11

Ich blieb länger als zwei Wochen auf Sions Hof. Ob Medrauts Zaubereien nicht funktionierten oder ob er keine Zeit hatte, keine Gelegenheit, sie anzuwenden, das weiß ich nicht. Aber niemand entdeckte mich.

Von Eivlin erfuhr ich, daß Medraut eine Woche und vier Tage, ehe ich in Camlann angekommen war, die Macht ergriffen hatte. Es war ziemlich genau so verlaufen, wie ich angenommen hatte: Es war auf einem Fest gewesen, vor dem Medraut seinen Gefolgsleuten in Andeutungen geraten hatte, nur mäßig zu trinken. In dieser Nacht bekam Constantius ein >Fieber<, und Medraut sagte seinen Gefolgsleuten, man würde ihn - natürlich höchst unfairerweise -verdächtigen, Constantius vergiftet zu haben. Seine Männer, alarmbereit und wach, überfielen Constantius’ Gefolgschaft, ehe die Neuigkeit sie erreichte, und die Hälfte von ihnen fiel. Ein paar von den Übriggebliebenen schafften es, in der Verwirrung zu entfliehen, und der Rest wurde in den Lagerräumen eingeschlossen. Constantius starb am nächsten Tag. »Rhuawn kam vor dem Morgen zu mir, gerade nachdem er mit der Ermordung der Gefolgschaft des Königs fertig war«, erzählte mir Eivlin. »Er sagte, Medraut solle jetzt Kaiser sein, und ich müsse fliehen. Und ich war verwirrt, fast bis zum Wahnsinn. Denn wie konnte ich mit dem Baby fliehen, und die kleine Teleri ist noch nicht mal drei? Aber Rhuawn sagte, Medraut hätte die Tore noch nicht gesichert, und alles sei in großer Verwirrung. Er hätte gesehen, wie bei den Ställen ein paar Karren angeschirrt würden. Also schleifte ich die Kinder raus in die Dunkelheit, und Sion und Teleri brüllten beide. Ich rannte dann mit ihnen hinunter zum Tor, und Gott sei gelobt, es war ein Karren da. Rhuawn half mir, er trug ein paar Sachen, mit denen ich die Reise bezahlen konnte. In Gedanken hatte ich ihm Unrecht getan, my Lady, denn ich hatte ihn als einen Verräter gehaßt. Ach, aye, nein, meine ich. Nicht alle von Constantius’ Männern kamen um. Ich hab’ gehört, daß einige in die sächsischen Königreiche fliehen konnten und sich von dort nach Kleinbritannien eingeschifft haben. Es wird nicht lange dauern, ehe der Hohe König zurückkommt und der Frieden wieder einkehrt.«

Ich sagte nichts dazu. Ich bezweifelte allerdings, daß das, was zerstört worden war, wieder zurückkommen könnte. Bis zu einem gewissen Grad konnte man einen zerbrochenen Topf oder einen Besenstiel wieder zusammenstückeln, aber ein Reich, das ist etwas Lebendiges - es besteht aus den Herzen von Menschen. Und wenn es zerschlagen wird, dann wird es nie wieder gerade wachsen, selbst wenn man es gut einrichtet. Die >Familie< führte Krieg gegen sich selbst, und Britannien war in einem Bürgerkrieg geteilt, wie damals vor zwanzig Jahren, als Artus die Macht ergriff. Medraut hatte offenbar Verbündete im Norden: Ergyriad ap Caw, der König von Ebrauc, war von seiner eigenen Sippe zur Abdankung gezwungen worden und mußte seinen Titel an seinen Halbbruder Hueil abgeben

- einen oder zwei Tage, ehe Medraut im Süden die Macht ergriff. Hueil machte immer Ärger und haßte Artus, dem er für den Tod seines Vaters Caw und seines Bruders Bran die Schuld zuschob. Unter seiner Führung erhob sich Ebrauc in Rebellion. Unser Verbündeter Urien von Rheged hatte seine Armee zusammengerufen, und mit seinen restlichen Leuten - die anderen hielten sich ja mit Artus in Gallien auf -, versuchte er, die Rebellion zu unterdrücken. Dafür konnten wir ihm dankbar sein, denn der Zeitpunkt, zu dem dies stattfand, zeigte deutlich, daß Hueil mit Medraut unter einer Decke steckte. Aber andererseits war Urien unsere größte Hoffnung gewesen, wenn Artus zurückkehrte. Jetzt war es nicht sicher, ob Artus Medraut und Maelgwyn mit den Streitkräften, die ihm noch zur Verfügung standen, besiegen konnte.

Denn Maelgwyn kämpfte in der Tat mit Medraut Seite an Seite. Zwei Tage, nachdem ich auf dem Gehöft angekommen war, hörten wir, daß Maelgwyns Armee im Norden von uns den Saefern überquert hatte und daß er eilig nach Süden, nach Camlann ritt. Er hatte keine vereinigte Gegnerschaft. Die mittleren Königreiche von Britannien würden weder für Artus noch für Medraut kämpfen. Alte Feindseligkeiten und Mißverständnisse und neue Gerüchte verbanden sich und brachten sie dazu, ihrem Kaiser die Unterstützung zu versagen, aber wenn Artus starb, dann würden sie ohne Zweifel gegen Medraut aufschreien und gegen ihn und gegeneinander in den Krieg ziehen und versuchen, jeden Vorteil aus der Anarchie für sich herauszuschlagen. Nur Dumnonia von allen südlichen Königreichen hätte uns vielleicht geholfen. Aber Dumnonia war führerlos und machtlos. Der König war tot, die Hälfte der königlichen Truppe war mit Artus in Gallien, und die restlichen waren tot und verhungerten langsam in den Lagerhäusern in

Camlann.

Als ob dies alles nicht schlimm genug wäre, gab es noch mehr Grund zur Furcht. Medrauts Streitkräfte wuchsen ständig. Unzufriedene Adlige, Krieger, die den Frieden satt hatten und auf Beute und Ruhm hofften, Schuldner und Verbrecher, die eine Lösung für ihre eigenen Probleme im Zusammenbruch des Reiches sahen - sie alle liefen in Scharen zu Medraut über. Und Medraut war in der Lage, einen ähnlichen Zulauf zu Artus zu verhindern. Fast täglich hörten wir von Adligen aus Artus’ Gefolgschaft, die verhaftet oder hingerichtet worden waren, von Geiseln, die anderen genommen wurden, von beschlagnahmten Gütern und verlorenen Burgen.

Dennoch, das Land um Mor Hafren wenigstens schien Artus zu unterstützen. Ein Mitglied aus Sions Sippe - gewöhnlich sein zweiter Sohn, Dafydd - ging jeden Tag nach Baddon, um dort auf dem Markt das Neueste zu erfahren. Als der Markt auf Medrauts Befehl hin geschlossen wurde, gab es Versammlungen an verschiedenen Orten auf dem Land, wo Nachrichten und Gerüchte zirkulierten. Gelegentlich bekamen wir auch Nachrichten aus Baddon, denn es sah so aus, als ob Ceis Geliebte Maire sich dort bei ein paar von ihren Vettern niedergelassen hätte. Sie war wie Eivlin in der Verwirrung, die der Einnahme von Camlann folgte, geflohen. Einer von diesen Vettern kam zu den Versammlungsplätzen und gab mit trauervoller Stimme die schlechten Nachrichten ab, die Dafydd uns berichtete. Alle Sippen schienen auf Nachricht zu warten, daß Artus zurückkam, so daß die Bauernarmee zusammentreten und sich ihm anschließen konnte. Jagdspeere wurden geschärft und alte Kriegsspeere, Dolche und Schwerter wurden aus Scheunen und Höhlungen unter den Dachbalken hervorgeholt, ja selbst aus Gräbern. Sie wurden gereinigt und poliert, und man übte stundenlang damit. Artus hatte lange und gut genug geherrscht, daß diese Leute ihm vertrauten und große Furcht vor einer möglichen Niederlage Artus’ hatten. Die Bauern hatten in Bürgerkrieg und Anarchie mehr zu verlieren als die Adligen, die sicher in ihren Burgen saßen.

