23
Es war ein sonniger, warmer Morgen, da beschloß Alaine schließlich, die Zeit wäre nun reif für ein kleines Wunder. Nachts zuvor war Rorik von einer Exkursion heimgekehrt, um eine unbedeutende Rebellion in Ste. Sauvear, einer der reichsten Lehen unter seiner Herrschaft, mit Erfolg zu unterdrücken. Sir Corwin war ihm seit seiner Rückkehr nach Brix ein Dorn im Auge gewesen. Endlich hatte er einen Grund gefunden, diesen Unruhestifter durch einen ihm und William treu ergebenen Mann zu ersetzen. Er bot Sihtric das reiche Lehen an, der nun, zu seiner Überraschung, diese Ehre – mit Williams Zustimmung – auch tatsächlich annahm. Stets hatte Sihtric Angebote von Ländereien und Burgen weit von sich gewiesen, um nicht seinen freiheitsliebenden Geist an Steinmauern zu binden. Nun schien dem Nordmann die Bindung an einen Ort gar kein so schreckliches Schicksal mehr zu sein. Rorik ließ sich ja nun auch nieder, murmelte er verlegen grinsend, dann wäre er wohl am besten in seiner Nähe, ihn zu schützen. Dieser Entschluß machte Rorik hocherfreut. Als nun Drache zum Morgenmahl hinunter in den Saal kam, sah er so recht zufrieden mit sich und der Welt aus. Alaine beschloß, jetzt war die beste Zeit, Mathildes Zukunft zu entscheiden.
Ihr Vorschlag, sich diesen Tag Zeit für einen Ausritt auf den Strand zu nehmen, schien ihm sehr zu behagen. Sie befahl dem Koch, ein herzhaftes Mahl aus Wildpasteten, Obst, Käse, Bier und einer Portion von Roriks Lieblingskuchen zusammenzupacken. Sie waren schon ein gutes Stück des Wegs vorangekommen, als die Dorfkirche zur neunten Morgenstunde läutete.
In einer geschützten Stelle am Strand hielten sie für ihr Mahl an. Es war Ebbe. In einiger Entfernung vom Ufer, peitschte und schäumte die Brandung über eine Sandbank hinweg, doch das Wasser, das an den Strand spülte, war ruhig und warm und beinahe vollkommen vom wilden Meeresgewässer abgeschnitten. Es glitzerte und funkelte im hellen Sonnenlicht – eine unwiderstehliche Einladung an einem so warmen Tag.
Vorsichtig hob Rorik Alaine von ihrer Stute herunter, da bemerkte sie ein fröhliches Zwinkern in seinen Augen. »Dieser Strand bietet eine Gelegenheit für ein erfrischendes Bad, Mylady, doch mit dem zusätzlichen Gewicht, das Ihr mit Euch schleppt, würdet Ihr natürlich wie ein Stein versinken.« Er lächelte schalkhaft und begutachtete ihre runden Formen.
»Erwartet Ihr, daß ich schwitzend am Strand sitze, während Ihr Euch im Wasser abkühlt?« Sie hob keck eine Braue.
»So verlangt es der Anstand«, belehrte er sie und stellte sie sanft auf die Füße.
»Überdenkt das noch einmal, Mylord!« Sie begann die Bänder ihres Obergewandes zu lösen. »Nie gab es ein unschicklicheres weibliches Wesen als mich, wie ich Euch immer klar zu machen versuche.«
Alaine streifte ihre Kleider bis auf ihr schenkellanges Hemd ab, während Rorik sich ohne jegliche Scham aller seiner Kleider entledigte. Sie liefen auf das lockende Wasser zu. Auch wenn Alaine nicht mehr so behende wie einst war, gelang es ihr, gleich hinter Rorik ins hoch aufspritzende, salzige Wasser zu stürzen.
»Ihr gleicht einem gestrandeten Walfisch«, spottete er, während sie am Rücken auf dem Wasser trieb. Ihre Gestalt war noch nicht plump, doch ließ er keine Gelegenheit aus, sie mit seinen Bemerkungen zu necken. Sie ging stets so herrlich darauf ein.
