Kapitel 17
Prag, Tschechische Republik
Rachel wurde hinausgetragen, und all die Vampire verließen den Saal, Versammlung beendet. Der Raum war leer, abgesehen von Val und Lucas.
Seine Augen waren geschlossen, aber er öffnete sie, als sie näher kam; er sah sie an, als sei er überrascht, dass sie noch im Raum war. Seine Augen waren himmelblau, und er schien müde zu sein. Das war jedenfalls ihre Vermutung.
„Du hast mich nicht beschützt“, sagte sie.
„Habe ich nicht?“
„Marion hat erwartet, dass du mich beschützt, und das hast du nicht. Wenn du in diesen Kampf gestorben wärst, hätte sie mich auch getötet.“
Er lächelte sie herablassend an: „Wenn ich umgekommen wäre, hättest du ohnehin nicht überlebt. Sie hätte von dir gekostet und gewusst, was du bist. Sie hätte dich benützt, dich wieder und wieder ausbluten lassen, dich für Macht und Gefälligkeiten prostituiert, bis du ausgetrocknet und kaputt gewesen wärst.“
„Wie schmeichelhaft. Der einzige Grund dafür, dass ich überhaupt in Gefahr bin, bist du.“
„Nun, das ist aber eine ungewöhnliche Darstellung. Jack und dein Vater sind genauso schuld daran, dich in unsere Welt hineingezogen zu haben wie ich. Beschuldigst du sie denn nicht auch?“
Valerie war wütend. Es war jetzt oder nie, und sie würde sich von ihm befreien und wenn es sie das Leben kostete. „Der Unterschied ist, dass ich sie liebe. Ich würde für Jack sterben, und er würde für mich sterben. Ich werde dies nicht weiter tun. Du brauchst mich ohnehin nicht wirklich. Dies ist ein ausgeklügelter Plan, um an mein... Blut zu kommen. Es hat nichts mit mir als Person zu tun, sondern als ein Spielzeug für dich, das Novum: die Empathin.“
Er erhob einen Finger, als würde er sie dazu drängen, still zu sein oder als hätte er etwas Wichtiges zu sagen und wollte ihre Aufmerksamkeit. „Tu nicht so, als würdest du meine Motivation kennen. Für dich oder die Anderen. Ich will sie zurück. Und ich will dich.“
„Was auch immer. Gib mich einfach frei! Lass mich gehen und mein Leben leben. Wenn ich dir tatsächlich wichtig wäre, würdest du nicht wollen, dass ich mit all diesem zu tun habe.“
„Du willst, dass ich uneigennützig bin? Ein Vampir ist selbstsüchtig. Wir töten, damit wir überleben können, das ist der Inbegriff von Selbstsucht.“
Sie wechselte das Thema, suchte nach weiteren Argumenten, um ihn zu überzeugen, sie in Ruhe zu lassen. „Ich werde keine Vampirin sein. Eher würde ich sterben. Wenn du mich verwandeln würdest, würde ich mich bei der ersten Gelegenheit umbringen.“
Lucas lachte freudlos in sich hinein. „Es ist einfach, selbstgerecht zu sein, wenn man von Unbekanntem spricht. Du musst mich nicht überzeugen. Du darfst gehen.“
„Wo ist der Haken?“
Er lächelte. Ein aufrichtiges Lächeln, das seine Augen in Falten legte und sie an ihn als den Mann denken ließ, der er mal war, anstelle des blutbespritzten Monsters, das auf einem Thron vor ihr saß.
„Ich brauche keinen. Geh zu Jack. Überzeuge ihn von deiner Liebe und der Zukunft, die ihr haben werdet. Wenn er beschließt, mich zu töten, komm zurück und bettele um sein Leben. Bis dahin haben wir nichts zu besprechen.“
„Solange er nicht hinter dir her ist, wirst du uns in Ruhe lassen? Uns zusammen sein lassen?“
„Du bist dir so sicher, dass du zu ihm gehörst? Von dem Moment an, als wir uns kennengelernt haben, hast du dich zu mir hingezogen gefühlt. Du verhältst dich mir gegenüber, als sei ich dein Liebhaber, aber das ist jetzt vorbei?“
Er war gelassen und beherrscht, sprach nüchtern zu ihr. Dies war eine große Sache, genau genommen ein Schlussmachen. Wenn er sie wollte, dann sollte er flehen, schreien, versuchen sie zu küssen, meine Güte, irgendetwas tun, das über diese ruhige Unterhaltung hinausging, um sie zu überzeugen.
