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Ich war entschlossen, mich am Tag nach dem Fest genauso zu benehmen wie gewöhnlich, denn alles andere hätte neuen Gerüchten Nahrung gegeben. Deshalb hielt ich mich an den Plan, den ich gemacht hatte, und verließ das Haus am Vormittag, um mit ein paar freien Bauern der Burg über die Ernte zu sprechen, die in den umliegenden Feldern heranwuchs. Ich ließ Gwyn rufen, damit er die Kornmengen niederschrieb, die die Bauern erwarteten. Der Junge war besorgt, unaufmerksam und bekümmert während der ganzen Angelegenheit, und ich benahm mich wahrscheinlich nicht viel besser. Den ganzen Tag hatte ich böse Kopfschmerzen - das kam vom zu vielen Weinen. Aber ich hatte lange Jahre der Erfahrung hinter mir, die Gwyn fehlten. Ich mußte nicht lange nachdenken, um all die angemessenen Fragen zu stellen und all die angemessenen Glückwünsche und Beileidsbezeugungen auszusprechen. Ich hab’ vielleicht sogar die Bauern angelächelt, obwohl mein Herz weit entfernt war von solch einem maskenartigen Lächeln.

Ich beendete das Geschäft mit den Freibauern und entließ sie wie auch Gwyn. Ich trug dem Jungen auf, von der erwarteten Kornmenge dieser Ernte eine Reinschrift zu machen und sie in eins von meinen Rechnungsbüchern zu legen. Die Bauern verbeugten sich und gingen in einer Reihe davon, aber Gwyn zögerte. Er fing an, auch wegzugehen, drehte sich dann aber um und rannte zurück. Neben meinem Stuhl fiel er auf die Knie nieder und ergriff meine Hand.

»Es war eine ekelhafte Lüge, edle Dame, und niemand, der Verstand besitzt, hat sie geglaubt«, sagte er mir wild. »Und alle erwarten, daß Medraut angeklagt wird, die kaiserliche Majestät zu verleumden, und daß man ihn verbannt. Wird er ins Exil geschickt werden?«

»Der Kaiser wird ihn wahrscheinlich aus Camlann entlassen«, sagte ich stoisch, und dann, während ich mir ein ziemlich vages Lächeln abzwang, »danke, Gwyn.«

Er preßte meine Hand an seine Stirn und ging dann weg, während er seine Wachstafel schwang und wild die Stirn runzelte. Bei seinem unverdienten Vertrauen fühlte ich mich noch schlimmer. Es vertiefte meine Schande. Und dennoch, die Worte des falschen Trostes bekamen von anderen ein Echo. Goronwy, der sich jetzt von dem

Zweikampf erholt hatte, trat beim Mittagsmahl unter irgendeinem Vorwand an mich heran und sagte mir mit lauter Stimme, wie widerlich der Witz gewesen wäre und wie er hoffe, daß man Medraut des Verrats anklagen würde. Ich war froh, daß er sich anscheinend endlich von Medraut und seiner Gruppe losgerissen hatte, aber ich wünschte mir, er hätte einen besseren Grund dafür gehabt.

Am Nachmittag traf ich Gawain, und die Unterhaltung verlief ganz anders.

Ich wollte die Kornmengen, die Gwyn am Morgen niedergeschrieben hatte, mit ein paar anderen Zahlen vergleichen, und ich entdeckte, daß der Junge die Reinschrift nicht fertig geschrieben hatte. Ich ging ihn suchen, um von ihm die ursprüngliche Wachstafel zu holen, und fand ihn im Hof hinter den Ställen. Er und Gawain übten mit Gawains Fuchsstute das richtige Verhalten in der Schlacht, und Gawain gab Gwyn gute Ratschläge dazu. Diese Unterrichtsstunden waren regelmäßig geworden, und sowohl Gawain als auch Gwyn schienen sie sehr viel Freude zu machen, obwohl ein paar von den anderen Jungen in der Burg Gwyn um so mehr dafür ablehnten, daß er einen Freund unter den großen Kriegern hatte. Nichtsdestoweniger waren für Gwyn Gawain und die Fuchsstute mit der Zeit wichtiger geworden als Gereint, der Reitlehrer, und der maultierartige nußbraune Wallach. Als ich herankam, stand Gwyn mitten im Hof und hielt die Peitsche, während Gawain die Stute im weiten Kreis um ihn herumritt. Endlich waren sie in ihren Übungen jetzt dabei angekommen, den Ring aufzuheben.

»So«, sagte Gawain gerade, »diesmal lasse ich sie im kurzen Galopp gehen. Wenn sie verzögert, solange ich nicht im Sattel bin, benutz die Peitsche nicht, es sei denn, du mußt. Brüll sie zuerst an; sie weiß jetzt, was das bedeutet.«

Gwyn nickte ernst, und Gawain setzte dem Pferd die Fersen in die Flanken, damit es galoppierte. Die Fuchsstute war ein wunderschönes Tier, ein Nachkomme aus der Verbindung einer von Gereints Stuten und Gawains Schlachthengst Ceincaled. Sie lief so leicht wie ein Hirsch. Gawain ritt sie noch einmal im Kreis herum, und Gwyn drehte sich auf dem Absatz um, damit er dem Vorgang folgen konnte. Dann ließ Gawain den Kopf nach unten sinken, neben den Hals der Stute, und verlagerte das Gewicht auf die rechte Seite. Mit einer Hand packte er gleichzeitig Zügel und Mähne. Die Ohren der Stute zuckten zurück, als er ihr etwas zuflüsterte, aber sie verlor nicht an Tempo. Gawain zog das linke Bein hoch, hakte sein Knie um den Sattelknauf und schien plötzlich zu fallen. Die Stute verzögerte; Gwyn brüllte, und sie legte wieder Tempo zu. Gawain, der jetzt mit dem Kopf nach unten hing, griff mit dem rechten Arm auf den Boden, seine Finger schleiften einen Augenblick über das Gras. Dann, irgendwie, auf wunderbare Weise, saß er wieder aufrecht im Sattel und lachte und hielt zwischen Daumen und Mittelfinger einen goldenen Ring. Er warf ihn in die Luft, zügelte die Stute und ritt im Trab zu Gwyn hinüber.

»Soviel also für eine Übung, von der mein Bruder Agravain immer sagte, sie wäre nur gut genug für fahrendes Volk auf dem Jahrmarkt.«

»Herr, es war wunderbar!« sagte Gwyn warm. »Gereint muß mindestens zwei- oder dreimal probieren, und er kann es nicht so. nicht so.«

»Nicht? Er wird wohl alt. Er konnte es früher besser als ich. So, jetzt versuch du es mal.« Er sprang aus dem Sattel, nahm die Zügel und reichte Gwyn den Ring. Gwyn nahm ihn, stand einen Augenblick da und tätschelte der Stute die Schulter und flüsterte ihr zu, und dann sprang er in den Sattel. Er nahm die Zügel und schaute sich um, und da erst sah er mich. Sein Gesicht wurde lang.

»Edle Dame«, rief er. »Brauchst du mich jetzt?«

Ich zögerte. Ich wollte nicht hier herumstehen und Gawain Lügen erzählen, aber ich konnte es auch nicht über mich bringen, Gwyn ausgerechnet in diesem Augenblick wegzuzerren. »Du kannst kommen, wenn du mit dem Ring fertig bist«, gab ich zurück. »Es geht nur um die Ernteliste.«

Gwyn nickte. Er war wieder glücklich. Aber Gawain schaute mich ernst an. »My Lady«, sagte er, »vielleicht möchtest du einen Augenblick bleiben und zusehen?«

Wieder zögerte ich. Und dann, weil Unsicherheit schlecht aussah, ging ich über den Hof und stellte mich zu ihnen, obwohl ich wünschte, ich könnte das Lügen bis morgen oder bis zum nächsten Tage oder bis zur nächsten Woche verschieben. »Stehe ich euch hier im Weg?« fragte ich.

