4
T
AM SINCLAIR WARTETE mit seinen Sergeanten bereits am Eingang des Zellentraktes, als Sir William und der Admiral dort eintrafen. Tam führte sie in die mit Zellen gesäumte Galerie, jene zur Linken mit massiven Eichentüren, in die vergitterte Fensterchen eingelassen waren, jene zur Rechten offene Käfige mit dicken Eisengittern auf drei Seiten und einer gemauerten Rückwand. Godwinson befand sich in einer der Gitterzellen. Er saß im Dunklen auf einer schmalen Holzpritsche, die Hände und Füße in Eisen. Seine beiden Bewacher sprangen auf und traten beiseite, als Sir William, St. Valéry und ihre Begleiter eintraten und sich um die Gitterzelle scharten. Der Mann grinste sie frech an. Plötzlich spuckte er aus und begann zu fluchen – er sprach zwar Französisch, war aber eindeutig Engländer, und sein starker Akzent verstümmelte die französischen Wörter.
Sir William schenkte dem Mann, der nun eine unflätige, heftige Schimpftirade begann, nur einen kurzen Blick und betrachtete dann den Gang zwischen den Zellen. Er war eng und fensterlos wie ein Sarg; das schräge Dach über den nackten Sparren war mit roten Tonziegeln gedeckt, und ein kühler Luftzug verhinderte, dass es hier jemals warm oder trocken wurde. Die Wände bestanden aus nackten Steinen, die mit Gips oder Lehm verfugt waren, und die einzigen Möbel waren ein langer, schmaler Holztisch, drei Stühle und ein glimmendes Kohlebecken an der Wand.
Unter den ehrfürchtigen Blicken der Garnisonswachen schritt er zu dem Kohlebecken hinüber, dessen Glut mit einer Schlackenkruste bedeckt war. Sir William griff nach einem Schüreisen und durchstieß die Kruste, sodass die Funken aufflogen. Er schürte die Holzkohle, bis sie wieder zu brennen begann, dann schob er das Schüreisen ins Feuer und steckte ein zweites hinein. Nun griff er nach dem Eimer mit Kohle, der für die Wachen bereitstand, und schüttete frischen Brennstoff in das Kohlebecken.
Admiral St. Valéry trat an seine Seite.
»Was macht Ihr da, Sir William?«
»Ich zünde das Feuer wieder an, Sir Charles. Es ist kalt heute Abend, und es ist zugig hier.« Dann trat er vor Godwinsons Zelle hin, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte schweigend auf den tobenden Mann auf der anderen Seite der Gitterstäbe.
Es dauerte eine Weile, bis Godwinson begriff, dass sein Wüten keinen Eindruck auf den hochgewachsenen, weiß gewandeten Ritter machte. Schließlich verstummte er und betrachtete Sir William höhnisch, ohne ihm jedoch eine Reaktion entlocken zu können. Absolute Stille senkte sich über die hohe, finstere Kammer, bis Sir William schließlich wieder an den Tisch schritt.
»Bringt ihn her.«
Godwinson wehrte sich nach Leibeskräften, als die Wachen ihn ergriffen, doch da er in Ketten lag und sie zu sechst waren, war sein Ringen nutzlos. Sie packten ihn und trugen ihn an den Tisch, an dessen einem Ende Sir William Platz genommen hatte, die Hände flach auf der Tischplatte.
»Setzt ihn dorthin«, sagte der Ritter und wies auf den Stuhl am anderen Ende des Tisches. »Wickelt seine Ketten um die Stuhlbeine, damit er sich nicht erheben kann.«
Auch jetzt war Widerstand zwecklos, und so ergab sich Godwinson in sein Schicksal, als sich zwei der Sergeanten neben ihn knieten und seine Beinketten um die Stuhlbeine schlangen. Doch sobald sie fertig waren, sprach er Sir William an, und seine Stimme war voller Verachtung.
»Wer seid Ihr, Hurensohn? Ich verspreche Euch …«
»Knebelt ihn.«
Tam bekam von einem Wärter ein Stück schmutzigen Stoff gereicht, das er in zwei Hälften riss. Die eine ballte er zusammen, um sie dem Engländer in den Mund zu stopfen und sie dann mit der anderen festzubinden.
