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»An Gwynhwyfar, Tochter des Ogyrfan, Augusta, Kaiserin von Britannien«, begann der Brief, »von Menw, Sohn des Cynan, dem Fürsten aus der edlen Sippe der Söhne des Maxentius; ich grüße Dich vielmals. Nun, Cousine, jetzt hast Du sicher auch gehört, daß Dein Vater tot ist, und Du weißt, daß ich in der Herrschaft über unsere Sippe sein Nachfolger bin. Du darfst nicht erwarten, daß ich -wie er - Dir nach dem Munde rede und unser eigenes Schicksal den Verlauf nehmen lasse, den es mag. Ich habe vor, unseren Besitz und unser Vermögen zu mehren, was Du, trotz all Deiner Beteuerungen, daß Du uns liebst, und trotz Deiner Tugend niemals getan hast.

Als wir zum letztenmal miteinander redeten, hast Du mir gesagt, ich spräche wie ein Bettler, und hast mir befohlen, dieses Thema Dir gegenüber nie wieder zu erwähnen. Jetzt aber bin ich der Fürst und Herr von Deinem eigenen Fleisch und Blut, und obwohl Du über unserem Stand geheiratet hast, kann ich das jetzt von Dir fordern und muß nicht länger bitten. Die Ländereien, von denen ich sprach, könntest Du leicht für uns gewinnen. Dein Mann, der Kaiser, liest Dir jeden Wunsch von den Augen ab - so sagt man jedenfalls -, und Du mußt nur dafür sorgen, daß er die Angelegenheit unserem König gegenüber erwähnt, damit Ergyriad uns alles gibt, was wir verlangen, seien es auch Menschenleben anstatt von Ländereien.

Wenn Du uns diesen Dienst verweigerst, dann mach Dir nicht die Mühe, noch einmal zu schreiben. Ich werde wissen, daß Du geruht hast, nicht mehr Teil unserer Sippe zu sein, und wenn ich hier nur irgendwelche Macht besitze, dann sorge ich dafür, daß man Dich dementsprechend behandelt. Du bist nicht besser als wir, gleichgültig, wie hoch Du in der Welt aufgestiegen sein magst, und Du hast kein Recht, Reichtümer und Ehren für Dich zu behalten, die Du mit Deiner Familie teilen solltest. Akzeptiere, daß Du eine von uns bist, tu, was wir fordern, und ich will die Vergangenheit vergessen. Falls Du aber den kaiserlichen Purpur Deinem eigenen Blut vorziehen solltest, dann mußt Du dafür leiden.«

Ich legte den Brief auf den Tisch und starrte ihn an. Dann preßte ich die Handflächen gegen die Augen, als ob das den dumpfen, brennenden Schmerz darin lindern könnte. Wenn ich stillsitzen konnte, wenn ich weder denken noch fühlen konnte, auch nur für eine kleine Weile, dann vielleicht würden Zorn und Schmerz mein Herz nicht so sehr pressen.

Ich erinnerte mich an die Zeit, da ich meinem Vetter Menw gesagt hatte, er spräche wie ein Bettler. Vor drei Jahren hatte ich meinen Mann zu einem Besuch bei den nördlichen Königen begleitet, und wir hatten beim Besitz meiner Sippe die Reise unterbrochen und vorgehabt, eine Woche oder so zu bleiben. Es war das erstemal, daß ich zu Hause gewesen war, seit ich Artus geheiratet hatte und mit ihm nach Süden geritten war, um seine Burg für ihn zu verwalten. Mein Vater war meilenweit geritten, um mich zu empfangen, und er behandelte mich wie die gesegnete Mutter Gottes, die ganze Zeit, solange ich da war. Er hatte es immer genossen, mich zu verwöhnen - ich war sein einziges Kind, und meine Mutter war gestorben, als sie mir das Leben schenkte. Also hatte er niemand anderen, den er verwöhnen konnte. Menw hatte recht, als er das sagte. Und dennoch - darum ging es nicht. Er hätte fähig sein müssen, das einzusehen.

Als ich zwei Tage zu Hause gewesen war, bot Menw mir an, mich zum Haus eines alten Freundes zu begleiten, den ich besuchen wollte. Ich hätte statt dessen auch ein paar von Artus’ Kriegern mitnehmen können, aber ich war gerührt, daß mein Vetter sich anbot, und stimmte sofort zu. Als wir noch klein waren, hatte er mich immer irgendwie unterdrückt, und ich glaubte, daß er das wiedergutmachen wollte. Aber kaum waren wir vom Gehöft losgeritten, als er auch schon anfing, ganz deutlich von der Macht zu sprechen, die ich als Frau des Kaisers haben mußte, und es wurde mir ungemütlich. Ich hatte diese Geschichte schon von zu vielen Bittstellern gehört, als Vorwort zu allzu vielen Bitten um Gerechtigkeit, Geld oder Rache, um es nicht sofort zu erkennen. Und tatsächlich, auf dem Rückweg zügelte Menw sein Pferd auf einem Hügel und schaute über das Land, und in seinen Augen lag ein berechnender Blick.

»Schön!« bemerkte er.

Ich nickte. Die Dämmerung lag purpurn über den Hügeln, und die sanften Sterne des Sommers stiegen im Osten über dem Gehöft empor. Im Norden sprang die Römische Mauer hinter uns in den Sonnenuntergang auf, der die Grenzen des Alten Reiches verbrannte.

»Das Land da«, fuhr Menw fort und zeigte nach Südosten, »gehört nur zum Teil nicht uns.« Sein Tonfall verlieh den Worten »nicht uns« eine eigentümliche Bedeutung, und als ich ihn scharf anschaute, sah ich, daß er ein hinterlistiges, bedeutungsvolles Lächeln zeigte. Menw war ein großer Mann mit dichtem, dunklem Haar und schweren Augenbrauen, und das Lächeln stand ihm sehr schlecht.

»Wolltest du irgend etwas sagen?« fragte ich und hoffte, daß meine Kälte ihn entmutigte.

Aber er schien erfreut, und er schlug mir ganz offen eine Intrige vor, wie man das Land des Nachbarn durch offizielle Urkundenfälschung und durch Betrug erlangen konnte. »Niemand wäre überrascht«, sagte er mir. »Durch dich sind wir nicht nur von Adel und von römischer Herkunft, sondern wir gehören auch zur Sippe des Kaisers. Die Söhne des Hueil sind kaum mehr als Bauern, und noch dazu rebellische - wußtest du, daß sie in Brans Rebellion mitgefochten haben? Und sie sind unehrlich, und sie wiegen falsch, wenn sie handeln, und sie sind keinem von Nutzen. Wir haben mehr Recht auf das Land als solche wie die.«

»Aber was haben sie getan, das verbrecherisch genug wäre, sie der Ländereien ihrer Väter zu enteignen?«

Er schaute verblüfft drein. »Was meinst du damit, was sie getan haben? Es geht darum, was sie sind - und was wir sind.«

»Die Gesetze sind deutlich, Menw. Ich kann dir nicht helfen.«

Sein Blick wurde finster. »Du meinst, du hast nicht den Wunsch, uns zu helfen.«

Ich schüttelte den Kopf. Aber es hatte keinen Zweck, so zu tun, als ob ich ihn mißverstanden hätte und glaubte, daß er nur einen rechtlichen Rat haben wollte. Er wußte, daß ich ihn verstanden hatte, und zornig behauptete er jetzt, das Wohlergehen meiner Familie sei mir gleichgültig. Es hatte keinen Zweck, ihm von den Banden der Gerechtigkeit und der Gesetze zu erzählen; er wollte nicht mehr begreifen, als daß es ein Band gibt, das jeden an seine Sippe bindet. Schließlich wendete ich einfach meine Stute und ritt weiter zum Gehöft hinüber, aber er weigerte sich, das Thema fallenzulassen, und ritt hinter mir her. Er schrie, wir brauchten das Land. Da erst sagte ich ihm, er spräche wie ein Bettler. Da drängte er sein Pferd gegen meines und packte meinen Arm, und sein Gesicht war dunkel vor Zorn, und ich mußte meine Stute anhalten, aus Angst, von ihrem Rücken gerissen zu werden.

»Du selbstsüchtige Füchsin! Was willst du mit all diesen Reichtümern und Ehren? Große Dame, die du sein magst, Kinder hast du nicht, an die du sie weitergeben kannst. Wenn ich dein Mann wäre, dann würde ich dich verstoßen und irgendeine Schlampe heiraten, die mir einen Erben schenken kann. Ich würde dich sofort verstoßen, hörst du? Und wenn er dich verstößt, dann wirst du deine Sippe brauchen. Denk besser darüber nach, wen du einen Bettler nennst, >edle Dame<!«

Ich schlug ihm ins Gesicht, entriß ihm meinen Arm, und dann, da ich weder mir noch ihm darin trauen konnte, mehr zu sagen, spornte ich mein Pferd in den Galopp. Er galoppierte hinter mir her und brüllte, aber mein Pferd war schneller als seins, und er kam mehrere Minuten, nachdem ich meine Stute im Hof zum Halten gebracht hatte, am Gehöft an. Ich wartete, bis er abgesessen war, und stieg dann selbst herunter. Ich warf ihm die Zügel meiner Mähre zu, als ob er ein Pferdeknecht wäre, und sagte: »Erwähne dieses Thema nie wieder«, und ließ ihn zurück. Er hielt das schwitzende Pferd, starrte mich an, und seine Augen leuchteten vor machtlosem Haß.

Und jetzt war mein Vater tot, und Menw war Fürst unserer Sippe. Vater, dachte ich, und versuchte noch immer, es zu verstehen. Ich hatte erst in der vergangenen Woche von seinem Tod gehört, und ich glaubte es noch immer nicht so recht. Es ist schwer zu glauben, daß jemand tot ist, wenn man fern von ihm gelebt hat. Der andere hat dann keinen Teil im Muster unseres eigenen Lebens, und man vermißt ihn nicht bei den alltäglichen Dingen. Es schien mir, als ob ich nur nach Hause gehen müßte, und er würde dort warten, genauso jung und stark wie in meinen frühesten Erinnerungen, und noch nicht einmal gebeugt und schwach, wie er bei diesem schrecklichen letzten Besuch gewesen war. Aber mein Vater wartete nicht mehr. Er würde nie wieder zu Hause auf mich warten. Und jetzt, nach diesem Brief, konnte auch ich überhaupt nicht mehr nach Hause gehen.

Ich nahm meine Hände von den Augen und starrte den Brief an. Zu Hause. Das war ein seltsamer Name für das ferne Gehöft im Norden, das ich vor elf - nein, zwölf Jahren verlassen hatte, um in dieser Festung Camlann zu wohnen. Ich versuchte, mich noch daran zu erinnern. Das Haus war vom Urgroßvater meines Großvaters erbaut worden, der sein Land vom Kaiser Theodosius empfangen hatte, dem letzten der römischen Kaiser, der starb, als das Reich noch stand. Dieser Vorfahr - der Maxentius, nach dem wir uns benannten - war ein Militärbeamter der britischen Provinz Valentia gewesen. Er hatte das erstemal, als die Provinz fast von den Sachsen überrannt worden war, tapfer für Theodosius gekämpft, und unsere

Ländereien waren sein Lohn gewesen. Er hatte das Haus aus grauen Feldsteinen erbaut, teilweise in der römischen, teilweise in der britischen Art. Sein römisches Atrium war von meinem Urgroßvater mit einem Strohdach versehen worden und wurde dadurch zu einer Halle, und der gleiche Großvater hatte auch den Mosaikfußboden im Atrium ausgegraben und statt dessen dort eine Feuerstelle errichtet. Die Feuerstelle hatte noch immer einen Rand aus gemusterten Fliesen: Ich konnte mich daran erinnern, daß ich auf ihnen gespielt hatte, als ich noch klein war, während die älteren Mitglieder der Sippe am Feuer saßen und sich unterhielten. Mein Vater hatte mir einmal gesagt, daß das Mosaik einen Mann darstellte, der auf einem feurigen Streitwagen durch die Sterne fuhr, und ich pflegte mir früher immer vorzustellen, wie dieses Bild wohl ausgesehen hatte. Der Gedanke rührte mich. Ich war nicht sicher, wie ein Streitwagen aussah - manchmal stellte ich mir das Fahrzeug wie einen Karren vor, manchmal auch wie eine Art Schubkarre -, aber immer konnte ich mir vorstellen, wie es im Feuer über den weiten Himmel fuhr, an den Winden des Himmels vorüber und an den Sternen. Ich spielte, wenn ich auf meinem Pony hinaus in die Hügel ritt, immer, daß ich den Streitwagen fuhr, oder auch manchmal, wenn wir mit unserem Karren vom Gehöft nach Süden fuhren, um Korn zu holen.

Das Land um unser Haus war wild und schön und dünn besiedelt. Das nächste Gehöft lag drei Meilen entfernt und die nächste Stadt -Caer Lugualid an der Küste - einen vollen Tagesritt. Einmal waren näher bei uns andere Städte gewesen. Die Römische Mauer zog sich ungefähr eine Meile von unserem Gehöft vorüber, und in Abschnitten an dieser Mauer entlang lagen die Ruinen von Städten und Garnisonen, die alle schon lange aufgegeben waren. Von der Zeit an, wo ich alt genug war, um ein Stück zu reiten, zog ich immer mit einigen meiner Vettern dorthin und suchte nach Schätzen in den Ruinen. Wir krabbelten unter den eingestürzten Dächern entlang und gingen durch die grasüberwucherten Straßen. Lange Zeit akzeptierte ich die Ruinen, genauso einfach, wie ich die Hügel akzeptierte. Und ich wunderte mich nur über das, was ich in ihnen fand - eine zerbrochene gläserne Flasche, die vom Alter schillerte; eine Kupfermünze mit dem Kopf eines uralten Kaisers; eine winzige Bronzestatue von einem Gott. Aber als ich ein bißchen älter wurde, fing ich an, mich zu fragen, wie es wohl gewesen war, als diese Städte noch voller Menschen waren, wie sie wohl in einem Land gelebt hatten, wo jetzt nur noch so wenige lebten, und wohin sie alle

gegangen waren. Eines Tages fragte ich meinen Vater.