Sie schluckte schwer, wollte nicht über ihre Beziehung mit ihm sprechen. „Ich denke, du hast gute Arbeit geleistet, um meine Wege zu kreuzen, oder nicht? Meine Mama stirbt wegen eines Vampirangriffs, und obwohl du es leugnest... ich denke, du musst es gewusst haben. Du bist erschienen zu einer Zeit... prägender Jahre. Ein goldenes Monster, das mir das Leben rettete. Natürlich fühlte ich mich zu dir hingezogen. Aber das genügt nicht. Darüber hinaus, du würdest nichts mit mir zu tun haben wollen, wenn ich ein gewöhnliches Mädchen wäre.“
Er zog bestreitend eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts zu seiner Verteidigung. Ich muss hier raus.
„Bring mich nach Hause.“
Er stand auf, zeichnete sich auf eine Weise bedrohlich über ihr ab, die ihr Herz schneller hämmern ließ. Verängstig und aufgeregt zugleich.
„Ich habe dir gerade das Leben gerettet.“
„So nennst du das also? Ich denke, du hast es gefährdet — es ist bestenfalls ein Ausgleich.“
Er kam einen Schritt näher und sie wich zurück.
„Ich habe meinen Thron gesichert.“
„Alle Achtung dafür.“
„Hättest du mich vermisst, wenn ich umgekommen wäre? Dachtest du nicht an all die Dinge, die wir vielleicht zusammen getan hätten, hätten wir gewusst, was das Schicksal für uns bereit hielt? Der Sex und die Leidenschaft. Wären wir überhaupt zu dem Ball gegangen, wenn wir gewusst hätten, dass wir vielleicht nicht lange zu leben hätten?“
„Darum heißt es ja, hinterher ist man immer klüger.“ Sie brachte die Worte kaum heraus. Konzentration, Begehren, die Dinge, von denen sie gerade gesagt hatte, dass sie sie von ihm wollte, gab er ihr.
„Weißt du, wie viele Kinder neun Monate nach einem Sieg geboren werden.“ Es schien nicht wie eine Frage. Eher wie eine Tatsache oder, schluck, wie eine Absichtserklärung.
Ich dachte Vampire können keine Kinder haben — oh! Er wollte sie begatten? Jetzt? Hier?
Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen, dachte sie, war die Antwort ja. Ihr Atem stockte, und sie wollte ihre Beine um ihn schlingen wie ein Affe.
Sie wollte wegrennen. Sie wollte bleiben. Ihre Kampf-oder-Flucht-Reaktion war total im Arsch, wie der Kompass in einem Flugzeug, unfähig zu bestimmen wohin es fliegt, unmittelbar bevor es ins Meer stürzt.
„Das ist... ähm... ein ungewöhnlicher Anmachspruch, das war mir nicht bewusst. Es ergibt Sinn, schätze ich.“ Und selbst wenn der Spruch stinkt, du kannst absolut an mir üben.
Denn er war ein Sieger, und sie hatte wirklich das Gefühl, dass er gewonnen hatte. Und er war aufgeladen nach der Schlacht, sein Körper vor Verlangen nach ihr surrend. Sie konnte es fühlen wie ein Echo ihrer selbst.
„Was empfindest du für mich? Ist es nur Verlangen?“
Er sah sie etwas merkwürdig an, überrascht vielleicht. „Nur Verlangen? Du sagst das, als sei es etwas Armseliges, als hätte Kleopatra nicht allein durch Verlangen ganze Imperien zu Fall gebracht oder als ob Reichtümer nicht verloren worden wären, aufgrund der dringlichen Notwendigkeit, jemanden sein eigen zu machen.“
Sein Blick brannte sich in ihren, die Worte ruhig und kraftvoll. „Du willst, dass ich mehr empfinde? Du willst eine Deklaration? Liebe? Ich kann dir sagen, dass ich seit hunderten und aberhunderten von Jahren nichts mehr als dich gewollt habe, dass ich jeden für dich töten würde, jeden, den du benennen kannst. In mir hast du einen Schild, könntest einen Liebhaber haben, einen Freund und Vertrauten.“
Sein Blick senkte sich zu ihrem Hals, und es fühlte sich an, als spränge ihr Puls ihm entgegen, wollte den heißen Druck seiner Fangzähne auf ihrer Haut spüren, wollte in diesem Moment der Erwartung, kurz bevor er den Mund schließen und diese scharfen Spitzen in ihren Körper gleiten lassen würde, schwelgen.