»Aber nein«, erwiderte Gawain. »Aber stell dich auf meine linke Seite, denn möglicherweise muß ich die Peitsche benutzen, wenn die Möwe vergißt, gleichmäßiges Tempo zu halten.« Er schnalzte dem Pferd mit der Zunge zu, und die Stute stellte die Ohren auf und drehte sie dann wieder rückwärts, um auf Gwyn zu horchen. Der

Junge lächelte stolz und wendete das Pferd und ließ die Stute in den Kreis laufen, der schon in das Gras auf dem Hof eingetrampelt war.

»Soll ich den Ring hier niederlegen?« rief er uns zu. »Ja, genau da. Aber nimm dir Zeit, und sorg dafür, daß der Ring in der bequemsten Entfernung liegt.«

Gwyn nickte, und nach einem Augenblick der gesammelten Konzentration wendete er die Stute und ließ sie im Schritt um den Kreis herumgehen, um festzustellen, ob die Entfernung wirklich passend war.

»My Lady«, sagte Gawain mit leiser Stimme, »gestern abend.« Er zögerte, schaute mich an, und seine dunklen Augen waren unergründlich.

»Es war ein böser Witz«, sagte ich und wappnete mich.

Er schaute noch einmal schnell weg. »So sagt Medraut jetzt selbst, und man wiederholt es überall in der Burg, wenn auch unsicher. Medraut deutet an, daß Tieferes dahinter liegt, noch während er das abstreitet. Und dennoch hat Artus den Becher ausgetrunken, und es ist ihm nichts geschehen, obwohl manche behaupten, es sei ein Wunder.«

»Medraut unter anderem auch?«

»Nein, my Lady.« Gawain sah mich wieder an. »Ich habe es von Gruffydd, dem Chirurgen gehört. Er hat es mir im geheimen gesagt, mir allein.«

»Gruffydd? Aber er. ich dachte, er sei Medrauts Feind.« Ich unterbrach mich, wandte mich ab und kämpfte um Haltung. Gwyn hatte den Kreis jetzt vollendet und hakte sein Knie um den Sattelknopf und übte vorsichtig die ersten Stufen des Fallenlassens. Den Ring hielt er mit der Hand umklammert.

»Er ist Medrauts Feind. Er glaubt, es wäre eine ehrenhafte, ja sogar eine heldenhafte Tat, meinen Bruder zu vergiften. Er sagte mir, wenn das in der Tat dein Plan gewesen wäre, dann sei es ein vernünftiger und mutiger Plan gewesen, und er wünschte, er wäre gelungen. Und er sagte mir auch, er hätte bemerkt, daß aus seinem Lagerraum ein Teil der Eibenmixtur verschwunden sei. All dies sagte er mir natürlich streng unter vier Augen. Gruffydd kann den Mund halten.«

Gwyn ließ sich aus dem Sattel sinken, legte den Ring ins Gras und richtete sich dann mit einer Bewegung wieder auf, die schon jetzt von der Übung geglättet war. Er wandte sich zu Gawain um und strahlte, und Gawain nickte. Gwyn ließ die Stute traben.

»Nimm dir Zeit«, rief Gawain ihm zu. »Wenn du zu eilig bist oder aus Unsicherheit zögerst, dann ist alles ruiniert.« Gwyn nickte.

»Warum erzählst du mir das?« fragte ich flüsternd.

»My Lady. my Lady, ich habe Mitleid mit meinem Bruder Medraut. Früher einmal. früher einmal war er so wie Gwyn. Es hat mich tief geschmerzt, ihn so verzerrt zu sehen und in solchem Haß. Wenn ich wüßte, daß einer meiner Freunde sich dazu gedrängt gefühlt hätte, ihn zu vergiften, dann würde ich. es würde mich bekümmern. Aber ich kann es verstehen. Vielleicht wäre es sogar, wie Gruffydd sagte, vernünftig und mutig. Ich bin kein Herrscher. Ich kann es nicht sagen.«

»Gawain.« begann ich, und dann fiel mir nichts mehr ein, was ich noch sagen wollte. Er schaute mich an und wartete, und derselbe ernste Ausdruck lag in seinem Blick, und endlich erkannte ich den Ausdruck als Mitleid.

»My Lady, ich weiß, daß du dich für so etwas niemals leicht entscheiden würdest oder ohne Qual. Du würdest es dir auch nicht wünschen, außer aus den reinsten Motiven. Aber jetzt, wo es fehlgeschlagen ist. he! Zurück dahinter!« denn Gwyn hatte die Übung versucht, und die Stute war in Trab verfallen, als er sich aus dem Sattel niedersinken ließ. Sie galoppierte jetzt wieder, und der Junge richtete sich mühsam auf und schaute bedrückt drein.

»Ich hab’ den Ring nicht gekriegt«, sagte er Gawain.

»Beim ersten Versuch. Du selbst, mein Vetter, hast gesagt, daß Gereint mindestens zwei- oder dreimal versuchen muß, und könntest du, kleiner Welpe, ein besserer Reiter sein als er? Komm, versuch’s noch einmal. My Lady«, er senkte die Stimme wieder, »gleichgültig, was geschehen ist, ich bin dein Freund und Diener wie immer.«

»Mein Bruder und Herr«, erwiderte ich, »Gawain, daß ich nicht Medrauts Mörderin bin, das habe ich nur der Vorahnung deines Bruders und Artus’ schnellem Handeln zu verdanken, denn der eine verweigerte den Becher, und der andere goß ihn in den Ärmel aus. Aber im Herzen bin ich genauso schuldig, wie ich schuldig wäre, wenn ich deinen Bruder umgebracht hätte. Trotzdem wünsche ich mir noch immer, ich hätte es geschafft. Es tut mir leid. Ich verdiene nichts von dir, weder deine Freundschaft noch deinen Dienst und sicherlich nicht diese Freundlichkeit.«

»Du hast meine Liebe und meinen Gehorsam viele Jahre lang und für vieles verdient, was du für mich getan hast. Und ich habe schon gesagt, daß ich verstehe, warum du so etwas tun wolltest. Ich trage nicht die Verantwortung für das Reich, also steht es mir nicht an, zu beurteilen, ob dein Plan gerecht war. Hätte ich davon gewußt, ich hätte dagegen gearbeitet, hätte sogar Medraut gewarnt - obwohl er wahrscheinlich genug Zauberei geerbt hat, um es selbst vorherzusehen. Mit Giften ist er sehr vertraut. Er ist fähig, sich davor zu schützen. Und da der Versuch fehlgeschlagen ist, trägst du keine Schuld daran.« Er hielt inne, sah zu, wie Gwyn sich noch einmal nach dem Ring aus dem Sattel sinken ließ, die Zeit verpaßte und zu spät zupackte und fast stürzte, während er sich herumdrehte und danach langte. Dann erhob er sich unsicher wieder in den Sattel, mit leeren Händen. »Macht nichts, Vetter«, rief Gawain. »Sie läuft jetzt besser. Versuch’s noch einmal!« Und dann, mit leiser Stimme, »My Lady, du darfst die finsteren Gedanken und den Kummer nicht nähren. Deine Kraft wird jetzt gebraucht. Die größten aller Herrscher haben Schlimmeres geplant und es dann auch durchgeführt. Denk an die römischen Hohen Könige, die unser Herr Artus so bewundert. Was sagt Artus dazu?«

»Er wußte nichts davon«, sagte ich ruhig. »Ich hab’ es nicht gewagt, ihm davon zu erzählen. Ich wußte, er würde dagegen sein.«

Gawain schaute mich einen Augenblick lang fest an, und ich mußte fortfahren: »Ich habe ihn verletzt. Vielleicht wird er mich nie wieder lieben.«

Er schaute mich noch immer an, offen und ungläubig.

