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Abgründe

Karandras hasste die Berge. Der Pass über die Todfelsen war selbst im Sommer ein Wagnis und der Mensch hatte große Probleme auf dem lockeren Untergrund. Die Goblins und Trolle kamen ohne Probleme vorwärts, entweder weil sie stark genug waren oder geborene Kletterer. Und auch die Gnome fühlten sich in den Bergen zu Hause. Nur er selbst war unsicher und langsam. Und es blieb niemandem verborgen.

Die Gnome waren ihm treu ergeben, doch die Goblins schienen ihn mehr und mehr infrage zu stellen, und das konnte er sich nicht leisten. Umso glücklicher war Karandras, als sie eine Abzweigung passierten, die er in seiner Vision gesehen hatte.

»Halt!«, sagte er und der Befehl verbreitete sich wie ein Lauffeuer. »Ich muss diesen Weg gehen«, sagte er.

Baldrokk blickte ihn fragend an. »Aber der Pass verläuft nach Norden.«

Karandras nickte. »Und dorthin wirst du die Armee führen.« Er deutete auf die Abzweigung. »Dort oben werde ich meine Festung erbauen.«

Der Gnomenkönig nickte. Er stellte keine Fragen, sondern gehorchte.

Karandras befahl einigen hundert Goblins ihn zu begleiten und machte sich auf den Weg. Hinter sich hörte er Baldrokk einige Befehle bellen und die Armee sich wieder in Marsch setzen.

Er selbst und die Goblins machten sich an den Aufstieg über einen schmalen Pfad. Mit jedem Schritt hob sich Karandras’ Laune, denn er wusste, was ihn am Ende des Wegs erwarten würde: das Hochplateau seiner Vision.

Es war genau so, wie er es aus seinem Traum in Erinnerung hatte. Eine ebene, schneebedeckte Fläche, als hätte man den Gipfel abgeschnitten. Dunkle Wolken zogen dicht über ihnen hinweg. Man hatte beinah den Eindruck, als könne man die Hand ausstrecken und sie berühren.

Die Himmlische Festung ist zum Greifen nah!, dachte Karandras aufgeregt.

Die Goblins blickten sich fragend um, doch der Herold des Aurelion kümmerte sich nicht um sie. Er sank auf ein Knie hinab und legte die Hände auf den weichen Schnee. »Herr, gib mir die Kraft, dir eine Festung zu errichten«, begann er sein Gebet an den Dämonenmeister. »Die Götter müssen für ihren Verrat an dir bestraft werden! Gib mir die Macht, die Kanduri zu vernichten! Wirke durch mich, denn ich bin dein williges Werkzeug!«

Irgendwo tief unten im Berg, in den Gebeinen der Welt, ertönte ein tiefes Grollen und rumpelte durch die Felsen zum Himmel empor. Der Boden unter ihm erzitterte und er konnte deutlich Aurelions Zorn darin fühlen.

»Ja!«, rief Karandras aus. »Gemeinsam werden wir sie vernichten! Eine neue Festung soll entstehen, um dich zu ehren!«

Schwarze Felsen brachen aus dem Inneren des Berges hervor, wuchsen langsam heran und formten Mauern und Türme. Immer höher schoben sich die Konstrukte in den Himmel hinauf, begleitet von einem wehklagenden Wind, der durch die Zinnen blies, und dem Donnergrollen der Niederhöllen, das nicht verebben wollte.

Karandras wiederholte unablässig sein Gebet, ließ die Festung um sich herum entstehen, bis sich der Bergfried trotzig in die Wolkendecke bohrte.

Karandras stand auf und blickte sich voll Zufriedenheit um. »Bemannt die Wehrgänge!«, wies er die Goblins an. Die kleinen Monster flatterten wie aufgeschreckte Hühner durcheinander, doch seine durchdringende Stimme ließ sie sich wieder sammeln.

Trotz aller Feigheit waren sie Kinder des Dämonenmeisters.

Karandras blickte am Bergfried empor, der die Wolkendecke durchbrach, die sich dunkel und von wütenden Blitzen durchzuckt um ihn formierte.

Bald, ihr feigen Kanduri, bald sind die Götter nur noch eine verblassende Erinnerung.

*

Sein Weg führte Gordan bald an einen der vielen versteckten Zugänge zur Feste Gulmar. Der Magier ging schon seit Jahren bei den Zwergen ein und aus und Grimmons Kinder vertrauten ihm.

So tauschte der Magier den mühsamen Westpass gegen die meisterlich behauenen Stollen der Feste. Und obwohl die Reise unter der Erde noch einige Tage dauern würde, hatte Gordan nicht mehr das Gefühl, unterwegs zu sein. Er marschierte durch die Stollen – an den Abenden fand er sich in einem kleinen Sammelpunkt der Zwerge ein und schlief dort. Er passierte Kontrollpunkte und Wachstationen, jedoch begegneten ihm keine Minenarbeiter mehr.

Drei Schildwachen begrüßten ihn am eigentlichen Eingang der Feste mit wenigen, aber herzlichen Worten.

»General Furran wird Euch sicher sehen wollen«, sagte einer von ihnen.

Gordan nickte und ließ sich in den Kriegssaal bringen.

Hatte er letztes Mal das Gefühl gehabt, nur wenige Zwerge zu sehen, die nicht für den Kampf gerüstet waren, so suchte er sie nun vergebens.

Jeder Mann und jede Frau war bis an die Zähne bewaffnet. Den Frauen und Alten kam dabei meist die Aufgabe zu, auf die Kinder zu achten. Umso überraschter war Gordan, dass unter den patrouillierenden Zwergen viele graue Bärte zu sehen waren.

Furran, König Gulmar, Prinz Amosh und weitere Berater diskutierten miteinander, während sie um den Kartentisch herum verteilt standen.

Gordan bemerkte sofort den Grund ihrer hitzigen Debatte: Direkt oberhalb der Feste Gulmar erhob sich eine schwarze Festung.

»Was ist das?«, hauchte der Magier überrascht.

Die Zwerge wandten sich ihm zu und Gulmar ergriff sogleich das Wort: »Karandras hat eine Festung … wachsen lassen.«

»Wachsen lassen?«, wiederholte Gordan ungläubig.

Gulmar nickte. »Die Gebirgsläufer haben beobachtet, wie sie einfach aus dem Boden wuchs. Plötzlich war sie da.«

»Direkt über uns. Das kann nur bedeuten, dass er uns angreift!«, rief ein anderer Zwerg.

Furran schüttelte abwehrend den Kopf. »Sein Heer marschiert weiter gen Norden.«

»Und die Goblins, die bei Karandras sind?«

Der General machte eine wegwerfende Handbewegung. »Feiges Pack!«

»Und die Festung ist einfach gewachsen?«, unterbrach Gordan die Zwerge und fixierte das Gebilde auf der räumlichen Karte.

»Ja«, antwortete Gulmar und musterte den Magier mit seinen scharfen Augen.

Gordan blickte sich um. »Wo genau über uns ist diese Festung?«

»Seht ihr?«, regte sich Amosh auf. »Gordan würde meine Idee unterstützen!«

»Welche Idee?«

Gulmar grinste spitzbübisch. »Die Festung steht auf dem Plateau, genau über der seufzenden Höhle.«

Gordan runzelte die Stirn.

»Der Berg ist zur Hälfte hohl!«, rief Amosh. »Wir schlagen die Decke ein und die Festung stürzt in die Tiefe!«

»Oder mitten in die Feste Gulmar!«, hielt ein graubärtiger Zwerg dagegen.

Gordan fuhr dazwischen und verschaffte sich so Aufmerksamkeit. »Der Berg unter der Feste ist hohl?«, fragte er interessiert.

Gulmar nickte. »Ja, schon seit dem Anbeginn der Zeit. Ein bodenloses Loch. Früher soll der Berg Feuer und Tod gespuckt haben, bis die Götter ihn verschlossen.«

»Von dort fällt man direkt in die Niederhöllen!«, behauptete ein anderer Zwerg.

»Der Berg ist ein Portal zu den Niederhöllen«, sagte der Priester Bain in leisem Ton. »Deshalb hat Grimmon uns befohlen hierzubleiben. Wir sind die Wächter des Tores.«

Es trat betretenes Schweigen ein.

»Perfekt!«, unterbrach Gordan die Stille schließlich. »Wenn es ein Tor zu den Niederhöllen ist, wieso schicken wir Karandras dann nicht dorthin zu seinem Meister?«

»Das Risiko ist zu groß«, widersprach Gulmar.

Gordan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Kaum größer, als hier auf den Sieg des Dämonenpaktierers zu warten.«

Der Zwergenkönig schwieg, denn dieser simplen Logik konnte er nicht widersprechen.

»Zeigt mir diese Höhle«, bat Gordan nun.

Im Thronsaal des Königs hatte man einen Durchbruch zur Höhle geschlagen, wo zwei Zimmerleute gerade eine behelfsmäßige Tür errichteten. Gordan griff nach einer Fackel und blickte ins Innere des Berges.

Warme Aufwinde zerrten an seinen Haaren und seiner Kleidung. Er glaubte ganz tief unten, im Inneren der Welt, ein rötliches Leuchten zu erkennen.

»Die Niederhöllen«, flüsterte einer der Zwerge. »Dort unten liegen sie.«

Gordan zog den Kopf zurück und dachte einen Augenblick nach.

»Wir brauchen eine Treppe«, stellte er schließlich fest.

»Es würde uns eine Ewigkeit kosten, darin eine Passage zu errichten«, beklagte einer der Zimmerleute.

Gordan verschränkte die Arme vor der Brust und strich sich mit der Linken über den Kinnbart. »Euch vielleicht … mich aber nicht.«

Er trat einen Schritt vor, reckte die Arme in die Höhle hinein und begann einen magischen Singsang.

Die Zwerge blickten ihn neugierig an. Die Neugier schlug in Verwunderung um, als der Zauber ihnen den Hammer aus der Hand riss und Holzbretter durch die Luft schweben ließ.

»Mehr Holz! Mehr Werkzeuge!«, wies der Magier die Zwerge an, als die ersten Bretter durch die Tür glitten und sich dort zu einem Steg zusammenfügten.

Gulmar hatte die Bitte längst zu einem königlichen Befehl gemacht, und von überall her brachten Zwerge Holz, Nägel, Steine, Metallstangen und sonstige Dinge, die der Magier vielleicht brauchen könnte. Der stand mitten im Türrahmen und dirigierte seine magischen Untergebenen. Schweiß trat ihm aus allen Poren und er atmete schwer. Das Hämmern wurde immer leiser, je weiter der Bau der Treppe voranschritt.

Plötzlich sank Gordan erschöpft auf die Knie hinab. »Geschafft«, keuchte er.

Die Zauber dauerhaft aufrechtzuhalten, damit die Treppen und Brücken nicht einstürzten, zehrten an seinen Kräften, so enorm sie auch waren. Er durfte keinen Wimpernschlag in seiner Konzentration nachlassen oder alles würde in sich zusammenfallen. Und dann wären die Feinde auf dem Gipfel gewarnt.

Gordan wusste, dass der Zauber ihn schwächte und er seinen Mitstreitern im Kampf eine kleinere Hilfe wäre, doch er musste dieses Risiko in Kauf nehmen. Karandras durch die Höhle zu erreichen war ihre einzige Chance.

