VIER


 

 

»Scudder ist schon fort. Du hast ihn gerade verpaßt. Holt Ersatzteile aus der Stadt. Sagte, du könntest seine Bildschirme benutzen.«

Pete stieg die Stufen zur überdachten Veranda hinauf. Ebensogut konnte man sagen, daß Scudder gerade ihn vermißt hatte.

Maudie stand in der Türöffnung, einen zusammengefalteten Zeitungsausdruck unter dem Arm. »Da ist ein Brief für dich. Wo bist du gewesen?«

Er blieb stehen. Nicht der Weltuntergang – es war eine Augenblicksreaktion gewesen, eine Abwehr, weil der Tag sich zu gut angelassen hatte, als daß er bereit gewesen wäre, sich ihn verderben zu lassen. Aber die Aussicht, am Abend mit Grace zusammen zu sein, versprach den Tag auch ohne solch zusätzlichen Schutz sicher zu machen.

»Drüben im Wald«, sagte er mit Bedacht. »Hab mir den Krater angesehen, den diese Bombe machte.«

»Das Frühstück wartet.« Sie trat zuvorkommend zurück, um ihn eintreten zu lassen. »Wie hast du die Stelle gefunden? Hat Scudder es dir gesagt?«

Er ließ sie im Glauben. Sie würde schon durch Grace darauf kommen. »Er sagte, es hätte alle Bildschirme auf der Landzunge zerstört.«

»So war es. Eine Woche Arbeit, mindestens.« Sie ging voraus in die Küche. Seine ›Bombe‹, so bemerkte er, war unbeanstandet geblieben.

»Brachte diesen alten Anbau von Sadie Platt zum Einsturz. Ein Bretterhaufen, sonst nichts.«

Kommunale Ereignisse, kommunale Redensarten. Millie, Armon, Hartford Ganz, alle würden ihm das gleiche erzählen, bis hin zum Bretterhaufen. Die Landzunge war, wie jemand mal gesagt hatte, ein kleiner Ort.

Aber er ließ sich nicht ablenken. »Muß ein ziemlich mächtiger Knall gewesen sein, dann.«

»Und ob.« Seine Mutter bog in ein Zimmer ab, in dem er noch nicht gewesen war. Das Herrenzimmer. Er erkannte es sogleich von den Video-Gesprächen wieder. »Dein Brief, Pete. Nimm ihn dir!«

Er ging hinein zum Datenanschluß, tippte seinen Personalkode. »Hörte sich wie eine Bombe an, nicht wahr?«

»Hab nie eine Bombe gehört.« Sie blockte ab.

»Scudder sagte, es sei ein UFO gewesen.«

»Nie davon gehört.« Wieder abgeblockt. »Willst du deinen Brief nicht lesen?«

Er hing aus dem Ausgabeschlitz. Er riß ihn ab, blickte davon auf zu ihr. Sie erwiderte seinen Blick fest, eine stämmige, dickliche alte Frau, die niemals bitten würde. Daß sie ihn zum Kommen veranlaßt hatte – und auch dies ließ sich ableugnen –, war ihre Grenze gewesen. Nun war es an ihm, ob er barmherzig sein wollte.

Das Schweigen zog sich hin. »Von wem ist dein Brief?« fragte sie.

Er blickte darauf. Und war barmherzig. »Von einer jungen Frau namens Emma«, sagte er. »Wir sind befreundet, weißt du.«

»Das ist nett.«

Er mußte sie bewundern. Selbst jetzt, da er ihr eine Frist gewährt hatte, gab seine Mutter nicht einen Fußbreit nach. »Sie ist Ärztin. Gegenwärtig arbeitet sie für eine Gruppe, Ferndiagnose, aber das gefällt ihr nicht. Sie würde viel lieber direkt mit den Patienten umgehen.«

»Warum tut sie es dann nicht?«

»Es ist schwierig. Zum einen gibt es in der Stadt keine freien Stellen, also würde es bedeuten, daß sie fortziehen müßte. Und dann …«

»Ich vermute, sie ist in dich verschossen, Junge.«

»Das ist nicht wahr.« War es nicht, nicht in dieser Weise, wie seine Mutter es meinte. Emma war ausgeglichen. »Sie mag die Stadt. Und andererseits hat sie die Computer-Unterstützung. Heutzutage ist die Diagnose …«

»Es gibt Datenanschlüsse, nicht wahr? Taschengeräte?« Sie wandte sich ab, die Sache war für sie erledigt. »Dann lies deinen Brief. Frühstück wartet.«

Er ließ sie gehen. Emma mochte die Stadt. Er las seinen Brief.

 

Lieber Pete,

bin gerade von den Vorfahren heimgekommen. Es geht ihnen gut. Allerdings hätten sie sich gefreut, wenn Du mitgekommen wärst, wie letztes Jahr. Du hast ihnen wirklich gefallen. Aber ich sagte ihnen, daß du dieses Jahr verreisen mußtest, um Deine eigenen Vorfahren zu besuchen, also mußten sie das billigen. Der männliche Vorfahr beschäftigt sich damit, draußen in der Garage einen Simulator-Bausatz zusammenzubasteln. Er hatte schon verschiedene Video-Einblendungen mit den Herstellern, aber das Ding funktioniert noch immer nicht richtig. Wirklich lächerlich – es vermischt die Simulationen so, daß du halb auf einem Surfbrett vor einer hawaiianischen Sturzwelle und halb in Notre Dame bist. Ich habe es mir angesehen, aber ich bin bloß Ärztin. Die Vorfahren denken, weil ich mit einem Diagnostikrahmen umgehen kann, sei ich ein elektronisches Genie. Ich mußte ihnen sagen, daß da nichts zu machen ist …

 

Pete blickte vom Ausdruck auf. Seine Mutter machte ihn ratlos. Wenn die Bombe wirklich der Grund war, daß sie ihn geholt hatte, wenn sie wirklich argwöhnte, daß Scudder etwas damit zu tun hatte, warum, zum Kuckuck, konnte sie es dann nicht sagen? Wovor fürchtete sie sich so? Gestern, unten an der Landspitze, hatte sie gesagt, sie wolle mit ihm über seinen Vater sprechen. Und was dann? Nichts. Manchmal war es, als ob sie wünschte, er wäre nicht gekommen.

Er runzelte die Stirn. Er wußte, was es war. Sie war wie eine Frau, die befürchtet, unter einer schrecklichen Krankheit zu leiden, und den Arzt kommen läßt, ihn dann aber nicht sehen und sich nicht mit ihm aussprechen will. Gleichwohl erwartet sie geheilt zu werden.

Aber – geheilt von Scudder? Sicherlich war es dafür zu spät. Er hatte sein Leben lang Bomben gemacht, von der einen oder der anderen Art.

Seufzend wandte er sich wieder seinem Brief zu.

