Einführung

Im Sommer 1960 machte ich als Anthropologiestudent an der University of California in Los Angeles mehrere Fahrten in den Südwesten, um Informationen über Heilpflanzen zu sammeln, die von den Indianern dieses Gebietes gebraucht werden. Die Ereignisse, die ich hier beschreibe, begannen auf einer meiner Fahrten. Ich wartete in einer Grenzstadt auf einen Greyhound-bus und unterhielt mich mit einem Freund, der mein Führer und Helfer bei den Nachforschungen gewesen war. Plötzlich beugte er sich zu mir herüber und flüsterte, daß der Mann, der vor dem Fenster saß, ein weißhaariger alter Indianer, sehr viel über Pflanzen wisse, insbesondere über Peyote. Ich bat meinen Freund, mich diesem Mann vorzustellen.

Mein Freund grüßte ihn, ging dann zu ihm hinüber und gab ihm die Hand. Nachdem sie eine Weile gesprochen hatten, winkte mein Freund mich herbei, ließ mich dann aber sofort mit dem alten Mann allein, obwohl er uns nicht einmal bekannt gemacht hatte;. Der Indianer war nicht im geringsten verlegen Ich nannte ihm meinen Namen, und er sagte, daß er Juan heiße und mir zur Verfügung stehe. Er benutzte die förmliche spanische Anrede. Ich gab ihm zuerst die Hand, und dann schwiegen wir einige Zeit. Es war keine künstliche Stille, sondern beiderseits eine natürliche und entspannte Ruhe. Obwohl sein dunkles Gesicht und sein Nacken voller Falten waren und sein Alter verrieten, zeigte er einen auffallend beweglichen und muskulösen Körper.

Ich erzählte ihm dann, daß ich an Informationen über Heilpflanzen interessiert sei. Obwohl ich in Wirklichkeit fast nichts über Peyote wußte, ertappte ich mich dabei, wie ich so tat, als wüßte ich eine Menge. Ich deutete sogar an, daß er davon profitieren könnte. Während ich so drauflos redete, nickte er langsam und sah mich an, sagte aber nichts. Ich mied seine Augen, und es endete damit, daß wir in völligem Schweigen dastanden. Schließlich, es schien eine lange Zeit vergangen, stand Don Juan auf und sah aus dem Fenster. Sein Bus war gekommen. Er sagte auf Wiedersehen und verließ die Busstation. Ich ärgerte mich über den Unsinn, den ich ihm erzählt hatte, und darüber, daß diese außergewöhnlichen Augen mich durchschaut hatten. Als mein Freund zurückkam, versuchte er mich darüber zu trösten, daß ich von Don Juan nichts erfahren hatte. Er erklärte mir, daß der alte Mann oft schweigsam oder verschlossen sei, aber der störende Eindruck dieser ersten Begegnung war nicht leicht zu zerstreuen.

Ich bemühte mich sehr, herauszufinden, wo Don Juan lebte, und später besuchte ich ihn mehrere Male. Bei jedem Besuch versuchte ich das Gespräch auf Peyote zu bringen, aber ohne Erfolg. Wir wurden trotzdem sehr gute Freunde, und meine wissenschaftliche Untersuchung war vergessen oder wurde zumindest in andere Richtungen gedrängt, die von meiner ursprünglichen Absicht Welten entfernt waren. Der Freund, der mich Don Juan vorgestellt hatte, erklärte mir später, daß der alte Mann kein Eingeborener Arizonas war, sondern Yaqui-Indianer aus Sonora in Mexiko. Zuerst sah ich in Don Juan nur einen ziemlich merkwürdigen Mann, der sehr viel über Peyote wußte und ausgezeichnet Spanisch sprach.