Würde er es sanft tun? Würde es wehtun? Oder wäre es schnell und urtümlich? Ihre Nippel wurden hart, und sie rieb sich tatsächlich den Hals, im Versuch, etwas des Begehrens zu vertreiben.
Hunderte und aberhunderte von Jahren hatte er gesagt. Das würde für den Rest ihres Lebens im Mittelpunkt einiger ihrer besseren Fantasien stehen. Aber sie brauchte keine Fantasien. Hier war das einzig Wahre. Und er nahm sie mit ins Bett.
Er wollte sie. Wie feurige Ameisen, die über ihre Haut marschierten, konnte sie fühlen, wie sehr er sie wollte. Aber es war, als warte er auf irgendein Zeichen von ihr.
Sie verschränkte die Arme, zog die Schultern hoch, versuchte über das Verlangen nach ihm hinaus zu denken. Sie schloss ihre Augen, um ihn auszublenden. Denk nach.
„Aber du würdest mich nicht lieben, stimmt’s?” Mensch, sie hatte stärker klingen wollen, als sie das sagte; anstelle von hoffend und verzweifelt. Sie wartete auf seine Antwort, als ob sie auf einem Felsvorsprung stand und darauf wartete, dass ein kleiner Kieselstein auf dem Grund der Schlucht aufschlug.
Es dauerte ewig.
Sie konnte nicht länger warten
Er ist Lucas. Er ist ein Vampir. Er liebt nicht. Er fickt. Er tötet. Er begehrt.
Aber sie wollte das alles. Konnte er sie lieben? „Was, wenn du mein Blut trinken würdest?“
„Wenn ich dein Blut trinken würde, würde ich dich lieben?“ Er bedeckte seinen Mund mit seiner Hand, die Finger an seine Lippen gepresst, von ihr weg sehend. „Ich werde tun, was ich kann, um dich glücklich zu machen. Jetzt. Ohne das.“ Er schüttelte den Kopf. Das ganze Konzept erschien ihm so fremdartig, als wäre er sich noch nicht einmal sicher, dass er das Wort ,glücklich‘ richtig aussprach.
Und ein winziger Teil von ihr wurde wütend. Warum nahm er sie nicht einfach? Er hatte gerade erobert! Er war ein Krieger! Worauf wartete er? Er kannte seine Wirkung auf sie. Alles, was er tun musste, war, sie zu berühren, und er konnte sie haben.
Aber er tat es nicht.
Noch ein Mann, der mich will, aber nur unter seinen Bedingungen.
„Bring mich zu Jack! Zum Hotel.“
Er sah aus, als hätte sie ihn geschlagen.
„Zum Hotel, meine ich.“ Sachte, Val.
Er sah sie prüfend an, als ob er versuchte ihre Gedanken zu lesen. „Ich muss mich erst umziehen. Komm!“
Lucas streckte ihr die Hand entgegen. Sie war mit getrocknetem Blut bedeckt. Aber darunter war er, und sein Anspruch auf sie war auf einer so grundlegenden Ebene, dass er tiefergehend als Begehren war, schlimmer als Lust.
War das nicht der Haken? Dass das, was sie für ihn fühlte... undefinierbar war. Und er fühlte nur Begehren. War es so, wie eine neue Handtasche zu begehren? Ein Auto?
Er versuchte es hübsch zu verpacken, über Kleopatra und was sonst noch nicht alles sprechend, aber letzten Endes lief es auf ein Verlangen hinaus, von dem er wollte, dass sie es befriedigte. Und er war nicht daran interessiert, sie zu lieben, selbst wenn sie mehr haben konnten.
Worüber zum Teufel redete sie? Welches ,mehr‘ könnten sie haben? Das Finale war nicht sie beide mit 2.5 Kindern und einem Hund, der zu viel bellte.
Er könnte ihr niemals die einfachen Dinge geben, an denen Leute ein glückliches Leben messen.
Ein Messer drehte sich ihr im Bauch um.
Seine Hand war immer noch ausgestreckt, und sie nahm sie, ignorierte dabei die Tatsache, dass sie mit Blut beschmiert war und dass, indem sie seine Hand nahm, das Blut anderer auch sie befleckte; sie verdrängte all dies, damit sie ihn nur ein kleines bisschen länger berühren konnte.
Ich brauche eine Therapie.