 

Wie auch immer, ich bin wieder zurück und komme gerade aus der Klinik. Ein Stapel Anrufe von gestern abend hatte mich dort erwartet. Marie hat Karten für das Patterson-Konzert am Donnerstag. John will mit mir über einen Plan sprechen, den er zur nichtverbalen Kommunikation mit autistischen Patienten hat. Er will es mit dem McPhee-Kopfhörer versuchen. Hört sich wie ein Durchbruch an. Und die Schaeffers wollen für die Aufführung der neuen holographischen Verfilmung von Krieg und Frieden eine Party zusammenbringen. Und vielleicht gehe ich am Samstag zu den Harrys hinüber – er will sein Haus wieder neu umgestalten und braucht meine Hilfe mit den Farbverschiebungen. Du weißt, wie hoffnungslos er ist. Letztes Mal verkauften sie ihm Blau in Rosa – ganz nett, solange die Sonne schien, aber wenn es regnete, sah es bei ihm aus wie im Boudoir eines Exhibitionisten oder Transvestiten … Nun, ich muß gehen. Viel Glück zu deiner Reise in die vergangenen Zeiten. Wer sagt, er brauche keine Familie, ist ein Lügner. Und das sagt Dir Deine

Hausärztin. Bis wann immer,

Emma

 

Er zerknüllte den Ausdruck zu einem Ball und zielte nach dem Papierkorb. Dann besann er sich eines Besseren, strich ihn wieder glatt und steckte ihn in die Tasche. Emma war ein Stadtmensch. Reines Gold. Er konnte ihn später noch wegwerfen.

Als er die Küche betrat, stand seine Mutter gebeugt vor dem Backofen. Mit ihrer geblümten Schürze und dem zusammengesteckten Haarknoten hätte sie die Küchenhilfe sein können. Aber er hatte gesehen, wie sie frei und selbstbewußt durch die Schulman-Villa geschritten war. Diese Räume gehörten ihr. Scudder war es, so wurde ihm klar, der noch immer der Diener war.

Seine Mutter richtete sich auf. »Pfannkuchen«, sagte sie. »Pfannkuchen und Ahornsirup. Dein Lieblingsessen.«

Sein Lieblingsessen. Früher einmal, vor mehr als siebzehn Jahren. »Pfannkuchen, Mama? Ah, Mama, das ist wirklich etwas!«

Und Scudder noch immer der Diener.

»Sirup ist im Topf. Aber kein Geklecker, bitte!«

Die Ironie in seinem Ton war ihr entgangen. Froh darüber, setzte er sich nieder und tauchte den Löffel in den Siruptopf, wie um sich zu entschuldigen. Drei, so schien es, konnten genauso gut hacken wie zwei. Außerdem machte er die Erfahrung, daß er Pfannkuchen und Ahornsirup noch immer mochte.

»Ein netter Brief?« fragte Maudie beim Einschenken des Kaffees.

»Dies und das.« Sein Mund war voll. »Nichts Besonderes.«

»Aber diese Emma hat dir ziemlich bald geschrieben.«

»Bald?«

»Erst einen Tag fort, und schon schreibt sie.«

Er hatte gedacht, die Sache sei erledigt. »In Gottes Namen«, sagte er am Pfannkuchen schluckend, »es war kein Liebesbrief.«

»Dachte nie, daß es einer wäre, Junge. Nicht wenn sie dich kennt.«

Gereift, und weiser als sie, beherrschte er sich. Er dachte daran, ihr den Brief zu zeigen, bloß um sie zum Schweigen zu bringen. Aber er konnte, um ehrlich zu sein, sich an nicht viel des Inhalts erinnern. Seine Gedanken hatten sich mit anderen Dingen beschäftigt. Außer, daß Emma offensichtlich vorhatte, sich ohne ihn ein paar schöne Tage zu machen. Gutes Mädchen. Ausgeglichenes Mädchen.

»Großartige Pfannkuchen, Mutter«, sagte er. Und ließ, gereift, und weiser als sie, den Ausdruck in der Tasche.

Maudie legte ihm einen neuen Pfannkuchen auf den Teller, befriedigt, und wechselte das Thema. »Du wirst zu tun haben. Für den Fall, daß er nicht rechtzeitig zurückkommen würde, sagte Scudder, daß du seine Bildschirme benutzen könntest.«

»Warum nicht den im Herrenzimmer?«

»Hat er nicht gesagt. Freigebigkeit, nehme ich an.«

Er ignorierte das. Es mochte sogar die Wahrheit sein. »Ich bin um zehn dran«, sagte er. »Ich werde die Einschaltzeit am Bildschirm kontrollieren, und wir können das mit dem Geld regeln, wenn ich gehe.«

»Nicht notwendig, Junge. Das macht uns nichts aus.«

»Wird mich nicht einen Cent kosten. Es sind Geschäftskosten.«

»Fein, wenn du es kriegen kannst.« Sie holte den Kaffeetopf vom Herd und wartete, bis er in seiner Tasse Platz gemacht hatte. »Scudders Rechnung ist ein dickes Ding. Trifft uns Mitte nächster Woche, für ein Vierteljahr.«

»Sind das nicht auch Geschäftsunkosten?«

»Kann ich nicht sagen. Er stellt sie nie in Rechnung.«

»Vielleicht schwatzt er mit seinen Freunden.«

»Scudder?«

Pete blickte zu ihr auf. Wollte sie ihm wieder etwas sagen und doch nicht sagen? Er erinnerte sich des Gespräches, das er unterbrochen hatte. »Ich werde mit ihm reden. Könnte sein, daß er ausläßt.«

»Das wird er dir nicht danken, Junge. Und mir auch nicht, daß ich es erwähnt habe.« Ihr Blick begegnete seinem und ging weiter. Beinahe hätte sie sich ihm anvertraut. Aber um sich selbst und ihm zu zeigen, daß sie es nicht getan hatte, setzte sie hinzu: »Hat seinen Stolz, genauso wie die meisten Leute.«

Damit war Pete wieder dort, wo er angefangen hatte, was in Scudders Fall eine allzu vernünftige Erklärung war.

»Keine Sorge, Mutter. Ich werde kein Wort sagen.«

Ober nichts, um Gottes willen. Niemals.

Er brachte das Frühstück hinter sich. Er aß mehr, als er freiwillig gegessen hätte, und weniger als seine Mutter gern in ihn hineingestopft hätte. Um fünf vor zehn stand er vom Tisch auf, um hinaufzugehen.

»Die Tür ist zugesperrt, natürlich«, sagte Maudie. »Den Schlüssel hat er in der Tasche. Aber er hat die Stimmaufnahme eingeschaltet. Es sollte dir keine Mühe machen.«

Das Ausbleiben ihres Kommentars war betäubend. Daß er ihr so wenig vertraute. Pete ließ es auf sich beruhen. Er konnte sich nicht über alles Gedanken machen, was sie nicht sagte. Dafür war das Leben nicht lang genug. Er ging hinauf in sein Schlafzimmer, nahm die Papiere an sich und ging den Korridor entlang zu seines Vaters Arbeitszimmer, wo er der Tür die notwendige Stimmprobe gab.

»Laß mich schon hinein, du gottverdammte schwachsinnige Maschine!«

Die Maschine war unempfindlich gegen Beleidigungen und tat ihm den Gefallen. Er hörte, wie ihr Servomechanismus sich mit dem alten Schloß abmühte. Endlich schnappte es auf. Er öffnete die Tür, ging hinein, setzte sich an den Schreibtisch und breitete seine Papiere aus. Er konnte kein Aufzeichnungsgerät sehen, aber der Umstand, daß sein Vater die Stimmaufnahme hatte einstellen können, verriet ihm, daß sein vorausgegangener Besuch mitgeschnitten worden sein mußte. Vermutlich konnte er das gleiche wieder erwarten. Er rief den Informationsausdruck des Tages ab und wünschte Scudder viel Glück – zwei Stunden Arbeit mit den Geschäftsspielen würden ziemlich langweilig anzuhören sein. Er wählte die Frequenz der Zentrale, schaltete den Zerhacker ein und meldete sich.