Zwölf Tage, nachdem ich auf dem Hof angekommen war, kehrte Dafydd vom Nachrichtensammeln zurück und erzählte, Medraut und Maelgwyn hätten mit ihren Streitkräften Camlann verlassen und ritten jetzt nach Osten. »Echel aus Nafs sagt, das käme daher, weil der Kaiser im Osten gelandet ist. Sie reiten, um gegen ihn zu kämpfen«, erzählte er uns. »Aber Cas ap Saidi sagt, das käme nur daher, weil sie sich mit den Sachsen verbündet haben und sich ihnen anschließen.«

Alle aus der Sippe schauten mich an. Aber ich konnte nur den Kopf schütteln. Ich konnte nicht sagen, welche Seite der Erzählung vielleicht der Wahrheit am nächsten kam. Ich hatte nicht gehört, daß die Sachsen sich auf irgendeine Seite geschlagen hätten, und ich war auch nicht sicher, ob sie es tun würden. Ein paar von den sächsischen Anführern, glaubte ich, mochten und respektierten Artus. Andererseits wußte ich, daß sie mit ihrer Stellung als Tributpflichtige nicht zufrieden waren und mehr Land wollten. Wenn Medraut ihnen Land versprochen hatte, dann konnte es sein, daß sie ihn dafür unterstützten. Aber würden sie gewillt sein, Medraut zu vertrauen? Und - konnte Artus ihnen vertrauen, genügend vertrauen, um in einem ihrer Häfen zu landen, nachdem sie schon wußten, daß sein Volk sich in Rebellion erhoben hatte? Artus mußte wissen, daß die Sachsen ihn unter solchen Umständen höchstwahrscheinlich durch irgendeinen Trick in die Falle locken würden, ihn umbrächten und dann gegen Medraut kämpften.

»Ich weiß nicht«, sagte ich Sions Sippe mit müder Stimme, »wir müssen abwarten.«

Wir warteten. Ich konnte in der Nacht nicht mehr schlafen, und die Tage waren eine endlose Folge von grauen Minuten, die alle völlig gleich waren. Es fiel mir schwer, in dem rauchigen kleinen Gehöft zu bleiben. Es gezieme sich nicht, so waren die Sippenmitglieder sich alle einig, daß die Kaiserin von Britannien bei der Hausarbeit auch nur einen Finger rührte. Und von mir wäre es unhöflich gewesen, mich um die Arbeit zu kümmern, an die ich am besten gewöhnt war, nämlich den Haushalt zu leiten. Am Ende konnte ich nur mit den Kindern spielen und darum beten, daß es Abend wurde, und dann, daß der Morgen wieder anbrach. Sions Sippe war sehr gut zu mir, und ich verdankte ihnen mein Leben. Aber ich sehnte mich am meisten danach, von diesem Gehöft wegreiten zu können und es nie wiederzusehen.

Drei Tage später bekamen wir eine neue Nachricht: Sandde, der junge Herr der Festung von Ynys Witrin, hatte sich in Rebellion gegen Medraut erhoben und sich für Artus erklärt. Ich erinnerte mich von meinen vielen Besuchen in Ynys Witrin noch an Sandde. Es war ein hochgewachsener, magerer junger Mann mit dem Gesicht eines Engels und dem Benehmen eines verängstigten Hasen. Sein Vater war immer in seinen Ansichten denen des Klosters von Ynys Witrin gefolgt und war Artus gegenüber feindlich eingestellt. Sandde war nach dem Tod seines Vaters vor erst drei Monaten Herr der Burg geworden, und man hatte ihm bisher keine Begünstigung einer der Parteien nachsagen können. Also war er Medrauts Aufmerksamkeit entgangen. Jetzt schickte er Männer überall im dumnonischen Land umher, einen harten Tagesritt in alle Richtungen, und verkündete seinen Aufruhr und behauptete, das Gerücht, Artus sei im Land der Sachsen gelandet, sei wahr.

»Reiten wir morgen nach Ynys Witrin?« fragte Dafydd eifrig, nachdem er diese Nachricht losgeworden war.

»Geben wir der Angelegenheit noch ein paar Tage«, gab sein Vater zurück. »Möglicherweise ist es ein Trick.«

»Aber wer würde uns wohl dazu überlisten, für Artus zu kämpfen?« wollte Dafydd zornig wissen.

»Sandde - oder Medraut«, sagte ich ihm, und ich fühlte mich sehr müde. »Sandde hat vielleicht keine Nachrichten über Artus und versucht nur, Vertrauen in seine Sache zu gewinnen, indem er es vorgibt. Wenn das aber der Fall ist, dann hat er keine Chance, Medraut oder Maelgwyn allein zu besiegen - in Ynys Witrin besitzt er nur dreißig Krieger, nur seine eigenen Vettern. Es wäre besser, auf Artus zu warten. Und es ist vielleicht Medrauts Plan, Artus’ Gefolgsleute ans Tageslicht zu ziehen, so daß er mit ihnen abrechnen kann, ehe Artus erscheint. Wir müssen warten, bis wir ganz sicher wissen, daß Artus da ist.« Und, so fügte ich zu mir selbst hinzu, das dauert vielleicht lange. Das gute Reisewetter war jetzt vorüber. Artus mußte vielleicht bis zum Frühling warten, ehe er das Meer von Gallien aus wieder überqueren konnte.

Dennoch, drei Tage später ritt Dafydd früh am Nachmittag zu uns zurück. Sein Pferd war schaumbedeckt und schwitzte von einem harten Galopp, und Dafydd rannte ins Haus und brüllte, es sei wahr. Artus sei zurück und habe sich mit Cerdic, dem König der Westsachsen, verbunden. Er sei eine Woche zuvor im Hamwih gelandet, von wo er nach Norden geritten und zu Cerdic gestoßen wäre, der jetzt mit seinen Truppen und einem Teil seiner Armee nach Süden ritt, um sich mit ihm zusammenzuschließen. Artus hätte mit Cerdic gesprochen, und anstatt mit ihm zu streiten, hätte der sächsische König versprochen, Artus so lange zu unterstützen, wie er sich innerhalb der Grenzen seines Königreiches aufhielte. Aber es war noch mehr an der Nachricht. Cerdic und Artus waren nach Westen geritten und mit ihren Streitkräften westlich der Festung

Sorviodunum, welche die Sachsen Searisbyrig nennen, auf Medraut und Maelgwyn gestoßen. Es hatte einen Kampf zwischen den Vorreitern der beiden Armeen gegeben, der sich danach zu einem Scharmützel entwickelt hätte. Artus’ Reiterei - vorhersehbar - hatte gewonnen und Medrauts Reiterei gezwungen, sich zurückzuziehen. In dieser Nacht hatte Medraut einen Boten an Cerdic abgesandt. »Sie sagen, Medraut hätte ihm halb Dumnonia und ein Drittel von Elmet angeboten, und daß er nie wieder Tribut zahlen müsse, wenn er Artus verriete«, sagte Dafydd. »Ein paar sagen, es sei sogar noch mehr gewesen. Aber Cerdic meinte, man könne ja am nächsten Morgen darüber verhandeln, und als Medraut dazu erschien, sagte er: >Wie groß die Feindschaft auch ist, die ich dem Kaiser Artus gegenüber empfinde, und welche Ärgernisse mir von ihm auch noch bevorstehen, ich werde ihn nicht an einen zauberischen, meineidigen, tyrannischen Bastard verraten. Wenn du weiter nach Osten kommst, Medraut, Sohn des Niemand, dann dringst du in mein Königreich ein und sollst dafür büßen.< Und sie sagen, Medraut zieht sich zurück!«

Sion ap Rhys fing an zu nicken, und Dafydd schaute ihn eifrig an. »Also gut«, sagte Sion langsam. »Die Armee wird gebraucht. Wir reiten morgen nach Ynys Witrin - und möge Gott uns schützen!«

Es war die letzte Dezemberwoche, aber nach einigen Schneefällen war das Wetter milde geworden, und die Straßen waren voller Schlamm. Sion hatte geplant, einen Ochsenkarren voller Vorräte mitzunehmen, aber jetzt entschied er, das nicht zu tun wegen des schlechten Zustandes der Straßen. Statt dessen belud er zwei Pferde und das Maultier, die zum Hof gehörten. Neun Männer ritten mit, all die jüngeren Männer der Sippe, angeführt von Sion selbst. Dann waren noch ich da und Eivlin. Eivlin hatte sich lange Gedanken gemacht, ob sie nicht bei ihren Kindern bleiben müsse, aber am Ende hatte sie sich entschlossen mitzugehen. »Die edle Dame wird eine Dienerin brauchen«, sagte sie Sion, »und die Streitkräfte des Kaisers werden ohne Zweifel Diener brauchen. Außerdem möchte ich bei meinem Mann sein.« Also blieben die Kinder bei der Großmutter und den Tanten, und Eivlin ging im Schlamm neben dem Maultier her. Sion bestand darauf, daß ich das Schlachtroß ritt, das ich aus Camlann mitgebracht hatte, wie das einer Frau meines Ranges zukam. Aber nach den ersten paar Meilen saß ich ab und brachte Sion dazu, sich mit Eivlin und mir abzuwechseln. Sion war ein alter Mann und Eivlin eine junge Mutter, die seit Jahren keinen Grund mehr gehabt hatte, zu Fuß zu gehen.

