SIEBEN


 

 

Donnerstag war Dr. Besserman-Tag. Wieder in der Scheiße, brachte Pete den Vormittag hinter sich. Die Scheiße war Scudder. Nein, die Scheiße, das waren die Streiche, die einem das Leben spielte. Die es Scudder ebenso spielte wie ihm.

Der einzige nicht beschissene Teil des Vormittags war Emmas Brief. Sie war mit Marie im Patterson-Konzert gewesen. Während der Fernsehübertragung hatten die Kameras auf das Publikum geschwenkt, und sie hatte gewinkt. Vielleicht hatte er sie gesehen. Das Konzert war wundervoll gewesen. Am Schluß hatte Patterson diese verrückte Zugabe in freier Assoziation gegeben. Sie wünschte, er wäre dabeigewesen. Den heutigen Abend wollten sie zu Hause verbringen. Die Vorhänge, die sie im Juni gemeinsam ausgesucht hatten, sollten endlich genäht werden, daß sie paßten. Und für morgen hatte Arvin sie zum Mittagessen bei Kussler eingeladen.

Ein netter Brief. Es war ein Jammer, daß er die Patterson-Übertragung versäumt hatte. Aber er war bei Grace gewesen. Grace wollte seine Kinder. Vielleicht, wenn sie einander Zeit ließen, würden sie hineinwachsen. Und, wie Emma ihm gesagt hatte, war den ganzen Sommer Zeit. Vielleicht, wenn sich eine Gelegenheit böte, würde er Dr. Besserman nach seiner Meinung fragen.

Maudie sagte, Dr. Besserman käme gewöhnlich um halb drei. Eine Stunde pflege er mit ihr zu verbringen, worauf er seinen Spaziergang hinunter zum Strand mache, denn Dr. Besserman bleibe immer zum Abendessen.

Pete vereinbarte mit seinem Koordinator, daß sie pünktlich um halb vier Schluß machten, denn um diese Zeit sollte Dr. Besserman mit seiner Patientin fertig sein. Und außerdem, wenn er Dr. Besserman unter vier Augen sprechen wollte, was der Fall war, mochte ein verdammter Spaziergang zum Strand genau das Richtige sein. Maudie ging niemals den Weg zu den Felsen hinunter. Sie traute ihnen nicht.

Pete verbrachte seinen Nachmittag mit dem Markt für Heimtextilien und meldete sich wie geplant eine Stunde früher als sonst ab. Seine Spieler würden kaum darunter leiden – der August war in dieser Branche sowieso eine ruhige Zeit. Er hatte gehört, wie Dr. Besserman pünktlich eingetroffen war, den Mann aber nicht gesehen: Scudders Werkstattfenster lagen auf der anderen Seite, aber er hatte einen Wagen gehört, und Stimmengemurmel, darunter die Stimme eines Mannes, und schließlich das entfernte Geräusch einer zufallenden Tür. Nun, eine Stunde später, durfte er hoffen, daß die Konsultation beendet sein würde.

Er ging hinunter. Im Haus war es still. Er runzelte die Stirn – vielleicht hatte er zu lange gearbeitet, vielleicht war Dr. Besserman bereits zu seinem Spaziergang aufgebrochen. Er ging in die Küche, erwartete dort seine Mutter zu finden, aber sie war nicht da. So ging er hinaus auf die Veranda, die der seewärtigen Front des Hauses vorgelagert war. Sähe er Dr. Besserman irgendwo unten am Strand, so ließe sich vielleicht eine zufällig wirkende Begegnung arrangieren.

Er ging die Veranda entlang. Eine Bewegung hinter einem Fenster zu seiner Rechten zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er blieb stehen. In dem grünen italienischen Wohnzimmer war der Fernseher eingeschaltet. Maudie war dort, und ein Mann, vermutlich Dr. Besserman. Aber weder sie noch er verfolgte das Geschehen auf dem Bildschirm: Maudie lag auf dem Sofa, und Dr. Besserman, mit bloßem Hintern, lag auf ihr und pumpte, was das Zeug hielt. Pete konnte das Gesicht seiner Mutter sehr deutlich sehen. Alle Spannungslinien waren daraus verschwunden, und ihr Lächeln war weder knapp noch grau. Im Weitergehen dachte er ruhig, daß er nie zuvor einen so glücklichen Ausdruck in ihren Zügen gesehen hatte. Und das, obwohl er mit seinem flüchtigen, aber völlig verstehenden Blick keinen Huppelsender irgendwo in der Nähe gesehen hatte – aber das war auch wenig wahrscheinlich: seine Mutter hätte die Implantation niemals akzeptiert. Also Freistoß für den ununterstützten Dr. Besserman.

Außer Sichtweite des Fensters blieb er stehen. Abrupt, wie vor einem unwiderstehlichen Sturmwind der Rechtschaffenheit, verflog seine Gelassenheit, und statt ihrer verspürte er ein unbändiges Verlangen zurückzugehen, das Fenster einzuschlagen, hineinzuspringen und dem nacktarschigen Dr. Besserman eins zwischen die Augen zu geben – oder, besser noch, seine Mutter zu versohlen, die vermutlich auch nacktarschig war, denn in Wirklichkeit war sie es, deren Benehmen ihn anwiderte. Nicht, so sagte er sich, wegen ihrer durchaus verständlichen fleischlichen Gelüste, sondern wegen ihrer Lügen. Meistens hört er bloß zu …Er ist verrückt wie ein Eichhörnchen … Aber ich mag Leute, die zuhören … Das konnte er ihr nicht vergeben: wer hörte in diesem grünen italienischen Wohnzimmer zu, in Gottes Namen? Gewiß, wenn er sich bemühte, konnte er die Situation auch komisch finden. Er konnte sie sogar mitleiderregend finden. Aber ihre Lügen machten es zu einer widerwärtigen Geschmacklosigkeit.

Gleichwohl ging er nicht zurück und schlug auch nicht das Fenster ein. Statt dessen erforschte er seinen Abscheu. Schließlich hatte er nichts gegen Geschlechtsverkehr, und welche eigenen sittlichen Anstrengungen gaben ihm das Recht, ihr ehebrecherisches Tun zu verdammen? Außerdem waren Lügen darüber von jemandem wie seiner Mutter nur zu erwarten. Also versuchte er seinen ruhigen Gleichmut wiederzubeleben, so gut er konnte, und ging weiter. Am Ende der Veranda angelangt, lehnte er eine Weile am Geländer. Er befand, daß es in Wahrheit nicht die Lüge seiner Mutter gewesen war, die ihn aufgebracht hatten, sondern vielmehr der einfache Umstand, daß sie als seine Mutter mit fleischlichen Gelüsten behaftet war, und daß seine Reaktion von Zorn und Abscheu unberechtigt war. Er sollte sich für sie freuen: eine einsame alte Frau, ein therapeutischer Dr. Besserman. Er heitert mich auf, hatte sie gesagt. Und warum nicht? Was den ehebrecherischen Aspekt betraf, so hatte sie diesen mit ihrem eigenen Gewissen auszumachen.

Er blieb, wo er war, auf das Geländer gestützt, und schaute hinab zu den Felsen und über die See hinaus. Als er vermuten durfte, daß Dr. Besserman wieder in seiner Hose stecken würde, ging er über die Veranda zurück, ohne in die Fenster zu sehen. Er betrat das Speisezimmer, ging durch zur Küche, stellte Kaffeewasser über und pfiff ein Lied, während er wartete, daß es aufkoche.