Sein Koordinator sah wild und struppig aus, als hätte er sich nach einem festlich begangenen Huppeltag mit Kompensatoren aufgeputscht.

»Dann also los! Was ist heute fällig? Meine Sekretärin hat die verdammte Liste verlegt.«

»Freizeitindustrie, Sir.«

»Mein Gott. Ausgerechnet. Wer ist für Tennis zuständig? Nun machen Sie schon, Mann!«

Pete überflog seinen Informationsausdruck. »Die Ergebnisse über die Parsons-Scubagill-Kampagne liegen vor. Und Konsumentenreaktionen auf das Preisausschreiben über synthetische Platzbeschichtungen … Ich sehe, wir haben auch die Entscheidung des Nationalen Golfverbandes über die energieverstärkten Schläger. Und diese Übernahme – Polymetric-Lederwaren scheint sich überraschend gut zu halten, wenn man …«

»Um Christi willen, Pete, von wo aus rufen Sie? Ich sehe Sie durch einen Dunst. Haben Sie dort Smogalarm?«

»Sie sehen auch nicht allzu gut aus.«

»Witzbold. Ich spreche von der verdammten Bildqualität. Sie rufen von außerhalb der Stadt, nicht wahr?«

»Ich bin hier oben im Haus meines Vaters, Sir. Er …«

»Nun, ich schlage vor, Sie überprüfen Ihre Frequenzeinstellung. Wenn über weite Distanz mit dem Zerhacker gearbeitet wird, kommen leicht Verzerrungen zustande.«

»Ich überprüfe, Sir.« Pete beugte sich vor und fummelte an den unvertrauten Einstellknöpfen.

»Und machen Sie schnell! Vermutlich verbreiten Sie Störungen wie ein durchgegangener Reaktor.«

Pete fand die Feineinstellung. Um Sendefrequenz für die rund zwanzig Millionen privaten Benutzer zu schaffen, wurden Bildinformationen in Phasen entlang einer gemeinsamen Frequenz gespeichert. Das war immer eine schwierige Sache, und der Einsatz von Zerhackern machte sie noch schwieriger. Er drehte die Einstellscheibe, beobachtete das grüne Signal und schaltete wieder ein.

»Ah, da sind Sie ja. Der Dunst löst sich auf – es werde Licht, sagte der Mann, und siehe, es ward Licht. Sehen wir zu, daß es dabei bleibt, nicht wahr?«

»Es ist Spiel in dem Schalter. Ich glaube, ich habe die Einstellung fixiert.«

»Die Wunder und Geheimnisse der modernen Wissenschaft. Nun, wo waren wir stehengeblieben?«

Pete beschloß, die fehlerhafte Einstellung seinem Vater gegenüber zu erwähnen und befragte wieder seinen Plan. »Polymetric-Lederwaren, Sir, und die versuchte Übernahme durch Bettaballs.«

»Mein Gott, auf was für Namen die kommen … Richtig, Pete, gehen wir an die Arbeit!«

Sie diskutierten Marktentwicklungen, die gesamtwirtschaftliche Lage und prophezeiten ausländischen Druck. Die Taktiken, mit denen Petes Wettbewerber aufwarten könnten, und mögliche Reaktionen des Computers. Dieser war tatsächlich ebenso unberechenbar wie jedes reale Marktgeschehen. Ob man auf optimales Wachstum spielte, oder auf die höchste Profitrate des eingesetzten Kapitals, man arbeitete ins Ungewisse. Originalität des Produkts oder der Dienstleistung half, aber nur, wenn sie einen Gewinn abwarf. Hatte man sich erst auf die Geschäftsspiele eingelassen, so war man gefangen in einer zwar fiktiven, aber äußerst rücksichtslosen computergestützten kommerziellen Gemeinschaft, die sich über die ganze Welt erstreckte, und hatte sich gegen ziemlich gerissene Mitspieler zu behaupten.

Sie sprachen auch über Persönlichkeiten, Aggressionsfaktoren und Bewertungen des Spiels der vergangenen Woche. Da im September die Nationalen Ausscheidungen stattfanden, war es an der Zeit, definitive Ziele zu setzen. Die Teilnehmer mußten allmählich den Druck fühlen.

»Wir müssen hart sein, Pete. Unter uns gesagt, die Zentrale simuliert eine Rezession für die nächsten drei Monate, und da wird es nicht einfach sein. Überschuldung, Konkurse, das übliche Chaos. Sie werden viele Unglücksgeschichten zu hören bekommen und werden einfach hart sein müssen. Sagen Sie ihnen, Regeln sind Regeln. Und es ist eine harte Welt dort draußen, wo einem der scharfe Wind des Wettbewerbs um die Ohren weht.«

»Das tue ich immer, Sir.«

»Ja. Nun, machen Sie es ihnen klar. Es gibt viele gute Talente. Die Nationalen Ausscheidungen werden eine Bewährungsprobe sein. Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie keinen Blumentopf gewinnen werden, wenn sie sich so weiterschleppen. Ich habe die Voraussagen gesehen, sie sind nicht gut. Verbreiten Sie Düsternis, Mann!«

»Wenn Sie meinen, Sir.«

»Ich meine es.«

Er würde es trotzdem nicht tun. Solche Angelegenheiten lagen im Ermessen jedes einzelnen Schiedsrichters. Und Pete war überzeugt, daß seine Dienstagsleute alle Ermutigung brauchten, die sie bekommen konnten. Schiedsrichter waren natürlich neutral, aber Neutralität konnte schattiert sein, wie alles andere.

»Gut denn, Pete. Machen Sie weiter! Ihre Spieler brauchen Sie.«

»Bis morgen, Sir. Haushaltsgeräte.«

»Gott. Erinnern Sie mich nicht.«

Das Bild erlosch. Pete lächelte. Entgegen allem Anschein liebte der Koordinator seine Arbeit. Das Warentermingeschäft, Konsumgüter, Immobilien, Versicherungen, Luftlinien, ganz gleich, was es war, sein Koordinator liebte es. Machtphantasien. Während die wirkliche Produktion, computergesteuert nach dem errechneten Bedarf, ohne Aufhebens ausstieß, was benötigt wurde, und nicht herstellte, was nicht benötigt wurde.

Pete ordnete seine Unterlagen, blickte zum Kode auf und wählte seinen ersten Wettbewerber. Nancy Carmel, die bis über den Kopf in synthetischen Weichbelägen für Tennisplätze und Sportanlagen steckte.