»Sie haben das Reich geschützt, mein kleiner Liebling«, sagte er mir. »Es waren Soldaten wie unser Vater Maxentius, die an der Mauer stationiert waren, um Britannien gegen die Sachsen zu verteidigen. Und wie sie gelebt haben - nun, der Kaiser ließ ihnen von Süden her mit den Schiffen Korn bringen. Hunderte von Schiffen brachten es nach Caer Ebrauc, die Küste herauf, dorthin, wo unser König Caradoc heute lebt, und von dort wurde es zu all den Menschen gebracht, die an der Mauer lebten. Und die Schiffe brachten nicht nur Korn, mein Mädchen, sondern auch die Schätze, nach denen du immer suchst. Glas und Gold und Seide und feine Färbemittel und Gewürze aus dem Osten, den ganzen Weg von Konstantinopel, wo der Kaiser regiert.«

»Aber Uther Pendragon ist der Kaiser«, deutete ich an, »und er wohnt nicht in Kon... in der Stadt, die du genannt hast, sondern in Camlann, in den Südländern.«

»Uther Pendragon ist der Kaiser der Provinzen von Britannien, das ist wahr. Er ist König über die anderen Könige von Britannien, und ihm fällt hauptsächlich die Aufgabe zu, Britannien gegen die Sachsen zu verteidigen. Aber einmal gab es ein Reich, das über die ganze Welt verbreitet war, und alle Provinzen von Britannien zusammen bedeuteten nur seine westliche Grenze. Und der östliche Teil des Reiches ist noch stark, und er wird von Konstantinopel beherrscht, das liegt so weit weg, daß ein Schiff von jetzt bis zum Michaelistag segeln könnte und es doch noch nicht erreicht hätte.«

»Warum regiert dieser Kaiser dann nicht auch noch Britannien? Und was ist mit all den Menschen an der Mauer passiert?«

»Er hat früher nicht von Konstantinopel aus regiert; er regierte von Rom aus. Die Menschen an der Mauer, Gwynhwyfar, haben die Mauer und Britannien verlassen und sind ausgezogen, um Rom zu verteidigen. Aber sie haben versagt. Und weil sie versagten, gibt es in Rom keinen Kaiser mehr, nur noch einen in Konstantinopel und einen in Camlann.« Und mein Vater erklärte mir alles, was mit dem Fall von Rom zu tun hat. Ich war jung: Ich hatte diese Geschichte noch nie gehört. Aber mein Vater war ein gelehrter Mann und besaß Bücher der Geschichte und Philosophie, aus denen er einiges über die Zeitspanne und die Welt außerhalb der kleinen Gegenwart wußte, in der wir jetzt lebten. Ich war beeindruckt. Ich hatte gelernt zu lesen, zusammen mit meinen Vettern, denn wir waren von Adel und römischer Herkunft. Mein Vater bestand darauf, daß wir lesen lernten, aber bis dahin war meine Kenntnis des Geschriebenen auf einfache Botschaften und auf Rechnungen beschränkt gewesen, zusammen mit der Fähigkeit, stotternd ein Evangelium zu lesen, das zwischen Nachrichten und Rechnungen steckte. Die Geschichte von Rom traf mich wie eine Vision. Ich konnte die Mauer oder die Fliesen um die Feuerstelle oder meine Sammlung von Kleinigkeiten aus den Ruinen nicht mehr ansehen, ohne daß das riesige Imperium vor meinen inneren Augen aufstieg wie die Welt, die sich beim Aufleuchten eines Blitzes enthüllt. Mit der Hilfe meines Vaters fing ich an, mich durch die engbeschriebenen Seiten seiner Bücher zu kämpfen, bis mir die Augen schmerzten.

Ich glaube, daß dies die wichtigste Erinnerung an zu Hause ist: das Zimmer meines Vaters mit seinem Teppich aus Wolfsfell und seiner kupfernen Lampe, ich selbst neben meinem Vater sitzend, sein Arm um mich, und wir beide gebeugt über irgendein Buch, das offen vor uns auf dem Tisch liegt, während wir mit komplizierten lateinischen Abkürzungen kämpfen und uns gegenseitig über unsere Fehler auslachen. Mein Vater war ein einsamer Mann gewesen, bis ich ein Interesse an seinen Büchern zeigte. In einem sanfteren Zeitalter hätte er vielleicht ein Gelehrter sein können. Und wäre er ein unwichtiges Mitglied der Sippe gewesen, dann hätte er sie vielleicht verlassen und Mönch werden können. Aber sein Vater hatte ihn dazu bestimmt, die Fürstenwürde nach ihm zu übernehmen, und die Sippe hatte ihn bestätigt. So konnte er nur sein Bestes geben, um der schweren Verantwortung nachzukommen und sich dabei nicht schuldig zu fühlen, wenn er Zeit mit seinen Büchern verbrachte. Er hatte niemanden außer mir, mit dem er darüber reden konnte. Meine männlichen Verwandten waren nicht sonderlich am Lesen interessiert, abgesehen von dem, was offensichtlich nützlich war. Das war eigentlich auch nicht überraschend. Wir waren von Adel, und das bedeutete, daß sie immer damit beschäftigt waren, die Kunst des Krieges zu lernen, während sie gleichzeitig die Aufgabe meistern mußten, sich um unsere Ländereien zu kümmern. Gelegentlich ritten die Älteren davon und kämpften für unseren König Caradoc von Ebrauc, und dann kamen sie zurück und gaben an mit ihren Leistungen und erweckten in den Jüngeren den Neid. Was meine weiblichen Verwandten anbetraf, so mußten sie spinnen und weben und nähen lernen und schlachten und kochen und das Vieh gegen viele verschiedene gewöhnliche Krankheiten zu heilen und Käse und Met zu machen und Bienen zu halten und hauszuhalten und die Dienstboten zu beaufsichtigen und sich um die Kontobücher des Gehöftes zu kümmern. Ich mußte die gleichen Dinge lernen, aber ich rannte immer schamlos weg, besonders vor dem Kochen und Haushalten (es machte mir Spaß, buchzuführen und

- Gott helfe mir - die Dienstboten zu beaufsichtigen), und mein Vater strafte mich nie dafür, obwohl er das vielleicht hätte tun sollen. Manchmal sagte er zögernd: »Gwynhwyfar, du solltest eigentlich beim Geflügel helfen«, und dann antwortete ich: »Natürlich, Vater, aber könntest du mir zuerst erklären.«, und zwei Stunden später erklärte er dann noch immer.

Manchmal schämte ich mich, weil ich der Arbeit aus dem Weg ging, und ich schämte mich noch mehr dafür, meinen Vater auf diese Weise zu manipulieren, und dann entschloß ich mich, in der Zukunft braver zu sein, und arbeitete sehr hart an Dingen, die ich am meisten verabscheute. Aber immer rührte sich dann in mir wieder die Bewunderung oder das Erstaunen bei dem Gedanken an die Vergangenheit, und ich ging zurück zu den Büchern und suchte die Antwort für eine Frage, und ich blieb und beantwortete zwanzig Fragen, während die kleinen Sorgen des Tages in den Jahrhunderten versanken.

Unsere Sippe war immer ziemlich beschäftigt. Der größte Teil unseres Landes war nur für Schafszucht zu gebrauchen, aber Weizen bekamen wir von abhängigen Sippen weiter im Süden, und Vieh und Pferde züchteten wir auf den Weiden in den Tälern. Die Ländereien, die mein Vetter Menw jetzt begehrte, waren gutes Land für Vieh. Aber wir brauchten diese Gebiete nicht, um reich zu werden. Unsere Familie war immer eine der wichtigsten Familien im Norden von Ebrauc gewesen. Im Süden und im Westen, selbst im Norden auf der anderen Seite der Grenze, in Rheged, wurden wir respektiert, geehrt und gefürchtet. Über den Osten sprachen wir nicht, als ich noch jung war, denn dort lag das sächsische Königreich Deira, aus dem jederzeit Banden von Kriegern auf Raubzug hervormarschieren konnten, um Gehöfte niederzubrennen und Vieh wegzutreiben. Ein östlicher abhängiger Nachbar erlitt solch ein Schicksal in einem schlechten Winter, und wir konnten nur sehr wenig tun, um den Überlebenden zu helfen. Manchmal wurden im Flüsterton Berichte weitergegeben, daß dieses oder jenes Gehöft genommen worden sei und welche Todesfälle, Vergewaltigungen und Brutalitäten die Opfer erlitten hätten. Manchmal tauchten Elendsgestalten auf und bettelten bei unserem Haus, halb verhungert und verzweifelt. Sie hatten Land und Lebensunterhalt an die Sachsen verloren. Es wurde schlimmer, als ich älter wurde. Solange Uther Pendragon Kaiser blieb, gab es noch eine Art Ordnung, aber als er starb, da fochten die Könige von Britannien darüber, wer ihm nachfolgen sollte, und sie waren zu beschäftigt mit ihrem Kampf, um sich viel darum zu kümmern, daß die Sachsen aus dem Land gehalten wurden.

Dann, im Herbst meines einundzwanzigsten Jahres, ritt der neue Kaiser Artus mit seinen Männern vom Osten herein und ließ eine zerschlagene sächsische Armee hinter sich. Er bat meinen Vater um Gastfreundschaft und um einen Platz, wo er seine Verwundeten lassen konnte.

Ich war beim Hören dieser Geschichte immer voll Ehrfurcht. Ich hatte Berichte von ihm gehört, solange ich mich erinnern konnte. Zuerst war er nur der Leiter des kaiserlichen Heerbannes unter dem alten Kaiser gewesen, aber dann, als der Bürgerkrieg ausbrach, war er der einzige gewesen, der weiterhin gegen die Sachsen kämpfte. Aber nachdem der Krieg sich mehrere Jahre lang hinzog und nachdem im Süden eine massive sächsische Invasion stattgefunden hatte, da forderte Artus den kaiserlichen Purpur für sich selbst und besiegte die anderen, die den Titel des Kaisers gewinnen wollten. Artus hatte kein verbrieftes Recht darauf. Er war zwar der Sohn des Kaisers Uther, aber er war ein Bastard von einer unbekannten bäuerlichen Mutter und ein Mann ohne Sippe, eine Waise, die aus Erbarmen in einem Kloster aufgezogen worden war. Zuerst war ganz Britannien empört darüber, daß er den Thron bestiegen hatte. Aber er war ein unvergleichlicher Heerführer. Er verteidigte nicht nur die Grenzen von Britannien gegen sächsische Invasionen, sondern er drang tatsächlich in die sächsischen Länder ein und brachte sächsische Könige dazu, ihm Tribut zu zahlen und sich dem Imperium zu unterwerfen. Viele der britischen Könige haßten ihn weiterhin wegen seiner niedrigen Geburt, und die Kirche nannte ihn einen Antichristen und Teufel, weil er die Kirche mit Steuern belegte, um seinen Krieg gegen die Sachsen zu bezahlen. Aber mein Vater sagte: »Mir macht es nichts aus, wenn er ein Teufel ist, solange er wie ein Engel Gottes regiert.« Und ich fing an, Artus auch zu unterstützen. Als er also eines grauen Morgens bei unserem Gehöft auftauchte und sein ganzer Heerbann hinter ihm zog, da sparte mein Vater nichts und niemanden, um ihn willkommen zu heißen.

Ich wurde von einer meiner Tanten wachgerüttelt, man erzählte mir unzusammenhängend, was los war, und befahl mir, zu kommen und zu helfen. Ich ging hinaus in die Dämmerung und fand den Hof voller bewaffneter Männer auf großen Pferden, die aus dem Nebel herausragten. Ihre Speere sahen aus wie ein Wald im Winter. Ich sah meinen Vater in der Mitte des Hofes und eilte zu ihm hinüber. Er redete mit einem hochgewachsenen blondhaarigen Mann, der aufblickte, als ich herüberkam. Seine Augen hatten die Farbe des Nebels. »Ach, da bist du ja«, sagte mein Vater. Er klang ruhig, aber ich wußte, daß er sehr aufgeregt war. »Dies ist meine Tochter Gwynhwyfar, mein Fürst. Sie ist ein vernünftiges Mädchen. Du kannst ihr die Verantwortung für die Verwundeten übertragen.« Und mir sagte er in gedämpftem Ton: »Das ist der Kaiser, mein Mädchen. Er hat gerade Fflamddwyn besiegt. Meinst du, wir könnten die Verwundeten in den Kuhstall bringen? Im Haus ist für alle kein Platz.«

Ich hatte angenommen, daß Artus im mittleren Alter wäre. Ich hatte ihn mir als einen grauen, hageren alten Krieger vorgestellt, der den kaiserlichen Purpur so ungeschickt trägt wie die Krähe in der Fabel die gestohlenen Pfauenfedern. Aber er war kaum dreißig, sein Haar und Bart hatten die Farbe des Weizens vor der Ernte, und seine Augen sahen aus, als ob sie die Sonne hinter sich hätten. Als ich herausstammelte, daß wir für die Verwundeten nur einen Kuhstall hätten, da lächelte er und sagte: »Das ist genug«, und dann rief er verschiedene Männer aus dem Nebel wie ein Zauberer, der sie aus der Luft ruft, und sagte mir, ich sollte ihnen auftragen, was sie zu tun hätten. Natürlich sagten mir die Männer letzten Endes, was ich zu tun hatte, und Artus schritt herein, als es halb getan war und als die meisten Verwundeten versorgt waren, um nachzusehen, daß es ihnen gutging. Er hatte sich schon um die anderen gekümmert.