»Er hat ja einen Grund dafür! Ich habe hinter seinem Rücken einen Mord geplant. Ich hab’ ihn verraten - ich habe sein Vertrauen in meine Ehre verraten. Und ich habe ihn in seinen Augen entehrt und ihn gezwungen, zu lügen und leere Gesten zu machen. Ich hab’ versucht, etwas durchzuführen, das er sich halb selbst wünschte, das er aber nie versucht hätte.«

»Ich kann nicht glauben, daß er dich haßt. Sein erster Gedanke galt dem Schutz deines Namens.«

»Nein«, erwiderte ich müde, und meine trockenen Augen schmerzten wieder bei dem Gedanken. »Er wollte Medraut abwehren und uns schützen - Camlann, das Reich. Nicht mich. Und so sollte es auch sein.«

»Ich glaube nicht. oh, gut gemacht, Mo Chara!« Denn Gwyn hatte sich triumphierend auf den Ring niedergesenkt und wendete jetzt die Stute und hielt den Ring strahlend und siegreich in der Hand. Er glitt von dem schwitzenden Pferd herab und gab ihn

Gawain mit einer Verbeugung.

»Hast du mich gesehen, edle Dame?« fragte Gwyn hoffnungsvoll.

»In der Tat. Das hast du wunderbar gemacht, Gwyn.«

Er lächelte entzückt, stand einen Augenblick da, als ob er fast platzte, weil er etwas sagen oder brüllen wollte, beherrschte sich dann und fragte: »Soll ich jetzt die Listen holen, edle Dame, und die Rechnungsbücher? «

Er hatte seinen Blick auf mich geheftet, und Gawain warf mir den gleichen fragenden Blick zu, während eine Hand am Zügel des Pferdes lag. Die beiden Augenpaare waren gleich dunkel.

»Zuerst kannst du das Pferd in den Stall bringen«, sagte ich Gwyn, denn ich wußte, daß er das wollte. »Selbst ich weiß, daß der Reiter sich darum zuerst kümmert. Wenn du fertig bist, dann bring die Liste und die Bücher in mein Zimmer.«

Gawain lächelte sehr sanft, nahm dann meine Hand und berührte damit seine Stirn. Es war die gleiche Geste, die auch Gwyn benutzt hatte, aber Gawain meinte sie ganz anders, und ein Schrecken vor dieser Geste erfüllte mich. Ich wußte, was er wußte, aber er unterwarf sich mir trotzdem. Daß er es wußte, machte mich frei, und er blieb mein Freund. aber ich hatte ja nie ein Recht auf Freundschaft gehabt, weder auf seine noch auf die Freundschaft irgendeines anderen. Niemand hat das. Auch das war Freiheit, wenn auch eine bittere Freiheit, wo ich selbst keine Rolle mehr spielte und nur noch in der edlen Haltung eines anderen existierte. Ich war dankbar, dankbarer, als ich sagen konnte.

»Ich danke dir viele Male für deine Freundlichkeit, my Lady«, sagte Gawain. »Wenn du noch weiter mit mir sprechen willst, bin ich dein Diener, wie immer.«

Ich nickte und ließ die beiden allein, damit sie sich über die Stute und Gwyns Reitkünste unterhalten konnten. Der blonde Kopf und der dunkle neigten sich über den glatten Rücken des Pferdes.

Artus erteilte an diesem Tag Medraut den Befehl, Camlann zu verlassen. Er beschuldigte ihn keines Verbrechens, sondern schrieb nur einen Brief, der darauf lautete, daß Medraut auf die Orkneys zurückgeschickt wurde und daß alle Personen, die den Brief lasen, ihm Hilfe auf der Reise bieten sollten. Artus ging dann mit Bedwyr und Cei zu Medrauts Haus, und sie präsentierten ihm das Dokument. Medraut begrüßte sie mit lächelnder Höflichkeit. Er entrollte und las den Brief und tat so, als ob er erstaunt sei. Cei erzählte mir anschließend davon. »Er hat gesagt: >Für welches Verbrechen werde ich denn ins Exil geschickt?< Als ob er von solch einem Richtspruch noch nie gehört hätte und sich nicht denken könne, was er eigentlich getan hatte. Außer, daß er vielleicht die Kühe mit Steinen beworfen hätte. Aber unser Herr wollte das dumme Gerede nicht hören. >Weil du von königlichem Geblüt bist und wegen deiner Stellung hier<, hat er gesagt, >deshalb hat man dich keines Verbrechens angeklagt, obwohl du genug Geschichtsbücher gelesen hast, um zu wissen, daß die Beleidigung der Majestät ein Schwerverbrechen ist und daß die Majestät beleidigt ist, wenn man die Frau des Kaisers absichtlich beleidigt. Wie auch immer, ich klage dich nicht an. Außerdem wirst du nicht ins Exil geschickt, sondern nur zurückgesandt. Dein Eigentum und dein Rang in Britannien sind sicher, zusammen mit all deinen Rechten und Privilegien, außer dem Recht hierzubleiben. Du darfst morgen abreisen. Nimm so viele Pferde, wie du willst, und wenn du frische Reittiere brauchst, dann kannst du sie von den Königen von Britannien fordern.< Medraut fing daraufhin an, seine leuchtende Unschuld darzustellen, aber unser Herr Artus fuhr fort und sagte: >Cei reist mit dir.< Und ich hab’ ihn angegrinst, und da hielt er den Mund. Mein Herr Artus hatte mir das gerade gesagt, my Lady, und so sehr ich auch gegen diesen Aal Medraut bin, ich bin froh genug darüber, daß ich ein Auge auf ihn halten kann. Und es wird schön sein, Agravain wiederzusehen, wie sehr er sich vielleicht auch in den letzten Jahren verändert hat. Aber, my Lady, du solltest dafür sorgen, daß Medraut nicht alles mitnehmen kann, was Artus ihm für seine Reise angeboten hat. Er hat Gold ausgeschüttet, als ob Medraut ein verbündeter König wäre und nicht so etwas wie ein Verbrecher.«

»Natürlich«, erwiderte ich, »Medrauts Freunde sind jetzt, wo ihr Anführer ohne eine Verhandlung weggeschickt wird, wütend genug. Wenn er aber offensichtlich gut behandelt wird, dann kann er von ihnen und von den Königen in Britannien weniger Ärger verlangen. Und wenn du neben ihm reitest, dann kann er die Reise auch nicht für weitere Intrigen benutzen.«

Cei grunzte.

Die beiden ritten in der Tat am nächsten Morgen los, mit einer Eskorte von drei anderen, die sie bis Ebrauc begleiteten. Von dort würden Medraut und Cei zu Schiff auf die Inseln fahren. Ich machte mir fortwährend Sorgen, bis wir hörten, daß sie tatsächlich angekommen waren. Ich machte mir Sorgen, ob Medraut wohl auf dem Weg wieder irgendeinen Ärger vom Zaun brechen würde oder ob er Cei in einen Zweikampf hineinlocken würde oder ob Cei auf eigene Faust einen Kampf anfing - er liebte ja das Kämpfen - und ob er, wenn er irgendeinen Krieger aus dem Norden getötet hatte, dann von irgendeinem König aus dem Norden selbst getötet würde. Aber die Reise verging offensichtlich ohne Zwischenfall, und eine kurze Notiz in Ceis eigener mühseliger Handschrift informierte uns darüber, daß das merkwürdige Paar Dun Fionn auf den Inseln erreicht hatte. Da allerdings hatte ich schon wieder andere Dinge, um die ich mir Sorgen machen mußte.

