Ein Verschlag für sein Vieh. Und heute würde er es schlachten!

Zielstrebig marschierte er auf das größte Haus der Siedlung zu. Es besaß als einziges ein zweites Stockwerk, und der Troll ahnte, dass er dort auf mindestens einen bewaffneten Menschen treffen würde. Broggh war hungrig, doch er wollte sich seine Mahlzeit auch verdienen. Als er an einem kleinen Haus vorbeikam, entdeckte er eine in sich zusammengesunkene Gestalt, die an die Hauswand gelehnt war. Er hatte die Menschen offenbar falsch eingeschätzt.

Karandras hatte die Wache ausgeschaltet, damit sie sich ungehindert und vor allem unbemerkt durch das Dorf bewegen konnten. Die Tatsache, dass der Mensch ihnen den ganzen Spaß der Angstschreie und den Anblick der hilflos durcheinanderrennenden Menschen nicht gönnen wollte, verärgerte den Troll und er entschied, dass sie die Spielregeln der Jagd ändern sollten. Er warf den massigen Kopf in den Nacken und stieß ein wildes Gebrüll aus. Seine Gefährten starrten ihn für einen kurzen Moment verwirrt an, stimmten schließlich aber nur zu gerne in die Drohgebärde mit ein.

»Die Jagd beginnt!«, schrie Broggh aus voller Kehle und das Brüllen seiner Kameraden wurde noch lauter. Schon wurden die ersten Lichter entzündet und der große Troll leckte sich begierig über die scharfen Zähne.

Broggh hatte das doppelstöckige Haus mittlerweile erreicht und seine Hoffnung auf Widerstand wurde nicht enttäuscht. Gerade als er zu einem Ansturm auf die Tür ansetzte, wurde diese geöffnet und zwei bewaffnete Männer traten heraus. Sie trugen ihre Schlafkleidung, über die sie hastig ihre Kettenhemden geworfen hatten. Für Stiefel, Handschuhe oder Hauben war ihnen keine Zeit geblieben. Ihre Hände hatten sie fest um den Griff ihrer Breitschwerter geschlossen, begannen jedoch zu zittern, als sie ihre Gegner erkannten.

Broggh sprang lachend zwischen sie. Seine Pranke riss dem rechten Soldaten sauber den Kopf ab und badete den Troll in einer heißen Blutfontäne. Der zweite Mensch sprang hastig zur Seite und versuchte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und seinen Gegner zu bringen. Broggh setzte nach und der Mensch streckte das Schwert abwehrend nach vorn. Der große Troll grinste boshaft und packte die Klinge mit der Linken. Dickes Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Er hielt die Waffe des Menschen fest und trat einen weiteren großen Schritt nach vorne. Zur Verwunderung des Menschen rammte sich Broggh den kalten Stahl in den eigenen Unterleib. Die Klinge durchdrang den weichen Körper ohne Mühe und kam am Rücken wieder zum Vorschein. Der Mensch schüttelte nur ungläubig den Kopf, als er Brogghs anhaltendes Grinsen sah. Der Troll genoss den beißenden Schmerz, den die Wunde ihm zufügte. Schließlich würde sie ohne Probleme wieder verheilen.

Er brachte sein Gesicht so nah an das des Menschen heran, dass er sein Spiegelbild in den Augen des Soldaten sehen konnte.

Dann waren die Augen nicht mehr da. Brogghs Schädel war nach vorn geschnellt und hatte seine mächtigen Hauer in den kleinen Kopf des Menschen gerammt. Die Wucht riss das halbe Gesicht des Mannes mit und der Troll kaute genüsslich auf der frisch erlegten Beute.

Er gönnte sich eine kurze Pause von seinem blutigen Mahl und blickte sich um. Das Dorf war nun in hellem Aufruhr und überall rannten Menschen blind vor Angst umher. Einige würden fliehen, dachte Broggh, und auch wenn dieser Umstand ihm selbst kein Kopfzerbrechen bereitete, so würde ihr menschlicher Begleiter sich vermutlich daran stören. Und ihn zu verärgern war, als würde er sich mit Thaurg persönlich anlegen.

»Fhagg! Aregg!«, bellte er in die Nacht. »Lasst keinen entkommen!« Mit einem Brüllen gaben sie ihm zu verstehen, dass sie ihn gehört hatten, und auch, dass sie über den Befehl alles andere als glücklich waren. Er bedeutete, dass sie augenblicklich mit dem Gemetzel aufhören und am Rand des Dorfes patrouillieren mussten. Broggh nahm ihren Unmut zur Kenntnis, in der festen Überzeugung, dass sie schon bald alle Hände voll zu tun haben würden.

Nun konnte der Anführer der Jäger seine Aufmerksamkeit wieder ganz den übrigen Bewohnern des zweistöckigen Hauses widmen.