Nach einer Weile kam seine Mutter herein. »Ich möchte dich mit Dr. Besserman bekannt machen.«

Die freudige Gelöstheit war noch nicht von ihr gewichen. Dr. Besserman, in den Fünfzigern, jetzt mit einer Hornbrille und ganz und gar nicht verrückt wie ein Eichhörnchen, angetan mit ordentlicher Freizeitkleidung, gab ihm die Hand. Pete schüttelte sie.

»Dr. Besserman.«

»Peter.« Seine Mutter ging an ihnen vorbei. »Ist das Kaffee, was du da machst?«

Sie tranken ihn gemeinsam, zwanglos auf das Mobiliar der altmodischen Küche gestützt. Wenn es eine ›Atmosphäre‹ gab, dann allein in Peters Empfinden; seine Mutter und Dr. Besserman sprachen über eine Fahrt zur Landzunge, und er beteuerte, wie sehr er sich auf diese wöchentlichen Besuche freue. Pete fragte ihn nach seiner Praxis. Er sagte, seine Patienten wohnten weit verstreut, und er müsse viel herumfahren; er glaube nicht daran, daß er seine Arbeit durch Video-Einblendungen richtig tun könne. Pete mußte ihm zustimmen. Maudie sagte, Scudder sei für den Nachmittag fort, aber sie hoffe, er werde rechtzeitig zum Abendessen zurück sein. Dr. Besserman bleibe doch zum Abendessen, nicht wahr? Dr. Besserman, ganz der Hausfreund, versprach zu bleiben.

Nach dem Kaffee sagte Maudie, Dr. Besserman unternehme gewöhnlich einen Spaziergang zu den Felsen und hinunter zum Strand, er liebe die Küstenlandschaft. Pete sagte, er empfinde genauso, und vielleicht könnten sie zusammen gehen. Sie verließen die Küche durch die Hintertür und gingen über den Hof.

Dr. Besserman sagte: »Ich sah Sie draußen auf der Veranda.«

Petes Schritt kam nicht ins Stocken. »Es geht mich nichts an.«

»Maudie nicht.«

»Um so besser. Wie ich sagte, es geht mich nichts an.«

»Sie ist Ihre Mutter.«

»So etwas muß jeder mit sich selbst ausmachen. Und sie ist alt genug.«

Dr. Besserman verstand und ließ es auf sich beruhen. Pete konnte sich nicht klarwerden, was ihn zu dieser Antwort bewegt hatte, Diskretion oder Feigheit. Es war eine Nichtantwort gewesen. Sie folgten dem Pfad durch Gestrüpp und Büsche abwärts. Es herrschte Ebbe. Der Strand lag breit und trocken, der Seetang an den Felsen über der Niedrigwasserlinie war von der Sonne schwarz und spröde gebacken.

Dr. Besserman sagte: »Wenn Sie nicht über Ihre Mutter sprechen wollten, was wollten Sie dann?«

»Könnte ich nicht einfach den Strand mögen?«

»Wie Sie wollen.«

So viel berufsmäßige Direktheit ging Pete auf die Nerven. Hier wurde Überlegenheit hergestellt. Also fragte er: »Was, glauben Sie, wollte ich?«

Die Anstrengung hatte Dr. Bessermans Hornbrille auf die Nase rutschen lassen. Er schob sie wieder hinauf. »Ich nahm an, daß Sie über sich selbst sprechen wollten.«

Pete starrte ihn an, abermals in gefährlicher Nähe eines gewalttätigen Ausbruches. Aber die Vernunft riet ihm davon ab. Wenn der Mann ein Dummkopf war, was durchaus der Fall sein mochte, so hatte er es bisher verborgen. Außerdem war er alles, was Pete hatte. Der letzte elende Streich des Lebens wollte es, daß Dr. Besserman alles war, was Pete hatte.

Er suchte sich einen isolierten, von Seetang freien Felsblock und setzte sich darauf. »Vielleicht kommen wir später auf mich zu sprechen«, sagte er. »Einstweilen würde ich Sie gern nach meinem Vater fragen.«

»Er ist nicht mein Patient.«

»Ich meine, im allgemeinen. Die … allgemeine Situation.« Situationen, so erinnerte er sich, selbst gesagt zu haben, waren die Spezialität eines Kopfdoktors.

Dr. Besserman blickte vergeblich nach einer Sitzgelegenheit umher, dann hockte er sich unbeholfen nieder. »Scudder Laznett ist ein zorniger Mann.«

»Aber geistig gesund?«

»Gesund in einer verrückten Welt, verrückt in einer gesunden Welt.« Sehr verständig. »Ist es wichtig?«

»Es könnte wichtig sein.«

Dr. Bessermans Beinmuskeln begannen ihn zu schmerzen. »Geistige Gesundheit ist kein nützliches Wort. Er funktioniert. Dank Ihrer Mutter.«

Pete dachte darüber nach. »Sie sorgt sich um ihn. Hat Sie es Ihnen gesagt?«

»Sie sagt mir vieles.«

Professionelle Direktheit. Und jetzt professionelle Vertraulichkeit. Man konnte nicht gewinnen. »Ich finde, geistige Gesundheit ist ein sehr nützlicher Begriff. Wenn einer bei Verstand ist, behandle ich ihn entsprechend; ist er verrückt, behandle ich ihn wie einen Verrückten.«

Dr. Besserman argumentierte nicht. »Sie erwähnten die allgemeine Situation. Was ist im Besonderen an der allgemeinen Situation?«

Und Dr. Besserman, jetzt wieder in der Hose und wie einer in den Vierzigern aussehend, war immer noch alles, was Pete hatte. »Sie sagten, mein Vater sei ein zorniger Mann. Wie, wenn er etwas zu tun versuchte, um diesem Zorn Ausdruck zu geben?«

»Ein gesundes Zeichen.«

»Und wenn er die Gesetze übertritt?«

»Dann sollte er in Gewahrsam genommen werden.«

»Nicht gehindert?«

»Sein Zorn würde nur ein anderes Ventil suchen.«

Klickklick, Schattierungen von Spencers hochrotem Anzug.

»Sollte man ihm nicht sagen, daß er sich in Gefahr begibt, inhaftiert zu werden?«

»Natürlich nicht.«

»Ist das nicht ziemlich gönnerhaft?«

»Das ist Ihr Problem. Es fügt dem seinigen nichts hinzu.«

Ein neuer Gedanke.

Alt.

Ein neuer Gedanke?

Eine Lüge.

»Ich glaube doch.«

»Das ist auch Ihr Problem.« Dr. Besserman stand auf. »Und ich berechne fünfzig Dollar für eine Konsultation.«

Pete stand auch auf. Er zog seine Brieftasche, zählte die Scheine ab und reichte sie ihm. Dr. Besserman nahm sie an.

Er sagte: »Wir sprachen über Ihr Problem.«

»Das können Sie vergessen.«

»Es hat interessante Aspekte.«

»Ich sagte, daß Sie es vergessen können!«

Dr. Besserman gab das Geld zurück. Pete nahm es. Er fand, daß er sich für Dr. Besserman zu erwärmen begann. Wenigstens hatte der Mann ein Gefühl für Humor.