Gulmar trat als Erster durch die Tür, entgegen den Protesten der umstehenden Zwerge. »Es hält!«, kam nach kurzer Zeit die Bestätigung und die übrigen Zwerge eilten ihrem König hinterher.

Gordan lächelte zufrieden. Die Zwerge würden seine flüchtige Konstruktion verbessern und stabilisieren, sodass keine Gefahr bestünde abzustürzen.

»Scheiße«, sagte Gulmar trocken nach einem prüfenden Blick auf die Felskuppel.

Gordans Steg endete auf einem natürlichen Sims. Und auch auf dem Weg waren immer wieder natürliche Felsvorsprünge einbezogen, ganz so, als hätte er bei der Ausführung des Zaubers die komplette Höhle vor Augen gehabt.

Nun standen sie knapp unter der Decke auf einem Vorsprung, der Platz für zwanzig Mann bot.

»Das hatte ich befürchtet«, fuhr der Zwergenkönig fort.

»Was ist es, König?«, fragte Gordan unwissend, doch auch die übrigen Zwerge schüttelten niedergeschlagen den Kopf.

»Dieser Stein«, erklärte Gulmar, »ist nicht zu besiegen. Er ist härter als Stahl. Was immer die Götter mit dieser Platte versiegeln wollten, es sollte niemals mehr das Gesicht der Welt erblicken.«

»Oder niemand sollte versehentlich in den Schlund fallen …«, sinnierte Gordan.

»Wir können den Berg nicht einstürzen lassen«, stellte Gulmar mit Endgültigkeit fest. »Nicht in hundert Jahren.«

Gordan seufzte und blickte sich um. »Und dieser Stein ist überall um uns herum?«

Gulmar schüttelte den Kopf. »Nein, an ein paar Stellen könnten wir durchbrechen. Aber das reicht nicht, um die Platte zum Einsturz zu bringen.«

Gordan nickte. »Aber es würde reichen, um auf den Gipfel zu gelangen, nicht wahr?«

Ein Lächeln stahl sich auf Gulmars Züge. »Aye, das wohl.«

»Dann bereitet alles vor«, sagte Gordan. »Wir müssen den Verteidigern des Passes zu Hilfe kommen.«

»Und Karandras?«, fragte Gulmar verblüfft.

»Ich werde seinen Richter herbringen«, versicherte Gordan mit einem Lächeln.

*

Behutsam legte sie den Jungen auf ein weiches Kissen. »Lingalf, mein geliebter Sohn«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Schon bald wirst du die Krankheit nicht mehr fürchten müssen.«

Ondarin verlagerte das Gewicht unruhig von einem Bein aufs andere. Herrin, tut es nicht!, flehte er in Gedanken, war aber zu verängstigt den Mund aufzumachen.

»Das Blut des Trolls machte mich stark«, fuhr Iphelia fort. »Und nun wird mein Blut dich stark machen, mein Sohn.«

Sie hob langsam das Messer in die Höhe und schlug den Ärmel ihres linken Arms zurück.

Wie sehr Ondarin hoffte, dass Cavlan sie aufhalten würde, doch der Meuchler stand nur reglos am anderen Ende des Raumes. Niemand war noch in der Burg, außer ihnen dreien und dem Kind. Iphelia hatte sämtliche Diener entlassen und aus der Burg gejagt. Ebenso die Krieger.

Ein eisiger Schauer fuhr Ondarin über den Rücken, als er an Rynessas Schicksal dachte. Die Amme war bei Lingalf gewesen wie immer. Iphelia hatte ihr den Jungen mit einer Hand aus den Armen gerissen und mit der anderen ihre Kehle zerfetzt, weil sie es gewagt hatte, »den zukünftigen König zu berühren«.

Ondarin wusste, dass er etwas unternehmen musste, dem Wahnsinn Einhalt gebieten, doch er war zu schwach. Noch immer hoffte er Iphelia retten zu können, wenn er nur zu ihr durchdringen würde.

»Mein Blut wird dich stark machen«, wiederholte Iphelia und hob die blutende Wunde über Lingalfs Mund.

In dem Moment ertönte ein lauter Schrei vor dem Burgtor.

»Iphelia!«

Ondarin erkannte Throndimars Stimme. »Er ist da!«, hauchte er fassungslos. »Herrin! Hört auf mit diesem Wahnsinn. Noch könnt Ihr zurück!«

Sie blickte ihn kalt und voller Verachtung an. »Schweig.«

Nein, ich kann es nicht zulassen!, durchfuhr es Ondarin. Als würde Throndimars Stimme allein ihm Mut machen. »Nein!«, schrie er und sprang nach vorn. Er griff Iphelias Arm und riss ihn beiseite, als der erste Tropfen gerade Lingalfs Lippen streifte. »Schluss mit dem Wahnsinn!«

Iphelia schrie wütend auf. »Ich werde nicht zulassen, dass Lingalf leidet!« Sie machte einen Satz nach vorn und stieß Ondarin kräftig gegen die Brust.

Der Heiler spürte, wie mehrere Rippen brachen, und taumelte nach hinten. Er hatte gehofft, dass die Wand ihn bremsen würde, aber er traf auf ein Fenster, brach hindurch und fühlte noch, wie er fiel. Die Luft zerrte an ihm, doch er fühlte sich frei.

Ich wollte Euch immer nur helfen, dachte er wehmütig.

»Und wie willst du nun vorgehen?«, fragte Barsjk angesichts des verschlossenen Burgtors.

»Nicht einmal ihre Krieger sind noch bei ihr geblieben«, bemerkte Throndimar grimmig.

»Weil sie völlig verrückt ist!«, entgegnete Barsjk. »Und ein Monster. Iphelia hat längst jeden Halt in unserer Welt verloren.«

»Aber du bist sicher, dass Ondarin die Wahrheit gesagt hat?«

Der Berenthifürst nickte stumm. »Sie steckt hinter den Angriffen der Barbaren, kein Zweifel.«

Throndimar löste Sardasil aus der Schlaufe am Rücken und schwang den mächtigen Zweihänder hin und her, um die Muskeln zu lockern.

»Warte.« Barsjk hielt ihn am Arm zurück. »Sie ist kein Mensch mehr, Throndimar.«

»Das hat man einst auch von mir behauptet«, gab der Krieger kalt lächelnd zurück.

Sie stapften auf das Tor zu und Throndimar hämmerte mit seiner Faust laut dagegen. »Fürstin Iphelia!«, brüllte er. »Ich bin gekommen, dich zu richten!«

Eine ganze Weile geschah nichts. Dann wurde plötzlich ein Riegel beiseitegeschoben, und die Holztür schwang knarrend auf. Ein blutüberströmter Mann kam ihnen entgegengetorkelt und fiel vor Throndimars Füßen in den Dreck.

Es war Ondarin.

»Endlich«, hauchte er. »Ich habe getan, was ich konnte«, stammelte er weiter. »Ich wollte ihr doch bloß helfen. Wollte … ihr …« Dann schloss er die Augen und hörte auf zu atmen.

Throndimar stieg achtlos über die Leiche hinweg und verschwand durch das Tor im Innenhof der Burg. Barsjk betrachtete den Toten mit einer Mischung aus Abscheu und Mitgefühl. »Möge der Ewige deine Seele in die nächste Welt geleiten«, flüsterte er, zog die beiden Spalthämmer und folgte dem Krieger.

Throndimar hatte den Burghof bereits überquert und näherte sich dem Haupthaus. Barsjk verfiel in Laufschritt und holte Throndimar gerade noch ein, ehe dieser durch die Tür im Inneren des Gebäudes verschwand.

Das Haupthaus war verlassen. Keine Bediensteten oder Wachen begegneten ihnen und kein Laut war zu hören.

»Wo sind die alle hin?«, fragte Barsjk.

Throndimar zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Sind vielleicht den Kriegern gefolgt.« Er blickte sich kurz um. »Iphelia wird sicherlich in ihren Gemächern auf uns warten.«

Langsam schritten sie durch das Gebäude, vor jeder Kreuzung und Ecke hielten sie kurz inne und rechneten mit einem Hinterhalt. Doch ihr Weg blieb unbehelligt.

Schließlich erreichten sie das Stockwerk mit Iphelias persönlichen Zimmern. Throndimar steuerte zielsicher auf das Schlafgemach der Fürstin zu und Barsjk blieb ihm dicht auf den Fersen. Mit einem kräftigen Tritt öffnete Throndimar die Tür und sie gingen hinein.

»Willkommen in meiner Burg!«, begrüßte Iphelia sie übertrieben freundlich.

Noch ehe sie zu sprechen begann, fiel Barsjk der Mann im Hintergrund auf. Er war einer der Männer, die Iphelia dafür bezahlte, sich als Barbaren auszugeben.

Auch Throndimar war der Mann nicht entgangen, denn er ignorierte Iphelia völlig. »Du!«, stieß er zwischen zusammengepressten Kiefern hervor.

»So sieht man sich wieder, Bauer«, entgegnete der Mann und tippte sich dabei an die Augenklappe. »Zeit, die Rechnung zu begleichen.«

»Für ihren Tod kannst du nicht mit deinem wertlosen Leben bezahlen«, spuckte Throndimar verächtlich aus.

Der Mann zog ein Breitschwert und machte einige Schritte zur Seite. »Ich hätte dich damals töten sollen. Aber Iphelia hat mit deinem Kommen gerechnet und so kann ich diesen Fehler nun ausgleichen.«

»Nein. Ich hätte dich damals töten sollen!« Throndimar ließ alle Vorsicht fahren und stürmte vor.

Der Einäugige ließ sich rasch zurückfallen und verschwand durch eine Seitentür.

Barsjk wollte Throndimar noch zurückhalten, doch der Krieger eilte seinem Widersacher blindlings hinterher.

Barsjk ermahnte sich selbst zur Ruhe und konzentrierte sich auf Iphelia. Die Fürstin stand nahezu regungslos da und musterte ihn amüsiert. Sie trug keine sichtbare Waffe, nicht einmal einen Dolch, was Barsjk kaum verwunderte angesichts ihrer letzten Begegnung. Doch wo sind die Fänge und die Klauen hin?, fragte er sich.

»Barsjk von den Berenthi«, spöttelte sie. »Der geborene König von Kanduras, nicht wahr? Das war es doch, was Gordan dir versprach, oder?«

Barsjk runzelte die Stirn, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Schritt für Schritt näherte er sich Iphelia und hielt seine Waffen bereit.

»Glaubst du wirklich, ich hätte keinen Informanten in deiner Nähe?«, lachte sie laut. »Seit wir Telphari den Grenzstreit mit euch Berenthi führten, ließen wir deinen Stamm beobachten.«

Barsjk zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon. Jetzt stehen wir beide allein gegeneinander.«

»Ah, der starke Krieger will die Entscheidung durch seine Waffen erzwingen«, sinnierte sie. »Also schön.«

Plötzlich sprang sie nach vorn und zog einen langen Dolch aus einer Scheide, die sie hinter dem Rücken trug.

Barsjk entging dem Hieb ohne große Mühe und sein linker Hammerkopf traf Iphelia an der Schulter, die knackend aus dem Gelenk brach. Das Axtblatt des rechten Hammers trieb er der Fürstin kraftvoll in den Rücken, als ihr Schwung sie an ihm vorbeitrug.