Sie prustete und spie eine Wasserfontäne auf ihn, dann tauchte sie weg, außer Reichweite für seine Rache. Eine Hand spannte sich um ihre Fessel und zog sie mit einem Ruck zurück. Sie tauchten an die Oberfläche wie tollende Delphine, lachend und nach Luft schnappend. Alaine hatte kaum Zeit, Luft zu holen, da landete schon Roriks Hand auf ihrem Kopf und tauchte sie in das kühle blaue Wasser unter.
Mit einem kräftigen Stoß schwamm sie in die Tiefe. Rorik erschien gleitend neben ihr, ein Meeresgott mit geschmeidigen Muskeln unter der sonnenverbrannten Haut. Er hielt sie mit kräftigen Armen und Beinen gefangen und neigte sich zu ihrem Mund herab. Ihr loses Haar wogte um ihre beiden langsam sich drehenden Körper und umfing sie in einem Netz aus Goldfäden. Träge, eindringlich und fordernd erforschte er ihren willigen Mund. Eine Hand glitt über ihre glatte Hüfte und tastete sich unter ihr Hemd, bis sie zwischen ihren Schenkeln lag. Heiße Feuchtigkeit hieß ihn willkommen. Plötzlich floß flüssiges Feuer in ihren Adern. Ein wollüstiger Schauder durchrieselte ihren Körper wie eine Flutwelle. Leidenschaft wallte in ihr auf, elementar wie das Meer. Jede Faser ihres Körpers verlangte, von ihm genommen zu werden – hier, mitten am Tag auf dem warmen Sand. Sie begehrte ihn. Oh, wie sehr sie ihn begehrte! Jedes Schamgefühl wurde von dieser brennenden Begierde hinweggefegt.
Sie kamen prustend an die Wasseroberfläche. Wortlos schob er sie sanft ans Ufer. Und wortlos drückte er sie auf den Sand, während das Wasser ihre Füße umspielte. Vor ihren gespreizten Schenkeln kniend, drang er zärtlich und langsam in sie ein. Warme Lippen berührten ihren Hals, während er begierig ihren bereitwilligen Schoß auskostete. Alaine gab sich der Ekstase seines ursprünglichen, primitiven Rhythmus’ hin, der in das Auf und Nieder des Meeres überging. Sie war jetzt nicht mehr sie selbst. Sie war jetzt ein neues Geschöpf, ein Zusammenfließen von Mann und Frau, groß wie die ganze Welt und gleichzeitig so winzig wie das winzigste Sandkorn. Das Meer flutete über ihre vereinigten Körper hinweg, im Wogen ihres Rausches. Mit eisernem Willen vermied Rorik in die Wollust hinabzutaumeln, entschlossen zu verweilen, den Genuß zu verlängern, die Zeit hinauszuzögern, fernab von einer Welt der Pflicht, des Mißtrauens, des Hasses und der Verwirrung. Bis seine rasende Lust ihre natürlichen Grenzen erreicht hatte. Er ergoß sich mit einem explosionsartigen Schauder, den sie mit einem Freudenschrei empfing. Das Meer wogte um sie in schäumendem Chaos. Die Hut kehrte zurück und nahm die stille Lagune wieder ein. Sie stolperten in den warmen Sand und fielen sich in die Arme. Als das vorwärtsdrängende Wasser erneut ihre Füße kitzelte, hob Rorik sein Haupt von seinem Sandkissen. Er blickte hinunter auf seine Frau. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre Lippen umspielten ein zufriedenes Lächeln. Seewassertropfen hingen an ihren dichten Wimpern. Er zupfte an dem nassen Gewand über ihren Brüsten.
»Warum behaltet Ihr dies an?« Er lachte amüsiert. »Wolltet Ihr Euch damit gegen die Überfälle Eures brünstigen Mannes wehren?«
Träge öffnete sie ein Auge. »Vielleicht will ich unter den Fischen mit meiner schwerfälligen Gestalt keine Entrüstung auslösen.«
»Wir haben heute schon unseren Beitrag geleistet, die Fische zu entrüsten«, gluckste er. »Hier.« Er zog sie auf und streifte den nassen Stoff über ihren Kopf. »Entledigen wir uns dieser Sache.«
Sie errötete und wandte sich ab, doch sein fester Griff hielt sie zurück.