»Sind Sie ein guter Kopfdoktor?«

»Soso.«

»Meine Mutter findet Sie großartig.«

»Ich kam zur rechten Zeit des Weges.«

»Ist das alles?«

»Und ich habe eine echte Vorliebe für Frauen über sechzig.«

Worauf es sicherlich ankam, wenn man Frauen über sechzig zu therapieren hatte.

Sie gingen zusammen den Strand entlang. Dr. Besserman war kenntnisreich. Er wußte Bescheid über Meerkohl, der mehr Eisen enthielt als frischer Spinat, und warum die Tölpel herumsitzen und ihre Flügel trocknen mußten. Er liebte die Küstenlandschaft, weil sie eine einzigartige und faszinierende Ökologie besaß. Pete erzählte ihm von der kommerziellen Hummerzucht und elektrostatischer Kontrolle des Seegangs.

Als sie zum Haus zurückkehrten, hatte Maudie in ihrem eigenen kleinen Wohnzimmer, das Pete noch nicht gesehen hatte, einen Kartentisch vorbereitet, und sie spielten inmitten des klobigen Mobiliars aus den neunziger Jahren Rommé. Sie sagte, daß sie jeden Donnerstag Rommé spielten, nur zu zweit, daß es zu dritt aber besser sei. Pete, der die Regeln vergessen hatte und sehr schlecht spielte, bezweifelte das. Aber sie spielten eine Stunde lang, und Maudie gewann durch eigene Anstrengungen eine Schachtel Zündhölzer. Dann zog sie sich in die Küche zurück, um das Abendessen zu bereiten, und Dr. Besserman zeigte Pete, wie man fünf Stockwerke hohe Kartenhäuser baute, bis Scudder eintraf.

Dr. Besserman verstand Scudder zu nehmen. Er war nicht kriecherisch, wie der Liebhaber seiner Frau, sondern großmütig wie ein verständnisvoller Gast. Er lachte über Scudders Späße, wenn sie lustig waren und lächelte in sein halbleeres Glas, wenn sie es nicht waren. Und er erzählte selbst Witze, etwas umständlich und wahrscheinlich apokryph, über die Schwierigkeiten, die der Beruf des Kopfdoktors mit sich brachte. So daß Petes zwischen dem Erwünschten und dem Realen schwankende Überlegungen in Bier und Fröhlichkeit untergingen.

Erst nach einem lärmenden Abendessen und Dr. Bessermans von viel Gehupe begleiteter Abfahrt kam Pete in der fröstelnden Ernüchterung zu einer Bestandsaufnahme. Und zu der Erkenntnis, daß der andere ihn mit bewundernswerter Geschicklichkeit zum besten gehabt hatte.

Er wartete, bis die Heckleuchten von Dr. Bessermans Wagen hinter den Bäumen verschwunden waren, dann schlenderte er zurück ins Haus und ließ Scudder und Maudie weiterwinken. Er setzte sich in das grüne italienische Wohnzimmer. In mancher Weise, dachte er, war seine Mutter klüger als sie alle miteinander: Scudder ist es, zu dem zu willst, hatte sie gesagt. Sein Vater hatte es nicht gewußt, und er selbst hatte es vergessen. Aber an diesem Nachmittag, als er noch immer zu Scudder gewollt hatte, war ihm statt dessen Pater Besserman zuteil geworden, für fünfzig Dollar, rückzahlbar.

Aber selbst seine Mutter konnte einen Schwindler nicht erkennen, wenn sie ihn sah. Dr. Besserman war ein Blender, ein Manipulator, nichts weiter. Er hatte sie seit Monaten getäuscht, und heute nachmittag hatte er auch Pete getäuscht. All dieser pseudopsychiatrische Unsinn – wenn Pete seine eigene Einstellung zu Scudders mitleiderregender kleiner Verschwörung nicht in Erwägung gezogen hatte, dann war das nur deshalb geschehen, weil seine eigene Einstellung völlig irrelevant war. Auch Respekt war weder hier noch dort. Alles, was wirklich zählte, waren offizielle Einstellungen, und ob und wie er seinen Vater vor ihnen schützen sollte. Und wenn Maudie einen Schwindler nicht erkennen konnte, wenn sie ihn sah, dann sollte sie aufgeklärt werden und Scudder desgleichen. Er war es ihnen beiden schuldig.

In diesem Augenblick kam Maudie strahlend und mit glänzenden Augen vom Abschiednehmen zurück und ließ sich auf das Sofa gegenüber dem Fernseher plumpsen, ohne – und das zum zweiten Mal an diesem Tag – auch nur im geringsten auf die Kissen und Polster achtzugeben. Und Scudder, sein Vater, der einzige Vater, den er hatte und wollte, setzte sich freundlich neben sie.

Ein Schwindler? Pete setzte sich seinen Eltern gegenüber, beobachtete sie: Dr. Besserman hatte ihnen einen schönen Tag beschert. Er hatte nichts genommen, einen Orgasmus, den er kaum gefühlt hatte, eine Gebühr, die er nicht brauchte, und er hatte alles gegeben, was er hatte. Petes Entrüstung über ihn war rein persönlich: Gönnerschaft sein persönliches Problem, Überlegenheit sein persönliches Problem, und Respekt auch, möglicherweise das persönlichste seiner Probleme.

Mit seiner Mutter konnte er umgehen. Ihr Geheimnis, wenn es eins war, war bei ihm gut aufgehoben – sie hatte ihn früher schon um Gefälligkeiten gebeten, und er hatte sie gern erwiesen. So zu tun, als hätte er niemals den hüpfenden nackten Hintern dieses Dr. Besserman gesehen, würde nur eine weitere Gefälligkeit sein. Für sie war es wahrscheinlich keine bloße Gefälligkeit gewesen, wenn ihr Verhalten einen brauchbaren Hinweis bot. Er heitert mich auf. Offenbar tat er es wirklich.

Scudder war anders. Wenn er nichts von seiner Frau und ihrem Verhältnis mit Dr. Besserman wußte, dann deshalb, weil er es nicht wissen wollte. Scudder hatte nicht nach etwas gefragt, und er war zu stolz und zu eigensinnig, um jetzt damit anzufangen. Die Verschwörung aber war das Wichtigste in seinem Leben, und wenn sein Sohn davon wußte und nichts tat, sie nicht einmal erwähnte, war das dann nicht die schlimmste Beleidigung, die sein Sohn ihm zufügen konnte? Stellte das nicht seine Würde, seine Integrität, sogar seine geistige Gesundheit in Frage? Würde, Integrität, geistige Gesundheit … das waren große Worte. Aber Dr. Besserman hatte Pete doch nicht getäuscht – sie waren sein Problem, nicht Scudders. Scudder hatte sie, alle drei, im Überfluß.

Pete entschuldigte sich. Ihm war zumute, als ob sein Gehirn durch einen Fleischwolf gedreht würde. Mittlerweile verfolgte Scudder das Fernsehprogramm, was ihn jedoch nicht daran hinderte, über die Schultern zu bemerken, daß die Anstrengungen der letzten Nächte ihm offenbar den Entschluß erleichtert hätten, ausnahmsweise frühzeitig und allein zu Bett zu gehen. Maudie lächelte und sah fern.

Pete ging hinauf zu seinem Zimmer. Er zog sich nicht aus, sondern lehnte sich gegen die Draperien am Kopfende, die Füße auf der zurückgeschlagenen rotseidenen Tagesdecke. Sein Problem? Mein Gott, wie langweilig es klingen mußte. Er kam sich selbst langweilig vor. Wenn es sein Problem sein sollte, so beschloß er, dann in Gottes Namen. Seine Schultern waren breit genug. Es war sein Problem, und dabei sollte es bleiben. Nicht ein Wort würde er sagen, nicht zu seinem Vater, nicht zu irgendeiner anderen lebenden Seele.

