Thomas war nicht auf den Gedanken gekommen, dass die Begine, die am nächsten Morgen verbrannt werden sollte, in der Burg eingekerkert war. Er hatte angenommen, die Stadt hätte ein eigenes Gefängnis, doch offensichtlich war sie der Garnison übergeben worden, und nun schrie sie den neuen Gefangenen Beleidigungen zu. Ihr Gezeter beunruhigte die Bogenschützen und Soldaten, die die Mauern von Castillon d’Arbizon erklommen und die Burg eingenommen hatten. Die dicke Frau des Kerkermeisters, die ein paar Brocken Französisch sprach, rief den Engländern zu, sie sollten das Mädchen töten. «Sie ist eine Begine», insistierte die Frau. «Sie ist mit dem Teufel im Bunde!»

Guillaume d’Evecque war der gleichen Ansicht. «Lass sie in den Hof bringen», sagte er zu Thomas, «und ich hacke ihr den Kopf ab.»

«Sie muss brennen», wandte Thomas ein. «So hat es die Kirche beschlossen.»

«Und wer soll sie verbrennen?»

Thomas zuckte die Achseln. «Die Stadtbüttel? Vielleicht auch wir, ich weiß es nicht.»

«Wenn ich sie schon nicht töten darf», sagte d’Evecque, «dann sorg wenigstens dafür, dass sie ihre verfluchte Klappe hält.» Er zog sein Messer und hielt es Thomas hin. «Schneide ihr die Zunge heraus.»

Thomas ging nicht darauf ein. Er hob den Saum seiner Kutte, die er immer noch trug, und ging hinunter zu den Kerkern, wo das Mädchen die anderen Gefangenen auf Französisch verfluchte und ihnen zurief, sie würden alle sterben, und der Teufel werde, begleitet vom Spiel der Dämonen, auf ihren Gebeinen tanzen. Thomas entzündete eine Laterne an einer fast erloschenen Fackel, ging zu der Zelle der Begine und löste die beiden Riegel.

Bei dem Geräusch verstummte das Gezeter, und als er die schwere Tür aufstieß, wich die Gefangene zur hinteren Wand zurück. Jake, der Thomas gefolgt war, lachte anzüglich, als er das Mädchen in dem matten Licht erblickte. «Ich kann mich um sie kümmern», erbot er sich.

«Geh und leg dich schlafen, Jake.»

«Nein, es macht mir wirklich nichts aus», beharrte Jake.

«Geh schlafen!», fuhr Thomas ihn an, von plötzlichem Zorn gepackt, weil das Mädchen so verletzlich wirkte.

Sie war splitterfasernackt, pfeildünn und totenblass, von Flöhen zerbissen, ihr Haar war verfilzt, die Augen riesengroß, und sie sah aus wie ein wildes Tier. Sie kauerte im dreckigen Stroh, die Arme um die Knie geschlungen, um ihre Blöße zu bedecken, und holte tief Luft, als raffe sie ihren letzten Rest Mut zusammen. «Ihr seid Engländer», sagte sie auf Französisch. Ihre Stimme war heiser vom Schreien.

«Ja, ich bin Engländer», bestätigte Thomas.

«Aber ein englischer Priester ist genauso schlimm wie jeder andere», giftete sie.

«Vermutlich.» Thomas stellte die Laterne auf den Boden und setzte sich neben die offene Tür, weil der Gestank im Kerker kaum zu ertragen war. «Ich möchte, dass du aufhörst zu schreien», sagte er. «Es beunruhigt die Leute.»

Sie verdrehte die Augen. «Ich werde morgen verbrannt. Glaubt Ihr, da kümmert mich die Seelenruhe irgendwelcher Dummköpfe?»

«Aber deine eigene Seelenruhe sollte dich kümmern», sagte Thomas, doch seine eindringlichen Worte schienen die Begine nicht zu erreichen. Die Laterne brannte schlecht, und ihre Hornscheibe tauchte alles in ein kränkliches, flackerndes Gelb. «Warum haben sie dir die Kleider genommen?», fragte er.

«Weil ich einen Streifen aus meinem Rock gerissen und versucht habe, den Kerkermeister damit zu erdrosseln.» Sie sagte es ruhig, aber mit einem herausfordernden Blick, als wolle sie Thomas’ Missbilligung zuvorkommen.

Bei der Vorstellung, wie dieses zierliche Mädchen sich auf den massigen Kerkermeister stürzte, musste Thomas beinahe schmunzeln, aber er unterdrückte seine Erheiterung. «Wie heißt du?», fragte er stattdessen.

Ihre Miene war immer noch kämpferisch. «Ich habe keinen Namen. Sie haben mich zur Ketzerin erklärt und mir meinen Namen genommen. Ich bin aus der Christenheit ausgeschlossen. Ich bin schon halb in der nächsten Welt.» Indigniert wandte sie den Blick zur Seite. Thomas drehte sich um und sah, dass Robbie im Türrahmen stand. Der Schotte starrte die Begine mit staunender, beinahe ehrfürchtiger Miene an, und als Thomas das Mädchen erneut ansah, bemerkte er, dass unter dem Schmutz und den Strohresten eine Schönheit verborgen war. Ihr Haar schimmerte in blassem Gold, ihre Haut war nicht von Pockennarben entstellt, und ihr Gesicht hatte ausdrucksvolle Züge, mit einer hohen Stirn, vollen Lippen und sanft geschwungenen Wangenknochen. Ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Robbie fixierte sie wie in Trance, und die junge Frau, der sein unverhüllter Blick peinlich war, zog die Knie noch enger an die Brust.

«Geh», sagte Thomas zu Robbie. Offenbar verliebte sich sein Gefährte, wie andere Männer hungrig wurden, und an Robbies Miene war deutlich zu erkennen, dass das Aussehen des Mädchens ihn mit der Wucht eines Schmiedehammers getroffen hatte.

Robbie runzelte die Stirn, als hätte er Thomas’ Aufforderung nicht so recht verstanden. «Ich wollte dich noch was fragen», sagte er zögernd.

«Was denn?»

«Neulich in Calais, hat der Earl dir da gesagt, du sollst ohne mich weiterreiten?»

Unter den gegebenen Umständen war es eine merkwürdige Frage, aber Thomas fand, sie verdiene eine Antwort. «Woher weißt du das?»

«Dieser Geistliche hat’s mir gesagt. Buckingham.»

Thomas fragte sich, weshalb Robbie überhaupt mit dem Mann gesprochen hatte, doch dann begriff er, dass sein Freund lediglich drauflosredete, um in der Nähe des Mädchens zu bleiben, in das er sich so abrupt und hoffnungslos verliebt hatte. «Robbie», sagte er. «Sie wird morgen früh verbrannt.»

Robbie schaute betreten drein. «Muss sie ja nicht.»

«Die Kirche hat sie verurteilt, Herrgott noch mal!»

«Warum bist du dann hier?», fragte Robbie.

«Weil ich der Anführer bin. Weil irgendjemand sie zum Schweigen bringen muss.»

«Das kann ich doch tun», sagte Robbie lächelnd, doch als Thomas darauf nicht einging, verwandelte sich das Lächeln in einen Ausdruck der Gereiztheit. «Warum hast du mich dann hierher mitgenommen?»

«Weil du mein Freund bist.»

«Buckingham hat behauptet, ich würde den Gral stehlen», sagte Robbie. «Er meinte, ich würde ihn nach Schottland bringen.»

«Erst mal müssen wir ihn finden», wandte Thomas ein, doch Robbie hörte ihm gar nicht zu. Er starrte nur sehnsüchtig auf das Mädchen, das in der Ecke des Kerkers kauerte. «Robbie», sagte Thomas mit Nachdruck, «sie wird morgen verbrannt.»

«Dann ist es doch egal, was heute Nacht mit ihr passiert», entgegnete der Schotte störrisch.

Thomas bemühte sich, seinen Ärger im Zaum zu halten. «Lass uns allein, Robbie.»

«Bist du hinter ihrer Seele her?», fragte Robbie. «Oder hinter ihrem Fleisch?»

«Hau ab!», fuhr Thomas ihn an, heftiger, als er beabsichtigt hatte. Robbie sah ihn erst erstaunt, dann aufmüpfig an, doch schließlich blinzelte er ein paarmal und ging.

Das Mädchen hatte den englischen Wortwechsel zwar nicht verstanden, aber sie hatte die Begierde in Robbies Gesicht gesehen und zog daraus ihre Schlüsse. «Wollt Ihr mich für Euch selbst, Priester?», fragte sie auf Französisch.

Thomas ignorierte ihre höhnische Frage. «Woher kommst du?»

Sie zögerte, als überlege sie, ob sie antworten sollte oder nicht, dann zuckte sie die Achseln. «Aus der Picardie.»

«Das ist weit oben im Norden», sagte Thomas. «Wie kommt ein Mädchen aus der Picardie in die Gascogne?»

Wieder zögerte sie. Thomas schätzte sie auf fünfzehn oder sechzehn Jahre, was bedeutete, dass sie eigentlich längst verheiratet sein müsste. Ihr Blick war seltsam durchdringend und gab ihm das Gefühl, sie könne bis auf den dunklen Grund seiner Seele schauen. «Mein Vater war ein Jongleur und Feuerspeier», sagte sie schließlich.

«Ja, ich habe solche Männer gesehen.»

«Wir sind umhergereist, wie es uns gefiel, und haben auf Märkten unser Geld verdient. Mein Vater hat die Leute zum Lachen gebracht, und ich habe die Münzen eingesammelt.»

«Und deine Mutter?»

«Tot.» Sie sagte es so gleichgültig, als könne sie sich nicht einmal mehr an ihre Mutter erinnern. «Mein Vater ist auch gestorben, hier, vor einem halben Jahr. Also bin ich geblieben.»

«Warum?»

Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, als sei die Antwort auf seine Frage so offensichtlich, dass es müßig war, sie auszusprechen, doch dann kam sie offenbar zu dem Schluss, dass er als Geistlicher nicht wissen konnte, wie normale Menschen lebten. «Wisst Ihr, wie gefährlich die Straßen sind?», fragte sie. «Überall sind coredors

«Coredors?»

«Straßenräuber», erklärte sie. «Die Leute hier nennen sie coredors. Und dann gibt es noch die routiers, die sind genauso schlimm.» Routiers waren versprengte Soldatentrupps, die auf der Suche nach einem neuen Herrn über die Landstraßen zogen, und wenn sie hungrig waren, was häufig vorkam, nahmen sie sich mit Gewalt, wonach ihnen der Sinn stand. Einige eroberten sogar Städte und verlangten dafür Lösegeld. Und genau wie die coredors würden sie eine alleinreisende junge Frau als Geschenk des Teufels zu ihrem Vergnügen betrachten. «Was glaubt Ihr, wie lange ich überlebt hätte?»

«Hättest du dich nicht anderen anschließen können?», fragte Thomas.

«Das haben wir früher auch getan, mein Vater und ich, und da war er ja noch da, um mich zu beschützen. Aber ich allein?» Sie zuckte die Achseln. «Also bin ich geblieben. Ich habe als Küchenmagd gearbeitet.»

«Und dein ketzerisches Süppchen gekocht?»

«Ihr Priester seid so versessen auf Ketzerei», sagte sie verächtlich. «Das gibt euch einen Vorwand, andere zu verbrennen.»

«Wie war dein Name, bevor du verurteilt worden bist?», fragte Thomas.

«Geneviève.»

«Nach der Heiligen?»

«Wahrscheinlich.»

«Und wann immer Geneviève betete», sagte Thomas, «blies der Teufel ihr die Kerzen aus.»

«Ihr Priester seid voller Geschichten», spottete Geneviève. «Glaubt Ihr das wirklich? Glaubt Ihr, dass der Teufel in die Kirche kam und ihre Kerzen ausblies?»

«Möglich ist es.»

