Ein neues Vorwort

Anmerkungen des Autors zur Erstveröffentlichung von >Die Lehren des Don Juan: Ein Yaqui Weg des Wissens< vor dreißig Jahren

>Die Lehren des Don Juan: Ein Yaqui Weg des Wissens< wurde 1968 zum erstenmal veröffentlicht. Anläßlich des dreißigjährigen Erscheinungsdatums möchte ich ein paar klärende Anmerkungen zu dem Werk selbst machen und einige allgemeine Schlußfolgerungen zum Thema des Buches vortragen, zu denen ich nach Jahren ernsthafter und konsequenter Bemühung gelangt bin. Das Buch war aus einer ethnologischen Feldstudie hervorgegangen, die ich im US-Staat Arizona und im mexikanischen Bundesstaat Scncra durchführte. Während meiner Vorbereitung auf die Promotion am Anthropology Department der Universily of California, Los Angeles, lernte ich zufällig einen alten Schamanen kennen, einen Yaqui-Indianer aus Sonora in Mexiko. Sein Name war Juan Matus.

Ich beriet mit einer Reihe von Professoren am Anthropology Department die Möglichkeit, gleich mit der anthropologischen Feldforschung zu beginnen und mich des alten Schamanen als wichtigstem Informanten zu bedienen. Jeder dieser Professoren versuchte, mich von meinem Vorhaben mit der Begründung abzubringen, ich müsse, bevor ich an Feldforschung denken dürfe, vorrangig den Pflichtstoff der allgemeinen Studienfächer bewältigen und die formalen Voraussetzungen einer Promotion erfüllen, zum Beispiel schriftliche und mündliche Prüfungen ablegen. Die Professoren hatten völlig recht. Es bedurfte keiner Überredung von ihrer Seite, um mir ihre Ratschläge einsichtig zu machen.

Allerdings gab es einen Professor, Dr. Clement Meighan, der mein Interesse an der Feldarbeit vorbehaltlos anspornte. Und ihm gebührt meine ganze Anerkennung dafür, daß er mich zur Durchführung meiner anthropologischen Forschungen inspirierte. Er war es auch, der mich drängte, die sich mir bietende Chance unbedingt wahrzunehmen. Die Empfehlung beruhte auf seinen persönlichen Felderfahrungen als Archäologe. In seiner Arbeit, sagte er mir, habe er festgestellt, daß der Zeitfaktor wichtig sei; daß es nicht mehr sehr lange dauern würde, bis unermeßliche und komplexe Wissensgebiete, die zu den Errungenschaften vom Untergang bedrohter Kulturen gehörten, unter dem Ansturm moderner Technologien und philosophischer Strömungen für immer verloren gingen. Als Beispiel verwies er mich auf die Arbeiten anerkannter Anthropologen um die Jahrhundertwende und zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die in aller Eile, wiewohl mit größter methodischer Sorgfalt, Informationen über die Kultur der amerikanischen Indianer in den Prärien und in Kalifornien gesammelt hatten. Ihre Hast war berechtigt, denn im Verlauf einer Generation waren alle Informationsquellen über die meisten dieser indigenen Kulturen, besonders über die Indianerkulturen Kaliforniens, verschüttet. Und während dies alles passierte, hatte ich das Glück, an Seminaren mit Professor Harold Garfinkel vom Sociology Department der UCLA teilzunehmen. Er war es, der mir ein höchst bedeutsames ethnomethodologisches Paradigma vermittelte, wonach das praktische Tun und Treiben des Alltagslebens berechtigter Gegenstand des philosophischen Diskurses sei; jedes zu untersuchende Phänomen müsse im Licht seiner eigenen Gegebenheiten und gemäß seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge untersucht werden. Falls es Gesetze oder Regeln abzuleiten gäbe, müßten diese Gesetze und Regeln dem Phänomen selbst entsprechen. Das praktische Tun der Schamanen, als kohärentes System mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und Strukturen betrachtet, wäre also ein würdiger Gegenstand ernsthafter Forschung. Solch eine Forschung dürfe aber nicht a priori erstellten Theorien oder Vergleichen mit empirischem Material unterworfen werden, das unter der Regie eines anderen philosophischen Prinzips gewonnen wurde. Unter dem Einfluß dieser zwei Professoren vertiefte ich mich also in meine Fekforschurig Meine zwei Leitmotive, die ich aus der Begegnung mit diesen Männern gewonnen hatte, waren: daß die kulturellen Denkprozesse der amerikanischen Ureinwohner nur noch sehr kurze Zeit bestehen bleiben würden, bis alles im Mischmasch der modernen Technologie unterging und daß das zu beobachtende Phänomen, was es auch sein mochte, ein berechtigter Forschungsgegenstand war und meine ganze Sorgfalt und Ernsthaftigkeit verdiente.