Ein wenig erleichtert, kleidete er sich rasch aus, ging ins Bad, putzte sich die Zähne und benutzte die Toilette. Mit dem Entschluß, den Rest der Woche durchzustehen und mit seinem Vater Spiele zu spielen, stieg er ins Bett. Spiele waren sein Job. Er schätzte sie und war gut darin. Und seine Schultern waren breit.

Er schaltete die Lampe aus und betrachtete das trübe durch die Vorhänge sickernde Mondlicht. Nach einer Weile fand sein beunruhigter Geist Zuflucht im Schlaf.

Ein leises Geräusch weckte ihn, er fuhr erschrocken auf. Scudder stand im dunklen Zimmer an seinem Bett.

»Maudie schläft«, sagte sein Vater. »Es ist Zeit, daß wir zwei miteinander reden.«

Pete blinzelte nach seiner Uhr. »Wie spät ist es, zum Teufel?«

»Ich habe gewartet, Pete.«

»Mein Gott, es ist eins vorbei. Und nun redet er.«

»Du warst gestern in meiner Werkstatt, als ich unten am Strand angelte. Du hast dein EEG am Türöffner hinterlassen.«

»Es scheint, daß es in deiner Werkstatt mehr Wanzen gibt, als in einem Obdachlosenasyl.«

»Allmächtiger, Pete, laß diese Albernheiten! Du hast das Videoband abgehört. Ich warte darauf, daß du etwas sagst.«

Pete starrte ihn verblüfft an. »Deine Feineinstellung ist defekt. Sie stimmte nicht und erzeugte Interferenzen auf der ganzen Landzunge. Ich stellte sie nach.«

»Du hast das Band abgehört, Pete.«

»Natürlich habe ich es abgehört.«

»Und?«

»Ich … ich brauchte Zeit zum Nachdenken.«

»Verständlich.« Sein Vater beugte sich näher. »Und nun hast du Zeit gehabt?«

Pete behauptete sich. »Dir ist klar, daß ich dich ins Gefängnis bringen könnte.«

»Vorher würde ich dich umbringen.«

»Würdest du nicht. Ich bin stärker als du.«

»Ich habe Bomben, die dieses Haus pulverisieren könnten.«

»Was sollte das nützen? Du bist verrückt.«

Scudder trat einen Schritt zurück. Sein Blick wich nicht von Petes Zügen. Er sagte mit leiser Stimme, als eine einfache Feststellung: »Wenn mein Sohn mir das antäte, würde mir nichts anderes übrigbleiben.«

Nachdenklich bewegte er sich zum Fenster, schob die Vorhänge auseinander und ließ eine Flut Mondlicht herein, die ihn augenblicklich zu Gebeinen bleichte: Mit seinem Schädel auf den Schulterknochen, zu beinernen Fingern, die den Vorhangstoff festhielten. Pete schaute fröstelnd weg. Bisher war keine Zeit zum Nachdenken gewesen – angegriffen, hatte er sich verteidigt. Aber nun zog sich das Stillschweigen hin, und die Entscheidungen, die er vor noch nicht drei Stunden getroffen hatte, stellten sich in all ihrer oberflächlichen Vergeblichkeit zur Schau. Er war unvorbereitet. Er hatte nichts zu den nächsten Minuten beizutragen, dabei wurde immer deutlicher, daß sie die wichtigsten seines Lebens sein würden.

»Du hast deine Chance gehabt«, sagte Scudder. »Gestern, heute – hättest du die Absicht gehabt, etwas zu unternehmen, dann hättest du es getan. Also wirst du einfach zur Stadt zurückfahren.«

»Du willst nicht aufhören?«

»Würdest du, an meiner Stelle?«

Pete schwieg. Er mußte einen Versuch machen. Aber wenn es jemals eine Zeit für Dialektik gegeben hatte, so war sie längst vorüber. Sein Vater und er riefen einander über eine unüberbrückbare Kluft zu, und alles, was ihm geblieben war, war sein Respekt.

»Und du wirst dich niemals mit mir zusammentun«, sagte Scudder, »also ist es besser, du gehst zurück in die Stadt.«

Pete schüttelte den Kopf. »Ich werde gehen, wenn ich bereit bin.«

»Du wirst gehen, wenn ich es sage! Es ist mein Haus.«

»Es ist meine Verantwortung. Und, wie ich sagte, ich muß nachdenken.«

Sein Vater überlegte, das schädelartig fahle, magere Gesicht verriet keine Regung. Dann trat er vom Fenster zurück in die Dunkelheit. Ein neuer, abschätzender Ton kam in seine Stimme. »Komm hierher, Junge!« sagte er.

Pete stieg aus dem Bett und ging zu ihm. Das Mondlicht prickelte wie Nadeln auf seinem nackten Schienbein. Er stand sehr aufrecht, aufgespießt von der schmalen weißen Lichtbahn.

»Pete?«

»Was ist?«

»Du wirst es mir sagen, wenn du nachgedacht hast, Pete?«

»Natürlich werde ich es tun.«

Die Worte waren nichts, aber in der langen Stille, die nun eintrat, war Kommunikation: Scudder und er, das Haus, die Bäume, die Felsen, der Ozean, sie kamen zu einem Einvernehmen.

Scudder lachte leise. »Das ist dann in Ordnung.« Er kam vorwärts ins Licht. »Ich hätte länger warten sollen. Ich hätte darauf vertrauen sollen, daß du mich nicht betrügst.« Er berührte Petes Arm. »Entschuldige.«

Die Worte waren noch immer nur ein Teil davon, ein Teil der Verpflichtung nicht zu dieser oder jener Entscheidung, sondern zu Aufrichtigkeit und Vertrauen. Pete ergriff die Hand, die Knochen, die auf seinem Arm lagen, und hielt sie fest in der eigenen. Er hatte Scudder nichts als sein eigenes unüberlegtes Selbst gebracht, aber das war genug gewesen.

Scudder räusperte sich. »Zeit, daß ich ins Bett komme, glaube ich. Zeit, daß wir beide schlafen gehen.« Er machte seine Hand los und ging rasch zur Tür. »Schlaf gut, Pete.«

Nachdem er gegangen war, stand Pete eine Weile wie benommen, noch ungläubig, und sein Schatten lag lang und reglos auf dem mondbeschienenen Boden. Dann wandte er sich zum Fenster und schloß die Vorhänge. Er tappte zum Bett hinüber und kroch hinein. Die Decke fühlte sich momentan kalt an, erwärmte sich aber bald. Worte waren noch immer unzulänglich – Worte hätten gesagt, daß seine Situation kaum eine Verbesserung erfahren habe, tatsächlich sogar eine Verschlechterung, daß die Rolle des verlorenen Sohnes ihre eigenen Verpflichtungen und Risiken barg, daß eine Verpflichtung zu Aufrichtigkeit und Vertrauen unglaublich schwer mit Leben zu erfüllen sei, und daß er früher oder später etwas würde unternehmen müssen … Pete verdrängte diese Worte nicht bewußt, es war einfach kein Raum für sie in seiner gefühlvollen, müden Zufriedenheit.