Es waren fünfunddreißig Meilen bis Ynys Witrin. Früh am Morgen ritten wir los, ehe die Sonne aufging, und kamen nach der Abenddämmerung an. Wir trafen auch andere auf der Straße, die den gleichen Weg hatten wie wir selbst. Manche kamen einzeln oder zu zweien, andere in großen Sippenverbänden wie Sions Familie. Sie waren mit allem möglichen bewaffnet, von uralten, rostzerfressenen römischen Schwertern bis zu Mistgabeln und Treibstöcken für Ochsen. Allen war unsere Gesellschaft lieb, und selbst diejenigen, die einander nie an einem Markttag begegnet waren, unterhielten sich bald eifrig über die Steuern und den Preis von Käse und Ale, seit die Märkte geschlossen waren. Niemand sagte etwas über den Krieg, was seltsam tröstlich war. Ich redete auch nicht viel. Ich ging oder ritt zwischen den anderen und horchte auf die festen Stimmen und sehnte mich so sehr nach Frieden und nach Sieg, daß ich manchmal glaubte, ich könne nicht mehr atmen.

Als wir in der Stadt Ynys Witrin ankamen, bestand Sion darauf, daß ich wieder den Hengst Schwerttänzer bestieg, damit ich mich den Wächtern am Tor so großartig präsentieren konnte, wie das für jemanden möglich war, der soviel Schlamm wie ich an seiner Kleidung hatte. So kamen wir durch die Stadt Ynys Witrin in einer Gruppe, die jetzt auf über dreißig Männer gewachsen war, und fingen an, den Hügel zur Burg hinaufzusteigen. Die Nacht lag schon schwer über den Marschen, und es war Neumond. Aber selbst bei hellem Tageslicht war es unmöglich, Camlann auf den buckligen Hügeln im Südwesten auszumachen, das wußte ich. Unmöglich -aber ich schaute immer und immer wieder hin.

Die Festungstore von Ynys Witrin waren fest verriegelt.

Aber überall standen dicht gedrängt Fackeln, und unsere Gruppe wurde lange, ehe wir die Tore erreichten, angerufen.

»Wir sind Untertanen des Kaisers Artus«, antwortete Sion im Namen der ganzen Gruppe und legte eine Hand auf die Schulter meines Pferdes. Er atmete schwer vom Steigen. »Wir sind gekommen, um uns Sandde anzuschließen und gegen Medraut zu kämpfen.« Das Fackellicht brach sich auf den notdürftigen Waffen, während die Tore geöffnet wurden.

Ich mußte den Wachen noch nicht einmal sagen, wer ich war. Ich ritt noch nicht durch die Tore, da wurde ich schon erkannt, angerufen und von den anderen abgesondert. Als ich bestätigte, daß ich in der Tat Gwynhwyfar, Tochter der Ogyrfan, war und daß ich mit dem Herrn der Festung reden wollte, da gab man mir wenig Zeit, mich von Sion zu verabschieden, bevor man mich zu Sandde führte.

Der Herr von Ynys Witrin machte sich mit seinem Schreiber gerade Sorgen über seine Rechnungslisten, als ich in sein Zimmer gebracht wurde. Als er mich sah, sprang er auf und kippte fast das Tintenfaß über das Pergament. »Lady Gwynhwyfar!« rief er aus und starrte mich an. Dann errötete er, verbeugte sich, packte meine Hand und hielt sie linkisch fest, während er lächelte. »Hochedle Dame, ich hatte gehört, was der Tyrann mit dir tun wollte, und ich hatte auch gehört, daß du geflohen bist. Ich bin sehr froh, my Lady, dich wiederzusehen. Cuall, hol Wein! Sie sagen, dein Mann ist fast wahnsinnig aus Angst um dich, my Lady. Aber ich bin sehr froh, dich zu sehen, ich erinnere mich noch sehr genau an deinen Edelmut von damals, als ich noch ein Junge war. Cuall! Ah, da ist er ja wieder. Trink einen Schluck Wein, edle Dame.«

Cuall, der Schreiber, schenkte mir Wein ein und bot mir seinen Platz am Schreibpult an. »Eben sind noch weitere sechsunddreißig mit der Lady angekommen«, sagte er seinem Herrn. »Ein Viertel von ihnen hat keine Vorräte.«

»So. Wie viele sind das zusammen?« fragte Sandde. »Zahl der Männer, meine ich, nicht der Vorräte.«

Cuall riß das Pergament vom Schreibpult. »Dreihundertvierundsechzig für heute. Zweihundertzwölf für gestern. Einhundertsechzehn vom Tag vorher. Zusammen mit denen, die in den ersten Tagen kamen, ehe wir die Erklärung abgaben, macht das eine Armee von siebenhundertvierzig. Deine eigenen Streitkräfte, zusammen mit den anderen Adligen, die zu uns gestoßen sind, kommen jetzt auf dreiundsechzig.«

»Siebenhundertvierzig!« rief Sandde aus. »Was sollen wir tun? Wie viele haben ihre eigenen Vorräte mitgebracht? Ich wünschte, ich hätte ihnen gesagt, sie sollten sich selbst versorgen - wie können wir denn siebenhundertvierzig Leute füttern, ganz zu schweigen von dreiundsechzig Adligen und all den Dienern? Hochedle Dame«, Sandde schaute mich abrupt wieder an, »es ist ein Wunder - es ist die Gnade Gottes, daß du gekommen bist. Ich habe so oft von deiner fabelhaften Fähigkeit gehört, Burgen zu verwalten und Vorräte aufzutreiben. Mein Vater hat dich immer dafür verflucht. Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Bis vor drei Monaten hatte ich noch nie irgend etwas verwaltet, und diese Rebellion ist komplizierter, als ich erwartet hatte. Es ist überhaupt nicht so, als ob man eine kleine Burg leitet. My Lady, wenn du gekommen bist, um zu helfen - das bist du doch, oder nicht? -, dann bitte rate mir, wie ich diese Armee ernähren soll!«

Ich fing an zu lachen und verschluckte mich an dem Wein. »Ich danke dir, Herr Sandde«, sagte ich ihm, als ich ausgehustet hatte. »Bist du sicher, daß du meine Hilfe willst?«

»Hochedle Dame, wie könntest du das bezweifeln? Warum sollte ich sie nicht wollen?«

»Dieser Krieg ist vielleicht durch meine Schuld entstanden«, sagte ich ihm. »Weil ich mit dem Herrn Bedwyr weggelaufen bin.«

Er wandte den Blick von mir ab und wurde purpurrot. »Was für eine Rolle spielt denn das?« fragte Cuall, der Schreiber. »Jetzt haben wir den Krieg - und nach allem, was ich gehört habe, hat deine Treue dem Reich gegenüber nie in Frage gestanden.«

»Genau«, sagte Sandde und konnte mich wieder anschauen.

»Genau. Und was die Ernährung von siebenhundertvierzig Leuten anbetrifft - die Mönche im Dorf haben ja geholfen - nicht viel, aber doch ein bißchen, was eine Gnade ist, denn Cuall hier ist der einzige in der Festung, der lesen kann. Aber welche Vorräte wir haben und wie wir noch andere kriegen können. hochedle Dame .« Er nahm das Stück Pergament Cuall aus der Hand und gab es mir. Er schaute mich gespannt an. Ich preßte die Hand auf die Stirn und fühlte, daß meine Haut heiß war. Ich fragte mich, ob das, was ich fühlte, Scham oder die Angst davor war, wieder Autorität auszuüben. Aber ich schaute die Zahlen auf dem Blatt an, versuchte, sie zu verstehen und verspürte dabei eine seltsame, wilde Freude. Der Krieg hatte begonnen, und ich hatte wieder einen Platz im Kampf.

An diesem Abend blieb ich auf bis nach Mitternacht. Ich versuchte, Sanddes Angelegenheiten zu entwirren, und ich wäre vielleicht noch länger aufgeblieben, wenn ich nicht von dem langen Tagesritt und der langen Wartezeit müde gewesen wäre und nach einer Weile anfing, fünfzehn und zwölf zusammenzuzählen und zweiundfünfzig herauszubekommen. Endlich merkte Sandde, daß ich erschöpft und noch immer schlammbespritzt war. Er sprang auf, entschuldigte sich vielmals bei mir und ließ mich zu dem Haus führen, das seiner Mutter gehört hatte. Dort stellte ich fest, daß Eivlin sich schon eingerichtet hatte und schlief. Ich war zu müde, um mehr als nur ein bißchen von dem Dreck abzuwaschen, ehe ich Eivlins Beispiel folgte. Am nächsten Morgen fand ich es schwieriger als erwartet, aufzustehen. Aber es war notwendig, daß ich wieder an die Arbeit ging. Ich hatte von Sandde erfahren, daß Medrauts Streitkräfte sich aus ihrer Stellung in der Nähe der sächsischen Grenzen zurückgezogen hatten, obwohl sie im Augenblick noch nicht weit gekommen zu sein schienen. Man erwartete, daß sie in die Nachbarschaft von Camlann zurückkehrten. Offensichtlich würde sich Cerdics Unterstützung Artus gegenüber nicht über die Grenzen seines eigenen Königreichs ausdehnen. Sachsen und Britannier hatten einander zu oft bekämpft, um zuversichtlich gemeinsam in britisches Territorium einzumarschieren. Die sächsischen Krieger hegten gegenüber einem britischen Kaiser nur sehr nebelhafte Treuegefühle. Wenn mein Mann Medraut verfolgen wollte, dann würde er das mit nicht mehr Leuten als seinen Streitkräften aus Gallien tun müssen. Er brauchte die Armee, die Sandde aushob, sehr dringend. Jetzt mußte Medraut auch von Sanddes Rebellion gehört haben. Er würde sie mit Sicherheit zerschlagen wollen, ehe Artus sich Sandde anschloß. Ja ich begriff nicht einmal, warum er in der Nähe der Grenze wartete, und ich erwartete ihn jede Minute hier.

