Kapitel 10
London, England
Um Punkt zehn Uhr hörte sie ein lautes Klopfen an der Eingangstür. Eine Französin rauschte mit zwei geplagt aussehenden Assistentinnen, die einen Kleiderständer hinter sich herzogen, herein. Die Assistentinnen stellten keinen Augenkontakt her, was Val vermuten ließ, dass die Französin entweder ein sehr strenges Regiment führte oder viel Vampirkundschaft hatte.
Die Tür hinter sich schließend, ging sie wieder ins Wohnzimmer und sah zu, wie die Assistentinnen Reisetaschen öffneten und Kleider aus ihren Plastikhüllen herausschüttelten. Kleider wurden willkürlich in ihrem Wohnzimmer ausgebreitet und ein großer dreiteiliger Spiegel wurde aufgestellt, so dass sie wirklich sehen konnte, in welchem Kleid ihr Arsch fett aussah.
Die Frau kannte sich mit Mode aus, aber den Grund dafür, dass Val das Kleid brauchte, verriet sie entweder nicht oder sie wusste ihn nicht. Die Modistin bezeichnete die Veranstaltung als Ball und die ganzen Ballkleider schienen diese Aussage zu unterstützen. Gigantische Prinzessinnenkleider, die Korsette erforderten, wurden ausgepackt.
Wenn eine Bauch-plättende Strumpfhose nicht ausreichte, war sie ehrlich gesagt nicht sicher, ob sie hingehen sollte. Für den Rest des Tages würde sie nichts mehr essen. Die Kleider waren maßgeschneidert für die Oscarverleihung oder die Golden Globe Awards, nicht für jemanden wie sie.
Da war sie wieder — die Unwirklichkeit ihrer Situation. Sie war ein normales Mädchen und er war... nun ja, tot.
Die Modistin begutachtete Val kritisch und entschied sich sofort gegen zahlreiche Kleider. Die Frau sagte, die Farbe harmonisiere nicht mit ihrem Haar oder Teint, wobei Val sich eher fragte, ob die Kleider stattdessen nicht mit ihrer Persönlichkeit harmonisierten. Es waren weiche Kleider, die von einer graziösen Frau getragen werden mussten. Val war nicht gut darin, graziös zu sein. Sie beherrschte hysterisch, wütend, lebhaft, verängstigt und gereizt perfekt.
Schließlich waren alle Kleidungsstücke und Accessoires ausgewählt. Die Ballkleider waren wieder eingepackt und weggeräumt, die Modistin mitsamt Assistenten wieder weggerauscht und Valerie war alleine. Sie trug ein tiefblaues Abendkleid in der Farbe des Ozeans und wartete auf Lucas.
Ihre Brüste wurde in dem Kleid nach oben gedrückt, ihre Taille in dem Korsett eingezwängt. Sie hatte es wirklich nicht nötig, so begehrenswert auszusehen.
Ein zusätzliches Accessoire war Val gegeben worden, das ihr bewusst machte, dass dies keine gewöhnliche Party sein würde. Es war eine kleine Handtasche, die an ihrem Handgelenk hing. Sie war aus schwarzem Samt mit eingewebtem Schwertlilienmuster und hatte vorne ein goldenes ,L‘ aufgestickt. Die Modistin hatte gesagt, es wäre, damit jeder wissen würden, zu wem sie gehörte.
Ohne Zeit zu verlieren, trug Val ihren Lippenstift auf und war ausgehbereit. Ihr Haar war zu einer Masse auf ihrem Kopf hochgesteckt, so dass ihr Nacken frei lag. Etwas, von dem sie dachte, dass es unglaublich dämlich sein könnte, aber die Assistentin der Modistin bestand darauf, dass es eine Notwendigkeit war.
Val dachte darüber nach, ihr Haar zu öffnen, aber sie war nicht sicher, ob sie wirklich so kleinlich sein sollte. Sie vermutete, dass von ihr größere Kompromisse erwartet werden würden, bevor die Nacht vorüber sein würde, also ließ sie ihr Haar in Ruhe und wartete.
Als es sechs Uhr schlug, sah sie aus dem Fenster und beobachtete die vorbeigehenden Leute, die durch den ewigen Regen eilten, um nach Hause zu kommen, wahrscheinlich zu einer Familie und einem heißen Abendessen. Ein kleiner Schwall von Macht zog über sie hinweg, wie Nadelstiche auf ihrer Haut. Sie drehte sich um und sah Lucas aus ihrem Schlafzimmer kommen, während eine große Hand die Manschetten seines strahlend weißen Hemdes befestigte. Du liebe Güte, er hätte in einem Magazin Model für alles von 50,000-Dollar-Uhren bis hin zu teurem Rasierwasser sein können.
Er trug einen schwarzen Smoking ohne Krawatte. Der Kragen war wieder geöffnet und sie konnte die Einbuchtung an seiner Kehle sehen, zu der ihre Augen wanderten, ohne dass sie es ändern konnte. Seine tiefblauen Augen hoben sich, und er nahm ihre Erscheinung in sich auf, an ihrem voluminösen Rock beginnend, über ihre eingeschnürte Taille und dann schnell zu ihrem Gesicht wandernd. Ihr fiel auf, dass das Abendkleid zu seinen Augen passte, und sie fragte sich, ob dies Absicht war. Er sah ihre Lippen an, und sie verspürte den Drang sie zu lecken, versuchte aber fieberhaft still zu halten.
Ein samtener Umhang lag über einem Arm. Er hielt ihn ihr auf, damit sie ihn umlegen konnte. Leicht lächelnd beobachtete er sie, als sie auf ihn zukam, und Valerie errötete und schaute weg. Er befestigte den Kragen an ihrem Nacken, rote Rubine glitzerten an der Spange.
Er warf ihr den Umhang um die Schultern, wie ein Matador, der einen Stier reizte. Ich möchte nicht das Tier sein.
Der Umhang war mit Pelz gefüttert und ihre Hände strichen rhythmisch über die Weichheit, im Versuch ihre Nerven zu beruhigen. Sie konnte sein Rasierwasser riechen und es kam ihr vor, als sei es genauso schwer und einhüllend wie der Umhang. Er war es, dieser maskuline Duft, der sie sich entspannt und nahezu berauscht fühlen ließ.
Val sah ihm ruhig zu, als er den Fall der Kapuze zurecht legte. Sie betrachtete seine langen Wimpern und markanten Wangenknochen, bewunderte die satte Fülle seiner Lippen und seine beinahe menschliche Hitze. Lucas griff hinter sie und zog die Kapuze des Capes über ihr Gesicht, so dass es für jeden, der hinsah, im Schatten lag.
Er hat gerade gefressen; sie war sich nicht genau sicher, woher sie das wusste, aber sie tat es und das plötzliche Bild einer anderen Frau in seinen Armen, ihre Kehle entblößt, damit er ihre Haut durchdringen konnte, als sie sich ihm hingab, ließ sie ihre Hände in finsterer Aufregung zu Fäusten ballen.
Hatte er auch mit ihr geschlafen?
Als ob er ihren Stimmungswandel spürte, beendete er das Zurechtziehen ihres Umhangs zu seiner Zufriedenheit und trat von ihr weg.
Wer war es? Von wem hatte er gefressen? Sie wusste, wer auch immer es gewesen war, war willig gewesen. Wie könnten sie es nicht sein? Er war so schön, wer würde, oder könnte überhaupt, nein zu ihm sagen? Sie konnte es sich vorstellen, seine Hand am Hals irgendeiner Frau, als er sie zurecht neigte, so wie es ihm gefiel. Die Macht seines Körpers, wenn er nah zu ihr trat und, sogar noch schlimmer, die äußerste Aufmerksamkeit, die er ihr schenken würde. Diese gesichtslose Schlampe gab ihm etwas, das er brauchte.