Als er wieder erwachte, war es Morgen. Es gab etwas, ein unbestimmtes Etwas, das er tun mußte. Rasch kleidete er sich an, erfüllt von einem übermächtigen Gefühl von Dringlichkeit. Als er die Treppe hinunterging, hörte er seine Mutter geschäftig in der Küche werken und verließ das Haus still durch den Vordereingang. Als er die Einmündung der Straße passierte, die zum Shakewell-Haus hinaufführte, begegnete er Grace, die von ihrem Strandlauf zurückkehrte. Sie machten beide halt, um sich zu begrüßen, dann ging er weiter die Straße hinunter zum alten Schuppen der Küstenwache und dem Landungssteg.

Die Flut strömte rasch über die Muschelbänke herein. Er lief die Stufen zum Steg hinab, wartete den geeigneten Augenblick ab und sprang unterhalb der Felsen vom Steg auf den Strand. Er schaffte es zwischen zwei Wellenausläufern und fiel auf Hände und Knie. Er stand auf, schüttelte den Sand von der Hose, wartete auf die nächste Welle und spülte darin den Sand von seinen Händen, dann streifte er durch das fahle, ausgedörrte Gras über der Flutlinie. Durch die Landspitze und die vorgelagerte Schafinsel in ihrer Gewalt gebrochen, lief die Brandung in kurzen, steil überkippenden Wellen auf, deren schaumige Ausläufer über den Strandkies zischten und vom Sand verschluckt wurden. Auf der Suche nach angeschwemmten Kleinkrebsen und Strandasseln eilten kleine Strandläufer geschäftig pickend über die naß glänzenden Sandflächen. Vor ihm flatterten sie mit schrillen Pfiffen auf, um nicht weit hinter ihm wieder zu landen.

Durch Sand und Strandhafer wanderte er bis zum Ende der Muschelbänke, wo zwei seit langem verlassene Holzhütten neben den Stümpfen eines verschwundenen Landungssteges standen. Hinter ihnen und jenseits der langen Dünengräser erstreckte sich der Golfplatz bis zur Straße, die er an der schmalsten Stelle der Landzunge erreichte. Vorsichtig überquerte er die gepflegten Golfbahnen – er wußte, daß es für die wirklich begeisterten Spieler niemals zu früh war. Das Gelände des Golfplatzes war eben, unterbrochen nur von Gruppen starrer Nadelgehölze. Die Hauptattraktion dieses Golfplatzes war immer seine Exklusivität gewesen, nicht seine Schönheit.

Pete erreichte die Straße sicher und unbeobachtet. Ein Wagen fuhr vorbei, dessen Fahrer ihm fröhlich zuwinkte. Pete winkte zurück, dann überquerte er hinter ihm die Straße und bog in die Ferry Lane ein. Er folgte ihr weder schnell noch langsam, vorüber an den Häusern, die nun wieder zu den Bäumen wurden, aus denen sie errichtet worden waren, Nummer eins und zwei und drei und vier, und vier und fünf und sechs und sieben, bis der rissige Asphalt endete und die Dünen wieder anfingen. Die Dünen, und dann der Strand.

Es gab drei Kilometer Strand und elf Menschen – er zählte sie im Vorbeigehen. Er erreichte die Gebäude des Strandklubs und ging weiter, noch immer ohne Aufenthalt, den Pfad hinauf, der schräg über dem mit Gestrüpp bestandenen Hang oberhalb der Felsen führte. Es war ein Rundweg, den er machte. Die Unruhe in ihm trieb ihn weiter. Er ging unterhalb der Schulman-Villa, der Carter-Villa, dem Van Dayton-Sommerhaus weiter, bis der Pfad schließlich die Landspitze erreichte. Dann ging er im Bogen die Straße entlang zum Schuppen der Küstenwache, wo er angefangen hatte. Und nun wagte er das Etwas zu bestimmen, das er tun mußte, denn es hatte in ihm Gestalt angenommen.

Er blieb unter den Bäumen und schlug einen Bogen um die Zufahrt zum Shakewell-Haus, wo Grace ihn von der Tür sehen könnte, gewann die Straße wieder hinter dem Haus, ging sie ein Stück zurück und gelangte so beinahe heimlich zu Alice Shakewells Veranda. Mit Grace konnte er teilen, aber Alice wagte er eine Last aufzubürden.

Es war spät, kurz vor neun, aber Alice saß noch auf der überdachten Veranda, angetan mit ihrem orangefarbenen Bademantel, und trank Kaffee. Er stieg die Stufen hinauf.

»Können wir bitte sprechen, Alice?« Er stand breitbeinig vor ihr, die Arme verschränkt. »Ich bin nicht hier, Sie zu fragen, was ich tun sollte – ich habe meinen Entschluß bereits gefaßt. Aber können wir bitte einfach miteinander sprechen?«

Die Rede traf ihn selbst unvorbereitet. Aber seine Entscheidung war wie von selbst nach und nach in der vergangenen halben Stunde entstanden. Alice stieß ihm mit dem Fuß einen Stuhl hin.

Sie blinzelte gegen die Sonne zu ihm auf. »Sie haben von Scudders Bombe erfahren«, sagte sie.

Er wandte sich brüsk. »Um Himmels willen, spielen Sie nicht die Geistreiche.« Er schritt über die Veranda, lehnte sich an das Geländer. Alle schienen es ungemein wichtig und apart zu finden, ihm einen Schritt voraus zu sein.

Nach einer Weile sagte Alice leise: »Der Kaffee ist eingeschenkt, Pete. Von einer nicht sehr geistreichen Dame.«

Er kehrte sich ihr wieder zu. »Tut mir leid, das war unhöflich von mir. Sagen Sie … weiß jeder auf der Landzunge von Scudders Bombe?«

»Du meine Güte, nein! Ich sagte schon, Scudder und ich, wir kommen gut miteinander aus. Und in jedem Fall kann ich nur vermuten.«

»Machen Sie sich keine Sorgen?«

»Um mich selbst, nein. Um seinetwillen, und um Maudies willen, natürlich.«

»Um Maudies willen?« Seine Mutter war ein Teil der Gleichung, den er nicht berücksichtigt hatte.

»Angenommen, etwas stieße ihm zu? Angenommen, er sprengte sich selbst in die Luft? Oder würde erwischt?«

»Sie würde gut zurechtkommen.«

»Glauben Sie?«

»Gewiß. Sie hat die Landzunge. Und dieses Haus. Sie liebt es, fühlt sich wohl darin. Scudder ist für sie nur eine schlechte Gewohnheit. Die könnte sie leicht ablegen.«

Alice stieß wieder den Stuhl an. »Nun trinken Sie schon Ihren Kaffee!«

Er kam zurück, setzte sich. »Sie stimmen mir etwa nicht zu?«

»Vielleicht ja und vielleicht nein. Ich höre.«

»Überhaupt, es ist nicht bloß die Bombe.« Er nahm die Tasse vom Tisch. Maudie konnte warten. »Er glaubt, er habe da eine Verschwörung organisiert.«

»Gegen die Regierung?«

»Das ist unwichtig. Gegen alles. Gegen die Bildschirme, vor allem aber gegen die Spiele. Sie wissen, wie sehr er die Spiele haßt.«

Alice lächelte. »Er hat davon gesprochen … Ich muß zugeben, daß ich selbst keine große Anhängerin der Spiele bin.«

Sie und sein Vater. Aber nicht Dr. Besserman. Was der Grund dafür war, daß er jetzt hier war.

