6

Anfang Oktober segelte Medraut mit zwei Schiffen und fünfzig Mann in Caer Gwent ein. Weil er in Frieden kam und im Namen des Kaisers, bot ihm Cynyr, der Herr von Caer Gwent, seine Gastfreundschaft an. Er schickte Artus Nachricht, er sei da und verlange eine Eskorte, damit das Land durch die Größe seiner Leibwache nicht in Schrecken versetzt würde. Artus selbst ritt nach Westen, um ihn nach Camlann zu begleiten. Er nahm auch fünfzig Mann mit. Er ließ mich und Bedwyr zurück, um die Burg zu verwalten.

Es war schwierig für mich geworden, Bedwyr aus dem Weg zu gehen, selbst ehe Artus losgeritten war. Am Anfang, als der Feldherr eben aus Gallien zurückgekehrt war, hatte er sich genausosehr bemüht, mir aus dem Weg zu gehen. Aber seine Anstrengungen waren erschlafft. Als der September kam, suchte er regelrecht Gelegenheit, um mich zu sehen. Einmal tadelte ich ihn dafür; er wandte den Blick ab und flüsterte: »Ich tu das nicht mit Absicht«, und dann, ganz langsam, wanderte sein Blick zu mir zurück, und er fügte hinzu: »Ich kann nicht anders.« Das beschämte mich. Bedwyr war von Natur aus ernst und nicht leicht zur Liebe zu bewegen. Aber wenn er sich verpflichtet hatte, dann war er treu und beständig, und deshalb litt er. In den Liedern leiden die Männer immer auf diese Weise, aber in Wirklichkeit vergessen die meisten die Liebe viel leichter. Bedwyr dagegen wurde fast krank davon. Mager und erschöpft war er aus Kleinbritannien zurückgekehrt, und mager und erschöpft blieb er auch. Er konnte nicht mehr frei mit Artus sprechen, was meinen Mann verwirrte. »Ich weiß nicht, was mit Bedwyr los ist«, vertraute er mir einmal abends an.

»Seit er aus Gallien zurück ist, wirkt er grimmig und still wie eine Grabsäule. Glaubt er denn, daß ich wütend bin, weil er gescheitert ist oder weil Macsen versuchte, ihn zur Untreue zu bewegen? Da sollte er mich aber besser kennen.«

Ich sagte nichts. Ich wußte nur zu gut, daß Bedwyr vor Artus von Schuld gequält wurde, und vielleicht auch von der Eifersucht. Ich konnte nichts sagen, selbst als Artus böse wurde. Jedesmal, wenn ich Bedwyr sah, erinnerte ich mich an diesen süßen, schrecklichen Nachmittag, und manchmal lag ich nachts wach und horchte auf

Artus’ ruhige Atemzüge neben mir, und ich sehnte und schämte mich. Manchmal begegnete mein Blick bei einem Fest Bedwyrs Blicken, und wir wußten ohne Worte, wohin unsere Gedanken sich gewandt hatten, und dann spürte ich, wie mein Gesicht heiß wurde, und ich drehte mich um und tat so, als ob ich mit einem anderen redete. Aber ich fühlte seine Anwesenheit wie ein strahlendes Licht, das Schatten um mich her warf. Also versuchte ich, dem Feldherrn nur in der Öffentlichkeit zu begegnen. Ich hatte Angst, als Artus verkündete, er wolle sich mit Medraut in Caer Gwent treffen, und ich drängte ihn, statt dessen Bedwyr zu schicken.

»Du beeilst dich, ihn zu treffen, als ob ihr beide einen Zweikampf auszufechten hättet«, sagte ich. »Aber du bist Kaiser, und er ist nur der Herrscher von ein paar Inseln am Rand der Welt. Außerdem ist er offiziell ein verbündeter Untertan. Du hast die stärkere Position. Laß ihn das spüren, und laß den Rest der Welt es sehen. Laß ihn zu dir kommen.«

Aber Artus stand nur in der Tür des Besprechungszimmers und drehte mir den Rücken zu und starrte nach Westen und befingerte das Heft seines Schwerts. »Warum sollte ich es Medraut erlauben, die Rolle eines Untertanen und Verbündeten zu spielen, wo wir doch beide wissen, daß er im Reich mein Gegner ist?« wollte er verbittert wissen. »Laß ihn und die >Familie< und den Rest von Britannien sehen, daß ich mich ihm gegenüberstelle, und laß sie begreifen, daß es für sie eine Frage der Wahl ist. Außerdem will ich selbst sehen, wie er sich bei meinen Untertanen aufführt. Vielleicht hat er Cynyr von Caer Gwent seine Geschichte schon erzählt. Ich kann dann sehen, was Cynyr von dieser Geschichte und von mir hält.«

»Mein Liebster, wenn er es Cynyr erzählt hat, dann werden wir es früh genug aus unseren anderen Quellen erfahren. Wenn du es selbst sehen willst, dann tust du dir nur weh.«

»Ich will es wissen! In Gottes Namen - soll ich denn hier stehenbleiben wie eine Statue in der Nische und alle Vorübergehenden anlächeln, während sie flüstern: >Na, er sieht ja gut aus, aber eigentlich ist er ein Bastard, der Bastarde mit seiner eigenen Schwester zeugt, und ein Usurpator<? Nein!«

»Aber Artus.«

Er wirbelte herum und schaute mich an. »Ich reise morgen nach Caer Gwent, und damit ist alles gesagt.«

Ich wandte den Blick von den kalten Augen ab und nickte.

Ich spürte, wie die Härte diesen Blick verließ, und blickte auf, als ich glaubte, er sei vergangen. Artus zuckte zusammen, wollte anscheinend eine Entschuldigung vorbringen, hielt dann verlegen inne. Er zuckte die Achseln. »Ich muß mich also darum kümmern. In ein paar Stunden.« Er drehte sich um, schaute noch einmal über die Mauern nach Westen und ging dann den Hügel hinunter. Sein Purpurmantel flatterte, und seine Hand lag am Schwert.

Er war tatsächlich ungeduldig. Den ganzen Sommer hatte er sich auf Medrauts Ankunft vorbereitet und auf das langsame Anwachsen der Gerüchte, die ihn entehrten und erniedrigten und die dem Abscheu und Haß der Welt sein am schmerzhaftesten gehütetes Geheimnis enthüllten. Er konnte es soeben noch ertragen und hoffen, die Macht lange genug festzuhalten, um einen angemessenen Nachfolger zu finden. Aber daß Medraut dauernd seinen Besuch verschob, daß der Kampf, auf den er sich vorbereitete, Woche um Woche verschoben wurde, diese Ungewißheit zerrte an seinen Kräften. In der Öffentlichkeit ließ er wenig davon durchblicken - er konnte es sich nicht leisten. Aber es wurde immer schwerer, ihn zu erreichen, und er wurde immer gereizter. Manchmal verlor er völlig die Geduld - gewöhnlich mit mir. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Ich kannte ihn am besten, und bei mir konnte er es sich leisten, ehrlich zu sein. Aber wenn sein Zorn mit ihm durchgegangen war und er mich angebrüllt hatte, dann war es jedesmal schwerer für mich, ihm wieder näherzutreten. Beschämt zog er sich dann vor mir zurück. Und ich brauchte ihn mehr und mehr, während der Herbst dahinging. Die Ernte ist immer eine ermüdende Jahreszeit, fordert immer mehr, als man eigentlich geben kann. Ich wachte dann morgens auf und hatte das Gefühl, daß ich kaum genug Kraft zusammenraffen konnte, um aufzustehen, und mein Mann schaute mich müde an und wagte es nicht, sich für irgendeine Szene vom Abend zuvor zu entschuldigen, und er rührte mich auch nicht an. Und der größte Teil des Tages bestand dann aus wahnsinniger Arbeit. Ich eilte hastig in der Burg umher und prüfte und zählte Waren, die für den Winter eingelagert wurden, ich veranlaßte Zahlungen, empfing Tribute, hörte Bittsteller an, organisierte, brachte die Rechnungen in Ordnung, kümmerte mich um Leute - und hin und wieder spürte ich Bedwyrs Blick wie ein sengendes Feuer.

Sagt, ihr Weisen:

Was ist Sehnsucht?

Aus welchem Stoff - ist sie gewebt, der vom Gebrauch - niemals verschleißt?

Gold nutzt sich ab - und selbst das Silber, Seide zerreißt und Samt zerfranst, aller Schmuck altert bald; Sehnsucht lebt, sie schwindet nie.

Sehnsucht, Sehnsucht - weiche ein wenig, meine Brust mir nicht beenge! Stiehl dich von der Seite des Bettes - laß den kurzen Schlaf mir kommen!

Das ist ein allgemein bekanntes Lied, aber wochenlang ging es mir durch den Kopf, bis ich es von Herzen satt hatte.

Ja - nachdem Artus fort war, passierte es auf eine Weise, die so deutlich zu sehen war wie der Verlauf von Flutwassern in einem trockenen Bachbett, und genauso unaufhaltsam. Zwei Tage lang benahmen Bedwyr und ich uns steif und geistesabwesend, sprachen gestelzt und förmlich miteinander und machten eine letzte, wilde Anstrengung gegen den demütigenden Verrat, dem wir beide nah waren. Dann, am dritten Tag, waren wir allein zusammen im Besprechungszimmer. Wir beredeten, wie die Tributzahlungen eingeteilt werden sollten.

»Ich kann weitere dreihundert Stück Vieh unter Bewachung zu dem Hof in der Nähe von Llefelys Stein schicken«, sagte Bedwyr, »aber dann werden wir mit Vieh knapp sein, oder nicht, edle Dame? Maelgwyn Gwynedd hat uns fünfzig Kühe weniger geschickt, als er versprochen hatte.«

»Ich habe einkalkuliert, daß er uns siebzig Kühe weniger schicken würde, edler Herr, also haben wir noch Spielraum.«

Er schaute mich überrascht an.

»Was ist denn daran so wunderbar«, fragte ich. »Maelgwyn versucht doch jedes Jahr, uns mit dem Tribut zu betrügen; es wäre erstaunlich, wenn er es nicht täte. Während des Krieges hat er oft damit Erfolg gehabt. Im Frühling schicken wir ihm dann wieder wie üblich ein paar Leute hin, um den >unglückseligen Fehler< zu korrigieren - und vielleicht werden wir ihn diesmal dazu bringen, die Kosten für ihre Reise zu bezahlen.«

»Und du kannst ausrechnen, um wieviel er uns betrügen will?«

»Natürlich. Wir setzen die Tributzahlungen nach der Größe der Ernte fest. Maelgwyns Tribut hat die Menge der Ernte weniger fünfzehn oder zwanzig Prozent und plus eine Menge, die danach angesetzt wird, wie schwierig er sich in diesem Jahr betragen hat. Wenn er sich zu viele andere kleine Übertretungen hat zuschulden kommen lassen, dann wird er nervös und ein bißchen ehrlicher.«

Bedwyr lachte, und ich lachte mit. Dann sah ich, daß er mich wieder mit diesem eigentümlichen Licht in den Augen anschaute, und ich hörte auf zu lachen. Er wurde sehr ernst, streckte sich aus und ergriff meine Hand. Ich wandte mich ab.