Etwas, das sie nicht tat.
Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, um mit ihren Anschuldigungen aufzuhören. Sie holte tief Luft, sich bewusst, dass sie irrational war.
Lucas wartete, sagte nichts, während sie sich zusammennahm, aber er beobachtete sie mit einem Ausdruck leichter Neugier. Sie war so gegensätzlich in ihren Gefühlen ihm gegenüber. Sie hasste ihn und ihr gelüstete nach ihm, sie fürchtete ihn und wünschte sich, ihn niemals wieder zu sehen. Und dennoch, der Gedanke, dass er sich für eine Andere interessierte, machte sie eifersüchtig und wütend. Es lief alles auf Todessehnsucht hinaus, das wusste sie einfach.
Sein Haar war glatt und dicht, hing ihm schwer den Rücken hinunter, darauf wartend, dass sie ihre Hände darin versenkte, ihn an sich zog und ihn küsste. Sie würde ihm schon zeigen, wie wütend sie war, ihn nur sie nehmen lassen.
Durch einen roten Nebel stellte sie sich vor, wie es wäre, ihn zu beißen, ihn zu beanspruchen, ihn sich zu eigen zu machen. Ihre Knie wurden schwach, die Idee, ihn zu markieren so mächtig und berauschend, dass sie befürchtete zusammenzubrechen. Sie sah nieder und sah seine Hände, eine geöffnet aber angespannt, als ob er sie vielleicht wegstoßen müsste, während die andere zur Faust geballt war, und sie fragte sich, ob er irgendwie von dem Wahnsinn, der durch ihren Kopf wirbelte, wusste.
Sie holte tief Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen, doch die Eifersucht wuchs. Er gehört mir, ihre Gedanken brodelten. Die finstere Richtigkeit von ihnen nistete sich tief in ihrem Körper ein.
Auf seinen Hals fixiert, dachte sie daran, seine Haut zu durchstechen, wie das Blut einer anderen Frau aus seinem Hals strömte, so dass sie es durch ihr eigenes ersetzen konnte. Sie machte ein Geräusch in ihrer Kehle; ein ungezähmter Laut von Qual und Wut.
„Tu es nicht, Valerie.“ Seine Stimme war ruhig und befehlend.
Sie schloss ihre Augen gegen ihn, gegen das überwältigende Verlangen, ihn zu verletzen und zu markieren. Ihr Atem zischte aus ihr heraus, und sie sog einen weiteren, ebenso unregelmäßigen Atemzug ein.
Luft, die von dem Geruch nach ihm angefüllt war. Sie war von ihm überwältigt, ihre Sinne geschärft, ihre Hände kribbelten vor Verlangen, ihn zu berühren. Ihr Körper öffnete sich, schmerzte, und sie fühlte sich selbst feucht und drängend werden. Sie musste mit ihm zusammen sein.
Er wird mich lassen. Er will mich genau so sehr wie ich ihn.
Val lehnte sich zu ihm, trat einen Schritt näher, aber er wich vor ihr zurück, die Entfernung aufrecht erhaltend.
Er tat dies menschlich langsam, und sie fragte sich, ob er versuchte, so zu tun, als sei er schwer zu haben, oder ob er sie nicht mit einer plötzlichen Bewegung verschrecken wollte. Cleverer Mann, entschied sie, sich wie ein wildes Tier fühlend, das von ihm provoziert wurde.
Es hungerte sie nach ihm, allem von ihm, Blut, Fleisch, was auch immer sie von ihm ergattern konnte, sie würde es tun. Ein Teil ihres Verstandes schrie sie an, sagte ihr, dass das Verlangen nicht richtig war, aber Vernunft bedeutete ihr nichts.
Schnell schoss sie vorwärts, versuchte, sich ihm in die Arme zu werfen, keine weitere Absicht darüber hinaus als zu ihm zu gelangen, als er sie mit Leichtigkeit aufhielt. „Valerie, Valerie, dies ist meine Schuld. Mein Fehler. Setz dich einen Augenblick lang und lass mich das in Ordnung bringen.“
Lucas fing an, sie sanft von sich weg zu schieben, im Versuch, sich von ihrem Griff zu lösen ohne ihr wehzutun, doch das war das Letzte, was sie wollte, und es machte sie aggressiv, machte es schwieriger für ihn, sie festzuhalten und trotzdem sanft zu bleiben. Mit einer Hand versuchte sie, ihn zu greifen. Seine Schulter, sein Haar, sein Fleisch — sie wusste nicht, wonach sie griff. Doch sie kam mit seinem Hals in Kontakt und fühlte ihre Nägel seine Haut hinunter ritzen.
Er erstarrte, seine Lippen wurden zu einer straffen Linie, und sie war gefesselt von seiner Schönheit, einer Schönheit, die vorübergehend vermenschlicht und dadurch vergrößert worden war. Blut quoll in feinen Linien heraus, wo sie ihn gekratzt hatte. Ihr Blick war davon gebannt, und sie wollte die Wunden lecken, ihn schmecken und dann beißen. Sie stellte sich vor, wie ihr ganzer Mund sich mit Blut füllte und befürchtete, dass sie an Ort und Stelle einen Orgasmus haben würde.
Val riss ihren Blick davon weg, begutachtete ihren beigen Teppich, während das Gefühl der Falschheit stärker wurde, und sie versuchte, sich von dem, was sicherlich eine Art von Wahnsinn war, zu befreien.
Lucas sprach, aber sie konzentrierte sich so stark auf den Versuch, sich zu beherrschen, dass sie die Worte nicht hörte. Sie spürte, wie seine kalten Finger ihr Kinn anhoben, und dann sah sie in seine Augen. Sie hörte seine Stimme, die ihr tief und eindringlich Befehle gab. Öffne dich mir, sprach er, und sie wollte ihm sagen, dass sie nicht verstand und nicht wusste wie, als seine Augen zu einem Strudel aus Blau und Silber wurden.
Sie fiel nach vorne in die Tiefe seiner Augen, bis ihre Wohnung verschwunden war, sie verschwunden war, und alles, was blieb, blau war.
Als sie wieder zu sich kam, war sie auf der Couch. Lucas saß in einem Stuhl ihr gegenüber, sie mit einem verschlossenen Ausdruck betrachtend. Sie fühlte sich gut, tatsächlich ausgeruht, doch dann erinnerte sie sich wieder daran, wie sie sich verhalten und was sie gewollt hatte.
„Was war das?“ Sie wusste, dass das nicht sie selbst gewesen war, das kranke Verlangen danach, sein Blut zu haben, ihn auseinander zu reißen, schmerzend vor Begehren und Eifersucht wegen dieses Mannes, der ein Monster war.
„Eine Fehleinschätzung meinerseits. Ich entschuldige mich.“
„Was zum Teufel bedeutet denn das?“ Sie setzte sich auf und ihre Hand fuhr an ihren Hals, um sicherzugehen, dass er sie nicht gebissen hatte, während sie bewusstlos gewesen war.