Die ersten paar Wochen nach dem versuchten Mord waren noch schlimmer als die Wochen davor. Artus, der in der Öffentlichkeit mir gegenüber so aufmerksam wie früher war, konnte sich privat noch nicht einmal dazu bringen, mit mir zu reden. Das Schweigen wuchs zwischen uns; bei Nacht lagen wir Seite an Seite im Bett, als ob die halbe Welt uns trennte. Am Morgen wachte ich auf und stellte fest, daß Artus mich mit verkniffenem, hageren Gesicht beobachtete, und wenn ich mich dann vor meinen Spiegel setzte, fand ich den antwortenden Ausdruck der Schuld und des Elends noch immer an mich geheftet. Ich mußte ihn sorgfältig von meinem Gesicht glätten, ehe ich mich der Welt gegenüberstellen konnte. Ich haßte es, unschuldig zu tun, ich haßte es mehr und mehr, während die Tage vergingen und die wilden Spekulationen in der Burg nach und nach neuen Geschichten und neuem Klatsch wichen. Zuerst wurde natürlich von dem einen oder anderen jede mögliche Erklärung vorgebracht: Ich hatte den Becher vergiftet, aber Artus sei durch ein Wunder verschont geblieben; Medraut hatte den Becher vergiftet, um mich zu belasten, aber Artus hatte entweder geschickt das Gift beiseite geschafft oder sei wie durch ein Wunder. Oder der Becher war gar nicht vergiftet, sondern ich oder Medraut seien von Artus dazu verleitet worden, es doch zu glauben, oder auch noch von einem Dritten. Manche Leute glaubten sogar unsere offizielle Erklärung, daß es nur ein Witz mit Untertönen war, die nach Hochverrat klangen. Ein paar Freunde von Medraut errieten sogar die Wahrheit. Und alle Interpretationen von dem, was geschehen war, wurden endlos diskutiert und besprochen, während ich mich um meine Aufgabe kümmerte und versuchte, ungerührt zu erscheinen, als ob überhaupt nichts geschehen sei. Zeitweise hatte ich den Wunsch, in der Halle aufzustehen und ihnen die Wahrheit entgegenzuschreien, einfach, um von den endlosen unausgesprochenen Fragen frei zu sein. Aber schließlich waren alle möglichen Erklärungen gesucht und gefunden worden, und die aufgeregten Fragen ebbten ab. Medrauts Abreise hatte die Spannung sehr verringert. Viele seiner früheren Gefolgsleute fingen ohne seine Anwesenheit, durch die sie angestiftet wurden, an, wieder selbst zu denken, und sie entschlossen sich zu der Ansicht, daß er zu weit gegangen war. Das wurde offensichtlich, als es nach einer Weile trotz all der ursprünglichen Fragen und all der Streitereien keine Zweikämpfe mehr gab und weniger persönliche Zerwürfnisse. Ich bemühte mich sehr hart darum, ein paar von Medrauts Freunden, die jetzt schwankten, zu überzeugen, daß sie ihrem ausgewiesenen Anführer mißtrauen müßten, und je erfolgreicher ich damit war, desto mehr haßte ich mich anschließend. Mein Leben war eine Lüge, wie mein Lächeln, und ich wünschte mir von Herzen, daß ich nie nach Camlann gekommen wäre, sondern daß ich statt dessen irgendeinen fetten Bauern aus dem Norden geheiratet hätte und dabei gestorben wäre, ihm fette Kinder zu gebären. Die Heldinnen aus den Liedern haben es gut, denn sie können aus Kummer oder Schande sterben. In Wirklichkeit ist man aber in der Lage, viel mehr Elend und Leid zu ertragen, als einem wahrscheinlich vorkommt. Wenn einem das Leben nichts mehr wert ist, wenn die Welt nur noch wie eine große, korrumpierende Falschheit aussieht, wenn selbst die Liebe flach und zwecklos wirkt - dann schleichen dennoch die Stunden ständig weiter, und man fährt fort, diese Stunden mit den täglichen Kleinigkeiten auszufüllen. Das Beste, was ich zustande brachte, war ein Fieber.

Im Juli hatten wir schwere Regenfälle, aber am Ende des Monats kam eine Zeit des heißen, sonnigen Wetters. Die Luft war von Fiebern erfüllt. Ich bekam auch eins, lag ein oder zwei Tage im Bett, fühlte mich dann besser, stand auf und versuchte, mit den Vorbereitungen für die Ernte anzufangen. Das brachte natürlich das Fieber zurück, und diesmal schlimmer. Ich war gezwungen, wieder ins Bett zurückzugehen. Sobald ich in der Lage dazu war, ließ ich Gwyn rufen und diktierte ihm Briefe und Listen - die Erntezeit nimmt keine Rücksicht auf menschliche Schwächen. Am Ende der zweiten Woche des August kam Bedwyr und fragte, wie viele Kornvorräte zum Futter für die Reitpferde in diesem Winter zur Verfügung stehen würden.

Ich hatte seit jenem Fest nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich hatte von Gawain erfahren, daß Bedwyr Bescheid wußte. Er hatte nah genug bei Artus gesessen, um dessen Trick mit dem Becher zu bemerken, und hinterher hatte er mit Artus darüber gesprochen. Was Artus zu ihm gesagt und was er zu Artus gesagt hatte, daran mochte ich nicht gern denken: Denn dann mußte ich mich vor beiden schämen. Ich wünschte mir mehr als je zuvor, Bedwyr aus dem Weg gehen zu können, aber als Feldherr überlappten sich seine Aufgaben auf vielen Gebieten mit meinen, und so konnte ich ihm nicht immer aus dem Weg gehen.

Jetzt war ich schon in der Lage, im Bett zu sitzen, und ich fühlte mich sogar erholt, obwohl ich es noch nicht wagte, das Haus zu verlassen. Ich hatte Angst, daß dann das Fieber wiederkäme. Aber ich war angekleidet, und ich hatte sogar das Bett an eine andere Stelle rücken lassen, damit ich zum Lesen das beste Licht hatte. Ich prüfte gerade ein paar Listen, die Gwyn mir dagelassen hatte, als ich das gedämpfte Geräusch eines Klopfens an der äußeren Tür hörte. Ich rief: »Herein«, und nach der unvermeidlichen Pause: »Hier herein!« Aber ich war überrascht, als Bedwyr die innere Tür öffnete und auf der Schwelle stand und stehenblieb, damit seine Augen sich an das Licht gewöhnten.

»Edler Herr«, sagte ich zur Begrüßung. Trotz meines Herzenswunsches, ihm aus dem Weg zu gehen, war ich froh, ihn dort stehen zu sehen. Er sah aus wie immer - offen und ernst. Er wandte sich aber von meinem Blick ab, und darüber wurde ich genauso verlegen, genauso angespannt, und ich war nicht sicher, wie ich ihn empfangen sollte.

Um den Bruchteil einer Sekunde zu spät verwandelte er den Seitenblick in eine Verbeugung, so daß ich nicht überzeugt war. Dann schloß er die Tür hinter sich. »My Lady, es tut mir leid, wenn ich dich belästigen muß, während du krank bist. Aber niemand anders scheint in der Lage zu sein, mir zu sagen, wieviel Korn wir wohl diesen Winter haben werden oder wie viele Pferde wir damit füttern können.«

»Ach«, sagte ich, »ach ja.« Ich durchsuchte die Listen in der Hoffnung, die Antwort zu finden und ihn loszuwerden. Dann wurde mir klar, daß ich keine von den notwendigen Listen bei mir hatte, und ich mühte mich, mir ins Gedächtnis zu rufen, was darauf stand.

Bedwyr bemerkte meine Verwirrung und fügte schnell hinzu: »Es ist nicht dringend. Ich muß es nur bald wissen, denn nächste Woche will ich die Pferde, die wir nicht hierbehalten, auf die Winterweide schicken. Aber heute muß ich es noch nicht wissen.«

»Ich glaube, wir werden genug für zweitausend Pferde haben«, sagte ich ihm. »Oder auch ein bißchen mehr. Sagen wir, drei Pferde für jedes Mitglied des Heerbanns. Genauer kann ich es dir jetzt allerdings noch nicht sagen. Wahrscheinlich kann ich dir morgen nachmittag eine etwas bessere Schätzung geben.«

Er nickte, aber anstatt zu gehen, blieb er da und schaute mich an. »Gott lasse dich schnell gesund werden, my Lady«, sagte er nach einem Augenblick. »Du wirst sehr vermißt.«

»Ich habe mich schon fast erholt«, sagte ich und versuchte zu lächeln. Aber das Lächeln ging daneben. Bedwyr war kein Fremder, war niemand, den man durch Anspannung von ein paar Muskeln im Gesicht leicht hinters Licht führen konnte. Im Gegenteil - es war einfacher, vor Artus einen Kummer zu verbergen als vor seinen ruhigen Augen. Ich fühlte mich erschöpft und elend, und ich konnte sehen, daß er es wußte. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde vor Scham über meine Lügen, meine vielen Lügen. Aber ich konnte es nicht ertragen, ehrlich mit ihm zu sprechen und zusätzlich zu Artus’ Zorn und Bitterkeit auch noch seine Verachtung zu spüren. »Morgen bin ich wahrscheinlich schon wieder auf«, beendete ich schnell den Satz.