Engarl führte eine Gruppe verängstigter Dorfbewohner an, die sich um ihn versammelt hatte. Sie rannten, als wäre der Dämonenvater persönlich hinter ihnen her, doch für die einfachen Bürger war der Vergleich durchaus naheliegend. Noch niemals zuvor hatten sie dem Schrecken einer Schlacht gegenübergestanden so wie er. Noch nie hatten sie die Klinge aus dem Bauch eines Feindes gezogen und mit kaltem Lächeln erkannt, dass die Wunde dessen Tod bedeutete.

Auf dem Weg zum Westtor des Dorfes schlossen sich ihm noch weitere Bewaffnete an. Es waren allesamt nur Bauern, die zu ihren Forken und Äxten gegriffen hatten, doch Engarl war dankbar für jeden kräftigen Mann an seiner Seite.

»Was sind das für Dämonen?«, fragte einer der Männer angsterfüllt, und Engarl erkannte die Stimme als die von Raidyn, einem kräftigen Burschen, der vor Kurzem erst die Schwelle zum Mannesalter überschritten hatte.

»Weiter!«, trieb Engarl die Leute an. Er wollte ihnen die schreckliche Wahrheit nicht offenbaren und sie nicht noch mehr ängstigen, als diese Monster es bereits taten. Die einfachen Menschen begriffen nicht, aber er tat es. Es war vollkommen unwichtig, wer der Feind war. Entweder man war ihm gewachsen und schlug ihn zurück, oder man war es nicht und floh oder starb. Engarl hatte sich für die Flucht entschieden und diese Menschen folgten ihm. Sollten sie diese Nacht überleben, wäre genug Zeit, sich den Kopf über die Ereignisse zu zerbrechen. In diesem Moment jedoch galt es, nur zu überleben.

Etwa hundert Schritt voraus konnte er die Palisade erkennen, die sich als dunkler Schatten gegen den vom Mondlicht schwach erleuchteten Nachthimmel abzeichnete.

»Wir haben es gleich geschafft!«, rief er seinen Begleitern zu und schöpfte aus seinen Worten ebenso viel Mut wie aus dem Rettung versprechenden Anblick des Dorfwalls.

Ein tiefes Grollen hinter ihm ließ ihn kurz einen Blick über die Schulter werfen und beinahe vor Angst erstarren. Zwei der mörderischen Kreaturen verfolgten sie und holten sie mit langen Schritten leicht ein. »Lauft weiter!«, befahl er den Leuten und zog selbst sein Schwert, eine gut gearbeitete Klinge, die schon seit Generationen im Besitz seiner Familie war. Der blanke Stahl funkelte kalt im Mondlicht. Raidyn baute sich neben ihm auf, ebenso ein Großteil der übrigen Männer, die mit Engarl geflohen waren. »Die anderen versuchen mit den Frauen und Kindern zu entkommen«, sagte Raidyn, und Engarl bemerkte anerkennend, dass der Junge damit kämpfte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.

Der Krieger warf sich mit einem Schrei, der hauptsächlich ihm selbst Mut machen sollte, nach vorn und seine Gefährten folgten ihm.

Fhagg erreichte die Gruppe als Erster und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Hauer. Er preschte ungebremst in die Wand aus Äxten und Mistgabeln, die die schwächlichen Menschen ihm entgegenstellten. Eine Axt grub sich tief in sein rechts Bein, und er spürte den Biss einer Forke, die sich in seine linke Seite bohrte.

Dennoch grunzte er zufrieden, denn er spürte ebenso die Knochen zweier Menschen splittern, als sein Schwung ihn einfach durch ihre Reihe trieb und seine Klauen links und rechts von ihm etwas trafen. Vermutlich waren es sogar die, die ihn verletzt hatten, denn es folgten keine weiteren Treffer.

Der Troll warf sich in eine halbe Drehung, und kaum dass seine Füße den Boden berührt hatten, sprang er bereits wieder nach vorn und den Menschen in den Rücken. Aregg schnaubte verächtlich, als er sah, dass Fhaggs Angriff bereits zwei Opfer nach sich gezogen hatte und nur noch einige wenige Menschen aufrecht standen. Mit dieser Gruppe würde er keinen Spaß mehr haben, also konzentrierte er sich auf die Menschen, die ihre Flucht fortgesetzt hatten.

Er stürmte in großen Sätzen an der Gruppe vorbei und erwischte beinahe im Vorbeieilen einen Menschen an der Schulter, doch der Krieger – zumindest unterstellte Aregg ihm eine solche Position angesichts des Schwertes, das er führte – wich seinem Schlag geschickt aus und traf ihn im Gegenzug selbst mit seiner scharfen Waffe. Aregg spürte, wie die Klinge ihm die linke Pranke abtrennte und warmes Blut aus der Wunde schoss, doch er grunzte nur wütend und rannte weiter. Für seine Beute würde er nicht beide Hände brauchen, und die Wunde schloss sich bereits nach wenigen Schritten wieder.