Die Waffe grub sich tief in ihr Fleisch und wurde Barsjk aus der Hand gerissen.

»Hier endet es«, sagte Barsjk leise, als Iphelia schlaff zu Boden sackte. Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit durch ein leises Brabbeln angezogen. Hinter dem Tisch, neben dem Iphelia gestanden hatte, war eine Wiege versteckt, in der ein kleines Kind lag. Lingalf!, erkannte Barsjk. Bei den Göttern, ich habe ihn zum Waisen gemacht!

Er beugte sich gerade über das Kind, als ein scharfer Pfiff ihn zurückhielt.

»Hände weg von meinem Sohn! Niemand darf den König berühren!« Iphelia hatte sich wieder erhoben und hielt den blutigen Spalthammer in ihrer Hand. Der linke Arm schien völlig unversehrt, das zuvor zerstörte Gelenk wieder geheilt.

»Wie ist das möglich?«, hauchte Barsjk.

»Ondarin hat ein Wunder vollbracht«, sagte Iphelia kalt. Sie präsentierte kurze Fänge in ihrem Unterkiefer in einem breiten Lächeln. Ihre Fingernägel wuchsen zu langen Klauen heran. »Heute wirst du sterben!«, spie sie aus und sprang Barsjk wie eine ausgehungerte Wildkatze an.

Throndimar warf sich dem Einäugigen mit aller Kraft entgegen. Die Bilder seiner brennenden Hütte und der sterbenden Nemena flackerten vor seinem Geist auf und eine rasende Wut überkam ihn. Sardasil kam in einem hohen Bogen nieder und Throndimar versuchte den toten Winkel des Einäugigen zu nutzen. Der konterte den Schlag erstaunlich geschickt, indem er die Waffe an seinem Breitschwert abgleiten ließ. Durch ein wenig Druck auf die Klinge schlug er Sardasil beiseite und Throndimar stand jeglicher Deckung beraubt vor ihm.

Der Krieger sprang aus einem Instinkt heraus nach vorn und hämmerte seinem Gegner die Faust ins Gesicht. Der Einäugige taumelte einen Schritt zurück, brachte dabei aber sein Breitschwert zur Parade nach oben, wodurch auch der nächste von Throndimars Hieben geblockt wurde.

»Du kämpfst noch immer schlecht!«, lachte der Mann. »Ich kann nicht verstehen, weshalb man dich als großen Helden feiert.«

Throndimar ignorierte die Worte, sie drangen nicht durch den Vorhang aus Wut und Hass, der seine Sinne abschirmte. Wie ein rasender Bär sprang er auf seinen Gegner zu und täuschte einen hohen Überkopfschlag an. Der Einäugige reagierte wie erwartet und brachte das Schwert zur Parade nach oben. Throndimar führte den Hieb aus, löste jedoch die linke Hand vom Schwertgriff und packte die Waffenhand seines Gegners. Er fand eine Lücke im Griff des Einäugigen und bohrte ihm den Daumennagel in die Handfläche.

Mit entsetztem Blick und unter Schmerzensschreien ließ der Mann das Schwert fallen. Throndimar wähnte sich bereits als Sieger, als eine linke Gerade ihn hart im Gesicht traf. Der metallische Geschmack warmen Bluts erfüllte seinen Mund und er spuckte blutigen Schleim aus, als er einen raschen Schritt nach hinten machte. Er schlug instinktiv mit Sardasil zu und die Klingenspitze stieß auf einen leichten Widerstand.

Beide Krieger lösten sich voneinander, der Einäugige hatte seine Waffe wieder aufgehoben und einen feinen Schnitt auf der Wange.

Throndimars Zorn verebbte allmählich und ließ ihn wieder die Kontrolle über seine Handlungen übernehmen. Er kämpfte die Trauer über Nemenas Tod zurück, zwang sich, sich auf den Moment zu konzentrieren, und versank im vollkommenen Krieger, der er über die letzten Monde geworden war.

»Du wirst für ihren Tod bezahlen«, sagte er kalt. »Aber sag mir vorher noch deinen Namen, damit ich ihn auf dein Grab schreiben kann.«

»Cavlan«, antwortete der Krieger zu seiner Überraschung.

Throndimar nickte, tippte sich mit der flachen Seite des Schwerts gegen die Stirn und ging dann leicht in die Knie. »Diesmal wirst du mir nicht entkommen«, versprach er und griff Cavlan an.

Sardasil flog in einer schnellen Folge aus überkreuzenden Hieben heran und der Einäugige hatte alle Mühe, die Waffe immer richtig einzuschätzen. Throndimar führte seine Klinge in einem kraftvollen Rückhandschlag, den Cavlan erst im letzten Moment parierte. Er drückte das Breitschwert zu Boden und trat kräftig mit dem Fuß darauf. Dabei riss er es Cavlan aus der Hand und nach einem weiteren Tritt rutschte es mehrere Schritt über den Steinboden.

Cavlan blieb wie angewurzelt stehen. »Also schön, diesmal hast du mich besiegt. Bring es zu Ende.«

Throndimar senkte Sardasil und schüttelte den Kopf. »Nicht so«, sagte er kalt.

Der Einäugige runzelte die Stirn.

»Du wirst meiner Rache nicht so leicht entgehen. Nemena starb einen qualvollen Tod«, erklärte Throndimar. »Und deiner soll nicht weniger schmerzhaft werden.«

Cavlan nickte und verlagerte sein Gewicht leicht auf das linke Bein, um sein Schwert schneller erreichen zu können.

»O ja, da liegt deine Waffe«, höhnte Throndimar. »Fast in deiner Reichweite, nicht wahr? Wie damals die Waffe für Nemena. Vielleicht bist du schneller als sie, vielleicht auch nicht.«

»Finden wir es heraus!«, schrie Cavlan und sprang zur Seite.

Zwei große Schritte, dann hätte er die Waffe erreicht.

Kurz bevor seine Hand sich um den Schwertgriff schließen konnte, erstarrte er, verharrte einfach so in der Bewegung.

»Zu langsam«, flüsterte Throndimar in sein Ohr. Sardasil war bis zum Heft in Cavlans Rücken eingedrungen und die blutige Klinge ragte beim Bauch des Mannes wieder heraus.

Throndimar riss die Waffe mitsamt dem sterbenden Cavlan herum und schleuderte den Mann so vom Schwert. Dann kam er langsam näher, jeder Schritt mit Bedacht gesetzt, und er brachte sein Gesicht vor das des Besiegten. »Du wirst nicht gleich sterben, weißt du? Eine solche Wunde braucht ihre Zeit. Doch wie soll ich jetzt sichergehen, dass du mich nicht doch noch von hinten erschlägst?«

Cavlan versuchte zu lachen, aber aus seinem Mund kamen nur blutige Blasen.

»Stirb wenigstens wie ein Mann, wenn du schon nicht wie einer kämpfen konntest«, sagte Throndimar verächtlich und ließ ihn zurück.

Barsjk versuchte sich gegen Iphelias Attacken zu wehren. Die Fürstin griff ihn tretend und wild um sich schlagend an. Doch Barsjk erkannte rasch, dass ihre Fänge die gefährlichste Waffe darstellten. So ließ er viele der Schläge über sich ergehen und konzentrierte sich auf ihr Gebiss, wobei er stets einen kleinen Schritt zurückwich. Mit erstaunlichen Kräften drängte sie ihn gegen die kalte Steinwand des Zimmers und hielt ihn dort fest. Es fiel ihm immer schwerer, ihren Bissen auszuweichen.

Plötzlich erstarben ihre Angriffe so rasch, wie sie begonnen hatten.

Throndimar war hinter Iphelia aufgetaucht, hatte sie am Haarschopf gepackt und hart auf den neben ihnen stehenden Tisch geschleudert. Der Holztisch brach unter der Wucht des Aufpralls zusammen und Iphelia wand sich vor Schmerzen.

»Sie ist nicht menschlich!«, warnte Barsjk. »Sie regeneriert Verletzungen wie ein Troll!«

Iphelia lachte hysterisch. »Ich bin die Zukunft!«

Throndimar rammte ihr den Fuß in den Mund und ihr Kiefer brach mit lautem Knacken. »Ich zeige dir deine Zukunft«, versprach er emotionslos.

»Was hast du vor?«, fragte Barsjk.

Throndimar hielt den Blick starr auf Iphelia geheftet: »Sie ist schuld daran, dass Nemena starb. Und dann wollte sie mich benutzen, um sich selbst auf den Thron zu heben. Ich werde ihr ein wenig Zeit geben, über ihre Taten nachzudenken.«

»Throndimar«, sagte Barsjk mitfühlend. »Lass die Vergangenheit ruhen.«

»Keine Sorge. Ich werde sie mit ihr begraben.« Er wandte sich kurz um. »Geh jetzt. Und vergiss, dass du jemals hier warst.«

»Und was wird aus ihrem Kind?«

Throndimar zuckte gleichgültig mit den Schultern. Dann nahm er Iphelias Kopf in beide Hände und hämmerte ihn mehrmals auf den glatten Steinboden, bis ein großer roter Fleck von einem Schädelbruch zeugte.

»Du bist wirklich kein Mensch mehr«, hauchte Barsjk. Er griff nach dem Kind in der Wiege und rannte davon.

Der Keller der Burg war feucht und modrig. Throndimar hatte eine kleine Zelle des Kerkers ausgesucht. Zwei Schritt in jede Richtung, mehr Raum war nicht vorhanden. Kein Fenster erhellte dieses Verlies. Er schleifte Iphelia hinter sich her, deren Verletzungen tatsächlich schon wieder verheilten. Gerade wollte er sie in die Zelle packen, als sie sich aus seinem Griff wand und ihm in den linken Unterarm biss. Heißer Schmerz brannte in seinen Adern. Throndimar hatte nie zuvor solche Schmerzen gespürt. Es war, als würde sein Arm von innen her verbrennen. Gequält schrie er auf und schlug Iphelia hart mit der Faust ins Gesicht.

Sie taumelte zurück, wobei ihre scharfen Zähne blutige Striemen in Throndimars Unterarm rissen.

»Verfluchte Hexe!«, spuckte Throndimar aus, als Iphelia ihn schon wieder angriff.

In ihrer Rechten hielt sie einen breiten Dolch, mit dem sie auf Throndimars Kehle zielte. Er wich der schlecht geführten Attacke mit Leichtigkeit aus, doch Iphelia hatte damit gerechnet und ihre Linke schnellte vor, erwischte Throndimar an der Hüfte, wo ihre messerscharfen Klauen seine Lederrüstung durchdrangen und das Fleisch darunter zerschnitten.

»Dein Blut wird mich stark machen«, lachte sie und sprang vor.

Throndimar fing sie in der Luft auf, musste sich dann aber ihres schnappenden Mauls und der schlagenden Klauen erwehren. Schließlich bekam er ihre Handgelenke zu fassen und knurrte ihr wütend ins Gesicht. Dann wirbelte er herum und schlug Iphelia gegen die Steinwand. Sie schrie laut auf, doch Throndimar ließ nicht von ihr ab. Er hämmerte ihren Schädel gegen die harte Steinwand, bis ein lautes Knacken ertönte, ihr Blut die Wand bespritzte und sie schlaff zu Boden fiel. Throndimar packte den reglosen Körper mit beiden Händen und warf die Fürstin in die Kerkerzelle. Dann schloss er die Tür und schob den Riegel ins Schloss.