Er seufzte, als ob es ihn verärgerte, es erklären zu müssen. „Als die Fey ein Teil dieser Welt waren, hatten sie bedeutende Magie, die häufig eingetauscht oder als Teil eines TreuundGlaubensGeschäfts oder als Geschenk gegeben wurde. Ich trug einen Ring, der mir vor sehr langer Zeit gegeben wurde und von dem ich mir erhofft hatte, dass er diejenigen, die sich gegen mich verschworen haben, entlarven würde.“
„Du hast einen Ring getragen, der Leute dazu bringt, mit dir schlafen und dir die Kehle herausreißen zu wollen?“
Er sah sie an, dann weg und dann nach unten, seinen Gesichtsausdruck schließlich komplett verbergend, und er könnte gelacht haben oder vielleicht sogar etwas verlegen gewesen sein? Schien unwahrscheinlich. Als er sie wieder ansah, war sein Ausdruck undurchschaubar.
„Der Ring beseitigt Vorsicht und veranlasst einen zu handeln. Es ist nahezu ein Zwang, seinen eigenen... Impulsen zu folgen. Seinen dunklen Wünschen. In diesem Fall hatte ich erwartet, dass es die Vampire, die mich nicht unterstützen, dazu bringen würde, ihre Meinung zu äußern.“
Sie hatte jede Menge Fragen, aber bei den meisten davon war sie sich nicht sicher, ob sie die Antwort wissen wollte. „Was für eine Party ist das, für die du eine große feierliche-Kleiderordnungs-Schlacht willst?“
Er neigte leicht den Kopf, was sie als eine Art ,der Punkt geht an dich‘ Antwort auffasste. „Er ist noch nie zuvor als Schlacht bezeichnet worden. Wieder einmal beweist du dich als einzigartig. Heute Abend ist der Ball für diejenigen, die zugehörig sind, menschliche Gefährten, die mit nur einem Vampir Blut teilen. Sie wurden von einem Vampir auserwählt und als exklusiv gekennzeichnet. Den Gefährten eines Vampirs anzutasten ist eine Beleidigung, die mit einem Duell auf Leben und Tod beantwortet werden kann. Ich möchte nicht, dass meine Feinde vorbereitet sind und ihren Augenblick gut wählen. Wenn ich sie dazu bringen kann, übereilt und einzeln zu handeln, ist mein Sieg fraglos.“
„Hast du nicht ein etwas großes Ego?“, sagte sie bissig.
„Meine Liebe, ich bin 1600 Jahre alt. Das ist nicht Ego, sondern Tatsache.“
„Wie alt sind die anderen Vampire?“
Er zuckte lässig mit den Schultern: „Keiner ist über tausend Jahre alt.“
Die Zeiträume, über die er so beiläufig sprach, waren Schwindel erregend. Sie kam wieder auf das vorherige Thema zurück: „Scheint es dir nicht geringfügig unklug, mit einem Ring, der alle dazu bringt ihren finstersten Impulsen nachzugeben, in einen Ballsaal zu schlendern?“
Lucas runzelte abermals flüchtig die Stirn. „Es hätte kontrollierter sein sollen als das. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der Magie in Grenzen zu halten. Ich kann nicht erklären, warum es schiefgegangen ist.“
Val knirschte frustriert mit den Zähnen und fragte sich, warum es so schwierig war, Informationen aus ihm herauszubekommen. „Was hätte der Ring bewirken sollen?“
„Die Auswirkungen hätten sich auf diejenigen beschränken sollen, mit denen ich eine Blutsverbindung habe. Das würde alle Menschen ausschließen. Darüber hinaus wirkt er nur, wenn jemand in berührbarer Entfernung ist und im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit steht. Es würden nicht alle zugleich reagieren.“
Dies erschreckte sie zu Tode. „Wir haben keine Blutsverbindung! Oder doch? Ich erinnere mich nicht daran!“
„Nein, wir haben keine Blutsverbindung“, sagte er in beschwichtigendem Tonfall.
Und dennoch war sie nicht überzeugt, und ihr Gesichtsausdruck musste ihm das vermittelt haben.
Er trommelte einen Augenblick lang auf der Armlehne des Sessels, bevor er sagte: „Falls es dich beruhigt, ich habe kein Verlangen danach, dein Blut zu nehmen.“ Er klang hochnäsig, fast britisch.
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie beleidigt sein sollte, was stimmte denn nicht mit ihrem Blut? Sie war sicherlich zum Vernaschen, sogar wie Nachtisch oder guter Wein vielleicht. Dann kam sie wieder zur Vernunft und sein Grund, ihr Blut abzulehnen, waren ihr egal, es war etwas Gutes, und sie würde sich darauf einlassen.
„Und woran genau liegt das?“, fragte sie ungeduldig.
„Das ist nichts, was wir jetzt diskutieren müssen. Komm, wir müssen gehen.“
Er hielt ihr eine blasse Hand entgegen, aber Val nahm sie nicht, immer noch damit beschäftigt, warum er ihr Blut nicht trinken würde. „Bin ich krank oder so?”
„Ich bin ein sehr alter Vampir, Valerie, bestimmte Arten von Blut sind nicht kompatibel mit meiner... Physiologie.“
„Was, als ob ich dir Sodbrennen verursache oder so etwas?“
Er neigte seinen Kopf majestätisch. „Wenn es dir Freude bereitet, es so zu beschreiben, aber ich werde dein Blut nicht trinken.“
Valerie stellte sich vor, wie er von ihr trank, sie sanft an sich drückend und ihren Hals mit seinen spitzen Fangzähnen durchstechend. Es gab Leute, die Vampir-Junkies wurden, da ihr Biss so genussvoll sein konnte. Aber es war nur genussvoll, wenn der Vampir sich dazu entschied.
Es konnte ebenso eine Erfahrung der Todesangst und Schmerzen sein, wie wenn man einen Albtraum durchlebte, oder was auch immer der Vampir einem zu zeigen beliebte.
Keines von beiden war wünschenswert.
Warum würde irgendjemand so verletzlich sein, sich selbst in die Gewalt eines Vampirs zu begeben und zu hoffen, dass er sich nicht hinreißen lässt und ihn tötet? War das nicht vergleichbar mit einem Selbstmordversuch oder russischem Roulette? Menschen konnten so dämlich sein. Dann dachte sie an sich selbst, hier mit Lucas, wie sie in seine Welt gezerrt wurde und sich sogar zu ihm hingezogen fühlte. Ich bin auch dämlich.
„Wie ist es mit dem Ring so schiefgegangen?“
Er ließ seine Hand zurück an seine Seite sinken. „Ich weiß es nicht. Aber ich habe den Ring wieder in sein Kästchen gelegt. Das Silber schließt seine Kraft ein, Silber hat eine Auswirkung auf die meisten mystischen Dinge.“
Er knöpfte seine Jacke auf und zog ein silbernes Ringkästchen aus der Innentasche heraus. Er hielt es locker zwischen seinen Fingern und zeigte es ihr. Das Metall war verbeult und matt.
„Wie alt ist der Ring?“
„Ich weiß es nicht. Er war ein Geschenk des Feykönigs vor sehr langer Zeit.“
Er stand auf, ihr die Hand entgegenstreckend, scheinbar beschließend, dass die Unterhaltung beendet und er bereit zum Aufbruch war. Männer!
„Augenblick mal, Adonis.“ Sie streckte eine Hand aus, um ihn sich vom Leib zu halten. „Ich bin nicht deine Gefährtin. Du kannst mein Blut nicht haben, und ich werde es dir niemals geben wollen. Warum willst du also, dass ich mit dir zu diesem... diesem... Blutfest gehe?“
Seine Finger umschlossen ihre, weich und warm, und verschränkten sich zärtlich mit ihren. „Deine Sicherheit, Valerie, ist mir von größter Wichtigkeit. Ich möchte die anderen wissen lassen, dass du unter meinem Schutz stehst. Wenn du mich heute Abend begleitest, wird kein Vampir es wagen dich anzurühren.“
Vals Herz machte einen kleinen Satz. Sie war so ein Trottel, dass sie darauf hereinfiel.