Dunkles Trollblut ergoss sich über ihn, als er dem vorbeistürmenden Monster die Hand abschnitt. Engarl hatte erwartet, dass die Wunde seinen Gegner, wenn schon nicht aufhalten, so doch zumindest von der Flüchtlingsgruppe ablenken würde. Stattdessen rannte der Troll ungebremst weiter und ließ die abgetrennte Klaue als grausige Trophäe zurück.

Der Krieger blinzelte eine Träne beiseite angesichts der Verheerung, die der Troll unter den Frauen und Kindern verbreiten würde. Doch für Trauer gab es jetzt keinen Platz, nur Hoffnung auf Rache erfüllte seine Gedanken. Sie alle würden heute sterben; Engarl wünschte lediglich, noch eines der Monster mit sich zu nehmen.

Ein lebloser Körper fiel vor ihm in den Staub. Es war Raidyn – oder das, was von ihm übrig war. Der Brustkorb war von den Hieben des Trolls regelrecht zerfetzt worden und Gedärme quollen aus der tiefen Bauchwunde. Engarl hatte schon häufiger Tote gesehen, doch dies war weit schlimmer. Der grausige Anblick ließ ihn würgen und beinahe auf die Knie sacken.

Die Trolle töteten nicht einfach – sie schlachteten.

Die Schreie der Frauen verrieten ihm, dass der zweite Schlächter die Flüchtlinge eingeholt hatte.

Tränen strömten ihm übers Gesicht, als er sein Schwert mit beiden Händen packte.

Fhagg warf den leblosen Körper achtlos über die Schulter, wie ein Stück Holz, das ihm zufällig in die Hände gefallen war. Die Menschen hatten wohl ihr Bestes gegeben, doch jämmerlich versagt. Außer einer weiteren Wunde, die ihm sein letztes Opfer zugefügt hatte, waren keine weiteren Treffer zu sehen. Und die einzigen beiden Verletzungen verheilten bereits wieder.

Areggs wildes Brüllen und die hysterischen Schreie der Menschenfrauen sagten ihm, dass der Kampf bald vorüber war.

Da durchzuckte gleißender Schmerz seinen Körper und eine Schwertspitze brach plötzlich aus seinem Bauch hervor. Offenbar hatte er einen Menschen übersehen.

Ein zufriedenes Grollen entrang sich seiner Kehle, denn dieser letzte Gegner schien zugleich der gefährlichste von allen zu sein.

Fhagg trat einen Schritt nach vorn und befreite sich mit einem schmatzenden Geräusch von der Klinge des Menschen. Er drehte sich auf dem linken Fuß und streckte die linke Pranke in einem weiten Rückhandschwinger aus, da er erwartete, dass der Mensch sofort nachsetzen würde. Doch sein Gegner überraschte ihn aufs Neue. Der Mensch hatte sich in eine defensive Haltung zurückgezogen und erwartete seinerseits den Angriff des Trolls.

Fhagg fuhr sich mit der Zunge über die spitzen Reißzähne und bleckte sie zu einer Art Grinsen. Dieser hier würde ihm sogar einen echten Kampf bieten.

Unter wütendem Gebrüll sprang der große Troll nach vorn, mit einer Schnelligkeit, die man einem Monster von knapp vierhundert Pfund nicht zutrauen würde. Er schwang seine Klauen scherenartig vor der Brust, doch wieder traf er nichts, denn der Mensch war in einer Hechtrolle unter ihm hindurchgesprungen und kam hinter ihm auf die Beine.

Wieder spürte Fhagg den Biss der Klinge; diesmal zog der Mensch eine blutige Schneise durch seinen Rücken, was dem kräftigen Jäger einen kurzen Schmerzensschrei entlockte.

Engarl knurrte zufrieden, als seine Klinge Muskeln und Sehnen des Trolls zerschnitt. Doch seine Zufriedenheit hielt nicht lange an, als er bemerkte, dass die Wunde, die er dem Monster zuvor verpasst hatte, sich bereits wieder schloss.

Er musste seine Zurückhaltung aufgeben, oder er hätte keine Chance, seinen Gegner tödlich zu verletzen.

Der Troll taumelte vom letzten Treffer einen Schritt nach vorn und schrie vor Schmerz. Engarl ließ alle Vorsicht fahren und setzte sofort nach, packte das Schwert fest mit beiden Händen und hackte regelrecht auf das Monster ein.