»Aber. wir müssen noch zweihundert Stück Vieh in der Nähe haben.« begann ich unsicher. Seine Hand auf meiner wirkte wie die Wärme eines Feuers auf einen Blinden, viel wirklicher als das Augenlicht.

»My Lady .« flüsterte er.

»Du mußt die Schafe von den südlichen Weiden wegtreiben lassen, mit einem Wachposten oder zweien, damit sie die anderen Weiden erreichen. «

»Gwynhwyfar.«

Ich hörte auf, mich zu bemühen, und schaute ihn an. Der Puls meines Blutes machte mich schwindlig: Ich spürte ihn in jedem Zoll meines Körpers. »Wir dürfen es nicht«, sagte ich. »Es ist ein Betrug, es ist die schlimmste aller Sünden.«

»Bitte«, wisperte er, »nur noch dieses eine Mal.« Er rückte näher an mich heran, und seine Hand glitt meinen Arm hinauf.

Ich schloß die Augen und versuchte zu beten. »Aber denk doch daran, was passieren würde, wenn Medraut das entdeckte. Denk daran, wie er sein Wissen benutzen könnte.«

»Nur noch einmal, nur noch einmal. Bitte. Ich kann so nicht leben. Ich kann nicht mehr denken, weil ich an dich denke. Ich kann weder schlafen noch ruhen. Meine Liebste, ich kann es nicht ertragen.« Er war jetzt neben mir, legte den Arm um mich und berührte meine Brust.

Ich wollte aufstehen. Statt dessen sagte ich nur mit schwacher Stimme: »Aber du mußt es ertragen.«

»Bitte. Nur noch einmal.« Er küßte mich. Danach konnte ich nicht mehr denken; als er sich von mir losmachte und mich anschaute, hielt ich ihn fest und nickte weinend.

Als es vorbei war, schworen wir uns wieder, daß dies das Ende sein müsse, daß es nicht wieder passieren dürfe. Aber wenn man zweimal unfähig gewesen ist, einen Vorsatz einzuhalten, dann fängt man an, Fehlschläge zu erwarten. Und aus dieser Erwartung ergeben sich weitere Niederlagen. Wir hielten unseren Entschluß weniger als einen Monat ein, ehe wir ihn bei einer neuen Krise wieder brachen. Danach hofften wir, daß die Sehnsucht durch viele Liebesstunden sich erschöpfen würde, aber wir erreichten nur, daß wir einander unentbehrlich wurden. Und bei wiederholten Sünden wird das

Gewissen, das zuerst noch empfindlich ist, nach und nach unempfindlich und findet Entschuldigungen, und man hört auf, sich besonders davon bewegen zu lassen. Nach einer Zeit war es uns sogar möglich, uns Artus gegenüber natürlich zu benehmen. Aber das kam später; zuerst hätte er etwas bemerkt, wenn er nicht selbst zu angespannt gewesen wäre, zu deprimiert, um mit seinen Freunden natürlich zu sprechen.

Artus kehrte mit Medraut an einem goldenen Oktobermorgen zurück, in der Woche, nachdem er abgereist war. Einer der Wachposten kam eine Stunde vor Mittag vom Tor und sagte mir, man hätte die Gruppe kommen sehen. Ich ging mit ihm zurück zum Tor und stieg auf den Torturm, um Ausschau zu halten. Bedwyr war schon da; er hielt auf seinem Pferd vor dem Tor und wartete darauf, Artus zu begrüßen und das militärische Kommando wieder abzugeben, das ihm Artus zeitweilig verliehen hatte. Er nickte mir zu, als ich ankam, aber nicht mehr. So lange wenigstens konnten wir unseren Entschluß einhalten.

Der Himmel war wolkenlos und hatte einen harten Glanz wie blaues Email, und die Bäume an den Rändern der Felder wirkten im Sonnenlicht wie aus Bronze gegossen. Die Felder selbst allerdings waren öde, denn die Ernte war eingebracht, und die Erde wirkte stoppelig und grau oder schwarz vom jährlichen Abbrennen. Über ihnen hing der Rauch von den Feuern wie ein Nebel. In der Ferne erhob sich Ynys Witrin hoch und grün über den dunklen Marschen; die Stadt schien über der Hauptstraße zu schweben, auf der eine lange Reihe von Reitern in gleichmäßigem Trab vorwärts rückte. Die Reiter waren schon nah genug, als ich auf den Turm stieg, so daß ich ein paar einzelne Gestalten ausmachen konnte. Ich sah, daß Artus’ fünfzig Krieger mit Medrauts Leuten gemischt waren, wegen der größeren Sicherheit. Zwei Gestalten ritten Seite an Seite an der Spitze der Reihe, einer trug einen Purpurmantel und ritt ein bekanntes graues Pferd, der andere steckte in einem Umhang, der mit Safran gefärbt war, und trug einen goldenen Halsreifen. Er ritt einen schönen Fuchs. Es waren Artus und Medraut. Als sie näher kamen, wartete ich darauf, daß die Reihe schneller ritt, daß sie im kurzen Galopp, mit einem Klingeln von Geschirr und mit blitzenden Waffen und Schmuckstücken in einer Kurve zum Tor gestoben kam, wie Artus das immer in der Freude der Heimkehr tat. Aber die Reihe behielt ihren langsamen, ungleichmäßigen Trab bei, und während sie noch näher kam, sah ich, daß Artus’ Schultern wie gegen die Kälte hochgezogen waren, während Medraut den Umhang über eine Schulter zurückgeworfen hatte und mit gleichgültiger Grazie zu Pferde saß. Schon jetzt war der Schatten auf uns gefallen; schon jetzt hatte Medraut eine Kälte auf das Herz gelegt.

Ich stieg vom Turm hinab und ging wieder den Hügel hinauf zur Halle. Während Artus’ Abwesenheit hatte ich keine außergewöhnliche Macht, ich hatte ihm an den Toren nichts zu übergeben, und niemand erwartete, daß ich Medraut in Camlann willkommen hieß, nicht nach der Art, wie er die Burg verlassen hatte. Und ich hatte den Wunsch, den unvermeidlichen Kummer um ein paar Stunden aufzuschieben.

Natürlich sah ich Medraut beim Mittagsmahl in der Halle. Er verbeugte sich steif, und ich nickte gleichermaßen steif mit dem Kopf. Aber ich konnte sehen, daß ihm seine Königschaft gut bekommen war. Er wirkte schlanker als je zuvor, elegant und königlich in dem safranfarbenen Mantel mit dem Gold um den Hals und an den Fibeln seines Mantels und an den Armen und Fingern. Er hatte auch noch das gleiche lässige, einschmeichelnde Lächeln - das Lächeln, das mich schon vor langer Zeit verstört hatte und das ich mittlerweile haßte. Aber er sah auch mehr wie Artus aus, als das früher der Fall gewesen war, und mir wurde klar, daß er seinen Bart und sein Haar in der gleichen Art trug, die Artus eigentümlich war.

Nach dem Mahl, als Artus vorgeblich von der Reise ausruhte, erzählte er mir, was in Caer Gwent passiert war. »Medraut hat angefangen, seine Geschichte zu verbreiten, wie ich gedacht hatte«, meinte er sehr ruhig. Er sah älter aus als seine dreiundvierzig Jahre, und er hockte zusammengesunken beim Feuer wie ein alter Mann, dessen Blut dünn geworden ist. »Cynyr von Caer Gwent hat sie mit Sicherheit gehört. Nein, er hat nichts gesagt - aber er schaute mich an und dann Medraut, und dann sah er mich wieder an, die ganze Zeit, die ich da war. Und er war sehr still. Gewöhnlich klatscht er wie ein Barbier, aber diesmal war er ruhig. Und außerdem - du weißt ja, daß ich am Sonntag in Caer Gwent war? Als wir zur Messe gingen, da gab Cynyr irgendeine Entschuldigung ab und wollte nicht an der heiligen Kommunion teilnehmen. Auch da hat er mich angesehen. Er hat Angst, sich vor Gottes Augen zu beschmutzen, indem er die Kommunion nach einem Mann einnimmt, der mit seiner Schwester geschlafen hat.« Artus lachte bitter. »Und seine Männer haben es gehört, und meine Männer werden es wohl von denen gehört haben. Ich konnte nicht sagen, ob Medraut einfach dort und jetzt ein Gerücht losgelassen hat oder ob er es schon seit Monaten verbreitet und unsere Spione es einfach nicht gehört haben. Aber es hat sich jetzt festgesetzt, und er braucht selbst nichts mehr zu sagen - wenigstens nicht direkt. Er kann einfach warten, bis jemand ihm Fragen stellt. Hast du bemerkt, wie er sich das Haar geschnitten hat? Er ist schon bereit, den Kampf ernsthaft anzufangen. Aber er will es mir gegenüber immer noch nicht zugeben: Als ich ihn traf, da bestand er nur aus Lächeln und Verbeugungen und Höflichkeiten. Bei ihm kann man irgendwie nicht richtig durchkommen. Ich weiß nicht, wie ich mich gegen ihn wehren soll, jetzt genausowenig wie früher.« Artus rieb die Hände und hielt sie über das Feuer. Sein Siegelring glänzte. »Wenn die Könige von Britannien dieses Gerücht glauben, dann haben sie eine Entschuldigung für einen Aufstand. Ein Bastard-Kaiser ist schon schlimm genug, aber ein Kaiser, der sich des Inzests schuldig gemacht hat - das wird das Land vergiften, das wird den Zorn Gottes auf uns ziehen, das werden wenigstens die Kirche und meine Feinde behaupten. Wie lange können wir durchhalten?«

Ich schüttelte den Kopf. »Medraut kann noch immer nichts beweisen. Wir können es noch immer abstreiten, möglicherweise mit Erfolg. Vielleicht können wir die Macht behalten, bis unser Leben zu Ende geht.«

Er blickte auf und lächelte - es war ein kleines Halblächeln voll ironischer Belustigung. »Wirklich? Komm, meine Liebste, du bist klüger. Medraut ist kein Narr, und es mangelt ihm auch nicht an Geschicklichkeit. Vielleicht hat er, wenn er wirklich an die Macht gelangt, eine zu schwere Hand, aber er spielt auf der Unzufriedenheit von Britannien genauso meisterhaft wie sein Bruder auf der Harfe. Und er hat Saiten genug: Unzufriedene, rachsüchtige Könige wie Maelgwyn Gwynedd, den Neid der Kirche, die Langeweile meiner eigenen Krieger. Unsere Kriege mit den Eindringlingen sind zu Ende, aber das Reich ist nicht völlig wiederhergestellt, wie wir versprochen hatten, und die Enttäuschung darüber brennt in Britannien wie ein Stoppelfeuer, das nur darauf wartet, daß es aufflammen kann. Das einzige, was gebraucht wird, ist ein fähiger Anführer, der alles leitet. Medraut kann uns zerbrechen - oder er kann uns für die Macht einen solchen Preis zahlen lassen, daß wir besser tot wären. Die Macht ist es nicht wert, wenn man Tyrann sein muß, um sie auszuüben, oder wenn man das eigene Volk vernichten muß. Nein, wir müssen aushalten, solange das in Sicherheit möglich ist, und dann abdanken. Das Problem besteht noch immer darin, einen Mann zu finden, dem wir die Macht übertragen können -einen, dem ich zutraue, daß er gerecht regiert, und der stark genug ist, sich gegen Medraut zu behaupten. Und noch immer ist niemand da.«

»Es wäre sehr gefährlich abzudanken«, deutete ich an.