Ich tauchte so tief in die Feldforschung ein, daß ich mir sicher bin, gerade die Leute, die mich förderten, am Ende enttäuscht zu haben. Ich hatte mich auf ein Gebiet begeben, das Niemandsland war. Es war kein Gegenstand der Anthropologie oder Soziologie, noch der Philosophie oder Religionswissenschaft. Ich war den eigenen Gesetzmäßigkeiten und Strukturen des Phänomens gefolgt, aber es blieb mir versagt, sicheren Boden zu gewinnen. Und so setzte ich meine ganze Anstrengung aufs Spiel, da ich mich von den adäquaten akademischen Normen abwandte, an denen ihr Wert oder Unwert zu messen gewesen wäre. Als irreduzible Beschreibung dessen, was ich im anthropologischen Feld gemacht habe, könnte man sagen, daß der yaqui-indianische Zauberer Don Juan Malus mich in die Erkenntnisweise - die Kognition - der Schamanen im alten Mexiko einführte. Unter Kognition sind dabei solche Prozesse zu verstehen, die das Bewußtsein im alltäglichen Leben ausmachen, Prozesse wie Erinnerung, Erfahrung, Wahrnehmung und der kundige Gebrauch einer bestimmten Syntax. Dieser Kognitionsbegriff war damals mein beschwerlichster Stolperstein Für mich als einen Menschen westlicher Bildung war es unvorstellbar, daß Kognition, wie im philosophischen Diskurs unserer Zeit definiert, etwas anderes sei als ein einheitlicher, die gesamte Menschheit umfassender Sachverhalt. Wohl ist der Mensch des Westens bereit, kulturelle Unterschiede anzuerkennen, die für ungewohnte Arten der Beschreibung von Phänomenen verantwortlich sind, aber kulturelle Unterschiede konnten doch unmöglich erklären, weshalb Prozesse wie Erinnerung, Erfahrung, Wahrnehmung und kundiger Sprachgebrauch etwas anderes sein sollten als eben die uns bekannten Prozesse. Mit anderen Worten, für den Menschen der westlichen Welt gibt es Kognition nur als Summe allgemeingültiger Prozesse. Für die Schamanen aus Don Juans Traditionslinie aber gibt es die Kognition des modernen Menschen, und es gibt die Kognition der Schamanen im alten Mexiko. Don Juan betrachtete diese beiden Arten von Kognition als zwei in sich geschlossene Welten des Alltagslebens, die ihrem Wesen nach ganz verschieden seien. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, und ohne daß ich es merkte, veränderte sich meine Aufgabe geheimnisvdlerweise vom bloßen Sammeln anthropologischer Daten zur Verinnerlichung der neuen kognitiven Prozesse in der Welt der Schamanen.

Ein wirkliches Internalisieren solcher Prinzipien geht mit einer Transfcrmaticn einher, mit einer anderen Reaktionsweise gegenüber der alltäglichen Welt. Die Schamanen haben herausgefunden, daß der erste Anstoß zu einer solchen Wandlung immer als intellektuelle Hinwendung zu etwas geschieht, das lediglich eine begriffliche Vorstellung zu sein scheint, aber unerwartet mächtige Unterströmungen hat. Don Juan selbst beschrieb dies am besten, wenn er sagte: »Die alltägliche Welt darf nie als etwas Persönliches aufgefaßt werden, das Macht über uns ausübt, das uns schaffen oder zerstören könnte, denn das Schlachtfeld des Menschen liegt nicht in seiner Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Welt. Sein Schlachtfeld liegt jenseits des Horizonts, in einer für den normalen Menschen undenkbaren Region, in der Region, wo der Mensch aufhört, ein Mensch zu sein.«