»Die Sache ist, daß seine Verschwörung, obwohl Scudder nichts davon weiß, das größte Spiel von allen ist. Sie gängeln ihn. Für solche Sachen gibt es in der Zentrale eine besondere Abteilung.«

Alice runzelte die Stirn. Es gab ein Dutzend Fragen, die sie hätte stellen können. Aber sie sagte: »Armer Scudder.« Deshalb war er hier.

Sie beugte sich vor, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Da haben Sie ein Problem am Hals.«

»Nicht mehr. Es machte mich verrückt. Aber das ist vorbei. Ich ließ es schmoren, ging spazieren …« Er brach ab, fürchtete, einen wichtigtuerischen Eindruck zu machen. Klugheit war überhaupt nicht im Spiel gewesen. »Ich hatte nicht einmal vor, einen Spaziergang zu machen. Es ergab sich einfach so.«

Alices Hand bewegte sich von seiner Schulter zum Hals und knetete dort die Muskeln. »Mir scheint, es gibt drei Möglichkeiten, Pete. Egal, welche Sie wählen, er wird Sie hassen, wenn er davon erfährt.«

»Er sagt, er werde mich umbringen.«

»Sieht ihm ähnlich … Sie haben also darüber gesprochen?«

»Er wartet darauf, daß ich mich erkläre.«

»Ich weiß, welche Möglichkeit ich wählen würde.«

»Sagen Sie es nicht.«

Sie nahm die Hand von seiner Schulter, tätschelte ihm die Wange und lehnte sich zurück. »Ich wollte es nicht. Aber ich bin ziemlich sicher, daß es dieselbe ist.« Sie schenkte sich Kaffee nach. »Diese Drohung, Pete … – ich denke, es ist ihm ernst damit.«

»Ich weiß nicht. Wenn es schnell ginge, und nicht allzu schwierig … wie mit einer Schußwaffe, vielleicht … Ich weiß nicht.«

»Heutzutage hat niemand Schußwaffen.« Sie rührte Schlagsahne in den Kaffee. Dann schnitt sie eine Grimasse. »Nun ja, Bomben hat auch niemand …«

Pete hatte das gleiche gedacht, in den letzten paar Sekunden, jede Möglichkeit. Väter töteten ihre Söhne. Söhne töteten ihre Väter. Es kam vor.

Alice nippte vom Kaffee. »Und nun sagen Sie es mir, für alle Fälle.«

Sie nickte.

»Was soll ich tun?«

»Nichts. Überhaupt nichts. Nur die Wahrheit wissen.« Sie stellte die Tasse in die Untertasse. Ihre Hand hörte auf, sich zu bewegen, sie sah auf, und ihre Blicke begegneten einander. Eine Weile sprach keiner von ihnen. Dann schlug sie den Blick nieder, betrachtete ihre Tasse und stellte sie samt der Untertasse auf den Tisch zurück.

»Und was ist mit Grace?«

»Wir … wir haben nicht darüber gesprochen. Das mit der Bombe wird sie bereits vermutet haben, denke ich. Aber wir haben nicht darüber gesprochen.«

Und ihr Kontakt hörte auf. Plötzlich war sie ganz Ecken und Kanten, rückte auf ihrem Stuhl, schlug die Beine übereinander, zupfte an ihrem Bademantel. »Der Kaffee ist kalt«, sagte sie. »Schütten Sie ihn weg! Ich fülle nach …« Er begriff, daß er dumm gewesen war. Sie zählte eins zum anderen, diese nicht sehr kluge Dame. »Lieber Gott«, sagte er, »wir hatten über andere Dinge zu sprechen.«

»Lassen wir das! Sie wissen so gut wie ich, wenn Sie und Grace …«

»Es ist wahr.« Und so war es. Anderes zu besprechen. Anderes zu sein. »Und außerdem würde sie sich sorgen.«

»Und ich nicht?« Wieder ruhig, beobachtete sie ihn mit ironischem Ausdruck. »Das ist nett. Bin geschmeichelt, Pete.« Sie legte die Hände im Schoß zusammen. »Und wenn ich das eine schlucke, dann schlucke ich vielleicht auch das andere … Was geschieht als nächstes?«

Pete stand auf. Sie war nicht überzeugt, aber dies war nicht der Augenblick, es zu versuchen. »Wieder in die Bresche, denke ich.«

»Also nimmt er sich jetzt den Shakespeare zum Vorbild …« Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Dann also los! Und viel Glück! Und noch was, Pete – lassen Sie es mit Maudie ruhig angehen!«

»Sicher.«

»Ich bin dort gewesen. Und ich sage Ihnen, die Huppeldinger allein sind kein Ersatz.«

Er wandte sich um und ging rasch die Treppe und die Stufen hinunter. Mit ihren Scherzen konnte sie einen schon vertreiben. Und seine Mutter würde ihre eigenen Spiele spielen, da brauchte er sich nicht zu sorgen. Außerdem wußte Alice nicht die Hälfte davon: was immer Maudie brauchte, es würden keine Huppeldinger sein, weder für sich allein noch in Gesellschaft.

Sein Wagen stand noch auf der Zufahrt vor der Schulman-Villa, wo er ihn am Tag seiner Ankunft stehengelassen hatte. Huppeltag, der Tag, da man seine Eltern besuchte oder ihnen ein besonderes Geschenk zukommen ließ. Scudder krank, vielleicht im Sterben liegend. Siebzehn Jahre. Zurückkommen, sich befreien, weitermachen. Er setzte sich ans Steuer, fluchte. Der Zündschlüssel war in seinem Straßenanzug, oben in seinem Schlafzimmer. Leise betrat er das Haus. Aus der Küche drang fernes Stimmengemurmel. Er ging die Treppe hinauf. Seine Kleider waren im Schrank, wo Maudie sie an jenem ersten Nachmittag aufgehängt hatte. Er fand seinen Schlüsselring und lehnte sich an die Schranktür, um sie zu schließen. Sie klemmte, schloß sich quietschend; in der Stille hörte es sich an wie ein zum Stillstand kommender Schnellzug. Er hielt den Atem an, wartete. Alles blieb still.

Auf dem Treppenabsatz hielt er wieder inne und blickte den Korridor entlang zur Tür von Scudders Werkstatt. Sie war geschlossen, und geschlossen war auch die zum Dachgeschoß hinaufführende Tür. Er ging rasch die Treppe hinunter und zum Ausgang, vorüber an den konischen Beleuchtungskörpern, dem Teakholz und den Lederpolstern …

»Ich dachte mir doch, daß ich dich hörte.« Maudies Stimme, freundlich und im Gesprächston, täuschte niemand. »Frühstück ist fertig.«

Er ging weiter, durch die äußere Tür und über die Veranda. »Tut mir leid, Mutter, kann mich nicht aufhalten.«

»Da ist ein Brief …«

»Den hole ich mir später.«

»Warte, Junge! Ich sagte, warte!«

Er machte halt. Seine Mutter stand im Eingang, dicht hinter ihm. Wenn ihr daran lag, konnte sie flink sein.

»Du hast eine Besucherin«, sagte sie.

»Eine Besucherin?« Er hob den Kopf und blickte an ihr vorbei.