»Morgen, Nancy.«

»Ein stinkender, lausiger Morgen ist es. War es wirklich nötig, mich gleich nach dem Huppeltag mit so etwas zu schlagen?«

»Womit, Nancy?«

»Machen Sie keine Geschichten, Sie haben den Ausdruck gesehen. Mit dieser beschissenen Reaktion. Zum Teufel, Mann, es ist ein gutes Produkt.«

»Aber es scheint eben, daß die Leute gern Rasen mähen, Nancy. Wir leben in einem traditionsbewußten Zeitalter.«

»Ja, ich sollte in Rasenmäher einsteigen.«

»Vielleicht. Soll ich Sie als verkaufsbereit auf die Liste setzen?«

»Scheiße, nein! Mit dieser Reaktion in den Akten würde ich keinen Käufer finden.«

»Was dann?«

»Drängen Sie mich nicht. Ich habe die Nachricht erst vor einer halben Stunde bekommen.«

»Rasche Entscheidungen, Nancy. Tun Sie es nicht, wird es ein anderer tun.«

»Ja. Nun, ich habe nachgedacht … Achtzig Prozent der Tennisplätze sind in Privatbesitz. Richtig? Und private Eigentümer mögen Gras. Sie sind verrückt auf den Geruch oder was. Aber die Institutionen – Schulen, Gemeinden und so weiter – sind es nicht: sie müssen zahlen, um ihre Plätze in Ordnung zu halten. Richtig?«

»Leuchtet ein«, sagte Pete, obwohl es seiner Neutralität abträglich war. »Aber zwanzig Prozent des Marktes sind sicherlich nicht genug, um …«

»Ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich weiß das. Aber sagen Sie mir dies: Wie viele Golfplätze befinden sich in Privatbesitz? Und Golfplätze haben Rasenflächen, nicht wahr?«

»Sie haben also vor, das Geschäft auf die Golfplätze auszudehnen.«

»Genau. Synthetische Grünflächen, auch Bäume. Sogar Wege und Bahnen. Keine Instandhaltung mehr. Wie wäre das?«

»Werbung und Verkaufsförderung kostet Geld. Und diese Preisausschreiben, auf die Ihre Agentur so versessen zu sein scheint. Wie steht es mit Ihrer Liquidität?«

»Beschissen. Sie wissen es selbst. Also, was denken Sie?«

»Schiedsrichter denken nicht.« Er war mit der Andeutung, daß sie ihre Agentur wechseln sollte, schon zu weit gegangen. »Warum fragen Sie nicht herum?«

»Wieviel Zeit habe ich?«

»Das ist zwischen Ihnen und Ihren Banken.«

»Erzählen Sie mir was Neues … Also gut, bleiben Sie dran, bitte! Ich rufe zurück, bevor die Sitzung zu Ende ist.«

Er gab ihr den Kode seines Vaters, und sie schaltete aus. Nancy Carmel, von Beruf Busfahrerin, war eine harte Geschäftsfrau. Aber sie war noch klein. Unter dem Druck der großen Hartplatz-Unternehmen, die mit Sand als Ausgangsmaterial arbeiteten, war sie auf synthetische Weichbeläge ausgewichen. Forschung und Entwicklung hatten sie eine Menge gekostet. Aber sie hatte gewußt, daß es nicht einfach sein würde, sie war schlau, dazu eine geborene Spielerin. Das richtige Material für Meisterschaften. Man brauchte nicht groß zu sein, um gewinnträchtige Wachstumsraten vorzuzeigen.

Der nächste auf seiner Liste war Elton Schindler. Schindler, ein Beamter der staatlichen Wohnungsbehörde, war mit Tennis- und Golfschlägern im Geschäft und steckte hinter den energieverstärkten Golfschlägern, die vom Nationalen Golfverband gerade abgelehnt worden waren. Pete rechnete damit, daß ihr Gespräch unterbrochen würde. Wenn Nancy Carmel herumfragte, dann mußte Schindler hoch oben auf ihrer Liste stehen. Und der Golfverband war ein Haufen alter Philister; wenn sie keine energieverstärkten Schläger mochten, dann war anzunehmen, daß sie erst recht keine synthetischen Golfplätze mit Kunstbäumen wollten. Aber ihre Entscheidung würde erst in weiteren vierundzwanzig Stunden Allgemeingut sein, und bis dahin war völlig offen, was Schindler ihr erzählen würde.

Aber wenn nicht synthetische Golfplätze, was dann? Rennbahnüberdachungen waren der letzte Schrei. Das Material war nicht dafür geeignet, aber vielleicht konnte sie genug darauf abladen und dann aussteigen. Pete mochte Nancy Carmel und wünschte ihr Glück. Wenn sie nur eine andere Agentur finden könnte …

Schindler war, charakteristisch für ihn, unverzagt, obwohl ihm die Entscheidung des Nationalen Golfverbandes vorlag. Er wollte sie anfechten und zitierte dazu die erst vor kurzem erfolgte Genehmigung von Sprungskiern mit Leitflossen durch den Skiverband. Es war nicht gerade eine Parallele, aber er meinte, es lohne sich, eine Anfechtungsklage einzubringen. Und unterdessen versuchte er es im Ausland – europäische Golfspieler seien, wie er meinte, weit weniger doktrinär. Und er hatte eine Idee, in den australischen Markt einzubrechen, wo er das ganze Jahr durch verkaufen konnte. Außerdem setzte er sich für die erweiterte Vierundzwanzig-Monate-Meisterschaft ein, was ihm Zeit geben würde, ein Verkaufsnetz aufzubauen. Pete mußte ihm sagen, daß es zu spät war – zweijährige Eintragungen mußten bis Ende Mai vorliegen. Schindler blieb sich selbst treu und sagte, es lägen besondere Umstände vor und er werde bei der Spielzentrale um eine Sondergenehmigung einkommen. Pete sagte ihm, das stehe ihm frei, und brach das Gespräch ab.

In zehn hektischen Minuten hatte es kein Zeichen von Nancy gegeben. Pete befürchtete, daß sie sich auf ihre Banken konzentrierte, statt auf die Frage, ob jemand Interesse an ihrem Produkt hatte. Die Geldleute herumzukriegen, war für jemanden wie Nancy Carmel viel spannender. Er seufzte bei dem Gedanken, daß er düstere Stimmung verbreiten sollte und daß er Schindler, der etwas davon hätte vertragen können, gerade ungestraft gelassen hatte. Er begann sich zu engagieren. Höchste Zeit, daß er auf sich achtgab.

Der Vormittag verging: zwanzig Spieler, die meisten von ihnen Mitläufer. Funken flogen nur einmal, als der Mann von Polymetric-Lederwaren auf einer Bildschirmkonfrontation mit der vom geschäftlichen Aufwind begünstigten Sportkleidung-Verkaufsgesellschaft bestand. Er wollte sie überreden, ihn durch eine Beteiligung gegen die drohende Übernahme durch Bettaball zu unterstützen. Es gelang ihm nicht. Er brüllte herum und fuchtelte mit den Armen, dann erklärte er in der Wut seinen Rücktritt von den Spielen. Pete sagte ihm, er solle es sich noch einmal überlegen.

Gegen zwölf Uhr kam Scudder unter einem riesigen Karton mit Schaltkreisen und Ersatzteilen hereingeschwankt. Auf dem Bildschirm war Carlton Mathis, ein Englischprofessor mit dem Verstand eines Buchhalters und Beteiligungen in allen Zweigen des Handels. Er war in einer fünfjährigen Meisterschaftsperiode, und sein Zielgebiet war noch nicht ausgewählt. Pete stellte seinen Vater vor.

»Scudder spielt nicht«, warnte er Mathis.