Sandde, dessen Ansichten oft überraschend vernünftig waren, wenn er auch wenig Erfahrung besaß, hatte Boten an Artus geschickt, sobald er erfahren hatte, daß Artus sich tatsächlich in Britannien aufhielt. Bis jetzt war aber noch keine Antwort gekommen. Es war ungeheuer wichtig, daß Artus und Sandde sich auf eine Methode absprachen, wie sie ihre Streitkräfte vereinigen konnten, und Sandde machte sich Gedanken darüber, ob er nicht Ynys Witrin verlassen sollte, ehe Medraut ankam und die Stadt belagerte. Wenn Sandde allerdings loszog, dann würde es für Artus schwieriger werden, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Also gab sich Sandde mit meinem Vorschlag zufrieden, er solle doch für die Männer, die der Armee beitreten wollten, Orte bestimmen, an denen sie sich treffen konnten. Wenn Ynys Witrin dann durch eine Belagerung abgeschnitten wurde, dann wäre Artus wenigstens nicht von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Das Problem, sich auf eine mögliche Belagerung einzurichten, war eigentlich dringender als das Problem der Nahrungsbeschaffung für die Armee. Damit war leicht fertig zu werden, wenigstens im Augenblick. Ich ernannte Sion ap Rhys und ein paar andere zu Aufsehern bei der Nahrungsverteilung, so daß die Bauern, die selbst Lebensmittel mitgebracht hatten, mit denen teilten, die nichts hatten. Männer wie Sion einzusetzen, das gehörte zu den klügsten Dingen, die ich tat. Denn die Bauern waren gewillt, von einem anderen Bauern Maßnahmen zu akzeptieren, die sie bei einem Adligen zurückgewiesen hätten. Wir hatten genug Vorräte, um uns wenigstens eine Weile durchzubringen, und wir fingen an, Botschaften zu den Treffpunkten zu schicken, die es jetzt anstelle der Märkte gab. Darin baten wir um mehr Nahrungsmittel -aber wir würden nicht genug haben, um eine Belagerung durchzustehen.

Während dieser erste Tag verging, erwartete ich dauernd die Nachricht, daß Medrauts Armee sich näherte. Aber es kam keine, und Sanddes Späher berichteten nur, es sei ruhig im Land. Weitere fünfhundert Mann erschienen, um sich der Armee anzuschließen. Manche kamen aus weiter Entfernung - aus Elmet und Powy auf der anderen Seite von Mor Hafren. Die Kopfzahl unserer Armee stieg auf über tausend Mann. Jeglicher Platz in der Burg war vollgepackt, und die meisten von denen, die am Tag zuvor angekommen waren, schliefen schon auf dem Boden, unter Karren oder unter Schutzdächern aus Feuerholz, Stroh und Dachmaterial. Ich ließ Arbeitsgruppen in die Stadt schicken, damit sie die alten öffentlichen Verteidigungsanlagen reparierten, so gut sie konnten. Ich ließ von anderen Schilf in den Marschen schneiden, und wieder andere benutzten sie, um etwas bessere Schutzdächer für die Armee zu bauen. Und noch immer gab es kein Anzeichen von Medraut.

Am folgenden Tag hörten wir wilde Gerüchte über Artus. Er sei mit Cerdic zurück in die sächsische Königsburg gezogen - er sei bei Nacht nördlich von Medrauts Armee vorübergeritten und eile jetzt zu Maelgwyns Königreich Gwynedd - er hätte Medrauts Armee im Süden passiert und versuche jetzt, sich nach Ynys Witrin oder nach Camlann durchzuschlagen. Das einzige Sichere schien mir, daß er sich nicht länger an der dumnonischen Grenze aufhielt.

»Sollten wir Männer nach Norden schicken?« fragte mich Sandde aufgeregt und besorgt.

»Er wird durch Caer Ceri durchziehen müssen, wenn er die Straße nach Gwynedd einschlägt«, sagte ich. »Das ist nur eine Stadt, keine Burg. Es sollten keine Krieger dort sein. Und es wären nicht viele Männer dazu nötig, sie ein paar Tage zu halten. Vielleicht solltest du dort eine Truppe hinschicken.«

Sandde stimmte mir zu, und wir besprachen, ob wir noch eine weitere Truppe nach Baddon senden sollten. Diese Stadt allerdings war befestigt und bewacht, und wir entschieden, daß wir nicht genug Männer übrig hätten, um sie einzunehmen. Wenn Artus nämlich doch nach Ynys Witrin kam, dann würden wir jeden Mann brauchen, den wir hatten. Nachdem das entschieden war, ging ich hinunter in die Stadt, um herauszufinden, ob von den Mönchen jemand gewillt war, in dem Hospital zu arbeiten, das ich in der Burg einrichten wollte. Das Kloster war natürlich viel besser geeignet, aber ich hatte wenig Vertrauen in die Verteidigungsanlagen der Stadt und hätte es nicht gern gesehen, wenn unsere Verwundeten in Medrauts Hände fielen, falls die Stadt nach der Belagerung fiel.

Weitere fünfhundert Männer kamen an diesem Tag. Und noch immer kein Anzeichen von Medraut.

Spät in der Nacht ging ich zur Ruhe. Ich war sehr müde - viel müder, als ich hätte sein sollen, dachte ich, während ich mir das Haar auskämmte. Aber an meinem nächsten Geburtstag, in ein paar Wochen, würde ich achtunddreißig werden. Ich wurde zu alt, um herumzulaufen wie ein Mädchen. Ich erinnerte mich an die Mädchen, mit denen ich gespielt hatte, als ich noch jung war, und ich versuchte mir vorzustellen, wie sie jetzt wohl aussahen. Sie waren sicher mit Landbesitzern und Bauern im Norden verheiratet und hielten ein kleines Haus in Ordnung oder verwalteten einen kleineren Hof. Sie waren nie auf der Schwertschneide der Macht gewandelt. Sie hatten wohl Kinder - ich dachte an eine, die ich kannte und die bei einer Geburt gestorben war. Vielleicht kämpften ihre Söhne jetzt in diesem Krieg. Aber wie hatten sie wohl gelebt, während all der Jahre? Sie hatten sich sicher mit wenigen Dienern gestritten, sie hatten am Webstuhl gesungen, gesponnen, gekocht, mit den Nachbarinnen geklatscht - und jetzt heulte der Krieg wie ein schwarzer Sturm vor ihren Türen. Sie waren jetzt Frauen, die vom Gebären breite Hüften und lange Brüste bekommen hatten, und ihre Gesichter waren wohl verwittert und gealtert durch das Land und die Sorge darum, durch die Zeit und durch den Frieden. Ich hielt inne, ging dann hinüber und nahm den Spiegel auf, der auf einem Tisch in der Ecke lag. Im Raum war es dämmrig, denn er war nur von einer Lampe erleuchtet. Eivlin und die beiden anderen jungen Frauen, die durch die überfüllte Burg in dieses Haus gepreßt worden waren, schliefen im Nebenzimmer. Ich konnte ihren ruhigen, gleichmäßigen Atem hören. Ich hob den Spiegel, damit er das Lampenlicht einfing, und die weiche Flamme hing in dem polierten Silber und warf das Licht auf mein Gesicht. Meine Augen sahen dadurch sehr dunkel aus. Mein Gesicht wirkte müde - aber nicht vom Land und sicher nicht vom Frieden. Meine traurige Müdigkeit schien mir auf den Knochen eingeprägt zu sein, und in diesem Licht, so dachte ich, wirkte ich vielleicht schon alt.

Ich legte den Spiegel hin. Gott oder das Schicksal hatten mich von all den anderen ausgewählt, hinter dem Webstuhl hervorzukommen und ins Herz des Sturmes zu treten. Ich war in den Blitzen und in dem schwarzen Wind eingefangen. Einmal, das fiel mir wieder ein, hatte ich mit Bedwyr über unser Reich gesprochen, das ein Schutzschirm gegen den Wind sein sollte. Ich war die schwache Stelle in dieser Barriere gewesen, die Stelle, wo sie nachgegeben hatte - jetzt war aller Frieden zerbrochen, und der Sturm kreischte herein.

Es war nicht genug Zeit, um über solche Dinge nachzudenken. Wenn ich überlebte, dann hätte ich Zeit zur Reue, aber jetzt. jetzt gab es viel zu tun. Ich legte mich hin und horchte, ehe ich einschlief, auf den Atem der jungen Frauen und den Wind, der draußen in den Dachbalken wehte.