«Warum hat er sie nicht einfach getötet, wenn er der Teufel war? Was für ein alberner Streich, ein paar Kerzen auszublasen! So schlimm kann der Teufel ja nicht sein, wenn das alles ist, was er tut.»

Thomas ignorierte ihren Sarkasmus. «Ich habe gehört, du bist eine Begine?»

«Ich habe Beginen und Begarden kennengelernt, und ich mochte sie.»

«Sie sind die Brut des Teufels.»

«Seid Ihr schon mal einem von ihnen begegnet?»

Das war Thomas nicht, er hatte nur von ihnen gehört, und das Mädchen spürte sein Unbehagen. «Sie glauben daran, dass Gott alles für alle erschaffen hat und will, dass allen alles gehört, und das gefällt mir», gab sie zu. «Aber ich habe mich ihnen nie angeschlossen.»

«Irgendetwas musst du getan haben, um den Scheiterhaufen zu verdienen.»

Sie musterte ihn. Vielleicht flößte etwas in seinem Tonfall ihr Vertrauen ein, jedenfalls verschwand das Kämpferische aus ihrer Miene. Sie schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Mauer sinken, und Thomas vermutete, dass ihr nach Weinen zumute war. Als er ihr schmales Gesicht betrachtete, fragte er sich, weshalb er ihre Schönheit nicht sofort bemerkt hatte, so wie Robbie. Dann öffnete sie die Augen wieder und sah ihn an. «Was ist heute Nacht hier passiert?», fragte sie, ohne auf seine Anschuldigung einzugehen.

«Wir haben die Burg eingenommen.»

«Wir?»

«Die Engländer.»

Sie versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. «Das heißt, die Engländer sind jetzt die weltliche Macht?»

Er nahm an, dass sie den Ausdruck bei ihrem Prozess gelernt hatte. Die Kirche verbrannte Ketzer nicht, sie verurteilte sie nur und übergab die Sünder dann der weltlichen Macht zur Exekution. Auf diese Weise machte die Kirche sich nicht die Hände schmutzig, Gott konnte gewiss sein, dass seine Kirche unbefleckt war, und der Teufel gewann eine Seele. «Ja, wir sind jetzt die weltliche Macht», bestätigte Thomas.

«Also werden die Engländer mich verbrennen, nicht die Gascogner? «

«Jemand muss dich verbrennen, wenn du eine Ketzerin bist.»

«Und wenn nicht?», fragte Geneviève, doch als Thomas darauf nicht reagierte, ließ sie erneut den Kopf gegen die feuchte Mauer sinken. «Sie sagen, ich hätte Gott beleidigt.» Ihre Stimme klang müde. «Ich hätte behauptet, die Diener Gottes seien verderbt. Sie sagen, ich hätte nackt unter den Blitzen getanzt, die Macht des Teufels genutzt, um Wasser zu finden, Magie eingesetzt, um Kranke zu heilen, die Zukunft vorhergesagt und die Frau und das Vieh von Galat Lorret mit einem Fluch belegt.»

Thomas runzelte die Stirn. «Sie haben dich nicht verurteilt, weil du eine Begine bist?»

«Das auch», erwiderte sie trocken.

Er schwieg eine Weile. Irgendwo in der Dunkelheit tropfte es, und die Laterne flackerte und wäre beinahe erloschen. «Wessen Frau sollst du verflucht haben?»

«Die von Galat Lorret. Er ist ein Tuchhändler hier in der Stadt und sehr reich. Er ist der oberste Ratsherr, und er zieht jüngeres Fleisch seiner Frau vor.»

«Und hast du sie verflucht?»

«Nicht nur sie», sagte Geneviève mit Nachdruck. «Ihn auch. Habt Ihr nie jemanden verflucht?»

«Was hat es mit dem Vorhersagen der Zukunft auf sich?»

«Ich habe gesagt, sie würden alle sterben, und das ist nichts weiter als eine offensichtliche Tatsache.»

«Nicht wenn Jesus auf die Erde zurückkehrt, wie er es versprochen hat», wandte Thomas ein.

Sie musterte ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick, und die Andeutung eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Dann zuckte sie die Achseln. «Dann habe ich mich wohl geirrt», sagte sie sarkastisch.

«Der Teufel hat dir gezeigt, wo du Wasser findest?»

«Das könnt sogar Ihr», sagte sie. «Nehmt einen gegabelten Zweig und geht damit langsam über ein Feld. Wenn er anfängt zu zucken, grabt.»

«Und die magischen Heilungen?»

«Alte Hausmittel», sagte sie müde. «Das, was wir von unseren Tanten und Großmüttern und alten Frauen lernen. Dass man das Eisen aus einem Raum entfernt, in dem eine Frau gebärt, und dergleichen. Selbst Ihr klopft doch auf Holz, um das Böse abzuwenden. Werdet Ihr deshalb auf den Scheiterhaufen gebracht?»

Wiederum ging Thomas nicht auf ihre Bemerkung ein. «Du hast Gott beleidigt?»

«Gott liebt mich, und ich beleidige niemanden, der mich liebt. Aber ich habe gesagt, Seine Diener wären verderbt, denn das sind sie, und deshalb behaupteten sie, ich hätte Gott beleidigt. Seid Ihr verderbt, Priester?»

«Und du hast nackt unter den Blitzen getanzt», beschloss Thomas die Liste der Anschuldigungen.

«In diesem Punkt erkläre ich mich schuldig.»

«Warum hast du das getan?»

«Weil mein Vater immer gesagt hat, Gott würde uns den rechten Weg weisen, wenn wir das tun.»

«Tatsächlich?», fragte Thomas erstaunt.

«Das glaubten wir. Aber es war ein Irrtum. Gott hat mir gesagt, ich solle in Castillon d’Arbizon bleiben, doch das hat mir nur Folter und Scheiterhaufen eingetragen.»

«Folter?»

Etwas in Thomas’ Stimme ließ sie aufblicken, und sie streckte langsam ihr linkes Bein aus, damit er die Innenseite ihres Oberschenkels sehen konnte, dessen weiße Haut von mehreren schwärenden roten Wunden entstellt war. «Sie haben mir die Haut verbrannt», sagte sie. «Immer wieder. Deshalb habe ich schließlich gestanden, dass ich eine Begine bin, obwohl es nicht stimmt.» Sie begann zu weinen, als sie an die Qualen zurückdachte. «Sie haben glühendes Eisen genommen, und als ich schrie, sagten sie, das wäre der Teufel, der versuche, aus meiner Seele zu fahren.» Sie zog das Bein wieder an und zeigte ihm ihren rechten Arm, der die gleichen Male trug. «Aber die hier haben sie mir gelassen», sagte sie wütend und entblößte unvermittelt ihre kleinen Brüste, «weil Vater Roubert meinte, der Teufel sauge gern daran und der Schmerz seiner Zähne sei schlimmer als alles, was die Kirche mir antun könne.» Sie schlang wieder die Arme um die Knie und schwieg, während ihr die Tränen über das Gesicht rannen. «Die Kirche genießt es, anderen Schmerz zuzufügen», sagte sie nach einer Weile. «Das solltet Ihr doch wissen.»

«Ja, das weiß ich», erwiderte Thomas, und um ein Haar hätte er den Rock seiner Mönchskutte hochgezogen, um ihr zu zeigen, dass er die gleichen Narben trug, Narben von glühendem Eisen, das man auf seine Beine gepresst hatte, um ihm die Geheimnisse des Grals zu entlocken. Es war eine Folter, bei der kein Blut floss, denn es war der Kirche untersagt, Blut zu vergießen, aber ein geschickter Folterknecht konnte einer Seele dennoch Höllenqualen bereiten.

«Dann verfluche ich Euch», sagte Geneviève, die offenbar ihren Kampfgeist wiedergefunden hatte. «Ich verfluche Euch und alle Priester.»

Thomas erhob sich und griff nach der Laterne. «Ich bringe dir etwas zum Anziehen.»

«Habt Ihr Angst vor mir, Priester?», fragte sie spöttisch.

«Angst? Wovor?» Thomas sah sie verdutzt an.

«Davor!», sagte sie, zeigte ihm ihren nackten Körper und brach in höhnisches Gelächter aus. Thomas ging hinaus und verriegelte die Tür. Dann lehnte er sich von außen dagegen und starrte ins Nichts. Er sah Genevièves Augen vor sich, die so voller Feuer und Geheimnis waren. Er fand sie schön, obwohl sie schmutzig, zerzaust, halb verhungert und eine Ketzerin war, aber er hatte am Morgen eine Pflicht zu erfüllen, mit der er nicht gerechnet hatte. Eine gottgegebene Pflicht.

Er kehrte in den Burghof zurück, der verlassen dalag. Castillon d’Arbizon schlief.

Und Thomas, der Bastard eines Pfarrers, betete.


Der Turm stand im Wald, einen Tagesritt von Paris entfernt, auf einem kleinen Hügel unweit von Soissons. Es war ein einsamer Ort. Der Turm hatte einst einem Edelmann gehört, dessen Leibeigene die Täler an den Seiten des Hügels bewirtschaftet hatten, doch der Edelmann war gestorben, ohne Nachkommen zu hinterlassen, und seine entfernteren Verwandten hatten sich um den Besitz gestritten. So waren die Notare reich geworden, und der Turm war verfallen, Haselsträucher und Eichen hatten sich auf den Feldern ausgebreitet, und in den hohen steinernen Kammern, die dem Wind und den Jahreszeiten ausgeliefert waren, hatten sich Eulen eingenistet. Mittlerweile waren auch die Notare, die um den Turm gefeilscht hatten, tot, und der Turm gehörte einem Herzog, der ihn nie gesehen und nicht die geringste Absicht hatte, sich dort niederzulassen, während die Leibeigenen, die noch übrig waren, die Felder bei Melun bearbeiteten, wo ein Vasall des Herzogs sein Gut hatte.

Die Leute aus dem Dorf sagten, im Turm spuke es. In Winternächten wurde er von weißen Gespenstern heimgesucht, und merkwürdige Tiere streiften zwischen den Bäumen umher. Die Kinder wurden ermahnt, sich von ihm fernzuhalten, was natürlich die Mutigeren unter ihnen erst recht anstachelte, in den Wald zu gehen. Einige kletterten sogar in den Turm, stellten jedoch fest, dass dort niemand war.

Doch dann kamen die Fremden.

Sie kamen mit der Erlaubnis des Herzogs. Sie waren Pächter, aber sie hatten nicht vor, die Felder zu beackern oder das wertvolle Holz auf dem Hügel zu schlagen. Sie waren Soldaten. Fünfzehn harte Männer, voller Narben aus den Kriegen gegen England, mit Kettenpanzern und Armbrüsten und Schwertern. Sie brachten ihre Frauen mit, die im Dorf für Unruhe sorgten, doch niemand wagte es, sich zu beschweren, weil die Frauen ebenso hart waren wie die Soldaten. Aber der Härteste von allen war der Mann, der sie anführte. Er war groß und hager, hässlich, vernarbt und gewalttätig. Er hieß Charles, und er hatte nie als Soldat gekämpft oder auch nur eine Rüstung getragen, aber niemand traute sich, ihn zu fragen, wer oder was er war, denn allein sein Blick ließ einem das Blut in den Adern gefrieren.