Ich hatte schon früher Verwundete gesehen, in solchen Zeiten. Aber ich hatte noch nie so viele gesehen, die so frisch aus der Schlacht kamen. Ich war verwirrt, entsetzt, ich schaffte es kaum, Artus’ Chirurgen zu sagen, wo die Verbandsstoffe waren, oder den Dienern vernünftige Befehle zu erteilen. Die Welt außerhalb unseres Gehöftes, der Rest des Imperiums meiner Träume, war über uns hereingebrochen wie ein Sturm.

Artus blieb nicht lange. Er war eifrig darauf aus, seine Kampagne gegen die Sachsen fortzuführen, ehe der Winter die Straßen unpassierbar machte. Aber er ließ seine Verwundeten bei uns und bat darum, unser Gehöft zu einem seiner Stützpunkte machen zu dürfen, und er versprach mit einem Glänzen trockenen Humors, sich selbst zu versorgen und nicht von uns zu borgen. Das war wichtig. Wie willkommen er uns auch war - sein Heerbann, die >Familie< des Pendragon, zählte fast siebenhundert ausgebildete Krieger, und dazu kamen noch Arzte, Pferdeknechte, Waffenmeister und ein paar Dienstboten und mehr als zweimal diese Zahl an Pferden. Man brauchte ein Königreich oder zwei, um sie alle zu versorgen, und die meisten Königreiche von Britannien waren berüchtigt dafür, daß sie zum Unterhalt des Heeres nur sehr zögernd beitrugen. Zum Ergebnis neigte die >Familie< dazu, sich zwar hauptsächlich vom Plündern der Sachsen zu ernähren, aber auch Vorräte von da zu nehmen, wo sie sie finden konnte. Die meisten Männer in der Stellung meines Vaters hätten ihr Äußerstes getan, den Kaiser dazu zu überreden, seine >Familie< anderswo hinzuführen - denn man kann sich einem Kaiser nicht direkt verweigern. Aber mein Vater zögerte nur einen Augenblick, ehe er Artus’ Vorschlag, einen Stützpunkt zu bilden, zustimmte. Es war offensichtlich, daß Artus diese Zustimmung überraschte, und er war mehr als nur ein bißchen erfreut.

Während des nächsten Jahres war der Kaiser mit größeren Unterbrechungen immer wieder auf unserem Besitz und führte seinen Feldzug gegen die nördlichen sächsischen Königreiche fort. Er konnte den Feldzug nicht beschleunigen, denn seine Streitmacht war viel kleiner als die Heere, die die sächsischen Könige aufbieten konnten. Also wagte er es nicht, sich den Sachsen in der offenen Schlacht zu stellen. Statt dessen versuchte er, sie durch Raubzüge zu ermüden, und tauchte immer plötzlich auf, wenn sie glaubten, er sei hundert Meilen weit entfernt, und den größten Teil ihrer Armeen nach Hause geschickt hatten. Wenn Artus glaubte, die Zeit sei reif, dann würde er seine britischen Unterkönige darum bitten, ihre Armeen zusammenzurufen und eine offene Schlacht gegen die Sachsen zu wagen, aber lange Zeit waren sie dafür zu stark. Artus hatte diese Taktik mit einigem Erfolg gegen die südlichen Sachsen angewendet, aber er erzählte uns, daß sie nicht geschlagen waren, wie wir gedacht hatten, sondern nur aufgehalten. »Es wird weitere drei oder fünf Jahre dauern, bis sie richtig befriedet sind«, sagte er. Auf späteren Besuchen hatte er Zeit, mit uns zu reden. Er sprach hauptsächlich über das Reich. Die Sachsen zu besiegen, das war für Artus nur der erste Schritt zum Ziel, das Reich zu bewahren. Seine klösterliche Erziehung hatte ihn gezwungen, Bücher zu lesen, und er wußte, daß das Reich einmal mehr gewesen war als nur ein Mann in einem purpurnen Umhang, der eine Streitmacht anführte, um die Sachsen zu vernichten, wenn sie zu oft angriffen. Artus hatte über den Wert des Friedens nachgedacht und über unparteiische Gerechtigkeit, und er konnte sich vorstellen, wie es sein würde, in einer Welt zu leben, die nicht dauernd im Krieg mit sich selbst lag. Er und mein Vater redeten bald locker und eifrig miteinander. Wenn Artus vom Reich redete, dann leuchteten seine Augen, und wenn er einen neuen Gedanken gedacht hatte, dann war er unfähig stillzusitzen, sondern sprang auf und schritt im Zimmer umher, und sein purpurner Mantel flatterte. Und dann blieb er plötzlich stehen, wenn er wußte, was er sagen wollte. Ich beobachtete ihn immer und dachte an den Mann auf dem Mosaik, das ich nie gesehen hatte, an den Mann, der den Streitwagen aus Feuer lenkte. Einen Streitwagen wie Artus’ Reich, das hoch gefährdet durch die dunklen Ruinen des Westens wirbelte. Ich betete nur, daß dieser Streitwagen nicht zwischen den Winden zerbrach.

Wäre ich ein Mann gewesen, ich hätte Artus wahrscheinlich gebeten, mich in seinem Heer zu dulden. Wie die Dinge aber standen, konnte ich nur dafür sorgen, daß unser Besitz gut geführt wurde, damit er als Stützpunkt für ihn nützlich war, und ich konnte zuhören, während er mit meinem Vater redete - gelegentlich vergaß ich dabei die Bescheidenheit, die man von einer unverheirateten Frau erwartete, und mischte mich ein. Einmal, bei seinem dritten Besuch, stellten Artus und ich fest, daß wir allein miteinander sprachen, während mein Vater uns beobachtete. Wir hielten beschämt inne, und ich meinerseits fürchtete mich plötzlich. Wir betrachteten einander aus einem großen Schweigen heraus. Danach sattelte ich meine Stute und ritt hinaus zur Mauer, unvorsichtigerweise allein in dem grauen Nachmittag. Ich ließ das Pferd im Schritt an den zerfallenen Befestigungen entlanggehen und versuchte, vernünftig zu sein. Warum sollte der Herr Artus, Augustus, Kaiser von Britannien, Notiz von der Tochter eines unbekannten nördlichen Adligen nehmen? Ich würde vernünftig sein, beschloß ich, und nach und nach würde auch die Enge, die sich um mein Herz schloß, wenn er mich anschaute, verschwinden.

Aber als ich zum Gehöft zurückkehrte und meine Stute auf die Weide ließ - in den Ställen war kein Platz für sie, denn sie waren voll von Artus’ Männern -, da begegnete ich Artus wieder. Er sah mich, wie ich den Sattel zurücktrug, und eilte zu mir herüber und nahm ihn mir ab. Dann, während er den Sattel über seinen Arm hängte, runzelte er die Stirn, schaute mich an und sagte: »Du mußt eine ganze Strecke weit geritten sein, Lady Gwynhwyfar. Die Satteldecke ist feucht. Für eine Frau ist so etwas nicht sicher, bei solchen Zeiten und so nah der Grenze. Besonders du solltest das nicht tun.«

»Warum besonders ich, mein Fürst?« fragte ich, ehe ich nachgedacht hatte.

Einen Augenblick lang starrte er den Sattel an, dann blickte er plötzlich auf und schaute mir direkt ins Gesicht. Ohne Antwort wandte er sich ab und brachte den Sattel in die Ställe. Er legte ihn an seinen Platz. Ich blieb draußen stehen, und mir wurde klar, daß es nicht mehr nötig war, sich mit mir selbst auseinanderzusetzen, und ich hatte plötzlich noch mehr Angst.

Nach der Ernte heirateten wir, im Jahr nach Artus’ erstem Besuch. Mein Vater konnte über die Ehe nur froh sein. Er hatte meinen Wert sehr hoch angesetzt, und deshalb war ich bis zum Alter von zweiundzwanzig Jahren unverheiratet, bis zu einem Alter, wo die meisten Frauen schon zwei oder drei Kinder haben. Aber jetzt war er der Schwiegervater eines Kaisers, und auf seltsame Weise bestätigte sich so auch die Liebe meines Vaters zu mir und bewies gleichzeitig seine Hingabe an das Alte Reich. Mein Vater war stolz und glücklich. Aber sein Schmerz ging tiefer als die Freude, denn ich ließ ihn allein. Ich ging nach Süden, nach Camlann, mit einer Eskorte von Verwundeten und Krüppeln, die Artus aus dem Krieg nach Hause schickte. Ich sollte Artus’ Burg für ihn führen und Vorräte auftreiben, während Artus seine Kampagne im Norden zu Ende führte.

Menw hatte mit bitterem Neide von den >Reichtümern und Ehren< gesprochen, die ich empfangen hatte. Aber weiß Gott, die Ehren waren in den ersten Jahren selten, und was die Reichtümer betraf, so hatte ich es schwer, genug zusammenzukratzen, um die Leute in der Festung und die Armee am Leben zu halten. Die meisten Könige von Britannien haßten uns noch immer als Usurpatoren, und sie weigerten sich, Tribut zu zahlen. Unsere Verbündeten mußten wir mit Geschenken bei der Sache halten. Artus plünderte bei den Sachsen - seine Beute waren Vieh und Korn, Schafe und wollene Kleidung, Waffen, Harnische und Kochtöpfe -, und das alles war sehr nützlich. Gelegentlich schickte er mir unverletzte Männer, die ich zu verschiedenen Königen schicken konnte, um den Tribut einzutreiben - aber es war eine verzweifelt harte Zeit! Anfangs war ich wie ein Eindringling in seiner Burg -eine aus dem Norden unter Menschen aus dem Süden, eine Frau von zweiundzwanzig Jahren, die plötzlich Befehl über Männer hat, die schon seit den Zeiten des Kaisers Uther in Camlann dienten. Dazu kam noch, daß es im ersten Jahr eine schlechte Ernte gegeben hatte, und Lebensmittel waren knapp. Ich erinnerte mich an einen von Artus’ grimmigen Briefen an mich aus jenem ersten Winter: »Das Bündnis mit Urien nutzt sich sehr ab. Er fängt an, darüber zu klagen, daß er heutzutage noch nicht einmal seine eigenen Krieger unterhalten kann. Ich werde ihn in ein paar Monaten brauchen, ihn und seine Armee: Mach ihm ein Geschenk von sechshundert Stück Vieh und irgend etwas Goldenem - ich hab’ all meine eigene Beute an Ergyriad gegeben. Wir haben nichts zu essen und leben vom Land. Die Pferde sind krank. Zehn Männer haben Fieber: Ich hoffe, daß es sich nicht verbreitet. Bitte Urien, irgend etwas zu schicken -besonders Korn -, damit wir in Yrechwydd versorgt sind, denn ich habe den Männern gesagt, daß es dort Nahrung gibt. Wir werden in drei Wochen da sein.« Und ich, die ich die Diener in Camlann gezwungen hatte, von gekochtem Kohl zu leben, schrieb wie wahnsinnig an jeden König zwischen Camlann und Caledonien, um das verfluchte Vieh zusammenzukriegen, und ich entrang einem Kloster ein goldenes Kruzifix. Es klappte. Artus bekam die Verpflegung, und sein Feldzug konnte weitergehen bis zu seinem schließlichen Erfolg. Aber die Kosten - die Kosten! Könige und Kirche beleidigt - im nächsten Jahr weniger Tribut und in Camlann ein dumpfer Zorn, der alles vergiftete. Man kann es einem Mann nicht übelnehmen, daß er böse ist, wenn er einen Monat lang von Kohl gelebt hat und dann zusehen muß, wie sechshundert Stück fettes Vieh nach Norden geschickt werden, aber nicht zu seinem eigenen König, sondern zu einem reichen Verbündeten. Nach einem entsetzlichen Tag, als ich wirklich befürchtete, daß die Hälfte der Diener weglaufen und die Bauern der Umgebung ausrauben würden, da mußte ich mich in das leere Haus einschließen und weinen, bis mir übel war. Ich war allein, fern von meiner Familie und von meinem neuen Mann, und die Leute in Camlann schienen mich zu hassen. Ich weiß nicht, wie ich diesen ersten Winter überlebt habe, und der Winter, der danach kam, war noch schlimmer. Das war das Jahr, in dem ich mein Kind verlor, das einzige Kind, das ich je getragen habe. Vielleicht hatte ich zu schwer gearbeitet, oder vielleicht war mein Körper auch immer falsch gebaut gewesen, aber ich verlor das Kind, einen Jungen, im sechsten Monat mit sehr viel Schmerz und Blut. Einen Monat lang war ich sehr krank danach.

Der Krieg im Norden endete; Artus kam zurück und führte Krieg im Süden, das ganze zweite Jahr unserer Ehe. Der Feldzug dauerte noch einmal vier Jahre und endete schließlich in einem Sieg. Wir arbeiteten zusammen am Frieden und glaubten, daß sich jetzt all unsere Hoffnungen erfüllten. Wir glaubten, jetzt würde alles gut werden. Aber die Hoffnung, die mir am teuersten gewesen war, zog sich langsam zurück, und als ich dreißig war, mußte ich mir selbst gegenüber endlich zugeben, daß irgend etwas nicht stimmte. Ich würde nie empfangen. Ich war unfruchtbar und würde unfruchtbar sterben. Es war etwa ein Jahr später, daß Menw mir meine Kinderlosigkeit ins Gesicht warf und ich ihm den Schlag austeilte, den er als Unehre betrachtete und den er nie verzeihen würde.