Er führte sie aus dem Raum hinaus, Gänge entlang, an Menschen und Wachen vorbei und dennoch, alles, woran sie denken konnte, war seine Hand, die ihre umschloss. Wie er nahe bei ihr stand, ihr gelegentlich eine Tür öffnete und zur Seite trat, damit sie zuerst hindurchgehen konnte.
Wachen standen draußen vor seiner Wohnung, und er führte sie hinein.
„Ich werde Blut benötigen“, hörte sie ihn leise sagen, und dann schloss sich die Tür hinter ihnen.
Dies war sein Schlafzimmer.
Es war merkwürdig. Es roch nach ihm, die schwächste Spur seines Rasierwassers hing in der Luft. Und da war sein Bett. Es war definitiv ein Kingsize-Bett und mit einer stark bestickten Steppdecke bedeckt, die so aussah, als wäre sie aus einem Museum gestohlen worden.
Er stöhnte, und sie wirbelte herum. Er zog sein Hemd hoch um es auszuziehen, die Wunde war offen und dunkles Blut sickerte heraus.
Er wäre heute Nacht wirklich fast gestorben. Diese schreckliche Erkenntnis schlug ihr entgegen, eine Vision, wie Lucas sich vor ihren Augen auflöste — sie konnte noch nicht einmal daran denken.
Val machte einen Schritt auf ihn zu. Scheiß auf die Konsequenzen oder dass es bloß Lust war. Sie brauchte ihn in sich, stellte sich vor, wie sie sein Glied mit ihrer Hand umfasste und ihn tief in ihren Körper stieß. Er würde sie auf das Bett niederdrücken, ihre Schenkel ergreifen, ihre Beine um seine Taille winden, während er tief in sie sinken würde.
Die enge Kniehose saß an seinen Hüften, ziemlich tief , so dass sie den oberen Teil seiner Hüftknochen, seine Bauchmuskeln und seine Brust sehen konnte. Er zog das Hemd aus und warf es beiseite, während er sie beobachtete.
Er wartete darauf, dass sie etwas tat.
Das ließ sie erstarren. Warum nahm er sie sich nicht einfach? Sie schloss ihre Augen, bemühte sich seine Emotionen wahrzunehmen, versuchte, sie zu ordnen. Es war wie einen Stein aus einer Tasche zu nehmen, ihn zu untersuchen, dann wieder zurückzulegen und einen anderen herauszunehmen und herauszufinden, was er war. Sie fühlte sein Verlangen, seinen Triumph und die Emotion, die am größten war: seine Zurückhaltung.
Er wollte, dass sie zu ihm kam. Blutbedeckt und frisch vom Morden, zeigte er ihr, wie fremdartig er war, wollte er, dass sie ihn wählte. Und er hatte genug Kontrolle, um darauf zu warten, dass sie es tat. Sie kannte seine Gefühle, hatte sein Blut, aber sie waren schwach, wie das letzte flatternde Schlagen eines Herzens vor dem Tod. Jegliche Dringlichkeit dieses Augenblicks war ihre.
Sie öffnete ihre Augen und sein Blick versengte sie. Seine Entschlossenheit wankte, das Verlangen nach ihr so stark und schwer, dass sie es fast berühren, es wie heißen Sand in ihren Händen halten konnte.
Jetzt wird er mich trinken.
Er schüttelte den Kopf.
Scheiße, ich bin durchschaubar. Sie sah wieder an seinem Körper hinunter, unfähig es zu lassen, wissend, dass er es gesehen hatte und sich vielleicht sogar hämisch über die Tatsache, dass sie wieder hinsehen musste, freute. Sie liebte die Art, wie seine Armmuskeln sich wölbten, als er das Hemd von sich weg warf, wie er sich des Stückes Stoff entledigt hatte, als sei es ein Hindernis dafür, sie zu erreichen.
Seine Haut könnte jetzt nackt an ihrer sein.
Geh auf ihn zu.
Überwinde den Abstand.
Sie wollte es — warum machte sie es nicht?
Es klopfte an die Tür, und er drehte sich um, ging zur Tür, die breite Fläche seines Rückens und seiner Schultern mehr blasse Perfektion. Die zwei kleinen Vertiefungen in seinem unteren Rücken, perfekt um ihre Finger hinein zu drücken.