Er schenkte mir das gleiche müde Lächeln. »Denn dieses Reich, das wir erobert haben, ist eine Art Tyrannei«, zitierte er aus einer Sammlung von Sprüchen berühmter Männer, deren Namen ich zum größten Teil noch nie gehört hatte. Artus hatte dieses Buch aus dem Kloster mitgebracht, in dem er aufgezogen worden war - »Es war vielleicht falsch, die Tyrannei aufzurichten, aber es ist mit Sicherheit gefährlich, sie wieder loszulassen. Was hat dieser Spruch aber mit uns beiden zu tun? Wir haben das Reich nicht übernommen, um in Sicherheit zu sein, und wir haben oft genug den Tod dafür riskiert.«

»Ich meinte, es wäre gefährlich für das Reich. Die Könige von Britannien kennen dich, und wenn sie nicht an deine Gerechtigkeit glauben, dann glauben sie wenigstens, daß du ein fähiger Feldherr bist. Vielleicht wären sie gewillt, deinen Nachfolger zu bekämpfen, besonders wenn er jung wäre, wo sie gegen dich nicht kämpfen würden.«

Er seufzte und legte den Kopf in die Hände. »Du hast natürlich recht. Es gäbe vielleicht Krieg, ehe ich es mir leisten könnte abzudanken. Und wenn ich dann besiegt würde und Medraut die Macht ergriffe - nein, ich muß darauf vertrauen, daß Gott das wenigstens nicht zuläßt.« Er schaute wieder ins Feuer und fuhr so leise fort, daß ich ihn kaum hören konnte. »Und dennoch, diese Dunkelheit habe ich selbst verschuldet. Ich selbst bin verantwortlich dafür, daß Medraut existiert. Auch die Unruhe im Königreich ist meine Schuld, denn ich habe meine Macht durch Waffengewalt und gegen das Gesetz erworben, und es ist nicht überraschend, daß ich Feinde habe. Ich dachte damals, ich täte das Rechte, aber vielleicht war es in Gottes Augen eine genauso große Sünde wie der Inzest.«

»Nein«, sagte ich und legte die Hand auf seine Finger.

Er schüttelte sie ab. »Die Zerstörung kommt aus unserem Innern und aus meinem Innern. Die Sachsen konnten uns nicht besiegen, aber wir selbst vernichten jetzt das Reich. Es ist der Bruch in der Familie, der Fehler von innen. Früher habe ich gedacht, daß nur die Schande und die Unehre unerträglich wäre, wenn es bekannt würde, daß ich meine Schwester geliebt habe. Jetzt scheint mir das unwichtig. Denn es geht nur mich etwas an. Aber das andere, das ist der Untergang des Westens, die Dunkelheit, die über uns kommt. Warum müssen wir das Licht so lieben, wenn wir doch seine Zerstörung herbeiführen müssen?« Er schaute mich bei dieser Frage an und hob die Stimme, als ob ich vielleicht die Antwort wüßte. Das Feuer knisterte leise auf dem Herd.

»Meine Liebste, wir haben noch nicht verloren«, sagte er endlich. »Und du selbst hast gesagt, daß wir Gott vertrauen müssen. Sicher wird er es nicht zulassen, daß die Dunkelheit uns besiegt. Wir haben zuviel, wofür wir kämpfen müssen, um der Verzweiflung freie Bahn zu lassen.«

Er seufzte. »Ich bin müde.« Er rieb sich das Gesicht. »Ich kämpfe jetzt den größten Teil von dreißig Jahren, und ich fange an, noch nicht einmal mehr an den Sieg zu glauben. Und daß ich dafür verantwortlich bin. aber du hast recht. Wir haben sehr viel, für das wir kämpfen müssen. In der Tat, es ist ein Glück, das Viele lieben zu können und dafür zu kämpfen. Es wäre feige und unedel, aufzugeben, ehe der Kampf angefangen hat.« Er erhob sich und küßte mich, und dann stand er da und preßte mich an sich. Er trug noch immer sein Kettenhemd, und ich konnte die Kettenglieder unter seiner Tunika fühlen und die Kraft seines Körpers, die darunter lag. Ich dachte an Bedwyr und an meinen Wunsch, schwach zu sein, und ich schämte mich bitterlich.

»Gwynhwyfar«, sagte Artus, »ich verdiene dich nicht. Verzeih mir, daß ich zornig auf dich gewesen bin - und daß ich es ohne Zweifel wieder sein werde, denn ich bin sehr müde und habe schweren Kummer.«

»Ach, mein Liebster«, sagte ich, und mehr fiel mir nicht ein. Aber Worte waren auch nicht wirklich nötig.

In dieser Nacht, beim Willkommensfest, schwor Medraut Artus den dreifachen Eid der Gefolgschaft. Er kniete in der Mitte der Halle unter dem Firstbalken mit der goldenen Drachenstandarte und hielt Artus das Schwert mit dem Heft zuerst entgegen. Er schwor in klarer Stimme, mit offensichtlichem Ernst, als König Frieden mit Artus zu halten und keine Kriege gegen ihn oder seine Untertanen und Verbündeten zu unternehmen und die Gesetze des Reiches zu ehren und den Feinden von Britannien keinen Unterschlupf zu gewähren. Artus nahm das Schwert und gelobte, Frieden mit dem Königreich der Orkneys zu halten und so weiter. Die >Familie< brach in Hochrufe aus, als Medraut sich wieder erhob, lächelte, und das

Schwert in die Scheide steckte. Aber Medrauts eigene Leute, die er von den Orkneys mitgebracht hatte, beobachteten Artus grimmig und ohne mit der Wimper zu zucken.

Weder sie noch Medraut kehrten je zu den Inseln zurück. Medraut war seit zwei Wochen in Camlann und bereitete sich wieder auf seine Abreise vor, nachdem er die alte Spannung in der >Familie< wiederhergestellt hatte, als ein Bote von den Orkneys zu uns kam. Er berichtete, der königliche Clan sei abgesetzt und die Inseln würden von jetzt an von einem Zweig der Familie Ui’ Niall regiert, die den größten Teil von Erin beherrschten. Es hatte immer Feindschaft zwischen den Ui’ Niall und dem königlichen Clan von den Inseln geherrscht. König Lot hatte ursprünglich Erin verlassen, als seine Familie den Besitz in Ulaid an die Ui’ Niall verloren hatte. Die Ui’ Niall waren jetzt von einer der adligen Sippen, die Medraut beleidigt hatte, nach Dun Fionn eingeladen worden. Diese Sippe und ihre Verbündeten besetzten an einem Tag, der vorher ausgemacht worden war, den Hafen auf der größten Insel. Eine Flotte von Erin legte an, und mit vereinten Kräften marschierte man über die Insel nach Dun Fionn. Wenn Medraut anwesend gewesen wäre, dann wäre die Festung ohne Zweifel in der Lage gewesen, dem Ansturm zu widerstehen. Jetzt aber hatte die Hälfte der Bewohner gemeutert und den Eindringlingen die Tore geöffnet. Alle männlichen Mitglieder der königlichen Sippe, zusammen mit ihren wichtigsten Verbündeten, wurden hingerichtet, und die Frauen verteilte man zur Ehe oder als Konkubinen an die Eindringlinge. Gewöhnlich war das letztere der Fall. All das war geschehen, kurz nachdem Medraut die Orkneys verlassen hatte, und wahrscheinlich schon, ehe er Caer Gwent erreichte. Ohne Zweifel war das Ganze schon vor Monaten geplant gewesen.

Wir gaben diesem Boten - der ein Mitglied der beleidigten und sich rächenden Sippe war - eine Audienz in der Halle. Der Mann war am Nachmittag angekommen, und es waren nicht viele Leute da, als er seinen Platz unter dem Firstbalken einnahm und zu reden begann - wir mußten nach Medraut schicken. Aber noch mehr Leute eilten herbei, als der Mann erzählte. Er berichtete seine Geschichte mit offensichtlicher Freude und schilderte die Einzelheiten in leuchtenden Farben zugunsten seiner neuen Herren, der Ui’ Niall. Die Halle füllte sich mit Geflüster, mit Erklärungen an neu Angekommene, mit entsetzten Ausrufen und Forderungen um Entscheidungen in dieser Sache. Aber der Bote blickte sich nicht um, sondern schaute Artus fest ins Gesicht. Als er mit seiner Erzählung von den Ereignissen auf den Inseln fertig war, richtete er sich auf, legte eine Hand ans Schwert und sagte Artus noch ein paar stolze, abschließende Worte.