Maurer kamen aus Soissons. Die Eulen wurden verjagt und der Turm wieder aufgebaut. Am Fuß des Turms wurde ein neuer Hof angelegt, mit einer hohen Mauer und einem Steinofen, und kurze Zeit nachdem diese Arbeiten beendet waren, rollte ein Karren, dessen Ladung unter einer Zeltplane verdeckt war, durch das neue Tor, das sofort hinter ihm verriegelt wurde. Einige der mutigeren Kinder, deren Neugier durch die merkwürdigen Ereignisse geweckt war, schlichen sich in den Wald, doch sie wurden von einem Wachmann erwischt, und sie flohen erschrocken, als er sie brüllend verfolgte und sogar mit seiner Armbrust auf sie schoss. Der Bolzen verfehlte einen der Jungen nur um Haaresbreite. Danach wagte sich niemand mehr dorthin. Die Soldaten kauften Nahrungsmittel und Wein auf dem Markt, doch selbst wenn sie im Gasthaus von Melun saßen und tranken, verrieten sie nicht, was im Turm vor sich ging. «Fragt Monsieur Charles», sagten sie, doch niemand im Dorf traute sich, den hässlichen, entstellten Mann anzusprechen.

Manchmal stieg Rauch aus dem Innenhof auf. Man konnte es vom Dorf aus sehen, und der Pfarrer schloss daraus, dass in dem Turm jetzt ein Alchemist hauste. Merkwürdige Waren wurden auf den Hügel geschafft, und eines Tages hielt ein Wagen mit einem Fass Schwefel und zahlreichen Bleibarren im Dorf, während der Fahrer sich einen Becher Wein genehmigte. Der Pfarrer roch den Schwefel. «Sie machen Gold», sagte er zu seiner Hausmagd, wohl wissend, dass sie es im ganzen Dorf herumerzählen würde.

«Gold?», fragte sie erstaunt.

«Das ist die Arbeit der Alchemisten.» Der Pfarrer war ein gelehrter Mann, der es in der Kirche weit hätte bringen können, wenn er nicht so eine ausgeprägte Schwäche für den Wein gehabt hätte, die dazu führte, dass er stets betrunken war, wenn zum Angelus geläutet wurde. Aber er erinnerte sich noch an seine Studienzeiten in Paris und daran, dass er damals erwogen hatte, sich selbst auf die Suche nach dem Stein der Weisen zu machen, jener geheimnisvollen Substanz, die, mit jedem beliebigen anderen Metall verschmolzen, zu Gold wurde. «Noah besaß ihn», sagte er.

«Wen?»

«Den Stein der Weisen. Aber er hat ihn verloren.»

«Weil er nackt und betrunken war?», fragte die Magd, die sich dunkel an die Geschichte von Noah erinnerte. «So wie Ihr?»

Der Priester lag auf seinem Bett, ebenfalls nackt und zumindest halb betrunken, und dachte an die verräucherten Werkstätten in Paris zurück, in denen Silber und Quecksilber, Blei und Schwefel, Bronze und Eisen geschmolzen und geformt und wieder geschmolzen wurden. Er hickste.

«Gütiger Jesus», seufzte er. «Der Stein der Weisen. Wir müssten nur den Stein der Weisen finden, dann könnten wir alle Gold machen.»

«Und wie geht das?»

«Das werde ich dir erzählen.» Er drehte sich auf die Seite und starrte auf ihre Brüste, die weiß und schwer im Mondlicht schimmerten. «Man muss sehr klug sein», sagte er und streckte die Hand nach ihr aus, «um den Stein der Weisen zu finden. Das ist eine Substanz, die heißer brennt als die Feuer der Hölle. Man legt sie mit jedem beliebigen Metall in den Ofen, und nach drei Tagen und drei Nächten hat sie sich zu Gold verwandelt. Hat Corday nicht gesagt, sie hätten da oben einen Ofen gebaut?»

«Er hat gesagt, sie haben den Turm zu einem Gefängnis umgebaut.»

«Einen Ofen», sagte er unbeirrt, «um den Stein der Weisen zu erschaffen.»

Mit dieser Vermutung kam der Pfarrer der Wahrheit näher, als er ahnte, und bald war das ganze Dorf überzeugt, im Turm sei ein großer Philosoph eingesperrt, der versuche, Gold zu machen. Wenn es ihm gelang, erzählte man sich, würde niemand mehr arbeiten müssen, denn dann wären sie alle reich. Bauern würden von goldenen Tellern essen und Pferde mit silbernem Zaumzeug reiten, doch einige Leute wandten ein, es müsse eine merkwürdige Form der Alchemie sein, denn eines Morgens seien zwei von den Soldaten ins Dorf gekommen und hätten drei alte Ochsenhörner und einen Eimer Kuhmist mitgenommen. «Jetzt werden wir tatsächlich alle reich», spottete die Hausmagd. «Wenn sie schon Kuhmist zu Gold verarbeiten.» Doch der Pfarrer schnarchte bereits.

Dann, im Herbst nach dem Fall von Calais, kam der Kardinal aus Paris. Er logierte in Soissons, in der Abtei von Saint-Jean-de-Vignes, die zwar reicher war als die meisten Klöster, aber dennoch außerstande, das gesamte Gefolge des Kardinals unterzubringen. Also zogen etwa zehn seiner Männer in ein Gasthaus, wo sie dem Wirt fröhlich verkündeten, er solle die Rechnung nach Paris schicken. «Der Kardinal wird bezahlen», versicherten sie ihm und lachten dann, denn sie wussten, dass Louis Bessières, Kardinalerzbischof von Livorno und päpstlicher Legat am Hofe Frankreichs, etwas so Triviales wie eine Geldforderung gar nicht zur Kenntnis nehmen würde.

Obwohl Seine Eminenz das Geld in letzter Zeit mit vollen Händen ausgab. Er war derjenige, der den Turm restauriert, die neue Mauer gebaut und die Wachen eingestellt hatte, und an dem Morgen nach seiner Ankunft in Soissons ritt er mit einer Eskorte von sechzig bewaffneten Männern und vierzehn Geistlichen zu dem Turm. Auf halbem Weg kam ihnen Monsieur Charles entgegen, ganz in Schwarz gekleidet und mit einem langen, schmalen Dolch an der Hüfte. Er begrüßte den Kardinal nicht voller Respekt, wie jeder andere es getan hätte, sondern nickte nur kurz und wendete sein Pferd, um neben ihm zu reiten. Der Kardinal bedeutete seinem Gefolge, ein Stück zurückzubleiben, damit niemand hören konnte, was gesprochen wurde.

«Du siehst gut aus, Charles», sagte der Kardinal spöttisch.

«Ich langweile mich.» Die Stimme des hässlichen Charles klang wie Eisen, das durch Kies geschleift wurde.

«Gott zu dienen kann hart sein», sagte der Kardinal.

Charles ignorierte den Sarkasmus. Er hatte eine Narbe, die von seiner Lippe bis zum Wangenknochen ging, Tränensäcke unter den Augen und eine gebrochene Nase. Die schwarzen Kleider hingen an seinem mageren Körper wie Lumpen an einer Vogelscheuche, und sein Blick huschte unablässig hin und her, als fürchte er einen Überfall. Jeder entgegenkommende Reisende, der wagemutig genug gewesen wäre, sich den Kardinal und seinen zerlumpten Gefährten genauer anzusehen, hätte Charles für einen Soldaten gehalten, doch Charles Bessières war nie einem Kriegsbanner gefolgt. Er hatte Kehlen aufgeschlitzt und Börsen geraubt, und er war nur deshalb dem Galgen entgangen, weil er der ältere Bruder des Kardinals war.

Charles und Louis Bessières waren im Limousin geboren, als Söhne eines Talghändlers. Der Jüngere hatte eine Erziehung bekommen, der Ältere war schon als Kind ein Taugenichts gewesen. Während Louis die Kirchenlaufbahn eingeschlagen hatte, war Charles durch dunkle Gassen geschlichen, doch so verschieden sie auch waren, sie vertrauten einander und wussten ein Geheimnis zu bewahren, und genau aus diesem Grund hatten die Soldaten den Befehl bekommen, sich auf Abstand zu halten.

«Wie geht es unserem Gefangenen?», fragte der Kardinal.

«Er mault. Nörgelt wie ein Weib.»

«Aber er arbeitet?»

«O ja, und ob», sagte Charles grimmig. «Er hat zu viel Angst, um faul zu sein.»

«Isst er? Wirkt er gesund?»

«Er isst, er schläft, und er nagelt seine Frau», sagte Charles.

«Er hat eine Frau?» Der Kardinal klang schockiert.

«Er wollte eine. Meinte, ohne könne er nicht vernünftig arbeiten, also habe ich ihm eine besorgt.»

«Was für eine?»

«Aus den Hurenhäusern von Paris.»

«Eine deiner früheren Gespielinnen?», fragte der Kardinal amüsiert. «Aber hoffentlich keine, an der dein Herz hängt?»

«Wenn alles erledigt ist, schneide ich ihr die Kehle durch, genau wie ihm», sagte Charles. «Du brauchst mir nur zu sagen, wann.»

«Wenn er sein Wunderwerk vollbracht hat, natürlich», erwiderte der Kardinal.

Sie folgten dem schmalen Pfad, der den Hügel hinaufführte, und als sie beim Turm angekommen waren, befahl der Kardinal seinem Gefolge, im Hof zu warten. Dann gingen Charles und er eine kurze, gewundene Treppe hinunter, die zu einer schweren Tür mit drei eisernen Riegeln führte. Der Kardinal wartete, während sein Bruder die Riegel löste. «Die Wachen kommen nicht hierher?», fragte er.

«Nur die beiden, die das Essen bringen und die Eimer leeren», sagte Charles. «Die anderen wissen, dass ihnen die Kehle aufgeschlitzt wird, wenn sie hier herumschnüffeln.»

«Und das glauben sie?»

Charles Bessières warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. «Würdest du es nicht glauben?» Bevor er den letzten Riegel löste, zog er seinen Dolch. Er trat einen Schritt zurück, als er die Tür öffnete, um einem eventuellen Angriff von der anderen Seite auszuweichen, doch der Mann im Innern legte keinerlei Feindseligkeit an den Tag, sondern freute sich geradezu, den Kardinal zu erblicken, und sank ehrfurchtsvoll auf die Knie.

Das Kellergewölbe des Turms war geräumig und von mächtigen Ziegelsteinbogen getragen, an denen mehrere Laternen hingen. Die trübe Beleuchtung wurde durch ein wenig Tageslicht verstärkt, das durch drei hohe, schmale Fenster mit mächtigen Gittern hereindrang. Der Gefangene, der in dem Keller hauste, war ein junger Mann mit langem blondem Haar, einem aufgeweckten Gesicht und intelligentem Blick. Wangen und Stirn waren, ebenso wie seine langen, feingliedrigen Hände, mit Schmutz beschmiert. Er blieb auf den Knien, als der Kardinal auf ihn zutrat.

«Gaspard, mein junger Freund», sagte der Kardinal wohlwollend und streckte die Hand aus, damit der Gefangene den schweren Ring küssen konnte, in dem ein Stachel aus der Dornenkrone Jesu verborgen war. «Ich hoffe, es geht dir gut? Wie ich höre, isst du mit Appetit, schläfst wie ein Säugling, arbeitest wie ein guter Christ und rammelst wie ein Hase.» Bei den letzten Worten blickte der Kardinal zu dem Mädchen hinüber, dann zog er seine Hand zurück und trat in die Mitte des Raumes, wo drei Tische mit diversen Tongefäßen, Bienenwachsquadern, Goldbarren und allerlei Meißeln, Feilen, Bohrern und Hämmern standen.

Das Mädchen, rothaarig und nur mit einem schmutzigen Hemd bekleidet, dessen einer Träger von der Schulter gerutscht war, saß mit mürrischer Miene auf einem einfachen Holzbett in der Ecke des Kellers. «Mir gefällt’s hier nicht», beschwerte sie sich.

Der Kardinal starrte sie eine Weile schweigend an, dann wandte er sich zu seinem Bruder. «Wenn sie noch einmal ohne Erlaubnis zu mir spricht», sagte er, «lass sie auspeitschen.»

«Sie meint es nicht böse, Euer Eminenz», sagte Gaspard, der noch immer auf dem Boden kniete.

«Aber ich», erwiderte der Kardinal, dann lächelte er dem Gefangenen zu. «Steh auf, mein lieber Junge, steh auf.»