Aber die Leute, mit denen er lebte, glaubten, daß er eine Art »geheimes Wissen« habe, daß er ein »brujo« sei. Das spanische Wort brujo bedeutet etwa Medizinmann, Heiler, Hexer, Zauberer. Es bezeichnet im wesentlichen eine Person, die außergewöhnliche, meistens böse Kräfte besitzt. Ich kannte Don Juan schon ein ganzes Jahr, bevor er mir sein Vertrauen schenkte. Eines Tages erklärte er mir, er besitze gewisse Kenntnisse von einem Lehrer, einem »Wohltäter«, wie er ihn nannte, der ihn durch eine Art Lehrzeit geführt habe. Don Juan hatte nun seinerseits mich zu seinem Schüler gewählt, aber er warnte mich vor einer tiefgreifenden Verpflichtung, die ich einzugehen hätte, und einem Training, das lang und schwierig sein würde.

Bei der Beschreibung seines Lehrers benutzte Don Juan das Wort »diablero«. Später lernte ich, daß diablero ein Ausdruck ist, der nur von den Sonora-Indianern benutzt wird. Er bezieht sich auf einen bösen Menschen, der schwarze Magie praktiziert und fähig ist, sich in ein Tier zu verwandeln - in einen Vogel, einen Hund, einen Coyoten oder in jedes andere Geschöpf. Bei einem meiner Besuche in Sonora machte ich eine merkwürdige Erfahrung, die zeigte, was die Indianer über diableros empfinden. Ich fuhr nachts mit zwei indianischen Freunden in einem Auto, als ich ein Tier, einem Hunde ähnlich, den Highway überqueren sah. Einer meiner Begleiter sagte, daß es kein Hund sei, sondern ein riesiger Coyote. Ich fuhr langsam an den Straßenrand hinüber, um das Tier richtig sehen zu können. Es stand noch einige Sekunden im Bereich der Scheinwerfer und rannte dann ins Untergehölz. Zweifellos war es ein Coyote, aber er war doppelt so groß wie gewöhnlich. Wir unterhielten uns aufgeregt, und meine Freunde stimmten darin überein, daß es ein sehr ungewöhnliches Tier war, und einer von ihnen deutete an, daß es ein diablero sein könnte. Ich beschloß, anhand einer Darstellung dieses Erlebnisses die Indianer dieses Gebiets über ihren Glauben an die Existenz von diableros zu befragen. Ich sprach mit vielen Leuten, erzählte ihnen die Geschichte und stellte ihnen Fragen. Die drei folgenden Gespräche deuten an, was sie dachten.

»Glaubst du, es war ein Coyote, Choy?« fragte ich einen jungen Mann, nachdem er die Geschichte gehört hatte. »Wer weiß? Kein Zweifel, ein Hund. Zu groß für einen Coyoten.«

»Glaubst du, es könnte ein diablero gewesen sein?« 

» Das ist doch Blödsinn. Solche Sachen gibts nicht.«
»Warum sagst du das, Choy?«

»Die Leute bilden sich so etwas ein. Ich wette, du hättest; gesehen, daß es ein Hund war, wenn du das Tier gefangen hättest. Einmal hatte ich in einer anderen Stadt etwas zu tun, stand vor Sonnenaufgang auf und sattelte ein Pferd. Als ich losritt, stieß ich auf einen dunklen Schatten auf der Straße, der wie ein riesiges Tier aussah. Mein Pferd scheute und warf mich aus dem Sattel. Ich war auch ganz schön erschrocken, aber es stellte sich heraus, daß der Schatten eine Frau war, die in die Stadt ging.«
»Willst du damit sagen, Choy, daß du nicht an diableros glaubst?«

»Diableros! Was ist ein diablero? Sag mir, was ein diablero ist!«

»Ich weiß nicht, Choy. Manuel, der in jener Nacht mit mir fuhr, sagte, daß der Coyote ein diablero gewesen sein könnte. Vielleicht kannst du mir sagen, was ein diablero ist?«
»Ein diablero, sagen sie, ist ein brujo, der sich in jede Gestalt verwandelt, die er annehmen will. Aber jeder weiß, daß das reinster Blödsinn ist. Die alten Leute hier sind voller Geschichten über diableros. Unter uns Jüngeren gibt es das nicht.«

»Was glaubst du, war das für ein Tier, Dona Luz?« fragte ich eine Frau in mittleren Jahren.