Sein Arm schlang sich um sie, und er zog sie dicht an sich, bevor er sie zu dem Ball brachte. „Der Ring wird zurückbleiben. Du hast nun keine Entschuldigung mehr, mein Blut zu vergießen. So schmeichelhaft es auch war.“
Val fühlte wie sie errötete und sagte schnell: „Ich habe bloß versucht, dich zu töten, sei also nicht zu selbstgefällig. Das ist keine Auswirkung, die man auf die Damen haben möchte, weißt du.“
Sein Kopf beugte sich hinunter, so dass seine Lippen nur Zentimeter von ihren entfernt waren und sein Duft und seine Macht sie wie eine Decke umschlossen. Seine beiden, nun warmen Hände umschlossen ihren Kiefer, hoben ihr Gesicht zu seinem empor . Sie schwankte etwas vorwärts, ihr Körper beugte sich ihm entgegen. „Du hast auch gesagt, dass du mit mir schlafen wolltest.“
Jetzt wollte sie ihm eine knallen. „Vielen Dank für die schmerzliche Erinnerung. Ich möchte auch Fallschirmspringen gehen, aber ich tu’s nicht. Ich habe einen gewissen Sinn für Selbsterhaltung.“
Seine Stimme war finster, als sie fühlte, wie der Wind um sie herum zu peitschen begann: „Das tue ich auch, meine Walküre, das tue ich auch.“
Sie materialisierten sich neben einem Gebäude. Das Wetter war kühl und sie war froh, den Umhang zu haben. Sie fühlte den Pelz an ihren unbekleideten Armen entlang gleiten und verstand plötzlich, warum Leute Pelzmäntel besaßen. Grausam, aber fabelhaft. Genau genommen charakterisierte das gewissermaßen auch Vampire.
Es war pechschwarz, aber sie konnte Verkehr und Menschen in der Nähe hören. Er nahm ihre Hand in seine, und sie fühlte sich klein und zerbrechlich. Sie schlängelten sich durch Gassen, während die Lichter in der Entfernung näher kamen. Die Gebäude waren zwei bis drei Stockwerke hoch, aber standen eng gedrängt in den schmalen Straßen.
Plötzlich waren sie auf einer Hauptstraße, und sie sah sich um. „Wo sind wir?“
Lucas stand neben ihr, sein Körper hinter ihrem, ein Arm über ihre Schulter hebend, um auf etwas in der Entfernung zu zeigen. Wenn sie den Kopf drehte, könnte sie ihn küssen, so nah war er. Was versuchte er ihr zu zeigen?
„Ist das das Kolosseum? Wir sind in Rom?“ Oh, Kultur.
„Ja.“
„Es ist wunderschön.“
„Rom ist eine Stadt des Wandels. Das sind sie alle, schätze ich“, sagte er in einem merkwürdigen Tonfall, wehmütig vielleicht.
Sie betraten ein sehr teures Hotel, das an einem großen Platz mit Kopfsteinpflaster lag, riesige Kronleuchter hingen über ihnen von den Decken. Vergoldungen und Cherubine verzierten die Wände. Hallo, Rokoko.
Personal in Trachten war unaufdringlich in der Eingangshalle verteilt oder huschte mit Gepäck herum und bediente Gäste. Kakerlaken wären auf ihre Heimlichkeit eifersüchtig gewesen. Reich bekleidete Gäste durchquerten die Eingangshalle — logierende und abreisende, doch Lucas zog sie an allen vorbei, und ihr fiel auf, dass die meisten von ihnen aus dem Weg gingen, wenn sie ihn sahen.
Er hatte diese Wirkung auf Menschen, brachte sie zum Weglaufen. Sie fragte sich, ob es ein unbewusster Akt der Selbsterhaltung war. Vielleicht erkannten die Menschen ihn auf einer grundlegenden Ebene als Raubtier.
Zwei Lakaien standen blass und ausdruckslos vor massiven, mit Schnitzereien versehenen Holztüren.. Ihre Kleidung war aus Samt, die Farben kastanienbraun und dunkelgrün, anders als die der Hotelangestellten. Als Lucas sich näherte, verbeugten sie sich, öffneten die Türen und eilten aus dem Weg.
Ihre Hand ruhte auf seinem Arm, als er gleich hinter der Tür stehen blieb . Den Raum absuchend, versuchte Val loszulassen, doch seine andere Hand legte sich auf ihre, um sie festzuhalten, seine Hände wieder kalt. Lucas lehnte sich zu ihr und flüsterte leise: „Gib meinen Halt nicht auf, oder ich kann dich nicht beschützen. Irgendetwas ist hier. Ein Rundgang durch den Raum, und dann werde ich dich nach London zurückbringen.“
Er ging aufrecht und fuhr fort, langsam den Raum zu durchsuchen, während er sie auf eine Wand zuführte, die durch offene Verandatüren mit goldenen Vorhängen, die im Wind raschelten, gestaltet war. Der Ballsaal war groß, mehr als zweihundert Leute füllten den Raum. Fast jeder hatte ein Glas mit Champagner und Val war froh, dass keine offensichtlichen Kelche mit Blut getrunken wurden, da der Anblick vielleicht mehr gewesen wäre, als sie hätte vertragen können.
Paare tanzten auf der Tanzfläche, die Frauen in langen Ballkleidern, die Männer wie Lucas in Smokings. Bei jedem Paar konnte sie den Vampir leicht erkennen. Ihre Blässe und Geschwindigkeit war etwas befremdlich, während die Menschen Leben und etwas anderes, im Vergleich zu den Vampiren neben ihnen Undefinierbares, ausstrahlten. Vitalität vielleicht? Valerie sah nicht so viele Bisswunden, wie sie erwartet hatte, und einige trugen hohe Kragen, wodurch es schwer zu sehen war.
Fasziniert sah Val sich um, die Menschen waren alle entspannt, die Vampire sahen ihre Partner mit Zuneigung an, wie es bei einem normalen Date sein sollte. Die Anzahl der lachenden und plaudernden Leute war wirklich überraschend. Alles war so normal.
Als sie sich einer Nische näherten, sah Valerie ein Paar, das sich umarmte. Die Frau war blond und zierlich, die Haut ihres Gefährten hatte die Farbe von Kaffee mit Sahne. Sein Haar war kurz, und er ragte über sie empor. Trotz seines muskulösen Körperbaus und seiner Größe, war die Frau eindeutig diejenige, vor der man sich in Acht nehmen musste. Er sah aus, als gehörte er eher auf die Wall Street, statt auf den Vampir-Debütantinnenball, oder was auch immer das hier war.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihre Arme um seinen Hals, als er sie hochhob und sie spielerisch herumwirbelte, bevor er sie höher an seinen Hals hob. Sie lachte, als er sie durch die Luft schleuderte und dann schlug sie zu, ihre Fangzähne in seiner Kehle versenkend. Seine Augen schlossen sich, und er lächelte genussvoll. Er setzte sich mit ihr auf einen Stuhl, darauf achtend, dass er sie vorsichtig auf seinem Schoß positionierte, so dass sie nicht aufhören musste zu trinken, um sich zurechtzusetzen.