«Ich brauche Yvette», sagte Gaspard. «Sie hilft mir.»

«Das kann ich mir denken.» Der Kardinal beugte sich über ein Tongefäß, das mit einer bräunlichen Masse gefüllt war. Der Gestank ließ ihn zurückweichen. Er wandte sich wieder Gaspard zu, der ihm gefolgt war und nun erneut kniete, ein Geschenk in den Händen.

«Für Euch, Eminenz», sagte Gaspard eifrig. «Ich habe es für Euch angefertigt.»

Der Kardinal nahm das Geschenk entgegen. Es war ein goldenes Kruzifix, kaum eine Handbreit hoch, und doch war jede Einzelheit des gekreuzigten Christus kunstvoll herausgearbeitet. Unter der Dornenkrone schauten einige Haarsträhnen hervor, die Dornen selbst waren so spitz, dass man sich daran stechen konnte, die Wunde in seiner Seite hatte gezackte Ränder, und das goldene Blut daraus rann über sein Lendentuch hinweg bis auf den schlanken Oberschenkel. Die Nagelköpfe standen sichtbar hervor, und der Kardinal zählte sie. Vier. Drei von den echten Nägeln hatte er in seinem Leben bereits gesehen. «Es ist sehr schön, Gaspard.»

«Ich würde noch besser arbeiten», sagte Gaspard, «wenn es mehr Licht gäbe.»

«Wir würden alle besser arbeiten, wenn es mehr Licht gäbe – das Licht der Wahrheit, das Licht Gottes, das Licht des Heiligen Geistes.» Der Kardinal ging an den Tischen entlang und strich mit der Hand über Gaspards Werkzeuge. «Doch der Teufel schickt uns Dunkelheit, um uns zu verwirren, und wir müssen uns nach Kräften bemühen, sie zu ertragen.»

«Aber weiter oben müsste es doch Räume mit mehr Licht geben?»

«In der Tat», sagte der Kardinal. «Doch woher weiß ich, dass du mir nicht entfliehst, Gaspard? Du bist ein kluger Mann. Wenn ich dir ein großes Fenster gebe, gebe ich dir damit vielleicht auch die Freiheit. Nein, mein guter Junge, wenn du so etwas fertigbringst» – er hielt das Kruzifix hoch –, «dann brauchst du nicht mehr Licht.» Er lächelte. «Du bist wirklich begabt.»

Das war Gaspard in der Tat. Er war Lehrling bei einem der Goldschmiede am Quai des Orfèvres auf der Ile de la Cité in Paris gewesen, wo der Kardinal seinen Wohnsitz hatte. Der Kardinal hatte von jeher eine Schwäche für die Goldschmiede. Er durchstöberte ihre Läden, förderte sie und erstand ihre besten Stücke, und viele davon waren von diesem jungen Lehrling angefertigt worden. Da er nicht nur begabt, sondern auch sehr auffahrend war, hatte er eines Nachts bei einer Prügelei in einer Schankstube einen anderen Lehrling erstochen und war zum Galgen verurteilt worden. Der Kardinal hatte ihn gerettet, in den Turm gebracht und ihm die Freiheit versprochen.

Doch erst musste Gaspard das Wunder vollbringen. Sobald er das getan hatte, war er ein freier Mann. So lautete das Versprechen, obwohl der Kardinal genau wusste, dass Gaspard diesen Keller nur verlassen würde, um den großen Ofen im Innenhof zu benutzen. Der ahnungslose junge Goldschmied stand bereits vor den Toren der Hölle. Der Kardinal bekreuzigte sich, dann legte er das Kruzifix auf einen der Tische. «Zeig ihn mir», befahl er Gaspard.

Gaspard trat an seinen Arbeitsplatz, auf dem ein in weißes Leinen gehülltes Objekt stand. «Es ist nur das Wachsmodell, Euer Eminenz», erklärte er und nahm das Leintuch ab, «und ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, es in Gold zu verwandeln.»

«Kann man es anfassen?», fragte der Kardinal.

«Vorsichtig», warnte Gaspard. «Es ist aus gereinigtem Bienenwachs und sehr empfindlich.»

Der Kardinal ergriff das grauweiße Wachsobjekt, das sich ölig anfühlte, und trat damit an eines der Fenster. Stumm vor Staunen stand er da.

Gaspard hatte einen Kelch aus Wachs geschaffen. Er hatte mehrere Wochen daran gearbeitet. Der Kelch selbst war gerade so groß, dass ein Apfel hineinpasste, und der Stiel maß nur sechs Zoll. Dieser Stiel war als Baumstamm gestaltet und lief unten in drei Wurzeln aus, die den Fuß bildeten. Die Krone des Baums verzweigte sich zu einem filigranen Geäst, das den Kelch umfasste und erstaunlich detailliert gearbeitet war, mit winzigen Blättern, Äpfeln und, oben am Rand, drei zierlichen Nägeln. «Er ist wunderschön», sagte der Kardinal.

«Die drei Wurzeln stehen für die Dreieinigkeit, Euer Eminenz», erklärte Gaspard.

«Das hatte ich vermutet.»

«Und der Baum ist der Baum des Lebens.»

«Daher die Äpfel», sagte der Kardinal.

«Und die Nägel deuten an, dass es der Baum ist, aus dem dereinst das Kreuz unseres Herrn gemacht wird», schloss Gaspard.

«Das war mir nicht entgangen», bemerkte der Kardinal. Er brachte den prachtvollen Wachskelch zum Tisch zurück und stellte ihn vorsichtig ab. «Wo ist das Glas?»

«Hier, Euer Eminenz.» Gaspard öffnete eine Schatulle und nahm ein Trinkgefäß heraus, das er dem Kardinal reichte. Das Gefäß bestand aus dickem grünlichem Glas, das an einigen Stellen trübe war und an anderen winzige Luftbläschen aufwies. Der Kardinal nahm an, dass es römischer Herkunft war. Sicher war er nicht, aber es sah sehr alt und ein wenig derb aus, und das war für seine Zwecke genau richtig. Der Kelch, aus dem Jesus seinen letzten Wein getrunken hatte, passte gewiss eher auf den Tisch eines Bauern als auf die Festtafel eines Edelmanns. Der Kardinal hatte das Glas in einem Laden in Paris entdeckt, es für ein paar Kupfermünzen erstanden und Gaspard angewiesen, den ohnehin schiefen Fuß abzutrennen, was dieser mit solchem Geschick getan hatte, dass der Kardinal nicht einmal mehr die Ansatzstelle sehen konnte. Nun setzte er den Glaskelch mit größter Vorsicht in das filigrane Wachsgebilde. Gaspard hielt den Atem an, voller Angst, dass der Kardinal eines der winzigen Blätter abbrechen könnte, doch der Kelch glitt sanft hinein und passte sich perfekt der Wölbung an.

Der Gral. Der Kardinal betrachtete den Glaskelch und stellte sich vor, wie er, von einem zierlichen Spitzenwerk aus feinstem Gold umschlossen und von hohen weißen Kerzen beschienen, auf einem Altar stand. Ein Chor heller Jungenstimmen würde erklingen, der Duft von Weihrauch würde die Luft erfüllen, und Könige und Kaiser, Prinzen und Herzöge, Edelmänner und Ritter würden davor niederknien.

Louis Bessières, Kardinalerzbischof von Livorno, wollte den Gral, und einige Monate zuvor war ein Gerücht aus Südfrankreich, dem Land der verbrannten Ketzer, zu ihm vorgedrungen, dass der Gral tatsächlich existierte. Zwei Abkömmlinge der Familie Vexille, ein Franzose und ein englischer Bogenschütze, suchten ebenfalls danach, doch niemand, so dachte der Kardinal, wollte ihn so sehr wie er. Und niemand verdiente ihn so sehr wie er. Wenn er diese kostbarste aller Reliquien fand, würde er so unermessliche Macht besitzen, dass Könige und der Papst ihn um seinen Segen bitten würden. Und wenn Clemens, der derzeitige Papst, starb, würde er, Louis Bessières, seinen Thron einnehmen – sofern er den Gral besaß. Doch eines Tages, als der Kardinal gedankenverloren auf die bunten Fenster seiner Privatkapelle gestarrt hatte, war ihm eine Erleuchtung gekommen. Der Gral selbst war gar nicht notwendig. Ob er existierte oder nicht, war belanglos; was zählte, war, dass die gesamte Christenheit daran glaubte, dass es ihn gab. Die Menschen wollten den Gral, und es konnte irgendein beliebiges Gefäß sein, solange sie nur überzeugt waren, dass es der echte, heilige, der einzig wahre Gral war. Und das war der Grund, weshalb Gaspard in diesem Keller hauste und weshalb der junge Goldschmied sterben musste, denn niemand außer dem Kardinal und seinem Bruder durfte jemals erfahren, was in dem abgelegenen Turm auf dem Hügel bei Melun vor sich ging. «Und jetzt», sagte der Kardinal und nahm vorsichtig das Glas aus seinem filigranen Gefäß, «musst du das einfache Wachs in himmlisches Gold verwandeln.»

«Das wird schwer, Euer Eminenz.»

«Natürlich wird es schwer, aber ich werde für dich beten. Und vergiss nicht, deine Freiheit hängt vom Erfolg dieses Unterfangens ab.» Der Kardinal sah den Zweifel auf Gaspards Gesicht. «Du hast das Kruzifix erschaffen», sagte er und hob das kunstvolle Schmuckstück hoch, «warum also sollte es dir mit dem Kelch nicht gelingen?»

«Er ist so feingliedrig», sagte Gaspard. «Und wenn ich das Gold gieße und das Wachs schmilzt nicht, war alles umsonst.»

«Dann wirst du von vorn beginnen», sagte der Kardinal. «Und dank deiner Erfahrung und mit Gottes Hilfe wirst du den Weg der Wahrheit finden.»

«So etwas ist noch nie zuvor gemacht worden, jedenfalls nicht mit etwas so Filigranem.»

«Zeig mir, wie es geht», befahl der Kardinal, und Gaspard erklärte ihm, dass er den Wachskelch mit der stinkenden braunen Paste bestreichen würde, vor der der Kardinal zurückgewichen war. Diese Paste bestand aus Wasser, gebranntem und zu Pulver zerstoßenem Ochsenhorn und Kuhmist, und sobald diese Schicht getrocknet war, würde das Ganze in weichen Ton gebettet, der vorsichtig angedrückt werden musste, um das Wachs vollständig zu umschließen, ohne es jedoch zu verformen. Von außen würden kleine Tunnel durch den Ton gebohrt, und dann würde Gaspard die formlose Masse in dem großen Ofen im Innenhof brennen. Dabei würde das Wachs schmelzen und durch die Tunnel auslaufen, und wenn er gut gearbeitet hatte, befände sich, verborgen im nunmehr gehärteten Ton, ein Hohlraum in der Form des Lebensbaums.

«Und wozu der Kuhmist?», fragte der Kardinal voller Interesse. Alle schönen Dinge faszinierten ihn, vielleicht weil sie ihm in seiner Jugend versagt gewesen waren.

«Er wird sehr hart, wenn man ihn brennt», erklärte Gaspard, «und bildet dann eine feste Schicht um den Hohlraum.» Er lächelte dem mürrischen Mädchen zu. «Yvette mischt ihn für mich. Die Schicht, die unmittelbar auf das Wachs gestrichen wird, ist sehr fein, die äußeren gröber.»

«Diese Dungmischung bildet also die harte Oberfläche der Form?», fragte der Kardinal.

«Genau», erwiderte Gaspard, erfreut, dass sein Retter und Wohltäter das Verfahren verstand.