»Nur Gott weiß das sicher, aber ich glaube nicht, daß es ein Coyote war. Es gibt Dinge, die Coyoten zu sein scheinen, es aber nicht sind. Rannte der Coyote oder fraß er?«

»Er stand die meiste Zeit still, aber als ich ihn zuerst sah, fraß er, glaube ich, etwas. «

»Bist du sicher, daß er nicht etwas in seinem Maul trug?«

»Vielleicht tat er's. Aber sag mir, würde das einen Unterschied machen?«

»Ja, das schon. Wenn er etwas im Maul trug, war er kein Coyote.«

»Was war es dann?«

»Es war ein Mann oder eine Frau.«'

»Wie nennst du solche Leute, Dona Luz?«

Sie antwortete nicht. Ich fragte sie noch eine Weile, aber ohne Erfolg Schließlich sagte sie, sie wüßte es nicht. Ich fragte sie, ob solche Leute diableros genannt würden, und sie antwortete, daß »diablero« einer der Namen sei, die man ihnen gäbe.

»Kennst du irgendwelche diableros?« fragte ich.

»Ich kannte eine Frau«, antwortete sie. »Sie wurde getötet Es passierte, als ich ein kleines Mädchen war. Die Frau, sagten sie, verwandelte sich gewohnlich in eine Hündin. Und eines Nachts ging ein Hund in das Haus eines weißen Mannes, um Käse zu stehlen. Der weiße Mann tötete den Hund mit einem Gewehr, und in dem Moment, als der Hund im Haus des weißen Mannes starb, starb die Frau in ihrer eigenen Hütte. Ihre Verwandten versammelten sich und gingen zu dem weißen Mann und verlangten Wiedergutmachung. Der weiße Mann zahlte gutes Geld dafür, daß er sie getötet hatte..«

»Wie konnten sie Wiedergutmachung verlangen, wenn es nur der Hund war, den er getötet hatte?«

»Sie sagten, daß der weiße Mann wußte, daß es kein Hund war, weil andere Leute dabei waren, und alle gesehen hatten, wie der Hund sich wie ein Mensch auf seinen Hinterbeinen aufrichtete und nach dem Käse langte, der auf einem unter dem Dach hängenden Brett lag. Die Leute hatten auf den Dieb gewartet, weil der Käse des weißen Mannes jede Nacht gestohlen worden war. Darum tötete der Mann den Dieb und wußte sehr gut, daß es kein Hund war.«

»Gibt es heute noch diableros, Dona Luz?«

»Solche Dinge sind sehr geheim. Sie sagen, daß es keine diableros mehr gibt, aber ich bezweifle es, weil ein Mitglied der Familie des diablero lernen muß, was der diablero weiß. Diableros haben ihre eigenen Gesetze, und eins davon ist, daß ein diablero seine Geheimnisse an einen aus seinem Stamm weitergeben muß.«

»Was glaubst du, war das Tier, Genaro?« fragte ich einen sehr alten Mann.

»Ein Hund von einer der Ranchos aus der Gegend. Was sonst?«

»Es könnte ein diablero gewesen sein!«

»Ein diablero? Du bist verrückt! Es gibt keine diableros.«

»Willst du sagen, daß es heute keine gibt oder daß es nie welche gegeben hat?«

»Ja, irgendwann gab es welche. Das ist allgemein bekannt. Jeder weiß es. Aber die Leute hatten Angst vor ihnen und ließen sie alle töten.«

»Wer tötete sie, Genaro?«

»Alle Leute des Stammes. Der letzte diablero, von dem ich wußte, war S-. Er tötete Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Leuten durch seine Zauberkraft: Wir konnten es nicht dulden, und die Leute kamen zusammen und überraschten ihn eines Nachts und verbrannten ihn lebend«

»Wie lange liegt das zurück, Genaro?«

»Es war Neunzehnhundertzweiundvierzig«

»Hast du es selbst gesehen?«

»Nein, aber die Leute sprechen noch davon. Sie sagen, daß keine Asche zurückblieb, obwohl der Scheiterhaufen aus frischem Holz war. Am Ende war eine riesige Fettlache übrig.«