Reichtümer und Ehren. In diesen Jahren des Friedens mochten wohl einige Dinge da sein, die Menw unter diesem Namen erkennen würde. Die meisten der Könige, die uns gehaßt hatten, waren jetzt mit uns versöhnt, und selbst die Kirche reagierte weniger heftig. Die Sachsen zeigten auf mancherlei Weise, daß sie anfingen, sich als ein Teil des Reiches zu fühlen und nicht mehr wie beleidigte und besiegte Feinde. Der Tribut kam regelmäßig herein, und wir waren in der Lage, die Truppe auszuschicken, um Räuber von den Straßen Britanniens hinwegzufegen und den Handel und die Ordnung zu schützen. Aber selbst jetzt lag wenig Bequemlichkeit darin, den Purpur zu tragen. Es war, als ob man versuchte, auf einer Schwertschneide zu gehen. Und es gab jetzt neue Probleme -zersplitterte Bündnisse und Schlimmeres. Es gab Streit innerhalb der Truppe. Ich wünschte mir manchmal, daß wir noch in den Jahren des Krieges wären, wo es wenigstens offene Feinde gegeben hatte und einfache Lösungen auf die Probleme.

Ich hatte keine Zeit, dazusitzen und einen Brief anzustarren. Genau an diesem Nachmittag mußte ich Korn kaufen, um die Festung zu versorgen - ohne Zweifel warteten die Kornverkäufer schon darauf, daß ich herauskam und mit ihnen feilschte. Ich mußte ein Fest für die Boten der Könige von Elmet und Powy arrangieren. Ich mußte einen Teil Wolle aus den Lagerhäusern an die Weber der Burg ausgeben, wenn die ganze >Familie< zeitig Wintermäntel haben sollte. Bald, wenn nicht schon heute, mußte ich einen neuen Vorrat an Eisen für die Schmiede besorgen, denn wir hatten schon seit einiger Zeit keins mehr gekauft, und bald gab es vielleicht eine

Eisenknappheit. Ohne Zweifel warteten auch einige Bittsteller darauf, angehört zu werden. Und es erhob sich noch die Frage, was unser Bote dem König von Kleinbritannien sagen sollte.

Dennoch saß ich da und starrte den Brief an und las ihn noch einmal. Wenn du den kaiserlichen Purpur deinem eigenen Blut vorziehst, dann mußt du dafür leiden. Es war typisch für Menw, den Satz so zu formulieren, dachte ich bitter. Ein extremer Satz, ein gewalttätiger Satz.

Ich hatte nie damit gerechnet, wieder nach Hause zu gehen. Selbst als ich wußte, daß ich Artus nie ein Kind, einen Erben schenken konnte, da wußte ich, daß er sich nicht von mir scheiden lassen würde. Während des langen Krieges gegen die Sachsen hatte er sich auf mich verlassen, und oft hatte er mir sogar sein Leben anvertraut. Wir hatten uns, solange der Krieg dauerte, selten gesehen, und seit dem Frieden waren wir im allgemeinen zu beschäftigt, um von irgend etwas anderem zu reden als von den Sorgen des Reiches, aber das Band zwischen uns ging so tief wie das Leben selbst. Artus und ich, wir kannten einander, wie nur solche Leute sich kennen, die sich bis zum äußersten füreinander verausgabt haben, und Artus hätte sich eher das Herz herausgeschnitten, als mich zu verstoßen.

Nein, ich hatte nie damit gerechnet, nach Hause zu gehen. Aber mein Zuhause hatte immer hinter mir gestanden, war immer eine Möglichkeit für mich gewesen. Das Haus und die Hügel, die Römische Mauer, die sich in den Westen hineinzog, und die gemusterten Fliesen um die Feuerstelle. Obwohl ich den Purpur meinem Blut vorgezogen hatte, obwohl ich dafür gelitten hatte, so war es doch irgendwie mein Blut, mein Zuhause und mein ganzes Wesen, das den Purpur gewählt hatte. Von allem jetzt abgeschnitten zu sein, das war, als ob mein Vater noch einmal starb.

Und wenn ich Menw seine Bitte abschlug, dann konnte ich nie mehr nach Hause gehen. Ich wäre dann so gut wie sippenlos, ausgestoßen aus meiner Familie. Der größte Teil der Sippe stand auf Menws Seite, und sie alle glaubten, daß ich mehr für sie tun sollte. Außerdem war ich schon lange weg. Sie würden sich Menw nicht entgegenstellen, um mich zu unterstützen.

Es war am besten, es hinter sich zu bringen. Ich nahm den Brief auf, erhob mich vom Schreibpult und warf ihn ins Feuer. Er faltete sich langsam auseinander, wickelte sich um die Kohlen, und die Tinte dunkelte, während das Pergament braun wurde, und hob sich scharf und klar und absolut davon ab. Dann fraßen sich die Kohlen hier und da durch, und die Tinte wurde dunkel bis zur Unleserlichkeit, während die Luft voll vom Gestank nach verbranntem Leder war.

Meine Augen brannten, und ich wischte sie mit dem Handrücken und stellte fest, daß meine Hand zitterte. Aber es war jetzt vorbei, und das einzige, was ich tun konnte, war getan. Ich mußte zurück an die Arbeit und durfte nicht mehr darüber brüten.

Ich nahm den hellen Frühlingsumhang auf, den ich über einen Stuhl gehängt hatte, als ich mich hinsetzte, um den Brief zu lesen. Dann hob ich meinen Spiegel auf, um nachzuprüfen, ob ich würdig und beherrscht erschien, wie das einer Kaiserin zukam. Ich sah statt dessen, daß ich weinte. »Es ist der Rauch«, sagte ich laut zu mir, aber ich mußte den Spiegel wieder hinlegen und einen Augenblick stehenbleiben und mit mir ringen. Ich ging ins Nebenzimmer. Ich fand den Wasserkrug und wusch mein Gesicht. Das kalte Wasser kühlte meine heißen Augen, und ich fühlte mich ruhiger, als ich zurückging und wieder in den Spiegel schaute. Besser. Ich konnte es mir nicht leisten, Schwäche zu zeigen - nicht jetzt, wo Camlann in solcher Spannung war.

Mehr Weiß zeigte sich in meinem Haar, das bemerkte ich geistesabwesend, als ich nachschaute, ob es sich nicht gelöst hatte, als ich mir das Gesicht wusch. Nun, rotes Haar paßt nicht zu purpurnen Mänteln. Ich drehte den Purpurstreifen meines eigenen Umhangs nach innen, so daß er sich nicht so sehr mit meiner Haarfarbe biß. Wenn mein Haar weiß wurde, dann konnte ich wenigstens aufhören, auf solche Dinge zu achten. So, das war jetzt das Bild von der Frau, die ich sein mußte: noch immer jünger aussehend als vierunddreißig, das dichte Haar streng zurückgekämmt und hinten am Kopf aufgesteckt, die goldene Halskette, die Reichtum verkündete. Beherrscht und von guter Haltung. Meine Augen waren rot, und ich konnte die Linien der Anspannung nicht von meinem Gesicht glätten, obwohl ich mein Spiegelbild anlächelte und versuchte, es anzulügen. Aber wahrscheinlich würde niemand etwas bemerken, wenn ich mich selbstsicher benahm. Ich holte tief Atem und ging hinaus.

Das Haus, das Artus und ich teilten, lag neben der Festhalle von Camlann auf der Westseite. Es hatte drei Räume: einen äußeren Raum für Besprechungen mit einer Feuerstelle - ein Schlafzimmer und einen Raum zum Waschen. Die Diener, die sich darum kümmerten, wohnten am Fuß des Hügels im Norden, so daß wir ganz für uns waren, obwohl wir bei Nacht selbst Holz und Wasser holen mußten. Das Haus schaute nach Norden, und man konnte von dort den am dichtesten besiedelten Teil der Festung sehen: die Straße vor den Toren, die an den Ställen vorbei zur Festhalle führte. Die Halle bedeckte den Gipfel des Hügels. Sie stand östlich des Zentrums im gemauerten Hof. Die Hänge des Hügels sind im Osten sehr steil, und die Häuser an dieser Seite kleben im Winkel an diesem Hang. Als ich in der Tür des Hauses stand, blickte ich hinaus auf die zusammengedrängten Häuser am Straßenrand, wo die Hühner im Staub scharrten, und auf die Ställe, die sich am Nordhang ausbreiteten, wo ein paar Pferde an der Longe trainiert wurden und in der Sonne auf dem Übungshof im Kreis liefen. Weiter unten am Hang wurden die grünen Flecken zwischen den Häusern größer, und die riesige graue Masse der Mauern durchbrach das Muster -festgesetzter Stein mit einer hölzernen Zinne darüber. Die Tore wurden von einem einzigen Wachturm geschützt, aber weil jetzt Friedenszeiten waren, standen sie offen. Dahinter streckte sich die Straße in die Ferne; sie wandte sich nach Osten durch das Flickenwerk der Felder, des Ödlands und der Weiden und durch die umgepflügten Äcker. Es war April, und die Schwalben, die aus dem fernen Süden zurückkehrten, fingen schon an, auf ihren Schwingen Kreise um das Dachgebälk der Festhalle zu ziehen, während Löwenzahnblüten das Gras bedeckten und die Apfelbäume, die hier und da verstreut standen, Knospen zeigten. Am Morgen hatte es geregnet, aber jetzt stand die Sonne am Himmel, und alles glitzerte. Das Licht war so scharf, daß es in die Seele zu schneiden schien. Hier war Camlann, hier war meine Burg, das starke Herz des Reiches. Ich holte noch einmal tief Atem, dann wandte ich mich ab und ging an der westlichen Mauer der Halle hinab nach Süden, wo die Lagerräume waren.

In der Burg herrschte gewöhnlich am Ende des Winters Kornknappheit, und manche Bauern, die feststellten, daß sie etwas übrig hatten, nutzten das aus, um das alte Korn zu einem hohen Preis zu verkaufen. Eine Anzahl von Bauern war an diesem Morgen angekommen, und man erwartete von mir, daß ich mit ihnen um ihre Produkte handelte. Der Haushofmeister hätte es auch tun können, aber der konnte schlecht feilschen, und er zog auch keinen Nutzen aus den Informationen, die wir von den Bauern über den Zustand der Dinge auf dem Land erhalten konnten. Solche Berichte waren aber unschätzbar für mich. Wenn es darum ging, große Mengen von Gütern später im Jahr zu kaufen, dann setzte der Preis, der in Camlann gezahlt wurde, den Preis für den ganzen Süden fest, und die Menge, die Camlann nahm, regelte das Angebot überall. Es war also sehr wichtig für mich, zu wissen, was außerhalb der Burg passierte, genauso wichtig wie das, was drinnen geschah.

Ein halbes Dutzend Karren war an den größten Speicher herangefahren, und ihre Besitzer - schmallippige, unabhängige freie Bauern - saßen in einer Reihe auf den Karren und schauten sauer drein, weil ich zu spät kam. Normalerweise machte es mir Freude, mit ihnen zu handeln, denn auch ihnen machte das Feilschen Spaß, und sie übten es wie eine Kunst. Jetzt aber fand ich das alles zum Wahnsinnigwerden, und ich wünschte, ich hätte einfach einen vernünftigen Preis nennen und es hinter mich bringen können. Statt dessen sprachen wir von der Menge des Saatgetreides, das den Bauern zur Verfügung stand, und von dem Betrag, für den das Korn auf einem gewöhnlichen Markt verkauft werden konnte. Es ging um den Mangel und dann wieder um den Überfluß an Korn in Camlann und auf dem Land, um den Wert der Waren, die Camlann als Gegenleistung für das Korn bot, um den Mangel oder den Wert dieser Waren und um die Kosten. Als wir uns schließlich der wichtigen Frage näherten, ob die Bauern Bezahlung in Vieh, Wollstoffen oder Metall wünschten und wieviel davon, da kam der Führer des Fußvolks der >Familie<, Cei ap Cynyr, an der Mauer der Halle entlanggestürmt, sah mich und arbeitete sich zu mir durch. Cei war ein sehr großer Mann, der größte in der >Familie<. Er besaß eine gewaltige Masse von sandrotem Haar und trug immer große Mengen auffallenden Schmucks und leuchtendgefärbte Kleidung, so daß es unmöglich war, ihn zu übersehen, selbst wenn er friedlich gestimmt war. Aber jetzt war er deutlich aufgeregt und in Wut. Ich bereitete mich darauf vor.

»Dieser goldenzüngige, ölige Bastard!« schrie er und schob einen Bauern beiseite. »My Lady, du mußt mit Rhuawn sprechen und ihn dazu bringen, daß er mir eine Entschuldigung bietet, oder ich kämpfe gegen ihn - ich schwöre es bei meinem Schwert -, und ich schone ihn nicht. Trotzdem ist es nicht seine Schuld, sondern die Schuld dieses heimtückischen Wiesels von den Ynysoedd Erch.«

Ich nahm seinen Arm und führte ihn eilig beiseite. Ich wußte, wer das >heimtückische Wiesel< war, aber es war besser, die Bauern, die Außenseiter, nicht wissen zu lassen, um was es bei den Streitigkeiten innerhalb der >Familie< ging - obwohl jetzt schon der größte Teil von Britannien wissen mußte, daß Artus’ unbesiegbare, früher auch unteilbare Streitkraft von gewalttätigen Parteien auseinandergerissen wurde. Der Streit ging jetzt schon lange genug, so daß er berüchtigt geworden war. Fast seit der Zeit, als das > Wiesel< in Camlann angekommen war.