»Du darfst nicht glauben«, erklärte er in seinem ausgezeichneten Britisch, »daß es für dich noch immer möglich wäre, ungerechtfertigterweise einen zerstörerischen Einfluß auf den Inseln auszuüben. Wir sind Iren und keine Briten, und jetzt -gerechterweise! - sind wir an Erin gebunden. Wir schwören dir keinen weiteren Frieden, Hoher König von Britannien. Die verfluchte Familienlinie des Lot hat es getan, und alle Übel haben sich daraus gegeben, aus seiner Ehe mit einer britischen Zauberin um dein dreimal verdammtes Bündnis und aus seinen Söhnen - dem Säufer und dem Zauberer und Verräter und dem letzten und schlimmsten, den er nicht gezeugt hat - den in Schande gezeugten Bastard, dem Hexensohn und dem Fluch seines Volkes. Wenn du, Pendragon, vorhast, diesen Tyrannen wieder zurückzuschicken, damit er uns beherrscht, dann werden tausend Speere dir entgegenstehen und tausend Schwerter. Nicht so leicht wirst du da durchkommen, und nicht so leicht wirst du die Inseln behalten, wenn du es doch schaffst. Das haben wir geschworen - bei der Sonne und dem Wind, mit dem Eid unseres Volkes und beim neuen Gott von Erin und den Ui’ Niall, die jetzt unsere Götter sind. Wenn du aber annimmst«, und er spuckte das Medraut entgegen, der still und unbewegt an Artus’ rechter Seite gestanden hatte, »daß du zu den Inseln zurückkehren kannst, dann sollst du wissen, daß du zum Tod verurteilt bist, und gleichgültig, wie viele Wachen und Krieger du um dich scharst, wie viele Männer du durch Zauberei suchst und tötest - eines Tages wird jemand den Weg zu dir finden und dich für deine Tyrannei zahlen lassen. Auch das haben wir geschworen.«

Medraut starrte ihn an. Seine Augen waren leer, erstarrt vom Haß, obwohl sein Gesicht still und unbewegt war. »Und vielleicht«, sagte er im glatten Unterhaltungston, »vielleicht bist auch du zum Tod verurteilt, übermäßig angeberischer Bote.«

Der Bote lachte. »Du hast meinen Vater umgebracht, wenn es auch niemand beweisen konnte. Du hast ihn umgebracht, obwohl er nichts getan hatte, und für seinen Tod ist kein Blutpreis bezahlt worden. Meinen Vetter hast du öffentlich in deiner Halle abschlachten lassen. Ich habe um diesen Auftrag gebeten, Medraut, niemandes Sohn, so daß ich dich sehen konnte, wenn du diese

Botschaft hörst. Und jetzt, da ich es gesehen habe, fürchte ich mich nicht mehr vor dem Tod. Lennavair, die Tochter des Durtacht, die du heiraten wolltest, schläft jetzt bei Laeghaire von den Ui’ Niall als seine Konkubine, und sie ist froh darüber, daß sie die Geliebte eines wirklichen Mannes ist und nicht die Ehefrau eines Bastards.«

»Achte gut auf dein Schiff, wenn du nach Hause segelst«, sagte Medraut ruhig.

»Er ist als Abgesandter gekommen«, sagte Artus mit ruhiger, aber tragender Stimme. »Und wir werden es ihm erlauben, in Frieden wieder abzureisen, wie es das Gesetz und die Sitte verlangen. Ich weiß nicht, was du damit meinst, wenn du ihm sagst, er soll auf sein Schiff achten, Sohn des Lot. Ohne Zweifel ist er daran gewöhnt zu segeln, selbst im Herbst, und braucht eine solche Warnung nicht.« Medraut wandte seinen grausamen Blick auf Artus. Artus hielt ihm stand. Nach einem Augenblick fügte Artus sehr ruhig hinzu: »Denn wenn du diesem Mann Übles wünschst, dann möchte ich dich daran erinnern, daß Zauberei ein Schwerverbrechen ist.«

Medraut starrte noch einen langen Augenblick Artus an. Dann senkte er verstohlen den Blick und verbeugte sich. »Warum erwähnst du die Zauberei, Herr? Glaubst du etwa die wilden Anklagen der Leute, die sich zu deinen Feinden erklärt haben und die eine Sippe abgesetzt und ermordet haben, die mit dir durch viele Eide und viel Blut verbunden war? Ich glaube nicht, daß du solche Anklagen glauben kannst oder willst. Ich bitte dich, edler Herr, mir Urlaub zu geben, damit ich meine Familie und meine Gefolgsleute von diesem Unglück unterrichten kann.«

Artus nickte, und Medraut verbeugte sich und stieg von dem Podest herunter. Bei dem Boten blieb er stehen und warf ihm noch einen kalten, abschätzenden Blick zu. Dann lächelte er und ging langsam durch die ganze Halle hinaus. Alle machten ihm Platz. Viele seiner Freunde gingen hinter ihm her.

Der Bote aber schaute Artus überrascht an. »Du bewahrst die Tradition, was Abgesandte betrifft«, sagte er nach einer Weile. »Das ist gut. Welche Nachricht soll ich den Fürsten Ui’ Niall, den Herrschern der Orkneys, von dir überbringen?«

Artus lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte den Boten gedankenverloren, bis der Mann, der bis dahin so kühn gewesen war, plötzlich unsicher dreinschaute und an seinem Schwert herumfummelte.

»Sag deinen Herren«, meinte Artus endlich, noch immer nicht laut, sondern mit müder Stimme, die aber trotzdem eine Stille in der ganzen Halle auslöste, »daß es mir um die Inseln leid tut. Sag deinen Vettern und ihren Verbündeten, daß ich bekümmert bin um die königliche Familie, die überaus grausam ermordet worden ist. Und sag deinen Leuten, daß auch sie mir leid tun und daß sie eine Sippe vernichtet haben, aus der immer ihre Könige hervorgegangen sind, daß sie fremde Herren gerufen haben, die über sie herrschen sollen. Sag außerdem zu deinen Herren, daß es leichter ist, zu behaupten, die Inseln seien an Erin gebunden, als sich darauf zu verlassen, daß Erin Hilfe schickt. Wenn die Ui’ Niall meine Untertanen durch Überfälle an den Küsten beunruhigen, dann werden sie es bedauern. Ich werde dann der Sitte folgen, der ich immer gefolgt bin, und alle Räuber, die in Britannien gefangen werden, hinrichten lassen und für keinen ein Lösegeld nehmen.

Wenn die Ui’ Niall britische Güter begehren - und sie werden Holz und Zinn und Eisen verlangen, denn so etwas gibt es nicht auf den Inseln -, dann werden sie sich mit mir einigen und den Eid schwören müssen, meine Länder und meine Untertanen zu respektieren.«

Der Bote schaute in die Richtung, in die Medraut gegangen war. »Aber was ist mit dem Tyrannen?«

»Durch Geburt kann er als einer aus der königlichen Familie von Britannien betrachtet werden. Er hat einen Platz hier, wenn er auf den Inseln keinen mehr hat.« Noch einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann erhob sich Artus von seinem Sitz am Hohen Tisch und ging die Stufen vom Podium hinunter, bis er dem Boten gegenüberstand. »Ich will um einen Tyrannen nicht gegen Erin Krieg führen, selbst wenn der Tyrann der königlichen Sippe von Britannien angehört«, sagte er ruhig. »Wenn ihr wollt, dann könnt ihr Frieden mit mir haben. Ich werde die Bedingungen zusammenstellen, die du deinen Herren bringen kannst. Inzwischen bietet dir Camlann die Gastfreundschaft, die Abgesandten zusteht.«

Der Abgesandte starrte Artus noch einen Augenblick an - er glaubte ihm nicht ganz. Er sah sich in der Halle um, heftete dann seinen Blick wieder auf Artus. Dann verbeugte er sich tief. »Herr und Hoher König, ich danke dir.«

Als der Bote wieder zu den Orkneys abreiste, ließ Artus Medraut beobachten. Er gab dem Boten einen sorgfältig ausgesuchten Begleitschutz zu seinem Schiff zurück, das auch von verläßlichen Wächtern gehütet wurde. Endlich schickte er Geld zum Kloster nach

Ynys Witrin, damit für die Reisenden auf See eine Messe gelesen wurde. Ob es nun durch diese Vorsichtsmaßnahmen kam oder weil Medraut sich entschlossen hatte, seine Wünsche der Notwendigkeit zu opfern, einen guten Eindruck zu machen - das Schiff kam sicher in Dun Fionn an, und nach kurzer Zeit hörten wir, daß unsere Vorschläge zu Friedenseiden von den Ui’ Niall zur Verhütung von Piraterie und Raubüberfällen gegen einige Rechte zum Handel mit Britannien akzeptiert wurden. Und Medraut blieb in Camlann.

Obwohl Medraut seinen Sturz deutlich weder erwartet noch gewünscht hatte, er wirkte sich zu seinen Gunsten aus. Die Tatsache, daß Artus ihn bei einem Versuch, die Königswürde wiederzuerlangen, nicht unterstützen würde, gab ihm einen Grund zur Klage. Er war Artus’ Neffe und hatte den Eid der Gefolgschaft geschworen, aber Artus hatte Frieden mit denen geschlossen, die Medrauts Familie ermordet und sein Königreich erobert hatten. Es spielte keine Rolle, daß das Bündnis nie über eine gemeinsame Verteidigung hinausgegangen war - es war alt und bestand schon lange, besiegelt durch Eheschließung in der vergangenen Generation, und es war in einem Augenblick umgestoßen worden. Selbst in der >Familie< herrschte die starke Meinung vor, daß Artus Medraut hätte unterstützen müssen. Medrauts Taten, solange er noch an der Macht gewesen war, wurden nicht besonders ernst genommen: Medraut selbst gab der >Laxheit des armen Agravain< die Schuld für die Tatsache, daß er so viele Adlige hatte hinrichten lassen müssen, und die Männer machen sich nie so viele Sorgen um die Tyrannei in einem fremden Land wie über irgendein leichtes Problem, das sie selbst haben. Es half auch nicht, daß Artus dafür sorgte, daß die Söhne der Morgas offiziell als Mitglieder der kaiserlichen Familie von Britannien anerkannt wurden, jetzt, da die Sippe ihres Vaters vernichtet war. Das diente nur dazu, Medrauts Anspruch auf britische Hilfe zu verstärken.

Der einzige Lichtblick, der uns bei all diesen Katastrophen blieb, war die Tatsache, daß Gawain jetzt offiziell ein Mitglied der königlichen Sippe von Britannien war - und damit auch Gwyn. Wie Artus vorausgesagt hatte, fingen die meisten Krieger schon an zu vergessen, daß Gwyn illegitim geboren war. Der Junge war mit Gawain nach Gallien gereist und danach in den Norden - König Urien von Rheged hatte irgendeinen Streit mit seinen sächsischen Nachbarn und hatte darum gebeten, daß Artus ihn schlichtete. Urien war ein sehr mächtiger König, der stärkste von allen nördlichen

Herrschern, und Gwyn beeindruckte ihn sehr. Offenbar erinnerte er ihn an seinen eigenen Sohn Owain, der sich nach einer nicht vielversprechenden Kindheit und Jugend plötzlich in einer Reihe von hervorragenden Schlachten siegreich hervorgetan hatte und in der letzten Schlacht nach dem Sieg gefallen war. Als Urien Gawain die üblichen Geschenke gab - eins für Gawain selbst, als Abgesandten, eins für Artus, um ihn zu ehren, und eins für den sächsischen König, mit dem Gawain die Verhandlungen geführt hatte -, da beschenkte er auch Gwyn. Und als die beiden abreisten, da wünschte er dem Jungen von Herzen alles Glück.