Zur Erläuterung dessen fügte er hinzu, es sei ein energetischer Imperativ für den Menschen, zu erkennen, daß es einzig und allein auf seine Begegnung mit der Unendlichkeit ankommt Den Begriff Unendlichkeit vermochte Don Juan nicht auf eine geläufigere Beschreibung zu reduzieren. Der Sachverhalt, sagte er, sei energetisch irreduzibel. Etwas, das man nicht personifizieren oder auch nur umschreiben könne, außer in so vagen Begriffen wie Unendlichkeit, lo infnito.

Damals wußte ich nicht, daß Don Juan mir nicht nur eine reizvolle intellektuelle Beschreibung vortrug; vielmehr bezeichnete er das, was er beschrieb, als eine energetische Tatsache. Energetische Fakten waren für ihn Schlußfolgerungen, zu denen er und die anderen Schamanen seiner Linie gelangten, wenn sie sich einer Funktion bedienten, die sie als Sehen bezeichneten: das direkte Wahrnehmen von Energie, wie sie im Universum fließt. Die Fähigkeit, Energie auf diese Weise wahrzunehmen, ist einer der Kulminationspunkte des Schamanismus.

Die Aufgabe, mich in die Kognition der Schamanen im alten Mexiko einzuführen, geschah, wie Don Juan mir versicherte, auf die traditionelle Art und Weise; das heißt, daß alles, was er mit mir machte, mit allen Schamanen-Schülern im Lauf der Jahrhunderte geschehen war. Die Internalisierung der Prozesse eines anderen kognitiven Systems begann stets damit, daß die ganze Aufmerksamkeit des Adepten auf die Erkenntnis gelenkt wurde, daß wir Lebewesen unterwegs zum Tode sind. Don Juan und die anderen Schamanen seiner Linie waren überzeugt, daß ein gründliches Erkennen dieses energetischen Faktums, dieser irreduziblen Wahrheit, schließlich zur Anerkennung der neuen Art von Kognition führen müsse.

Was Schamanen wie Don Juan Matus letzten Endes für ihre Schüler anstrebten, war eine Einsicht, die in all ihrer Einfachheit so schwer zu erringen ist: daß wir tatsächlich Lebewesen sind, denen der Tod bevorsteht. Deshalb ist der wahre Kampf des Menschen nicht die Auseinandersetzung mit seinen Mitmenschen, sondern mit dem Unendlichen, und dabei geht es eigentlich nicht einmal um Kampf, sondern im Grunde um ein SichAbfinden. Freiwillig müssen wir uns dem Unendlichen fügen. Wie die Zauberer es beschreiben, ist unser Leben aus dem Unendlichen hervorgegangen, und es endet dort, wo es angefangen hat: im Unendlichen.

Bei den meisten Denkprozessen, die ich in meinen Büchern beschrieben habe, ging es um die selbstverständlichen Kompromisse meiner Person als eines sozialisierten Menschen unter dem Ansturm neuer Prinzipien. Was in meiner Feldsitualion stattfand, war dringlicher als eine bloße Einladung dazu, die Prozesse jener neuen schamanistischen Kognition zu internalisieren; es war eine Forderung Nach jahrelangem Bemühen, die Grenzen meiner Person intakt zu halten, brachen diese Grenzen ein. Mein Bemühen, sie zu bewahren, war sinnlos im Lichte dessen, was Don Juan und die Schamanen seiner Linie erreichen wollten. Im Licht meines eigenen Wollens allerdings war es ein sehr wichtiges Bemühen: es war das Bedürfnis eines jeden zivilisierten Menschen, die Grenzen der ihm bekannten Welt aufrechtzuerhalten.