»Das heißt, sie tut so, als sei sie gerade zufällig vorbeigekommen. Aber …«

»Grace?«

»Wo bist du den ganzen Morgen gewesen? Ich habe dir das Frühstück um acht gerichtet, wie immer. Das sind keine Manieren, Junge. Wenn du wußtest, daß du ausgehen würdest, hättest du mir …«

»Ist es Grace, Mutter?«

»Die Katze des Präsidenten ist es jedenfalls nicht.«

Er spähte an ihr vorbei, ins Halbdunkel des Eingangs. Grace. Es war eine Versuchung. Seine Gedanken waren auf dem Rückweg vom Shakewell-Haus bei ihr gewesen. Er wollte sie sprechen, sich an ihr wärmen. Und ihr sagen, daß ihre Mutter sich irre. Ganz und gar irre … Er richtete seinen Blick wieder auf Maudie. »Wo ist Scudder?«

»Oben in seinem Zimmer. Läßt dir sagen, daß er bis Mittag dort sein wird.«

Das gab den Ausschlag. »Ich muß gehen. Sag Grace das, bitte! Sag ihr, daß ich später vorbeikommen werde!«

Seine Mutter starrte ihn an, unnachgiebig.

»Sag ihr, daß ich sehr gern mit ihr sprechen möchte! Aber ich muß fort.« Er ging über die Zufahrt zu seinem Wagen, stieg ein, startete den Motor. Es war heiß im Wagen, die muffige Luft roch nach alten Teppichen.

Maudie rief ihm nach: »Weißt du was, Junge? Du bist ein Egoist. Genau wie dein Vater!«

Scudder Laznetts Junge. Scudder Laznetts Gesicht. Was noch von Scudder Laznett?

Er fuhr los. Eine zweite Versuchung kam über ihn: zu fahren und weiterzufahren, immerzu – er hatte es schon einmal getan, nicht wahr? Vorbei an den Kiefernstämmen, die wie Gitterstäbe waren, vorbei an den Kartoffelfeldern, über die Brücke, durch das schäbige Gemeindezentrum an der Kreuzung. Vorbei an den verfallenen Einkaufszentren und so weiter. Seine Sachen später nachkommen lassen und sich nicht einen Deut darum scheren, ob er sie wiederbekäme oder nicht.

Gott, wie einfach das Leben war! Wenn man nur wußte, was man wollte, und daran festhielt.

Er kam zur Brücke. Die Flut drückte noch in die Flußmündung und staute das Wasser in der schilfbestandenen Sumpfebene des Tales. In der Ferne die Muschelbänke, der Anlegesteg, die offene See. Unter seinen Fingernägeln war noch Sand von der mißglückten Sprunglandung auf dem Strand. Dann die Entscheidung, unerkannt, die Entscheidung jetzt, ein fortdauernder Prozeß, vorbei an den Wochenendhäuschen, den Ecktürmchen und Spitzbogenfenstern der Kegelbahn.

An der Kreuzung verlangsamte er vor dem Blinklicht, bog nach links. Die Bank, die Drogerie, der Wasserturm, seine Hände und Füße wußten unangeleitet den Weg, Heißen den Wagen auf den Parkplatz einschwenken, hielten an, brachten ihn aus dem Wagen und im Laufschritt durch die Türen aus Panzerglas. Ev Scannel saß am Schreibtisch.

Pete bremste den ausschwingenden Türflügel hinter sich mit einer Hand, ging achtsam über die glänzenden Fliesen. Von allen Leuten bitte nicht ausgerechnet Ev Scannel.

»Ist der Chef da?«

Scannel hatte ihn beobachtet, seit er auf den Parkplatz gefahren war. »Kennen wir uns nicht, Mister? Sind Sie nicht Pete Laznett?«

»So ist es. Wir sind uns vor ein paar Tagen begegnet. Ist der Chef da?«

»Der Leutnant hat zu tun. Sie sehen erhitzt aus. Bereitet sich wieder ein heißer Tag vor, da draußen.«

»Könnte ich ihn bitte sprechen?«

»Nun mal langsam!« Scannel streckte die Hand nach einem Block mit Formularvordrucken aus, grabbelte mit den Wurstfingern nach einem Stift und begann zu schreiben. »Uhrzeit, neun Uhr siebenundvierzig. Ort …«

Pete ertrug es nicht. Die Zeit war nicht neun Uhr siebenundvierzig. Die Zeit war jetzt. »Ich muß ihn sprechen.«

Scannel legte den Stift aus der Hand. »Sie müssen niemand sprechen!«

Hinter Scannels Schreibtisch war eine Bürotür mit der Aufschrift Leutnant Harker. Pete ging darauf zu.

»Ich warne Sie, Mister! Dies hier ist Staatseigentum. Noch ein Schritt, und Sie begehen eine Übertretung.«

Was beging er? Nur eine Übertretung? Aber das Büro war leer. Er wandte sich um. »Wo ist er?«

»Sie sind ja ein rechter Heißsporn.« Scannel lehnte sich in seinem Bürosessel zurück. »Ich muß Ihnen leider sagen, daß ich Sie zur Verantwortung ziehen werde, Mister Peter Laznett. Gesetzesübertretung nach Abschnitt 4F des …«

Pete war auf einmal alles gleich. »Vielleicht kennen Sie auch den relevanten Abschnitt für den Besitz und die Herstellung von Explosivstoffen.«

Scannel pustete den Atem von sich. »Sagen Sie das noch mal!«

Pete sah ein, daß ihm nichts anderes übrigblieb. Er trat zögernd an den Schreibtisch. »Mein Vater stellt Sprengstoffe her. Bomben. Sein Dachboden ist voll davon.«

»Was Sie nicht sagen! Nun, das ist eine wirklich ernste Anschuldigung. Haben Sie Beweise?«

»Er ist mein Vater, hol’s der Teufel! Würde ich es sagen, wenn es nicht wahr wäre?«

Pete ließ sich überdrüssig auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder. Scannel starrte ihn an. Ein träges Lächeln breitete sich aus. »Dieser alte Geier macht Bomben, sagen Sie? Wenn das nicht ein Ding ist. Dafür wird er lebenslänglich kriegen, das ist so sicher wie …«

»Ich weiß.« Pete rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. »Also: wo ist der Leutnant?«

»Damit wir uns recht verstehen: Sie erstatten Anzeige gegen Ihren alten Herrn?«

Pete antwortete nicht.

»Gut, gut …« Scannel blickte wieder auf sein Formblatt. »Wir werden Ihre Unterschrift brauchen.«

»Ich werde sie dem Leutnant geben.«

Scannel schrieb mühsam, dann schob er den Block über den Schreibtisch. »Da brauchen wir keinen Leutnant. Aggie wird sich um den Laden kümmern, während ich unterwegs bin.«

Er streckte die Hand nach der Sprechanlage aus. Pete kam ihm zuvor. »Wir brauchen den Leutnant.« Ihre Gesichter waren einander nahe. »Ich sage Ihnen, mein Vater ist verrückt. Und ich möchte nicht, daß jemand zu Schaden kommt.«

Sie verharrten eine Weile, Aug in Aug. Dann nahm Scannel die andere Hand, umfaßte Petes Handgelenk mit eisernem Griff und hob es verächtlich von der Sprechanlage.