Nachdem unsere Boten die Verhandlungen zwischen Urien und seinen sächsischen Nachbarn beendet hatten, unterbrachen sie in Ebrauc für eine Weile die Rückreise. König Ergyriad ap Caw hieß sie auf seiner Burg willkommen und begrüßte Gwyn sofort als seinen Familienangehörigen, den Sohn seiner Halbschwester. Diese Anerkennung gab Gawain die Möglichkeit, einen Teil der Feindschaft zwischen ihm selbst und den anderen Söhnen des Caw auszuräumen, die ihn gehaßt hatten, seit er ihren Bruder Bran getötet hatte. Gwyn kam erstaunlich gut mit einigen von ihnen zurecht, und auch sie gaben ihm Geschenke, als er Caer Ebrauc verließ.

Artus war sehr froh, als die beiden zurückkehrten. Er hoffte noch immer, daß ihm Zeit genug blieb, um Gwyn zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Uriens Unterstützung dabei würde von unschätzbarem Wert sein, wie auch die Unterstützung der Söhne des Caw. Er nahm sich die Zeit, mit Gwyn über die verschiedenen Länder zu reden, die er besucht hatte, und er überzeugte sich, daß der Junge erstaunlicher politischer Einsicht fähig sei - und so mußte es auch sein, da Gawain ihn unterrichtete. Gawain selbst wäre als Nachfolger nie akzeptabel gewesen, trotz seiner politischen Fähigkeiten, denn er war erstens aus einer ausländischen Familie und zweitens viel zu sanft und anderweltlich, um für die Macht eines Kaisers geeignet zu sein. Vielleicht war Artus nur fasziniert von der Parallele zwischen Gwyns Vorleben und seinem eigenen. Aber wir hatten beide Hoffnungen, von denen wir nicht zu sprechen wagten, und wir hofften um so mehr, als die Situation ständig schlimmer wurde.

Die fünfzig Krieger, die Medraut von den Inseln mitgebracht hatte, fingen bald an, Probleme aufzuwerfen. Ein paar von ihnen stammten aus der königlichen Familie und zeigten sich Artus gegenüber zornig und ablehnend. Alle waren einzig und allein

Medraut ergeben und gehorchten ihm vollkommen, während sie allen anderen gegenüber außerordentlich feindselig waren. Sie bildeten eine feste Gruppe in Camlann, eine Gruppe, die in sich selbst ruhte und von den anderen Kriegern durch die Barrieren der Kultur, der Sprache und der Religion isoliert war. Nur um Streitereien auszutragen, wurden diese Barrieren durchbrochen. Nach ein paar Zweikämpfen zwischen ihnen und einigen von unseren Männern schickte Artus den größten Teil der fremden Krieger zurück auf Medrauts Schiffe. Er ließ sie die westliche Küste entlangfahren, um Eindringlinge abzuhalten. Im Dezember wurde entdeckt, daß einige von diesen Schiffen selbst ein paar Überfälle durchgeführt hatten, und Artus ließ die Männer, die dafür verantwortlich waren, zum Tod verurteilen. Unglücklicherweise waren auch zwei Mitglieder der königlichen Familie dabei, und ihre Hinrichtung verursachte fast einen bewaffneten Konflikt. Lange Zeit danach gingen noch geflüsterte Gerüchte um: »Der Pendragon will das beenden, was die Ui’ Niall angefangen haben.«

Gleichzeitig zirkulierten überall die Gerüchte, die Medraut um seine eigene Herkunft in Umlauf gebracht hatte, und unsere Spione berichteten aus allen Ecken von Britannien davon. Kein König wagte Artus zu fragen, ob sie wahr waren, aber bald erkannten wir an der Unsicherheit einiger Leute, die mit uns umgehen mußten, und am Zögern von anderen, mit uns in Kontakt zu treten, wer sie glaubte. Das ungemütliche Gefühl, das die Gerüchte verursachten, war aber nirgendwo so deutlich wie in Camlann. Medraut hatte es geschafft, wieder den größten Teil seiner Gefolgschaft um sich zu versammeln, und die Streitereien in der Familie begannen aufs neue. Diesmal aber lag ein Unterschied darin. Früher hatte Medraut in erster Linie seinen Bruder Gawain angegriffen und bei Artus nur seine Entscheidungsfähigkeit im Hinblick auf Gawain in Frage gestellt. Er hatte angedeutet, daß mein Mann meinen parteiischen Launen gegenüber schwach sei. Jetzt war der Angriff direkt geworden: Artus hätte Medraut ungerecht behandelt wegen eines schrecklichen Geheimnisses - eines Geheimnisses, über das man in der Festung flüsterte und nach dem Hunderte von erschrockenen oder sorgenvollen Augen suchten, die sich auf Artus hefteten, wo immer er hinging.

Einige von Medrauts Gefolgsleuten fühlten sich nicht mehr so recht wohl, als die Richtung, in die der Angriff ging, deutlicher wurde. Ein paar von ihnen waren nach dem Vergiftungsversuch abgefallen und ein paar nach Agravains Tod. Aber es gab noch immer eine stattliche Anzahl von Männern, auf die Medraut sich verlassen konnte - hundertundsechs, und noch einmal fünfzig oder so, die unsicher waren, wem sie die Treue halten sollten. Diese letzte Gruppe wurde ständig kleiner, denn die Männer entschlossen sich mehr und mehr, wem sie glauben wollten und wem sie am Ende folgten.

Der Winter war nicht ruhig. Artus trieb sich voran, wie er es seit dem Höhepunkt des Krieges nicht mehr getan hatte. Er stand vor Sonnenaufgang auf und arbeitete den ganzen Tag und versuchte, die Männer beschäftigt zu halten und ihre Streitereien zu verhindern. Er bot ihnen ein halbes Hundert Ablenkungen, damit wir Zeit gewannen. Er schickte unaufhörlich Boten an die Könige von Britannien, und das unter allen möglichen Vorwänden, damit seine Autorität ihnen vor Augen blieb und er den Kontakt hielt, den so viele der Könige gern abgebrochen hätten. Er tat so, als ob er noch nie etwas von den Gerüchten gehört hätte, und versuchte, so zu handeln, als ob seine Energie und Kraft von der Zeit nicht angekränkelt wären, als ob ihn noch immer die alte Begeisterung, die alte Freude bewegte. Aber am Abend brach er erschöpft auf dem Bett zusammen und war kaum noch fähig, sich zu bewegen. In der Nacht hatte er Träume: Er wachte oft auf und rief den Namen Morgas’. Dann ging er ans Schreibpult, zündete die Lampe an und las unsere abgenutzten Bücher durch, oder er schrieb stundenlang wütende Briefe. Ich wachte dann auch auf und erhob mich, und dann sah ich ihn im Nebenzimmer über das Schreibpult gebeugt, und das Lampenlicht beleuchtete die Knochen und Höhlungen seines Gesichts, so daß es wirkte wie ein Totenkopf. Ich ging dann hinüber und versuchte, ihn dazu zu bewegen, wieder zurückzukommen und auszuruhen, denn er brauchte den Schlaf verzweifelt. Trotz all der erzwungenen Energie während des Tages konnte er das nicht verbergen. Der Alptraum preßte seinem Gesicht den Stempel auf, tiefer und immer tiefer, und ich konnte die eingegrabenen Linien nicht wegglätten.

Selbst wurde ich auch so erschöpft, daß mein Hauptwunsch darin bestand, allem zu entrinnen. Ich hatte genausoviel zu tun wie Artus, und ich hatte das Gefühl, als ob all unsere Arbeit darin bestünde, unseren eigenen Schatten zu fangen. Gleichgültig, wie schwer wir arbeiteten oder was wir sagten und taten und welchen Vorteil wir daraus gewannen - die Gerüchte hielten Schritt mit uns. Oft hatten wir das Gefühl, als ob wir nicht mehr leisten könnten, und dann stellten wir nur fest, daß wir noch mehr tun mußten. Und darin, daß wir es taten, entdeckten wir weitere Dinge, die erledigt werden mußten, und noch weitere - bis die Tage vorüberwirbelten wie Hammerschläge.

Ich hatte Bedwyr. Ich brauchte Bedwyr. Er war meine einzige Zuflucht, ein Ort des Frühlings mitten in diesem dunklen Winter. Obwohl auch ihn der Alptraum umgab, lebte er doch nicht im Herzen des Alptraums, und er hatte - im Gegensatz zu Artus - Zeit, zu reden und zu atmen. Bei ihm konnte ich ruhen und Kraft finden. Ich konnte, für eine kleine Weile wenigstens, meine Sorgen zu seinen Füßen niederlegen und sie vergessen. Natürlich waren wir vorsichtig und taten es sehr heimlich. Häufig hatten wir plausible Gründe, einander zu treffen, und leicht genug konnten wir es einrichten, irgendwo in Camlann zusammenzukommen, wo wir nicht gestört wurden. Die Sünde des Verrats wurde mein Trost - und dennoch, selbst in diesem Trost lag Qual. Manchmal, wenn Artus aus einem schwarzen Traum erwacht war und ich im Bett lag und dem Kratzen seiner Feder zuhörte, dann wünschte ich, es sei alles vorüber, selbst wenn am Ende die Niederlage war und ich selbst in alle Ewigkeit verdammt wurde. Im Tod wenigstens liegt eine Art Endgültigkeit und eine Ruhe nach dem erbarmungslosen Kampf. Und am nächsten Tag weinte ich dann an Bedwyrs Schulter, weil ich nicht in der Lage gewesen war, Artus Trost zu bieten, und weil ich mich selbst verzweifelt nach Trost sehnte.

Aber das Ende kam tatsächlich bald - viel zu bald, dachte ich, als es endlich über uns war.