Er war an der Tür, aber er öffnete sie nicht, lehnte nur seinen Kopf daran, bevor er einatmete. „Versuche zumindest, es abzuschirmen. Ich schätze, ich habe mir diese Misere selbst eingehandelt.“
Er öffnete die Tür und streckte die Hand nach draußen, ließ ihr den Rücken zugewandt, als er etwas von draußen nahm. Sie sah, wie sein Kopf leicht nach hinten ging und hörte ihn leise schlucken. Sie trat zur Seite, um zu sehen, was er machte. Er reichte ein leeres Glas durch die Tür zurück nach draußen. Es war ein Pintglas gewesen; er hatte es hinuntergestürzt und leer zurückgegeben, leuchtend rotes Blut haftete an seinen Seiten und ließ es wie Buntglas aussehen.
Er wendete sich ihr wieder zu, die Tür geschlossen, nicht eine Spur von Blut in seinen Mundwinkeln oder irgendwas. Aber zumindest wollte sie ihn nicht mehr küssen. Igitt.
„Du trinkst nicht direkt von der Quelle?“ Armseliger Versuch der Ablenkung.
Die Wunde in seiner Seite heilte vor ihren Augen, schloss sich und neue Haut wuchs darüber. „Mach es dir bequem. Ich werde duschen und zurückkehren. Dann werde ich dich zu deinem Zimmer bringen.“
Dich zu Jack bringen war das, was er nicht gesagt hatte. Es wurmte ihn eindeutig.
Er kam entschlossen auf sie zu, bedrängte sie fast, öffnete dabei mit beiden Händen langsam die Knöpfe seiner Kniehose, wobei er sie jede Bewegung seiner Finger sehen ließ während er näher und näher kam.
Gott, sie wollte ihn. Und dann ging er an ihr vorbei, und sie hörte, wie das Wasser aufgedreht wurde.
Sie setzte sich schwerfällig nieder und versuchte sich daran zu erinnern, was ihr Schlachtplan war. Nach Hause gehen? Irgendein Kerl, wie war sein Name noch gleich? Oh ja. Jack.
Jack.
Sie ließ sich nach hinten fallen und starrte an die Decke, bemerkte zu spät, dass sie auf Lucas’ Bett lag. Sie drehte den Kopf und betrachtete die Kissen. Auf welcher Seite schlief er? Ein Buch lag auf der Seite, die der Tür am nächsten war, und sie vermutete, dass das seine Seite war. Was las ein Typ wie Lucas?
Sie kletterte über sein Bett, wollte das Buch sehen. Wenn es ,Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus‘ ist, bleibe ich vielleicht. Wenn es das ,Kamasutra ‘ aus Holzschnitten ist, bleibe ich auch.
,Tipping Point‘ von Malcolm Gladwell. Auf dem Einband stand: ,Wie kleine Dinge Großes bewirken können‘. Hmm. Es war so etwas wie Sozialpsychologie. Was zum Teufel sollte sie davon halten?
Sie berührte sein Kissen, wollte sich gerade hinunter beugen und — oh Scheiße.
Sie war tatsächlich kurz davor, an seinem Kissen zu schnüffeln, als sie hörte, wie das Wasser abgedreht wurde. Gott sei Dank habe ich mir dieses kleine Anzeichen der Verzweiflung erspart.
Sie stürmte stattdessen zum Kamin hinüber und setzte sich auf einen Stuhl, ausdruckslos auf seine Regale mit Hardcover-Büchern starrend.
Wahrscheinlich nicht der Kindle-Typ.
Nur eine Vermutung.
Sie hörte wieder Wasser, drehte sich um und sah Lucas, der sich die Zähne putzte. Das musste helfen. Und dann... Mundwasser.
Er würde sie küssen.
Großer Seufzer.
Und sie würde es zulassen. Ich meine, wirklich. Als ob ich ihn jetzt aufhalten könnte. Wenn sie jetzt einen Wunsch frei hätte, wäre es ein Keuschheitsgürtel. Bitte, bitte schlaf nicht mit ihm.
Er kam aus dem Badezimmer heraus — die Haare nass, Wassertropfen an seinen Schultern und seiner Brust haftend. Herrje.
Sie wollte, dass er zu ihr kam, sie hochhob und auf sein Bett legte, sich über sie beugte und sie küsste, sie mit seinem Körper bedeckte. Elektrizität und Verlangen durchströmten sie, ließen ihre Kleidung zu eng erscheinen, ihr Körper, empfindlich und offen, wartete auf seine Berührung.
Dann erinnerte sie sich daran, wie seine Hand vor ihren Augen ein Herz herausgerissen hatte.
„Du bist halbnackt“, sagte sie. Hier oben, Val. Sieh ihm ins Gesicht! Nun, zumindest wusste sie, dass er sie auch wollte. Sie konnte die Erektion unter dem Handtuch sehen, schwer und riesig, flach an seinen Bauch gedrückt.