»Was hat Medraut denn jetzt getan?« fragte ich.

Cei spuckte aus. »Ach, er hat nichts getan - wenigstens nicht direkt. Würdest du das von ihm erwarten? Nein, der redet nie einem Mann offen ins Gesicht. Er läßt hinter seinem Rücken irgendeine erlogene Geschichte fallen und läßt einen anderen dafür kämpfen.«

Die Bauern schauten bei diesen Worten sehr interessiert drein, und ich machte beruhigende Handbewegungen. Medraut ap Lot war der jüngste Sohn der Königin Morgas von den Orkneyinseln, die auf britisch die Ynysoedd Erch genannt werden, die »Inseln der Furcht«. Medrauts Mutter war die legitime Tochter des Kaisers Uther und Artus’ Halbschwester. Medraut hatte seine Mutter angebetet, und sie hatte gewollt, daß er nach dem Tod ihres Mannes König der Inseln wurde, obwohl man überall glaubte, daß er nicht der Sohn ihres Mannes war, sondern geboren aus einer ehebrecherischen Affäre. Aber Morgas war tot, ermordet von ihrem ältesten Sohn Agravain aus Rache für eine ihrer Intrigen und um ein Gerücht, nach dem sie mit dem Tod ihres Mannes zu tun hatte. Die königliche Familie der Inseln hatte Agravain zu ihrem neuen König gemacht, trotz des Mordes. Die Königin war ihrem Ruf nach eine Zauberin gewesen, und die königliche Sippe hatte sie nicht geliebt, obwohl sie zuviel Angst vor ihr hatten, um ihr irgend etwas abzuschlagen. Vor Medraut fürchteten sie sich nicht so sehr, und Medraut war nach Camlann gekommen, während der neue König, sein Bruder, der lange für Artus gekämpft hatte, zurückkehrte und die Inseln beherrschte. Medraut war sehr verbittert gegen Agravain. Aber der unmittelbare Grund des Streits war im allgemeinen sein anderer Bruder, Gawain, der auch in Camlann lebte und einer von Artus’ vertrautesten und geschätztesten Gefolgsleuten war. Gawain wurde von Medraut anscheinend noch mehr gehaßt als Agravain, obwohl er keinen Teil an dem Mord gehabt hatte.

Und der größte Teil der Streitereien fand zwischen Medrauts Freunden und Gawains Freunden statt, zu denen auch Cei gehörte.

Cei warf einen Blick zu den Bauern hinüber und senkte die Stimme. »Rhuawn hat angefangen, Gawain für den Tod der Zauberin von den Ynysoedd Erch die Schuld zu geben. Er wiederholt die Geschichte jetzt seit Jahren wie einen Katechismus, so daß die Hälfte der >Familie< glaubt, Gawain hat seine Mutter ermordet - als ob die Hexe es verdient hätte, überhaupt am Leben zu bleiben! Von wem kann die Geschichte stammen, außer von Medraut? Ach, es ist eine alte Geschichte; so alt, daß ich sie mir schweigend anhören muß und nichts sage. Aber als Rhuawn es wagte, zu behaupten, daß Gawain die Verhandlungen mit Kleinbritannien behindert und absichtlich dem Friedensschluß da drüben im Weg steht, wegen irgendeines eingebildeten Schwachsinns - als ich gehört habe, wie Rhuawn das zu seinen Freunden sagte, da ging ich hin, noch während er redete, und sagte ihm, er sei der Schwachsinnige, wenn er solches Gefasel glaube. Und Rhuawn sprang auf, die Hand am Schwert, und nannte mich einen blinden, störrischen Narren, der nicht sehen könne, was vor seinen Augen läge, und er beschuldigte mich, dem Kaiser zu schmeicheln, daß er Falschheiten glaube - und das in der Gegenwart von vier anderen! My Lady, ich könnte Artus darum bitten, von Rhuawn eine Entschuldigung zu fordern, aber ich will den Mann nicht demütigen. Du kannst ihn überreden, sich zu entschuldigen - tu es, um Gottes willen, oder ich kämpfe morgen gegen ihn, und obwohl er ein Narr ist, habe ich nicht den Wunsch, ihn zu versehren.«

Ich nickte. Mir war übel. Dieser Streit war typisch. Ich hatte schon zu oft zu viele Krieger dazu überreden müssen, sich zu entschuldigen, und ich konnte die Tatsache nicht mehr verschleiern, daß meine Sympathien vollkommen bei Gawain lagen. Das bedeutete, daß es für mich immer schwieriger wurde, auch Mitglieder von Medrauts Partei für mich zu gewinnen - und Rhuawn gehörte zu Medrauts Partei.

Krieger neigen dazu, die besten Jahre mit Streitereien zu vertun. Es wird ihnen beigebracht, eine Beleidigung oder eine Schwäche als Unehre zu betrachten, und das einzige Mittel, was es gegen Unehre gibt, ist das Schwert. Sie streiten sich meist im Winter, wenn sie auf engem Raum zusammenleben - die dreihundert Mann, die in unserer Halle schliefen, hatten mehr Platz als die meisten - und wenn sie wenig zu tun haben. Im Sommer können sie in den Krieg ziehen, wenn es Kriege zu kämpfen gibt, oder sie können auch Räuber bekämpfen und Geleitschutz bieten oder wenigstens auf die Jagd gehen. Dann sind sie gewöhnlich friedlich. Aber die Streitereien in Camlann waren ernster. Sie legten sich nicht mit dem warmen

Wetter. Jahrelang waren sie ständig schlimmer geworden, und die normalen Methoden, mit denen man sie ausräumte - Schmeichelei und Bitten auf beiden Seiten -, funktionierten weniger und weniger gut. Ich fürchtete um die Zukunft.

»Wenn Rhuawn sich entschuldigt«, sagte ich Cei, »dann mußt du ihn um Entschuldigung dafür bitten, daß du ihn schwachsinnig genannt hast.«

»Muß ich das, beim Himmel? Er ist schwachsinnig, weil er solche Verleumdungen glaubt!«

»Die Verleumdung ist Gawains Angelegenheit. Wenn jemand ihn ins Gesicht beschuldigt, dann kann er eine Entschuldigung verlangen, und wir können dafür sorgen, daß er sie auch bekommt, wenigstens, was die Verhandlungen mit Kleinbritannien betrifft. Es ist aber nicht deine Angelegenheit, Rhuawn für Gawain zu bekämpfen, edler Herr. Laß Gawain seine Ehre selbst bewachen. Er ist ja nicht gerade hilflos.«

»Er ist zu höflich. Und niemand wird ihn ins Gesicht beschuldigen, wenn er ihn auch bekämpfen muß: Entweder entgeht Gawain deshalb den Beleidigungen, oder er dreht sie um.«

»Es ist trotzdem seine Angelegenheit. Und wenn du nicht den Wunsch hast, gegen Rhuawn zu kämpfen, edler Herr, dann wirst du dich entschuldigen müssen.« Ich sagte das schärfer, als ich das meinte, denn ich wurde langsam ungeduldig.

Cei fing wieder an, zu protestieren. Aber einer der Bauern, der auch ungeduldig geworden war, kam herüber und schlug einen Preis für sein Korn vor und fragte, ob er akzeptabel sei. Es war zuviel Geld, und ich wußte es, aber ich schnappte: »Vielleicht«, und ging zurück, um alles zu erledigen. Cei lungerte hinter mir herum wie eine große, rote Gewitterwolke und wartete darauf, daß ich fertig wurde.

Als wir uns endlich auf einen Preis geeinigt hatten - und der Preis war noch immer zu hoch, da ich nicht in Stimmung war, geduldig zu feilschen, und diese südlichen Bauern lassen sich beim besten Willen nicht übers Ohr hauen -, da wurde ich noch von einem Bittsteller abgelenkt. Ein Junge, der in einem der Karren gesessen hatte, sprang heraus und kniete vor mir nieder.

»Was gibt’s denn?« fragte ich müde.

»Edle Königin«, begann er und schaltete dann auf ein erstaunlich gutes klassisches Latein um. »Hohe Frau, ich bin gekommen in der Hoffnung, einen Platz im Dienst des Kaisers zu finden.«

Ich hatte irgendeine Klage über eine Nachbarsippe erwartet, und ich schaute den Bauern an, in dessen Karren der Junge gesessen hatte, und war überrascht. »Ist das nicht dein Sohn?«

Der Bauer schüttelte den Kopf. »Nein, Hohe Frau. Ich habe ihn nur von Baddon mitgenommen. Aber er ist ein guter, freundlicher Junge. Hör ihn an.«

Ich seufzte und schob eine lose Haarsträhne zurück. Noch eine Bitte um Dienst in Camlann. Immer kamen Leute und boten sich an, jedes nur vorstellbare Handwerk bei uns auszuüben, und viele akzeptierten wir auch. Aber viele nahmen wir nicht. Ich hatte jetzt keine Lust, die Fähigkeiten dieses Jungen abzuwägen, nachdem ich den Brief gelesen hatte und Cei drohend hinter mir aufragte. Aber ich befahl mir, stark, nobel zu sein, und lächelte den Jungen an. Cei schnaufte ungeduldig.

»Was für einen Platz meinst du, junger Mann?« fragte ich auch auf Latein und musterte ihn. Er sah aus, als ob er ungefähr dreizehn wäre - für dieses Alter war er von mittlerer Größe, und er besaß eine Masse blasses Haar, das ein schmales Gesicht umrahmte, und ein paar erstaunlich dunkle Augen. Er war kein Bauernjunge, entschied ich. Sein Latein war zu gut, und in seinem Gesicht lag eine nervöse Feinfühligkeit, die für einige Erziehung sprach.

»Ich... bei deiner geheiligten Freundlichkeit, ich bin gewillt, fast alles zu tun. Aber ich möchte lernen, ein Krieger zu sein.«

Cei schnaufte wieder. »Junge, mach der Hohen Frau keinen Ärger. Geh zurück zu deiner Familie, und lauf in Zukunft nicht mehr weg.«

Der Junge errötete, dunkles Rot überzog sein Gesicht. »Ich. ich.« stammelte er.

Ich lächelte noch einmal, um ihm Sicherheit zu geben. »Wie ist dein Name?« fragte ich. »Und wo wohnt deine Familie? Du bist eigentlich zu jung, um auf eigene Faust Dienst zu suchen.«

»Sie nennen mich Gwyn«, sagte er. »Den Namen meines Vaters kenne ich nicht. Und ich habe keine Familie, abgesehen von meiner Mutter. Und sie lebt in einem Kloster in Elmet. Gnädige Königin, ich bin gewillt, fast alles zu tun, wenn du mich hierbleiben läßt und ich zum Krieger ausgebildet werde. Ich weiß, daß ihr hier Knaben zu Kriegern ausbilden lassen müßt. Alle Söhne der großen Krieger -wie dieser Herr hier«, er schenkte Cei ein nervöses, bittendes Lächeln, »müssen auch Krieger werden. Sicherlich wäre es keine Belastung, wenn noch ein weiterer zu ihnen stößt?«

»So ist er also der Bastard einer Nonne, aufgezogen bei Nonnen«, sagte Cei. »My Lady, schick ihn weg. Wir haben schon mehr Diener, als wir ernähren können, und wir brauchen nicht noch einen halberwachsenen Träumer von einem Nonnenbastard.«

Als Cei anfing zu reden, war der Junge noch roter geworden, aber am Ende seiner Worte wurde er weiß. Er sprang auf die Füße, fing an, eine Antwort zu stammeln, und schwieg dann. Er blinzelte elend. Offenbar war er wirklich der Bastard einer Nonne, und er mußte ein Träumer sein, wenn er sich so sehr wünschte, ein Krieger zu werden, daß er gewillt war, das Zuhause, das er besaß, zu verlassen und allein nach Camlann zu gehen und sich anzubieten, >fast alles< zu tun, um die Kunst des Krieges zu lernen.

»My Lady«, begann Cei wieder und kam zurück zu dem Thema, das die ganze Zeit seine einzige Sorge gewesen war, »wie kann ich mich Rhuawn gegenüber entschuldigen, nach all seinen Verleumdungen?«

Aber mir tat der Junge jetzt leid. »Du bist zu alt, um noch Krieger zu werden«, sagte ich ihm sanft, und ich ignorierte einen Augenblick Cei und die Bauern. »Die meisten Jungen beginnen mit ihren Übungen im Alter von sieben bis neun.«

»Aber ich habe ja damals angefangen, edle Dame, auf eigene Faust!« schrie der Junge und glitt wieder ins Britisch zurück. »Und ein Mönch im Bruderhaus beim Konvent meiner Mutter, der hat mich auch gelehrt - siehst du, der war früher Krieger. Nur - ich muß noch mehr wissen.«

»Sei stille, Junge«, schnappte Cei, aber ich hob die Hand und gebot ihm zu warten.

»Kannst du lesen, Gwyn?« fragte ich.