Obwohl Don Juan seinen Wohltäter als diablero bezeichnete, erwähnte er weder den Ort, an dem er sein Wissen erworben hatte, noch nannte er den Namen seines Lehrers. Uberhaupt gab Don Juan sehr wenig über sein persönliches Leben preis. Er sagte nur, daß er 1891 im Südwesten geboren war, daß er fast sein ganzes Leben in Mexiko verbracht hatte, daß seine Familie 1900 von der mexikanischen Regierung zusammen mit Tausenden anderer Sdnora-Indianer nach Zentralmexiko ausgewiesen wurde und daß er bis 1940 in Zentral- und in Südmexiko gelebt hatte. Da Don Juan sehr viel gereist war, war sein Wissen vielleicht das Ergebnis vieler Einflüsse. Und obwohl er sich als einen Indianer aus Sonora betrachtete, war ich nicht sicher, ob der Kontext seines Wissens völlig in der Kultur der Sonora-Indianer zu suchen sei. Aber es ist hier nicht meine Absicht, seine genaue kulturelle Herkunft zu bestimmen.

Ich begann meine Lehrzeit bei Don Juan im Juni 1961. Vor dieser Zeit hatte ich ihn zu verschiedenen Gelegenheiten gesehen, aber immer als anthropologischer Beobachter. Während dieser frühen Gespräche machte ich heimlich Notizen. Später rekonstruierte ich aus dem Gedächtnis das gesamte Gespräch. Als ich jedoch als Lernender begann, wurde diese Art des Aufzeichnens sehr schwierig, denn unsere Gespräche berührten viele verschiedene Themen. Dann erlaubte mir Don Juan nach heftigem Widerstreben jedoch, alles, was gesagt wurde, offen aufzuzeichnen. Ich hätte auch gerne Photos und Tonbandaufnahmen gemacht, aber das wollte er mir nicht erlauben.

Arizona und dann Sonora waren die ersten Orte meiner Lehrzeit, denn Don Juan zog während meiner Unterweisung nach Mexiko.

Ich richtete es so ein, daß ich ihn ab und zu für einige Tage sah. Meine Besuche waren häufiger und länger während der Sommermonate der Jahre 1961, 1962, 1963 und 1964. Zurückblickend glaube ich, daß diese

Methode der Lehrzeitgestaltung den Erfolg der Unterweisung beeinträchtigte, da sie den Zeitpunkt meines vollen Einsatzes verzögerte, den ich dringend brauchte, um Zauberer zu werden. Von meinem persönlichen Standpunkt aus gesehen, nützte mir diese Methode jedoch, denn sie erlaubte mir etwas Abstand, und dies wiederum hielt mir den Sinn für kritische Überprüfung offen, was unmöglich gewesen wäre, wenn ich beständig, ohne Unterbrechung teilgenommen hälfe. Im September 1965 brach ich die Lehrzeit freiwillig ab.

Einige Monate nach meinem Weggehen erwog ich zum ersten Mal die Idee, meine Arbeitsnotizen auf systematische Weise zu ordnen. Da die Ergebnisse, die ich gesammelt hatte, sehr umfangreich waren und vielseitige Informationen einschlössen, begann ich mit dem Versuch, ein Hassifikationssystem zu erstellen. Ich teilte die Ergebnisse in Sachgruppen verwandter Begriffe und Verfahren und ordnete die Sachgebiete in der Rangordnung ihrer subjektiven Bedeutung - dh. nach dem Eindruck, den jedes von ihnen auf mich gemacht hatte;. Auf diese Weise kam ich zu der folgenden Klassifikation: Gebrauch von halluzinogenen Pflanzen; Verfahren und Formeln in der Zauberei; Gewinn und Manipulation von Macht-Objekten; Gebrauch von Heilpflanzen; Lieder und Legenden. Als ich über die Phänomene nachdachte, denen ich begegnet war, wurde mir bewußt, daß mein Versuch einer Klassifikation nichts als ein Verzeichnis von Kategorien ergeben hatte; jeder Versuch, mein Schema zu verbessern, konnte dadurch ein nur noch komplizierteres Verzeichnis ergeben. Das war nicht, was ich wollte. Während der Monate nach meiner Lösung aus der