»Versteckt Euch nicht vor mir, Alaine. Wie könnt Ihr nur solch jungfräuliche Scham an den Tag legen, nach all der Zeit, wo ich Euch mein Eigen nenne?«
»Es ist keine Scham, Mylord«, lachte sie. »Nur daß ich …« Sie deutete verschämt auf ihre nicht mehr so schlanke Gestalt.
Er drückte sie hinunter auf den Sand und betrachtete sie unverwandt und ohne jegliche Zurückhaltung. »Ihr seid wunderschön«, sagte er schließlich. »Jeder kleinste Teil an Euch ist wunderschön.« Er legte seine Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. »Besonders hier, wo mein Kind schläft. Ich necke Euch, weil Ihr so darauf eingeht.«
Mit einem leicht verlegenen Lachen kehrte sie sich ab. »Ich bezweifle, ob es schläft. Nicht nach Eurem Besuch.«
Rorik lachte unverschämt auf. »Ich statte ihm gleich einen weiteren Besuch ab, wenn Ihr mich nicht mit einer guten Mahlzeit ablenkt, meine Gemahlin.«
Die Wildpastete, der Käse, das Obst und der Apfelkuchen verschwanden in genüßlicher Hast. Während Alaine die Reste in ihre Satteltaschen zusammenpackte, lehnte Rorik sein Haupt schläfrig gegen die Felsenklippen und sah seine Frau mit einem wissenden Blick an.
»Nun, meine Gemahlin«, hub er an, »sagt, weshalb habt Ihr mich hier hinausgelockt und verführt.«
Alaine setzte sich neben ihn und sah ihn mit Unschuldsmiene an. »Ich habe Euch verführt?«
»In der Tat, das habt Ihr.«
»Ihr ward es, der darauf bestanden hat, nackt im Wasser herumzuhüpfen.«
Er grinste. »Und Ihr seid prompt hinterher gerannt mit diesem lächerlichen Hemd, das jede Linie Eures Körpers abzeichnet. Ihr wußtet, diesen herrlichen Beinen und dieser weißen Haut könnte ich nicht widerstehen.«
Sie hatte es nicht gewußt, doch war sie froh, daß er nicht hatte widerstehen können. Gewiß hatte sie es nie vorgehabt, das Gemüt ihres Mannes durch solch heimtückische, weibliche List zu besänftigen, doch könnten ihre Reize ihr tatsächlich zum Vorteil gereichen.
»Was wollt Ihr denn, meine Gemahlin? Ehefrau und Hure, wenn eine Frau sanft und anschmiegsam wird, dann hat dies immer einen Preis.«
»Nun, Rorik«, räumte Alaine ein. »Es ist wahr, ich habe eine Bitte an Euch und wollte allein mit Euch sein, um für meinen Fall zu plädieren.«
Sie holte tief Atem. Diplomatie war noch nie ihre Stärke gewesen, außerdem verfügte sie nicht über das Talent, ein schwieriges Thema vorsichtig anzugehen. Also nahm sie es unvermittelt in Angriff und hoffte auf das Beste. »Meine Stiefschwester Mathilde …« begann sie.
»Ja?«
Am besten, sie sagte es geradeheraus. Die Neuigkeiten würden auch nicht dadurch gemildert, wenn sie darum wie eine Katze um den heißen Brei schlich. »Sie ist in Garin verliebt. Und er erwidert ihre Gefühle. Sie haben mich gebeten, ein Wort für sie einzulegen, Rorik, in der Hoffnung, daß Ihr ihnen die Heiratserlaubnis gewährt.«
Rorik sah sie erstaunt an. »Garin und Mathilde?«
»Sie lieben sich schon lange. Noch vor dem Tod meines Vaters, glaube ich.«
»Hatte Euer Vater die Absicht, sie zu vermählen?« Seine Stimme klang argwöhnisch.
Alaine hätte dies gerne bejaht, doch erinnerte sie sich an den unerbittlichen Mann, der ihr Vater gewesen war, und wußte, daß er noch weniger Verständnis für das junge Paar als Rorik aufbringen würde. »Ich kannte seine Pläne nicht«, war ihr Zugeständnis.
»Ich hatte Sir Guillaume für Mathilde vorgesehen«, erklärte Rorik knapp.