»Treib dich nicht zu sehr, my Lady. Viel hängt von dir ab.«

Es verging wieder eine Minute des Schweigens, während wir einander anschauten, und ich wünschte mir verzweifelt, daß er ging und mich mit meinem Elend allein ließ. Dann fügte er entschlossen hinzu: »Unser Herr Artus vermißt deine Hilfe.«

Ich blickte hastig weg. Diese Sanftheit, wo ich Zorn erwartet hatte, verwirrte mich. »Tut er das?« fragte ich und wollte einen Tonfall der uninteressierten Frage anschlagen. Aber ich hörte mich nur flach und verbittert an. Diese zusätzliche Dummheit, dieser Mangel an Beherrschung bei mir, widerte mich an. Ich biß mir auf die Lippe und mußte die Tränen zurückblinzeln. Nach einer Krankheit kommen sie viel zu schnell.

Da machte Bedwyr zwei schnelle Schritte auf mich zu und nahm meine Hand. »Lady Gwynhwyfar«, er sank auf die Knie, damit er sich nicht über mich beugen mußte, »verzeih mir meine Unverschämtheit, so mit dir zu sprechen, aber ich muß sprechen. Dein Mann liebt dich tief, auch wenn er jetzt erzürnt über dich ist. Seit Medraut im Exil ist, haben wir miteinander gesprochen, und es ist so deutlich zu sehen wie der weite Himmel. Er sehnt sich nach ein paar Worten, die dich wieder mit ihm versöhnen, aber er weiß nicht, was er sagen soll. Ich bitte dich, my Lady, quäl dich nicht so. Sprich mit ihm, versöhne dich. Du bist geschickter in solchen Dingen als er, und es wird euch beide trösten.«

Ich zog meine Hand weg und biß mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte.

»Warum sagst du mir das? Ich hab’ alle Gesetze gebrochen, nach denen du und Artus lebt, im Namen eures eigenen Zieles. Deshalb hab’ ich euch verraten. Und ich kann es weder vor Artus noch vor Gott bereuen, denn ich wünsche mir noch immer, ich hätte Erfolg gehabt und Medraut wäre in der Hölle. Wie kann ich mich also mit Artus versöhnen? Und du - du mußt mich genauso verachten. Lüg mich nicht an, Bedwyr. Ich habe die Lügen satt; ich würde deinen Haß weiteren Lügen vorziehen.«

Er begegnete meinem Blick einen Augenblick mit einem Ausdruck des Schreckens und neigte dann den Kopf fast bis auf das Bett. »My Lady«, flüsterte er, »wie könnte ich dich hassen oder verachten? Wenn das, was du getan hast, noch hundertmal schlimmer wäre, dann würden mich trotzdem deine Güte und deine Gnade zwingen, dich zu lieben. Selbst gegen meinen Willen, und.« Er brach abrupt ab, starrte auf die Decke, ballte die Hand in ihren Falten. Ich berührte verwundert seine Schulter, und er blickte auf, und bei diesem Blick stieg mir das Herz in die Kehle.

»Du darfst nicht glauben«, nahm er nach einer Pause das Wort wieder auf, »daß unser Herr dich verachtet. Er ist nur um so mehr bekümmert, weil er dich so liebt und ehrt - und weil er Medraut fürchtet. Er schämt sich selbst, weil er Medraut gezeugt hat und jetzt wünscht, daß er tot wäre. Er ist mit sich selbst genauso im unreinen wie mit dir. Glaub mir, selbst um dir eine Freude zu machen, würde ich in diesen Dingen nicht lügen.«

Bei diesen Worten fing ich ernsthaft an zu weinen, und dann nieste ich und bekam einen Hustenanfall, denn nach dem Fieber hatte ich mich erkältet. Bedwyr reichte mir eins der Tücher, die an der Bettkante hingen, und setzte sich dabei aufs Bett. Ich wischte mir das Gesicht ab und putzte mir die Nase und schaffte es, die Tränen im Schach zu halten.

»Es tut mir leid, Bedwyr. Ich weine anscheinend immer, wenn du freundlich zu mir bist. Wenn Artus so denkt, wie du es mir gesagt hast, warum sagt er es mir dann nicht selbst? Nein, du hast gesagt, er hofft auf irgendein Wunder, das uns versöhnt. Um uns beide zu trösten. Und ich soll diese Versöhnung herbeiführen? Herr des

Himmels, muß ich ihn wirklich anlügen und ihm erzählen, daß ich bereue, wo ich nicht bereue, und muß ich ihm sagen, daß ich froh darüber bin, weil Medraut am Leben ist?« Ich sprach von Gott, aber ich schaute Bedwyr an, seine dunklen, mitfühlenden Augen.

»Du mußt nur sagen, daß es falsch gewesen wäre, my Lady. Ich weiß, daß du das auch glaubst. Artus geht es mehr darum, dich zurückzugewinnen, als das Richtige oder Falsche in diesem Fall zu beweisen.«

Ich lachte bitter, hustete, nahm ein anderes Tuch. »Ach, und ist das alles? Und glaubst du wirklich, es wäre so einfach? Daß ich einfach ein paar Worte sage, und alles ist wieder gut? Nein, tut mir leid. Dein Rat ist wie immer gut und wahr und schwierig zu befolgen. Mein Freund, mein Herz, ich danke dir. Aber kannst du selbst vor dir dieses Verbrechen, das ich begehen wollte, rechtfertigen - obwohl du mich mit solcher Freundlichkeit behandelst?«

Sein Gesicht wirkte angespannt und gequält, aber seine Augen leuchteten intensiv, wärmten mich sehr nach so viel kaltem Elend. »Solche Rechtfertigungen bedeuten mir nicht viel. Du hast aus einem Übermaß an Liebe gehandelt, um das Reich um jeden Preis zu bewahren. Wie kann ich sagen, daß du dich geirrt hast? Sicher, ich weiß, es ist ein Verbrechen, einen Menschen zu vergiften. Aber dich zu rechtfertigen oder dich zu verdammen - das steht mir nicht an. Und die Tat ist ja auch nicht geschehen. Dazu ist es mir schwer gewesen, dich zu sehen, wie du deinen Kummer verbirgst, und doch zu wissen, daß er dich von innen frißt.« Er griff wieder nach meiner Hand und berührte sie mit seinen Lippen.

»Gwynhwyfar, ich weiß, daß du dich selbst verdammst, aber niemand hat das Recht dazu, außer Gott, der allein die Herzen wägen kann. Gwynhwyfar, hab Erbarmen mit dir selbst.«

»Soll ich so weitermachen, als ob ich nichts getan hätte, als ob alles unwichtig gewesen wäre? Soll ich zufrieden auf das Jüngste Gericht warten?«

»Was sonst kann man denn tun, außer sterben? Wir müssen mit unseren Sünden leben. Man wählt zwischen mehreren Übeln und erträgt diese Wahl. Ich. ich hab’ mich einmal entschieden, daß es böse sei zu töten, selbst in der Schlacht. Artus zeigte mir, daß es auch böse sein kann, nicht zu handeln, wenn dadurch etwas von Wert gerettet werden kann. Selbst, wenn die Tat das Töten beinhaltet. Ich mußte ihm zustimmen. Aber sie sind noch da, all diese Toten. Ich kann das Blut von meinem Schwert wischen, aber niemals von meinem Herzen. All diese Menschen, die ich für das Reich getötet habe, für das Licht, sie sind so tot, als ob ich sie nur aus Haß umgebracht hätte oder um mir selbst zu beweisen, daß ich ein besserer Krieger bin als sie. Du dagegen hast niemanden umgebracht.«