Seine Arme legten sich beschützend um sie, drückten sie dabei eng an ihn, und Valerie war sowohl fasziniert als auch angewidert. Die Frau entfernte sich von seinem Hals, leckte ihn sehnsüchtig und hob ein glückliches Gesicht zu seinem. Wenn sie lediglich ein Foto dieses Moments gesehen hätte, der anbetende Blick der Frau, als sie in die lächelnden Augen ihres Verehrers sah, wäre Val vielleicht eifersüchtig gewesen auf die offensichtliche Liebe und Glückseligkeit, die die beiden miteinander teilten. Doch sie wusste, was die Frau war. Waren irgendwelche ihrer Gefühle echt?
Die Blonde steckte sich ihren Finger in den Mund, die Geste leicht obszön, dann biss sie in ihren Finger, und Val sah Blut im Licht aufblitzen. Der Blick der Vampirin verließ nie den ihres Liebhabers, er öffnete sofort den Mund und saugte gierig an ihrem Finger. Seine Wangen fielen ein, als er stark an ihrem Finger saugte.
Seine Augen schlossen sich wieder, und er zog ihre Hand von seinem Mund weg, küsste sie begierig, seine Hand hektisch Schicht um Schicht ihres Kleides anhebend, bis die Beine der Frau entblößt und ihre rosa Strumpfbänder, die sie an den Schenkeln trug, zu sehen waren. Seine Hand fuhr ihr Bein entlang, und er griff sie weit oben, seine Hand unter ihrem Kleid verschwindend. Er stand auf und lief mit ihr schnell tiefer in die Nische, wo es dunkel war.
Die Vampirfrau lachte, als sie in den Schatten verschwanden.
Val blinzelte und wurde rot, sich gewahr werdend, dass sie stehen geblieben war und hingestarrt hatte. Lucas beobachtete sie, sein Gesichtsausdruck unergründlich. Er zog eine Augenbraue hoch, darauf wartend, was sie über die Liebhaber, die sie gesehen hatte, zu sagen hätten. Sie schüttelte den Kopf, da ihr die Worte fehlten, und sie setzten ihren Rundgang durch den Ballsaal fort.
Lucas wechselte ihre Hand von seiner linken in die rechte und wechselte die Seite, so dass sie den Fenstern am nächsten war und er der Menge gegenüber stand.
Eine große Frau mit rotbraunem, lockigem Haar, das sie offen trug, kam ihnen entgegen. Ihr Haar war lang und glänzend und reichte ihr bis zur Mitte des Rückens. Ihr Gesicht war schmal mit dünnen Lippen. Sie war hübsch, aber etwas an ihr war verhärtet und nahezu fiebrig.
Ihre Augen waren goldbraun und hatten eine sengende Qualität. Sie musterte Val mit ihrem goldenen Blick und Val hatte das Gefühl, dass sie abgemessen und seziert wurde, als ob die Frau überlegte, wie sie sie in Stücke schneiden würde, welches Glied zuerst abgeschnitten werden würde und wie viel davon.
Valerie trat einen Schritt zurück, sich an Lucas schmiegend, so dass ihr Körper seinem nahe war. Die Frau lächelte wie eine Übeltäterin, als ob Valerie genau das getan hätte, worauf sie gehofft hatte.
Sie hielt leicht den Arm einer elegant gekleideten Frau in einem eng geschnittenen schwarzen Smoking. Die Frau in dem Smoking war groß, einige Zentimeter größer als die Vampirin neben ihr. Sie sah frisch und hübsch aus, ihre braunen Haare fielen in leichten Wellen, die unter einem flotten, verweiblichten Zylinder versteckt waren. Ihre Augen waren braun mit dichten, falschen Wimpern, die sie wie eine Puppe aussehen ließen und eine unschuldige Ausstrahlung hervorhoben. Doch die Augen selbst waren hart. Sie hatte viel gesehen, besagten die Augen. Dies war eine Maske. Die Lippen der Frau waren blutrot und hätten Robert Smith von The Cure vor Neid in Ohnmacht fallen lassen.
Lucas drückte ihre Hand, und sie versuchte, ihren Gesichtsausdruck so nichtssagend wie möglich aussehen zu lassen, da sie die subtile Anspannung, die ihn durchfuhr, spürte. Die rotbraunhaarige Vampirin wendete Lucas ihr drohendes Lächeln zu.
„Lucas, mein Schatz! Ich hatte nicht erwartet, dich hier mit einer Gefährtin zu sehen. Wie lange ist es her? Mindestens einhundertundfünfzig Jahre seit...” Sie hörte auf zu sprechen, den Schluss des Satzes offen lassend und Val dachte, dass es etwas böswillig gemeint war, implizieren sollte, dass Gefährten unbedeutend waren.
Val spürte, wie Furcht sie überkam. Oh nein, dachte sie. Sie wollte weiter zurückweichen und sich wegbewegen; von hier fliehen mit oder ohne Lucas.
Marion.
Lucas bestätigte ihre Ängste: „Marion, Rachel, gestattet mir, euch Valerie vorzustellen. Valerie, Marion und ihre Gemahlin Rachel.“
Oh Scheiße! Valerie versuchte, ihre Gefühle davor zu bewahren, über ihr Gesicht zu huschen. Sie stand vor der Frau, die Jacks Familie ermordet hatte, die Lucas jetzt tot sehen wollte. Und Rachel war ihre Gemahlin, was auch immer das bedeutete, die Jack Informationen über Lucas gab.
Ein Inferno von Wut tobte in Val. Lucas und Marion wollten einander tot sehen und anstatt einander direkt gegenüberzutreten, ließen sie Menschen versuchen, die Drecksarbeit für sie zu erledigen und machten sie und ihre Familie zu Schachfiguren in ihren dämlichen politischen Spielen.
Rachels Augen waren kalt und ungewöhnlich distanziert, selbst als sie Valerie näher betrachtete. Sie streckte Valerie eine Hand in einem weißen Handschuh entgegen und Valerie sah Lucas an, der zustimmend nickte. Sie streckte ihre Hand zu Rachel aus und war überrascht, dass sie nicht zitterte. Rachel ergriff sie mit harten, kalten Fingern und führte sie an ihre Lippen. Sie wollte die Hand wegreißen und bemerkte, dass Lucas’ Hand sie stark drückte. Sie ließ nicht los, atmete noch nicht einmal, wartete nur darauf, zu sehen, was Rachel tun würde.
Ein Augenblick verging, in dem es schien, als entscheide Rachel, ob sie Valerie Schaden zufügen würde, ihr Blick schnellte zu Lucas und dann zurück zu Valeries umklammerter Hand. Dann senkte sie schnell ihren Mund, der leichteste Hauch ihrer Lippen traf auf Valeries Hand. Ihre Lippen waren kalt, aber nicht so kalt, wie Lucas sein konnte.
Val wollte verzweifelt gehen, weg sein von diesen Leuten und Dingen und ihrer belanglosen Politik. Sie war nur eine Schachfigur. Jeder, den sie liebte, war Teil ihres Spiels, und sie würden alle nach Lust und Laune dieser Monster sterben. Sie fühlte, wie sich ihr Hals vor Tränen zuschnürte, und versuchte sich zu beruhigen.
„Valerie.“ Marions Stimme war wie Eis, brüchig und misstönend. „Ich bin mir sicher, ich kenne dich, Valerie. Rate, meine Liebe. Rate, woher ich dich kenne.“ Sie lächelte Valerie wahrhaftig an, Valeries Unbehagen genießend, und Valerie wusste, diese Frau konnte auf sie einschlagen wie auf eine Maus, mit ihr spielen, während ihre Brust aufgerissen wurde, und würde sich nichts dabei denken. Schlimmer, sie würde sich noch nicht einmal daran erinnern, bloß ein weiterer Mord für Marion.