Lehrzeit mußte ich verstehen, was ich erfahren hatte, und erfahren hatte ich, mit Hilfe einer pragmatischen und experimentellen Methode, die Lehre eines kohärenten Systems von Anschauungen. Schon im allerersten Treffen, an dem ich teilgenommen hatte, war mir klargeworden, daß Don Juans Lehren einen inneren Zusammenhang besaßen. Als er sich einmal endgültig entschieden hatte, mir sein Wissen mitzuteilen, setzte er die Darstellung seiner Erklärungen schrittweise methodisch fort. Jene Ordnung zu entdecken und zu verstehen, stellte sich für mich als die schwierigste Aufgabe heraus.

Meine Unfähigkeit zu verstehen, läßt sich wohl auf die Tatsache zurückführen, daß ich nach vier Jahren der Lehre noch immer in den Anfängen war. Es war klar, daß Don Juans Wissen und seine Methode des Vermittelns die seines Lehrers waren; so mußten meine Schwierigkeiten im Verstehen seiner Lehren die gleichen sein, denen er begegnet war. Don Juan spielte in auffälligen Bemerkungen auf unsere Ähnlichkeit als Anfänger an, wenn er über seine Unfähigkeit sprach, seinen Lehrer während seiner eigenen Lehre zu verstehen. Solche Bemerkungen brachten mich zu der Annahme, daß für jeden Anfänger, Indianer oder NichtIndianer, das Wissen der Zauberei unverständlich gemacht wurde durch die fremdartigen Eigenschaften der erlebten Phänomene. Ich persönlich, als Westländer, fand diese Eigenschaften so bizarr, daß es mir praktisch unmöglich war, sie in Begriffen meines eigenen täglichen Lebens zu erklären, und ich war zu dem Schluß gezwungen, daß jeder Versuch, meine

ArbeätsnctizEn in meinen eigenen Begriffen zu klassifizieren, zwecklos sein würde.

So wurde mir klar, daß Don Juans Wissen in den Begriffen, in denen er es selbst verstand, untersucht werden mußte; nur in diesen Begriffen konnte es evident und überzeugend werden. In dem Versuch jedoch, meine eigenen Ansichten mit denen Don Juans in Einklang zu bringen, erkannte ich, daß er dann, wenn er mir sein Wissen zu erklären suchte, Begriffe gebrauchte, die es für ihn »verständlich« machten. Der Versuch, sein Wissen so zu verstehen, wie er es verstand, brachte mich erneut in eine unhaltbare Lage, da mir jene Begriffe fremd waren. Darum war meine erste Aufgabe die Bestimmung seiner Begriffsordnung. Während ich in dieser Richtung arbeitete, bemerkte ich, daß Don Juan selbst besonderen Nachdruck auf ein bestimmtes Gebiet seiner Lehren gelegt hatte -insbesondere auf den Gebrauch von halluzinogenen Pflanzen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis veränderte ich mein eigenes Schema der Kategorien. Don Juan benutzte, getrennt und zu verschiedenen Gelegenheiten, drei halluzinogene Pflanzen: Peyote (Lophophora williamsii), Jimson weed (Datura inoxia syn. D. metoloides) und einen Pilz (möglicherweise Psilocybe mexicana). Noch vor ihrem Kontakt mit Europäern haben die Indianer die halluzinogenen Eigenschaften dieser drei Pflanzen gekannt. Dieser Eigenschaften halber war die Verwendung jener Pflanzen weithin verbreitet, zur Heilung, zur Hexerei und zur Erreichung eines Zustands der Ekstase. Im spezifischen Kontext seiner Lehren brachte Don Juan den Gebrauch von Datura inoxia und Psilocybe mexicana mit dem Erreichen von Macht in Zusammenhang, einer Macht, die er einen »Verbündeten« nannte. Den Gebrauch von Lophophora williamsii verband er mit dem Gewinn von Wissen oder der Kenntnis einer richtigen Lebensweise.