„Du willst, dass ich dich zu ihm bringe?“
„Was?“ Sieh. Auf.
Sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu sagen ,Nein, ich will nicht zu Jack gehen, ich will hier bei dir bleiben und dich ficken, bis keiner von uns mehr aus diesem Zimmer laufen kann‘.
Und wenn er einfach kommen und sie ergreifen würde, würde sie es tun. Sie würde all ihre Bedenken beiseite schieben und einfach nachgeben.
Sie hatte eine fürchterliche Idee. Einen Weg, mit ihm zu schlafen, bei ihm zu bleiben und herauszufinden, wie wichtig sie ihm wirklich war.
Val stand still und sah auf ihr Hemd hinunter. Es war auch blutig. Stell dir das mal vor. Sie hob ihre Hände zu den Knöpfen, öffnete den obersten und ging dabei langsam auf ihn zu. Ihr Atem war übermäßig laut in ihren Ohren, das Zimmer absolut still, und jetzt konnte sie ihn riechen, Seife, Shampoo, die leichte liebliche Feuchtigkeit warmer, sauberer Haut.
Seine Kiefer waren so sehr aufeinander gepresst, dass seine Wangenknochen sich stark abzeichneten. Ein weiterer Knopf war geöffnet. Lucas verschränkte die Arme vor der Brust, seine Haltung etwas breiter. Seine Knöchel waren weiß, weil seine Fäuste so fest geballt waren.
Sie knöpfte einen weiteren Knopf auf, wurde nervös und unsicher. Warum hatte er sie nicht angesehen?
„Dann sag es mir.“
Sie zögerte, verblüfft.
„Dir ist etwas eingefallen, was du willst. Ja? Es erklärt deinen plötzlichen Sinneswandel. Dein Grund für das Entkleiden.“
Seine Worte waren ruhig, aber intensiv, als läge Verärgerung darin. Oder Verlangen. Irgendeine brennende Emotion.
„Du hast gesagt, du würdest jeden für mich töten“, ihre Stimme war rau.
Er sagte nichts. Alle Knöpfe waren aufgeknöpft und eine kleine Lücke klaffte im Material. Ihr Herz hämmerte wegen ihrer Kühnheit. Sie ergriff beide Seiten des Hemdes, bereit es auszuziehen, als Panik bewirkte, dass sie das Hemd eng zusammenziehen wollte. Sie war hierfür nicht mutig genug. Insbesondere, da er immer noch nicht hinsah!
„Halt. Wen? Sag mir zuerst wen.“ Er streckte eine Hand aus, als ob er ein Schreckgespenst abwehrte.
Sie schluckte, zog das Hemd aus, ließ es hinter sich fallen. Ihr BH war aus grauer Seide mit Spitze, nicht der verführerischste BH, den es gab, aber die Körbchen waren gut gefüllt, warum sah er also nicht hin?
Vielleicht ist er kein Busen-Typ.
Vielleicht hatte er im Laufe der Jahrhunderte so viele Brustpaare gesehen, dass er ihnen gleichgültig gegenüberstand oder sie war so weit unten in der Busen-Hitliste, dass es ihm die Mühe nicht wert war, einen Blick darauf zu werfen. Ihr Magen rebellierte, und sie wollte sich übergeben.
Sie war nicht in der Lage gewesen wegzusehen, hatte nur daran denken können ihn zu berühren, als er sich vor ihr ausgezogen hatte, und jetzt zog sie sich aus, die Situation war umgekehrt, und er war absolut ungerührt.
Sie spürte, wie sie errötete.
Er schloss die Augen. „Sag mir den Namen.“
„Du wirst es nicht machen. Das hier war dumm.“
„Wieder einmal beweist du, wie wenig du mich kennst. Sag mir wen“, befahl er.
„Marion.“ Sie sprach schnell weiter, bevor er etwas sagen konnte: „Du hast gesagt, du willst mich, begehrst mich, hast davon gesprochen, dass du alles Erdenkliche für mich tun würdest. Das ist es, was ich will. Ich will sie tot sehen.“
Seine Augen waren immer noch geschlossen. Eine Hand war an seiner Seite zur Faust geballt, jeder Muskel deutlich umrissen. Die andere hob sich hinter seinen Kopf und vergrub sich in seinem Haar, als er einen Atemzug einsog.
„Ich brauche sie. Wähle etwas anderes.“ Er sah an die Decke, öffnete seine Augen, sah sie aber nicht an.