Den Grundstein der Erkenntnislehre der Schamanen im alten Mexiko, sagte Don Juan, bildet die energetische Tatsache, daß der Kosmos in allen seinen Aspekten ein Ausdruck von Energie ist. Auf der Höhe ihres direkten Sehens von Energie gelangten diese Schamanen zu der energetischen Tatsache, daß der ganze Kosmos aus Zwillingskräften besteht, die einander entgegengesetzt und zugleich komplementär zueinander sind Diese beiden Kräfte bezeichneten sie als belebte und unbelebte Energie. Sie sahen, daß unbelebte Energie kein Bewußtsein hat. Bewußtsein ist für die Schamanen ein Vibrationszustand der belebten Energie Die Schamanen im alten Mexiko, sagte Don Juan, waren die eisten, die sahen, daß alle Organismen auf Erden Träger dieser vibrierenden Energie sind Sie nannten sie organische Wesen und sahen, daß es der Organismus selbst ist, der Kohäsion und Grenzen solcher Energie bestimmt. Sie sahen auch, daß es Konglomerate von vibrierender belebter Energie gibt, die eine eigene Art von Kohäsion haben, unabhängig von der Bindung an einen Organismus. Diese nannten sie anorganische Wesen und beschrieben sie als Ansammlungen kohäsiver Energie, die für das menschliche Auge unsichtbar ist - einer Energie, die ihrer selbst bewußt ist und ihren Zusammenhalt als Einheit von einer bindenden Kraft erhält, allerdings einer bindenden Kraft von anderer Art, als die Organismen sie besitzen.

Die Schamanen von Don Juans Linie sahen, daß es zum Wesen belebter - ob organischer oder anorganischer - Energie gehört, die Energie des gesamten Universums in sensorische Daten zu übersetzen. Im Fall der organischen Wesen werden diese Sinnesdaten dann in ein Interpretationssystem umgesetzt, wobei Energie insgesamt klassifiziert wird und jeder dieser Klassifikationen, welche es auch sei, eine bestimmte Reaktionsweise zugeschrieben wird. Im Reich der anorganischen Wesen, so behaupten die Zauberer, müßten die sensorischen Daten, in welche die gesamte Energie durch die anorganischen Wesen umgesetzt wird, zwangsläufig und per clefnitienem auch von diesen anorganischen Wesen interpretiert werden, in welch unbegreiflichen Formen sie dies immer tun mögen.

Im Fall der Menschen, so behaupten die Schamanen, ist die Interpretation von Sinnesdaten unsere Art der Kognition. Aber unsere Kognition kann, wie sie sagen, zeitweilig unterbrochen werden, da sie lediglich ein taxonomisches System ist, bei dem gewisse Reaktionsweisen zusammen mit der Interpretation sensorischer Daten klassifiziert werden. Falls eine solche Unterbrechung stattfindet, so sagen die Zauberer, wird es möglich, die im Universum fließende Energie direkt wahrzunehmen. Diese direkte Wahrnehmung von Energie hat, wie die Zauberer es beschreiben, einen ähnlichen Effekt, als sähe man sie mit den Augen, obgleich die Augen nur eine minimale Rolle dabei spielen.

Energie direkt wahrzunehmen, ermöglichte den Zauberern von Don Juans Traditionslinie, die Menschen als Konglomerate von Energiefeldern zu sehen, die einer leuchtenden Kugel gleichen. Die Menschen auf solche Weise zu beobachten, befähigte diese Schamanen zu ganz außerordentlichen energetischen Schlußfolgerungen. Es fiel ihnen nämlich auf; daß jede dieser leuchtenden Kugeln individuell mit einer EnergieMasse von unvorstellbaren Dimensionen verbunden ist, die im Universum existiert -eine Masse, die sie das dunkle Meer der Bewußtheit nannten. Sie beobachteten, daß jede einzelne Kugel an einem Punkt, der noch heller leuchtet als die leuchtende Kugel selbst, mit diesem dunklen Meer der Bewußtheit verbunden ist. Die Schamanen bezeichneten diese Verbindungsstelle als Montagepunkt, weil sie feststellten, daß dies die Stelle ist, wo die Zusammensetzung - also Montage - der Wahrnehmung stattfindet. Der gesamte Energiefluß wird an diesem Punkt in Sinnesdaten verwandelt, und diese Daten werden sodann als die uns umgebende Welt interpretiert.