Ich schüttelte den Kopf und starrte ihn an. Seine Ruhe war verschwunden. Jetzt war die Leidenschaft an seine Oberfläche getreten und damit der Schmerz. Er beugte sich nach vorn und umklammerte hart meine Hand, während er sich auf den Stumpf seiner Schildhand stützte. »Es ist einfacher, als man erwarten sollte. Es macht, wenn man dabei ist, wenig Eindruck. Hinterher, hinterher erinnert man sich daran und denkt anders darüber. Aber die einzige Alternative, die wir hatten, bestand darin, es zuzulassen, daß andere getötet werden, und wenn dabei kein Blut am Schwert bleibt, dann bleibt doch mehr Blut auf der Seele, wenigstens vor Gott. Was du getan hast - was du tun wolltest -, das zählt im Himmel weniger als die Verbrechen, die ich wissentlich begangen habe, die Morde, die Verstümmelungen, den Schmerz, die Witwen und Kinder, die nach dem Tod ihrer Väter und Männer verhungern, die verbrannten Felder und die geplünderten Städte - all das habe ich mit dieser Hand getan.« Er zog sie aus meinen Fingern und hielt sie vor mich hin: Seine Schwerthand hatte Schwielen von der Waffe, den Speeren und den Zügeln. Sie war auf dem Handrücken vernarbt von Übungskämpfen und den Zufällen des Krieges. Er betrachtete diese Hand mit einem Maß an Schmerz und Schrecken, der mir das Herz zerriß. Ich nahm die Hand und küßte sie. Er schaute mich an, als ob er vergessen hätte, daß ich da war, als ob er mich noch nie gesehen hätte. Er zog seine Finger über meine Lippen und berührte die Tränen, die noch an meinen Wangen hingen. Er glättete mein Haar und packte dann meine Schulter. Er beugte sich vorwärts und küßte mich.

Jeden Augenblick der nächsten Stunde nahm ich mir vor, aufzuhören, zu sagen: »Nicht weiter.« Aber ich tat es nicht. Es war süß, so süß, daß ich mir immer noch eine Minute davon wünschte, ehe ich in die Kälte und die Einsamkeit und die fruchtlose Sehnsucht nach Artus zurückkehrte, in die Schande und die Anspannung und die herannahende Dunkelheit. Ohne Zweifel hatte auch Bedwyr vor aufzuhören, aber auch er sagte nichts. Keiner von uns sagte ein Wort, bis es vorüber war und wir Seite an Seite dalagen und wußten, daß wir Artus betrogen hatten und alles, wofür wir lebten. Da drehte ich mich zur Wand und fing wieder an zu weinen.

Bedwyr richtete sich auf dem Ellbogen auf und streichelte mein Haar und meine Schulter. Er flüsterte: »Still. Es ist meine Schuld, nur meine Schuld. Still.«

»Nein, nein. Meine Schuld. Oh, warum haben wir das getan?«

»My Lady, meine süße Gwynhwyfar, ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Ich hab’ versucht, mir etwas anderes einzureden, als ich sah, daß mein Herr dich auch liebt. Aber ich konnte das nicht ewig glauben. Ich hab’ mich so lange nach diesem Augenblick gesehnt. ich hätte nie hierherkommen sollen. Du warst krank und bekümmert, und du konntest nicht anders. Es ist meine Schuld.« Die sanfte Hand glitt tiefer, und ich zitterte. Ich setzte mich abrupt auf und schaute ihn an.

»Es spielt keine Rolle, wessen Schuld es war. Artus darf es nicht wissen. Es würde ihm zu weh tun. Und wir dürfen es nie wieder tun.«

Er starrte mich noch einen Augenblick an und wandte sich dann ab. Er setzte sich auf und schwang die Beine über die Seiten des Bettes. »Du hast recht. O himmlischer Gott!« Er beugte sich voller Schmerz vornüber und umklammerte den Stumpf seines Schildarms. »Was habe ich getan? Die Frau meines Herrn, in seinem eigenen Bett - «

»Wir dürfen es nicht wieder tun!« sagte ich dringlicher. »Du mußt irgendwo hingehen, weit weg - bis wir dies ein wenig vergessen haben und bis ich wieder mit Artus versöhnt bin.«

Er nickte und drehte mir weiterhin den Rücken zu. Er saß noch immer tief gebückt. Das graue Licht, das durch die Balken fiel, berührte seinen Rücken und zeigte eine lange Narbe, die an seiner rechten Flanke hinauflief. Artus hatte ähnliche Narben. Alle Krieger zu Pferd haben sie - man kann nicht kämpfen und sich gleichzeitig selbst verteidigen.

»Es ist auch meine Schuld«, sagte ich zu Bedwyr.

Er schüttelte den Kopf, noch immer, ohne mich anzusehen.

»Ich liebe dich«, sagte ich. Die Worte wirkten bedeutungslos. »Ich liebe Artus, aber auch dich.«.

Er langte nach unten und tastete nach den Hosen, die er vor nicht so langer Zeit beiseite geworfen hatte. Er zog sie an, und als er stand, drehte er sich um und schaute mich an. Er mußte die Hose hochhalten, den er konnte den Gürtel mit einer Hand nicht befestigen. Wäre das in einem Märchen vorgekommen, ich hätte lachen müssen. Aber seine Augen waren sehr dunkel vor Schmerz, und die Haut um seinen Mund war straff gespannt.

»Du mußt zu Artus gehen«, sagte ich, während ich verzweifelt nachdachte. »Bitte ihn darum, dich nach Kleinbritannien zu schicken, um mit König Macsen zu sprechen. Artus muß jemanden hinschicken, und er ist entschlossen, nicht wieder Gawain auszusenden.«

Ein bißchen von dem Schmerz ebbte ab. »Ja«, sagte er nach einer Minute. »Ich kannte Macsen, als ich seinem Bruder Bran diente. Ich könnte mit ihm reden. Obwohl mein Herr mir vielleicht nur widerwillig erlaubt, eine Zeitlang das Land zu verlassen. Aber ich könnte es dringend machen, und ich könnte den Wunsch äußern, meine Familie wiederzusehen und mich um die Güter zu kümmern. Sicher wird er mir dafür Urlaub geben.« Er sah sich nach seiner Tunika um, hob sie auf, zog sie mit dem Schildarm über den Kopf. Ich stand auf und befestigte den Gürtel für ihn, dann band ich die Bänder an seiner Tunika und wiederholte sorgfältig die Knoten, die sein Diener normalerweise machte. Er ließ mich alles tun und packte dann mein Handgelenk.

»Gwynhwyfar.« Seine Stimme nahm wieder den gewohnten ruhigen Ton an, aber Schrecken und Verwirrung verliehen ihr noch immer eine scharfe Kante. »My Lady, du weißt jetzt, daß ich dich liebe, und ich bin vernichtet. Ich habe meinen Herrn verraten. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich es bereuen kann, denn ich begehre dich noch immer - aber genug davon. Wenn das, was wir getan haben, je entdeckt würde, dann laß mich dafür büßen. Es wäre ein deutlicher Fall des Verrats, aber mein Herr würde wahrscheinlich den Urteilsspruch von Tod auf Verbannung umändern. Das könnte ich ertragen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du für mein Verbrechen leiden müßtest, denn es ist meine Schuld - nein, es ist wahr! Ich schwöre dir, ich würde deine Entehrung deutlicher fühlen als meine eigene. Ich weiß, daß du der Strafe nicht völlig entgehst, auch wenn es nie entdeckt wird, aber vielleicht kommst du leicht davon, wenn du nicht versuchst, für mich zu sprechen oder die Schuld auf dich zu nehmen. Wenn du es doch tätest, würden wir beide mehr leiden. Und bekümmere dich nicht zu sehr darum. Es ist meine Schuld.« Einen Augenblick lang verließ ihn seine Selbstbeherrschung, und er küßte mich noch einmal hart auf den Mund.

Als er mich losließ, sagte ich nichts, sondern ich suchte ihm nur sein Schwert und schnallte es ihm an. Ich half ihm auch mit den Stiefeln. Erst als er in der Tür stand, flüsterte ich: »Gott schütze dich.« Er neigte den Kopf und war fort. Eine lange Minute schaute ich die Tür an, dann ließ ich mich auf das Bett fallen. Ich kroch unter die Decke und lag da und zitterte und erinnerte mich daran, bis zum Abend, als ich endlich einschlief.