»Keine Sorge«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass dich niemand je findet.«

Er griff sich den Spalthammer, den Barsjk zurückgelassen hatte, und begann nun aus den umliegenden Wänden vereinzelt Steine herauszuschlagen.

Stein für Stein verschwand die Zellentür, bis nur noch eine Mauer übrig war.

»Das ist deine Zukunft, Iphelia«, sagte Throndimar voller Genugtuung und humpelte davon.

*

Die Armee des Sohnes der Dunkelheit war nicht mehr weit entfernt. Ihr lautes Schreien und wildes Lachen wurde durch die aufragenden Berge wie durch einen Trichter verstärkt zu ihnen geworfen. Jhenrid und Faeron standen auf einem kleinen Hügel, von dem aus man den Verlauf der Schlacht würde überblicken können.

Balburan war wenige Stunden zuvor mit dem vereinten Heer des Nordens am Pass eingetroffen.

»Wir sind viel zu wenige«, sagte Jhenrid bitter, als die ersten Monster in Sicht kamen. Riesige mit Eisenplatten gepanzerte Trolle marschierten an der Spitze des dunklen Heerwurms. Ihnen folgten unzählige Goblins, die wild durcheinanderstolperten.

Die Schultern des Fürsten sackten enttäuscht herab. »Mehr ließen sich in der kurzen Zeit nicht finden.«

Faeron überblickte das einige tausend Mann starke Heer. »Es wird reichen müssen«, sagte er mit einem Schulterzucken. Dann blickte er Totenfels fest in die Augen. »Entweder wir halten den Pass oder der Norden geht unter.«

Balburan nickte und blickte sich suchend um. »Wo ist Throndimar?«

Jhenrid schnitt eine Grimasse. »Barsjk und er jagen Fürstin Iphelia. Offenbar steckt sie hinter den jüngsten Angriffen durch Barbaren.«

»Verdammte Schlampe!«, entfuhr es Balburan. »Aber ohne Throndimar wird die Zuversicht der Männer wanken.«

Faeron zuckte mit den Schultern. »Er wird zurückkehren.«

»Rechtzeitig?«, hakte Totenfels nach.

»Das wissen nur die Götter.«

Jhenrid deutete auf die versammelten Krieger. »Jemand sollte ein paar Worte an sie richten.«

Faeron klopfte dem Fürsten aufmunternd auf die Schulter. »Es ist dein Volk, Balburan Totenfels.«

Balburan räusperte sich verlegen. »Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll.«

»Mach ihnen ein wenig Mut«, erwiderte Jhenrid.

Balburan war den beiden dankbar, dass sie in diesem Moment die Förmlichkeiten ablegten und ihn als Gleichen betrachteten. Und dennoch, er wusste nicht, wie er den Männern gegenübertreten konnte. Sie waren ihm gefolgt – nein, nicht ihm. Sie waren dem Ruf Throndimars gefolgt. Throndimar, der Befreier. Der die Orks in die Berge vertrieben hatte.

Ihm wären sie überallhin gefolgt.

Auch ich würde dir folgen, Throndimar, dachte Balburan wehmütig.

»Ich kann es nicht«, gestand er.

Faeron sah ihn eindringlich an. »Sie verdienen mehr, als wortlos in den Tod zu gehen.«

Balburan seufzte, nickte aber schließlich. Er trat vor die versammelte Armee und räusperte sich.

»Wo ist Throndimar? Wo ist der Orkschlächter?«, drangen die ersten Rufe aus den Reihen der Krieger zu ihm.

Balburan hob beschwichtigend die Hände. »Throndimar ist noch nicht hier«, begann er schließlich.

»Was soll das heißen? Hat er Angst?«, riefen die Männer ihm entgegen.

Balburan schüttelte energisch den Kopf. »Throndimar tilgt gerade ein weiteres großes Übel vom Angesicht der Welt! Fürstin Iphelia hat uns alle betrogen. In Wahrheit steckt sie hinter den Angriffen durch Barbaren!«, erklärte Balburan. »Throndimar ist nun dort, um sie zu richten!«

»Warum ist er nicht hier? Ist diese Schlacht nicht wichtiger?«

Balburan nickte. »Da stimme ich dir zu. Aber ihr, die ihr mit Throndimar gekämpft habt, ihr wisst um seine Heißköpfigkeit, habe ich recht?«

Leises Murren zeugte von Zustimmung.

»Throndimar ist in rasender Wut davongeeilt, um Iphelia zu bestrafen.« Er machte eine kurze Pause, in der er seinen Blick über die Männer gleiten ließ. »Und wir sollten in unserem Handeln nicht weniger zornig sein!«, brüllte er. »Wir stehen hier! Hier, wo der Feind in unsere Länder eindringen will. Sie wollen unsere Höfe niederbrennen, unsere Frauen und Kinder verschleppen – doch das lassen wir nicht zu!«

Verhaltener Jubel schlug ihm entgegen.

»Ihr seid nicht länger die Untergebenen eines einzelnen Stammes«, fuhr Balburan fort. »Ihr seid Krieger des Nordens! Verteidigen wir unsere Heimat!«

Die Krieger brachen in lauten Jubel aus. »Er hat recht!«, ertönte es immer wieder aus ihren Reihen.

»Für Kanduras!«, brüllte Balburan. »Land der Götter! Niemals wird ein Dämon über uns herrschen! Krieger des Nordens, lasst sie den Stahl unserer Waffen spüren!«

Die Krieger jubelten laut und zogen ihre Waffen.

Faeron nickte Balburan anerkennend zu.

»Bogenschützen vor!«, befahl Balburan.

Einige hundert Krieger bezogen Stellung hinter den Palisaden. Sie waren allesamt erfahrene Jäger und im Umgang mit ihren Bögen äußerst bewandert. Balburan hatte großes Vertrauen, dass sie einen hohen Blutzoll für den weiteren Vormarsch der Monster verlangen würden. Dahinter machten sich die übrigen Krieger bereit. Sie alle waren mit ihren bevorzugten Waffen ausgerüstet und hatten sich zu losen Gruppen formiert.

Angesichts der Masse an Feinden, die sich nun immer breiter vor ihnen formierte, schwankte Balburans Zuversicht, doch es gab kein Zurück mehr. »Lasst sie kommen«, gab er den Befehl weiter und wartete ab.

Faeron fand sich bei den Bogenschützen ein und seine innere Ruhe schien sich auf die Männer zu übertragen.

Oder es war die Gewissheit des eigenen Todes, Balburan wusste es nicht. Als die Goblins laut schreiend zum Sturmangriff ansetzten, waren solche Gedanken aus Balburans Kopf vertrieben.

»Schießt!«, brüllte Faeron und ließ den ersten Pfeil fliegen.

Hunderte Pfeile wurden in rascher Folge abgeschossen und senkten sich in die Reihen der Monster.

Die Goblins wurden nicht langsamer, sie trampelten über ihre gefallen und verletzten Kameraden hinweg oder rissen sie einfach mit sich. Geifernd, lachend und schreiend stürmten sie weiter vorwärts.

Pfeil um Pfeil schoss Faeron ab, doch ein toter Goblin wurde durch zwei weitere ersetzt. Schon jetzt waren die Monster nur noch zwanzig Schritt entfernt.

»Weiterfeuern!«, brüllte Faeron. »Die hinteren Reihen!«

»Fangt sie ab!«, befahl Balburan den Nahkämpfern. »Sorgt dafür, dass sie weiterfeuern können!« Er zog sein Schwert und rannte mit den Kriegern nach vorn. Jhenrid war zu Beginn noch neben ihm, doch er verlor sie im Getümmel aus den Augen.

Die Krieger krachten in die Goblins und viele der Monster endeten unter einem schweren Stiefel. Aber auch viele der Krieger überlebten den ersten Aufprall mit dem Feind nicht. Speere bohrten sich in weiche Bäuche und Schwerter schnitten durch Kehlen. Und über ihren Köpfen zog Pfeil um Pfeil hinweg, da die Jäger noch immer auf die Monster anlegten.

Balburan wich einem schlecht geführten Hieb aus, parierte einen weiteren mit dem Schwert und erstach einen Goblin, als er an ihm vorbeirannte. Er achtete kaum auf seine Schläge, hackte mit dem Schwert wild um sich. Nur seinen Schild hielt er immer eng am Körper.

Du musst nicht die meisten Feinde töten, rief er sich die Stimme seines Vaters ins Gedächtnis. Du musst nur dafür sorgen, dass du überlebst. Wenn deine Seite länger überlebt, sterben die Feinde ganz von allein.

Ein weiterer Goblin griff ihn an und Balburan parierte den Hieb mit dem Schild. Sein eigener Schlag ging ins Leere, doch der Goblin sprang erschrocken zur Seite, direkt in die Axt eines anderen Kriegers.

Er prallte gegen einen Goblin und der Schild wurde ihm ins Gesicht geschlagen. Blut rann über seine Stirn und in sein linkes Auge, schwoll sogleich an und nahm ihm fast die Sicht. Balburan tötete das Monster mit einem Rückhandschlag, als ein lautes Brüllen über den Kampfeslärm hinweg seine Aufmerksamkeit erregte.

Faeron fluchte leise, als er die Taktik des Gegners durchschaute. »Sie haben uns geködert«, sagte er leise. Die schlecht bewaffneten Goblins waren beinahe komplett ausgelöscht, nur um einer zweiten Welle Monster Platz zu machen. Diese Goblins trugen Rüstungen, Schilde und stabile Waffen. Und ihre Reihen wurden von gepanzerten Trollen unterstützt.

»Feuert weiter!«, rief er den Jägern zu, ließ seinen Bogen schrumpfen und zog sein Schwert. Ich muss zu Jhenrid!, brannte ein Gedanke heiß in seinem Kopf.

Jhenrid wich einem schlecht geführten Hieb aus und bohrte der Kreatur den Dolch in die Kehle. Ein sterbender Mann stürzte gegen sie und die Waffe wurde ihr aus der Hand gerissen. Sie zog eines der Wurfmesser von ihrem Beingurt und streckte den nächsten Angreifer mit einem gezielten Wurf nieder. Die Söldnerin stand wieder auf und blickte sich kurz um.

Überall waren die Männer des Nordens in blutige Handgemenge verwickelt, und die erste Welle der Goblins war noch immer nicht geschlagen.

Sie wollte einem Mann zu Hilfe eilen, doch er wurde von vier Goblins niedergerungen und erschlagen. Sie blickte zur Front und ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Gepanzerte Trolle preschten in den Kampf, rissen Männer und Goblins gleichermaßen von den Beinen, zerschmetterten mit ihren Keulen Knochen und zerfetzten mit ihren Klauen Haut und Fleisch. Ihr blindwütiger Angriff war vernichtend und brach die Moral von Mensch und Monster gleichermaßen.

Balburan versuchte verzweifelt die Krieger hinter sich für einen Gegenangriff zu sammeln, als ein großer Troll sich ihm in den Weg stellte.

Jhenrid schickte ein Stoßgebet zu den Göttern und rannte los.

Weiter südlich ergoss sich das zwergische Heer gerade aus einem der geheimen Ausgänge.

»Sie werden fallen«, stellte Furran nach einem kurzen Blick fest.