Als ich Don Juan um eine Erklärung bat, wie diese Umwandlung des Energieflusses in sensorische Daten geschieht, antwortete er, die Schamanen könnten lediglich sagen, daß die unermeßliche Energiemasse, die sie als dunkles Meer der Bewusstheit bezeichnen, den Menschen alles bereitstellt, was sie zur Umwandlung von Energie in Sinnesdaten benötigen; es sei aber ganz unmöglich, solch einen Prozeß zu beschreiben, weil die Quelle, aus der er sich speist, so unermeßlich sei. Als die Schamanen des alten Mexiko ihr Sehen nun auf das dunkle Meer der Bewußtheit richteten, machten sie die Entdeckung, daß der gesamte Kosmos aus leuchtenden Fasern besteht, die sich ins Unendliche erstrecken. Die Schamanen beschreiben diese als leuchtende Fasern, die sich in alle Richtungen ausdehnen, ohne sich je zu berühren. Sie sahen, daß es sich um einzelne Fasern handelt, die aber zu unvorstellbar großen Massen gebündelt sind.

Neben dem dunklen Meer der Bewußtheit, das die Schamanen beobachteten und das ihnen wegen seiner Vibration gefiel, gab es noch eine weitere Masse solcher Fasern, die sie als Absicht bezeichneten; und die Aktivität des einzelnen Schamanen, der seine Aufmerksamkeit auf diese Masse richtet, nannten sie Beabsichtigen. Sie sahen, daß das ganze Universum ein Universum der Absicht sei, und Absicht war für sie gleichbedeutend mit Intelligenz. Das Universum war für sie also ein Universum höchster Intelligenz. Sie zogen daraus die - in ihre kognitive Welt eingegangene - Schlußfolgerung, daß diese, ihrer selbst bewußte, vibrierende Energie in höchstem Maße intelligent sei. Sie erkannten, daß die Masse der Absicht im Kosmos für alle möglichen Mutationen und alle möglichen Variationen verantwortlich sei, die es im Universum gibt, nicht nur aufgrund willkürlicher blinder Zufälle;, sondern aufgrund des Beabsichtigens, das die vibrierende Energie auf der Ebene des Energieflusses selbst leistet. Die Menschen in ihrem Alltagsleben, betonte Don Juan, gebrauchten Absicht und Beabsichtigen auf dieselbe Art und Weise, wie sie die Welt interpretieren. Zum Beispiel verwies Don Juan mich auf die Tatsache, daß meine alltägliche Welt nicht durch meine Wahrnehmung, sondern durch die Interpretation meiner Wahrnehmung diktiert sei. Als Beispiel nannte er die Idee der Universität, die für mich damals größte Bedeutung hatte. Universität, sagte er, sei nichts, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen könne, da weder mein Gesichts- oder Gehörsinn, noch mein Geschmacks- oder Tast- oder Geruchssinn mir Aufschlüsse über die Idee Universität vermittelten. Universität sei etwas, das nur in meinem Beabsichtigen stattfinde, und um sie dort zu konstruieren, müsse ich, bewußt oder unterschwellig, auf alle meine Kenntnisse als zivilisierter Mensch zurückgreifen.

Die energetische Tatsache eines aus leuchtenden Fasern bestehenden Universums führte die Schamanen zu dem Schluß, daß jede dieser Fasern, die sich ins Unendliche erstrecken, ein Energiefeld ist. Sie beobachteten, daß leuchtende Fasern, oder vielmehr Energiefelder solcher Art, im Montagepunkt konvergieren und durch ihn hindurchgehen. Weil aber die Größe des Montagepunktes, wie sie feststellten, dem Umfang eines heutigen Tennisballs entspräche, kann nur eine begrenzte, wenn auch beinah unendliche Zahl von Enetgjefeldem in diesem Punkt konvergieren und durch ihn hindurchgehen.

