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Als Heywood-Smith die Haustür öffnete und Leery sah, wurde er ärgerlich. «Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen nie herkommen, wenn ich nicht …»

«Es ist furchtbar dringend», unterbrach ihn Leery. «Die Polizei ist hinter uns her.»

Heywood-Smith sah ihn voller Verachtung an. «Das haben Sie mir jedesmal gesagt, wenn Sie ein Polizist auch nur nach der Uhrzeit gefragt hat.»

«Der Detective Constable kommt immer wieder. Und diesmal wissen sie es.»

Heywood-Smith öffnete die Tür weiter und trat zur Seite. Als er sie wieder geschlossen hatte, ging er voran in den größeren Wohnraum. «Whisky?» Ohne auf die Antwort zu warten, ging er zum Cocktailschrank und goß zwei Whiskys ein. Leery zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Stirn: die Zentralheizung war so hochgedreht, daß der Raum einem Treibhaus glich.

Heywood-Smith ließ sich in einen Sessel fallen. Er nahm eine Zigarre aus einer silbernen Dose, schnitt sorgfältig die Spitze ab und zündete sie an. «Die Zigaretten stehen neben Ihnen, Captain.»

Leery trank rasch, stellte sein Glas ab und nahm mit zitternden Fingern eine Zigarette. «Die Polizei ist dabei, dem Lieferwagen auf die Spur zu kommen. Sie haben sich danach erkundigt, weil einer vom Landpersonal alte Taue verkauft hat. Der Constable hat verschiedenes beobachtet, unter anderem meine Unterhaltung mit dem Fahrer.»

«Ich gratuliere zu Ihrer denkwürdigen Ungeschicklichkeit.»

«Wie konnte ich wissen, daß er an Bord war?»

«Schön, erzählen Sie mir alles ganz genau von Anfang an.» Heywood-Smith benahm sich nicht großspurig und bombastisch wie sonst; er war hart und berechnend. Er hörte sich wortlos an, was Leery zu sagen hatte, und trank dann seinen Whisky aus.

«Die nächste Partie Gold dürfen wir nicht anrühren», sagte Leery mit rauher Stimme. «Wir dürfen es einfach nicht.»

«Schweigen Sie.»

«Wir dürfen es einfach nicht, oder sie schnappen uns.»

Heywood-Smith rauchte seine Zigarre. Die dritte Goldpartie, diesmal wieder auf der Sandstream, war rund siebentausend Pfund wert. Leery war dumm, wenn er glaubte, er, Heywood-Smith, verzichte auf soviel Gold. Man gab nicht wegen jeder kleinen Ungelegenheit das Schönste, was das Leben zu bieten hatte, gleich auf.

Leery ertrug das Schweigen nicht mehr. «Ich sage Ihnen, wir müssen darauf verzichten.»

Mit Amateuren war es immer dasselbe, dachte Heywood-Smith. Sie verloren die Nerven, bevor es wirklich gefährlich wurde. Deshalb faßte die Polizei die Amateure, aber nie die Profis. Es mußte irgend etwas getan werden, um die Suche der Polizei aufzuhalten, so lange, bis das Gold in seiner Hand war. Wenn es erst an Land war, konnte die Polizei herausfinden, was sie wollte, denn wenn Leery durchdrehte, würde dies wohl der letzte Golddiebstahl sein. Was hinderte die Polizei am meisten? … Ein anderes Verbrechen. Was für ein Verbrechen nahm alle ihre Energien in Anspruch, ließ sie alles andere vernachlässigen? … Die Frage beantwortete sich von selbst. Ein Verbrechen, das man einem ihrer Beamten anhängte.

Er schnippte befriedigt mit den Fingern, stand auf und goß sich noch einen Whisky ein. «Ist dieser Detective Constable jung?»

«Sehr … sehr jung.»

«Wahrscheinlich unerfahren?»

«Das nehme ich an.»

«Waren Sie freundlich zu ihm?»

«Ja.»

«War er gesprächig?»

«Er hat mir oft erzählt, was gerade vor sich ging.»

«Erkundigen Sie sich, ob er ein Bankkonto hat. Ich hoffe es, das macht die Dinge wesentlich einfacher.»

«Bankkonto? Macht die Dinge einfacher? Um Gottes willen, was …?»

«Gemeinsam, mein lieber Captain, werden wir Ihren Freund von der Polizei in den Verdacht bringen, in eine höchst unerfreuliche Erpressung verwickelt zu sein.»

«Ich … ich verstehe nicht.»

«Sie werden herausfinden, bei welcher Bank er ein Konto hat, und wir werden ein bißchen Geld auf dieses Konto einzahlen. Der Fahrer des Lieferwagens, ein kleiner Verbrecher, der für Geld alles tut, wird aussagen, daß er von diesem Polizisten erpreßt worden ist und ihm einen Betrag in Höhe der Einzahlung gegeben hat. Angesichts dieses Beweises wird sich die Polizei ein Bein ausreißen, um die Unschuld ihres Beamten nachzuweisen. Das Gold auf der Sandstream wird für sie unwichtig werden.»

«Aber … was wird aus dem Polizisten?»

Heywood-Smith zuckte die Schultern.

«Ich mach nicht mit.»

«Warum nicht?»

«Ich kann das nicht. Wenn er verurteilt wird …»

«Dann wird er natürlich streng bestraft. Sie sind offensichtlich ein Mann von Grundsätzen, Captain. Ich bewundere Leute mit Grundsätzen, denn sie sind bereit, alles außer ihren Grundsätzen zu opfern – sogar die Freundschaft einer so charmanten Dame wie Prudence.»