»Nur wenn wir es nicht verhindern«, sagte Gordan grimmig. »Schick das Heer gegen die Goblins. Ich kümmere mich um die Trolle.«

»Ihr habt den Magier gehört, Jungs!«, rief Furran laut.

Als die Zwerge sich in Marsch setzten, hielt er zwei von ihnen zurück. »Versiegelt den Tunnel«, wies er sie an. »Er darf nicht entdeckt werden.«

»Aber dann ist der Rückzug abgeschnitten!«, protestierte einer von ihnen.

»Es wird hier keinen Rückzug geben«, sagte Furran grimmig.

Er löste seine Axt vom Rücken und rannte los. »Für Grimmon!«

Die Zwerge erreichten den Rücken der Goblins und schnitten durch ihre Reihen wie eine Sense durch hohes Korn. Furran blickte sich siegesgewiss um, als ein neuer Feind im Pass auftauchte.

»Die Verräter!«, brüllte er laut und die Zwerge wandten sich wie ein Mann dem neuen Feind entgegen.

Gordan schleuderte kleine Feuerpfeile gegen die Trolle, und schon bald standen viele von ihnen in Flammen. Der Magier kämpfte sich weiter durch die Reihen der Monster, doch seine Kräfte schwanden zusehends. Die Treppe in der Höhle anzulegen hatte ihn viel Kraft gekostet – Kraft, die er noch nicht regenerieren konnte, da er den Zauber aufrechthalten musste. Er nutzte eine kurze Pause, um sich umzublicken.

Die Trolle hatten die Hügel durchquert und standen den letzten menschlichen Verteidigern gegenüber, die am Fuß des Gebirges verzweifelt um jede Handbreit Boden kämpften.

Die Zwerge hatten die Goblins im Rücken gestellt, doch Furrans kleines Heer wurde nun von den Verrätern um Baldrokk in die Zange genommen und schlug eine Schlacht, die bereits verloren war. Ohne ihr heldenhaftes Opfer wären die Menschen aber schon längst gefallen.

Gordan konnte Throndimar nirgends erblicken, was die Hoffnung in ihm schwinden ließ. Sogar Rhelon konnte er ausmachen, wenn der Chronist auch nicht selbst kämpfte, sondern aus sicherer Entfernung beobachtete.

Gordan ließ von den Trollen ab und fasste einen Entschluss. Er sammelte seine Kräfte und ließ eine kleine Feuerkugel zwischen seinen Handflächen entstehen. Nun zog er die Hände langsam auseinander, wobei die Kugel beständig wuchs. Er riss die Arme in die Höhe und wieder schwebte die Kugel dicht über seiner Handfläche. Der Magier schleuderte den Feuerball mit aller Macht gegen Baldrokks Zwerge.

Tief in den Reihen des Feindes ertönte eine Explosion und brennende Körper flogen durch die Luft.

»Gordan«, stieß Throndimar aus. Er ritt in vollem Galopp der Schlacht entgegen. Seit er Burg Telphar verlassen hatte, war ihm und dem Pferd kaum Ruhe vergönnt gewesen, sie hatten nur gerastet, wenn es sich nicht umgehen ließ. Jetzt war er nicht mehr weit entfernt und musste fassungslos mit ansehen, wie die Armee des Nordens zerrieben wurde.

Das Pferd wurde plötzlich langsamer und brach schließlich unter ihm zusammen, doch er kümmerte sich nicht darum. Er sprang aus dem Sattel, löste Sardasil von seinem Rücken und rannte, so schnell er konnte.

Er passierte die Bogenschützen und erkannte, dass Jhenrid allein gegen einen riesigen Troll kämpfte. Faeron kämpfte wenige Schritt entfernt gegen fünf Goblins gleichzeitig, die ihn umzingelt hatten, und Balburan scharte gerade den kümmerlichen Rest des Heeres um sich, um einen Durchbruch zum zwergischen Heer zu schaffen.

Throndimar rannte an Faeron vorbei, wobei er einen der Goblins mit einem kraftvollen Hieb enthauptete. Der Troll holte gerade zu einem Hieb aus, dem Jhenrid allerdings durch einen Sprung entging. Das Monster schlug bereits mit der anderen Faust nach ihr und Jhenrid wurde in die Luft katapultiert. Sie krachte auf den Rücken und blieb kurz benommen liegen. Der Troll wollte sie gerade unter einem schweren Stiefel zerquetschen, als Sardasil ihn traf.

Die meisterliche Klinge fraß sich durch den dünnen Beinpanzer und das Knie des Trolls. Das Monster jaulte auf und Throndimar versetzte ihm einen weiteren Treffer in den Bauch. Der Troll nahm den Treffer mit einem verschlagenen Grinsen entgegen. »Broggh nicht dumm«, knurrte er und seine riesige Keule flog heran.

Throndimar erkannte seinen Fehler zu spät. Die stachelbewehrte Waffe würde ihm den Schädel zermalmen.

Furran war bereits an mehreren Stellen verwundet, doch der Feuerball des Magiers hatte die Moral der Verräter gebrochen. Baldrokk gab das Signal zum Rückzug und der Zwerg widerstand dem Drang, ihn zu verfolgen. Stattdessen schwang er die Axt in einem Kreis über dem Kopf, und die Zwerge formierten sich zu einem Keil, der auf die Reihen der Goblins zuhielt.

Die kleinen Monster stellten sich ihnen nicht in den Weg und den Zwergen gelang der Durchbruch zu den menschlichen Verteidigern.

»Treibt die Monster in die Berge!«, brüllte Furran seinen Kriegern zu, als er aus dem Augenwinkel ein neues Ziel entdeckte.

»Hässliche Bestie!«, brüllte er dem letzten noch kämpfenden Troll entgegen.

Throndimar wurde beiseitegerissen und der Schlag des Trolls ging daneben. Erst als er sich wieder erhob, erkannte Throndimar den Grund.

Jhenrid hatte ihn gerettet, doch einen hohen Preis bezahlt. Die Keule des Trolls hatte sie an der Schulter getroffen und ihr den linken Arm beinah abgerissen.

Der Schock allein verhinderte, dass die Söldnerin ohnmächtig wurde, und sie schlug mit ihrem Langschwert nach der Hand des Trolls. Auch diesen Treffer ließ Broggh über sich ergehen und rammte ihr die linke Faust hart ins Gesicht. Jhenrid taumelte zurück, doch Throndimar verhinderte, dass der Troll ihr nachsetzte. Sardasil fuhr herab und durchtrennte das Handgelenk des Monsters, ließ die Waffe nutzlos zu Boden fallen.

»Broggh euch töten!«, bellte das Monster und seine Linke klatschte gegen Throndimars Schulter, fegte ihn von den Beinen.

Eine schwere Axt senkte sich in das Bein der widerlichen Kreatur und Broggh schrie auf vor Schmerz.

Furran ließ die Axt los, sprang den Troll an und zog sich an den Schlaufen der Rüstung nach oben. »Für Kuldran!«, brüllte er laut und seine Fäuste prasselten gegen den Schädel des Monsters.

Der Troll schlug wild mit der Linken um sich, doch Furran ignorierte die Schmerzen. Er riss dem Monster den Helm vom Kopf und schlug damit auf dessen Gesicht ein.

Am Boden sprang ein Mensch herbei und schlug wieder und wieder mit einem mächtigen Zweihänder gegen die Arme der Bestie.

»Verrecke!«, brüllte Furran hasserfüllt.

Der Mensch durchtrennte die Kniesehnen des Trolls und Broggh kippte hintenüber. Furran bohrte ihm die Finger in die Augen und krallte sich an der Innenseite des Schädels fest, um nicht abgeworfen zu werden.

Als das Monster auf dem Boden aufschlug, ließ Furran sich nach vorne abrollen und sprang wieder auf die Füße. Der Krieger war schon über dem Monster und hackte mit seinem Zweihänder auf die Beine des Trolls ein.

Furran riss seine Axt frei und sprang auf die Brust des Trolls. Er spuckte dem Monster ins Gesicht, dann fuhr seine Axt hinab und trennte den Kopf vom Rumpf der Kreatur.

»Bringt Feuer her!«, brüllte er laut.

Faeron erreichte endlich Jhenrid, doch es war zu spät.

Mit tränenerfüllten Augen sank er auf die Knie hinab und hob sie ein wenig vom Boden hoch. Aus der klaffenden Wunde an ihrem linken Arm sickerte kaum noch Blut, was den Verdacht des Elfen bestätigte.

Sie öffnete die Augen und erkannte sein Gesicht. »Unser Abschied kommt früher als erwartet«, flüsterte sie.

»Ich lasse dich nicht gehen«, schluchzte Faeron.

Sie lächelte. »Halt mich einfach fest.«

»Ich liebe dich.«

Jhenrid schloss für immer die Augen.

Die Schlacht war vorerst zu Ende. Die Goblins hatten die Flucht in die Berge ergriffen, den verräterischen Zwergen hinterher. Furrans Zwerge und die wenigen Menschen sicherten das Schlachtfeld, kümmerten sich um die Verletzten oder betrauerten die Toten.

»Wir halten den Pass, aber der Weg zurück zur Feste Gulmar ist blockiert«, sagte Furran.

Throndimar nahm kaum Notiz davon. Sein Blick war einzig auf Faeron gerichtet. Der Elf saß mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt da. Quer über seinen Schoß lag Jhenrids schlaffer Körper. Mit der linken Hand hielt er sie fest und mit der rechten streichelte er zärtlich über ihre Wange und weinte dabei bitterlich. Mit jedem Blinzeln regneten feine Tränen auf das tote Gesicht der Frau hinab, die der Elf sogleich mit dem Handrücken abwischte. Er flüsterte ihr immer wieder etwas ins Ohr, doch Throndimar stand zu weit entfernt und konnte es nicht verstehen.

Das musste er aber auch gar nicht.

Nemena, dachte er niedergeschlagen. Faeron. Ich hätte auf dich hören sollen. Ich habe diese Hölle über dich gebracht.

Er wandte den Kopf von dem traurigen Bild ab und blickte Gordan direkt in die Augen. »Bring mich zu Karandras. Es muss ein Ende haben.«

Gordan legte den Kopf schief. »Du bist verwundet. Du kannst nicht gegen ihn bestehen.«

Throndimar schüttelte trotzig den Kopf. »Wir alle können nicht mehr viel länger gegen ihn bestehen. Es endet noch heute. Für oder gegen uns, die Götter mögen es entscheiden.«

Balburan nickte entschlossen und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, wobei er eine blutige Spur zog, als er eine kleine Platzwunde streifte.

»Allerdings könnte ein Angriff Karandras jetzt unvorbereitet treffen«, überlegte Gordan. »Seine Festung steht erst seit Kurzem und sein Heer konzentriert sich hier im Pass … Also gut, wagen wir es!«

»Ihr könnt auf mich zählen«, sagte Furran mit fester Stimme. Er hatte den Stiel seiner Axt auf den Boden gestellt und lehnte nun lässig auf dem Axtblatt. Und kaschierte so gekonnt, dass seine eigenen Wunden ihn beinahe zusammenbrechen ließen.