Als die Zauberer des alten Mexiko den Montagepunkt sahen, entdeckten sie auch die energetische Tatsache, daß der Gesamteffekt der Energiefelder, die durch den Montagepunkt hindurchgehen, in sensorische Informationen verwandelt wird - Informationen, die sodann als Kognition der alltäglichen Welt interpretiert werden. Die Gleichförmigkeit der Kognition bei allen Menschen erklärten die Schamanen mit der Tatsache, daß der Montagepunkt bei der ganzen menschlichen Gattung an der gleichen Stelle der leuchtenden Energiesphären, die wir sind, lokalisiert ist: in Höhe der Schulterblätter, eine Armeslänge hinter ihnen, zum Rand der leuchtenden Kugel hin.

Die sehende Beobachtung des Montagepunktes führte die Zauberer des alten Mexiko zu der Entdeckung, daß der Montagepunkt unter den Bedingungen normalen Schlafes, extremer Erschöpfung, bei Krankheit oder nach Einnahme psychotroper Pflanzen seine Position verändert. Die Zauberer sahen, daß, wenn sich der Montagepunkt in einer neuen Position befindet, ein anderes Bündel von Energiefeldern durch ihn hindurchgeht, so daß der Montagepunkt gezwungen ist, diese Energiefelder in Sinnesdaten zu verwandeln und zu interpretieren, was im Ergebnis zur Wahrnehmung ganz neuer Welten führt. Die Schamanen behaupteten, daß jede dieser, auf solche Weise entstandenen neuen Welten eine in sich geschlossene Welt ist, verschieden von der Welt unseres Alltagslebens und ihr doch ähnlich in der Tatsache, daß man auch dort leben und sterben kann.

Für Schamanen wie Don Juan Matus war das Beabsichtigen eine wichtige Übung, die dazu diente, eine Bewegung des Montagepunktes vorsätzlich auszulösen, also seine Verschiebung an gewisse, im voraus bestimmte Stellen des ganzen Konglomerats von Energiefeldern, das wir sind; und durch Jahrtausende langes Probieren fanden die Zauberer von Don Juans Linie heraus, daß es innerhalb der leuchtenden Kugel, die wir sind, Schlüsselpositionen gibt, die der Montagepunkt einnehmen kann: er wird dann einem Bombardement neuer Energiefelder ausgesetzt, das eine vollkommen wirkliche neue Welt erzeugen kann. Es sei eine energetische Tatsache, versicherte Don Juan, daß die Möglichkeit, sich in eine dieser Welten oder in sie alle zu begeben, zum gemeinsamen Erbe aller Menschen gehört. Diese Welten stünden auf Abruf bereit, sagte er, ähnlich wie Fragen, die einem manchmal auf der Zunge lägen; um sie zu finden, brauche ein Zauberer, oder jeder Mensch, nichts anderes zu tun, als die Bewegung des Montagepunktes zu beabsichtigen. Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Absicht, das aber in den Rahmen des universellen Beabsichtigens gehöre, war für die Schamanen im alten Mexiko die energetische Tatsache, daß wir vom Universum selbst dauernd mit Forderungen traktiert werden. Es galt ihnen als energetische Tatsache, daß das ganze Universum in höchstem Maß räuberische Züge trägt, nicht aber räuberisch in dem Sinn, wie wir das Wort verstehen, als Raub und Diebstahl oder Schädigung und Ausbeutung anderer zum eigenen Vorteil. Für die Schamanen des alten Mexiko bedeutete der räuberische Charakter des Universums, daß das beabsichtigende Universum dauernd danach trachtet, Bewußtsein einzufordern. Sie sahen, daß das Universum zahllose organische Wesen und ebenso zahllose anorganische Wesen hervorbringt. Indem das Universum diese alle unter Druck setzt, zwingt es sie, ihre Bewußtheit zu steigern, und auf diese Weise versucht das Universum, seiner selbst bewußt zu werden. Daher geht es in der kognitiven Welt der Schamanen letzten Endes immer um das Bewußtsein.