Am gleichen Abend sprach Bedwyr mit Artus und reiste noch innerhalb der Woche nach Kleinbritannien ab, trotz der Tatsache, daß er da schon meine Erkältung gefangen hatte. Ich blieb im Haus, bis er fort war, und danach ging es mir wieder gut genug, daß ich mit den Erntearbeiten weitermachen konnte.

Ich bemühte mich auch, die Versöhnung mit Artus herbeizuführen. Trotz allem, was danach geschehen war, mußte ich zugeben, daß Bedwyr recht hatte. Ich strafte meinen Mann genauso wie mich selbst dadurch, daß ich mich noch immer in Schuld und Schmerz vergrub. Und es nützte niemandem etwas. Ein paar Tage, nachdem Bedwyr abgereist war, kam ich, nachdem ich das Aufräumen nach einem Fest beaufsichtigt hatte, zurück und war entschlossen, mit Artus zu sprechen.

Das Haus war dunkel, als ich mit dem schwachen Binsenlicht, das mir in der Halle den Weg beleuchtet hatte, eintrat. Als ich das Schlafzimmer betrat, sah ich, daß Artus schon im Bett lag. Aber er zuckte zusammen, als das Licht über ihn fiel, und ich wußte: Er war noch wach, obwohl er mir den Rücken zukehrte und sich nicht bewegte. Ich wußte, er versuchte der schmerzhaften Stille zwischen uns aus dem Weg zu gehen, und er hatte Angst. Ich stellte das Licht in den Halter neben dem Bett und zog mich schweigend aus. Ich fragte mich, was ich wohl sagen sollte, und ich wünschte mir, ich hätte es verschieben können. Fast hätte ich das Licht ohne ein Wort ausgelöscht. Aber ich setzte mich einen Augenblick auf das Bett, schaute Artus an und berührte seine Schulter. »Es tut mir leid«, brachte ich heraus und hörte, wie rauh und unsicher meine Stimme klang. »Es war eine böse Absicht. Es tut mir sehr leid.« Und plötzlich dachte ich nicht an Medraut, sondern an Bedwyr, der dort lag, wo jetzt Artus war. Ich dachte an den Betrug, der größer war, als Artus wußte.

Er drehte sich um und schaute mich seltsam an - nicht kalt, sondern verwirrt. Er ergriff meine Hand, die auf seiner Schulter lag, und schaute sie an. Er musterte den geschnittenen Siegelring und sah dann mein Gesicht wieder an. Im Zimmer war es dunkel, denn das Binsenlicht flackerte und war fast ausgegangen. Artus seufzte.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich noch einmal.

»Ich weiß«, erwiderte er. »Aber siehst du denn nicht, daß mehr nötig ist als eine Entschuldigung? Diese Tat. Medraut hat uns verkrüppelt.«

»Ich wollte, daß wir ihm entrinnen.«

Er zog meine Hand an seine Lippen, und sein Blick suchte meine Augen. »O mein Herz, wenn wir das nur könnten. Aber diese Tat, diese - sie entehrt dich. Ich weiß, daß du das akzeptieren wolltest, für das Reich. Aber ich kann es nicht akzeptieren. Und Medraut ist mein Sohn - meine Schuld.«

»Bitte«, sagte ich. Ich konnte nicht vernünftig mit ihm reden. Bei dem, was zwischen uns war, bedeutete Vernunft nichts.

Er berührte mein Gesicht und streichelte mein Haar zurück. »Du frierst«, sagte er nach einem Augenblick. »Komm, geh zu Bett und schlaf.«

Als ich unter der Decke war, legte er seinen Arm um mich, und ich lag sehr still und wagte es nicht, mich zu bewegen. Mein Herz schrie nach ihm, aber es war ein Anfang.

Das Schweigen wich langsam. Aber die Ernte ist eine Zeit, bei der viel zu tun ist, und da Bedwyr fort war, mußten Artus und ich einander öfter besprechen als gewöhnlich. Über den Angelegenheiten des Reiches hatten wir es gelernt, einander zu vertrauen: bei empfangenen und ausgegebenen Tributzahlungen, bei der Ausstattung eines Heeres, bei den Plänen der Könige. Durch die Arbeit jetzt wurde unser Vertrauen erneuert. Schließlich konnten wir sogar privat wieder frei miteinander sprechen und sogar lachen. Die letzte Barriere fiel Anfang Dezember, als Cei von den Orkneys zurückkehrte und die Nachricht von Agravains Tod brachte.

Vielleicht hätten wir es erwarten sollen. Wir hatten schon lange gewußt, daß es Agravain nicht gutging, und im Herzen hatte ich immer Angst davor gehabt, was Medraut auf den Inseln vielleicht tun würde. Nichtsdestoweniger kam die Nachricht wie ein Schock. Cei brachte sie ganz frisch: Er war mit der ersten Flut, noch am Tag, an dem Agravain starb, von den Inseln abgesegelt und mit einer Geschwindigkeit von Ebrauc weitergeritten, daß er eine Spur von zuschanden gerittenen Pferden hinter sich zurückgelassen haben mußte. Der Wind kam vom Norden, was sehr gut für die Reise war, und deshalb hatte er die ganze Strecke in einer Woche und sechs

Tagen zurückgelegt. Er kam an einem kalten Dezembersamstag um Mitternacht an und brach sofort in unser Haus und brüllte, es sei dringend. Draußen schneite es ein bißchen, nasse Flocken, vermischt mit Regen. Cei war am gleichen Morgen von Caer Ceri losgeritten und hatte in Baddon die Pferde gewechselt. Er hatte ein graues Gesicht vor Erschöpfung und zitterte vor Kälte. Sobald Artus Übertunika und Umhang umgeworfen hatte, machte er sofort Feuer im Besprechungszimmer, während ich Cei etwas Wein einschenkte und mehr Wein ans Feuer stellte. Cei allerdings wartete nicht so lange, bis er seinen nassen Mantel ausgezogen oder mehr als einen Schluck aus dem Becher genommen hatte, ehe er heraussprudelte: »Agravain ist tot. Er hat ihn umgebracht. Dieser glattzüngige Bastard hat seinen Bruder ermordet.«

Ich ließ fast den Krug mit Wein fallen. Artus erstarrte einen Augenblick, während er an der Feuerstelle kniete und ein Stück Feuerholz in der Hand hielt. Ich wußte, daß das Feuer knisterte und das Wasser vom Strohdach tropfte, es mußten Geräusche dagewesen sein, aber ich kann mich an keins mehr erinnern, nur an eine große Stille. Dann legte Artus das Stück Holz ins Feuer, stand auf, zog einen Stuhl heran und machte Cei eine Handbewegung, damit er sich auch setzte. Cei tat es, machte seinen Mantel auf und hängte ihn zum Trocknen über die Stuhllehne.

»So - und was ist passiert?« fragte Artus ruhig. »Agravain ap Lot ist tot?«

»Jetzt vor fast zwei Wochen. Eines Morgens ist er kalt im Bett gefunden worden, ohne eine Wunde an sich. Aber Medraut hatte in der Nacht davor mit ihm getrunken, und Medraut ist ein Teufel und ein Gefolgsmann der Teufel, und er weiß, wie man Männer umbringt, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich bin nicht der einzige, der das meint, Herr. Der königliche Heerbann von den Inseln hat es immer geglaubt. Es sind Hunde, diese irischen Krieger, eine Rotte Hunde, die jedem die Hand lecken, der sie schlägt. In dem Augenblick, als wir ankamen, fingen sie schon an, vor Medraut zu Kreuze zu kriechen, obwohl sie etwas anderes vortäuschten, wenn Agravain anwesend war.«

»Dann unterstützen die Krieger also jetzt Medraut?«

»Ja, die Schweine! Medraut hat sie früher angeführt, und vielleicht hätten sie ihn auch zum König gemacht, wenn seine Mutter noch lebte, denn sie hatten wegen dieser Hexe alle Angst um ihre Seele. Agravain mochten sie lieber, denn er war der Sohn seines