Für Don Juan bestand die Bedeutung der Pflanzen in ihrer Fähigkeit, im Menschen Zustände merkwürdiger Wahrnehmung hervorzurufen. Zu dem Zweck, sein Wissen zu enthüllen und zu bestätigen, führte er mich zu der Erfahrung einer Reihe jener Zustände.. Ich habe sie »Zustände nichtalltäglicher Wirklichkeit« genannt, d. h. nichtalltägliche Wirklichkeit im Gegensatz zur alltäglichen Wirklichkeit des tagtäglichen Lebens. Diese Unterscheidung beruht auf der inhärenten Bedeutung der Zustände nichtalltäglicher Wirklichkeit. Im Kontext von Don Juans Wissen wurden sie als wirklich angesehen, obwohl ihre Wirklichkeit von alltäglicher Wirklichkeit unterschieden wurde. Don Juan hielt die Zustände nichtalltäglicher Wirklichkeit für die einzige Form pragmatischen Lernens und die einzige Methode, Macht zu gewinnen. Er vermittelte den Eindruck, daß andere Teile seiner Lehren für die Erlangung von Macht nebensächlich waren. Dieser Standpunkt bestimmte Don Juans Haltung in allem, was nicht direkt mit den Zuständen nicht-alltäglicher Wirklichkeit verbunden war. Durch meine Arbeit^otizen ziehen sich verstreute Hinweise auf Don Juans Ansichten. Zum Beispiel meinte er in einem Gespräch, daß einige Objekte in sich eine bestimmte Menge Macht enthielten. Obwohl er selbst keine Beziehungen zu Macht-Objekten hatte, sagte er, daß sie oft von geringeren brujos als Hilfe benutzt würden. Ich fragte ihn oft nach solchen

Objekten, aber er schien völlig uninteressiert, darüber zu sprechen. Als das Thema jedoch bei einer anderen Gelegenheit zur Sprache kam, stimmte er widerwillig zu, über sie zu sprechen.

»Es gibt bestimmte Objekte, die mit Macht ausgestattet sind«, sagte er. »Es gibt große Mengen derartiger Objekte, die mit Hilfe freundlicher Geister von mächtigen Männern benutzt werden. Diese Objekte sind Werkzeuge - keine gewöhnlichen Werkzeuge, sondern Werkzeuge des Todes. Und doch sind es nur Instrumente; sie haben keine Macht zu lehren. Genau gesagt, sie liegen im Bereich der Kriegs-Objekte, zum Streit bestimmt; sie sind zum Töten gemacht, zum Schleudern.«
»Welche Art von Objekten sind das, Don Juan?«
»Sie sind nicht wirklich Objekte; eher sind sie Arten der Macht.«

»Wie kann man diese Arten der Macht erlangen, Don Juan?«
»Das hängt von der Art des Objekts ab, das du willst.«
»Wieviele Arten gibt es?«

»Wie ich schon gesagt habe, es gibt deren viele. Jedes Ding kann ein Macht-Objekt sein.«
»Ja, welche sind dann am mächtigsten?«

»Die Macht eines Objektes hängt von seinem Besitzer, von dessen Wesen ab. Ein Macht-Objekt, das von einem geringeren brujo gehütet wird, ist kaum ernst zu nehmen; andererseits gibt ein starker, mächtiger br^jo seine Stärke an seine Werkzeuge ab.«
»Welche Macht-Objekte sind am verbreitetsten? Welche werden von den meisten brujos bevorzugt?«

»Es gjbt keine Bevorzugungen Sie sind alle Macht-Objekte, alle genau gleich.«
»Hast du selbst welche, Don Juan?«

Er antwortete nicht; er sah mich nur an und lachte. Lange Zeit blieb er still, und ich dachte, meine Fragen ärgerten ihn. »Es gibt Grenzen für diese Arten von Mächten«, fuhr er fort

»Aber ich bin sicher, so eine Ansicht ist dir unverständlich. Ich habe fast ein ganzes Leben gebraucht, um zu verstehen, daß ein Verbündeter aus sich selbst alle Geheimnisse dieser geringeren Mächte verraten kann und sie ziemlich kindisch erscheinen läßt. Als ich jung war, hatte ich einmal solche Werkzeuge.«