Bewußtsein verstanden Don Juan Matus und die Schamanen seiner Traditionslinie als ein vorsätzliches Bewußtmachen aller Wahmehmungsmöglichkeiten des Menschen, nicht nur jener Wahmehmungsmöglichkeiten, wie sie von einer bestimmten Kultur diktiert sind, der anscheinend die Rolle zufällt, die Wahrnehmungsfähigkeit ihrer Mitglieder einzuschränken. Eine Freisetzung oder Entfesselung aller Möglichkeiten menschlicher Wahrnehmung würde die Menschen aber, wie Don Juan sagte, keineswegs in ihrem funktionalen und zweckmäßigen Handeln beeinträchtigen. Im Gegenteil, Funktionalität des Handelns könnte sehr wichtig werden, weil ihr ein neuer Wert zukäme. Funktion und Zweckmäßigkeit würden also zur unabdingbaren Notwendigkeit. Von Idealbildern und Pseudo-Zielen befreit, bliebe den Menschen nur funktionale Zweckmäßigkeit als steuernde Kraft; ihres Handelns. Dies bezeichnen die Schamanen als Makellosigkeit. Makellos zu handeln bedeutet für sie, stets ihr Bestes zu tun, und noch ein wenig mehr. Die Idee solch einer Funktionalität ergab sich dadurch, daß sie die Energie sahen, die im Universum fließt. Wenn Energie nämlich auf eine gewisse Weise fließt, so fanden sie es nur funktional und zweckmäßig, dem Fluß dieser Energie zu fdgen Funktionalität ist also der gemeinsame Nenner im Umgang der Schamanen mit den energetischen Tatsachen ihrer kognitiven Welt. Durch die Beschäftigung mit all diesen Aspekten der Kognition der Zauberer gelangten Don Juan und die Schamanen seiner Linie zu merkwürdigen energetischen Schlußfolgerungen, die auf den ersten Blick nur für sie selbst und ihre persönliche Situation zu gelten scheinen, die aber, genauer betrachtet, auch für jeden von uns anwendbar sein könnten. Wie Don Juan sagte, kulminiert das Streben der Schamanen in etwas, das für ihn die höchste energetische Tatsache war - nicht nur für Zauberer, sondern für jeden Menschen auf Erden. Dies nannte er die endgültige Reise. Die endgültige Reise besteht in der Möglichkeit, daß das individuelle Bewußtsein, falls der einzelne es durch Hinwendung zur Kognition der Schamanen bis an die Grenzen steigern würde, auch noch dann weiterbestehen könnte, wenn der Organismus nicht mehr als kohärente Einheit funktioniert, also über den Tod hinaus. In solcher transzendentalen Bewußtheit sahen die Schamanen des alten Mexiko eine Möglichkeit für das menschliche Bewußtsein, über die Grenzen alles Bekannten hinauszugehen und in die Dimension der im Universum fließenden Energie einzugehen. Alles Streben von Schamanen wie Dcn Juan zielte darauf, wie sie es selbst definierten, am Ende selbst ein anorganisches Wesen zu werden, also Energie, die ihrer selbst bewußt ist und als kohärente Einheit funktioniert, jedoch ohne einen Organismus. Diesen Aspekt ihrer Kognition nannten sie die absolute Freiheit, ein Zustand, in dem das Bewußtsein frei von den Zwängen der Sozialisation und der Syntax existiert. Dies sind die allgemeinen Schlußfolgerungen, die aus meinem Eintauchen in die kognitive Welt der Schamanen des alten Mexiko zu ziehen waren. Viele Jahre nach der Erstveröffentlichung der Lehren des Don Juan ging mir auf, daß es eine umfassende kognitive Revolution war, die Don Juan mir geboten hatte. Mit meinen nachfolgenden Arbeiten habe ich versucht, eine Vorstellung von den Verfahrensweisen zu geben, die diese kognitive Revolution herbeiführen. Angesichts der Tatsache, daß es eine Lebenswelt ist, mit der Don Juan mich bekanntmachte, können die Transformationen in einer solchen Lebenswelt nie ein Ende finden. Schlußfolgerungen können daher nur Gedächtnisstützen oder Hilfsmittel sein, die uns als Sprungbrett zu neuen kognitiven Horizonten dienen.