„Nein. Ich will die Schlampe tot sehen.“ Es nur zu sagen fühlte sich richtig an. Wie Sonnenschein nach dem Regen.
Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, sprach mit ihr durch seine Hände hindurch. „Ich brauche Rachel, um an die Fey heranzukommen. Mein Druckmittel gegen sie ist Marion. Wähle irgendetwas anderes.“
Ihre Brust tat weh. All seine Worte und sie bedeuteten nichts. Lucas war ein guter Redner, aber wenn sie eine Forderung stellte, gab er ihr nie, was sie wollte. Sie wäre wegen Marion heute Nacht fast gestorben. Sie hatte Jacks Eltern ermordet.
Marion zu töten würde ihr Frieden bringen. Als ob er sich nicht irgendwas anderes einfallen lassen konnte, um Rachels Loyalität sicherzustellen. Sie hatte verdammt loyal ausgesehen, als ihre Haut weggebrutzelt worden war und sie seinen Fuß geleckt hatte.
Lucas war nicht gut, er war das Monster, das jahrelang Marions Tötungen gutgeheißen hatte.
Sie schubste ihn kräftig. Er wich zurück, und sie schubste erneut, so stark sie konnte. Sein Kopf schnellte herunter, starrte nun ihre Brust, ihre Schultern, ihren Bauch an. Jetzt sieht er hin.
Sein Blick war so finster und besitzergreifend... Ups. Okay, er will mich doch. „Nein. Marion. Töte sie! Rachel muss es nicht erfahren. Die Drohung ist wirksam, egal ob sie am Leben ist oder nicht.“
Seine Hände hoben sich zu ihren nackten Oberarmen, legten sich leicht darauf, die Daumen langsam über ihr Fleisch streichend. Sie bekam davon eine Gänsehaut, die winzige Berührung ließ sie vor Verlangen ihre Schenkel zusammenpressen. Sein Blick war auf ihre Brust und ihren Hals fixiert; dann die Linie ihrer Schulter, wo sie mit dem Hals verbunden war.
Seine Stimme war heiser: „Und was? Ich sage ja, töte sie und du... gibst dich mir einmal hin? Eine Nacht lang? Gehst dann wieder zurück zu ihm?“ Es war, als könnte er Jacks Namen nicht sagen, als bewirke Eifersucht, dass ihm die Buchstaben im Hals stecken blieben.
Gut.
Sie nickte stockend, einen Kloß im Hals.
Sein Blick traf ihren schließlich. „Ich glaube kaum.“
Ihr rutschte das Herz in die Hose. Er hat mich abgewiesen.
„Das ist dann alles? Ich sage nein dazu, und du entziehst mir die Chance, in deinem Bett zu sein?“ Er fluchte in einer Sprache, die sie nicht verstand und entfernte sich von ihr, öffnete die Tür zu einem begehbaren Kleiderschrank und verschwand darin. Val ergriff ihr Hemd und zog es mit zittrigen Fingern an.
Warum war sie überhaupt verletzt? Weil Marion noch lebte? Weil sie Marions Tod für Jack gewollt und ihn nicht bekommen hatte? Ja, das kam hin.
Guter Grund.
Aber da war mehr. Es war, als wäre jeder Kuss, jede Liebkosung, jede Berührung eine Lüge gewesen. Sie war vom ersten Augenblick an von ihm fasziniert gewesen. Und er wollte sie, weil sie eine Empathin war, eine Neuheit. Er wollte Sex und er wollte ihn initiieren.
Sie sah zu ihm auf, als er herauskam, und blinzelte stark, überrascht darüber, dass sie den Tränen nahe gewesen war. Wie konnte sie im Bezug auf ihn so widersprüchlich sein? Sich seines Verlangens in einem Augenblick so sicher sein und es im nächsten dann gar nicht wahrnehmen?
Er kam auf sie zu, und sie fühlte sich entblößt und dumm. Wie ein kleines Mädchen, das versucht hatte, in den Kleidern seiner Mutter Erwachsene zu spielen und dabei hingefallen war. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, und er beugte sich nach unten, küsste sie dabei sehr sanft auf die Lippen.
„Nach den Fey frag mich erneut. Ich schwöre dir, dass du sie dann haben kannst. Selbst... Jack kann sie töten. Wenn es das ist, was du willst. Aber nicht jetzt.“
Sie riss sich von ihm los. „Schwachsinn. Lüg mich nicht an! Gib mir nicht nur Worte! Gib mir Taten! Ich habe das Gefühl, dass alles, was du mir gesagt hast, gelogen war. Alles, was du für mich gemacht hast, war nur, wenn es dir gepasst hat und hat dich nichts gekostet.“
Er folgte ihr, drängte sie an die Wand. Endlich ein Gefühlsausbruch.