Val schüttelte leicht den Kopf, sprachlos, und wartete.
„Jack. Ich kenne dich wegen meines Jungens Jack.“ Jedes Wort wurde langsam, deutlich und liebevoll gesagt. Marion beobachtete Val gierig, abwartend welche Wirkung ihre Worte haben würden.
Valerie starrte Marions wohlgeformte Augenbrauen an, ihr nicht in die Augen sehend, beschließend, dass keine Antwort besser war, als etwas Aufrührerisches wie ,Ich werde ihm schöne Grüße ausrichten‘ oder ,Komisch, er hat dich nie erwähnt‘ zu sagen.
Marion lachte, als ob jemand etwas Lustiges gesagt hätte, sich Rachel zuwendend, die alle mit einem kleinen harmlosen Lächeln ansah.
„Und du, Lucas. Eine Jägerstochter? Was für einen Vater muss sie haben, dass sie geradewegs in deine Arme läuft?“
Sie sah zwischen den beiden hin und her, als ob sie darauf wartete, dass einer von ihnen ihr die Pointe eines Witzes erzählte.
„Behalt ihn im Auge, Süße. Er ist ein Tiger, aber wenn er sich erst einmal langweilt... und bei all den Dingen, die er gesehen und getan hat, langweilt er sich schnell.“ Es war offensichtlich, dass sie so klingen wollte, als gäbe sie mütterlichen Rat, aber in ihren Worten lag eine Bitterkeit, von der Valerie nicht sagen konnte, ob sie beabsichtigt war oder nicht.
Lucas blieb ruhig, Marion gelassen beobachtend, als sie Val mit ihren stacheligen Worten herumstieß. Val fragte sich, warum er nichts tat, und Rachel fragte sich das eindeutig auch. Ihre freie Hand lag auf Marions, ihre Finger drückend, als ob sie sie zur Vorsicht mahnte.
Seine Stimme war ruhig: „Ich werde später mit dir sprechen. Wo werde ich dich finden?“
Marions Stimme war gehaucht, ihr Griff um Rachels Arm verstärkte sich, so dass ihre Finger noch weißer wurden. „Paris. Ich bin in der Pariser Wohnung.“
Lucas lächelte leicht: „Ich dachte, du seiest im Dorchester.“
Marion erhob ihre freie Hand, ihre schwarze Seidenhandtasche wie zum Schutz vor ihre Brust hebend, während Rachel geflissentlich auf den Boden sah. „Warum denkst du das?“
Lucas seufzte gepresst, seine Stimme klang erschöpft und tief: „Tu es nicht, Marion! Wie oft, denkst du, kann dir verziehen werden?“
Ein Ausdruck von Wut huschte über ihr Gesicht, und Lucas hob seinen Arm, legte ihn um Valerie und zog sie dabei eng an sich , fast abschirmend, als sie an Marion und Rachel vorbeigingen, wobei Lucas darauf achtete, Valerie auf der ihnen abgewandten Seite zu halten. Er ging auf die geöffneten Verandatüren zu, wo Val einen Balkon und die Stadt unter ihnen sehen konnte.
„Lucas, warte!“
Er drehte sich zu Marion um und drückte Val dann an die Wand, zumindest einen Teil ihres Körpers mit seinem eigenen abschirmend. Sie spürte die Kälte an ihren Füßen beginnen, fühlte den Druck seiner Hüfte gegen ihre, wie seine Arme so viel wie möglich von ihrem Körper umschlossen.
Es gab das leiseste Flüstern und einen dumpfen Aufschlag, ein Zischen von Lucas in ihrem Ohr — dann verstarb die Kälte.
Es gab das leichteste Vibrieren in seinem Körper, und sie roch brennendes Fleisch. Sie sah hinunter und erblickte zwei Pfeile, die in seiner Seite steckten, Rauch stieg auf und brannte in ihren Augen. Er atmete aus und es klang nass.
Leute schrien, der Boden erbebte, als alle zur selben Zeit zum Ausgang rannten. Natürlich verschwanden die Vampire; ihre Menschen waren zu verletzlich für das Risiko.
„Silber und Gift. Ich brauche einen Moment. Ich werde dich —“ Schüsse ertönten, und sie fühlte seinen Körper mit jedem Schuss zusammenzucken.
Er machte ein leises Geräusch, fast ein Knurren, an ihrem Ohr und dann fiel sein Kopf vorwärts, sein seidiges Haar ihr ins Gesicht fallend, und er begann zu sinken, sein Gewicht sie mit ihm zu Boden ziehend.
Sie fühlte sein Blut auf ihrem Ballkleid, wie es von ihren Hän herunter tropfte. Er war so schwer. Lucas war tot. Still. Kein Atem, seine Glieder schlaff, eine Leiche, die sie ins Grab hinunterzog.
Sie versuchte zu schreien.
Die Menge war in Panik, einige von ihnen stürzten sich aus den Fenstern, andere standen an der Seite um ihre Gefährten zu beschützen, während die meisten zu den Türen flohen, um schnell zu verschwinden, oder sich entmaterialisierten.
Mehrere Wachen kamen auf sie zu, Marions Anweisungen befolgend, als sie Lucas von ihr herunter und zur Mitte des Raumes zogen. Er war bewusstlos, zwei Wachen packten je einen Arm, sein Kopf hing kraftlos nach vorne. Sie bewegten sich schnell, Marion ihnen mit einer Pistole in der Hand auf den Fersen. Sie hatte auf Lucas geschossen.
Doch er war nicht tot. Konnte nicht tot sein, sonst wäre er Asche, oder nicht?
Rachel beugte sich zu Val hinunter und griff sie grob am Ellbogen, sie auf die Füße zerrend.
„Ich weiß, was du denkst. Wenn ich das bloß gewusst hätte, hätte ich schwarz getragen, um all das Blut zu vertuschen. Mir ging’s auch schon mal so.“ Dann sah sie Valerie an, als seien sie Schulfreunde, die übereinander herzogen und versuchten, sich gegenseitig den Freund auszuspannen. „Lucas und Jack? Ich bin beeindruckt und überrascht.“
Rachel zerrte sie mit sich, sie dazu zwingend, Marion und Lucas zu folgen. Marion stolzierte fast, Hüften schwingend, Wirbelsäule triumphierend durchgestreckt. Lucas war immer noch bewusstlos, seine Kleidung zerfetzt und blutig. Die Schüsse waren aus nächster Nähe abgefeuert worden, aber durch den Stoff konnte sie Haut sehen. Heile, makellose Haut, die zusammenwuchs, während sie zuschaute.
Bitte sei in Ordnung! Nicht nur, weil sie hier lebendig wegkommen wollte und annahm, dass das nur mit seiner Hilfe geschehen würde, sondern weil sie nicht wusste, wie sie auf sein Sterben reagieren würde.
Sie starrte ihn angestrengt an, als ob sie versuchte, ihn durch Willenskraft gesund zu machen.
Und dann schnellte sein Kopf hoch, seine Füße landeten auf dem Boden, als er seine Arme zusammenführte und die Wachen, die ihn hielten, mit den Köpfen aneinander stießen, unfähig schnell genug loszulassen.
Lucas war frei. Er drehte sich um und sah die Wachen an, die nach vorne eilten, um ihn wieder zu bändigen. Doch Marion war da, wieder an Vals Seite, ihren Arm um Vals Hals und die Pistole an ihrer Schläfe.