Vaters und ein Mann, der neben ihnen gekämpft hatte, aber Agravain... war nicht mehr er selbst.« Die wütende Entrüstung verschwand einen Augenblick, und Cei fuhr in einer seltsamen verletzten Stimme fort, die ihm gar nicht ähnlich war. »Und was das schlimmste daran ist, Herr, es tat einem im Herzen weh, ihn anzusehen. Er war nicht er selbst. Ich hab’ meinen Aufenthalt verlängert, um ihm zu helfen - du hast ja den zweiten Brief bekommen -, ich hab’ versucht, ihn vor dem zu warnen, was passierte. Die meiste Zeit war er zu betrunken, um irgend etwas zu begreifen, und wenn er nüchtern war, dann war ihm eigentlich immer alles gleich. Daß ein Krieger, ein König und der Sohn eines Königs, so gebrochen sein kann, so verschreckt und unsicher! Und er war mein Freund - ein Mann, der in der Schlacht mein Schild war, und er war mir wie ein Bruder. Vergiftet, in seinem eigenen Haus, von dem glattzüngigen Bastard einer Hexe! Gott im Himmel! Wir müssen Gerechtigkeit für ihn erlangen - wir müssen.«

»Still«, sagte ich. »Erzähl uns die ganze Geschichte, und dann ruh dich aus, denn du bist übermüdet. Hier, der Wein ist jetzt heiß.«

Er stellte seinen Becher hin, und ich füllte ihn mit dampfendheißem, honiggesüßten Wein. Er nippte ein bißchen, paßte wegen der Hitze auf und umfaßte den Becher mit seinen vor Kälte geröteten Händen. »An der Geschichte ist nicht mehr viel dran«, sagte er jetzt müde. »Wie ich sagte, ist Agravain tot aufgefunden worden, und zwar an dem Morgen, nachdem er bis spät in die Nacht mit Medraut getrunken hatte. Ich wachte auf und hörte sie jammern und heulen. Ein paar von der königlichen Familie, die Medraut hassen, auch wenn sie es nicht wagen, das offen auszusprechen, sind hereingekommen und haben mir die Neuigkeiten erzählt, ehe Medraut es konnte. Sie haben mir zu einem Schiff verhofen und mich zum Hafen gebracht, ehe der Tag zu alt wurde. Sie wollten wissen, was du tun würdest; ich hab’ ihnen gesagt, ich sei sicher, daß dieser Mord dich erzürnen würde. Sie meinen, sie können sich Medrauts Wahl zum König nicht entgegenstellen, aber wenn du den Wunsch hast, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, dann müßtest du eine Botschaft an Eoghan, den Schiffszimmermann im nördlichen Piktenland, aussenden - ich glaube, Eoghan ist einer ihrer Spione. Ich war froh, daß sie mir geholfen haben, Herr, denn ich hatte nicht den Wunsch, auf der Insel zu bleiben, wenn Medraut König ist.«

»Ist es sicher, daß sie ihn zum König machen?« fragte Artus.

»Niemand wagt es, sich ihm entgegenzustellen. Er kann den

Thron haben, wenn er ihn will, und es ist ganz sicher, daß er ihn will. Mein Herr, Kaiser von Britannien, sollen wir den Krieg erklären?«

»Nein.«

Als Cei zornig vom Stuhl hochsprang, hob Artus die Hand und schaute ihn an. Es war der ruhige Blick, den ich so gut kannte, der Blick, mit dem er etwas befahl, was ihm widerstrebte, was er aber für unumgänglich hielt - eine Hinrichtung, eine Aufgabe, die diejenigen, die sie erledigten, das Leben kosten konnte. Cei erkannte den Blick auch, und obwohl er Artus überragte, schien er vor ihm zusammenzuschrumpfen. Langsam setzte er sich wieder.

»Aufgrund welcher Vorkommnisse könnten wir denn den Krieg erklären?«

»Medraut wird seinem Bruder ohne Zweifel eine glänzende Bestattung bieten und außerordentlich um ihn trauern. Dann wird er nach Süden eilen und mir Gefolgschaft schwören. Wir können nichts beweisen. Und wenn ich mit diesen Feinden von Medraut Verbindung aufnehme, die ihm weder offen entgegenzutreten wagen noch bekannt werden lassen wollen, daß sie von mir Nachrichten erhalten haben, was soll ich ihnen dann sagen? >Ermordet ihn, und ich will euch belohnen?< Das ist schändlicher als Gift, und viel weniger wahrscheinlich könnte es Erfolg haben. Nein. Wir müssen uns vorbereiten auf das, was Medraut als nächstes plant.« Er machte eine Pause; dann fügte er mit sanfterer Stimme hinzu: »Geh zu Bett, Cei. Ich werde deine Kraft brauchen.«

Cei nickte. Er stellte seinen leeren Becher hin und stand langsam auf. Dann hielt er inne, und es fiel ihm offenbar etwas ein. Seine Erinnerung berührte meine.

»Er teilt ein Haus mit Gawain«, sagte ich. »Er sollte Agravains Bruder diese Geschichte heute nacht nicht erzählen müssen.«

Cei nickte. »Ganz recht, my Lady. Es ist eine zu bittere Nachricht. Ich habe nach Gawain geschickt, als ich angekommen bin, damit ich nur einmal reden muß. Ich weiß nicht, wo er.«

Die Tür öffnete sich plötzlich, und Gawain trat ein. Sein Gesicht war sehr ruhig, aber einen Augenblick lang konnte ich ihn nicht erkennen. Er sah unirdisch und geistesabwesend aus. Offensichtlich hatte er seit einiger Zeit draußen gestanden, denn der Schnee schmolz in seinem Haar und hatte die Schultern seines Umhangs durchweicht. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er mit nur leicht rauher Stimme, während er sich vor mir und Artus verbeugte. »Ich war draußen. Ich habe gehorcht. Aber ich habe erraten, was passiert ist, als dein Bote mich geweckt hat, Cei. Ich hatte Angst hereinzukommen. Vetter, es ist ein langer Weg zu den Inseln, und du solltest besser schlafen. Es braucht keine Worte mehr. Mein Herr, Lady Gwynhwyfar, gute Nacht.« Er hielt Cei die Tür auf. Cei bekreuzigte sich, nachdem er ihn eine Minute lang angestarrt hatte, nahm dann seinen Umhang auf, zog ihn über die Schultern und ging hinaus. Gawain verbeugte sich noch einmal leicht und glitt zurück in die Nacht. Der Riegel, der sich wieder ins Schloß schob, gab ein leises Klicken von sich, und dann war Stille.

Artus riß seinen Blick von der Tür los. Dann setzte er sich schwer in Ceis leeren Stuhl und starrte lange Zeit ins Feuer. Ich setzte mich auf den Boden neben ihn. Nach einer Weile legte er den Arm um mich, und ich lehnte meinen Kopf an seinen Schenkel. Das Feuer knisterte, und der Rauch, den der Schnee im Raum zurückhielt, brannte in unseren Augen. »Mein Herz«, sagte Artus endlich, »vielleicht hattest du damals recht.«

»Es ist böse, jemanden zu vergiften.«

»Aber jetzt hat Medraut seinen Bruder vergiftet, meinen Krieger.«

»Vielleicht ist es nicht wahr. Agravain ist lange krank gewesen.«

»Und du glaubst, es war ein natürlicher Tod?«

»Nein.«

Artus fuhr mir mit der Hand durchs Haar und drehte mein Gesicht dann zu sich hin. »Es tut mir leid«, sagte er mit sehr leiser Stimme. »Und trotzdem, es muß böse gewesen sein. Wenn wir solche Dinge tun, dann sind wir nicht besser als unsere Feinde. Nur, ich habe großen Schmerz um Agravain und um Gawain - und um uns alle. Gwynhwyfar, mein Herz, es wäre besser für dich gewesen, wenn du mich nie kennengelernt hättest. Dann wäre der Weg der Tugend wie eine römische Straße gewesen, wo wir jetzt. Furchen durch die pfadlosen Wellen ziehen. Meine Freude, es tut mir leid.«

Danach mußten wir einander umarmen, denn um uns waren nur die Stille, die Dunkelheit und der Wind.