Gordan schüttelte entschieden den Kopf. »Dein Platz ist hier, Furran. Sie brauchen einen fähigen General, der sie führt. Und ich kann ohnehin nur zwei Mann mit mir versetzen, nicht mehr.«

»Versetzen?«, fragte Balburan. »Wohin?«

»In die Feste Gulmar natürlich«, erwiderte Gordan. »Wirst du uns begleiten, Balburan Totenfels?«

»Was ist mit Faeron?«

Gordan warf einen raschen Seitenblick zu dem Elfen hinüber und senkte respektvoll seine Stimme. »Ich denke nicht, dass Faeron kämpfen kann.«

»Er soll hierbleiben«, stimmte Throndimar zu. »Ich weiß, wie es ist, wenn man um die, die man liebt, nicht trauern kann.«

Erst Nemena, dann Unlar. Und nun Jhenrid, dachte er wehmütig. Wann stirbt das nächste Wesen, das mir nahesteht?

»Wir werden den Pass halten«, willigte Furran, ohne zu zögern, ein.

Gordan wandte sich Balburan und Throndimar zu, und der Krieger glaubte bereits wieder dasselbe schelmische Grinsen im Gesicht des alten Mannes zu erkennen, das ihn schon so viele Male irritiert hatte. »Du findest endlich zu deiner wahren Größe, Throndimar«, sagte Gordan feierlich.

Er legte ihm und Balburan jeweils eine Hand auf die Schulter und zwinkerte ihnen aufmunternd zu. »Haltet euch gut fest!«, ermahnte er sie noch, dann begann er in der Sprache der Elementare eine Zauberformel zu murmeln.

Throndimar blickte verwirrt an sich hinab, da seine Umrisse plötzlich zu flirren begannen, als stünde er in der Wüste und blickte auf eine heiße Sanddüne. Balburan schien ähnlich verunsichert und machte einen halben Schritt zurück, doch Throndimar erinnerte sich an Gordans Ermahnung und hielt den Fürsten mit eisernem Griff fest.

Kurz darauf verschwammen seine Konturen zur Unkenntlichkeit. Zwar fürchtete Throndimar die Auswirkungen der Magie, doch er vertraute Gordans Fähigkeiten. Schließlich war von ihnen nicht mehr übrig als ein blauer Dunst, den der Wind rasch zerstreute.

*

Gulmar hob misstrauisch eine Augenbraue, als sich plötzlich in der Mitte des Thronsaals, direkt neben ihm, ein bläulicher Nebel bildete, der nach wenigen Augenblicken die Konturen dreier Männer annahm.

Der Zwergenkönig wollte schon seine Wachen rufen, doch etwas hinderte ihn daran. Er blickte an sich herab und bemerkte, dass das Schutzamulett, das Gordan ihm gegeben hatte, ebenfalls blau leuchtete.

»Alter Zausel«, schnaubte er, als er schließlich die immer deutlicher werdenden Gesichtszüge des Magiers erkannte. Schließlich manifestierte Gordan sich völlig und neben ihm zwei Männer, die Gulmar noch nicht kannte.

»König Gulmar«, eröffnete Gordan feierlich. »Ich präsentiere Euch Fürst Balburan Totenfels und Throndimar, den Beschützer des Nordens.«

Gulmar musterte den Mann mit abschätzigem Blick. »Dieser Jüngling hat die Stämme des Nordens vereint?«

»Ganz recht, Hoheit, das hat er!«, sagte Gordan laut. »Doch wir sind nicht hier, um Höflichkeiten auszutauschen. Ist der Durchbruch vorbereitet?«

»Welcher Durchbruch?«, fragte Throndimar neugierig.

»Natürlich ist er das!«, warf sich Gulmar in die Brust und deutete auf einen Durchgang an der hinteren Wand seines Thronsaales. »Kommt.«

»Ihr solltet erst Eure Krieger zusammenrufen«, gab Gordan zu bedenken.

Gulmar grinste verschlagen. »Die sind längst unterwegs.« Die Miene des Zwergs verfinsterte sich. »Wart Ihr am Pass erfolgreich?«

»Furran hält ihn mit den verbliebenen Verteidigern«, berichtete Gordan, »doch uns wurde der Rückweg abgeschnitten. Deshalb musste Furran den Tunnel zum Einsturz bringen.«

Gulmar nickte. »Wenn er es für nötig hielt, dann war es das Beste für uns alle.«

Throndimar verschlug es den Atem, als er den kleinen Durchgang passierte und mit einem Mal in einer gewaltigen natürlichen Höhle stand. Warmer Wind zog heulend nach oben und es schien, in der Tiefe würde ein rotes Licht ganz schwach leuchten. Zu seiner Linken lagen einige Fackeln neben einem kleinen Feuerbecken. Er nahm sich einen der mit ölgetränkten Leinen umwickelten Holzstäbe und entzündete ihn an den unruhigen Flammen.

»Die Niederhöllen!«, hauchte Balburan, als er nach unten blickte, und insgeheim musste Throndimar ihm zustimmen.

Vor ihm erstreckte sich ein schmaler Sims, der anscheinend auch natürlichen Ursprungs war. An den Sims schloss sich ein steinerner Bogen an, der sich zur gegenüberliegenden Höhlenwand spannte. Throndimar staunte mit offenem Mund, dass die natürliche Brücke die Zeit überdauert hatte. Am meisten faszinierten ihn jedoch die Holztreppchen und Holzbrücken, die sich kreuz und quer durch die Höhle zogen und so einen Aufstieg des Berges von innen heraus ermöglichten.

»Dort oben liegt Karandras’ Festung«, sagte Gordan, der Throndimars Blick bemerkt hatte.

»Wie konntet Ihr frei schwebende Brücken und Treppen errichten?«, fragte der Krieger atemlos.

»Magie«, sagte Gordan lächelnd. »Wenn Karandras eine Festung mithilfe des Göttervaters erbauen kann, dann können die Elementare mir auch helfen sie zu stürmen«, erklärte er mit einem schelmischen Augenzwinkern.

»Ihr habt das alles erschaffen?«, flüsterte Balburan ehrfurchtsvoll.

»Das habe ich doch gerade erklärt, Fürst Totenfels!«, lachte Gordan.

»Barsjk erzählte mir, dass Ihr dem Gebrauch von Magie sehr kritisch gegenübersteht.«

»Das tue ich auch«, lenkte Gordan ein. »Doch hier gab es keinen anderen Weg. Die Festung muss rasch gestürmt werden, ehe der Sohn der Dunkelheit sich noch weiter verschanzen kann. Aber die Brücken sind nicht von Dauer. Schon bald werden sie einstürzen.«

Balburan riss die Augen auf und betrachtete jeden Balken und jede Stufe von da an sehr genau, bevor er einen Fuß darauf setzte.

»Hundert Krieger stehen oben bereit«, durchbrach Gulmar die aufkommende Stille. »Sobald der Durchbruch geglückt ist, werden sie das Hochplateau stürmen.«

»Sie werden viele Verluste hinnehmen müssen«, sagte der Magier.

Gulmar nickte grimmig. »Aye, das wissen sie. Es haben sich dennoch viele freiwillig gemeldet. Keiner wollte es sich nehmen lassen, den ersten Angriff gegen den Goblinküsser zu führen.«

Das zwergische Schimpfwort zauberte ein jungenhaftes Lächeln auf Gordans Lippen, bemerkte Throndimar, und auch er selbst ließ sich von dem kurzen Moment der Ausgelassenheit umfangen. Die Flamme seiner Fackel wurde von einem der warmen Aufwinde erfasst und fauchte widerspenstig auf. Unwillkürlich legte sich seine rechte Hand um Sardasils Griff und das weiche Leder vermittelte ihm ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit.

Unlars Bild, wie der Schmied am Amboss stand und auf die noch unfertige Klinge einhämmerte, zuckte durch seinen Geist. Ich verdanke dir so viel, du mürrischer Hund. Und ich habe dir niemals richtig dafür gedankt.

Je näher sie dem Gipfel kamen, desto bedrückender wurde die Stille zwischen ihnen, als würde der Berg selbst sie zermalmen wollen. Throndimar konnte die Höhlendecke bereits ausmachen, sie befanden sich knapp unterhalb des Gipfels.

»Wie kommen wir hier wieder raus?«, fragte er und wunderte sich nicht einmal darüber, dass plötzlich auch er flüsterte.

»Meine Jungs werden einen Durchbruch in den Felsen schlagen«, wisperte Gulmar zurück. »Und dann werden wir ihnen den Arsch aufreißen.«

Sie passierten immer mehr Zwergenkrieger, die ihnen grimmig zunickten. Throndimar richtete beschämt den Blick zu Boden. Ich war so blind!, schalt er sich selbst. Mein Rachedurst hat mich blind gemacht. Ich schlug ihre Hilfe aus und dennoch stehen sie uns bei. Hätte ich solchen Edelmut zeigen können?

Plötzlich endete der schmale Pfad in einem breiten Sims. Hier drängten sich zwanzig Zwerge dicht an dicht. Vier von ihnen hielten schwere Spitzhacken in den Händen, der Rest war mit zwerghohen Turmschilden und Äxten zum Kampf gerüstet. Vereinzelt erblickte Throndimar auch kleine Armbrüste, die feuerbereit gemacht wurden, und sogar zwei eiserne Sturmleitern hatte man heraufgeschleppt.

»Die erste Welle«, verkündete Gulmar stolz. »Die Jungs hier haben nicht einen Augenblick gezögert.«

»Ihre Familien müssen sehr stolz auf sie sein«, gratulierte Gordan.

Throndimar hatte sich seit Nemenas Tod nicht mehr so schlecht gefühlt. Für mich ist es leicht, in den Kampf zu ziehen, dachte er. Ich habe niemanden, den ich zurücklasse. Aber sie hier, sie kämpfen und verlassen ihre Familien. Sie kämpfen in dem Wissen, dass sie ihre geliebten Angehörigen vielleicht nie mehr wiedersehen. Das ist wahrer Mut.

»Die Goblins werden uns hören, noch bevor wir durch den Felsen gedrungen sind«, teilte einer der Bergleute mit. »Vielleicht nicht mit dem ersten Schlag, aber sie werden uns erwarten.«

Gulmar nickte grimmig und rückte seinen Helm zurecht. »Unsere Äxte werden sie angemessen begrüßen.«

Throndimar lockerte die Schultern, ging dabei aber so vorsichtig vor, damit die frische Kruste über den Schnittwunden auf seinem Rücken nicht gleich wieder aufriss. Er spannte die Armmuskulatur an, schloss die Hände zu Fäusten und öffnete sie dann wieder in rascher Folge, bis sein Herz das Blut schneller durch seine Adern pumpte.

Gordan hob die Hand als Zeichen, dass er etwas sagen wollte. »Eure Tapferkeit ehrt euch, edle Zwerge. Und euer Mut eilt euch bereits jetzt durch die dicken Felsen voraus. Doch euer Glaube darf nicht wanken. Der Sohn der Dunkelheit wird versuchen eure Liebe zu Grimmon und den Göttern zu zerstören. Und diese Waffe ist gefährlicher als tausend Goblins.« Er machte eine lange Pause, in der er tief Luft holte. »Euer Glaube kann aber auch wie ein Schild gegen seine dämonischen Zauber sein. Habt Vertrauen in die Götter und in euch selbst und wir werden das Schlachtfeld als Sieger verlassen.«

Gulmar nickte den Bergleuten zu und im Gleichklang trieben sie die Spitzhacken in den schwarzen Fels.