Ich wurde aus tiefem Schlaf dadurch geweckt, daß jemand meine Schulter schüttelte und leise sagte: »My Lady! My Lady.« Ich mühte mich, wach zu werden, und setzte mich auf. Eivlin ließ die Hand sinken. »My Lady«, flüsterte sie, »sie sagen, es gibt Neuigkeit -einen Boten. Sie sagen, du sollst schnell kommen.«

Ich schüttelte mir das Haar aus den Augen, sprang auf und zog mir mein Kleid über, ohne vorher die Untertunika anzuziehen. Dann schlüpfte ich in ein paar Schuhe. »Wohin soll ich schnell kommen?« fragte ich Eivlin.

Sie reichte mir meinen Umhang. »Ins Hospital, my Lady. Sie sagen, der Bote stirbt.«

Ich hatte das Hospital in Sanddes Gästehaus eingerichtet, das groß und gut beheizt war. Um diese Zeit war es natürlich teilweise belegt, aber man konnte es ausräumen, und in dem anschließenden Lagerraum bestand auch die Möglichkeit zu heizen, wenn mehr Platz notwendig wurde.

»Ich gehe, und ich bleibe da, so lange ich gebraucht werde. Nein, komm nicht mit. Geh wieder schlafen. Der Mann, der dir das gesagt hat - ist der draußen?«

Er war draußen. Er hockte an der Tür, so daß er eilig beiseite rückte, als ich sie öffnete. Ein wüster Wind herrschte, der die Sterne blankgeblasen und kalt mitten am Himmel reingefegt hatte, obwohl im Westen ein Nebel wallte, der Schnee versprach. Ich schätzte, daß es ungefähr noch vier Stunden bis zur Dämmerung waren, und mich fröstelte. Wir gingen eilig zum Gästehaus. Wir liefen fast, um warm zu bleiben.

Sandde saß in dem schwacherleuchteten Raum, der hinter der Haustür lag, während ein paar Mitglieder der Armee auf Strohsäcken an der Wand lagen und versuchten zu schlafen. Der Herr von Ynys Witrin schaute sehr trübselig drein. Aber als ich hereinkam, sprang er wie immer auf, deutete zur Tür, in eins der anderen Zimmer und stammelte eine Begrüßung. Dann rannte er zu der Tür hin und öffnete sie. Ich ging hindurch und stand plötzlich in strahlendem Fackelschein. Ich sah Gawain, der sehr still auf dem einzigen Bett lag und dessen Kopf mit einer Bandage umwickelt war, die vom Blut purpurrot gefärbt war. Ein Chirurg beugte sich gerade über ihn.

Ich blieb stehen, starrte hin, und Schrecken erfüllte mich. »Was.« begann ich, aber dann sah ich Rhys, der neben dem Chirurgen kniete. Er hatte sich umgedreht und schaute mich an. »Rhys, was ist geschehen?«

Rhys stand schnell auf, während er einen Augenblick sehr grimmig auf Gawain hinabschaute. Der Chirurg nickte ihm zu, und er kam herüber. Er drängte mich durch die Tür zurück in das andere Zimmer, und dann schloß er die Tür hinter sich.

»My Lady«, sagte Rhys, nahm dann meine Hand und preßte sie ganz fest. Er war bleich, und sein Gesicht und seine Hand waren feucht vom Schweiß. »Sie haben mir gesagt, du wärst hier und sie würden nach dir schicken. Ich konnte es kaum glauben. Der Chirurg hier sagt, daß mein Herr stirbt. Kann er das wissen?«

»Er. er ist ein Mönch aus Ynys Witrin. Sie sagen, er ist sehr geschickt. Aber was ist passiert? Wie. Hat Artus Gawain als Boten hierhergeschickt?«

Rhys ließ meine Hand los und rieb sich über das Gesicht und durchs Haar. Er stand da, und sein Gesicht war einen Augenblick verborgen. Dann ließ er die Hände sinken und nickte müde. »Mit ihm war nichts anderes mehr anzufangen. Er wollte nicht ruhen, und er wollte wieder in die Schlacht reiten, sobald es ihm gut genug ging, überhaupt zu reiten. Es war besser, solange wir noch auf der Reise zurück nach Britannien waren - auf dem Schiff mußte er Ruhe geben. Aber seit wir angekommen sind - my Lady, die Chirurgen haben gesagt, er dürfe sich nicht aufregen. Also hat der Kaiser ihn mit einer Botschaft hierhergeschickt, damit er bei den Kämpfen nicht dabei ist. Aber heute - gestern vielmehr - nun, das Land im Norden ist voller bewaffneter Männer, die für jeden Herrn kämpfen, den man sich nur vorstellen kann, oder auch einfach für sich selbst. Wir haben ein paar getroffen, die uns wegen unserer Pferde umbringen wollten. Gawain hat ein paar von ihnen gefällt, und die anderen hatten Angst genug, um uns wegreiten zu lassen. Aber eine halbe Meile weiter auf der Straße ist er von seinem Pferd gestürzt und ohnmächtig geworden, genau wie jetzt. Sein Kopf fing an zu bluten. Ich konnte ihn nicht aufwecken, und ich konnte auch die Blutung nicht zum Stehen bringen. Ich hab’ versucht, sie auszubrennen; das hat ein bißchen geholfen, und dein Chirurg hier hat es gerade noch einmal getan. Manchmal auf der Straße ist er wach genug geworden, um zu reden. Aber meistens sprach er mit Leuten, die gar nicht da waren. Also habe ich ihn hierhergebracht. Aber sie haben mir gesagt, er wird sterben, wahrscheinlich in ein paar Stunden. Von der Hüfte abwärts wäre er sogar schon tot.«

Nach einer kurzen Pause fragte Sandde: »Wie lautet die Botschaft?«

Rhys starrte ihn an. Sandde starrte zurück, kaute auf seinem Schnurrbart und fummelte an seinem Schwertgurt herum. Nach einem Augenblick schüttelte Rhys den Kopf. »Du hast ihn nie gekannt - und deswegen sind wir schließlich gekommen.« Er fummelte an seinem Gürtel und zog einen Brief hervor. »Da. Ich hab’ ihm den Brief abgenommen, nachdem er gestürzt war.«

Sandde nahm das Pergament gespannt auf, schaute das Siegel an und reichte es dann mir, so daß ich es ihm vorlesen konnte. Ich starrte das Schreiben wie betäubt an. Es war mit Kalk und Lampenruß versiegelt, aber Artus’ Drachensiegel war fest darauf eingeprägt.

»Bitte, my Lady«, sagte Sandde, »wir müssen doch wissen, was wir tun sollen.«

Ich erbrach das Siegel und rückte näher an die Lampe, um zu lesen. »An Sandde, den Herrn von Ynys Witrin, von Artus Augustus, Imperator Britanniae: Meinen Gruß«, las ich vor; dann starrte ich die kühne, wohlbekannte Handschrift an und senkte den Brief. »Sandde, Herr Gawain ap Lot ist mein Freund. Weißt du, warum er stirbt? Gibt es eine Hoffnung?«

Sandde machte eine verlegene Handbewegung. »Sie haben mir einfach gesagt, er läge im Sterben.«

»Es ist ein Knochensplitter«, antwortete Rhys. »Er ist gebrochen, als Gawain verwundet wurde, aber er hat sich nicht gelöst. Vielleicht wäre alles wieder zusammengewachsen - das sagt wenigstens dein Chirurg. Aber jetzt schneidet der Splitter das Gehirn auseinander. Der Chirurg sagt, der Splitter sitzt zu tief, als daß er ihn herauskriegen könnte. Es gibt auch noch eine weitere Wunde von dem Kampf auf der Straße, aber dein Chirurg sagt, die spielt keine Rolle. Noch ein paar Stunden, meint er. Er wollte noch nicht einmal versuchen, ihm zu helfen.« Rhys holte tief Atem und rieb sich wieder das Gesicht.

»Aha«, sagte ich, und dann, weil ich nicht wußte, was ich tun sollte, hob ich den Brief wieder. » - von Artus Augustus: Meinen Gruß. Mein Freund, ich weiß nicht, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Ich bitte dich, nicht von Ynys Witrin auszuziehen, sondern dort zu warten und eine so große Streitmacht zusammenzubringen, wie du kannst. Schicke deine Nachrichten zu den Orten, die mein Bote dir nennen wird. Er ist ein Mann von großen Fähigkeiten und gewaltiger Erfahrung, und du kannst seinen Worten genauso trauen wie meinen eigenen. Er wird dich von meinen Plänen informieren. Wenn du kannst, schicke Vorräte, besonders Korn, an die Orte, die er dir nennen wird, denn wir müssen vielleicht unsere eigenen Vorräte im Stich lassen, um an Geschwindigkeit zu gewinnen. Wenn du das nächstemal von mir hörst, bring all deine Streitkräfte an den Ort, den ich dir nennen will, und verbirg sie da. Denn ich hoffe, ich kann Medraut und Maelgwyn eine Falle stellen. Mehr kann ich der Tinte nicht anvertrauen. Gott gebe euch Hilfe!« Ich zögerte, bemerkte ein paar zusätzliche Worte, die in krakeliger Handschrift über das Ende der Rolle gekritzelt waren. »Falls .« fing ich an und hielt dann inne.