Das hatten wir doch schon mal.
Sein Akzent war stark, die Worte kehlig. „Ich werde dir noch mehr Worte geben, und du wirst ihnen zuhören. Du schenkst mir besser Beachtung, meine Walküre. Ich werde dich jetzt nach Hause bringen, und du wirst zu mir zurückkehren. Und wenn du das tust, dann wird sich das hier ändern. Du wirst mir gehören. Du wirst in meinem Bett sein und du wirst dich mir hingeben. Lass uns da keine Missverständnisse haben. Du sprichst von Kosten und sagst, es koste mich nichts.“ Er sah von ihr weg, zur Wand und dann wieder zu ihr, als ob er sich für seine nächsten Worte stärkte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber hörte dann auf. Schluckte.
Endlich fehlten ihm die Worte?
Er zog sie an sich, und sie fühlte sie beide verschwinden, der kalte Wind um sie herum wirbelnd, als er sie zurück zu ihrem Hotelzimmer in Italien brachte. Er war jetzt wütend auf sie, genau so bereit sie loszuwerden wie sie ihn. Dann waren sie in dem Zimmer.
Lucas richtete sich auf, als wäre er alarmiert.
Was? Ist jemand hier?
Sie wollte sich umdrehen, sehen was er sah, aber er umschloss ihr Gesicht mit seinen Händen und beugte sich nach unten, um sie zu küssen. „Einen letzten Kuss bis zum nächsten Mal. Und nächstes Mal... schaffen wir es ins Bett.“
Seine Worte zitterten über sie, etwas laut in ihren Ohren, als ob er sicher gehen wollte, dass sie ihn wirklich hörte. Seine Lippen berührten ihre. Weich und noch warm von der Dusche öffneten sie sich über ihrem Mund und sie lehnte sich ihm entgegen, stand auf den Zehenspitzen und schmiegte ihre Hüften enger an seine, fühlte seine Erektion an ihrem Bauch und versuchte, sich enger an ihn zu pressen. Ja, dies war es, was sie gewollt hatte.
Seine Zunge glitt an ihre, sein Geschmack, der Zauber seiner Berührung ließen jeden Streit und jedes Problem verblassen. Nur Verlangen blieb. „Ich brauche dich“, hauchte sie, und den kleinsten Augenblick lang hielt er inne, während seine Lippen ihren Hals hinunterglitten.
„Dein Timing ist fürchterlich“, sagte er, keuchte die Worte hervor, als er ihren Hals mit Küssen bedeckte.
Sie stöhnte, während seine Hände ihren Rücken hinunterglitten, ihren Hintern ergriffen und sie hochhoben, dabei drückte sich sein Schwanz kräftig an sie. Sie schrie auf, und er fing das Geräusch mit seinem Mund ab, als würde er es trinken.
Und dann zog er sich zurück, tauchte zum Luftholen auf wie ein Fisch aus dem Wasser, blinzelte und sah dann besonders selbstzufrieden aus.
Aufgeblasener Dreckskerl.
Er berührte ihre Wange mit seinem Handrücken und streichelte dann ihren Hals mit seinem Zeigefinger, genau über ihrem Puls anhaltend, leicht auf ihre Halsvene pochend. Und es fühlte sich wie ein Versprechen an, als sagte er ohne Worte — nächstes Mal werde ich dich hier beißen.
Warum zum Teufel machte er das? Und was meinte er bezüglich des Bettes? Sie war verwirrt, aber er verschwand, bevor sie ihn fragen konnte, was das Pochen bedeuten sollte.
Ihr Hotelzimmer war genau so, wie sie es verlassen hatte. Die Zeitschrift, die Marion geworfen hatte, lag immer noch auf dem Boden.
Sobald er weg war, fühlte das Zimmer sich größer an.
Sie brauchte noch eine Dusche. Val zog ihren Mantel aus und wendete sich dem Badezimmer zu, bloß um innezuhalten, als sie eine schlanke Figur an den Türrahmen gelehnt sah; die Arme verschränkt, der Ausdruck wutentbrannt. Seine Augen waren schwarz, sein Gesicht hager, als wäre er die ganze Nacht wach gewesen und hätte auf sie gewartet.
„Jack.“