Der Junge nickte eifrig. »Ja, edle Dame. Und ich kann schreiben, Buchschrift und auch Kursiv. Meine Mutter wollte, daß ich Priester werde, und hat dafür gesorgt, daß ich schreiben lerne. Sie hat es mir selbst beigebracht.«

Ich schaute Cei an und hob eine Augenbraue. »Selbst hier gibt es eine Knappheit an Dienern, die lesen können«, sagte ich. »Ich könnte einen Schreiber brauchen, der die Inventare niederschreibt und für mich Buch führt.«

Cei zuckte die Achseln. »Wie es dir gefällt, my Lady. Es ist Zeitverschwendung, irgendeinem kleinen Priester-Bastard aus einem Konvent die Kunst des Krieges beizubringen, aber wenn du einen Schreiber brauchst, dann behalte ihn um Gottes willen. Wirst du mit

Rhuawn sprechen?«

»Du magst bleiben«, sagte ich dem Jungen. »Geh in die Halle und frage nach Gweir, dem Haushofmeister. Der kümmert sich um dich. Und heute abend werde ich meinen Herrn Artus bitten, dir einen Platz als Diener zuzuweisen. Ja, Cei, ich werde mit Rhuawn sprechen, aber ich verspreche ihm, daß du dich auch entschuldigst, wenn er es tut. Ihr guten Leute«, sagte ich zu den Bauern, »wenn ihr mit mir kommen wollt, dann sorge ich dafür, daß ihr den Preis für euer Korn bekommt.«

Die Bauern waren zufrieden. Cei brummelte zustimmend, und Gwyn war überglücklich. Als nächstes mußte ich also mit Rhuawn sprechen - obwohl ich, solange ich noch in den Lagerräumen war, auch wegen der Wolle für die Weber nachsehen mußte. Und dann kam noch das Fest am Abend.

Ehe der Nachmittag halb vorüber war, sprach ich mit Rhuawn, und schließlich überredete ich ihn, sich bei Cei zu entschuldigen. Aber ich wußte, daß keiner der beiden Krieger damit zufrieden sein würde. Ihre Versöhnung würde sein, als ob man zwei Stücke von einer zerbrochenen Schüssel zusammenpreßte; sie hielten vielleicht, wenn man sie vorsichtig behandelte, eine Weile zusammen, aber der Bruch war noch immer so tief und ungeheilt wie zuvor. Am Anfang hatte Rhuawn mir gar nicht zugehört. Er hatte mich nur mit einer Art Mißtrauen gemustert und mir höfliche, bedeutungslose Antworten gegeben. Am Ende unserer Unterhaltung war er wärmer geworden und sagte mir, er bedaure seine harten Worte. Aber Ceis Beleidigung sei für einen ehrenhaften Mann zu schwer zu ertragen gewesen und so weiter, und so weiter.

Aber als ich wieder den Hügel hinauf zur Halle ging, erinnerte ich mich immer wieder daran, wie anfangs sein Blick von mir seitwärts abgeglitten war. Das Mißtrauen wuchs. Ich konnte jetzt kaum noch die Kluft zwischen den beiden Parteien überbrücken, und wenn alles so weiterging wie bisher, dann würden Rhuawn und seine Freunde mich bald als Feind betrachten. In der Tat - mir war bewußt, daß Gerüchte um mich kreisten, daß Unterhaltungen plötzlich verstummten, wenn ich herankam. Nur, bis jetzt waren keine Gerüchte über mich geglaubt worden.

Als ich mich den Küchen näherte, wo ich die Vorbereitungen zum Fest in der Nacht überprüfen wollte, rief jemand meinen Namen. Artus’ Zweiter im Kommando, der Feldherr und Führer der Reiterei, Bedwyr ap Brendan, eilte auf mich zu.

»My Lady Gwynhwyfar!« rief er noch einmal. »Mein Herr Artus schickt mich, dich zu suchen. Er will vor dem Fest heute nacht noch eine Besprechung führen über die Situation in Kleinbritannien.«

Ich blieb stehen und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich stieß meine Pläne für den Nachmittag über den Haufen. »Nun gut, Herr«, sagte ich nach einem Augenblick, »aber ich muß zuerst in der Küche noch ein paar Anordnungen treffen, oder es wird heute abend kein Fest geben.«

Er nickte und lächelte und paßte sich meinen Schritten neben mir an. Als Artus’ Feldherr war Bedwyr natürlich auch bei der Besprechung, also hatte er nichts anderes zu tun, als auf mich zu warten.

Bedwyr war ein vielschichtiger Mann. Er war Artus’ bester Freund, wie auch der beste Freund von Cei. Aber er unterschied sich von Cei, wie das bei einem Menschen nur möglich ist, und er war auch anders als die meisten anderen Krieger. Er kleidete sich einfach, ohne die bunten Farben oder den Schmuck, den die Krieger lieben. Er hatte sehr dunkles, braunes Haar und braune Augen, und er trug seinen Bart kurz geschnitten. Gewöhnlich war sein Gesichtsausdruck ruhig und aufmerksam. Sehr wenig entging ihm. Er war Bretone und stammte aus dem Südosten von Kleinbritannien, aus einer edlen Familie von römischer Herkunft. Er hatte auch eine römische Erziehung genossen, denn das Römische ist in Gallien stärker als in Britannien. Aber er hatte nicht viel darauf geachtet. Er schloß sich dem Heer des Bran an, dem jüngeren Sohn des Königs von Kleinbritannien, der Artus’ Verbündeter wurde. Dort gewann er schnell Ruhm und Autorität, denn er war ein gefährlicher Reitersoldat, und er hatte die Klarheit der Gedanken, die Selbstbeherrschung und die Macht der Persönlichkeit, die einen Mann im Krieg zu einem Feldherrn macht. Als sein Herr Bran die See überquerte, um Artus in seinem Kampf gegen die Könige von Britannien um den Purpur zu helfen, da war Bedwyr einer seiner Kapitäne. Aber er wurde in der Schlacht verwundet, in der Artus die Krone gewann, und verlor seine Schildhand - seit damals schnallte er im Kampf seinen Schild fest an den Arm. Diese Begegnung mit dem Tod hatte seiner früheren Rücksichtslosigkeit ein Ende gesetzt. Er wurde bekehrt zu der Philosophie, die er als Junge gelesen hatte, und nahm sich vor, nach Kleinbritannien zurückzukehren und Mönch zu werden. Statt dessen begegnete er Artus, und nach einer einzigen Unterhaltung hatte er sich entschlossen, daß es besser wäre, für Gott zu kämpfen, als in einem Kloster über ihn nachzudenken. Ein paar Dutzend Krieger waren ihm gefolgt und hatten den Eid auf Artus geschworen, und Bran hatte wehmütig bemerkt, er sei nach Britannien gekommen, um Artus zum Titel zu verhelfen und nicht zu seinen eigenen besten Kriegern. Aber Artus lächelte und machte Bedwyr zu seinem Führer der Reiterei.

Dennoch, selbst als Leiter von Artus’ Kavallerie und später, als Artus diesen Posten nicht mehr besetzte, als Feldherr hatte Bedwyr seine philosophische Distanz beibehalten. Er war ein sehr guter Mensch, und nie seit seiner Bekehrung waren niedrige oder grausame Handlungen von ihm bekannt geworden. Er hatte eine Leidenschaft für die Ehre, aber als ich ihm das erstemal begegnete, schien mir das seine einzige Leidenschaft zu sein. Ich fand ihn kalt. Er war niemals unhöflich, aber er hatte mir nur sehr wenig zu sagen, und er schaute mich nicht einmal lange an. Nachdem ich einige Zeit versucht hatte, mich mit ihm anzufreunden, und das nicht erreichte, nahm ich an, daß Bedwyr wie viele Philosophen mit Frauen wenig im Sinn hatte. Ich fand das um so ärgerlicher, als er nur vier Jahre älter war als ich und keineswegs ein graubärtiger Weiser. Es verwirrte mich, daß so viele andere, die ich liebte, ihn auch liebten. Und ich fing an, ihm seine Kälte mit einem - gleichermaßen höflichen - Widerwillen heimzuzahlen.

Als allerdings Medraut in Camlann ankam und die Streitereien begannen, da entschied ich, daß die Burg diese stille Feindschaft zwischen der Frau des Kaisers und seinem Feldherrn nicht tragen konnte, und wieder einmal bemühte ich mich, freundlich mit ihm zu sein. Lange Zeit erlebte ich wieder keine Fortschritte - und dann, eines Nachmittags, über irgend etwas ganz Trivialem, lächelte Bedwyr mich an. Sein Lächeln veränderte sein Gesicht in einer Weise, die ich noch niemals bemerkt hatte, denn niemals zuvor hatte ich ein Lächeln von ihm empfangen. Die dunklen Augen waren warm und freudig, sein Blick war mit einer Aufmerksamkeit auf mein Gesicht geheftet, die nicht mehr ruhig und gedankenvoll war, sondern lebendig und eifrig. Dann sah ich, daß ich mich die ganze Zeit geirrt hatte: Er war nicht kalt. Seine Distanz - das war der Schutz eines stolzen, ehrenhaften Kopfes gegen ein leidenschaftliches Herz. Er war einmal hart und gewalttätig gewesen, hatte sich von Launen beherrschen lassen, und jetzt war er entschlossen, nur noch seinem Verstand zu trauen. Ich entschied, daß seine philosophische Ehre ihn dazu geführt hatte, Frauen zu meiden, so daß er kaum wußte, wie man mit ihnen reden muß. Aber niemals war er bewußt mein Feind gewesen. Ich fing an, ihn zu mögen, und er hatte aufgehört, kalt und förmlich bei mir zu sein. Mit der Zeit vertraute ich ihm, wie Artus ihm vertraute. Das war das einzig Gute, das sich aus Medrauts Anwesenheit in Camlann ergab.

Bedwyr wartete, während ich der Frau des Haushofmeisters ein paar Anweisungen wegen des Festes gab, und führte mich dann aus den Küchen fort. »Mein Herr Artus muß jetzt schon einige Zeit auf uns warten«, bemerkte er ohne Aufregung. »Wo bist du gewesen, my Lady. Ich hatte erwartet, dich in den Lagerräumen zu finden, und in der Tat, man sagte mir auch, du wärst dort hingegangen.«

Ich seufzte. »Ich hab’ die Lagerräume verlassen, um Rhuawn zu besuchen - ja, noch ein Streit. Mit Cei!«

»Ach! Und wird Rhuawn sich entschuldigen?«

»Ja. Wie auch Cei. Aber Gott weiß, wie lange der Frieden dauert.« Und ich dachte wieder an Rhuawns Blick, der mir auswich, und an das Mißtrauen und an den Verdacht.

Bedwyr schaute mich eine Weile an und sagte dann: »Und?«

»Und? Ich mach’ mir Sorgen um die Zukunft. Bald wird es mir nicht mehr möglich sein, Rhuawn noch mehr Entschuldigungen abzulocken und irgendeinem anderen von. seiner Partei. Was aber den Streit selbst betrifft, so war er nicht schlimmer als all die anderen Streitereien.«

»Nun gut. Aber besorgt siehst du dennoch aus, my Lady, und mehr als bei den anderen Streitereien.«

Ich ging ein paar Schritte weiter, ehe ich ihn anschaute. Sein Blick lag auf meinem Gesicht; er wartete. »Ja, ich mache mir Sorgen«, sagte ich ihm. »Aber es geht um eine persönliche Angelegenheit.«

Sein Gesichtsausdruck wurde klar. »Um deinen Vater. Verzeih mir. Ich hätte es wissen und meinen Mund halten sollen.«

»Selbst du kannst dich nicht an alles erinnern, edler Herr. Da gibt es nichts zu verzeihen.«

»Hast du seit damals von deiner Sippe gehört?«

Er versuchte, mir den Kummer um den Tod meines Vaters zu lindern, indem er mich daran erinnerte, daß ich noch eine andere Familie hatte. Er versuchte, freundlich zu sein. Und ich verwirrte ihn, als ich abrupt stehenblieb und die Hände Zusammenkrampfte und mit mir selbst kämpfte. Ich war müde, dachte ich, aber ich würde nicht schwach werden und mich meinem Kummer und meinem Zorn nicht so unterwerfen. Im vergangenen Monat hatte es soviel zu tun gegeben, und die Stimmung in der Burg war so verbittert, daß ich oft zu angespannt gewesen war, um Schlaf zu finden.

»My Lady?« Bedwyr war stehengeblieben und schaute mich an. Er betrachtete mich mit Sorge.

Ich machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich habe einen Brief von meinem Vetter Menw bekommen. Er. wir haben uns vor Jahren gestritten. Er ist jetzt das Oberhaupt der Sippe. Er.« Ich hielt inne, denn ich schämte mich dafür, daß Menw einen Betrug verlangt hatte, und ich schämte mich, ihn beschuldigen zu müssen, meinen eigenen Vetter. Ich wollte nicht von diesem Brief reden.

Bedwyrs Kinn wurde fest. Er drehte sich um und ging weiter, und er schaute mich nicht an. Ich ging mit. »Du solltest es engstirnigen Menschen nicht erlauben, dich zu bekümmern, my Lady«, sagte er.

»Leichter gesagt als getan, Herr Bedwyr. Wie die meisten philosophischen Ratschläge.«

Er schaute mich wieder an, und er lächelte nicht. Er ließ sich auch nicht von meinen Versuchen ablenken, ihn zu zerstreuen. Halb unwillig fing ich an, ihm von dem Brief zu erzählen.

Wir waren bei meinem Haus, ehe ich fertig war. Die Frühlingssonne stand noch hoch, obwohl der Nachmittag schon halb vergangen war, und das Licht fiel warm und schwer auf unsere Köpfe und Flanken. Im Haus spielte jemand Harfe, und die sanften Töne zogen klar und fließend in die Stille, als wir stehenblieben und ich meine Erzählung schnell zu Ende brachte. Bedwyr und ich schauten einander an.