Throndimar löste Sardasil aus der Schlaufe, die das Schwert quer über seinem Rücken hielt. Selbst im schwachen Fackelschein konnte man die in die Hohlkehle eingravierten Runen deutlich erkennen. Der Krieger kannte ihre Bedeutung noch immer nicht, sie waren eines der Geheimnisse, die Unlar mit ins Grab genommen hatte.

»Schneller, Jungs!«, brüllte König Gulmar. Jede Vorsicht war jetzt aus seiner Stimme gewichen, denn die Schläge der Spitzhacken donnerten durch den gesamten Berg. Er blickte halb über die Schulter: »Armbrüste bereithalten!«

Throndimar fühlte, wie mit jedem Schlag, jedem Körnchen Stein, das die Zwerge dem Berg abtrotzten, die Spannung in seinen Gliedern stieg. Sein Herz hatte sich dem Rhythmus der Zwergenarme bereits völlig angeglichen und seiner Kehle entrang sich ein befreiender Schrei, als die erste Hacke den Felsen durchstieß und helles Tageslicht in die Höhle drang.

Eine hässliche kleine Fratze schob sich vor das Loch und grinste dümmlich herein. Die Kreatur setzte zu einem Schrei an, der vermutlich nahe stehende Kameraden warnen sollte, doch zwei Armbrustbolzen in Mund und Auge erstickten den Versuch im Keim.

Rasch vergrößerte sich der Durchbruch, doch auch die Goblins wurden zahlreicher. Dunkel gefiederte Pfeile wurden in die Höhle geschossen und kosteten einige Zwerge bereits das Leben. Neben Throndimar schrie Balburan laut auf, als ihn ein Geschoss in die rechte Schulter traf.

Der Fürst von Totenfels knurrte wütend und brach den Pfeilschaft knapp oberhalb der Wunde ab. »Ich habe in meinem Leben genug gejammert«, erwiderte er trocken auf Throndimars prüfenden Blick.

Throndimar ging in die Knie, um sich ein wenig hinter einen Zwerg mit Turmschild zu ducken, denn von den massiven, mit Eisen beschlagenen Schilden prallten die schwachen Goblinpfeile harmlos ab.

Einer der Bergleute wurde von gleich fünf Pfeilen in Hals und Kopf getroffen, doch anstatt sterbend über den Rand des kleinen Steinplateaus zu fallen, warf er sich noch im Todeskampf schützend vor seine Kameraden, die den Durchbruch verbreiterten, und fing mit seinem Körper noch sieben weitere Pfeile ab, ehe er tot zusammensackte.

»Für Burdil!«, brüllten die Zwerge wie ein Mann und warfen die Hacken beiseite. Mit geübten Handgriffen wurden die Sturmleitern in Position gebracht und die Armbruster feuerten eine letzte konzentrierte Salve durch das Loch im Fels.

Die Goblins zogen für einen Moment die Köpfe ein und die Zwerge mit den Turmschilden rannten los. Kurze, starke Beine trugen sie in schnellen Schritten rasch die Sturmleitern empor und hinaus auf das Hochplateau, ein Loblied für Grimmon und Burdil auf den Lippen.

Throndimar zögerte keinen Herzschlag länger und eilte den Zwergen hinterher. »Nemena!« brüllend sprang er auf die mittlere Sprosse der Sturmleiter und katapultierte sich von dort direkt ins Freie. Unlar und Jhenrid hatten ihn gut ausgebildet und so erfasste er die Situation mit einem raschen Blick.

Die Zwerge hatten die Goblins bereits zurückgedrängt und hielten ein kleines Areal frei von Monstern, sodass die nachrückenden Truppen unbehelligt Aufstellung auf dem schneebedeckten Plateau beziehen konnten. Die Goblins wurden von der Härte ihrer Gegner schlichtweg überrascht und suchten teilweise ihr Heil in der Flucht, doch Throndimar ahnte bereits, dass hinter den dunklen Mauern der aufragenden Festung noch sehr viel mehr Gegner auf sie warteten.

Karandras’ Festung war ein widernatürlicher Bau aus schwarzem Granit, den der Sohn der Dunkelheit mithilfe von Hexerei nach seinem Willen geformt hatte und der selbst dem Schnee und dem ewigen Eis der Todfelsen trotzte. Ähnlich, wie Gordan die Treppe durch das Innere des Berges durch Magie erschaffen hatte.

Zwei kleine Türme erhoben sich an den Ecken der quadratisch anmutenden Festung, und auf dem Wehrgang konnte Throndimar deutlich mehrere Goblinbogenschützen ausmachen, die sogar in zwei Reihen auf sie anlegten.

Keine Trolle, stellte Throndimar erleichtert fest. Offenbar haben wir Karandras wirklich überrascht.

»Ihr dürft nicht zögern!«, erklang Gordans Ruf, als er das Hochplateau betrat. »Mit jedem Moment wird Karandras stärker!«

»Vorwärts!«, befolgte Throndimar Gordans Rat und stürmte voran. Er rannte auf einen drei Fuß hohen Felsen zu, der auf seiner Seite sanft anstieg und den Zwergen als Anker für die eigene Schlachtlinie diente. Zwei lange Schritte trugen ihn auf die Felskuppe und er drückte sich mit dem linken Bein kraftvoll ab. Sein Sprung trug ihn über den Schild eines Zwergs hinweg und ließ ihn mitten zwischen zwei Goblins landen, die sich mit ungeschickten Paraden der Hiebe der Zwerge erwehrten. Sardasil leuchtete goldrot im Sonnenlicht, als Throndimar die Waffe in einem Halbkreis schwang und dabei eine blutige Schneise durch die beiden Goblins zog. Er wartete nicht, bis die toten Körper zu Boden sackten, und hackte einen dritten Goblin mit einem Überkopfschlag beinahe auseinander.

Hinter ihm folgten Gulmar und die übrigen Krieger mit lautem Geschrei. Die Armbrüste waren auf die Bogenschützen gerichtet und verschafften ihnen wertvolle Augenblicke, in denen die kleine Kampfgruppe sich tiefer in die Goblins fraß.

»Wir müssen zum Tor!«, brüllte Gordan über den Kampfeslärm hinweg. Das Ende seines langen Zauberstabes brannte lichterloh und er nutzte die Waffe geschickt wie einen Kampfstab, steckte Goblinkleidung mit leichten Stößen in Brand oder brach den Gegnern mit harten Schwüngen die Knochen.

Throndimar führte sein Schwert in weit ausladenden Schwüngen, um so eine Gasse für ihren Vormarsch zu schaffen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Goblins auf dem Wehrgang wieder feuerbereit waren. »Schützen!«, sandte er eine Warnung aus und verdoppelte seine Anstrengungen.

Gordan hatte die Goblins ebenfalls entdeckt und reckte ihnen seinen Zauberstab entgegen. Die Flamme flackerte hell auf und verschoss einen kleinen Feuerball, der die Goblins auf der Wehrmauer in Brand steckte und aufgeregt durcheinanderhüpfen ließ.

Nutzlose Maden, dachte Throndimar über die Goblins. Hirnloses Waffenfutter, das uns müde machen soll. Der richtige Kampf erwartet uns im Inneren.

Er gelangte zur Vorderseite der Festung und fand das Tor wie erwartet verschlossen vor.

»Dafür werden wir ewig brauchen«, stellte Gulmar nach einem prüfenden Blick fest.

»Und noch länger«, feixte Gordan. »Hier fällt es Karandras noch leichter, uns einzukesseln.«

»Und warum bist du dann so ausgelassen, alter Zauberer?«, fragte Gulmar verdutzt.

Gordan deutete mit einem Lächeln auf Throndimar, der vor der Mitte des Tores stand und die Hände dagegenstemmte.

»Das wird er nicht schaffen«, sagte Gulmar mit zweifelndem Blick.

Throndimar war tief in seine eigenen Gedanken versunken. Vor seinem inneren Auge formten sich Bilder aus seiner Vergangenheit. Die sterbende Nemena, die er nicht mehr rechtzeitig hatte erreichen können. Unlar, wie er von einem Troll zerrissen wurde, und Jhenrid, die leblos in Faerons Armen lag.

»Ihr Götter, wieso lasst ihr mich immer scheitern?«, flüsterte er gegen das dicke Holz. »Was muss ich tun, um mich vor euch als würdig zu erweisen?« Er ballte die rechte Hand zur Faust und schlug leicht gegen das Tor. »Lasst mich eure Rache sein. Lasst mich euer Schwert sein! Lasst mich euren Zorn über eure Feinde bringen!«, schrie er am Ende heraus und hämmerte mit der Faust gegen das Holz.

Gulmar und die Zwerge traten unwillkürlich einen Schritt zurück, als der Krieger immer lauter zu brüllen begann.

»Hört ihr mich, ihr Götter? Hört ihr mich in eurer Himmlischen Festung, in der ihr euch verkriecht? Ich stehe hier! Ich stehe hier und blicke eurem Feind ins Gesicht! Also helft mir!«

Er schlug noch ein letztes Mal mit der Faust gegen das Tor, dann legte sich eine gespenstische Stille über das Hochplateau. Selbst die Goblins schreckten vor erneuten Angriffen zurück, als die graue Wolkendecke aufriss und einem zaghaften Sonnenstrahl wich, der direkt auf Throndimar herabfiel.

Als hätten die Götter ihn erhört und würden ihn nun in ihre Macht hüllen, umspielte der Schimmer Throndimars Körper. Das Licht schien fast greifbar, wie feinste Seide, die sich an jede Kontur des Körpers schmiegte.

»Woher wusstest du?«, fragte Gulmar verblüfft.

Gordan lächelte ergriffen. »Ich habe Rhelons Geschichten gelauscht.«

Throndimar fühlte neue Kraft durch seine Adern pulsieren. Doch sie fühlte sich fremd an, auf gewisse Weise alt und urtümlich. Er wusste, sie gehörte nicht ihm, dennoch hatte er das Gefühl, seine Muskeln drohten zu zerreißen, wenn er die Kraft nicht nutzen würde. Er drückte die Handflächen flach gegen das Tor und spannte die Muskeln an. Das goldene Licht strömte von seinen Armen in das dicke Holz des Tores, doch weiter geschah nichts.

»Nemena!«, brüllte Throndimar wütend und warf sich gegen das Tor.

Gulmar schüttelte fassungslos den Kopf, als das Holz hörbar zu bersten begann.

Aus dem Inneren der Festung ertönte ein protestierender Aufschrei, da der Querbalken vor dem Tor brach und die beiden Flügel aufsprangen und den Weg in die Festung freigaben.

»Folgt mir!«, rief Throndimar seinen Gefährten zu und rannte los. Und wurde zurückgeschleudert.

Ein roter Feuerball prallte gegen den Krieger, riss ihn mit sich und warf ihn zwanzig Schritte nach hinten. Throndimar landete in einer Schneewehe und das weiße Pulver verdampfte direkt unter lautem Zischen.

Balburan, Gulmar und die Zwerge hielten den Atem an, als Throndimar sich nicht gleich wieder erhob.

»Das kann er nicht überlebt haben«, sagte Balburan und ließ die Waffe sinken.

»Kein Mensch könnte das«, pflichtete Gulmar bei.

»Vorwärts!«, trieb Gordan sie an. »Dort ist der Feind! Vernichtet Karandras!«

Ein weiterer Feuerball flog heran, doch der Magier blockierte den Zauber mit einer eigenen Kraftentladung, die das magische Geschoss seitlich ablenkte und in eine Gruppe Goblins krachen ließ.