Mathis musterte den alten Mann über die Brillengläser hinweg. »Und was ist Ihr Geschäft, Mr. Laznett?«

Scudder setzte den Karton ab, richtete sich auf und zog ostentativ an seinem Hosenlatz. »Elektronik. Die anderen machen sie kaputt, ich richte sie.«

»Das ist sehr interessant.« Mathis, konservativ gekleidet, wie es sich für einen Professor gehörte, sah eine Gelegenheit, eine Hand an den Puls des Volkes zu legen. »Sagen Sie, Mr. Laznett, Sie müssen viel herumkommen – was sehen Sie als die hauptsächliche Freizeitaktivität der Zukunft?«

Scudder zögerte nicht. »Hühnerhaltung.«

»Wie bitte?«

»Diese herumlaufenden Dinger mit Schnäbeln und Federn. Vielleicht kennen Sie sie nicht.«

»Ich dachte mehr an die Freizeitspiele, die sportlichen Aktivitäten, diese Art von …«

»Ich habe ein gutes Dutzend um die Ecke. Das sollten Sie mal sehen – an einem Ende Küchenabfälle hinein, am anderen Ende Eier heraus. Dem Hausbesitzer gefällt es nicht, aber er kann mir den Buckel hinunterrutschen. Kennen Sie Eier, Mr. Matthews?«

»Selbstverständlich kenne ich Eier, und mein Name ist Mathis.«

»Dann verstehen Sie, was ich meine. Und die Rosen – ein Eimer voll Hühnerscheiße, und Ihre Rosen gehen auf, als ob sie Flügel hätten. Ich nehme an, Sie kennen Hühnerscheiße, Mr. …«

Zu Petes großer Enttäuschung – er wußte genau, daß Scudder nie in seinem Leben eine Rose mit Hühnerscheiße gedüngt hatte – erschien in diesem Augenblick Nancy Carmel auf Bildschirm zwei, und das Gespräch wurde unterbrochen. Mathis schob seine Manschetten vor und suchte Zuflucht in seiner Aktentasche.

Nancy war bleich aber entschlossen. »Ich gehe in Kunstrasen«, sagte sie ohne Vorrede. »Ich habe diesen Mann angerufen, Schwindler oder wie er heißt, er kennt sich mit Golf aus und meint, es sei eine großartige Idee.«

Schwindler, in der Tat. Pete seufzte. »Nancy, dies ist mein Vater, und auf Schirm eins, Carlton Mathis – er ist ein Mitbewerber.«

»Fein, Sie kennenzulernen, Mr. Laznett. Und Sie, Mr. Mathis.« Aber sie ließ sich nicht ablenken. »Wissen Sie was, Pete? Die Bank hat mir eine Kreditverlängerung gewährt. Und ich bin bei meiner Agentur gewesen, und dort denken sie sich eine große neue Werbekampagne aus. Also …«

»Hören Sie, Nancy, das ist ein großer Schritt. Sind Sie sicher, daß Sie …?«

Sie hörte nicht zu, hatte sich zu Mathis gewandt. »Sagen Sie, ich habe hoffentlich nicht aus der Schule geplaudert? Sie sind nicht zufällig auch in Golfplätzen, oder?«

Mathis legte die Finger zusammen. »Ein unzuverlässiges Gebiet, nach meiner Meinung. Ich …«

»Gott sei Dank. Das Dumme mit mir ist, daß ich zuerst rede und dann erst frage. Aber eine Busladung wartet auf mich. Sie können sich nicht vorstellen, Pete, was aus meinem Fahrplan geworden ist, weil ich diese Sache rechtzeitig in die Wege leiten mußte.«

Pete gab ihr noch eine Chance. »Es ist nicht so eilig. Vielleicht möchten Sie lieber noch mehr herumtragen.«

»Um Gottes willen, nein. Ich habe die Idee, ich habe die Finanzierung, warum also noch lange gackern?«

Scudder blickte auf. Pete schaltete sich rasch ein, kam ihm zuvor. Die Scherze seines Vaters konnte er jetzt nicht gebrauchen. Und Nancy hatte all ihre Chancen vertan. »Also gut dann«, sagte er. »Ich werde die Entscheidung eintragen.«

»Großartig.« Sie blickte auf die Armbanduhr. »Zeit, daß ich Schluß mache. Der ganze Fahrplan im Eimer – da werde ich Dampf machen müssen, wenn ich es rechtzeitig zum Depot schaffen will. Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Laznett, und Sie, Mr. Unzuverlässiges Gebiet. Auf ein andermal, Pete.«

»Viel Glück, Nancy.«

Das würde sie brauchen.

Er wurde Mathis so rasch wie möglich los. Der Mann vergeudete seine Zeit. Warum er überhaupt spielte, war ein Geheimnis. Er schien kein Interesse an der Meisterschaft zu haben, nicht einmal auf regionaler Ebene. Drei von seinen fünf Jahren waren um, und er hatte noch nicht einmal seine Zielbranche gewählt. Mr. Unzuverlässiges Gebiet – das war ein guter Name für ihn.

Trotzdem. »Du hättest dich nicht über ihn lustig machen sollen«, sagte er, zu seinem Vater gewandt. »Es sähe ihm ähnlich, sich bei der Zentrale zu beschweren.«

Scudder zuckte die Achseln. »Kerle wie der gehen mir auf den Geist.«

»Kerle wie der sind mein täglich Brot.«

»Ich dachte, heutzutage könnte man sich aussuchen, was man will.«

»Innerhalb von Grenzen. Aber …«

»Du hast es gesagt, Pete. All dieses Zeug vom Wählen und Aussuchen – das ist von dir. Nicht von mir.«

Pete runzelte die Stirn. Der Wunsch zu übertrumpfen schien seinem Vater ebenso eingefleischt zu sein wie seiner Mutter. Vielleicht, weil es das einzige Spiel war, das sie hatten. »Wenigstens braucht niemand mehr sein halbes Leben an einem Fließband zu stehen, wenn er nicht will.«

»Und niemand kommt seiner Alten unter den Füßen heraus, wenn er nicht will. Und dann weiß sie es. Was nicht hübsch ist.«

Freiheit hatte natürlich ihren Preis. Und seines Vaters Prämisse war sowieso falsch. Bald würden keine alten Hausdrachen mehr übrig sein, nur Leute, die gewählt und ausgesucht waren, wie alles andere. Was für Scudder und Maudie freilich keine Hilfe war.

»Gut getan, die Fahrt in die Stadt, was«, fragte Pete, um das Thema zu wechseln.

Scudder sah ihn von der Seite an. »Hab ich dich geschlagen, was, Junge?«

»Wenn du es sagst.«

»Ich sage es. Diese großartige neue Welt, in der wir leben, ist doch nichts als ein Haufen Scheiße, findest du nicht auch?«

»Du meinst, es ging den Leuten besser, als sie langweilige, gesundheitsschädliche Arbeiten taten? Bloß, daß sie von ihren Hausdrachen wegkommen konnten?«

»Es gab andere Dinge. Für manche Leute war es alles, was sie hatten. Das Leben war ernst, sie wußten, daß sie sich den Unterhalt verdienen mußten. Im Schweiße ihres Angesichts.« Seine Stimme hob sich. »Heute ist alles bloß noch verdammte Spielerei.«

»Es war immer ein Spiel, wenn auch ein gefährliches. Erst in unseren Tagen brauchen die Verlierer nicht zu verhungern. Und niemand muß spielen, wenn er nicht mag.«

»Nicht mag … nicht mag …« Seine Augen blickten wild, sein ganzer Körper zuckte. »Ist das für dich Leben – tun, was du magst?«

»Nun, ich glaube ganz gewiß nicht an den Adel der Arbeit, wenn du das meinst.«

»Und du denkst, die Leute seien ohne Arbeit glücklicher?«

Pete hielt inne. Er wollte gerecht sein. »Glück ist ein großes Wort. Ich …«

»Richtig, mein Sohn.« Plötzlich war der alte Mann ruhig, blickte aufmerksam auf sein Gesicht herab. »Richtig – da hast du es.«

Pete blieb still. Endlich hatten sie gesprochen, als Menschen, Vater und Sohn, zum allerersten Mal. Zu seiner eigenen Verblüffung verspürte er den Wunsch, die Hand des alten Mannes zu ergreifen. Aber Scudder machte ihm Angst. Scudder machte sich etwas daraus, mehr als jeder andere, den er kannte.