»Was?« wollte Sandde wissen.

»Falls du von mir irgendwelche Nachricht hättest, will er es wissen. Und er sagt, du sollst mich ehrenhaft behandeln, wenn ich hierherkommen sollte. Er sagt auch, du könntest mir Befehlsgewalt anvertrauen, besonders dabei, Vorräte aufzutreiben.«

Sandde lächelte. »Das ist ein unnützer Ratschlag. Du kannst ihm jetzt selbst schreiben. Aber was sollen wir tun? Er hat der Tinte zu wenig vertraut und der Gesundheit seines Boten zu sehr.« Er fixierte seinen Blick wieder auf Rhys, fuhr zusammen und wollte dann wissen: »Weißt du eigentlich, was dein Herr mir hat sagen sollen?«

Rhys zuckte die Achseln und fuhr sich noch einmal mit der Hand durchs Haar. »Etwas davon.« Er warf einen Blick im Zimmer umher und senkte dann die Stimme. »Als wir den Kaiser verließen, ritt die >Familie< schon in gutem Tempo Richtung Gwynedd. Unser Herr Artus schätzt, daß Maelgwyn ein Kampf gegen dich das Risiko nicht wert ist, sein eigenes Königreich plündern zu lassen. Er wird also in hitziger Verfolgung losreiten. Medraut wagt es nicht, nur mit seinen eigenen Gefolgsleuten gegen dich zu kämpfen - die meisten von denen, die seit dem Anfang der Rebellion zu ihm gestoßen sind, bleiben mit Sicherheit bei Maelgwyn, denn sie möchten gegen Artus kämpfen und glauben fest, daß das Königreich ruiniert ist, wenn sie ihn töten können. Während sie aber nachfolgen, wird der Kaiser seine Männer in verschiedenen Gruppen mit Ersatzpferden und den größten Teil der Vorräte aussenden, und diese Gruppen warten dann auf Sammelplätzen im Süden. Einige Zeit, bevor er den Saefern erreicht, wird er den Rest der Vorräte zurücklassen, einen Kreis zurück zu seinen Verfolgern schlagen und dann, so schnell er kann, nach Süden kommen. Er wird den Rest seiner Männer bei den Sammelplätzen abholen, und dazu frische Pferde. Möglicherweise braucht er dann neue Vorräte, denn obwohl wir von Cerdic einiges bekommen haben, konnten wir nicht so viel transportieren, daß es bestimmt reicht. Danach, glaube ich, hofft Artus, daß Maelgwyn und Medraut dicht hinter ihm die Verfolgung aufnehmen, und wenn deine Truppen irgendwo im Hinterhalt liegen, wird er sicher die Rebellen direkt in die Falle hineinführen.«

»Ach!« rief Sandde aus. »Das ist ein ausgezeichneter Plan, der ist unseres Kaisers würdig. Aber diese Sammelplätze, wo liegen sie? Ich muß eine Stelle für den Hinterhalt finden und dem Kaiser sagen, welchen Platz ich für am besten halte. Wohin soll ich die Nachricht senden?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Rhys. »Gawain weiß es - die Stelle und die Losungsworte und die richtige Zeit.«

Sandde stieß einen lauten, wortlosen Seufzer aus und schwieg dann. »Aber was sollen wir denn tun?« wollte er nach einer Minute wissen. »Ist es wahrscheinlich, daß dein Herr wieder aufwacht?«

Rhys lächelte bitter. »Wie sollte ich das wissen? Dein Chirurg konnte es mir nicht sagen. Er sagte nur, mein Herr würde in ein paar Stunden sterben.«

»Da«, sagte ich. »Such mir ein paar Wachstäfelchen, und ich warte dann hier und schreibe die Informationen nieder, wenn Gawain aufwacht.« Ich ging hinüber zur Tür des anderen Zimmers und trat wieder in das Fackellicht hinein. Nach einem Augenblick folgte mir

Rhys, danach auch Sandde.

Der Chirurg saß auf einer Strohmatratze in der Ecke und zog sich die Schuhe aus. Mit einem Ausdruck des Ärgers blickte er zu uns auf, aber dann erhob er sich und verbeugte sich vor Sandde.

Sandde ging hinüber zum Bett und schaute Gawain an, dann den Arzt. »Gibt es nichts, was du tun könntest?« fragte er. »Wird er vor dem Ende aufwachen?«

Der Arzt zuckte die Achseln. »Möglicherweise. Das hängt davon ab, wie schnell das Ende kommt. Aber es wird bald sein, wenn hier Unruhe herrscht und er gestört wird.«

»Ich will hierbleiben, aber ich verhalte mich ruhig«, sagte ich und schaute mich nach einem Hocker um. Ich rückte ihn ans Bett und setzte mich.

»Wie es dir gefällt, edle Dame«, sagte der Chirurg. »Wenn dein Wohlwollen nichts dagegen hat, möchte ich jetzt schlafen.« Seine Stimme klang bitter. Schon lange hegte er offenbar die Feindseligkeit gegen Artus, die im Kloster üblich war, und ohne Zweifel fand er das Bündnis mit Sandde unangenehm.

»Schlaf, so lange du kannst«, sagte ich ihm. Er verbeugte sich noch einmal, löschte eine der Fackeln und legte sich dann auf seine Matratze nieder. Er zog die Wolldecke über sich und wandte uns den Rücken zu.

»Ich lasse dir von jemandem Schreibmaterial bringen«, flüsterte Sandde mir zu. »Und ich danke dir, my Lady. Ich bete zu Gott, daß er aufwacht!« Er ging und nahm eine weitere Fackel mit, um sich den Weg zu Halle zu erleuchten.

Rhys setzte sich am Fuß des Bettes auf den Boden, lehnte sich an den Bettpfosten und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Es tut mir leid«, sagte ich und wußte nicht ganz, was ich eigentlich damit meinte. »Rhys, du hast eine lange Reise hinter dir, und du mußt sehr müde sein. Ruh dich aus - ich wecke dich, wenn irgend etwas passiert.«

Rhys schüttelte den Kopf. »Ich danke dir, my Lady. Aber ich möchte warten.«

Wir warteten, und das Schweigen war so tief, daß wir jedes Flackern der einzigen Fackel hören konnten, die noch da war. Wir hörten das leise Geräusch der Asche, die auf den Fußboden fiel, das Atmen jedes Menschen im Zimmer und den lauten Wind draußen vor dem Haus. Ein Diener kam mit den Wachstäfelchen, einem Stylus und Pergament, Tinte und Federn; dann ging er wieder.

Ich stützte den Kopf in die Hände und schaute Gawain an. Ich hatte zum erstenmal bemerkt, wie hager sein Gesicht geworden war

- verzerrt von Kummer und Krankheit. Aber jetzt im Fackellicht sah er erschreckend jung aus, fast wie damals, als ich ihn zum erstenmal gesehen hatte, als er verwundet im Haus meines Vaters lag. Immer hatte er ausgesehen, als ob etwas Größeres als die Welt ihn erfüllte. Jetzt wirkte er, als ob er damit verschmölze, im Schwebezustand zwischen der Erde und der Anderwelt. Das rote Fackellicht auf seiner schweißfeuchten Haut gab ihm ein glühendes Aussehen, wie Metall im Feuer, als ob die Knochen darunter sich zu einer anderen Form verschmolzen. Ich berührte leicht seine Stirn, aber sie war nicht heiß. Meine Hand streifte den Verband, und er rutschte beiseite, denn er war nur um den Kopf gewickelt und nicht befestigt. Ich zog ihn eilig wieder zurück - sein Kopf hatte von Bedwyrs Schwert eine Delle bekommen, der Knochen leuchtete sehr weiß in einem Durcheinander von rot und schwarz verbranntem Fleisch, das jetzt durch den Sturz vom Pferd und die Untersuchung durch den Chirurgen zerquetscht und zermahlen war zum formlosen Grau des Gehirns.

Ich verkrampfte meine Hände ineinander, damit sie still blieben, und dachte an Gawain, wie er in der Vergangenheit gewesen war. Ich dachte daran, wie er seinen Hengst über das Übungsfeld in Camlann ritt, wie er mit der Geschwindigkeit eines Falken sich auf den Ring senkte, der auf dem Boden lag. Dann dachte ich an Gwyn, wie er das gleiche versucht hatte, und daran, wie ich den Jungen zum allerletztenmal erlebt hatte. Er hatte auf den Knien gelegen, auf der Straße nach Caer Ceri, und er hatte verwirrt an Bedwyrs Speer gezerrt. Und ich dachte an Bedwyr, der in Macsens Ställen stand und mir Lebewohl sagte - an sein ruhiges Gesicht und an die völlige öde Verzweiflung in seinen Augen. So groß war unser Reich gewesen, so viel hatte es bedeutet, und jetzt war es zu diesem Unglück gekommen. Ich hatte den Drang, zu weinen, aber in mir waren keine Tränen, nur ein riesiger, leerer Schmerz um alles, was war. Und um mich war nur Schweigen und draußen der Wind.