Gulmar riss seine Axt in die Höhe: »Für Grimmon! Für Burdil! Für Throndimar!« Der König spurtete durch das Tor, dicht gefolgt von den Schildträgern und gedeckt durch einen wahren Bolzenhagel aus den zwergischen Armbrüsten.

»Nemena!«, ertönte ein gequälter Schrei hinter ihnen.

Throndimar erhob sich aus dem Schneehaufen, stemmte sich auf wackligen Beinen in den Stand. Die Lederriemen seiner Rüstung waren verbrannt, die Eisenplatten lagen schwer im Schnee. Seine Unterkleidung hatte das Feuer ebenfalls nicht überstanden und hing in qualmenden Fetzen an seinem Körper. Blut rann aus einer Platzwunde über seinem Gesicht, sammelte sich am Kinn und tropfte hinab. Viele seiner Wunden waren erneut aufgerissen und ließen seinen Körper gebrochen wirken, doch allein die Tatsache, dass er noch atmete, strafte seine Verletzungen Lügen.

Sardasil hatte den Feuerball unbeschadet überstanden. Der Krieger reckte die golden funkelnde Klinge in die Luft und präsentierte die zwergischen Runen, die zornig glühten.

»Wie ist das möglich?«, hauchte Balburan.

Noch immer umgab Throndimar ein leichter goldener Schimmer wie zuvor, als er das Tor gesprengt hatte.

»Karandras!«, schrie er mit brechender Stimme. »Stelle dich dem Zorn der Götter!«

Gulmar und seine Jungs hatten die Situation ausgenutzt und rasch die Goblins im Inneren der Festung überwältigt, die ihnen am nächsten waren. Die übrigen Monster suchten ihr Heil in der Flucht, und so erwartete Throndimar lediglich eine in schwarze Roben gehüllte Gestalt, die in der Mitte des Burghofs stand.

Throndimar stolperte vorwärts, wischte sich mit der Linken die blutigen Haare aus der Stirn und packte Sardasils Griff fest mit beiden Händen.

Die Zwerge um Gulmar bildeten eine Gasse, welche die beiden Kontrahenten direkt aufeinander zuführte. Auch wenn Karandras die Herausforderung noch nicht angenommen hatte, so war doch klar, dass keiner außer Throndimar gegen den Sohn der Dunkelheit bestehen könnte.

Karandras nutzte die Gelegenheit und ergriff das Wort. Seine Stimme glich einem ganzen Chor aus grausam verzerrten Schreien, als würde Metall über Stein kratzen: »Glaubst du wirklich, dass die Götter Macht über mich hätten?«

Throndimar wankte unbeeindruckt weiter. »Ja, ich glaube an die Götter. Und an ihre Macht. Sie verbannten den Dämonenmeister in die Niederhöllen und genauso werde ich dich besiegen!«

Karandras lachte laut, doch es war ein gequältes Kettenrasseln, kein Laut der Freude. »Aurelions Macht ist so unvorstellbar groß, Sterblicher. Dein Vorhaben ist töricht und zum Scheitern verurteilt. Schließ dich meinem Feldzug an und wir stürzen die Götter gemeinsam!«

Throndimar blieb stehen und musterte sein Gegenüber. Karandras stand noch gut zwanzig Schritt von ihm entfernt und hatte sein Gesicht hinter einer dunklen Kapuze versteckt. Throndimar zog den rechten Mundwinkel in einem halben Lächeln hoch. »Wenn man seinen Feind nicht besiegen kann, sollte man sich verbünden, nicht wahr?«, sinnierte er und die Zwerge schnappten hörbar nach Luft. »Ich werde mich dir niemals anschließen«, offenbarte Throndimar schließlich. »Die Götter werden heute über dich richten.«

»Und du willst also mein Henker sein«, schloss Karandras.

Throndimar nickte grimmig und wankte weiter auf den Sohn der Dunkelheit zu.

Karandras legte die Hände vor dem Gesicht aufeinander und murmelte leise vor sich hin. Als er seine Beschwörung beendet hatte, streckte er die Arme ruckartig gerade von sich, und eine magische Druckwelle schoss auf Throndimar zu und riss feine, messerscharfe Eissplitter mit sich.

Throndimar marschierte weiter, hielt Sardasil fest in beiden Händen senkrecht vor seinem Oberkörper und bat die Götter um ihre Unterstützung. Die Runen in der Hohlkehle des Schwerts flackerten wütend auf und der Wind teilte sich vor ihm, wehte harmlos um ihn herum.

»Die Götter werden dich richten!«, brüllte er.

»Die Götter liegen im Sterben!«, fauchte Karandras zurück und ballte die Fäuste. Schwarze Langschwerter manifestierten sich aus dem Nichts, Klingen aus purer dämonischer Macht.

»Nur in den wirren Träumen deines Meisters!«, lachte Throndimar.

Karandras sprang nach vorn, die Kapuze wurde dabei nach hinten geweht und entblößte sein wutverzerrtes Gesicht.

Sein doppelt geführter Überkopfhieb prallte an Sardasil ab, doch Throndimars Muskeln rebellierten. Er hatte ihnen mehr abverlangt, als zehn normale Leben es vermocht hätten.

Ich sterbe, erkannte er. Nemena, ich komme, mein Schatz.

Die simple Wahrheit dieser Erkenntnis setzte neue Kräfte in ihm frei, die er zuvor zurückgehalten hatte. Sardasil wirbelte durch die Luft und schlug eines der schwarzen Schwerter beiseite. Karandras ließ die Waffe fahren, erzielte aber mit dem Schwert in seiner Rechten einen Treffer gegen Throndimars ungeschützten Oberkörper.

Der Krieger ignorierte den Schmerz. Er rammte seine Stirn nach vorn und zertrümmerte mit lautem Knacken Karandras’ Nase. Der Sohn der Dunkelheit taumelte einen Schritt zurück und der Krieger setzte sofort nach. Throndimar führte seinen Hieb gegen Karandras’ linke Seite, die er ungeschützt glaubte.

Ein erneut beschworenes Schwert blockte die meisterhafte Klinge, obwohl Throndimar seine ganze Kraft in den Hieb gelegt hatte.

»Du kannst mich nicht besiegen!«, lachte Karandras. »Du bist bloß ein Mensch. Du solltest fliehen und dein Glück besingen, meinen Feuerball überlebt zu haben.«

Throndimar riss die Augen auf und goldenes Licht brach aus ihnen hervor. »Das habe ich nicht vor«, erwiderte er mit einer Stimme, die sich ebenfalls in unzähligen Tonlagen zu brechen schien, jedoch wirkte sie ungleich wärmer und in gewisser Weise auch beruhigender.

»Wie ist das möglich?«, rief Karandras entsetzt und versuchte sich von dem Krieger zu lösen.

Doch Throndimar ließ ihn nicht entrinnen. Er hatte endlich verstanden. Rhelons Geschichten über die Götter und ihre auserwählten Engel. Die Himmlische Festung, der ewige Kampf gegen die Dämonen. Endlich hatte er es verstanden.

»Aurelion wählte dich, die Götter wählten mich«, sagte er mit kalter Endgültigkeit.

»Engel?«, brachte der Sohn der Dunkelheit fassungslos hervor.

Throndimar riss Sardasil in die Höhe und führte einen kraftvollen Hieb aus, den Karandras nur abwehren konnte, indem er beide Schwerter über seinem Kopf kreuzte. Goldene und schwarze Funken stoben durch die Luft, als die Waffen aufeinandertrafen und für einen scheinbar endlosen Moment verharrten.

Seine Verachtung hinausbrüllend schlug Throndimar wieder und wieder zu, drängte Karandras auf die Knie. »Nemena!«, schrie er aus voller Kehle und Sardasils Klinge flammte förmlich golden auf. Er trieb die Waffe in einem letzten Schlag gegen seinen Widersacher. Karandras hob die Schwerter, doch sie waren nutzlos. Aurelions Macht hatte versagt und ihn verlassen. Seine Träume zerbrachen wie seine schwarzen magischen Klingen.

Throndimar stand für einen langen Moment turmgroß über ihm, blickte auf ihn hinab. Da war keine Dunkelheit mehr, die sie umgab, nur gleißendes Licht, das aus Throndimars Körper brach.

Dann drehte der Engel das Schwert in der Hand, sodass die Klingenspitze nach unten zeigte, und rammte sie dem Sohn der Dunkelheit fest in den Unterleib. Goldenes Licht strömte von Sardasil in Karandras’ Körper, und der Granit unter ihm splitterte, als die Waffe seinen Körper durchstieß und ihn auf dem Plateau aufspießte.

Ein tiefer Donner rumpelte aus den Gebeinen der Erde wie ein zorniges Grollen durch den Berg bis zum Gipfel. Das Plateau begann zu vibrieren und die ersten Zinnen brachen von der Wehrmauer und fielen zu Boden. Die Goblins hatten ihr Heil längst in der Flucht gesucht, doch auch die Zwerge rannten schutzsuchend davon. Balburan riss Gordan mit sich.

»Nein!«, protestierte der Magier. »Ich muss es sehen!«

»Es wäre das Letzte, was Ihr sehen würdet, Meister Gordan!«, hielt Balburan dagegen und zerrte den Magier hinter sich her, zurück in die Höhle.

Bevor sie durch die Öffnung verschwanden, sahen sie, wie die ersten Mauern einstürzten, als hätte es die dunkle Festung niemals gegeben. Throndimar thronte noch immer über dem erschlagenen Karandras und ein goldener Lichtkegel aus den Wolken fiel auf ihn herab.

Als sie die Höhle betraten, verdeckten zwei Zwerge mit ihren großen Turmschilden den Durchgang, sodass sie nicht sehen konnten, wie Karandras’ Festung endgültig in sich zusammenbrach.

Als der Donner verstummt war, wagten die Zwerge sich wieder an die Oberfläche. Die Krieger sicherten das Areal, doch von den Goblins war keine Spur mehr zu sehen. Gulmar, Balburan und Gordan eilten zum vorherigen Kampfplatz der beiden Widersacher, und auch Throndimar war verschwunden.

Nur der tote Karandras lag noch an Ort und Stelle. Sardasil steckte in seinem Bauch, pfählte den gesamten Körper auf dem eisigen Granit. Die Leiche des Sohns der Dunkelheit war bereits tiefblau, als läge sie schon seit Stunden hier oben in Schnee und Eis.

»Wo ist er hin?«, fragte Balburan und wagte es nicht, seine Stimme dabei zu mehr als einem Flüstern zu erheben.

Gordan blickte lächelnd zu den Wolken empor, die in einem goldenen Licht zu erstrahlen schienen. »Sie haben ihn erwählt«, sagte der Magier feierlich.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Gulmar ein wenig ratlos.

Gordan zuckte die Achseln. »Kanduras braucht noch immer einen König.«

Gulmar deutete auf Balburan, den die Erschöpfung anscheinend in die Knie gezwungen hatte, denn er stützte sich schwer mit der Rechten im Schnee ab. »Er?« Gulmar zog ungläubig die Augenbrauen hoch.

Der alte Magier stutzte und lachte schließlich prustend los. »Er ist eine gute Seele, aber kein König.« Er grinste verschmitzt. »Doch ich kenne einen, der es werden kann.«