Wenn der Ton ausgekühlt war, würde Gaspard geschmolzenes Gold in den Hohlraum gießen, und dann konnte er nur noch hoffen, dass das flüssige Feuer jede noch so winzige Höhlung, jedes Blatt und jeden Apfel, jeden Nagel und jede kunstvoll modellierte Struktur der Baumrinde ausfüllte. Und wenn das Gold abgekühlt und ausgehärtet war, würde er den Tonmantel zerschlagen, und dann käme entweder der prachtvollste Kelch zum Vorschein, den die Christenheit je erblickt hatte, oder ein formloser Goldklumpen. «Wahrscheinlich werde ich ihn in mehreren Einzelteilen gießen müssen», sagte Gaspard nervös.

«Du wirst es mit diesem Modell versuchen», befahl der Kardinal und breitete das Leintuch wieder über den Wachskelch. «Und falls es misslingt, wirst du ein neues machen und es noch einmal versuchen und noch einmal, und wenn du es geschafft hast, Gaspard, werde ich dir die Felder und den Himmel wiedergeben. Dir und deiner kleinen Freundin.» Er lächelte der Frau verhalten zu, schlug das Kreuz über Gaspards Kopf und verließ den Keller. Draußen wartete er, während sein Bruder die Tür verriegelte. «Sei nicht unfreundlich zu ihm, Charles.»

«Unfreundlich? Ich bin sein Kerkermeister, nicht seine Amme.»

«Und er ist ein Genie. Er glaubt, er fertigt mir einen Messkelch. Er hat keine Ahnung, wie wichtig seine Arbeit ist. Das Einzige, wovor er sich fürchtet, bist du, also sorg dafür, dass er sich wohl fühlt.»

Charles wandte sich von der Tür ab. «Und wenn sie nun den echten Gral finden?»

«Wer sollte ihn finden?», entgegnete der Kardinal. «Der englische Bogenschütze ist verschwunden, und dieser trottelige Mönch wird ihn in Berat gewiss nicht auftreiben. Er wirbelt nur Staub auf.»

«Warum hast du ihn dann geschickt?»

«Weil der Gral eine Vergangenheit haben muss. Bruder Jerôme wird in der Gascogne ein paar Geschichten über den Gral ausgraben, und sobald er offiziell erklärt hat, dass es Aufzeichnungen über den Gral gibt, werden wir den Kelch nach Berat bringen und seine Entdeckung verkünden.»

Charles war immer noch mit dem echten Gral beschäftigt. «Ich dachte, der Vater dieses Engländers hätte ein Buch hinterlassen?»

«Hat er, aber es steht nichts Brauchbares drin. Es sind die Kritzeleien eines Verrückten.»

«Dann finde den Bogenschützen und hol die Wahrheit aus ihm heraus.»

«Wir werden ihn finden», sagte der Kardinal grimmig, «und beim nächsten Mal werde ich dich auf ihn loslassen, Charles. Dann wird er reden. Aber bis dahin müssen wir weitersuchen und vor allem weiterarbeiten, also sorge gut für unseren Gaspard.»

«Ja», sagte Charles, «und dann sorge ich dafür, dass er schweigt.» Denn Gaspard würde den beiden Brüdern den Weg zum Papstpalast in Avignon bereiten, und der Kardinal, der die Stufen zum Innenhof hinaufstieg, konnte die Macht bereits schmecken. Er würde Papst sein.


Frühmorgens am gleichen Tag, weit südlich des abgelegenen Turms bei Soissons, wartete der Scheiterhaufen für die Verbrennung der Ketzerin im Schatten der Burg von Castillon d’Arbizon. Das Holz war sorgfältig aufgeschichtet worden, genau wie Vater Roubert es angeordnet hatte: Rund um den dicken Pfahl mit der Kette war zunächst eine Schicht Anmachholz verteilt worden und darüber vier Schichten aufrecht angeordneter Zweigbündel, die sehr hell, aber nicht zu heiß brennen und nur wenig Rauch bilden würden, sodass die Leute sehen konnten, wie Geneviève sich in den lodernden Flammen wand, und Zeuge waren, wie die Ketzerin in das Reich Satans einging.

Der Schatten der Burg erstreckte sich fast bis hinunter zum Westtor, wo die Stadtbüttel, bereits schockiert über den Leichnam des Wachmanns im Innern des Tors, entgeistert zum dunklen Umriss des Turms hinaufstarrten. Oben an der Spitze wehte eine neue Fahne. Anstelle des orangeroten Leoparden auf weißem Grund zeigte sie ein blaues Feld, durchteilt von einem diagonalen weißen Band, auf dem drei rote Sterne prangten. Drei gelbe Löwen zierten die beiden blauen Felder, und diese wilden Tiere schienen sich zu bewegen, als ein leichter Wind die große Flagge anhob. Dann gab es die nächste Überraschung, denn in dem Moment, als die vier Ratsherren der Stadt herbeigeeilt kamen, erschienen einige Männer auf der Mauer oberhalb des Burgtores und ließen zwei schwere, an Seilen befestigte Objekte über die Brustwehr fallen. Zunächst dachten die Zuschauer unten, die Garnison lüfte ihre Matratzen, doch dann sahen sie, dass es die Leichen zweier Männer waren. Es handelte sich um den Kastellan und einen weiteren Wachmann, und sie hingen dort, um die Botschaft der Flagge zu verstärken. Castillon d’Arbizon stand unter neuer Herrschaft.

Galat Lorret, der älteste und reichste der Ratsherren, derselbe Mann, der am Abend zuvor den fremden Mönch in der Kirche befragt hatte, fasste sich als Erster. «Wir müssen Berat benachrichtigen», sagte er und wies den Schreiber an, einen Brief an den rechtmäßigen Herrn von Castillon d’Arbizon aufzusetzen. «Sag dem Herrn, englische Truppen hätten die Flagge des Earl of Northampton gehisst.»

«Ihr kennt sie?», fragte einer der anderen Ratsherren.

«Sie hat lange genug hier geweht», erwiderte Lorret bitter. Castillon d’Arbizon hatte einst den Engländern gehört und seine Steuern ins ferne Bordeaux entrichtet, doch Lorret hatte nicht damit gerechnet, die Flagge des Earls jemals wiederzusehen. Er befahl den verbliebenen Wachmännern der Garnison, die betrunken in der Schankstube gesessen hatten und so den Engländern entgangen waren, die Nachricht des Schreibers ins ferne Berat zu bringen, sobald sie fertig war, und gab ihnen ein paar Goldmünzen, um ihren Ritt zu beschleunigen. Dann marschierte er mit grimmiger Miene die Straße hinauf, begleitet von den drei anderen Ratsherren. Vater Medous und der Pfarrer von St. Callic schlossen sich ihnen an, und nach und nach folgte auch das verängstigte Stadtvolk.

Lorret pochte an das Burgtor. Er war fest entschlossen, die dreisten Eindringlinge mit seiner Autorität zu bezwingen. Er würde ihnen Angst einjagen. Er würde verlangen, dass sie Castillon d’Arbizon augenblicklich verließen. Er würde ihnen mit Belagerung und Aushungerung drohen. Noch während er sich seine empörte Rede zurechtlegte, öffneten sich knarzend die Flügel des großen Tores, und vor ihm stand ein Dutzend englischer Bogenschützen in voller Rüstung. Beim Anblick der halb gespannten Bogen mit den langen Pfeilen wich Lorret unwillkürlich zurück.

Dann trat der junge Mönch vor, nur war er jetzt kein Mönch mehr, sondern ein Soldat in einem Kettenpanzer. Sein Kopf war unbedeckt, und das kurze schwarze Haar sah aus, als wäre es mit einem Messer geschoren worden. Er trug schwarze Beinlinge, hohe schwarze Stiefel und einen schwarzen Ledergürtel, an dem ein kurzes Messer und ein langes, einfaches Schwert befestigt waren. Um seinen Hals hing eine silberne Kette, das Zeichen, dass er der Anführer war. Er musterte die Ratsherren und Büttel, die sich vor ihm aufgereiht hatten, und nickte Lorret zu. «Wir wurden gestern Abend nicht richtig vorgestellt», sagte er, «aber zweifellos erinnert Ihr Euch an meinen Namen. Nun seid Ihr an der Reihe, mir Euren zu nennen.»

«Ihr habt hier nichts verloren!», polterte Lorret.

Thomas sah zum Himmel hinauf, dessen blasse, fast ausgewaschene Tönung erahnen ließ, dass das ungewöhnlich kalte Wetter anhalten würde. «Vater», sagte er, zu Medous gewandt, «seid so gut und übersetzt meine Worte, damit alle verstehen, was gesprochen wird.» Dann blickte er wieder zu Lorret. «Wenn Ihr nicht zur Vernunft kommt, werde ich meinen Männern befehlen, Euch zu töten, und dann werde ich mich an Eure Begleiter wenden. Wie ist Euer Name?»

«Ihr seid doch der Mönch», sagte Lorret empört.

«Nein, das bin ich nicht, aber Ihr habt es geglaubt, weil ich lesen kann. Ich bin der Sohn eines Pfarrers, und er hat mir das Lesen beigebracht. Würdet Ihr mir jetzt Euren Namen verraten?»

«Ich bin Galat Lorret.»

«Und nach Eurer Robe zu schließen» – Thomas deutete auf den pelzbesetzten Umhang –, «nehme ich an, Ihr habt hier etwas zu sagen?»

«Wir sind die Ratsherren», sagte Lorret mit aller Würde, die er aufbieten konnte. Seine drei Amtskollegen bemühten sich, unbekümmert dreinzuschauen, aber das war nicht einfach mit einer Reihe funkelnder Pfeilspitzen vor der Nase.

«Ich danke Euch», erwiderte Thomas höflich. «Und jetzt sagt Euren Leuten, dass sie das große Glück haben, wieder unter der Herrschaft des Earl of Northampton zu stehen, und dass Seine Lordschaft es nicht schätzt, wenn seine Untertanen tatenlos herumstehen, anstatt ihr Werk zu verrichten.» Er nickte Vater Medous zu, der der Menge die Worte stotternd übersetzte. Einige protestierten, hauptsächlich deshalb, weil den Klügeren unter ihnen klar war, dass ein Wechsel der Herrschaft unweigerlich höhere Steuern nach sich ziehen würde.

«Das erste Werk, das heute verrichtet werden muss», sagte Lorret, «ist die Verbrennung einer Ketzerin.»

«Das betrachtet Ihr als Werk?»

«Das Werk Gottes.» Lorret erhob die Stimme und wechselte zur Sprache der Gegend. «Allen Bewohnern der Stadt ist eine Unterbrechung ihrer Arbeit gewährt worden, um der Verbrennung des Bösen beiwohnen zu können.»

Vater Medous übersetzte die Worte für Thomas. «Es ist so Brauch», fügte der Pfarrer hinzu, «und der Bischof besteht darauf, dass die Leute das Mädchen brennen sehen.»

«Brauch?», fragte Thomas. «Verbrennt Ihr Mädchen so oft, dass es einen entsprechenden Brauch gibt?»

Vater Medous schüttelte verwirrt den Kopf. «Vater Roubert hat darauf bestanden, dass wir die Leute zuschauen lassen.»

Thomas runzelte die Stirn. «Vater Roubert? Ist das derjenige, der Euch gesagt hat, dass Ihr das Mädchen langsam verbrennen sollt? Mit dünnen, aufrecht angeordneten Zweigbündeln?»

«Er ist Dominikaner», sagte Vater Medous. «Und zwar ein echter. Er hat die Ketzerei des Mädchens aufgedeckt. Eigentlich sollte er hier sein.» Der Pfarrer sah sich um, als erwarte er, den Mönch irgendwo zu erblicken.