»Das war tapfer, Lady«, sagte er leise. »Kein Zweifel - es war sehr bitter, von zu Hause ins Exil zu gehen, aber es war tapfer. Wenn Zeit wäre - aber unser Herr wartet.«

Artus wartete in der Tat. Er saß da und starrte ins Feuer, und er hatte die Füße gegen den Rost gestemmt. Herr Gawain ap Lot, der der Botschafter in Kleinbritannien sein sollte, war auch anwesend. Er war derjenige, der die Harfe gespielt hatte. Artus konnte nicht spielen, denn das Harfespiel ist eine edle Kunst, die man in Klöstern wie in dem, wo er aufgezogen wurde, nicht unterrichtet. Aber er hörte gern zu. Als Gawain uns sah, stellte er die Harfe schnell hin und stand auf, um uns zu grüßen, und Artus richtete sich auf, nahm die Füße vom Rost und deutete uns mit einer Handbewegung an, daß wir Platz nehmen sollten.

»My Lady«, sagte Gawain und neigte den Kopf. Dann nahm er meine Hand und lächelte mich und Bedwyr an. »Und Bedwyr - wir glaubten schon, du wärst bis nach Ynys Witrin geritten, so lange hast du gebraucht, bis du da warst.«

»Lady Gwynhwyfar hat einen Streit zwischen Rhuawn und Cei geschlichtet«, sagte Bedwyr ruhig und nahm seinen Platz zu Artus’ Rechten ein.

Artus zog die Mundwinkel schmerzlich nach unten und schaute mich an. »Noch ein Streit?«

Ich nickte und ließ mich müde auf meinem Platz am Schreibpult nieder, Artus gegenüber. Gawain setzte sich wieder, und alles Lächeln war vergangen. Er starrte ins Feuer. Er wußte, um wen es bei dem Streit gegangen sein mußte. Ich betrachtete ihn einen Augenblick, wie er sehr dunkel und still in seinem scharlachroten Mantel dasaß, mit seinem juwelenbesetzten Schwert, und wie seine schwarzen Augen durch die Flammen in eine andere Welt zu schauen schienen, wie immer, wenn er bekümmert war. Er hatte in letzter Zeit abgenommen. Teilweise war das seinen Reisen zuzuschreiben - er war erst in der vergangenen Woche aus Kleinbritannien zurückgekehrt, und weder die Verhandlungen noch die Reise waren leicht gewesen. Aber die Situation in Camlann mußte für ihn fast unerträglich sein. Ich sehnte mich danach, diese Zurückgezogenheit, diesen unirdischen Abstand zu überbrücken und den Schmerz zu lindern und ihn zu bemuttern. Aber das war unmöglich. Er war nur vier Jahre jünger als ich, und er war schwierig zu bemuttern. Wie Cei gesagt hatte - er war zu höflich. Ich mußte zusehen, wie er die Feindschaft ertrug, die sein Bruder gegen ihn erzeugt hatte, und konnte nichts sagen.

Und es ist jetzt nicht nur die Feindschaft gegen ihn, fügte irgend etwas in meinem Unterbewußtsein hinzu. Eines Tages wird es die Feindschaft gegen mich sein und selbst gegen Artus. Medraut wird die Menschen in der Burg gegen uns wenden. Und es wird bald sein, bald.

Ich schaute meinen Mann an, der darauf wartete, daß ich über den Streit berichtete. Schon jetzt schmerzte ihn der Zwist genausosehr, wie er Gawain schmerzte, denn er liebte die >Familie< noch mehr als sein Reich, wenn das überhaupt möglich wäre, und die Teilung der Familie bedeutete ihm ständige Qual.

»Cei hat eine Bemerkung gehört, die Rhuawn einem seiner Freunde gegenüber machte«, sagte ich Artus, »und dann hat er

Rhuawn deswegen einen Narren genannt. Rhuawn gab die Beleidigung zurück. Es wurden keine Schwerter gezogen und keine Schläge ausgeteilt, und sie haben sich darauf geeinigt, sich wieder zu versöhnen.«

Artus nickte. Aber seine Augen waren kalt und bitter. »Was war das für eine Bemerkung?«

Ich zögerte und schaute Gawain an.

»Tut so, als ob ich nicht hier wäre«, sagte Gawain und warf uns ein halb ironisches Lächeln zu. »Ich habe die Bemerkung nie gehört, und ich brauche deshalb gegen niemanden zu kämpfen.«

Ich zögerte wieder - aber schließlich betraf diese Bemerkung ja genau das Problem, weswegen wir zusammengekommen waren. »Er hat dich beschuldigt, die Verhandlungen mit Kleinbritannien absichtlich zu behindern. Es tut mir leid.«

Gawain schüttelte den Kopf. Er berührte kurz das Heft seines Schwertes, mehr, um sich zu versichern, als im Zorn. Dann faltete er die Hände um die Knie und starrte wieder ins Feuer. Er fühlte sich verantwortlich für die Streitigkeiten und hatte Artus einmal gebeten, ihn von der >Familie< wegzuschicken, damit Streit vermieden würde. Artus hatte sich geweigert.

»Wir können nichts mehr tun, um dieses Mißverständnis auszuräumen«, sagte Artus und schaute seinen Krieger an. »Wir schicken dich ja schon zurück nach Kleinbritannien. Niemand kann sagen, daß ich dir mißtraue.« Gawain nickte, aber er sah nicht glücklicher aus.

»Und die Anschuldigung wird noch mehr entkräftet, wenn wir eine Einigung mit Macsen erreichen können. Gehen wir also jetzt zum unmittelbaren Thema über.« Er heftete seinen Blick auf Gawain, bis der Krieger aufblickte, wehmütig lächelte und zustimmend den Kopf neigte. »Erzähl uns noch einmal, was Macsen behauptet.«

Macsen war der König von Kleinbritannien in Gallien. Sein Königreich war ursprünglich von Britannien her besiedelt worden und deshalb eng an Britannien gebunden und den gleichen Gesetzen unterworfen. Es genoß auch die gleichen Privilegien. Solange Macsens jüngerer Bruder Bran noch König war, hatte es Frieden gegeben, denn Bran war Artus’ Verbündeter gegen die meisten Könige von Britannien, als Artus Anspruch auf den Thron erhoben hatte. Aber Bran und sein Bruder Macsen waren lange Zeit Rivalen gewesen, und als ihr Vater starb, da war es fast zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den beiden gekommen. Nur Brans Bündnis mit Artus und Artus’ Macht hatten damals den Krieg verhindert, und Bran hatte die Wahl zur Königswürde gewonnen, die Macsen für sich beanspruchte. Jetzt war Bran tot, gefallen bei einem Grenzkonflikt mit den Franken im vergangenen Herbst, und Macsen wurde an seiner Stelle erwählter König der königlichen Sippe von Kleinbritannien. Verständlicherweise war er Artus gegenüber feindselig eingestellt, und das ganze Gewebe des Gesetzes und der Sitte, das Britannien und Kleinbritannien verband, war jetzt in Gefahr. Wir hatten Gawain als Botschafter zu Macsen geschickt, sobald das Wetter die Reise zuließ, und er hatte sich Macsens Behauptungen und Rechtfertigungen zwei Wochen lang angehört, ehe er zurücksegelte, um sich mit uns wegen der Antworten und Zugeständnisse, die wir machen wollten, zu besprechen. Gawain war als Botschafter unschätzbar. Er war von königlicher Geburt und mußte deshalb überall in Ehren empfangen werden. Er war an einem intrigenreichen Hof aufgewachsen und fand sich ohne Schwierigkeiten durch jedes Labyrinth aus politischen Intrigen hindurch. Er konnte lesen und sprach ein gutes Latein, wie auch Britisch, Irisch und Sächsisch, und in allen vier Sprachen war er ein beredter Unterhändler. Aber bei Macsen hatte das alles nichts genützt, und ich konnte nicht anders - ich hatte den Verdacht, während wir wieder Macsens Forderungen durchgingen und unsere möglichen Antworten, daß Gawain auch auf dieser Mission bestenfalls einen begrenzten Erfolg erreichen konnte. Es war unwahrscheinlich, daß Macsen einen Krieg mit uns riskierte, aber ohne Zweifel würde er jeden Trick anwenden, um seinen Willen zu bekommen. Und wenn Gawain gezwungen wurde, zu weiteren Besprechungen zurückzukehren, dann würden die Beschuldigungen gegen ihn wachsen und Kraft gewinnen und damit auch die Frage: »Warum unternimmt Artus nichts?« Und die vielsagende Antwort darauf: »Artus wird betrogen. Artus ist ein Narr. Artus ist parteiisch und blind.« Mir schauderte.

Die Besprechung war zu Ende. Wir hatten uns geeinigt, daß Gawain in zwei Tagen wieder nach Kleinbritannien reisen würde, und er und Bedwyr gingen. Artus und ich konnten uns für das Fest am Abend vorbereiten. Ich fing an, mein Haar zu lösen, denn es sollte ein offizielles Fest sein, auf dem ich eindrucksvoll aussehen mußte. Ich band mir das Haar mit Gold auf. Artus schaute mich müde an.

»Soviel über König Macsen«, sagte er. »Obwohl ich in der Tat glaube, daß wir den Ärger mit ihm genausowenig hinter uns haben wie den Ärger mit diesem Fuchs Maelgwyn von Gwynedd. Gwynhwyfar, mein Herz, mir wird speiübel beim Gedanken an diese Könige.«

Ich suchte meinen Kamm, fand ihn. »Unglücklicherweise können wir diese Könige nicht absetzen.«

Er schnaufte. »Jeder Versuch hätte zur Folge, daß wir abgesetzt werden. Und sie haben ein Recht auf ihre Königreiche.« Er stand auf und ging rastlos im Raum umher. Dann blieb er stehen, stützte die Hände auf den Tisch und fragte in die Luft: »Was soll ich nur tun?«

Ich wußte, daß er nicht mehr an Macsen von Kleinbritannien oder an irgendeinen anderen König dachte. Ich hatte den Unterton des Schmerzes schon gehört. Öfter und öfter während des vergangenen Jahres war er nachts starr und schweißbedeckt aufgewacht und hatte gerufen: »Morgas!« Es war immer Morgas, immer seine tote Halbschwester, die seine Alpträume erfüllte, und nie der wahre Grund seiner Alpträume, Morgas’ Sohn Medraut. Aber es gab einen Grund dafür, und in der Nacht, als er hörte, daß Morgas tot war, hatte er ihn mir erzählt. Er hatte es niemand anderem gesagt, noch nicht einmal Bedwyr. Gawain wußte es, aber das kam daher, daß Morgas auch seine Mutter gewesen war, und Artus hatte früher angenommen, daß er alles wußte.

»Was soll ich nur tun?« fragte Artus wieder und wandte sich von der Mauer ab. »Ich muß Dinge beweisen, die offensichtlich sein sollten, ich muß beweisen, daß ich Gawain traue, Gawain, bei dem auch der schlimmste Tyrann keine Untreue vermuten würde. Und wenn ich eine Lüge durch eine öffentliche Geste widerlegen könnte, wenn ich sie widerlegen könnte, ohne ihr die Substanz zu geben, die ihr die Anerkenntnis geben würde, dann wäre ich auch nicht besser dran. Denn zehn weitere Lügen sind aufgetaucht. Und dennoch - ich kann ihren Ursprung mit nichts bekämpfen. Denn er redet nicht von Verrat, und er leugnet, daß er die Gerüchte ins Leben gerufen hat, mit einem Gesicht von vollkommener Unschuld. Er benutzt selbst meine eigenen Fragen gegen mich. Wenn ich ihn doch ins Exil schicken könnte! Aber aufgrund welcher Anklage?«

»Ich dachte, wir hätten uns entschlossen, den Sturm so gut wie möglich durchzustehen«, sagte ich.

»Ich habe mich entschlossen. Bedwyr stimmte mir zu, du und Gawain nicht. Schick ihn auf die Inseln, hast du gesagt, selbst wenn es aussieht wie ein verbrecherischer Bruch der Gastfreundschaft. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Er hat Freunde.«

»Er hat Freunde.« Ich legte den Kamm nieder; er fühlte sich in meiner Hand sehr schwer an. »Es wäre auch nicht mehr sicher, ihn auf die Inseln zu schicken. Sein Bruder ist. krank.«

Der älteste Sohn der Morgas, Agravain ap Lot, König der Orkneys seit dem Tod seines Vaters, war in der Tat ein gebrochener Mann. Sein Muttermord hatte ihn vernichtet, und jetzt, nach allem, was man hörte, trank er sich zu Tode. Sein Vater hatte noch sehr viel Macht über das Piktenland und die westlichen Inseln wie auch über die Orkneys gehabt, aber diese Macht schlüpfte jetzt durch Agravains schlaffe Finger, und seine Sippe und seine Landsleute waren nicht erfreut darüber. Medraut auf die Inseln zu schicken, jetzt, wo sie so reif waren für Intrigen, das wäre für uns genauso gefährlich wie grausam gegen Agravain, der schließlich Artus’ Gefolgsmann gewesen war und tapfer viele Jahre lang für ihn gefochten hatte und schon genug litt.

»Selbst wenn es sicher wäre, könnte ich ihn nicht ins Exil schicken. Ich habe nichts, was ich gegen ihn vorbringen kann. Gwynhwyfar, wie hast du gewußt, daß so etwas passieren würde? Du hast mich gewarnt, schon in der ersten Nacht, als er kam.«

Ich dachte an Medraut, wie er in der ersten Nacht gewesen war. Er hatte am Hohen Tisch gesessen, während des Festes, das wir zur Begrüßung seines Bruders, des neuen Königs Agravain, gegeben hatten. Er hatte einen safranfarbenen Mantel getragen, und das Fackellicht hatte sich in seinem blonden Haar gefangen und es leuchten lassen. Er war ein schöner junger Mann - von mittlerer Größe wie sein Bruder Gawain, stark, elegant, ein guter Reiter und ein fähiger Krieger. Die meisten seiner Gesichtszüge waren wie Gawains - oder wie Morgas’, nehme ich an -, die gerade Nase und die feingemeißelten Wangenknochen, die gleichen schmalen, langfingrigen Hände. Aber seine weit auseinanderstehenden grauen Augen und der feste Unterkiefer erinnerten an Artus, und ich hatte in ihm die gleiche leidenschaftliche Hingabe gespürt, die ich bei meinem Mann so gut kannte. Aber diese Hingabe hatte einem ganz anderen Ziel gegolten, da war ich sicher. Und selbst wenn Medraut lächelte, hatte ich mich gefürchtet.