Im späten März begann ein neues Gerücht im Camlann zu kreisen. Artus kam eines Abends vor einem Fest in unser Haus zurück, warf ein Bündel von geschriebenen Botschaften auf das Pult, ließ sich in seinen Sessel fallen und bemerkte: »Mein Herz, es gibt ein neues Gerücht, das du am besten kennen solltest. Angeblich schläfst du jetzt mit Bedwyr und planst meinen Sturz.«

»Mit Bedwyr?« fragte ich und fühlte, wie die Kälte über mich kam. Ich starrte Artus an.

Aber er blieb nur zusammengesunken im Sessel sitzen und stellte die Füße auf den Rost des Herdes. »In der Tat. Man fragt sich, warum Medraut sich gerade auf Bedwyr versteift. Man sollte doch meinen, Gawain sei der wahrscheinlichere Kandidat für eine solche Geschichte. Aber das hat Medraut ja schon versucht. Außerdem hat er Gawain schon einen Muttermörder, Verräter und Wahnsinnigen genannt, und bisher hat er es noch nicht geschafft, Bedwyr zu beflecken. Also erfindet er so etwas. Ach, ich nehme an, in seiner Art ist die Geschichte schlau genug eingefädelt. Bedwyr ist kein Brite, gehört nicht zu einer königlichen oder wichtigen Sippe und hat trotzdem Macht und Einfluß. Medraut kann jeden Widerwillen, der dadurch erzeugt wird, dazu ausnutzen, seiner Geschichte Glaubwürdigkeit zu verleihen, und gleichzeitig kann er deinen Namen anschwärzen. ach, lieber Gott, jetzt auch noch Bedwyr. Jetzt haben wir niemanden mehr, der in einem Streit vermitteln kann oder der mit einem Mann aus Medrauts Gruppe in Verbindung tritt. Aber eine solche Geschichte -!«

Ich kam herüber und setzte mich zu seinen Füßen nieder. Ich fühlte mich sehr müde, und ich lehnte meinen Kopf an sein Knie. Was wäre, wenn ich es ihm erzählte, dachte ich plötzlich - was wäre, wenn ich alles beichtete, die Last ablegte, die Konsequenzen auf mich nahm? Aber als ich zu dem hageren Gesicht meines Mannes aufblickte, da wußte ich, daß ich nicht reden konnte, daß ich seinen Schmerz nicht noch vergrößern und ihn im Stich lassen konnte, damit er das Schwinden seiner Macht allein durchstand. »Willst du, daß ich mich in Zukunft kälter zu Bedwyr verhalte?« fragte ich. »Soll ich ihm die nächsten paar Wochen aus dem Weg gehen?«

Artus legte einen Arm locker um meine Schultern. »Nein. Mach dir keine Sorgen. Medraut würde das seinen Gefolgsleuten gegenüber nur folgendermaßen erklären: Du fühlst dich schuldig und hast Angst, entdeckt zu werden. Wir können nur hoffen, daß dieses Gerücht von selbst stirbt. Es muß von selbst sterben. Es ist zu absurd, als daß ein denkender Mensch es glauben könnte. Du und Bedwyr - meine Frau und mein getreuester Freund, die beiden Menschen, denen dieses Reich am meisten am Herzen liegt - des Verrats schuldig! Nein, mein Herz, laß nur. Das Gerücht wird sicher von selbst sterben.«

Aber es war nicht so, obwohl es mehrmals danach aussah. Immer, wenn die Männer anfingen, darüber zu lachen, erhob es sich von neuem, mit phantastischen Beweisen. Wir konnten zwar die Einzelheiten widerlegen oder erklären - so hatte man mich mit einer Weißdornblüte im Haar gesehen, nachdem Bedwyr eine an seiner Mantelfibel trug - Bedwyr und sechshundert andere! -, aber dennoch hielt sich die Geschichte, und jedesmal, wenn sie verblaßte, kam sie um so stärker wieder auf.

Gegen Ende April hatte Bedwyr mit einem von Medrauts irischen Kriegern im Stall eine Meinungsverschiedenheit. Dieser Mann, einer aus der königlichen Familie, wollte für eine Fahrt auf seinem Schiff ein paar Ausrüstungsgegenstände, die Bedwyr für überflüssig hielt. Das Streitgespräch wurde hitzig, und Bedwyr drehte sich endlich um, ging weg und sagte: »Ich rede wieder mit dir, wenn du abgekühlt bist, Ruadh.«

»So ist’s richtig!« schrie der Ire hinter ihm her, in Hörweite von ein paar Dutzend Leuten, von denen mir einer später den ganzen Vorfall verärgert berichtete, »lauf nur zu der Frau deines Herrn, mach ihm auch da die Arbeit!« - und er machte eine obszöne Handbewegung.

Bedwyr blieb stehen und drehte sich zu dem anderen um. Der Mann wiederholte die Handbewegung, und Bedwyr kam zu ihm zurück. Er musterte den anderen von oben nach unten und sagte dann sehr ruhig und sehr kalt: »Was ist das für ein Unsinn? Bist du betrunken?«

Der Ire war völlig unerschüttert. »Muß ich betrunken sein, um die Wahrheit zu sagen? Ich hab es satt, daß du mir Tugendhaftigkeit vorspielst. Der tapfere, treue Bedwyr, der Philosoph, der vollkommene Feldherr! Im ganzen Westen weiß doch jeder, daß du mit der Hurenkönigin Gwynhwyfar schläfst, mit der Frau deines Herrn - mögest du viel Spaß mit ihr haben!«

Bedwyr schaute ihn schweigend einen Augenblick an. Dann, noch immer ruhig, aber mit einem harten Unterton, sagte er: »Du hast dich der Majestätsbeleidigung an unserem Herrn, dem Kaiser, schuldig gemacht. Und du lügst.«

»Beweise«, sagte der andere wild. »Beweis mir das mit deinem Schwert.«

»Mit Freuden. Hier und jetzt.«

Der Ire zögerte, nickte dann. »Zu Pferd oder zu Fuß?«

»Was immer dir lieber ist.«

Dabei wurden die Zuschauer unruhig, deren Zahl ständig wuchs, während die Menge aus dem Nichts auftauchte, angezogen von dem wahrscheinlichen Blutvergießen. Bedwyr war als Fußkämpfer nicht fähiger als andere auch, aber er war ein hervorragender Reiter. Ruadh dagegen war ein sehr guter Fußkämpfer. Ruadh wußte das und starrte Bedwyr einen Augenblick ungläubig an, ehe er heraussprudelte: »Zu Fuß!«

Bei diesen Worten meinte einer von den Mitgliedern der >Familie<, daß Artus von diesem Zweikampf wissen sollte, und rannte los, um ihn zu holen. Artus und ich waren alleine in der Halle und hörten Bittsteller an, und der Krieger rannte heran und brüllte laut, so daß es alle hören konnten: »Bedwyr kämpft gegen Ruadh, zu Fuß!«

Ich dachte nicht bewußt an das, was passieren konnte; ich wußte es sofort, und ich hatte das Gefühl, als ob die Welt alle Farbe verlöre. Ich stand auf, ohne nachzudenken, und sagte zu den Bittstellern: »Die Audienz ist vertagt.« Artus ergriff meinen Arm, und wir gingen die Halle hinunter.

»Wo ist es?« fragte Artus den Krieger.

»Vor den Ställen. Sie.« Und der Krieger brabbelte auf dem Weg die ganze Geschichte heraus.

Wir kamen an und sahen, daß ein Haufen Männer dort herumstand und sich stritt. Als sie uns sahen, traten sie auseinander und verstummten. In der Mitte der Gruppe war zertrampeltes, blutiges Stroh, und ich sah eine Leiche: Ruadh.

»Was ist passiert?« fragte Artus.

Die erste Antwort war ein unverständliches Gebrabbel; Artus hob die Hand, damit alle schwiegen, und winkte einen Mann aus der Gruppe heraus. »Goronwy, was ist passiert? Wo ist Bedwyr?«

Goronwy war sehr erregt und überhörte die zweite Frage. Da er selbst einmal gegen Bedwyr gekämpft hatte, war sein Interesse an dem Zweikampf groß gewesen. »Es war eine knappe Sache, Herr«, sagte er, »dieser Hund hat die Lady Gwynhwyfar beleidigt, und Herr Bedwyr hat dann zu Fuß gegen ihn gekämpft. Ruadh schaffte es, einen Stoß unter den Schild einzubringen und ihn in den Schenkel zu stechen. Bedwyr ist gestürzt. Ach, aber er war schnell - das hatte Ruadh nicht erwartet. Er kam heran, um ihn zu erledigen, und dann war plötzlich Bedwyrs Schwert unter seinem eigenen Schild und traf ihn in den Magen, so schnell wie die Blitze des Himmels. Ehre sei Gott! Das war ein großartiger Streich, und auch noch aus kniender Haltung!«

»Großartig?« schrie ein anderer Krieger, einer von Medrauts Gruppe. »Gott im Himmel, ein Mann liegt tot - ein Mann aus der königlichen Sippe von Britannien!«

»Wo ist der Herr Bedwyr?« wollte Artus noch einmal wissen und hob jetzt die Stimme, da die Krieger wieder angefangen hatten, sich zu streiten. Sie verstummten.

»Wir haben sein Bein abgebunden und ließen ihn dann zu

Gruffydd, dem Chirurgen, bringen«, erwiderte Goronwy. »Cei ist jetzt bei ihm. Viele von uns wären ja hingegangen, aber er selbst hat uns befohlen hierzubleiben, damit wir nicht im Weg sind.«

Mir war nicht klar gewesen, welcher Druck auf meinem Herzen gelastet hatte, bis dieses Wort es befreite. Bedwyr war am Leben und befahl noch immer sich selbst und den anderen. Ich spürte, wie Artus neben mir sich entspannte, obwohl sein Gesicht die feste Ruhe nicht verlor. »Sehr gut«, sagte er. Er hob die Hand, damit die Krieger weiter aufmerksam blieben, und schaute dann von einem zum anderen. »Es ist genug, meine Vettern. Kein Streit mehr. Rhuawn, geh und such Medraut ap Lot und sag ihm, daß sein Verwandter Ruadh tot ist und daß er meine Erlaubnis hat, nach seinem Belieben für die Beerdigung zu sorgen. Der Mann war ein Mitglied der königlichen Sippe, und seine Leiche soll entsprechend respektiert werden. Vier von euch sollen hierbleiben, um Wache zu halten. Ihr anderen seid entlassen. Ihr könnt wieder euren Aufgaben nachgehen. Für einen Tag hat es genug Blutvergießen gegeben, und ich wünsche nicht noch mehr davon. Gwynhwyfar, komm.«

Wir eilten von den Ställen zu Gruffydds Haus hinüber, und als wir ankamen, wischte sich der Chirurg gerade das Blut von den Händen. Er nickte uns zu und deutete dann mit einer ruckartigen Kopfbewegung zum Bett in der Ecke hinüber. Bedwyr lag darauf, während Cei auf dem Boden daneben saß und ein blutbeflecktes Tuch faltete. Der Feldherr war sehr bleich. Er schwitzte vor Schmerz, aber er war bei Bewußtsein und wirkte beherrscht, und -was am allerwichtigsten war - er lebte.