Sein Vater wandte sich weg. »Hör mal, Junge, du könntest mir helfen, die restlichen Kartons heraufzutragen.«

Er ging hinaus in den Korridor, ohne auf eine Antwort zu warten. Pete stand auf und ging ihm nach. Er fühlte sich unzulänglich. Es hatte einen Augenblick gegeben, da er hätte zupacken können: Bomben, Vater? Weil du die Welt so sehr haßt? Bomben? Aber er hatte es nicht gewagt. Es war zu früh. Es gab noch einleitende Züge zu machen, auf beiden Seiten. Und vielleicht wollte er es in Wirklichkeit nicht einmal wissen.

Sie hoben Kartons aus dem Kofferraum von Scudders Wagen und trugen sie hinauf. Es schien eine Menge Material zu sein, für einen Mann, der nur die üblichen Reparaturarbeiten verrichtete. Aber Pete stellte keine Fragen. Scudder würde mit irgendeiner Geschichte aufwarten. Und zu diesem frühen Zeitpunkt, vor den einleitenden Zügen, wollte er es vielleicht nicht so genau wissen.

Und dann war Essenszeit.

Wieder unten, auf dem Weg zur Küche, hörte Pete Frauenstimmen. Seine Mutter hatte eine Besucherin, und er beschleunigte seinen Schritt bei dem Gedanken, daß es Grace sein könnte. Nach der Vormittagsarbeit, und Scudder, und seinen eigenen Unzulänglichkeiten, hätte er Grace brauchen können. Er hätte gern wieder mit einfachen Dingen zu tun gehabt. Aber sie war es nicht. Die Besucherin war Millie Carter.

Scudder setzte sich an den Tisch. »Mittagessen«, sagte er.

Maudie stand am Herd und rührte in etwas Heißem und Gewürztem. »Millie ist gerade vorbeigekommen«, erklärte sie.

Scudder schenkte sich aus einem irdenen Krug Bier ein, grunzte.

Pete tat, was er konnte. »Morgen, Mrs. Carter.«

»Morgen, Pete.« Sie lächelte ihn an. Er sah, daß sie geweint hatte: ihre Wangen waren fleckig, die Augen gerötet. »Maudie sagte, du hättest gearbeitet.«

»Nur ein paar Stunden. Man muß im Spiel bleiben.« Er lächelte verlegen. Die Millie Carters dieser Welt weinten nicht.

»Millie wollte dich sprechen«, sagte seine Mutter. »Ich sagte ihr, du hättest noch eine Weile zu tun.«

Scudder trank sein Bier, blickte zu der Wanduhr aus Mahagoni auf. »Bist in Rückstand geraten, wie?«

»Nicht so, daß es auffallen würde.« Maudie bückte sich ohne Eile, um Teller aus dem Backofen zu nehmen.

Pete verschränkte die Arme, ließ sie wieder sinken, steckte die Hände in die Hosentaschen. »Sie wollten mich sprechen, Mrs. Carter?«

»Nun ja …« Millies Blick ruhte auf Scudder. »Vielleicht sollte ich später wiederkommen.«

Maudie wandte sich zu ihr um. »Das Haus ist groß«, sagte sie, »und Chili wird nicht schlecht.«

Pete befolgte den Wink. »Sie wollten mich sprechen?« Er zog sich zur Tür zurück. »Sie wollten mich sprechen, Mrs. Carter.«

Millie merkte auf, löste ihren Blick von dem alten Mann. »Das ist wirklich nett von dir, Pete.«

»Nicht der Rede wert, Mrs. Carter.« Er führte sie durch das Speisezimmer hinaus in einen der riesigen, mit Sofas ausgestatteten Gesellschaftsräume. Als die Küchentür hinter ihnen zufiel, hörte er seine Mutter ruhig sagen: »Du hast nicht mehr Manieren als ein Iltis, Scudder Laznett.«

Er fand das Erkerfenster mit dem Tisch voller Getränke. »Kann ich Ihnen etwas einschenken, Mrs. Carter?«

»Du bist ein Engel, weißt du das?«

Er wählte Gin aus, fügte Sodawasser und einen Eiswürfel hinzu und tat eine Zitronenschnitte hinein. Leistete ihr mit einem Schluck Bourbon Gesellschaft. Sie setzten sich einander gegenüber an einen großen Kaffeetisch mit einer Schieferplatte.

Mit einem Glas in der Hand blühte Millie Carter auf. »Ich mag deine Mutter. Ich liebe sie geradezu, weiß Gott. Aber es ist schon einer wie du nötig, um zu wissen, was gebraucht wird. Auf dein Wohl, Pete!«

»Und auf das Ihre, Mrs. Carter!«

Sie tranken.

Millie lehnte sich zurück, schlug die rosa Hosenbeine übereinander. »Und nun zur Sache«, sagte sie.

Pete wartete. Ihre bloßen Füße in Bastschuhen, ihre Knöchel waren knotig und von vortretenden Adern überzogen, und er versuchte nicht hineinzusehen. Das Stillschweigen zog sich in die Länge. Sie trank wieder, leerte ihr Glas. Er bot nicht an, es aufzufüllen.

Sie trommelte mit goldenen Fingernägeln auf die Sofalehne, betrachtete sie interessant. Zuletzt hörte sie auf, blickte auf und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »Wir brauchen deine Hilfe, Pete.«

Dann erstarrte sie wieder. Pete versuchte ihr zu helfen. »Dazu bin ich hier, Mrs. Carter.«

Sie nickte, dachte darüber nach. Als sie sprach, geschah es in einem Ton bemühter Ungezwungenheit. »Der arme Gaston hat die größten Schwierigkeiten mit seinem Schiedsrichter. Der Mann will einfach nicht Vernunft annehmen.«

Ihm schwand der Mut. Das hatte er schon tausendmal erlebt. »Ich denke, das müssen die zwei untereinander ausmachen, Mrs. Carter«, sagte er mit Festigkeit.