»Sir Guillaume?« Alaine lachte ungläubig. »Guillaume ist alt und ein langweiliger, mürrischer Mann. Sie würden nicht zueinander passen, Mylord. Ihr würdet beiden keinen Gefallen tun.«
Rorik brummte. »Sir Guillaume ist ein wackerer Ritter und ein treuer Gefolgsmann. Er mag das Mädchen von Herzen gern und würde sie gut behandeln. Ich besitze einen Bergfried in der Nähe von Falaise, die einen guten Burgvogt dringend nötig hätte. Ich hatte vor, ihn dorthin zu schicken, wenn er einmal vermählt wäre, mit Williams Erlaubnis. Ich dachte sogar daran, ihm einen Lehen zu geben. Das hieße in dem Fall, er müßte einen Erben zeugen.«
»Hmm!« schnaufte Alaine empört. »Ihr Männer denkt doch nur daran, einen Nachkommen für Euren kostbaren Familiennamen zu zeugen. Ihr verschwendet keinen Gedanken an die Frauen und an ihre Wünsche!«
»Welche Wünsche hegt eine Frau denn noch, außer dem Wunsch nach dem starken Schwert eines Mannes, um sie zu beschützen und nach seinen Nachkommen?«
»Vielleicht den Wunsch nach seiner Liebe?« wagte Alaine kühn zu äußern.
Rorik starrte düster und stumm auf den Sand.
»Und Ihr, meine Gemahlin«, fragte er mit einem Stirnrunzeln. »Was würdet Ihr dafür geben, wenn diese Heirat zustande käme?«
Sie war sprachlos vor Erstaunen. Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Was könnte er noch von ihr haben wollen, was sie ihm nicht schon gegeben hätte? »Mylord, alles was ich habe, habt Ihr Euch schon genommen.«
»Ist dem so?« Er sah sie mit düster zusammengezogenen Brauen an. Sie erwiderte ohne mit den Wimpern zu zucken seinen Blick, bis er schließlich die Augen senkte. »Es sei, wie Ihr es wünscht.« Er fügte mit einem Lächeln hinzu: »Für dieses Mal.«
Nie zuvor hatte er Alaine so lächeln sehen. Er wollte sich nicht die Macht dieses Lächelns über sein Herz eingestehen. Außerdem wollte er sich nicht eingestehen, daß ihre Dankbarkeit ihm nicht genügte, er verlangte nach ihrer rückhaltlosen Liebe.
»Haltet ein, Weib!« Er lachte, als sie sich in heller Freude an seinen Hals stürzte. »Ihr geht ja wie ein Rammbock vor!«
Sie war fassungslos, er hatte tatsächlich ihretwegen seine Pläne geändert. Das bestärkte sie in ihrem Entschluß. Das Spiel war beinahe gewonnen.
Die Hochzeit sollte im Sommer stattfinden. Im Verlauf der langen, sonnigen Tage vor der großen Feier zwitscherte und flatterte Mathilde aufgeregt herum wie ein glückliches Vöglein. Die Burgfrauen nähten emsig an der Aussteuer. Die Jäger mühten sich, Eber und Hirsch für das Festmahl zu schießen, die Küchen- und Hausmägde schrubbten und fegten, putzten und säuberten alles blitzblank unter den wachsamen Augen von Joanna und Alaine. Mathilde schwebte von Tag zu Tag dahin, blind für alles, außer ihrer Liebe. Nichts konnte ihr etwas anhaben, nicht einmal Gunnors mürrische Laune und bissige Bemerkungen.
»Glücklich?« erkundigte sich Alaine lächelnd.