„Halt!”, schrie Marion laut, so dass es in Vals Ohren dröhnte.
Lucas hielt inne, blutüberströmt wie Carrie auf dem Abschlussball, Valerie schnell von oben bis unten musternd, um sicher zu gehen, dass sie unverletzt war. Er winkte kapitulierend mit der Hand und ging zum Podium, zu dem die Wachen ihn in den kurzen Augenblicken, als er ohnmächtig gewesen war, geführt hatten.
Er stieg langsam die Stufen hinauf, so als wäre er müde, und setzte sich auf den Thron, seine Jacke verschwunden, das weiße Hemd zu Fetzen zerrissen, die in blutigen Streifen an ihm hingen, während sein langes goldenes Haar vom Blut strähnig war.
Er saß auf dem Thron, das Holz so dunkel und kunstvoll geschnitzt, dass Val wusste, es war Jahrhunderte alt.
Zorn strahlte von ihm, jeder Moment, der verging, erlaubte es ihm zu heilen und seine Kräfte wiederzuerlangen. Doch seine Haut war blasser als gewöhnlich, und er hatte nicht dieselbe felsartige Härte wie sonst.
Nach einem kurzen Blick sah Lucas sie nicht weiter an, sondern beobachtete Marion. Er machte eine ausgedehnte Bewegung, seine Handflächen nach außen und oben zeigend. Es war eine königliche Geste, die besagte: ,Hier bin ich, was jetzt?‘. Marion ergriff Val fester, die Waffe so stark gegen Ihre Schläfe gepresst, dass der Schmerz permanent und störend war.
„Ich bin sicher, dass ich mir denken kann, was du willst, aber es scheint eine Schande zu sein, dir die Freude zu nehmen, Forderungen zu stellen.“
„Wiedereinsetzung“, sagte sie mit einem Zischen.
Er lachte schmutzig. „Was bekommt Rachel? Und deine Anhänger — hast du welche? Ich kann nicht erkennen, wie irgendjemand außer dir von deiner Wiedereinsetzung in eine Machtposition profitiert.“ Seine Augen suchten den Raum ab, auf dessen Leere hinweisend.
„Ich habe Anhänger. Tritt zurück, heute Nacht, setze mich wieder ein und dies wird zu nichts weiterem führen. Du kannst deine kleine Jägerin nach Hause bringen, und damit ist es erledigt.“
Er lachte. Ein tiefes, herzliches und menschliches Geräusch: „Du würdest uns gehen lassen!“
Er knallte eine Handfläche auf den hölzernen Stuhl und lehnte sich vorwärts, sein blutverschmiertes Haar glitt über seine Schultern nach vorn, die vollen Lippen waren zu einem bitteren Lächeln verzogen.
Val blinzelte benommen, sie hatte ihn noch nie so lebhaft gesehen, so lebensgleich, als er sich gleichgültig in seinem Stuhl zurücklehnte, zuversichtlich und unverschämt.
„Lass mich dir erklären, was passieren wird. Nichts.“ Die Worte waren ein Knurren: „Du wirst uns freigeben, wenn du überleben willst. Du hast dir Feinde gemacht, Marion. Rachel ist so schwach, dass andere sie bei der ersten Gelegenheit benutzen werden. Du bist ein Strohmann, sonst nichts. Du gedenkst an meiner Stelle zu regieren und zu welchem Zweck?“
Er lehnte sich in den Stuhl zurück, die Hände über die Enden der Armlehnen gekrümmt. „Langweilst du dich schon wieder, Liebling?“ Sein Tonfall war verführerisch, sein Blick fuhr gelassen an Marions Körper hinunter, als ob er das Gegenmittel für ihre Langeweile hätte.
Der Genuss, der von seiner Stimme ausging, ließ Val erzittern. Sie sah, wie sich die feinen Haare auf Marions Arm aufrichteten, seine Stimme sie ebenfalls berührend.
Er schüttelte den Kopf und rieb sich den Nasenrücken, als ob er Kopfschmerzen hätte, seine Laune plötzlich verändert. Seine Stimme war müde, vielleicht schmerzerfüllt, als er sagte: „Sie werden dir nicht folgen. Du wirst unsere Rasse in den Krieg stürzen.“
Sie lachte gekünstelt. „Wie ist das im Vergleich zu dir? Du willst uns den Fey ausliefern? Zurück zu den Wölfen? Wie kannst du das deinen Kindern antun?“ In ihrer Stimme lag aufrichtiger Kummer.
Lärm brach los, zwei Schüsse wurden ohne Warnung auf Lucas abgefeuert. Im Stuhl war ein Loch an der Stelle, wo einer danebengegangen war, aber Blut quoll aus seiner Schulter, wo ihn die andere Kugel getroffen hatte.
„Ich werde dich so voll Silber halten, dass du hier nicht weg kommst, verstehst du mich, Lucas? Verdammt seist du! Und dieses Mädchen hier auch.“ Sie presste die Pistole an Valeries Schläfe, so stark drückend, dass Valerie spüren konnte, wie ihre Haut abgeschabt wurde. Sie schrie auf, Tränen brannten ihr in den Augen.
Lucas war ruhig, fast erstarrt, als wolle er niemanden erschrecken.
Marion zischte ihn an: „Sag mir, dass sie dir nichts bedeutet. Sag’s mir und ich beweise dir, dass du dich irrst.“ Sie spannte den Hahn, und Valerie fühlte Tränen ihre Wangen hinunter strömen.
Lucas beobachtete Marion gespannt, sein Blick nicht flackernd, Valerie und ihre Tränen vollständig ignorierend.
„Ich werde nicht gehen, solange du sie festhältst. Sie ist dein Druckmittel gegen mich, Marion. Sei vorsichtig, damit du sie nicht verletzt“, sagte er ruhig.
Lucas verlagerte sein Gewicht und schlug die Beine übereinander, ein gelassener König. Er spannte seinen blutigen Arm an, und Valerie sah, wie sein beträchtlicher Bizeps das Hemd spannte, als er die Muskeln spielen ließ. Blut floss ungehemmt, ein kleiner, schwarzer Strom sprudelte heraus, bevor eine Silberkugel aus seinem Arm heraus gespült wurde und mit einem Klirren zu Boden fiel.
Er legte seine Hände auf die Knie. „Wenn du noch einmal auf mich schießt, kann ich dich nicht wiedereinsetzen; ich werde die Kraft dazu nicht haben.“
Marion nickte, seine Aussage als wahr anerkennend. Sie übergab Val an Rachel, die sie auf die gleiche Weise hielt, wie Marion es getan hatte, Vals Rücken an Rachels Vorderseite, die Waffe an ihrer Schläfe. Marion begann auf Lucas zuzugehen.
Lucas hielt eine abwehrende Hand hoch und Marion hielt automatisch an. „Was ist mit Rachel?“
Marions Stimme war wütend: „Was soll mit ihr sein?“
„Wird sie auch Macht von mir nehmen? Oder wirst du später die Macht mit ihr teilen?“
Marion lächelte niederträchtig und wendete sich Rachel zu. „Meine Geliebte?”
Rachels Stimme war sanft, als sie sagte: „Dies ist für sie. Ich benötige nicht mehr, als sie schon gezwungen war, mir zu geben.“
Lucas zog flüchtig die Augenbrauen hoch. „Du würdest an zweiter Stelle nach ihr kommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut für die Dynamik eurer Beziehung wäre.“
Valerie wollte hysterisch lachen. War Lucas jetzt Eheberater? Möge Gott ihnen beistehen. Was Emotionen betraf, hatte er die verbalen Fähigkeiten einer Papiertüte.