»Aber du bist selbst einer, nicht? Du weißt, wie diese Dinge gehandhabt werden?«

»Gewiß. Deshalb sage ich, daß die beiden es untereinander ausmachen müssen.«

»Richtig, Pete. Richtig … du mußt das sagen. Ich kann es verstehen. Was aber, wenn der Bursche einfach nicht fair spielt?«

»Sie können jederzeit Beschwerde führen. Tragen Sie den Fall Ihrem Koordinator vor. Es steht alles in den Richtlinien.«

»Das habe ich Gaston auch gesagt. Er …« Sie brach ab. »Wir sind in Schwierigkeiten, Pete. Bis an den Hals. Du mußt helfen. Es handelt sich um Immobilien, Bürogebäude weiß du, und …«

»Dann kann ich wirklich nichts tun. Selbst wenn es erlaubt wäre, das ist nicht mein Gebiet. Ich bin in Konsumgütern …«

»Aber es ist doch alles das gleiche, nicht? Wir wollen nur, daß dieser Schweinekerl von einem Schiedsrichter ein bißchen nachgibt. Es würde ihm nicht weh tun. Ich meine, er tut es für einen anderen, begünstigt diesen Kerl. Ist auf einen Kilometer zu sehen. Also …«

Pete stand auf und trat an den massiv gemauerten Kamin. »Es tut mir leid, Mrs. Carter. Ich kann mich nicht zwischen einen Teilnehmer und seinen Schiedsrichter drängen.« Er wußte, daß es sich hochtrabend anhörte, aber es war ihm gleich. »Wenn Sie meinen, der Mann benehme sich unethisch, dann müssen Sie Beschwerde einlegen. Das ist sogar Ihre Pflicht.«

»Dann wirst du nicht helfen?«

»Ich kann nicht.«

Er lehnte an der Kamineinfassung und starrte in die leere Feuerstelle. Hinter ihm war es jetzt still. Nur das allgegenwärtige leise Brandungsrauschen war zu hören. Er glaubte nicht einen Augenblick, daß Gastons Schiedsrichter mehr tat als seine Arbeit. Von rund hundert Beschwerden waren im letzten Jahr nicht mehr als drei als berechtigt anerkannt worden.

Er hörte Millie Carter aufstehen, zum Getränketisch gehen und sich nachschenken. Der Flaschenkorken quietschte, der Eiswürfel klimperte im Glas.

»Gaston ist ein reicher Mann«, sagte sie unvermittelt.

Er schloß die Augen, als ob dies die Worte ungesagt machen könnte. Vielleicht konnte er so tun, als habe er sie nicht gehört.

Aber sie ließ ihn nicht. »Ich meine, wirklich reich«, sagte sie. »Ich meine, heutzutage sind wir ja alle reich. Aber Gaston ist wirklich reich.«

Er wandte sich mit einer müden Bewegung um und machte Anstalten, zur Tür zu gehen. »Mein Mittagessen wartet Mrs. Carter. Ich …«

»Geh nicht!« Ihr Ton war unterwürfig, kaum mehr als ein Flüstern. »Ach Gott bitte laß mich nicht einfach hier sitzen!«

Ihre Verzweiflung, die Häßlichkeit dieser Verzweiflung, widerte ihn an. Daß sie imstande war zu betteln, war unerträglich. Er blieb stehen und wandte sich zornig zu ihr um. »Ich könnte euch vor Gericht bringen«, sagte er hart. »Ich könnte euch beide auf Lebenszeit disqualifizieren lassen.«

Es war eine nichtige Drohung. Ohne Zeugen konnte er nichts tun. Aber er wollte sie verletzen. Es war nicht recht, ihn so zu bedrängen.

Sie stand im breiten Erkerfenster, scharf umrissen vor dem wolkenlosen Himmel. Aufrecht und ohne zu wanken widerstand sie seinem Zorn.

»Ich könnte euch beide auf Lebenszeit disqualifizieren lassen«, sagte er noch einmal, um seine Rechtschaffenheit herauszustellen.

»Nicht Gaston«, sagte sie. »Er hat nichts damit zu tun. Er sagte mir, ich solle nicht zu dir gehen.«

Und auf einmal, angesichts solch trauriger Würde, war seine Rechtschaffenheit billig und ungeeignet. Sein Zorn verflog. »Warum sind Sie dann gekommen?« fragte er freundlich.

»Gründe … Nichts, worüber du dir Gedanken machen müßtest.« Sie schien zu erschauern, blickte weg. »Und ich mir auch nicht, nehme ich an. Er wird bald auf und davon sein. Ich wußte es immer. So ist es mit dem Zusammenleben.« Sie schwieg, wandte sich wieder ihm zu. »So nennt man es doch? Zusammenleben?«

Er zuckte die Achseln.

Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Mein Gott … mein Gott, Pete, es tut mir leid.«

»Es macht nichts.«

»Aber warum, Pete? Warum liegt manchen Leuten so ungeheuer viel an diesen Spielen?«

Und alles fügte sich zum Bild. Gaston, im Immobiliengeschäft, Bürogebäude, dem schwindelhaftesten Sektor überhaupt, nichts als ein reicher Opportunist, mit seinen orangefarbenen Schuhen und seinem grauen rohseidenen Anzug alles andere als einer, der zu teilen bereit war, ein verwöhnter Junge, heiter und gut zu haben, wenn alles nach seinen Wünschen lief, ungerecht und eine Plage für seine Umgebung, wenn nicht. Und Millie seine Umgebung in diesen Wochen. Millie, die alles tat, was sie konnte, nur um zu überleben. Millie, für die Gemeinsamkeit und Teilen das Leben ausmachte, mit ihren »Wir brauchen deine Hilfe … wir stecken in Schwierigkeiten … wir …« Millie, die nicht einmal verstehen konnte, warum manchen Leuten so verdammt viel an den Spielen lag.

Er hätte weinen können.

»Dazu sind sie da«, sagte er ihr. »Für Leute, denen daran liegt. Männer und Frauen. Manche Frauen …« Nicht viele. Nicht Emma. Wahrscheinlich nicht Grace. Ganz gewiß nicht Millie Carter. »Man nennt es Wettbewerbsgeist.«

Sie starrte ihn an. »Aber es ist doch nur ein Spiel.«

Frauen spielten nicht Spiele. Oder jedenfalls nicht dieselben. Sein Vater auch nicht. »Ist es nicht besser so?«

Sie hatte ihr Glas auf dem Tisch gelassen. Nun wandte sie sich um, trank es aus. »Ich weiß nur, daß es ihn wie verrückt macht, und daß es die Hölle ist, mit ihm zu leben.«

»Warum schicken Sie ihn dann nicht zum Teufel?«

Sie stellte das leere Glas weg. »Wie hart junge Leute heutzutage sind.«

»Das ist nicht wahr.« Solcherart festgelegt, mußte er fortfahren. »Wir versuchen nur, uns nicht selbst zu quälen.«

Sie sah ihren Ausweg. Lächelte ihm zu. »Pete, mein Junge, das ist ja gerade, was das Leben ausmacht. Uns selbst zu quälen. Laß es dir von einer sagen, die Bescheid weiß, Pete, Junge – das ist es, was das Leben ausmacht!«

Der Satz trug sie bis zur Tür. Er widersprach ihr nicht. Er war wieder Pete mein Junge, und sie war Mrs. Carter. Er sparte sich die Mühe.

Sie verhielt an der Tür, die Hand auf der Klinke. »Sag Maudie, daß ich ihr danke, ja?«

»Natürlich.«

»Und dir auch Dank. Wir alle haben unsere Probleme. Das ist gewiß.«

Er hätte es gern geleugnet. Normalerweise hatte er einfach keine Probleme. »Gehen Sie ruhig heim, Mrs. Carter. Ich vermute, der Sturm wird sich längst gelegt haben. Sie werden sehen.«

»Ich kann es nur hoffen.« Sie schaute ihn an, den Kopf auf die Seite geneigt. Sie brauchte noch etwas. »Weißt du, Pete, dieser Schnurrbart steht dir wirklich gut. Ganz der Stadtbewohner.«

Das brachte sie hinaus und auf den Weg. Er lauschte, bis er ganz schwach die Hintertür hinter ihr ins Schloß fallen hörte. Sie zu ihren Problemen, er zu seinen. Scudder. Zurückkommen, sich befreien, weitermachen. Und das war Unsinn. Millie wußte es, und er jetzt auch.