Mathilde antwortete mit einem schüchternen Nicken. »Glücklich … und etwas beklommen«, gestand sie. »Als ich Garin letzten Abend aus Ste. Claire hinausreiten sah, war er so männlich und schön, ich meinte, mir würde das Herz im Leibe zerspringen, Alaine. Doch konnte ich meine Bedenken nicht verscheuchen, wie es mit uns wird … ob ich ihm eine gute Frau sein werde und ob er an mir Gefallen finden wird. Auf einmal komme ich mir vor wie ein dummes Kind. Was weiß ich schon darüber, wie man einem Mann zu gefallen hat?«
Alaine nahm das Mädchen kurz in die Arme. »Ein Mann muß dich nur anschauen, um schon Gefallen an dir zu finden, meine Schwester. Du brauchst sonst nichts zu tun.«
Mathilde lachte ungläubig auf. »Wie ich gehört habe, neigen Männer dazu, mehr als nur zu schauen. In meiner Dummheit habe ich Garin alles geben wollen, was ich hatte, ehe das Gelöbnis gesprochen war. Und nun fürchte ich, er vermißt an mir etwas, was Männer von Frauen erwarten.«
Alaine lachte belustigt auf, doch tröstete sie gleich darauf die verletzt dreinschauende Mathilde. »Garin verweigerte dich, weil er dich in Ehren hält, mein Liebes. Mach dir keine Sorgen darüber, ob du ihm gefällst, liebe Schwester. Ich weiß, er begehrt dich mehr als alles andere auf der Welt. Zweifellos hat er viele Gefahren auf sich genommen, dich in den Armen zu halten. Hätte Rorik an eurer unbeugsamen Liebe Mißfallen gefunden, so hätte er gewiß Garin als land- und herrenlosen Ritter auf den Weg geschickt, sich eine Burg im hintersten Winkel des Landes zu erobern.«
Alaine schwieg, und Mathilde legte schwesterlich ihren Arm um ihre immer noch schlanke Taille. »Ich weiß nicht recht, warum ich so eine Gans bin. Doch unbotmäßige Gedanken um diese eine Nacht schwirren mir im Kopf herum. Hat es … hat es sehr weh getan … als Rorik dich ins Bett nahm?«
Alaine schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein Mathilde. Auch wenn er mich nicht liebte, so ist er doch sanft und gütig mit mir umgegangen. Was Mann und Frau miteinander tun, soll in Freuden und nicht in Angst getan werden.«
»Gunnor hat gesagt, wenn Männer brünstig sind, ist es ihnen gleichgültig, wen sie verletzen.«
»Hör nicht auf sie!« Alaine holte empört Luft. »Sie sieht alles aus ihrer verbitterten Sicht heraus. Garin liebt dich, und er würde sich eher den Arm mit dem Schwert abhacken, ehe er dir einen Schmerz zufügt.«
»Ich kann es nicht glauben, daß Rorik dich nicht liebt, Alaine.« Mathildes Gedanken wanderten prompt von ihren Ängsten zu dem Seelenschmerz ihrer Schwester.
Alaine schüttelte lächelnd den Kopf. »Eine Frau hat ihm großes Leid zugefügt. Die Pein und die Bitterkeit sitzen tief eingegraben. Zu tief, um von mir geheilt zu werden.«
»Doch du liebst ihn sehr.«
Alaine lächelte traurig. »Ist das so deutlich zu sehen?«
Mathilde zog Alaine in einer zärtlichen Umarmung an sich. »Du bist tapferer als ich, Alaine, aber das warst du schon immer. Vielleicht bin ich hoffnungslos von meinen kindlichen Träumen gefangen, doch dank dir sind meine Träume in Erfüllung gegangen. Ich bin voller Zuversicht, daß meine Träume für dich sich auch erfüllen werden.«
Mathildes Zweifel schmolzen in der Morgensonne und von Garins warmen Lächeln dahin, mit der er ihr vor dem Kirchenportal begegnete. Nie hatte es eine strahlendere und zufriedenere Braut gegeben. Als der Priester mit lauter Stimme die Mitgift verkündete, drückte Alaine Roriks Arm.