„Ich will, dass sie glücklich ist. Und sie hat Recht, die Richtung, in die du uns führen würdest, ist Wahnsinn.“
Er lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Rachel, du bist zu neu. Du kannst sie nicht glücklich machen und du wirst sie ganz sicher nicht glücklich machen, indem du ihr gibst, was sie will. Marion wird ständig mehr wollen und nichts wird jemals genügen.“ Er machte eine Pause, als würde er entscheiden, ob er mehr sagen sollte oder nicht. „Und du weißt nicht, wie es war, als die Anderen noch hier waren. Es gab Balance und Schönheit. Dieses graue Dasein, das wir jetzt führen, ist der Irrweg.“
„Nein“, sagte Marion vehement, „Du hast nichts und lebst in einer grauen Welt, doch der Rest von uns ist glücklich. Wir fühlen Dinge. Taubheit ist dein Fluch! Du stellst dich selbst über uns, würdest uns in Ketten legen für deinen Versuch etwas zu spüren.“
Lucas wendete seinen Blick wieder zu Marion. „Was geschieht, nachdem du wieder eingesetzt bist? Wirst du uns gehen lassen?“ Seine Stimme war böse, die Frage nicht ernst gemeint, in dem Wissen, dass sie ihn nicht am Leben lassen konnte.
Marion trat einen Schritt nach vorne, hob ihre Hand zu seinem Gesicht und berührte ihn leicht. „Du bist fehlgeleitet, doch großzügig gewesen. Ich weiß, dass du mir gegenüber in Liebe gehandelt hast. Es wird Zeit beanspruchen, mich wieder einzusetzen. Ich will achthundert Jahre, Lucas. Das wird mindestens ein oder zwei Wochen dauern. Und du kannst dich von ihr ernähren, dann kannst du sie verwandeln. Sie zu deiner Gemahlin machen. Und du wirst an zweiter Stelle nach ihr stehen, genau wie du es mir angetan hast. Dann kannst du frei sein. Dich zu töten wird es nicht mehr wert sein. Ich will dich nicht tot sehen, Lucas. Ich will nur, dass es dir elend geht.“
„Du würdest uns wehrlos wie Kinder lassen, ausgestoßen in einer Welt voller Feinde.“
Marion zuckte mit den Schultern. Lucas’ Schwäche war nicht ihr Problem, besagte die Geste. Die Dinge geschahen zu schnell, dachte Val. Sie wollte nicht sterben, verstand das politische Manövrieren um sie herum nicht, aber sie wollte todsicher nicht zur Vampirin werden. War sie stark genug, um sich für den Tod zu entscheiden, bevor sie zur Vampirin wurde?
Sie dachte an ihre Mutter, öffnete die Tür zu diesen Erinnerungen, die sie fest verschlossen hielt, und sah den Schmerz und die Furcht im Gesicht ihrer Mutter, als diese gestorben war. Die Weise, wie ihre Mutter sie im Raum ausfindig gemacht hatte, Vals Gesicht betrachtend, als sei es in diesen letzten Augenblicken das Wichtigste in der Welt, sie zu sehen. Ihr Hals schnürte sich vor Tränen zu. Ja, sie würde sterben. Sie könnte das nicht der Mutter von jemand anderem antun, wollte kein Monster sein. Sie könnte sterben. Sie würde es tun, und es war ja nicht so, als würde sie es bereuen, wenn es erst einmal geschehen war, dachte sie morbide.
Valerie blinzelte und sah auf, ihre Entscheidung gefällt, dass sie eher sterben als zur Vampirin werden würde, und sie bemerkte, dass ihre Sicht verschwommen war, ihr Tränen die Wangen hinunterliefen. Es war ja auch nicht gerade so, als sei der Tod eine großartige Option.
Sie wischte sich die Wangen und sah Marion an, blinzelnd, bis ihre Sicht wieder klar wurde. Lucas streckte seine Hand aus, sein Handgelenk Marions hungrigem Blick ausgeliefert.
„Tu es, meine Geliebte“, sagte Marion abwesend, ihr ganzer Körper auf Lucas’ ausgestrecktes Handgelenk und die Macht, die unter dieser dünnen Lage Haut wartete, fixiert.
Und dann schloss sich Rachels Griff immer enger um Vals Hals, und sie spürte die Verdrängung von Luft nahe ihrem Körper, dann ein stechendes Gefühl, das ihre Brust hinab fuhr.
Blut quoll aus ihrem Körper. Ihre Brust war mit einem Messer aufgeschlitzt worden, eine lange gezackte Wunde, die sie durch ihre zerrissene Kleidung sehen konnte.
Rachel stand neben ihr, das blutige Messer leicht in der Hand haltend. Valerie schrie vor Schreck, das Blut beobachtend, das aus ihr herausfloss wie Wasser aus einem geöffneten Damm. Zuerst war da nur ein kleiner Fleck, der dann anwuchs, und dann strömte es ihr Kleid hinunter und sammelte sich auf dem Boden bei ihren Füßen. Das ist zu viel Blut.
Am Anfang war da kein Gefühl, doch dann fing der Schmerz an und wurde schlimmer, während ihre Nerven bei der Verletzung aufschrien, Punkte flimmerten vor ihren Augen, und sie befürchtete ohnmächtig zu werden. Eine tödliche Wunde.
„Betrachte es als Versicherung für dein gutes Benehmen. Solange du nicht trödelst und mir die Macht schnell übergibst, wird sie vielleicht gerade so überleben.“ Sie nahm Lucas’ Handgelenk in ihre Hand und setzte sich neben ihn. Sein Blick war auf Valerie fixiert, und sie versuchte, nicht zu weinen. Jedes Keuchen machte den Schmerz schlimmer.
Ihre Knie versagten, und Rachel ließ sie auf den Boden gleiten. Sie sah Marions Kopf auf Lucas’ Handgelenk niedersinken und wie eine Kobra zubeißen.
Valerie wendete sich von seinem intensiven Starren ab, unsicher, was - wenn überhaupt etwas - er versuchte ihr mitzuteilen. Marion trank von Lucas, hastig schluckend. Sie hob ihren Kopf, ihn in einem unnatürlichen Winkel verdrehend, und sah zu Lucas auf, sein Blut um ihren Mund geschmiert.
„Schneller. Je schneller wir hier fertig sind, desto eher kannst du deinen kleinen Menschen heilen.“
Lucas wendete sich mit ausdruckslosem Gesicht Marion zu. Blut begann schneller und schneller von seinem Arm zu tropfen, wie Honig, der aus einem Glas fließt. Marion kicherte in einer Weise, auf die die böse Hexe des Westens eifersüchtig gewesen wäre und trank weiter von ihm. Obszöne kleine Laute der Freude kamen von tief aus ihrer Kehle.
Sogar auf dem Boden zu sitzen wurde schwer. Vals Brust fühlte sich an, als tobte ein Lagerfeuer in ihr, brennend und allen Sauerstoff aus ihr heraus saugend, so dass sogar das Atmen zu schwer wurde.
Nur ausruhen.
Val versuchte, sich hinzulegen, wollte sich mit ihren Armen aufstützen , doch sie gaben nach und ihr Kopf schlug auf dem Boden auf, mit einem Krachen wie eine weitere Schusswunde in Lucas’ Brust.
Valerie gab auf.