Er schüttelte den Kopf, stirnrunzelnd. Gott, wie schwerfällig er wurde. Millie zu ihrem Gaston, er zu Scudder. Warum die Mühe? Ja, wirklich, warum …? Er trug die zwei leeren Gläser zur Küche.

Scudder wischte seinen Teller mit einem abgerissenen Brocken Brot sauber. Maudie saß ihm gegenüber und aß Käsegebäck. Es war selten, daß sie dieselben Mahlzeiten einnahm wie Scudder, als ob sie es nötig hätte, ihre Abgesondertheit zu bewahren und zu demonstrieren. Als sie Pete eintreten sah, stand sie auf und ging zum Herd.

»Konntest du helfen?«

»Nicht viel.« Er stellte die Gläser in die Geschirrspülmaschine.

»Dachte es mir. Sie ist ein Dummkopf, diese Millie.«

Hart. Und nicht nur die jungen Leute. »Ach, ich weiß nicht. Sie hat die Übersicht verloren, das ist alles.«

»Du lebst hier nicht, Junge. Du siehst es nicht.«

»Sie trug mir auf, dir Dank zu sagen.«

»Dank für nichts. Hier ist dein Chili. Ich konnte sie nicht gut wegschicken, nicht wahr?«

Er nahm den Teller aus ihrer Hand und setzte sich, wo sein Besteck ausgelegt war. Ihre Schroffheit war übertrieben. Man hatte sich an sie gewandt, und das war Triumph genug. Sie mußte ein Wunder sein, die Güte selbst, eine starke Stütze. Wahrscheinlich für die ganze Landzunge. Was, wie er plötzlich erkannte, die Munterkeit erklären konnte, sogar den Sinn für Humor – wenn schon nicht Dr. Besserman, so doch Grace, inter alia: »Sie ist die Größte.« Wie wenig war tatsächlich nötig.

»Du machst das beste Chili, Mama. Macht sie nicht das beste Chili, Scudder?« Und leugne das, wenn du es wagst, du alter Teufel!

Der alte Teufel wich aus. »Dieser verdammte Zuhältertyp von Millie macht um sein Bildschirmgerät mehr Aufhebens als alle anderen, die ich kenne. Letzte Woche ließ er mich gleich zweimal kommen. Das erste Mal war es die Bildschärfe. Das zweite Mal traute er dem Zerhacker nicht. Und beide Male war alles völlig in Ordnung.«

Pete ließ es hingehen. Maudie wird es nicht einmal bemerken, also warum sich die Mühe machen?

»Ich nehme an, er ist einer, der seine Spiele sehr ernst nimmt.«

»Wollte Millie dich deswegen sprechen?«

»Etwas von der Art …« Millies Notlagen waren ihre eigene Sache. »Das erinnert mich … – ich habe heute nachmittag noch eine Sitzung. Von drei bis fünf. Wäre es dir lieber, wenn ich Mutters Bildschirmgerät nehme?«

»Nicht nötig. Ich habe ein paar Anrufe zu machen. Und Maudie benutzt das Gerät gern an den Dienstagnachmittagen. Laß mir eine halbe Stunde Zeit, daß ich mir meine Sachen zusammensuchen kann, dann gehört alles dir.«

»Danke.« Er wandte sich zu seiner Mutter. »Sag bloß, du nimmst an einem Spiel teil?«

Sie richtete sich auf. »In diesem Haus? Nur über Scudders Leiche. Nein, ein paar von uns Frauen kommen zusammen. Eine Art Handarbeitszirkel. Flickwerk, solche Sachen.«

»Flickwerk, solche Sachen.«

»Eher Tratschwerk, würde ich sagen.« Scudder lachte höhnisch. Es war offensichtlich ein alter Witz, den er liebte. »Flickwerk, Tratschwerk. Flickwerk, Tratschwerk, he, he, he …«

Er stand auf und verließ die Küche, weiter an seinem Witz murmelnd, Flickwerk, Tratschwerk, bis er außer Hörweite war. Pete blieb noch eine Weile, aß sein Chili und sprach mit seiner Mutter. Sie hatte ein paar gute Bildschirmfreundinnen gewonnen, erzählte sie. Um vier Uhr gebe es gemeinsam Kaffee und Kuchen, wenn auch nur am Bildschirm. Es sei eine Abwechslung von der Landzunge.

Später unternahm Pete einen kurzen Spaziergang. Er hatte nicht gewußt, daß die alte Umgebung eine solch starke Anziehungskraft haben würde. Es war heiß geworden, kein Lufthauch regte sich, und von der See drangen die Motorgeräusche der Hummerfischer an sein Ohr. Er nahm den Weg auf das Kliff und wandte sich nach rechts, fort vom Strand. Ober ihm, eingebettet in den lichten Nadelwald und mit Blick über den Ozean, buk das große, graugeschindelte Haus mit den altmodischen Extravaganzen seiner Giebel und Erkertürmchen in der Sonne. Er stieg über die Felsen ab und setzte sich auf eine geneigte Felsbank nahe dem Wasser.

Er beobachtete die weißen Boote der Hummerfischer. Drei von ihnen bewegten sich langsam durch die sanfte Dünung auf der Leeseite der Schafinsel, bis sie hinter der Spitze verschwanden. Dann beobachtete er die See. Und die Möwen. Und das heiße Blaßblau des Himmels. Bis Schmerzen im Gesäß ihn an seine separate, allzu fleischliche Existenz gemahnten.

Eine Stunde war verstrichen. Es war kurz vor drei. Steif erhob er sich und kehrte zurück zur Schulman-Villa.

Maudie arrangierte ihr Zubehör im Herrenzimmer: Nähkasten, Bündel farbiger Stoffabschnitte, Schnittmuster, etwas abseits Kuchen und die Kaffeemaschine. Er warf nur einen Blick zu ihr hinein, dann ging er nach oben. Drei der am Morgen hereingeschafften Kartons waren aus Scudders Werkstatt verschwunden. Pete war nicht überrascht. Es interessierte ihn jedoch, wo sie geblieben sein könnten, und so benutzte er die wenigen Minuten, die ihm bis zur Arbeit blieben, um sich umzusehen. Das Dachgeschoß enthielt Schlafräume und Badezimmer, alle mehr oder weniger großartig, aber auch eine mit grünem Fries bespannte Tür, die wahrscheinlich zu den Diensbotenzimmern führte und verschlossen war. Auch dies überraschte ihn nicht.

Es gab natürlich viele gute und vollkommen unschuldige Gründe, die absolut nichts mit der melodramatischen Herstellung von Bomben, die selbst Sachverständige nicht identifizieren konnten, zu tun hatten, warum diese Tür im Dachgeschoß zugesperrt war. Aber er glaubte an keinen von ihnen. Das Beweismaterial war dürftig, die Schlußfolgerung theatralisch. Dennoch paßte sie.

Scudder sorgte sich um die Welt.

Und Maudie, die Pete nichts sagte, hatte ihn gebeten zu kommen. Sie lebte mit dem alten Teufel. Sie mußte es wissen.

Er kehrte zurück zu den Bildschirmen, schaltete den Zerhacker ein, machte sich an die Nachmittagsarbeit. Es war unausweichlich, daß er sich Gedanken machte. Die Frage war, wie lange er es noch aufschieben konnte.