«Zweifellos bedauert er es, dieses Schauspiel zu verpassen.» Thomas gab seinen Bogenschützen ein Zeichen, zur Seite zu treten, damit Guillaume d’Evecque, ebenfalls im Kettenpanzer und mit einem großen Kriegsschwert in der Hand, Geneviève nach vorn bringen konnte. Bei ihrem Anblick stießen die Leute Flüche und Verwünschungen aus, doch ihr Zorn verstummte, als die Bogenschützen hinter dem Mädchen wieder in Stellung gingen und ihre Pfeile auf sie richteten. Robbie Douglas schob sich zwischen den Bogenschützen hindurch, den Blick auf Geneviève geheftet, die nun neben Thomas stand. «Ist dies das Mädchen?», fragte Thomas.

«Ja, sie ist die Ketzerin», sagte Lorret.

Geneviève starrte Thomas ungläubig an. Als er bei ihr in der Zelle gewesen war, hatte er die Kutte eines Mönchs getragen, doch nun war offensichtlich, dass er kein Geistlicher war.

Sie sah nicht mehr aus wie ein schmutziges, wildes Tier. Thomas hatte zwei Küchenmägde aus der Burg mit Wasser, Tüchern und einem Kamm zu ihr geschickt, damit sie sich waschen konnte, und er hatte ihr ein weißes Kleid gegeben, das der Kastellanin gehört hatte. Es war aus kostbarem, gebleichtem Leinen, mit goldenen Stickereien am Ausschnitt, an den Ärmeln und am Saum, und Geneviève sah aus, als wäre sie dazu geboren, solche Kleider zu tragen. Ihr langes blondes Haar war zu einem Zopf geflochten und mit einem gelben Band zusammengebunden. Sie war erstaunlich groß, und trotz der gefesselten Hände blickte sie mit herausfordernder Miene auf die Menge. Vater Medous deutete schüchtern auf den Scheiterhaufen, als wollte er andeuten, es sei keine Zeit zu verlieren.

Thomas betrachtete Geneviève erneut. Sie war wie eine Braut gekleidet, eine Braut, die sich mit dem Tod vermählte, und Thomas staunte über ihre Schönheit. War das der Grund, weshalb die Leute sie so hassten? Sein Vater hatte oft gesagt, dass Schönheit ebenso viel Hass wie Liebe weckte, denn Schönheit war unnatürlich, ein Affront gegen den Schmutz und die Narben und das Blut des gewöhnlichen Lebens, und Geneviève, so groß und schmal und ätherisch, war alles andere als gewöhnlich. Robbies Gedanken schienen in dieselbe Richtung zu gehen, denn er starrte sie mit einem Ausdruck entrückten Staunens an.

Galat Lorret wies auf den Scheiterhaufen. «Wenn Ihr wollt, dass die Leute wieder an die Arbeit gehen, dann fangt endlich mit der Verbrennung an.»

«Ich habe noch nie eine Frau verbrannt», sagte Thomas. «Ihr müsst mir ein wenig Zeit lassen, um zu überlegen, wie ich es am besten anstelle.»

«Die Kette wird um ihren Leib geschlungen», erklärte Lorret, «und der Schmied verschließt sie.» Er deutete zu dem Schmied, der mit einer Öse und einem Hammer bereitstand. «Und Feuer findet Ihr in jedem Haus.»

«In England kommt es bisweilen vor, dass der Henker das Opfer hinter dem Schleier des Rauchs erwürgt, um die Qual zu verkürzen. Meist nimmt er dazu eine Bogensehne.» Thomas holte eine ebensolche Sehne aus seiner Gürteltasche. «Ist das hier auch üblich?»

«Nicht bei Ketzern», erwiderte Galat Lorret schroff.

Thomas nickte und steckte die Sehne wieder ein. Dann nahm er Genevièves Arm, um sie zum Scheiterhaufen zu bringen. Robbie trat vor, als wolle er ihn daran hindern, doch d’Evecque hielt den jungen Schotten zurück. Thomas zögerte. «Es muss doch ein Dokument geben», sagte er zu Lorret. «Eine Vollmacht oder etwas in der Art, das die weltliche Macht autorisiert, das Urteil der Kirche auszuführen.»

«Es wurde dem Kastellan gesandt», sagte Lorret.

«Dem da?» Thomas sah zu dem Leichnam an der Mauer hinauf. «Er hat es mir nicht gegeben, und ich kann das Mädchen nicht ohne ein solches Dokument verbrennen.» Er zog eine sorgenvolle Miene und wandte sich zu Robbie um. «Kannst du mal nachsehen? Im Saal stand eine Truhe mit Pergamenten, vielleicht ist es da? Es muss etwas mit einem schweren Siegel sein.»

Robbie, der den Blick nicht von Genevièves Gesicht lösen konnte, sah einen Moment so aus, als wolle er sich widersetzen, doch dann nickte er abrupt und verschwand in der Burg. Thomas trat vom Scheiterhaufen zurück, Geneviève noch immer am Arm. «Während wir warten», sagte er zu Vater Medous, «könntet Ihr vielleicht kurz erläutern, weshalb sie verbrannt werden soll?»

Die höfliche Aufforderung schien den Pfarrer aus der Fassung zu bringen, doch er fing sich wieder. «Vieh ist gestorben», sagte er, «und sie hat die Ehefrau eines Mannes verflucht.»

Thomas sah ihn überrascht an. «In England stirbt auch Vieh, und ich habe auch schon einmal die Ehefrau eines Mannes verflucht. Bin ich deshalb ein Ketzer?»

«Sie kann die Zukunft vorhersagen!», protestierte Medous. «Sie hat nackt unter den Blitzen getanzt und Magie benutzt, um Wasser zu finden.»

«Ah», sagte Thomas mit ernster Miene. «Wasser?»

«Mit einem Zweig!», warf Galat Lorret ein. «Das ist Teufelswerk!»

Thomas zog eine nachdenkliche Miene. Er sah zu Geneviève, die leicht zitterte, und dann wieder zu Vater Medous. «Sagt mir, Vater, war es nicht so, dass Moses mit dem Stab seines Bruders gegen einen Felsen schlug, und dann sprudelte Wasser aus dem Stein?»

Es war lange her, dass Vater Medous die Bibel studiert hatte, doch die Geschichte kam ihm bekannt vor. «Ja, da war etwas in der Art», gab er zu.

«Vater!», sagte Galat Lorret warnend.

«Schweigt!», herrschte Thomas den Ratsherrn an. Er erhob die Stimme. «‹Cumque elevasset Moses manum›», zitierte er aus dem Gedächtnis, «‹percutiens virga bis silicem egressae sunt aquae largissimae.›» Es hatte nicht viele Vorzüge, der Bastard eines Priesters zu sein oder einige Wochen in Oxford verbracht zu haben, doch immerhin hatte er dabei genügend Wissen aufgeschnappt, um die meisten Kirchenmänner ins Stottern zu bringen. «Da Ihr meine Worte nicht übersetzt habt, Vater», sagte er zu dem Pfarrer, «erzählt den Leuten, wie Moses gegen den Felsen geschlagen und damit Wasser zum Sprudeln gebracht hat. Und dann erklärt mir, wenn es Gott gefällt, Wasser mit Hilfe eines Stabes zu finden, warum sollte es dann unrecht von dieser Frau sein, dies mit einem Zweig zu tun?»

Das gefiel der Menge nicht. Unmut breitete sich aus, und nur der Anblick zweier Bogenschützen, die auf der Brustwehr oberhalb der beiden baumelnden Leichen auftauchten, brachte sie zum Schweigen. Der Priester beeilte sich, die Proteste zu übersetzen. «Sie hat eine Frau verflucht und die Zukunft vorhergesagt.»

«Was hat sie in der Zukunft gesehen?», fragte Thomas.

«Den Tod.» Diesmal antwortete Lorret. «Sie hat gesagt, die Stadt würde sich mit Toten füllen und wir würden unbegraben auf den Straßen liegen.»

Thomas wirkte beeindruckt. «Hat sie auch vorhergesagt, dass die Stadt unter ihren rechtmäßigen Herrn zurückkehren würde? Hat sie gesagt, dass der Earl of Northampton uns hierherschicken würde?»

Schweigen breitete sich aus, dann schüttelte Medous den Kopf. «Nein.»

«Dann scheint sie die Zukunft nicht sehr klar zu sehen», sagte Thomas. «Das kann der Teufel ihr nicht eingeflüstert haben.»

«Das Bischofstribunal hat anders entschieden», beharrte Lorret, «und es ist nicht an Euch, die Autoritäten anzuzweifeln.»

Das Schwert fuhr mit überraschender Schnelligkeit aus Thomas’ Scheide. Die Klinge war geölt, um dem Rosten vorzubeugen, und sie glänzte feucht, als er die Spitze in den Pelzbesatz auf Lorrets Brust bohrte. «Ich bin die Autorität», sagte Thomas und drückte ein wenig fester. «Und Ihr tätet gut daran, das nicht zu vergessen. Ich kenne Euren Bischof nicht, aber wenn er eine Frau wegen ein paar verendeter Rinder für eine Ketzerin hält, ist er ein Trottel, und wenn er sie verurteilt, weil sie das getan hat, was Gott Moses befahl, dann ist er ein Gotteslästerer.» Er verstärkte erneut den Druck seines Schwertes, woraufhin Lorret hastig einen Schritt zurückwich. «Wessen Frau hat sie verflucht?»

«Meine», sagte Lorret empört.

«Und, ist sie gestorben?»

«Nein», musste Lorret zugeben.

«Dann hat der Fluch nicht gewirkt», sagte Thomas und schob das Schwert zurück in die Scheide.

«Sie ist eine Begine!», beharrte Vater Medous.

«Was ist das?», fragte Thomas.

«Eine Ketzerin», sagte Vater Medous ein wenig hilflos.

«Ihr wisst es nicht, stimmt’s?», sagte Thomas. «Für Euch ist es nur ein Wort, und wegen dieses Wortes wollt Ihr sie verbrennen?» Er nahm das Messer von seinem Gürtel, dann schien ihm ein Gedanke zu kommen. «Ich nehme an», sagte er, zum Ratsherrn gewandt, «Ihr beabsichtigt, dem Grafen von Berat eine Nachricht zu schicken?»

Lorret sah ertappt aus, spielte jedoch den Ahnungslosen.

«Haltet mich nicht für einen Narren», sagte Thomas. «Ich bin überzeugt, dass Ihr bereits dabei seid, eine Nachricht zu verfassen. Also schreibt Eurem Grafen und Eurem Bischof, dass ich Castillon d’Arbizon erobert habe, und schreibt ihnen auch …» Er verstummte. Die ganze Nacht hatte er fieberhaft überlegt, was er tun sollte. Er hatte sogar gebetet, denn er war bemüht, ein guter Christ zu sein, aber seine Seele und sein Instinkt sagten ihm, dass es falsch war, das Mädchen zu verbrennen. Dann wieder hatte ihn eine innere Stimme gemahnt, er ließe sich von Mitleid und von goldenem Haar und hübschen Augen verführen, doch letzten Endes war er zu dem Schluss gekommen, dass er Geneviève nicht den Flammen übergeben konnte. Deshalb schnitt er jetzt das Seil durch, mit dem ihre Hände gefesselt waren, und als die Menge protestierte, erhob er die Stimme. «Schreibt Eurem Bischof, dass ich die Ketzerin freigelassen habe.» Er steckte sein Messer weg, legte den Arm um Genevièves schmale Schultern und wandte sich wieder an die Menge. «Schreibt Eurem Bischof, dass sie unter dem Schutz des Earl of Northampton steht. Und wenn Euer Bischof wissen will, wer das getan hat, dann nennt ihm denselben Namen wie dem Grafen von Berat: Thomas von Hookton.»

«Hookton», wiederholte Lorret, dem der fremde Name schwer über die Lippen ging.

«Ganz recht», sagte Thomas. «Und sagt ihm, Thomas von Hookton ist von Gottes Gnaden Herrscher über Castillon d’Arbizon.»

«Ihr? Herrscher über diese Stadt?», fragte Lorret empört.