»Welche Macht-Objekte hattest du?«

»Maiz-pinto, Kristalle und Federn.«
»Was ist Maiz-pinto, Don Juan?«

» Es ist ein kleines Maiskorn, das einen schmalen Streifen roter Farbe in seiner Mitte hat.«

»Ist; es ein einzelnes Korn?«

» Nein. Ein brujo besitzt achtundvierzig Körner-.«

»Was bewirken die Körner, Don Juan?«

Jedes von ihnen kann einen Menschen töten, indem es in seinen Körper eindringt.«

»Wie dringt ein Kon in einen menschlichen Körper ein?«
» Es ist ein Macht-Objekt, und seine Macht besteht unter anderem darin, in den Körper einzudringen.«
»Was bewirkt es, wenn es in den Körper eindringt?«
» Es versenkt sich in den Körper, es nistet sich in der Brust oder in den Gedärmen ein. Der Mann wird krank, und wenn der brujo, der ihn pflegt, nicht stärker ist als der Verzauberer, wird er innerhalb von drei Monaten

nach Eindringen des Korns in seinen Körper sterben.«
»Gibt es einen Weg ihn zu heilen?«

»Der einzige Weg ist, das Korn auszusaugen, aber sehr wenige brujos würden das wagen Einem brujo könnte es vielleicht gelingen, ein Korn auszusaugen, aber wenn er selbst nicht mächtig genug ist, es abzuweisen, wird es in ihn eindringen und nun ihn töten.«

»Aber wie gelingt es einem Korn, in den Körper eines Menschen einzudringen?«

»Um das zu erklären, muß ich dir von der Mais-Zauberei erzählen, einer der mächtigsten Zauberkräfte, die ich kenne. Die Zauberkraft; wird durch zwei Körner bewirkt. Eines davon wird in die frische Knospe einer gelben Blume gelegt. Dann wird die Blume an einen Ort gebracht, wo sie mit dem Opfer in Berührung kommen wird: die Straße, auf der es jeden Tag geht, oder jeder Ort, an dem es sich gewöhnlich aufhält. Sobald das Opfer auf das Korn tritt oder es auf irgendeine Weise berührt, setzt die Zauberei ein. Das Korn versenkt sich in den Körper.«
»Was passiert mit dem Korn, nachdem der Mann es berührt hat?«

»All seine Macht geht auf den Mann über, und das Korn ist frei. Es wird zu einem gewöhnlichen Korn. Es bleibt vielleicht an der Stelle der Zauberei, oder es wird vielleicht weggefegt; das ist ohne Bedeutung Es ist besser, es in die Büsche zu fegen, wo ein Vogel es essen wird.«

»Kann ein Vogel es essen, bevor der Mann es berührt hat?«
»Nein. Ich versichere dir, so dumm ist kein Vogel. Die Vögel halten sich von ihm fern.«

Don Juan beschrieb dann ein sehr komplexes Verfahren zur Erlangung solcher Macht-Körner.

»Du mußt immer daran denken, daß Maiz-pinto nur ein Instrument ist und kein Verbündeter«, sagte er. »Wenn du einmal diesen Unterschied erkannt hast, wirst du keine Schwierigkeiten haben. Aber wenn du solche Werkzeuge als allmächtig betrachtest, bist du ein Narr-

»Sind die Macht-Objekte so mächtig wie ein Verbündeter?« fragte ich.

Don Juan lachte spöttisch, bevor er antwortete. Offenbar kostete es ihn Mühe, Geduld zu bewahren.

