19
Antonia hatte lange in das Orange geblickt, das die Junisonne auf den Wolken hinterlässt, wenn sie untergeht. Hineingeblickt vom Entstehen bis zum Verschwinden. Und dann in das Schwarz-Grau, das es nur einmal am Tag gibt, kurz, nachdem das himmlische Feuerwerk abgebrannt ist.
Jetzt war es finster. Die Piazza del Popolo war ein schwarzes Loch von unsagbarer Dichte, man konnte glauben, man könnte hinunterspringen und ewig fliegen. Doch nach ein paar Metern wäre Schluss.
Mörder, Mörder, Mörder.
Das Wort dröhnte in ihr. Nicht so sehr in Antonias Kopf, es dröhnte dort, wo sich die kurze Verliebtheit zwischen ihr und Milo abgespielt hatte, in ihrem Herz und ihrem Leib.
Mörder, Mörder, Mörder.
Sie hatte einen Mörder in ihren Körper aufgenommen, den Mörder ihrer Freundin. Wenn sie daran zurückdachte, an die Nächte mit Milo, an Milos Küsse, dann sah sie plötzlich Carlotta vor sich … Sie hatte Carlottas Mörder in ihren Körper aufgenommen.
Mörder, Mörder, Mörder.
Von hinten kam eine Umarmung, warme Hände, eine Wange, die sich an ihre schmiegte, Atem an ihrem Ohr. Sandros Atem.
Antonia wollte Sandro sagen, dass sie in dieser Nacht nicht würde schlafen können, da fiel ihr ein, dass sie Sandro nichts erklären musste. Er verstand von selbst, dass sie sich nicht einfach schlafen legen konnte, schon gar nicht in ihr Bett, in dem sie mit Milo geschlafen hatte, und zwar erst vor ein paar Tagen.
Mörder, Mörder.
Sandro streichelte ihren Leib. Er meinte es gut, tröstete Antonia. Doch sie, sie hatte nur einen Trost: Dass sie mit Milo gebrochen hatte, bevor sie wusste, was er war. Ihre Verliebtheit zu ihm war gestorben, genau einen Tag vor der Erkenntnis. Und wenn es eine Stunde gewesen wäre, auch gut. Wichtig war, dass sie sich nicht bis zuletzt gestattet hatte, ihn zu begehren, und dass etwas in ihr so stark und klug und intuitiv gewesen war, den Schnitt zu vollziehen.
Mörder.
Dadurch, dass es Sandro gab, war ihr mehr geholfen als dadurch, dass er sie streichelte. Seine bloße Existenz, die Tatsache, dass da jemand war, den sie mehr liebte als Milo, war der große Trost. Sandro war da. Durch ihn konnte sie sich verzeihen und war keine Verräterin an Carlotta.
Sandro holte eine Decke und breitete sie auf dem Boden aus. Sie legten sich gemeinsam darauf. Er drängte sich nicht auf, und seine Verschiedenheit im Vergleich zu Milo tat ihr gut. Sandros Brust war weniger behaart als die von Milo. Sandro roch anders, atmete langsamer. Die Hände waren feingliedrig, Edelmannhände.
In der Nacht hat die Zeit keinen Rhythmus. Antonia wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, als sie sagte: »Du liebst mich.«
Sie sagte nicht: »Ich liebe dich«, denn das wusste Sandro, und sie würde ihm noch oft, viele Male in ihrem Leben sagen, dass sie ihn liebte. Heute musste er wissen, dass sie wusste, dass er sie liebte. Das bedeutete weit mehr in so einer Nacht, in der noch das Aroma des Mörders in der Luft lag und in der der Mörder noch nicht ganz aus ihrem Leib verschwunden war.
Sie drehte sich zur Seite, und Sandro drehte sich mit. Sie spürte seinen Atem an ihrem Ohr, seine Hände, Beine, seinen Körper.
Der Schwarze Papst
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