«Wie Ihr gesehen habt, besitze ich jetzt die Macht, über Leben und Tod zu entscheiden. Und das, Lorret, gilt auch für Euer Leben.» Damit drehte er sich um und führte Geneviève in den Hof der Burg zurück. Hinter ihnen fiel krachend das Tor zu.

Und da damit die Aufregungen des Tages vorerst beendet schienen, wandte Castillon d’Arbizon sich wieder der Arbeit zu.


Zwei Tage lang aß und sprach Geneviève nicht. Sie blieb in Thomas’ Nähe, beobachtete ihn, doch wenn er etwas zu ihr sagte, schüttelte sie nur den Kopf. Manchmal weinte sie still. Sie gab kein Geräusch von sich, wenn sie weinte, nicht einmal ein Schluchzen; nur die Tränen rannen über ihr verzweifeltes Gesicht.

Robbie versuchte, mit ihr zu reden, doch sie wich vor ihm zurück. Sie erschauerte sogar, wenn er ihr zu nahe kam, und das nahm Robbie ihr übel. «Gottverdammte Ketzerhure», verfluchte er sie mit seinem schottischen Akzent, und obwohl Geneviève kein Englisch sprach, verstand sie den Sinn seiner Worte und sah Thomas aus ihren großen Augen hilfesuchend an.

«Sie hat Angst», sagte Thomas.

«Vor mir?», fragte Robbie entrüstet, und seine Empörung schien gerechtfertigt, denn Robbie Douglas war ein umgänglicher junger Mann mit offenem, stupsnasigem Gesicht.

«Man hat sie gefoltert», erklärte Thomas. «Kannst du dir vorstellen, was das mit einem Menschen macht?» Unwillkürlich blickte er auf seine verkrümmten Hände, deren Knochen von Daumenschrauben gebrochen worden waren. Er hatte damals geglaubt, er würde niemals wieder einen Bogen spannen können, doch Robbie, sein Freund, hatte nicht locker gelassen und ihn immer wieder zum Üben angetrieben. «Sie wird sich schon wieder berappeln», fügte er hinzu.

«Ich versuche doch nur, nett zu sein», verteidigte sich Robbie. Thomas warf seinem Freund einen Blick zu. Robbie errötete und wechselte das Thema. «Der Bischof wird eine neue Vollmacht schicken», sagte er. Thomas hatte die erste, die zusammen mit allen anderen Dokumenten der Burg in der eisenbeschlagenen Truhe des Kastellans gelegen hatte, verbrannt. Die übrigen Pergamente waren hauptsächlich Steuerrollen, Lohnlisten, Verzeichnisse von Einwohnern, Läden und dergleichen mehr. Ein paar Münzen waren auch in der Truhe gewesen, die Steuergelder und gleichzeitig die erste Beute unter Thomas’ Befehl. «Was willst du dann tun?», bohrte Robbie nach.

«Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?», fragte Thomas.

«Du wirst sie verbrennen müssen», erwiderte Robbie entschieden. «Dir bleibt keine andere Wahl. Der Bischof wird darauf bestehen»

«Wahrscheinlich», sagte Thomas. «Die Kirche kann sehr hartnäckig sein, wenn es darum geht, Leute zu verbrennen.»

«Dann kann sie nicht hierbleiben!»

«Ich habe ihr die Freiheit gegeben», sagte Thomas, «also kann sie tun, was sie will.»

«Ich könnte sie nach Pau bringen», erbot sich Robbie. Pau, ein gutes Stück westlich gelegen, war die nächste englische Garnison. «Dort wäre sie in Sicherheit. Gib mir eine Woche, ich bringe sie dorthin.»

«Ich brauche dich hier, Robbie. Wir sind nur wenige, wenn der Feind kommt, wird er in der Überzahl sein.»

«Aber ich könnte doch –»

«Sie bleibt hier», sagte Thomas bestimmt. «Es sei denn, sie möchte fort.»

Robbie sah aus, als wolle er widersprechen, dann verließ er abrupt den Raum. D’Evecque, der den Wortwechsel schweigend verfolgt hatte, zog eine ernste Miene. «Noch ein oder zwei Tage», sagte er auf Englisch, damit Geneviève ihn nicht verstand, «dann wird Robbie selbst darauf bestehen, dass sie verbrannt wird.»

«Was?» Thomas starrte ihn überrascht an. «Nein, das glaube ich nicht. Warum sollte er?»

«Er will sie», sagte d’Evecque, «und wenn er sie nicht haben kann, wird er beschließen, dass niemand sie haben soll.» Nachdenklich betrachtete er Geneviève. «Wenn sie hässlich wäre, würde sie dann noch leben?»

«Wenn sie hässlich wäre», erwiderte Thomas, «hätte man sie wahrscheinlich gar nicht verurteilt.»

D’Evecque zuckte die Achseln. Seine illegitime Tochter Eleanor war Thomas’ Frau gewesen, bis dessen Vetter, Guy Vexille, sie getötet hatte. Auch sie war eine Schönheit gewesen, genau wie Geneviève. «Du bist genauso schlimm wie der Schotte.»

In dieser Nacht, der zweiten Nacht seit der Eroberung der Burg, als die Männer, die die Gegend nach Nahrung durchstreift hatten, wieder zurück waren, als die Pferde gefüttert, das Tor verschlossen und die Wachen aufgestellt waren, als alle gegessen und die meisten sich schlafen gelegt hatten, kroch Geneviève hinter dem Wandbehang vor dem Alkoven des Kastellans hervor und gesellte sich zu Thomas, der vor dem Feuer saß und in der Abschrift der merkwürdigen Aufzeichnungen seines Vaters las. Sonst war niemand in dem großen Saal. Robbie und Guillaume d’Evecque hatten ihr Lager dort oben, genau wie Thomas, doch d’Evecque führte die Wachaufsicht, und Robbie trank und spielte mit den Soldaten unten in der Waffenkammer.

In ihrem langen weißen Kleid trat sie grazil vom Podest herunter, ging auf ihn zu und hockte sich neben seinen Sessel vor das Feuer. Sie starrte eine Weile in die Flammen, dann wandte sie sich Thomas zu, und er betrachtete staunend ihr Gesicht, auf dem Licht und Schatten des Feuers spielten. Was für ein gewöhnliches Ding, so ein Gesicht, dachte er, doch dieses faszinierte ihn.

«War es meine Schönheit, die mich gerettet hat?», fragte sie. Es waren ihre ersten Worte, seitdem er sie von ihrem Schicksal erlöst hatte.

«Nein», sagte Thomas.

«Warum hast du mich dann am Leben gelassen?»

Thomas zog den Ärmel hoch und zeigte ihr die Narben an seinem Arm. «Das da war auch ein Dominikaner.»

«Glühendes Eisen?»

«Ja.»

Sie stand auf, legte die Arme um ihn, ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken und hielt ihn einfach nur. Beide schwiegen und rührten sich nicht. Thomas dachte zurück an den Schmerz die Erniedrigung und die Angst, und plötzlich war ihm zum Weinen zumute.

Da öffnete sich knarzend die Tür, und jemand kam herein. Thomas saß mit dem Rücken zur Tür und konnte nicht sehen, wer es war, doch Geneviève hob den Kopf und sah den Hereingekommenen an. Einen Moment herrschte Stille, dann schloss sich die Tür wieder, und Schritte entfernten sich. Thomas wusste, dass es Robbie gewesen war. Er brauchte gar nicht zu fragen.

Geneviève legte wieder den Kopf an seine Schulter. Er spürte den Schlag ihres Herzens.

«Die Nächte sind am schlimmsten», sagte sie nach einer Weile.

«Ich weiß.»

«Tagsüber gibt es Dinge anzuschauen. Aber in der Dunkelheit kommen die Erinnerungen.»

«Ich weiß.»

Sie hob den Kopf, verschränkte die Hände in seinem Nacken und sah ihn voller Ernst an. «Ich hasse ihn», sagte sie, und Thomas wusste, dass sie von ihrem Folterer sprach. «Er heißt Vater Roubert, und ich will, dass seine Seele in der Hölle schmort.»

Thomas, der seinen Folterer getötet hatte, wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, und sagte ausweichend: «Gott wird sich um seine Seele kümmern.»

«Gott scheint mir manchmal sehr weit weg zu sein», sagte Geneviève. «Vor allem in der Dunkelheit.»

«Du musst etwas essen, und du musst schlafen.»

«Ich kann nicht schlafen.»

«Doch, das kannst du.» Thomas nahm ihre Hände von seinem Hals und führte sie zurück zum Alkoven. Er blieb dort.

Am nächsten Morgen sprach Robbie kein Wort mit Thomas, doch ihr Zerwürfnis fiel nicht weiter auf, da es so viel zu tun gab. Nahrungsmittel mussten in der Stadt beschlagnahmt und zur Burg gebracht werden. Jemand musste dem Schmied zeigen, wie die englischen Pfeilspitzen hergestellt wurden, Pappel- und Eschenzweige mussten geschnitten werden, um daraus die Schäfte zu machen, und Gänsen wurden die Flügelfedern gerupft, um die Pfeile damit zu bestücken. All dies hielt Thomas’ Männer beschäftigt, aber es herrschte eine angespannte Atmosphäre. Der Jubel über die leichte Eroberung der Burg war einer nagenden Unruhe gewichen, und Thomas, der zum ersten Mal den Befehl führte, erkannte, dass er sich in eine schwierige Lage gebracht hatte.

Guillaume d’Evecque, der um einiges älter war als Thomas, sprach es offen aus. «Es geht um das Mädchen», sagte er. «Sie muss sterben.»

Sie waren wieder in dem großen Saal, und Geneviève, die beim Feuer saß, verstand, worum es ging. Robbie stand ebenfalls dabei, doch jetzt betrachtete er Geneviève nicht mehr voll Verlangen, sondern voll Hass.

«Sagt mir, warum», entgegnete Thomas. Er hatte erneut in dem Buch seines Vaters gelesen, in dem sich so viele merkwürdige Hinweise auf den Gral befanden. Es war sehr hastig kopiert worden, sodass einige Stellen kaum zu entziffern waren, und selbst die lesbaren Abschnitte ergaben keinen Sinn, doch Thomas glaubte, wenn er nur lange genug darin las, würde sich ihm vielleicht die Bedeutung des Ganzen erschließen.

«Sie ist eine Ketzerin!», sagte d’Evecque.

«Sie ist eine gottverdammte Hexe», stieß Robbie heftig aus.

«Sie ist nicht der Hexerei beschuldigt worden», wandte Thomas ein.

«Gütiger Jesus, Mann! Sie hat Magie angewandt!»

Thomas legte das Buch beiseite. «Mir ist aufgefallen, dass du auf Holz klopfst, wenn du besorgt bist. Warum?»

Robbie starrte ihn an. «Das tun wir doch alle!»

«Hat dir je ein Priester gesagt, dass du das tun sollst?»

«Nein. Ich tue es einfach, wie alle Leute.»

«Warum?»

Robbie sah ihn wütend an, brachte schließlich jedoch eine Antwort hervor. «Um das Böse abzuwenden. Warum sonst?»

«Trotzdem steht nirgendwo in der Bibel oder in den Schriften der Kirchenväter ein Hinweis darauf. Es ist nichts Christliches, und dennoch tust du es. Muss ich dich deshalb zum Bischof schicken, damit ein Tribunal abgehalten wird? Oder soll ich dem Bischof die Mühe ersparen und dich gleich verbrennen?»

«Was soll der Unsinn?», fauchte Robbie.

D’Evecque bedeutete Robbie, still zu sein. «Sie ist eine Ketzerin», wiederholte der Normanne. «Die Kirche hat sie verurteilt, und wenn sie hierbleibt, bringt sie uns nur Unglück. Bei allen Heiligen, Thomas, was kann denn Gutes dabei herauskommen, wenn man eine Ketzerin schützt? Die Männer wissen alle, dass du damit das Böse heraufbeschwörst.»