»Maiz-pinto, Kristalle und Federn sind im Vergleich zu einem Verbündeten bloße Spielzeuge«, sagte er. »Diese Macht-Objekte sind nur notwendig, wenn ein Mann keinen Verbündeten hat. Es ist Zeitverschwendung, ihnen nachzujagen, insbesondere für dich. Du solltest versuchen, einen Verbündeten zu bekommen; wenn dir das gelingt, wirst du verstehen, was ich dir jetzt sage. Macht-Objekte sind wie ein Spiel für Kinder.«
»Versteh mich nicht falsch, Don Juan«, wandte ich ein. »Ich will einen Verbündeten haben, aber ich möchte auch alles wissen, was ich erfahren kann. Du selbst hast gesagt, daß Wissen Macht ist.«
»Nein«, sagte er eindringlich. »Macht beruht auf der Art des Wissens, das einer hat Was bedeutet das Wissen von Dingen, die sinnlos sind?«

In Don Juans Anschauungsweise bedeutete der Gewinn eines Verbündeten ausschließlich die Ausnutzung der Zustände nichtalltäglicher Wirklichkeit, die er durch den Gebrauch haUuzmogener Pflanzen in mir hervorrief. Er glaubte, daß ich durch die Konzentration auf diese Zustände und das Auslassen anderer Aspekte des Wissens, das er mich lehrte, zu einer kohärenten Ansicht der Phänomene käme, die ich erfahren hatte. Ich habe darum dieses Buch in zwei Abschnitte geteilt. Im ersten Abschnitt gebe ich Ausschnitte meiner Arbeitsnotizen wieder, die sich mit den Zuständen nicht-alltäglicher Wirklichkeiten belassen, die ich während meiner Lehre erlebte. Da ich meine Notizen der Kontinuität der Erzählung angepaßt habe, sind sie nicht immer in richtiger chronologischer Reihenfolge. Ich habe meine Beschreibung eines Zustandes nichtalltäglicher Wirklichkeit immer erst einige Tage, nachdem ich diesen Zustand erlebt hatte, aufgeschrieben, um zu warten, bis ich ihn ruhig und objektiv betrachten konnte. Meine Gespräche mit Don Juan jedoch wurden niedergeschrieben, wie sie erfolgten, sofort nach jedem Zustand nichtalltäglicher Wirklichkeit. Meine Berichte dieser Gespräche gehen darum manchmal der vollen Beschreibung einer Erfahrung voraus.

Meine Arbeitsnotizen zeigen die subjektive Version dessen, was ich während des Erfahrungsablaufs wahrnahm. Diese Version ist hier wiedergegeben, genauso wie ich sie Don Juan erzählte, der eine vollständige und wahre Erinnerung jedes Details und eine vollständige Wiedergabe jedes Erlebnisses verlangte. Während der Zeit, in der ich diese Erfahrungen aufschrieb, fügte ich nebensächliche Einzelheiten hinzu, in dem Versuch, die vollständige Szenerie jedes Zustands nicht-alltäglicher Wirklichkeit emzufangen Ich wollte den emotionalen Effekt, den ich erfahren hatte, so vollständig wie möglich beschreiben. Meine Arbeitsnotizen zeigen gleichfalls den Inhalt von Don Juans Anschauungssystem. Ich habe lange Seiten der Fragen und Antworten zwischen Don Juan und mir zusammengefaßt, um die Wiedergabe der Wiederholungen in unseren Gesprächen zu vermeiden. Doch möchte ich auch die allgemeine Atmosphäre unseres Austausches wiedergeben und habe nur die Dialoge gestrichen, die nicht zu meinem Verständnis seiner Art Wissen beitrugen Die Infermatienen, die Don Juan mir über seine Art Wissen gab, waren immer sporadisch, und für jeden seiner Gedankensprünge brauchte ich Stunden an Überlegungen. Trotzdem gab es unzählige Gelegenheiten, bei denen er sein Wissen frei erläuterte.

Im zweiten Abschnitt dieses Buches befasse ich mich mit einer strukturellen Analyse, die ausschließlich auf den Notizen des ersten Abschnitts basiert Durch meine Analyse versuche ich die folgenden Behauptungen zu erhärten: (1) Don Juan stellte seine Lehre als ein logisches Denkgebäude dar; (2) das System war nur sinnvoll, wenn es im Licht seiner strukturellen Einheiten betrachtet wurde; und (3) das System war dafür eingerichtet, einen Schüler zu einer Ebene der Kenzeptualisatlen zu führen, welche die Ordnung der Phänomene erklärte, die er erfahren hatte.