Ich schüttelte den Kopf. Dann stand ich auf, ging hinüber zu meinem Mann und legte die Arme um ihn. Er bewegte sich nicht; nur sein Herz schlug gleichmäßig an meinem. »Ich hab’ es nicht gewußt«, flüsterte ich an seiner Schulter. »Ich hatte nur Angst. Ich weiß nicht warum. Du und Bedwyr, ihr wolltet Gründe, und ihr hattet recht. Es wäre ungerecht gewesen, ihn zu verdammen, ohne ihn vorher anzuklagen.«

»Du hattest auch Gründe.« Artus löste sich von mir und sank in den Sessel. »Du hast genug mit Menschen zu tun gehabt. Ich sollte dir trauen, wenn du sagst, daß jemand lügt. Und ich hätte auch Gawain zuhören müssen - er kennt Medraut besser als irgendein anderer. Aber ich dachte, er hätte den Tod seiner Mutter noch nicht genug verwunden, um klar zu denken, und ich dachte, du wärst übervorsichtig und vielleicht eifersüchtig. Und ich war entschlossen, ein Risiko einzugehen. Das hätte ich nicht tun sollen. Der Einsatz ist zu hoch.«

»Du hättest ihn auch nicht einfach ablehnen können. Er ist dein Sohn.«

Artus zuckte zusammen und wandte den Blick von mir ab. Er lehnte sich gegen den Tisch und starrte den Rauchfleck an, den die Lampe an der Wand hinterlassen hatte. Medraut war sein Sohn, geboren aus einer Blutschande, die er vor sechsundzwanzig Jahren mit seiner Schwester Morgas begangen hatte. Er hatte damals nicht gewußt, daß sie seine Schwester war; er hatte auch nicht gewußt, wer sein Vater war. Sie war eine verheiratete Frau gewesen, die bei ihrem Vater, dem Kaiser, wohnte, solange ihr Mann im Krieg im Norden von Britannien kämpfte. Und Artus war einer von den Kriegern ihres Vaters gewesen, ein Bastard, der in einem Kloster aufgewachsen war und der durch Fähigkeit und Glück sich einen Platz im kaiserlichen Heer erkämpft hatte. Sie hatte ihn mit Aufmerksamkeiten bedacht, ihn verfolgt, ihm gesagt, ihr Mann sei grausam, und schließlich hatte sie ihn in einer Nacht nach dem Fest zu Ehren seines ersten Sieges verführt. Er war damals achtzehn gewesen. Kurz danach hatte er entdeckt, daß Uther sein Vater war, und von Morgas erfuhr er, daß sie es die ganze Zeit gewußt hatte. Der schwarze Schrecken dieser Entdeckung hatte ihn seit damals verfolgt.

Artus hatte mir dies erzählt, als er hörte, daß sie tot war, und er hatte gesprochen, als ob er sich diese Geschichte ausriß wie ein monströses Krebsgeschwür, das in seinem Fleisch vergraben lag. Ich hatte geweint, aber seine Augen waren trocken geblieben. Er war grausam gegen sich selbst. »Ich wußte, was sie vorhatte, als ich aus der Halle kam und sie im Schatten warten sah«, sagte er. »Und ich habe mitgemacht. Ich erlaubte nur den Ehebruch, aber das war genug. Und dieser eine Augenblick der Zustimmung wird sich über mein ganzes Leben erstrecken, und wenn Gott gerecht ist, dann dauert er in alle Ewigkeit. Jetzt ist sie tot, und ich kann sie nicht mehr bekämpfen, kann. ihr nicht mehr entrinnen.« Er nahm den Brief auf, der die Nachricht enthielt, starrte ihn an und sagte still, so still, daß ich ihn kaum hörte: »Ihr Sohn - unser Sohn - hat sie angebetet.«

Und dennoch, als Medraut in Camlann auf getaucht war, hatte er mehr verwirrt als feindlich gewirkt. Wir wußten von Gawain, daß Morgas Medraut das Geheimnis seiner Geburt erzählt hatte, und Gawain hatte darauf bestanden, daß sein Bruder jetzt Artus’ tödlicher Feind sei. Aber Medraut wirkte eher verwirrt: Er war sehr verbittert gegen seinen Bruder, aber unsicher, was er jetzt tun sollte, wo seine geliebte Mutter tot war. Das hatte Artus die Hoffnung gegeben, er könne Medraut vielleicht für sich gewinnen. Gawain hatte uns gesagt, Medraut sei einmal ein freundliches Kind gewesen, und sie hätten sich in der Jugend sehr nahegestanden. Gawain selbst hatte seiner Mutter Morgas einmal gehuldigt, aber danach hatte er sich aus ihrem Griff befreit. Artus hatte gehofft, Medraut könne vielleicht das gleiche tun. Vielleicht hatte er sogar gehofft, den Schatten der Morgas durch ihren Sohn zu bekämpfen und ihr zu entrinnen. Jedenfalls hatte er Medraut einen Platz in Camlann zugewiesen. Und ich konnte es ihm nicht übelnehmen, daß er nach diesem Kind seiner Feindin hungerte, nach dieser goldenen Jugend. Ich hatte ihm keinen Sohn geschenkt, überhaupt kein Kind. Vielleicht lag sogar ein Stückchen Wahrheit in seiner Annahme, daß ich Medraut fürchtete, weil ich eifersüchtig auf ihn war. Ich konnte das nicht glauben, aber in solch einer Angelegenheit war es auch leicht, daß ich mich selbst belog. Artus’ Feindin hatte ihm einen Sohn aus Haß geschenkt, während ich, die ich meine Augen und mein Gehör dafür gegeben hätte, ein Kind zu tragen, unfruchtbar war.

Ich saß auf der Kante des Tisches, nahm Artus’ Hand und hielt sie in meinen beiden Händen. Mein Herz schmerzte wieder um ihn, und ich war sehr müde. »Mein Liebster«, sagte ich, »wir haben uns entschlossen, diesen Sturm durchzustehen. Wir haben schon Schlimmeres ertragen. Quäl dich nicht damit.«

»Es wird bald Kämpfe geben. Meine Männer fangen vielleicht an, sich gegenseitig wegen Medraut umzubringen. Was soll ich dann tun?«

Ich wußte es nicht. Ich konnte nur seine Hand halten und sie pressen, bis der dunkle Traum getrübt wurde und er mich wieder anschaute. Dann küßte ich seine Hand und den Ring an seinem Finger, den Siegelring, auf dem der kaiserliche Drache eingeschnitten war.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, und die gespannten Muskeln entspannten sich ein wenig. Er streckte die Hand aus und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Mein Herz«, sagte er, »ja, wir mögen es vielleicht überleben. Alles kann vielleicht noch gut werden.« Er erhob sich, küßte mich und fügte hinzu: »Aber jetzt gibt es ein Fest für die Botschafter. Wir müssen uns darauf vorbereiten.«

Ich nickte und kämmte mein Haar fertig. Ich fühlte mich so erschöpft, als ob ich den ganzen Tag auf der Reise verbracht hätte, auf schlechten Straßen.

Das Fest war prächtig und glanzvoll, und die Botschafter der Könige von Elmet und Powys wurden so großartig unterhalten, wie das einem kaiserlichen Hof zukam. Unsere siebenhundert Krieger füllten nur die halbe Festhalle, und der Rest der Plätze wurde von den Frauen der Verheirateten eingenommen - wir hatten die Sitte, nach der Frauen in der Halle nicht zugelassen sind, fallengelassen, wenigstens bei manchen Gelegenheiten. Auch der Troß der Botschafter war dabei und Priester und Machthabende und Bittsteller aus ganz Britannien. Fackeln in den Halterungen an den Mauern erleuchteten die Halle, und die beiden großen Feuerstellen an jedem Ende schickten Licht und Wärme zum hohen Dach hinauf. Die weißgekälkten Schilde an der Wand leuchteten, und die Tische waren voll vom Glitzern des Schmucks und der Waffen und der gestickten Umhänge, während die Halsbänder der schlanken Kampfhunde hier und da das Licht selbst unter den Tischen einfingen. Es gab Rindfleisch und Wild, Schweinefleisch und Lamm und wilde Vögel zu essen und Met und Wein, der aus Kleinbritannien importiert war, bis die Halle in Kreisen zu wirbeln schien. Und es gab Musik, Lieder von Artus’ oberstem Barden Taliesin, den man den großen Poeten von Britannien nannte, und auch von anderen Sängern, bis die Tische zu den Tönen der Harfe zu schweben schienen.

Cei und Rhuawn versöhnten sich beim Fest, still, aber öffentlich. Artus gewährte drei Bitten, eine Bitte um Gnade für einen Verbrecher, eine um gerechte Schlichtung einer Fehde und eine für den Knaben Gwyn, der seinen Platz in Camlann bestätigt haben wollte. Ich ließ ihn hereinrufen, und er stand vor dem Hohen Tisch und sah sehr dünn und sehr furchtsam aus. Artus lächelte ihn sanft an.

»Mein Herr«, sagte Cei, der sich an seinen Ärger vom Nachmittag erinnerte und wegen der erzwungenen Versöhnung gereizt war, »warum schickst du diesen Jungen nicht nach Hause und suchst der Kaiserin statt dessen einen richtigen Schreiber? Der Junge ist nur ein Bastard aus einem Kloster, und wahrscheinlich ist er weder mit der Feder noch mit dem Schwert von Nutzen.«

Artus musterte Cei scharf, und einer seiner Mundwinkel zuckte. Die schwarze Stimmung des Nachmittags war vergessen. »Cei«, sagte er im gleichmäßigen Tonfall, »ich bin auch ein Bastard aus einem Kloster.«

»Du bist ein Kaiser, und du warst nie etwas anderes«, erwiderte Cei, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich wußte, daß du fähig bist, das Reich zu führen, schon damals, als du zum erstenmal nach Camlann kamst, lange bevor du Anspruch auf den Purpur erhobst.«

Artus lächelte. »Das war mit ungewohnter Höflichkeit gesprochen, alter Freund, aber nichtsdestoweniger war es eine Lüge. Wer war es denn, der mich >den Mönch< nannte, als ich am Anfang Dienst bei Uther nahm? Ja, und du hast mich sogar niedergeschlagen, als ich an diesem Namen Anstoß genommen habe! Und, ja, ich danke dem Herzen, das die Vergangenheit so außer acht lassen kann. Junge, du bist hier willkommen. Du wirst der Kaiserin Gwynhwyfar helfen, wie sie es für nötig sieht, und du darfst den Rest deiner Zeit damit verbringen, mit den anderen Jungen der Burg zu üben. Hör zu, Herr Gereint, denn du wirst ihn ausbilden müssen! Sie benutzen am Vormittag den Hof hinter den Ställen. Geh morgen früh zu ihnen, wenn die Kaiserin nichts für dich zu tun hat.« Gwyn errötete vor Freude und verbeugte sich sehr tief. Seine Augen glänzten. Er war ein lieber Junge, dachte ich, und ich wünschte ihm alles Glück der Welt. Wahrscheinlich würde er es auch brauchen, denn die anderen Jungen würden einen fremden Eindringling kaum willkommen heißen, der sich in ihren festgefügten Kreis drängte.

Ich erhob mich und schenkte am Hohen Tisch den Wein ein, wie ich das bei jedem Fest tat, selbst bei den Feiern, von denen die meisten Frauen ausgeschlossen waren - es ist eine Ehre, und die Männer haben es gern. Die Botschafter lächelten und neigten die Köpfe, als ich ihnen einschenkte. Ich wußte, was sie an mir sahen -das purpurgesäumte Kleid aus weißer Seide, das ich trug, das Gold und die Perlen, das zuversichtliche Lächeln, die Dame der ruhmreichen Festung, die das Herz des Reiches war. Eine Lüge, und auch die Pracht des Festes eine Lüge, die wir ihnen erzählten, ohne ein Wort zu sprechen. Die brüchige Pracht von Eis, das bald zerbricht. Frost auf dem Gras, der mit der Morgensonne schmilzt. Und dennoch, die bittere Wahrheit der Zwietracht, der fremden Feindseligkeiten und der inneren Schwäche konnten vielleicht noch verschwinden, und nur der Glanz würde bleiben. Wer konnte dann noch sagen, daß alles eine Lüge war?

Dennoch, in dieser Nacht, als ich in mein eigenes Haus zurückkehrte und die Asche von Menws Brief in der Feuerstelle sah, wurde mir schlecht beim Gedanken an mich selbst. Ich wünschte mir verzweifelt, ehrlich sein zu können, zu weinen, wenn ich bekümmert war, offen Liebe und Haß zu zeigen, dem Reichtum, der Ehre und Schwertschneide der Macht zu entgehen. Aber Artus war schon im Bett und schlief den Schlaf der Erschöpfung. Er trug eine schwerere Bürde als ich, und er brauchte seine Ruhe. Also kroch ich still neben ihm ins Bett, um ihn nicht aufzuwecken.