Thomas schlug mit der Hand auf den Tisch, dass Geneviève zusammenzuckte. «Ihr», donnerte er, «habt mein Dorf verbrannt, meine Mutter getötet und meinen Vater, der obendrein Pfarrer war, ermordet, und da wagt Ihr es, mir mit dem Bösen zu drohen?»

Guillaume d’Evecque konnte die Vorwürfe nicht zurückweisen, und er hätte auch nicht erklären können, wie es kam, dass er ein Freund des Mannes war, dessen Eltern er getötet hatte, aber er war dennoch nicht bereit, vor Thomas’ Zorn zu kuschen. «Ich kenne das Böse, weil ich Böses getan habe», sagte er. «Aber Gott vergibt uns.»

«Gott vergibt euch, aber ihr nicht?»

«Die Kirche hat anders entschieden.»

«Und ich habe ebenfalls anders entschieden.»

«Süßer Jesus», sagte d’Evecque, «hältst du dich für den verdammten Papst?»

«Sie hat dich verhext», knurrte Robbie. Geneviève sah aus, als wolle sie etwas sagen, doch dann wandte sie sich ab. Ein Windstoß wehte durch das Fenster herein und spritzte ein paar Regentropfen auf die Holzdielen.

D’Evecque sah zu der jungen Frau, dann wieder zu Thomas. «Die Männer werden sie nicht dulden», sagte er.

«Weil Ihr sie aufhetzt», entgegnete Thomas wütend, obwohl er wusste, dass Robbie der Unruhestifter war und nicht d’Evecque. Seit dem Moment, als er Genevièves Fesseln durchgeschnitten hatte, war ihm klar gewesen, dass es Schwierigkeiten geben würde. Er wusste, es war seine Pflicht, Geneviève zu verbrennen, doch er brachte es nicht fertig. Sein Vater, der verrückt und zornig, aber auch intelligent gewesen war, hatte über die Vorstellung der Kirche von Ketzerei nur gelacht. Das, was heute als Ketzerei gilt, hatte er gesagt, ist morgen Kirchengesetz, und Gott braucht die Inquisitoren nicht, um Menschen zu verbrennen; das kann Er sehr gut allein. Die ganze Nacht hatte Thomas wach gelegen und mit sich gerungen, doch er wusste, er begehrte Geneviève zu sehr. Nicht theologischer Zweifel hatte ihr das Leben gerettet, sondern Verlangen – und Mitgefühl für eine andere Seele, die die Folter der Kirche erlitten hatte.

Robbie, sonst so ein ehrlicher und gutmütiger Kerl, unterdrückte nur mühsam seine Wut. «Thomas», sagte er leise, «denk daran, weshalb wir hier sind, und dann frag dich, ob Gott uns Erfolg schenken wird, wenn wir eine Ketzerin unter uns haben.»

«Ich habe kaum etwas anderes getan», erwiderte Thomas.

«Einige der Männer reden schon davon zu gehen», warnte Guillaume d’Evecque ihn. «Sich einen anderen Anführer zu suchen.»

Zum ersten Mal meldete Geneviève sich zu Wort. «Ich werde gehen», sagte sie. «Zurück in den Norden. Dann bin ich euch nicht mehr im Weg.»

«Was glaubst du, wie weit du kommst?», fragte Thomas. «Wenn meine Männer dich nicht schon hier im Hof umbringen, dann die Leute unten auf der Straße.»

«Was soll ich denn dann tun?», fragte sie.

«Du kommst mit mir.» Er stand auf und ging zu einer Nische neben der Tür, in der ein Kruzifix hing. Er nahm es von der Wand und bedeutete ihr, Robbie und d’Evecque, ihm zu folgen. «Kommt.»

Er ging hinaus in den Burghof, wo sich bereits die meisten seiner Männer versammelt hatten, um zu erfahren, was Robbie und d’Evecque bei ihrem Anführer erreicht hatten. Gemurre erhob sich, als Geneviève erschien, und Thomas wusste, dass er ihre Gefolgschaft aufs Spiel setzte. Er war noch sehr jung, beinahe zu jung, um so viele Männer zu befehligen, aber sie waren ihm aus freien Stücken gefolgt, und der Earl of Northampton hatte ihm vertraut. Dies war seine erste Probe. Er war davon ausgegangen, dass ihn diese Probe in der Schlacht erwarten würde, doch nun war sie da, und er musste sie bestehen. So verharrte er auf den Stufen, die in den Hof führten, und wartete, bis alle Blicke auf ihn gerichtet waren. «Sieur d’Evecque!», rief Thomas. «Geht zu einem der Pfarrer in der Stadt und bittet ihn um eine Hostie. Eine geweihte, wie sie für die Letzte Ölung bereit gehalten wird.»

D’Evecque zögerte. «Und wenn er sie mir nicht geben will?»

«Ihr seid Soldat, er nicht», erwiderte Thomas, und einige der Männer grinsten.

D’Evecque nickte, warf Geneviève einen argwöhnischen Blick zu und bedeutete zweien seiner Soldaten, ihn zu begleiten. Sie lösten sich nur widerstrebend aus der Menge, da sie hören wollten, was Thomas zu sagen hatte, doch als d’Evecque sie anraunzte, folgten sie ihm schließlich durch das Tor.

Thomas hielt das Kruzifix hoch. «Wenn diese Frau eine Kreatur des Teufels ist», sagte er, «dann kann sie es nicht ertragen, dieses Kreuz anzusehen oder gar zu berühren. Wenn ich es vor ihre Augen halte, wird sie erblinden! Und wenn ich ihre Haut damit berühre, wird sie bluten. Das wisst ihr! Eure Mütter haben es euch gesagt! Die Priester haben es euch gesagt!»

Ein paar der Männer nickten, und alle starrten mit offenem Mund, als Thomas das Kruzifix direkt vor Genevièves Augen hielt und dann ihre Stirn damit berührte. Einige hielten den Atem an, und Verwirrung breitete sich aus, als ihr Blick klar und ihre helle, zarte Haut unversehrt blieben.

«Der Teufel hilft ihr», knurrte ein Mann.

«Was bist du nur für ein Narr!», sagte Thomas verächtlich. «Du glaubst also, der Teufel kann sie vor solchen Prüfungen bewahren? Warum war sie dann überhaupt hier? Warum hockte sie im Kerker? Warum hat sie nicht ihre großen Flügel ausgebreitet und ist davongeflogen?»

«Gott hat es verhindert.»

«Dann hätte Gott auch dafür gesorgt, dass ihre Haut blutet, als ich sie mit dem Kruzifix berührt habe, oder etwa nicht? Und wenn sie eine Kreatur des Teufels wäre, hätte sie Katzenpfoten. Das wisst ihr doch alle!» Zustimmendes Gemurmel erklang, denn alle wussten, dass der Teufel seine Lieblinge mit Katzenpfoten versah, damit sie lautlos durch die Dunkelheit schleichen und Böses tun konnten. «Zieh deine Schuhe aus», befahl Thomas Geneviève, und als ihre Füße nackt waren, zeigte er darauf «Nun, damit wird sie wohl nicht viele Mäuse fangen, oder was meint ihr?»

Zwei oder drei Männer wollten sich damit nicht zufriedengeben, doch Thomas brachte sie mit Spott zum Schweigen. Dann kam Guillaume d’Evecque zurück, in Begleitung von Vater Medous. Der Pfarrer trug eine kleine Silberschatulle bei sich, die er stets für den Fall bereithielt, dass er zu einem Sterbenden gerufen wurde. «Das ziemt sich nicht», setzte Vater Medous an, verstummte jedoch, als er Thomas’ Blick sah.

«Kommt her, Vater», sagte er, und Medous gehorchte. Thomas nahm ihm die Schatulle ab. «Eine Probe hat sie bereits bestanden», sagte er, «aber ihr alle wisst, und das ist sogar in Schottland bekannt» – er fixierte Robbie mit einem bohrenden Blick –, «dass nicht einmal der Teufel seine Kreaturen vor der Berührung mit dem Leib Christi schützen kann. Sie wird sterben! Sie wird sich in Todesqualen winden. Ihr Fleisch wird von den Knochen fallen, und Würmer werden kriechen, wo sie stand. Ihre Schreie werden bis in den Himmel gellen. Ihr alle wisst das!»

Sie wussten es, und sie nickten und sahen zu, wie Thomas eine kleine Oblate aus der Schatulle nahm und sie Geneviève hinhielt. Sie zögerte und warf Thomas einen besorgten Blick zu, doch er lächelte, und so öffnete sie gehorsam den Mund und ließ ihn die Oblate auf ihre Zunge legen.

«Töte sie, Gott!», rief Vater Medous. «Töte sie! O Jesus, Jesus, töte sie!»

Seine Stimme hallte von den Burgmauern wider, dann breitete sich Stille aus. Alle Männer im Hof starrten stumm auf Geneviève, während sie die Oblate schluckte.

Thomas ließ den Augenblick noch ein wenig wirken, und als Geneviève nach wie vor unbeschadet vor ihm stand, erhob er die Stimme und sprach zu seinen Männern. «Sie kam mit ihrem Vater hierher. Er war ein Gaukler, der für ein paar Pennys auf Jahrmärkten auftrat, und sie ging mit dem Hut herum. Solche Leute haben wir alle schon gesehen. Stelzenläufer, Feuerschlucker, Bärenabrichter, Jongleure. Geneviève sammelte die Münzen ein. Aber ihr Vater starb, und sie blieb allein hier zurück, eine Fremde unter Leuten, mit denen sie sich nicht verständigen konnte. Sie war wie wir! Niemand mochte sie, weil sie von weit her kam. Sie sprach noch nicht einmal ihre Sprache! Die Leute hassten sie, weil sie anders war, und deshalb haben sie sie als Ketzerin beschimpft. Sogar dieser Pfarrer hält sie für eine Ketzerin! Aber in der Nacht, als ich hierherkam, war ich bei ihm zu Gast, und er hat eine Frau in seinem Haus, die für ihn kocht und putzt und wäscht, aber er hat nur ein Bett.» Das brachte die Männer zum Lachen, wie Thomas es vorhergesehen hatte. Er hatte keine Ahnung, wie viele Betten in Vater Medous’ Haus standen, aber der Pfarrer verstand ja kein Englisch. «Sie ist keine Begine», fuhr Thomas fort. «Das habt ihr ja gerade selbst gesehen. Sie ist nur eine verlorene Seele, genau wie wir, und die Leute haben sich gegen sie verschworen, weil sie nicht so ist wie sie. Wenn dennoch einer von euch Angst vor ihr hat und glaubt, dass sie uns Unglück bringt, dann soll er sie töten, und zwar hier und jetzt.» Er trat zurück und verschränkte die Arme. Geneviève, die seine Worte nicht verstanden hatte, sah ihn mit unruhiger Miene an. «Nur zu», sagte Thomas zu seinen Männern. «Ihr habt Bogen, Schwerter, Messer. Ich habe nichts. Tötet sie! Es ist kein Mord. Die Kirche sagt, sie muss sterben, wenn ihr also Gottes Werk tun wollt, dann los.» Robbie trat einen halben Schritt vor, doch dann spürte er die Stimmung im Hof und hielt inne.

Plötzlich ertönte ein Lachen, und wenig später lachten und johlten alle. Geneviève sah immer noch verwirrt aus, doch Thomas lächelte ihr zu. Er hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen. «Sie bleibt», sagte er, «und ihr habt genug zu tun, also seht zu, dass ihr an die Arbeit kommt.»

Robbie spuckte angewidert aus, als Thomas mit Geneviève wieder in den Saal zurückging. Thomas hängte das Kruzifix in die Nische und schloss die Augen. Er betete, dankte Gott dafür, dass sie die Oblatenprobe bestanden hatte. Und vor allem dafür, dass sie blieb.