»Ihr habt Mathilde großzügig beschenkt, Mylord«, sagte sie. »Ich und Joanna sind Euch sehr dankbar.«
»Ich wollte der Stieftochter Sir Geoffreys durch eine kärgliche Mitgift keine Schande zufügen. Er war viele Jahre ein treuer Vasall meiner Familie. Das Land, das ich ihnen geschenkt habe, hat mir William vor zwei Jahren übergeben. Es ist ein kleines Lehnsgut, doch bringt es ihnen den nötigen Lebensunterhalt. Es war mir eine Selbstverständlichkeit, denn ich erachte mich als Glückspilz, einen so ergebenen Gefolgsmann wie Garin zu haben.«
»Garin wird Euch nicht enttäuschen«, versicherte sie ihm. »Weder hier noch irgendwo anders.«
Wie schön und gütig war doch ihr Lächeln, während sie ihre Stiefschwester, die vor der Kirche kniete, betrachtete. Sie hätte seinen Zorn in Kauf genommen, um diese beiden zu vermählen. Welcher Mann wäre einem Bruder oder einer Schwester so treu ergeben, die nicht seine Blutsverwandten wären? Rorik wollte die Worte aussprechen, die ihm auf den Lippen brannten, doch eiserne Fesseln des Mißtrauens und des Argwohns hielten ihn zurück. Niemals würde die Narbe verheilen, die seiner Mutter Verrat ihm zugefügt hatte. Und das war auch gut so, denn niemals könnte er diesen zarten Gefühlen, die Alaine in ihm hervorlockte, Vertrauen schenken. Sie glaubte, ihn zu lieben. Das hatte sie ihm in Augenblicken verraten, als sie meinte, er würde sie nicht hören. Doch hatte sie ihn nicht einmal betrogen? Wer weiß, ob sie es nicht wieder täte?
Der Tag verging mit ausgelassenem Feiern. Zwei Jongleure und eine Akrobatentruppe tanzten und schlugen Kapriolen für ein gutes Mahl und eine warme Lagerstatt. Wein, Bier und Essen waren im Überfluß vorhanden. Auch noch der niedrigste Leibeigene hatte an diesem Tag mehr als er in sich hineinstopfen konnte.
Der Tag ging über in den Abend. Man zündete Kerzen und Laternen an. Die Lustbarkeiten drohten sich bis in die Nacht hineinzuziehen, doch Joanna, die Brautmutter, bedeutete bald, es sei die Stunde gekommen, daß sich das frischvermählte Paar zu Bett begab. Die Adelsdamen im Gefolge von Mathilde begleiteten sie mit großem Pomp die Treppen hinauf. Einen Moment lang erbleichte die Braut und rang nach Atem. Sie ergriff Alaines Hand, die ihren Arm um die Taille des Mädchens legte und gemeinsam mit ihr die Treppen erklomm zum Gemach, wo das Brautpaar die Nacht verbringen würde.
Mathilde wurde dem Brauch gemäß entkleidet, und auf das mit blumenbestreute Brautlager gebettet. Dann überließ man sie ihrem Schicksal. Alaine betrachtete die angetrunkenen und witzelnden Männer, wie sie einen unsicher dreinblickenden Garin die Treppe hinauf zum Gemach führten. Da mußte sie an ihre eigene große Angst, Wut und Verwirrung in jener Nacht in ihrem Leben denken – die hauptsächlich durch Gunnors haarsträubende Geschichten entstanden waren. Wenn sie bedachte, daß diese Hexe selbst die Seele ihrer eigenen kleinen Schwester vergiften wollte! Doch Mathilde würde in dieser Nacht nichts als Freude empfangen. Alaine schämte sich, einen leisen Stich zu verspüren. Wie glücklich war doch eine Braut zu schätzen, die ihren Bräutigam in dem unerschütterlichen Wissen umarmen konnte, von ihm über alle anderen Frauen geliebt und geschätzt zu werden.
Garin öffnete die Tür zum Gemach und versperrte den Durchgang. Die Männer murrten enttäuscht, doch ließen sie endlich den Bräutigam die Türe hinter sich und seiner Braut schließen. Laut grölend gaben sie Scherze von sich, die gewiß nicht für die Ohren der Braut geeignet waren, während sie wieder die Treppe hinab in den Saal torkelten. Alaine gesellte sich nicht mehr zu ihnen, sondern schritt in Gedanken versunken auf ihr eigenes Gemach zu. Ehe sie ihre Türe erreicht hatte, hielt sie zögernd an. Ein zerrissenes Schluchzen drang aus der Kammer, in der Mathilde, Judith und Gunnor schliefen – jetzt nur mehr Judith und Gunnor. Alaine mußte nicht erst durch die halbgeöffnete Tür spähen, um zu wissen, wer da seine Tränen vergoß, während ganz Brix schwelgte und feierte. Sie empfand kurz Mitleid für ihre Stiefschwester. Wie traurig, daß sie nur Tränen fand, während alle anderen sich freuten.