Ungefähr in der Stunde der Dämmerung blickte ich auf und sah, daß Gawains Augen offen waren und er mich beobachtete.

»Gawain«, sagte ich und hielt den Atem an. Ich wollte schon seine Hand berühren, aber dann fielen mir seine letzten Worte an mich wieder ein, und ich zog meine Finger zurück. Ohne Zweifel war ich der Mensch, den er am wenigsten gern zu sehen wünschte -aber vielleicht auch nicht, und es gab ja noch die Nachricht. »Kannst du mich verstehen?«

Seine Lippen formten tonlos das Wort »Ja«. Rhys stand auf und kam eilig herüber. Gawains Blick fixierte sich auf ihn, und er lächelte ganz schwach. »Rhys«, sagte er im allerleisesten Flüsterton, »es ist also wahr?«

»Mein Herr? He, mein Herr, wir sind in Ynys Witrin. Das ist wahr.«

»Und sie. war sie vorher schon hier? Ich habe ja vorher mit ihr geredet.«

»Ach, die Kaiserin! Ja, sie ist wirklich hier. Auf der Straße hast du geträumt, mein Herr, aber jetzt ist sie da.«

Er schloß die Augen, öffnete sie dann wieder und schaute mich an. »My Lady«, sagte er noch immer in diesem fast unhörbaren Flüsterton, »aber natürlich bist du da. Natürlich. Medraut hat dich nicht.«

»Er hat mir nichts getan.«

»Gut.« Sein Blick heftete sich wieder auf Rhys. »Diesmal sterbe ich wirklich, Vetter.«

Der Diener sagte einen Augenblick lang nichts. Dann senkte er den Blick und murmelte: »Die Chirurgen sagen es.«

Wieder das leichte Lächeln. »Es ist wahr. Haben sie mir die Beine abgeschnitten? Nein? Ich spüre nichts. Ich hatte nicht gedacht. daß ich so sterben würde. Rhys, wo ist mein Pferd?«

»In Sanddes Ställen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten sich gut um ihn kümmern, oder sie müßten sich vor ihm in acht nehmen.«

»Gut«, das Lächeln kam wieder, langsam und schmerzhaft. »Danke dir. Du mußt ihn freilassen. Niemand darf ihn mehr reiten, wenn ich tot bin. Laß ihn sehen. daß ich tot bin. Dann laß ihn frei.«

»Gut, Herr.«

»Und mein Schwert. befestige das an seinem Sattel. Laß sie zusammen gehen. Ich will sie zurückgeben.«

Rhys schluckte ein paarmal und nickte dann.

Gawain schaute wieder mich an. »Ich. bin. froh, daß du da bist, my Lady. Ich sollte. nein, das muß ich später sagen. Artus hat mir eine Nachricht für Sandde mitgegeben. Sie ist wichtig.«

Ich nickte und nahm das Schreibtäfelchen auf. Gawain lächelte noch einmal.

Er hatte gerade angefangen, mir die Truppenbewegungen zu erklären, die Artus plante, als der Chirurg aufwachte und herüberkam. Er fühlte dem Krieger den Puls und schüttelte den Kopf. Gawain bat ihn höflich darum, zu gehen. »Wenn du auch ein Arzt bist, so muß ich doch die Geheimnisse meines Herrn aussprechen, und du solltest sie nicht hören.«

»Nun gut«, sagte der Chirurg. »Es gibt sowieso nichts mehr, was die Chirurgie für dich tun könnte. Dennoch - ich bin auch ein Mönch, ein Gottesmann. Du würdest gut daran tun, deine Sünden zu beichten und das Sakrament zu empfangen.«

»Später, wenn mir noch Zeit bleibt«, sagte Gawain.

Der Mönch warf uns allen einen Blick des giftigen Widerwillens zu. »Du würdest besser daran tun, mit einer geheiligten, von Sünden gereinigten Seele vor Gott zu treten, und nicht gebunden an weltliche Dinge und die Geheimpolitik von Königen.«

»Ich würde nicht zu meinem Gott gehen und Verpflichtungen unerledigt hinter mir lassen, und das auch noch durch Selbstsüchtigkeit«, erwiderte Gawain. »Ich bitte dich, geh. Wenn noch Zeit ist, wenn ich frei von dem bin, was mich jetzt noch bindet, dann soll man dich rufen.«

Der Mönch schnaufte und stelzte hinaus. Gawain fuhr mühsam, aber mit sorgfältiger Gleichmäßigkeit mit Artus’ Botschaft fort.

Nach kurzer Zeit hielt er zum vierten- oder fünftenmal inne und schloß die Augen. Er schien kaum noch zu atmen, und ich dachte: »Jetzt ist es soweit«, und das Herz pochte mir in der Kehle. Aber er öffnete die Augen wieder und schaute mich an.

»Das ist alles«, sagte er. »Das ist das letzte, was ich in Artus’ Dienst tun werde. Du mußt. du mußt ihm meinen Gruß bringen, und meinen Dank. Du mußt sagen. sagen, daß ich in der Wahl meines Herrn nichts bedauere, außer daß ich ihm nicht besser gedient habe. So. My Lady, ich. ich möchte jetzt noch einen Brief aussenden. Willst du ihn für mich schreiben?«

»Natürlich. Sprich nur. Ich habe Pergament.«

Er sah zu, während ich die Feder spitzte und sie in die Tinte tauchte. Ich legte das Pergament über die Knie. Dann schloß er die Augen. »Gawain an Bedwyr, Sohn des Brendan: Meinen Gruß«, sagte er mit einer Stimme, die lauter klang, als man das je von ihm gehört hatte. Die Spitze der Feder, die ich benutzte, ging durch das Pergament und brach. Gawain öffnete bei dem Geräusch die Augen, und ich zog die Feder heraus und starrte ihn an.

»An Bedwyr?« fragte ich voller Verzweiflung.

»Du hast gesagt, du willst es tun. Du mußt ihn für mich schreiben

- ich kann es nicht. My Lady, mir bleibt nicht viel Zeit. Das ist die größte Schuld, die mich noch bindet, und ich habe nicht viel Zeit übrig, um sie zu bezahlen.«

Ich spitzte eilig noch einmal die Feder. »Sprich also. Ich schreibe. Nur. denk daran - ich habe ihn geliebt, und er ist auch dein Freund gewesen.«

»Ich denke daran.« Gawain schloß wieder die Augen. »Ich wollte. jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte. Ich habe geträumt, ich spräche mit Bedwyr. Es muß gewesen sein, nachdem ich vom Pferd gestürzt bin. >Meinen Gruß Vetter, ich sterbe. Ich wollte schreiben, weil. weil jetzt.< - nein, schreib nicht >jetzt<, schreib, >weil ich mir deinen Tod so gewünscht habe, und jetzt scheint mir meine Bitterkeit sinnlos. Ich habe mich nach Gerechtigkeit gesehnt, mit einer Sehnsucht, die mehr als gerecht war, und deshalb. deshalb habe ich unserem Herrn Vernichtung gebracht, und allem, für das wir gekämpft haben - größere Vernichtung als die, die deine Schuld ist. Du hast einmal gesagt.< Aber nein, er kann es nicht gesagt haben. Das war in dem Traum. >Wenn die Gerechtigkeit, nach der ich mich sehnte, in der Welt wäre, dann gäbe es darin keinen lebendigen Menschen mehr. Wie kann ein Mann gerecht für ein Verbrechen bestraft werden, das er nicht vorhatte zu verüben? Du hattest recht, als du sagtest, daß die Gnade allein gerecht ist. Ich. ich verzeihe dir den Tod meines Sohnes. Verzeih du mir meine Rache. Ich.<« Er hielt abrupt inne, schaute einen Augenblick lang verwirrt über meine Schulter, und dann, ganz plötzlich, füllten sich seine dunklen Augen mit einem strahlenden Leben, und er lächelte. »Du?« fragte er.

Ich schaute über die Schulter zurück. Es war niemand da. Ich drehte mich voller Schrecken wieder um und faßte seinen Arm. Rhys hatte gesagt, Gawain habe auf der Straße phantasiert und mit Leuten geredet, die gar nicht da waren. Jetzt schien es mir, als ob das vielleicht wieder der Fall wäre. »Gawain, was hast du?« fragte ich.