»Das schlimmste war der Blutverlust«, sagte Gruffydd zur Antwort auf unsere ungestellte Frage. »Die Wunde ist sofort abgebunden worden, glücklicherweise. Sonst würde der Narr jetzt hinter Ruadh her in die Hölle jagen. Er sollte sich eigentlich schnell wieder erholen, wenn er kein Fieber bekommt. Sag ihm, er soll die Droge schlucken, die ich ihm gegen den Schmerz gebraut habe. Er hat sie abgelehnt.«

Artus ging zum Bett und ergriff Bedwyrs Hand. »Du dummer Kerl«, sagte er böse, »warum bei allen Heiligen hast du ihm angeboten, zu Fuß mit ihm zu kämpfen?«

Bedwyr zuckte die Achseln. »Ich war zornig«, sagte er, und seine Stimme war rauh vor Schmerz. »Ich wollte ihn umbringen.«

Cei schnaufte wütend. »Das hättest du aber besser zu Pferd tun können.«

Bedwyr wandte den Blick ab. »Auf diese Weise werden mehr Männer seinen Tod als Zeichen der göttlichen Gerechtigkeit betrachten.«

»Es war das Risiko nicht wert«, sagte Artus. »Mein Freund, mein Bruder - wirklich nicht.« Der Zorn verschwand aus seiner Stimme, und er schaute fast glücklich drein. Bedwyr war am Leben. Mit unverständlicher Leichtigkeit fuhr er fort: »Du hast deine philosophische Zurückhaltung verloren, alter Freund. Was würde dein Victorinus dazu sagen?« Er ließ Bedwyrs Hand los, schaute sich um und nahm den Becher mit dem betäubenden Wein, den Gruffydd jetzt bereithielt. »Da, trink das. Es gibt keinen Grund dafür, daß du jetzt einen klaren Kopf behältst.«

Bedwyr machte keine Anstalten, den Becher zu nehmen.

»Ich hab’ ihm das auch schon gesagt«, sagte uns Cei, »aber anscheinend glaubt er, er müßte wach bleiben - als ob keiner von uns gut genug wäre, sich um ihn zu kümmern.«

»Nimm es«, sagte ich.

Bedwyr schaute mich zum erstenmal an, und das bittere Elend in seinem Blick erschreckte mich. Dann sah er Artus an, nickte und streckte die Hand nach dem Becher aus.

»Ich hab’ mich geschämt«, sagte er mir hinterher, als er wieder auf den Beinen war. »Ich hab Ruadh wegen einer Lüge umgebracht. Er hat die Wahrheit gesagt, und er ist dafür gestorben. Ich hätte nicht zu Pferd gegen ihn kämpfen können, weil ich ihm damit eine so kleine Chance gegeben hätte. Dennoch hatte ich den Wunsch, ihn umzubringen. Er hatte mich erzürnt, und ich wollte ihn tot und blutig vor mir sehen. Aber nachher, als ich ihn umgebracht hatte - da wollte ich leiden.« Er blickte auf die Erde unter seinen Füßen und schlug dann plötzlich auf die halb verheilte Wunde an seinem Oberschenkel. Er wurde weiß. Ich packte ihn am Arm, an den Schultern, und zog ihn an mich. Zum erstenmal seit dem Zweikampf waren wir allein, und während der beiden Wochen, die er krank gelegen hatte, war mir oft das Gefühl gekommen, als ob ich nicht mehr weitermachen konnte. Meine Freunde hatten mir alle gratuliert; sie schrieben Ruadhs Tod Gottes Gerechtigkeit zu, der den Lügner zu Boden schmetterte, und das tat mir noch weher als die Beleidigungen unserer Feinde. Ich hatte auch Angst um Bedwyr gehabt, weil sein Elend mich quälte, und noch immer fühlte ich mich zu Artus hingezogen und hatte niemanden, der mich wieder so machen konnte, wie ich einmal gewesen war. Nur mit Bedwyr

konnte ich frei reden.

Manchmal dachte ich noch immer daran, die Beziehung zu beenden. Einmal hatte ich es sogar fest vor. Ich war eines Morgens in der Halle und hörte mir die Klagen einiger Bauern und Händler an, während ich am Hohen Tisch saß. Da kam Gawain herein. Weil Gwyn auf der einen Seite der Halle saß und mit ein paar Freunden Harfe spielte, dachte ich, Gawain suche seinen Sohn. Ich lächelte und nickte und hörte mir weiter die endlos lange Erzählung eines alten Mannes von seiner verlaufenen Kuh an. Ein paar Minuten später blickte ich zerstreut auf und sah den Krieger im Kreis der Bauern stehen. Offensichtlich wartete er darauf, daß ich fertig war. »Gibt es irgend etwas?« fragte ich.

»Ich würde gern mit dir sprechen, my Lady, wenn du frei bist«, gab er zurück.

»Aber natürlich. Ist es dringend? Das hier kann noch eine Weile dauern.«

»Ich warte.« Er schaute sehr ernst drein, und von seinem höflichen Lächeln, das er gewöhnlich zeigte, war keine Spur zu sehen. Der alte Mann hustete und erzählte weiter von seiner Kuh, und ich hörte zu und fühlte mich deutlich ungemütlich. Gawain warf einen Blick auf die anderen, die auch noch darauf warteten, angehört zu werden, ging dann hinüber und setzte sich zu Gwyn. Nach kurzer Zeit hörte ich ihn durch die Einzelheiten über Kühe hindurch singen. Jemand mußte ihm die Harfe gegeben haben.

»Also,« fuhr der alte Bauer fort, »ich hab’ sie auf dem Markt gesehen, hab’ ich. In Baddon, am letzten Sonntag war das. Es war meine eigene Kuh, Erdbeere. Aber dieser Kerl - der Hund, der lügnerische -, der hat gesagt, es wäre seine Kuh! Aber er muß sie an der Straße gefunden haben, und dann hat er sie mitgenommen, das hat er, und.«

Gawain sang:

Der Brombeer weiße Blüte, der Himbeerblüte süßer Duft, lieblichste unter den Blumen im Licht das ist sie - meiner Augen Trost.

»Und dieser Mann, der ist verrückt, hochedle Dame, daß er behauptet, daß meine Kuh seine ist. Kann ich was dafür, wenn er seine Kühe nicht beisammenhalten kann? Du kennst mich gut. Schon zwanzig Jahre bestell’ ich das Feld für Camlann, und ich schwöre, daß es meine eigene Kuh ist, die ich selbst aufgezogen hab’, und meine Verwandten und Nachbarn, die können.«

Sie ist mein Herz und mein Geheimnis, duftende Blüte des Apfelbaums. Sie ist der Sommer, der Glanz der Sonne, und es erleuchtet ihr Licht den Winter.

Ich preßte meine Hand an den Kopf und spürte, wie die Kopfschmerzen kamen. Gut, so erinnerte ich mich selbst, daß normale Leute wie diese Bauern uns genug vertrauten, um zu uns zu kommen und sich Gerechtigkeit zu holen - aber ich wünschte mir, sie würden es nicht jetzt genau in diesem Augenblick tun und nicht auf so langwierige Weise. Ich erkannte die Melodie des Liedes, obwohl ich die Worte noch nie gehört hatte. Bedwyr summte sie schon seit Wochen.

Schließlich hatte ich das Problem mit der Kuh und den Weiderechten eines anderen und den verängstigten Schafen noch eines anderen gelöst und konnte hinüber in die Ecke gehen, wo Gawain mit den anderen saß. Ich lächelte sie alle an, und Gawain stand auf und verbeugte sich. Gwyn, der die Harfe hielt, lächelte in diesem Augenblick auch und stellte das Instrument ab, um es seinem Vater nachzutun.

Ich bot ihm mit einer Handbewegung an, sitzen zu bleiben. »Keine unnötige Höflichkeit, Gwyn - ich muß nur mit deinem Vater reden, wenn du auf seine Gesellschaft einen Augenblick verzichten kannst.«

Da allerdings stand Gwyn schon. Er verbeugte sich. »Könntest du nicht bleiben und hier mit ihm reden, my Lady? Wenn es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt, dann wären wir nicht gestört, und wir wären gern in deiner Gesellschaft, wenn es besprochen ist. Es ist schon zu lange her, seit jemand dich hat singen hören.«

»Eine Gnade, über die ihr euch alle freuen müßt«, gab ich zurück. »Aber ich glaube, diese Angelegenheit ist vertraulich -glücklicherweise für dich. Sonst würde ich vielleicht dein großzügiges Angebot annehmen und dein schönes Harfespiel dadurch verderben, daß ich versuche, eine Melodie dazu zu krächzen.«

Wir gingen die Halle hinunter, Gawain und ich. Gawain blieb in der Tür stehen und horchte, während sein Sohn zu singen begann. Gwyns Stimme hatte sich vom Quietschen eines Heranwachsenden zu einem tiefen Tenor umgewandelt. Er war jetzt fünfzehn und kein Kind mehr. Schon jetzt war er so hochgewachsen wie sein Vater. Gawain lächelte, warf noch einen Blick in die Halle und ging dann energisch hinaus in die Sonne. Ich folgte ihm.

Es war einer dieser Frühlingstage, bei denen man das Gefühl hat, als ob die Barrieren zwischen Welten gefallen wären und als ob Britannien zum Königreich des Sommers geworden wäre. Die Luft war weich und süß, das Gras unmöglich grün, und der Himmel wirkte lebendig vom Licht. Die Lerchen sangen, und selbst die paar Hühner, die in der Festung umherliefen, streckten sich und schlugen mit den Flügeln, als ob auch sie im Himmel schweben wollten. Meine Stimmung hob sich. Vielleicht irrte ich mich in dem, was Gawain wohl mit mir besprechen wollte. Aber als ich ein paar Takte von dem Lied summte, das er gerade in der Halle gespielt hatte, da schaute er mich scharf an.

»Cei war in der Halle«, sagte er, »also ist mein Haus leer, my Lady, wenn du Zeit hast für eine private Unterredung.«

»Danke, edler Herr«, antwortete ich und versuchte, wieder härter zu werden. »Gehen wir also dorthin.«

Er bot mir Wein an, als wir da waren, und ich nahm einen Schluck. Er schenkte auch sich einen Becher ein, stellte ihn aber unberührt auf den Tisch beim Feuer und saß einen Augenblick nur da und schaute mich mit dem gleichen dunklen, ernsten Ausdruck an.