Seine Klinge drang tief in die Schulter des Trolls ein und trennte beinahe den Arm des Ungeheuers ab. Sie waren gefährliche Kämpfer, mit erstaunlichen regenerativen Fähigkeiten, doch ihre Körper waren weich und wirkten eher knorpelig als von Knochen getragen.

Er bekam sein Schwert nicht sofort wieder frei, und als der massige Troll sich wütend zur Seite warf und dabei auf einem Fuß herumwirbelte, musste er seinen Griff lösen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Geistesgegenwärtig zog er sich in einer Rückwärtsrolle weiter von dem Monster zurück und packte dabei die Axt, die neben dem toten Raidyn auf dem Boden lag.

Fhagg brüllte hasserfüllt und vor Schmerz. Dieser Mensch war alles andere als ungefährlich. Der Troll versuchte den rechten Arm zu heben, doch die Muskeln wollten ihm nicht gehorchen. Wütend packte er die Klinge mit der linken Pranke und riss sie sich aus der Schulter. Der Mensch war bereits wieder auf den Beinen und hielt eine große Axt in seinen Händen.

Fhagg kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und warf das Schwert achtlos beiseite. Ein warmes Kribbeln verriet ihm, dass die Wunde an seinem Rücken bereits wieder verheilte, doch die Verletzung seiner Schulter würde einige Zeit der Ruhe benötigen; es würde Stunden dauern, bevor er den Arm wieder voll bewegen konnte. Und mit dieser Axt könnte der Mensch ihm eine noch viel schrecklichere Wunde schlagen. Der Jäger überlegte für einen kurzen Moment, ob er sich aus dem Kampf zurückziehen sollte, dachte dann aber an Broggh und daran, was der Anführer mit ihm anstellen würde.

Der Troll schüttelte trotzig den Kopf und Engarls Hoffnung auf ein Ende dieses Kampfes schwand innerhalb eines Herzschlages. Wenn selbst eine so schwere Wunde das Monster nicht zum Rückzug zwingen konnte, dann würde es bei ihrem Kampf nur einen Kontrahenten geben, der am Ende noch atmete.

Engarl packte die Axt fest mit beiden Händen und wollte gerade zum Angriff in die Knie gehen, als der Troll sich plötzlich entspannte und in einer grässlichen Fratze zwei Reihen scharfer Zähne präsentierte.

Zu spät erkannte Engarl den Grund für diese Haltung – und seinen Fehler.

Er hatte den zweiten Troll vollkommen vergessen!

Heißer Schmerz durchfuhr ihn, als eine mit Klauen bewehrte Pranke ihm quer über die Schultern schlug und sich dabei tief in sein Fleisch grub. Sein rechter Arm wurde völlig taub und er bemerkte, wie ihm die Axt aus den Händen glitt. Ein zweiter Schlag trieb ihm eine blutige Trollhand von hinten durch den Bauch, doch er spürte bereits nichts mehr.

Als der Troll seine Pranke und die daran hängenden Eingeweide wieder aus seinem Rücken riss, sackte Engarl leblos in sich zusammen.

Ein wütendes Schnauben entwich ihm, als er das Geschrei der Trolle vernahm. Diese Tiere, dachte Karandras für sich. Brogghs ungestümes Wesen könnte ihm noch so manche Probleme bereiten. Der Mensch wollte allerdings nicht leugnen, dass ihm die Brutalität der Trolle mehr als nur gefiel. Seit er seine frühere Existenz hinter sich gelassen hatte, war das Gefühl von Verbundenheit mit und vor allem das Mitgefühl für andere Menschen verschwunden. Er wusste, dass er es früher besessen hatte. Bilder von Menschen schwirrten durch seinen Geist und er erkannte ihre Gesichter, konnte sich jedoch nicht an ihre Namen erinnern oder daran, was sie ihm einmal bedeutet hatten.

Aurelion hatte ihm die Wahrheit gezeigt. Und in dieser Wahrheit war kein Platz für Milde und Vergebung.

Es gab nur Platz für seine Rache an den Göttern!

Bisher hatte er sich noch keine Gedanken über seinen weiteren Weg gemacht. Seit Mardus Vernichtung war er einfach nach Westen gewandert, stets von den Trollen begleitet, deren Treue Thaurg und damit auch Aurelion gegenüber nun ihm galt.

Er mochte die Trolle zwar nicht besonders, doch ihre bloße Anwesenheit schien sämtliche anderen Raubtiere von ihm fernzuhalten. Ein Umstand, der seine Reise mit Sicherheit erleichtern würde.

Früher hatte er nur wenig über die Geografie des Kontinents gewusst – heute wusste er alles. Aurelion hatte ihm alles nötige Wissen anvertraut.

Der Göttervater war von seinen Kindern verraten worden und in die Niederhöllen verbannt. Und Aurelion hatte ihm gezeigt, wo das Portal zu finden war.

Weit im Westen.

In Surdan.