Er drückte die Taste. »Aggie? Aggie, Liebes, ich muß weg. Hat sich was ergeben. Du übernimmst, ja? OK?«

Er unterbrach die Verbindung, ließ Petes Handgelenk los, lehnte sich zurück, lächelte wieder. »Scudder und ich, wir sind alte Kumpel. Er wird alles für mich tun, wird er bestimmt.«

Pete fühlte Übelkeit im Magen. Er hatte diese ganze Sache falsch angefaßt. Er versuchte es noch einmal. »Diese Aggie – kommt sie hierher?«

»Was sagten Sie?«

Wenn Scannel etwas fürchtete, könnte es Papierkrieg sein. »Ich möchte vor einem Zeugen erklären, daß ich dies als einen Job für den Leutnant betrachte.«

Scannel kippte seinen Sessel zurück. »Das wird Aggie gefallen. Ich sage Ihnen, das wird ihr einen Riesenspaß machen.«

Sie saßen schweigend. Scannel schien zu warten, vermutlich auf Aggie. Pete entschied, daß es Zeit sei, aufzuhören – er half weder sich selbst noch seinem Vater.

»Wenn Sie hinfahren«, sagte er, »werden Sie einen Betäubungsprojektor brauchen. Haben Sie einen?«

»Wir sind hier nicht im Urwald, Mister. Alle Wagen haben Projektoren. Das letzte Modell.«

»Freut mich.« Die neuesten Betäubungsprojektoren hatten eine Reichweite von zweihundert Metern; sie störten das Enzephalogramm der Zielperson, so weit diese bekannt war, und betäubten sie. Wenigstens würde seinem Vater das Schlimmste von Ev Scannel erspart bleiben. »Kann ich jetzt gehen?«

»Die Sache mit Aggie ist die, daß sie sich Zeit läßt. Vielleicht sollte ich ihr Beine machen.«

»Spielt keine Rolle.« Er zog das Formblatt zu sich und unterschrieb es blindlings. »Sie werden Ihre Sache großartig machen. Ich weiß es.«

Er hatte alles getan, was er hier tun konnte, also stand er auf und ging zur Tür. »Ich werde bei meinem Vater sein. Er ist in der Schulman-Villa – Sie wissen, wo Sie uns finden können.«

Scannel kam in schwerfälliger Hast auf die Beine. »Sie bleiben hier …«

Seine Worte gingen im plötzlichen Quäken seines Sprechgeräts unter. Und im gleichen Augenblick erschien aus einem rückwärtigen Durchgang Aggie. Eine schlaffe, formlose Frau von unbestimmbarem Alter, mit einer Zigarette im Mund und einem dünnen Gekräusel totgebleichten Haares auf dem Kopf, in einem minimalen gelben Kleid, ein Bündel Strickzeug in der Hand, die Art von einer Frau, die sich dreimal am Tag in der Toilette aushuppelte, nach den Mahlzeiten – das mußte Aggie sein.

»Ev, Liebling, wenn ich nur wüßte, wo das …«

»Teufel noch mal, Mister, ich sagte, Sie …«

Das Signal des Sprechgeräts wurde durchdringender.

Pete schlüpfte zur Tür hinaus und rannte zu seinem Wagen. Der Parkplatz vor der Polizeistation lag verlassen wie die Straße jenseits davon, leergekratzt unter dem heißen weißen Himmel. Als er über den Parkplatz zur Straße hinauskurvte, schlingerte Ev Scannel zum Eingang der Polizeistation. Sein Gerät quäkte noch immer.

Er drohte ihm mit der Faust. »Wenn Sie Scudder einen Wink geben, Mister, dann …«

Pete trat aufs Gaspedal. Als er bei der Kreuzung abbog, erfaßte sein Rückspiegel für einen Augenblick den Eingang zur Polizeistation. Hinter ihm klappte der Türflügel wild auf und zu. Pete jagte die Straße zur Landzunge entlang. Der Polizist würde fünf, vielleicht zehn Minuten brauchen, ihm zu folgen. Er blickte auf die Uhr. Genau zehn. Er lächelte grimmig. Einschaltzeit – sein Koordinator wartete. An diesem Morgen waren Kraftfahrzeuge und Zubehör an der Reihe. Die Brücke kam auf ihn zu, und er nahm sie schnell, mit Schlagseite zur Außenkurve. Zum Teufel mit Kraftfahrzeugen und Zubehör! Zum Teufel mit seinem Koordinator! Nach Spencer Rotanzug hatte er seinen Job sowieso gerade aufplatzen lassen.

Kartoffelfelder, Kiefernbäume. Er erreichte den Heimatklub, verfehlte um ein Haar irgendeinen reichen alten Kerl in karierten Golfhosen, erfreulich beweglich, der Alte, Armon Stace, bei Gott, und bog schleudernd in einem weiten Bogen nach links die Seitenstraße hinauf, Sand und Kiefernnadeln verspritzend, auf und davon unter die Bäume. Die Schulman-Villa. Er konnte sie nicht verfehlen.

Seine Mutter, in einer rosageblümten Schürze, war allein in der Küche. Grace war gegangen. Ein zurückgeschobener Stuhl und die offene Keksdose zeigten, wo sie gewesen war.

Er stützte sich auf den Tisch, atemlos. »Mutter …«

»Du hast sie verpaßt, Junge. Mädchen sitzen nicht bloß herum und warten darauf, daß du den kleinen Finger hebst.«

»Mutter, ich möchte, daß du für eine Weile das Haus verläßt. Geh und besuch Millie, vielleicht. Oder …«

»Augenblick, Junge. Du kannst nicht einfach hier hereingeplatzt kommen und mir …«

Er beherrschte sich. »Ehe Polizei ist unterwegs. Scudder ist in Schwierigkeiten. Ich möchte dich aus dem Haus haben!«

Sie wandte sich von ihm ab zur Spüle, ließ heißes Wasser einlaufen. »Ich wollte nie wirklich, daß du hierherkommst, Junge.«

»Bitte …«

»All diese Jahre da unten. Du warst nie etwas anderes als eine Last.« Sie wandte sich zum Tisch, nahm Graces Teller und wandte sich wieder zur Spüle. »Und nun dies. Es schmerzt mich, das zu sagen, aber ich hätte dich nie zur Welt bringen sollen.«

Er sah sie den Teller ins Wasser tauchen. Nie etwas anderes als eine Last – das mochte stimmen. Aber all die Jahre hindurch hatte sie mit Scudder um das Vorrecht, diese Last tragen zu dürfen, mit Klauen und Zähnen gekämpft. »Heben wir uns die Bosheiten für später auf, ja? Einstweilen möchte ich gern, daß du …«

»Und ich sage dir eins.« Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, die Hände im Spülbecken. »Die Polizei bekümmert mich nicht. Ich rühre mich nicht vom Fleck.«

»Aber verstehst du nicht?« Er ging zu ihr, berührte ihre Schulter, sprach in sanft beschwörendem Ton. »Es könnte Ärger geben. Ich möchte nicht, daß du verletzt wirst.«

»Verletzt.« Sie sagte es zu dem dampfenden Wasser. »Das ist hübsch. Er möchte nicht, daß ich verletzt werde.«

Mehr sagte sie nicht. Es war nicht nötig. Er zog sich zurück, machte kehrt und verließ die Küche. Was auch der Grund ihres Bleibens war, blinder Eigensinn, Scudder, es war keine Zeit zu verlieren. Sie konnte auf ihm herumhacken, soviel sie wollte, nur später. Jetzt hatte er sein Versprechen einzulösen. Scudder wartete auf ihn.

Du wirst es mir sagen, wenn du nachgedacht hast?

Natürlich.

Natürlich.