»Also«, sagte ich und fühlte mich völlig leer und fast uninteressiert daran, wie es jetzt tatsächlich geschehen würde - jetzt, wo ein Freund mir die direkte Frage stellte. »Was gibt es?«

Er schaute schnell weg. »My Lady, letzte Woche, als mein Sohn und ich von unserer Reise nach Powys zurückkamen, stellten wir fest, daß in Camlann noch immer dieses neue Gerücht umgeht. Wir waren überrascht, daß es noch nicht entkräftet worden war, besonders nachdem Bedwyr deswegen einen Zweikampf ausgefochten hat.« Er hielt inne, schaute mich an und wartete. Ich sagte nichts, und nach einer Weile fuhr er fort. »Medraut kam zu mir und sprach unter vier Augen mit mir darüber. Er ist sehr befriedigt darüber. Er sagt, es sei wahr.«

»Jeder weiß, daß Medraut alle Gerüchte auf die Reise schickt«, gab ich zurück. »Warum solltest du diesem Gerücht besondere Aufmerksamkeit schenken?«

Er stand schnell auf und ging zur Tür, die wegen des besseren Lichts offen stand. Er lehnte sich an den Türrahmen und schaute hinaus auf die Mauern und die fernen Felder. »My Lady«, sagte er mit tiefer, gequälter Stimme, »spiel mir nichts vor. Ich weiß, daß die Hälfte der Geschichte eine Lüge ist. Medraut hat das zugegeben.

Aber er sagt auch, daß ein Teil davon nichtsdestoweniger die Wahrheit ist. Und ich kenne Bedwyr seit vielen Jahren, und ich weiß. was möglich wäre. Und Medraut kann mir gegenüber nicht lügen.«

Ich hatte in meiner Phantasie diese Entdeckung schon tausendmal durchlebt, und die Wirklichkeit hinterließ in mir jetzt einfach ein müdes Gefühl oder - seltsamerweise - auch ein Gefühl der Erleichterung.

»Warum ist er zu dir gegangen und hat dir all das erzählt?« fragte ich. »Und warum sollte er unfähig sein, dich anzulügen?«

»Er kommt tatsächlich manchmal zu mir, um zu reden - wenn auch nur sehr selten. Du weißt das, my Lady. Ich bin der einzige, den er nicht belügen kann, und ich glaube, das gibt ihm irgendwie Erleichterung. Und ich kannte unsere Mutter genauso gut wie er. My Lady, ist die Geschichte wahr?«

Ich war still. Er drehte sich um und schaute mich an. Ich spürte, wie mein Gesicht langsam heiß wurde, und stand auf. »Ich möchte gehen«, sagte ich ihm.

»Nein, ich bitte dich, warte. My Lady, um der Freundschaft willen, die zwischen uns geherrscht hat, setz dich.«

Ich setzte mich wieder, und er ließ sich mir gegenüber nieder. Er wirkte sehr abwesend, sehr angespannt und unglücklich, und ich spürte etwas in der Leere, die in mir herrschte: Mitleid. Mitleid mit ihm und ein tieferes, quälenderes Mitleid mit Artus. »Es ist wahr«, sagte ich mit leiser Stimme. Ich nahm einen Schluck Wein. »Ich habe mit Bedwyr geschlafen. Der Rest - die angeblichen Intrigen und der Verrat - das ist falsch. Aber das andere ist wahr.«

Eine lange Minute war er still. Dann sagte er leidenschaftlich: »Du mußt es beenden!«

»O Gott!« antwortete ich. »Wenn wir nur könnten! Aber wir -ich bin nicht stark genug. Wir haben es versucht, aber es hat keinen Zweck. Wir brauchen einander.«

»Aber, my Lady - mein Herr Artus, dein Mann, weißt du, was das für ihn bedeuten wird, wenn er es herausfindet? Und weiterhin -du mußt doch wissen, daß die >Familie< nie glauben würde, du wärest in dem einen schuldig und in dem anderen nicht. Die Männer werden sagen: >Die Kaiserin und der ausländische Feldherr haben geplant, den gesetzmäßigen Kaiser zu stürzen!< Und damit werfen sie Ehebruch und Verrat in einen Topf. Wir werden dich verlieren, und Bedwyr. Und das Vertrauen in alle, die noch bleiben, wird auch verlorengehen - alles auf einen Schlag. My Lady, wie kannst du so etwas tun? Das ist die Bresche im Schilderwall, und Medraut weiß es. Er wird da angreifen, und unser Schutz wird sich auflösen wie Nebel vor dem Wind.«

Ich schaute den Tisch an, zog die Schultern hoch und fühlte mich gleichzeitig heiß und kalt. Mein Wein stand da, der bronzene Becher, auf den in Silber Vögel getrieben waren. Gawain hatte ihn von irgendeinem irischen König bekommen. Ich nahm ihn auf und trank ein wenig von dem Wein. Ich war zu angewidert von mir selbst, um zu sprechen. Ich sollte es beenden. Ich sollte Gawain sagen, ich würde es tun - morgen. Und dann würde ich sehen. aber ich wußte, es war unmöglich. Ich konnte es nicht. Ich konnte mich danach sehnen, zur Sicherheit des Reiches und zu Artus’ Glück - aber das war alles. »Mein Freund«, sagte ich, »die Liebe hat dich einmal zu einem Eidbrüchigen gemacht, und mir hat sie nicht weniger angetan. Ich kann nicht aufhören. Bitte versuch mich zu verstehen.«

»My Lady«, Gawain streckte die Hand aus und berührte meine Finger. Ich blickte auf. Das Elend war jetzt deutlich auf seinem Gesicht zu sehen, und die Abwesenheit verschwand. »Was kann man tun?«

»Du mußt es natürlich Artus sagen«, erwiderte ich, schluckte dann und räusperte mich, denn meine Stimme war rauh.

»Ich könnte dich nicht verraten.«

Das überraschte mich. Ich starrte ihn an und sah, daß er es ehrlich meinte. Das tat weh. »Du mußt«, wiederholte ich. »Es ist deine Pflicht deinem Herrn gegenüber. Und es ist besser, daß Artus es von dir erfährt als von Medraut und seinen Freunden. Es ist besser, daß er es unter vier Augen erfährt und daß er Schritte unternehmen kann, um die Auswirkungen zu mildern, die die Nachricht haben wird.« Er schaute mich weiterhin an, ohne mir zuzustimmen. »Gawain, es ist sicher, daß die Angelegenheit irgendwie mit der Zeit herauskommen wird. Wenn du sie nicht verrätst, dann wird ein anderer es tun. Und du könntest uns nicht schlimmer verraten, als wir uns selbst schon verraten haben.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin dein Freund gewesen, hoffe ich, und deine Freundschaft hat mir viel bedeutet. Mein Sohn betet dich mehr an als die gesegnete Jungfrau. Und Bedwyr ist mir ein Bruder gewesen, seit ich nach Camlann gekommen bin, auch wenn er in den letzten Monaten Angst hatte, mit mir zu reden. Wie kann ich dich verraten und dir Unehre, Exil oder Tod bringen? Und wie könnte ich meinem Herrn erzählen, daß seine Frau und sein bester Freund ihm untreu sind? Wenn diese Angelegenheit sowieso entdeckt wird, dann soll sie entdeckt werden, ohne daß ich Verrat üben muß. Aber ich bitte dich, my Lady, wie du deinen Mann und deine Freunde und das Königreich liebst, beende diese Verbindung. Ich würde Bedwyr beschwören, aber wenn du mich kaum anhörst, dann weiß ich, daß er mich auch nicht anhören würde.«

Er war so verzweifelt, so eingefangen von seiner Liebe zu uns allen, daß ich sagte: »Ich will es versuchen.« Halb glaubte ich es selbst. Ich wünschte, ich wäre tot gewesen. Irgendwie nahm ich an, das wäre besser gewesen. Es wäre mit Sicherheit ein besseres Ende für unsere Probleme gewesen als die Entdeckung. Aber es gab blinde Hoffnungen und unmittelbare Notwendigkeiten, die mir jeden Tag gegenübertraten, und ich hatte nicht den Wunsch, mich umzubringen. Bedwyr und ich konnten vielleicht trotz allem die anderen mit Erfolg hinters Licht führen, oder die Situation in Camlann besserte sich auch vielleicht, und wir konnten dann unsere Verbindung beenden.

Ich trank den Wein aus, versuchte mich wieder in die Gewalt zu bekommen und ging dann mit Gawain zurück zur Halle.

Ich hatte für diesen Nachmittag ein Treffen mit Bedwyr vereinbart. Camlann war groß, und viel Land lag eingeschlossen innerhalb seiner Mauern. Ein Teil dieses Landes war nicht bebaut, und ein paar verstreute Bäume, junge Eichen, Birken oder Eschen, zogen sich im Osten den Hang hinauf. Ich wußte, daß an diesem Nachmittag niemand seine Schweine oder sein Vieh dort hintrieb, und es gab einen Lagerschuppen, der an der Mauer angebaut war. Dort wollte ich Bedwyr treffen. Er war da, schon bevor ich angekommen war. Ich hörte ihn das Lied summen, das Gawain gespielt hatte, während ich den Hügel herabkam, und mein Herz hämmerte.

Bedwyr saß auf einem Baumstumpf vor dem Schuppen und hielt in der einen Hand die weiße Schwungfeder irgendeines Vogels. Er drehte sie hin und her. Er hörte meine Schritte in den Resten der Blätter des vergangenen Jahres und stand auf. Sein Gesicht erleuchtete sich von seinem warmen Lächeln. Der Wind wehte durch die Bäume, und die Sonne tanzte in den Zweigen, und ich wußte, es war hoffnungslos. Ich konnte ihm nicht einfach sagen, es sei vorüber, und dann wieder weggehen.

»Gawain weiß es«, sagte ich, während ich an ihn herantrat. »Aber er wird es niemandem sagen. Er will uns nicht verraten. Aber er bittet uns, ein Ende zu machen.«

Bedwyrs Lächeln verschwand. Aber schon legte er seine Arme um mich. Ich lehnte die Hand an seine Schulter. Ich fühlte die Sonne warm auf meinem Rücken und sehnte mich nach einem Augenblick des Lichts und der Freude unter den Schatten. »Wir müssen es beenden«, flüsterte ich.

»Wir müssen«, gab er zurück, aber keiner von uns bewegte sich.