Leery starrte den andern entsetzt an.

 

Leery ging in seinem Kontor auf und ab. Man verlangte von ihm, die Karriere eines Mannes zu zerstören, ihn als Verbrecher zu brandmarken, ihn vielleicht ins Gefängnis zu bringen. Warum? Weil er sonst Prudence verlieren würde. Hatte er nun den tiefsten Punkt erreicht, von dem aus er nicht mehr tiefer sinken konnte, sondern aufsteigen mußte?

Wenn er sich erst einmal von Prudence losgerissen hatte, konnte er sich wieder selber achten, konnte er seine Ehe mit Gladys wieder unter anständigen Bedingungen weiterführen.

Plötzlich sah er wieder Prudence vor sich, wie sie ihn mit der Geschicklichkeit einer Kurtisane und der rasenden Hingabe einer Nymphomanin liebte. Wie sollte er mit Träumen leben, die nie verwirklicht wurden? Wie sollte Gladys’ verkrüppelter Körper seine physischen und psychischen Bedürfnisse befriedigen? Er setzte sich in seinen Schreibtischsessel und starrte auf das Telefon. Als er eine halbe Minute später die Hand ausstreckte und den Hörer abhob, war sein Gesicht wie von körperlichen Schmerzen gezeichnet. Er wählte falsch, drückte die Gabel nieder, versuchte, seine Erregung zu beherrschen, und wählte wieder. Als die Verbindung hergestellt war, verlangte er Detective Constable Kerr. Kerr war nicht da, aber er konnte ihm eine Nachricht hinterlassen.

Leery legte auf. Es war auch jetzt noch Zeit, diesen endgültigen Verrat zu umgehen. Er brauchte nur ein bißchen Mut. Er zündete eine Zigarette an.

 

Vierzehn Minuten nach elf Uhr betrat am folgenden Vormittag ein Mann die Polizeihauptwache, Abteilung West. Er lehnte sich über das Pult in der Revierstube und begrüßte den Sergeanten vom Dienst. «’n Morgen.»

Der Sergeant besah sich den Besucher, einen großen, dünnen Mann mit seltsam weißer Haut und vorstehenden Backenknochen. «Sieh mal an, Choppy Walker, nicht wahr?»

«Na und?»

«Ich freue mich immer, wenn ich alte Freunde von meiner letzten Abteilung wiedersehe. Wer hat dich herbefohlen?»

«Niemand hat was befohlen. Ich möchte mit dem Chefinspektor sprechen.»

«Warum?»

«Das werd ich ihm sagen, wenn wir unter vier Augen sind.»

«Hoffentlich vertust du seine Zeit nicht unnütz.»

«Nix unnütz. Krieg ich ihn nun zu sehen?»

Der Sergeant hob den nächsten Telefonhörer ab, sprach mit Kywood und legte wieder auf. «Du wirst gleich geholt.»

«Trauen mir wohl nicht?»

Der Sergeant nahm sich nicht die Mühe zu antworten.

Ein Constable kam und begleitete Walker zu Kywoods Büro.

Kywood saß hinter seinem Schreibtisch und starrte zu Walker hinauf. «Was wollen Sie?»

«’n Morgen, Mr. Kywood.»

«Übergehen wir die Höflichkeiten.»

Walker setzte sich auf einen der Holzstühle.

Kywood wartete.

«Ich werde erpreßt, Mr. Kywood.»

«Was werden Sie?» Kywood hatte manches erwartet, aber das nicht.

«Ich werde erpreßt.»

«Also gibt’s doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt.»

«Ich habe ein Recht auf den Schutz des Gesetzes, genau wie jeder andere.»

«Sie haben höchstens ein Recht auf den Galgen. Wer erpreßt Sie denn angeblich?»

«Ein Polyp.»

Kywood wurde sofort böse. «Wenn Sie versuchen, mit so einer idiotischen Geschichte hier Stunk zu machen, laß ich Sie für die nächsten zehn Jahre einbuchten.»

«Einer Ihrer Polypen hat mir heut früh einen Hunderter abgenommen. Ich hab gezahlt, aber dann hab ich nachgedacht: zahl einmal, zahl ewig.»

«Und weshalb wollte er Sie erpressen?»

Walker schien nervös zu werden. «Das ist unwesentlich.»

«Sie werden reden, und wenn ich jedes Wort aus Ihnen rausquetschen muß. Denken Sie vielleicht, Sie können hier reinkommen und einen meiner Beamten einen Erpresser nennen – und sich dann einfach in Schweigen hüllen? Los, reden Sie», schrie Kywood.

«Kein Grund, gewalttätig zu werden, Mister. Ich hab einen kleinen Unfall gebaut. Nicht meine Schuld. Die Frau rennt glatt vom Gehsteig runter in meinen Lieferwagen. Ich hab alles getan, aber es war einfach keine Zeit.»

«Und dann?»

«Es war nicht meine Schuld.»

«Also sind Sie ein Engelchen?»

«Ich hab nicht gehalten.»

«Fahrerflucht?»

«Was sollte ich sonst tun, bei meinem Vorstrafenregister? Sie hätten Totschlag gesagt und mich eingelocht.»

«Und nun tut es Ihnen leid, daß Sie eine arme alte Frau auf der Straße liegen lassen mußten. Schön, und wer erpreßt Sie?»

«Der Polyp heißt Kerr.»