Er schaute wieder mich an. Er war verwirrt. »Aber siehst du es denn nicht? Oh, dann ist es das Ende. Ich weiß nicht mehr, was ich noch in dem Brief schreiben könnte, nur, daß ich Gottes Gnade für uns alle erbitte. Rhys.« Der Diener nahm seine Hand. »Rhys, mein lieber Freund, leb wohl. My Lady, leb wohl - und wenn du kannst, dann sag meinen Bruder, daß ich ihn geliebt habe. Ich komme.« Er schaute wieder in die leere Luft, und er lächelte dabei wie ein Kind. Unter meiner Hand spürte ich, wie die Muskeln an seinem Arm sich spannten, und mir wurde klar, daß er versuchte, sich hinzusetzen. Ich packte ihn und lehnte ihn an mich. Ich spürte, wie sein Herz noch einmal an meinem schlug, zweimal, nichts mehr.

Stille. Ich setzte mich auf und schaute ihn verzweifelt an, suchte nach einem Zeichen, daß er noch lebte. Aber der Ausdruck, den er sein Leben lang gehabt hatte, dieses geheimnisvolle Strahlen, das war verschwunden, und sein Gesicht war mir fast unbekannt - es war das Gesicht meines Freundes und gleichzeitig eines Fremden.

Rhys bekreuzigte sich. Er weinte still. »Herrgott, hab Erbarmen«, sagte er auf britisch, bekreuzigte sich dann noch einmal und fügte die übliche Formel im Latein der Kirche hinzu: »Gib ihm die ewige Ruhe.«

»Und laß das ewige Licht über ihm leuchten«, erwiderte ich mechanisch. Aber ich dachte, alles Licht auf der Welt wäre tot oder läge im Sterben, und mein eigenes Herz stürzte in die Dunkelheit.

Wir zogen die Decke über Gawains Gesicht, und ich ging hinüber zu der letzten, zischenden Fackel und löschte sie. Der Tag war angebrochen, und das Zimmer war schon gestreift von neuem Sonnenlicht. Als ich die Tür zum Nebenzimmer öffnete, sah ich, daß das Feuer für den Morgen angezündet war, und eine Anzahl von Leuten saß darum herum und aß Brot und Käse und trank warmes Ale.

»Er ist tot«, sagte ich ihnen.

Der Mönch nickte, nahm noch einen letzten Bissen Brot und wischte sich dann die Krümel von den Fingern. Er wollte gerade etwas sagen, als eine andere Gestalt neben dem Feuer hochsprang und brüllte: »Rhys!«

»Eivlin!« rief Rhys hinter mir und drängte sich grob an mir vorbei. Er und seine Frau schlossen sich in die Arme, daß es so aussah, als ob ein Schloß sich zusammenfügte, und sie hielten einander wild umklammert.

Erst als ich die beiden so sah, wurde mir klar, was für große Angst sie umeinander gehabt haben mußten - und mir wurde klar, wie sehr ich selbst mich jetzt nach Artus sehnte.

»Ach, Rhys«, sagte Eivlin, als ich von der Tür wegtrat, »Rhys, ist es dein Herr - der Herr Gawain, der tot liegt?«

Rhys nickte, versuchte zu reden und würgte an den Worten.

»Ja«, antwortete ich für ihn. »Du bist also nur meinetwegen hierhergekommen, Eivlin? Na, dann kümmere dich um deinen Mann. Könnte einer von euch«, ich schaute die Männer am Feuer an, den Mönch und die anderen, die über Nacht in dem Zimmer geschlafen hatten, »könnte einer von euch dem Herrn Sandde dies alles berichten und ihn darum bitten, sich um die Beerdigung zu kümmern? Sagt ihm auch, ich habe die Nachricht, und ich werde bald zu ihm kommen.« Einer der Männer nickte und ging mit mir aus dem Zimmer hinaus in den Morgen.

Frischer Schnee lag auf dem Boden, und der Himmel war gefleckt von Wolken. Während mein Bote den Hügel hinauftrottete, lehnte ich mich an die Außenwand des Hauses und schluckte die kalte Luft in tiefen Atemzügen. Ich preßte den Brief und die Täfelchen an mich. Der Schmerz in meinem Herzen schien fast erstickend. Aber ich konnte nicht weinen, und nach kurzer Zeit ging ich wieder den Hügel hinauf zu meinem eigenen Haus, um mich zu waschen und umzuziehen, ehe ich Sandde besuchte. An diesem Tag war noch viel zu tun.

Ich schrieb den ganzen Morgen Briefe an jeden, der mir einfiel und der vielleicht gewillt war, zusätzliche Vorräte auf Kredit zu liefern - es war eine verzweifelt kurze Liste von Namen, aber eine Liste, die sehr schwer zusammenzustellen war. Am Nachmittag, als ich an Artus schrieb, befaßte sich der größte Teil meines Briefes nur mit der Frage der Versorgung. Erst als ich damit fertig war, wurde mir mit Schrecken klar, daß ich nicht von Gawains Tod berichtet hatte. Es war erst ein paar Stunden her, und die Leiche wartete noch auf die Beerdigung, aber schon war sein Tod eine Tatsache. Du bist müde, sagte ich mir, um die Welle der Übelkeit zu ersticken, die über mich kam. Dann tauchte ich die Feder in die Tinte und schrieb einen vollen Bericht. Am Ende hatte ich keinen Platz mehr auf dem Pergamentblatt, und ich mußte den Brief abrupt beenden. Fast wenigstens konnte ich nichts mehr hinzufügen. Aber als ich dann die Seite umdrehte, sah ich den Platz, der über der Einleitung noch vorhanden war, und fügte in meiner kleinsten Schrift hinzu: »Ich bin geflohen, ehe Medraut mir etwas antun konnte. Ich will dich nur wiedersehen. Meine Seele, mein geliebtes Leben, befiehl mir, mit Sandde und seiner Armee zu dir zu kommen. Aber wie auch alles gehen mag - Gott möge dich schützen.« Jetzt war kein Platz mehr da, und die zusammengedrängten Buchstaben wirkten bedeutungslos, wenn ich an seine Anwesenheit dachte. Also schrieb ich nichts mehr, sondern faltete den Brief, versiegelte ihn und gab ihn dem Boten. Einen Augenblick saß ich da und starrte Sanddes Schreibpult an, und ich fragte mich, ob Artus wohl den Brief bekommen würde und was er gerade tat und wann wir einander wiedersehen würden. Damals wünschte ich - und viele Male hinterher -, daß ich noch ein zweites Stück Pergament verlangt und die Ränder mit Worten vollgestopft hätte. Aber vielleicht hatte ich das Allerwichtigste ja gesagt - und vielleicht hätte ich beim besten Willen nicht mehr sagen können.

An diesem Abend begruben wir Gawain auf dem Friedhof des Klosters von Ynys Witrin. Während die Prozession der Trauernden sich zum Grab bewegte, hielt Rhys Gawains Pferd, und das juwelenbesetzte Heft des Schwertes glänzte neben dem leeren Sattel. Der Hengst schnaubte ernsthaft, als die Leiche herausgebracht wurde

- er erkannte Gawain. Aber während die Mönche beteten und sangen, wurde das Tier immer unruhiger, und als die Leiche in den Boden gesenkt wurde, wieherte Ceincaled laut und wollte sich von Rhys losreißen. Als die Beerdigung zu Ende war, zog Rhys dem Hengst das Geschirr vom Kopf, und das Pferd galoppierte zum Grab hinüber und stampfte darauf herum. Es schaute sich um, beroch die Luft und den Boden, warf dann den Kopf zurück und wieherte. Die Mönche bekreuzigten sich und flüsterten miteinander.

»Laßt ihn«, sagte Rhys, drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder den Hügel hinauf. Ich folgte ihm, und die anderen Trauernden und die Mönche zerstreuten sich. Aber als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, wie der Hengst weiß und herrlich in der Dämmerung bei dem feuchten Grab stand, den Kopf hochschleuderte und immer und immer wieder sein wildes Wiehern ausstieß. Am Morgen war das Pferd verschwunden. Eine Zeitlang befürchtete ich, jemand könnte es gestohlen haben, das Tier und das Schwert, das angeblich jede Hand verbrannte, die es gegen den Willen seines Besitzers zog. Aber solch ein Pferd, geschweige denn solch ein Schwert, war zu prächtig, um verwechselt zu werden oder unbemerkt zu bleiben, und man hörte nie wieder etwas von ihnen, noch nicht einmal in den Gerüchten. Gawain hatte immer behauptet, das Schwert und das Pferd seien aus der Anderwelt gekommen. Vielleicht hat sich der Hengst tatsächlich von dem dunklen Grab abgewandt und ist durch die Nacht in einen Tag hinausgaloppiert, der jetzt mit der Erde nichts mehr zu tun hat - an einen Ort, wo kein menschlicher Kummer es mehr erreichen kann und von dem keine weitere Liebe es zurückhält. Wie immer es auch gewesen sein mag, Ceincaled ist verschwunden und hat auf dem neuen Grab nur ein paar Hufabdrücke zurückgelassen. Und ich hatte nicht viel Zeit, mir

Sorgen darüber zu machen.