William Sinclair stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf seine Fäuste. »Und nun, Engländer, hört mir zu. Dieser Mann dort«, sagte er und zeigte auf St. Valéry, »ist der zweite Mann, den Ihr hier töten wolltet. Sir Charles de St. Valéry, Admiral der Tempelflotte. Ihr habt versagt – konntet ihn nicht einmal verwunden –, und das wird Eurem Herrn gar nicht gefallen. Doch es ist Euch gelungen, seinen ältesten Freund zu ermorden, den Präzeptor dieser Kommandantur, einen Mann, der es hundertmal mehr wert war zu leben als Ihr es seid. Ihr habt ihn getötet, das wird jeder hier bezeugen. Und Ihr habt zwei Garnisonswachen niedergeschossen, beide ebenfalls Brüder des Tempels. Für jede dieser Taten verdient Ihr den Tod, und wenn ich Euer einziger Richter wäre, würdet Ihr jetzt und hier sterben. Doch Admiral St. Valéry wünscht aus persönlichen Gründen, dass ich Euch nicht einfach hinrichte.«
Bei diesen Worten beobachtete er Godwinson genau, und er sah, wie sich seine Augen unwillkürlich weiteten, als er begriff, dass er nicht auf der Stelle sterben würde, und sich Hoffnung in ihm regte. Denn er wusste ja, dass er bei Tagesanbruch ein freier Mann sein würde, wenn er die Nacht überlebte. Es bereitete Sir William grimmige Genugtuung, diese Hoffnung im Keim zu ersticken. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe schon gegen Mamelucken gekämpft, die mehr Ehrgefühl im Leib hatten als Ihr, Engländer. Sie mögen ja Heiden sein und in Ewigkeit verdammt, doch immerhin kämpfen sie, um ihren Glauben an ihren Gott und seine falschen Propheten zu verteidigen. Euch hingegen treibt nur die Gier.«
Die Augen des Mörders verengten sich zu Schlitzen.
»Glaubt Ihr wirklich, dass de Nogaret davon ausgegangen ist, dass Ihr den heutigen Tag überlebt? Dann wärt Ihr ja nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Narr. Und glaubt Ihr, dass er Euch mit offenen Armen empfangen wird, nachdem Ihr hier versagt habt? William de Nogaret hat ein Herz aus Stein, Engländer. Er wird keinen Finger rühren, um Euch zu helfen.«
Der Mund des Geknebelten bewegte sich, doch Sinclair gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt.
»Oh, ich weiß Bescheid. Ich weiß, dass er im Morgengrauen hier sein wird. Ich weiß alles.« Er sah die Bestürzung im Blick des Engländers, doch er sprach weiter, und jedes seiner Worte war wohl gezielt. »Doch was glaubt Ihr, wie er reagieren wird, wenn er entdeckt, dass der Admiral noch lebt und die Flotte außerhalb seiner Reichweite auf offener See vor Anker liegt? Glaubt Ihr, er wird stolz auf Euch sein? Ihr könnt ihm natürlich sagen, dass ich Euch zuvorgekommen bin und dass ich über das Komplott Bescheid wusste, das er gemeinsam mit Capet ersonnen hat. Doch wird er sich die Zeit nehmen, Euch zuzuhören? Ließe er Euch sprechen, so wünschte ich, Ihr würdet ihm sagen, dass ich, William Sinclair, Ritter des Tempels und Mitglied des inneren Ordenskreises, dafür gesorgt habe, dass der sagenumwobene Templerschatz, nach dem es ihn und seinen Herrn so gelüstet, aus Frankreich verschwindet.«
Sir William erhob sich, ohne Godwinson aus den Augen zu lassen, und lehnte seinen Stuhl an die schmale Tischkante.
»Natürlich wünschte ich das nur, wenn ich glauben würde, dass Ihr in der Lage wärt, ihm etwas zu erzählen. Hört mir zu, Mörder, denn ich richte als ranghohes Mitglied unseres noblen Ordens über Euch, und die hier Versammelten sind meine Zeugen. Ich verurteile Euch des dreifachen Mordes, den Ihr im Gewand unseres Ordens ausgeführt habt, womit Ihr Euch zudem der Gotteslästerung schuldig gemacht habt. Gemäß der Bitte Admiral de St. Valérys dürft Ihr weiterleben, doch Ihr werdet es uns nicht danken. Ihr werdet nie wieder jemanden töten, Godwinson, es sei denn, Ihr beschließt, Euch selbst umzubringen. Und Ihr werdet niemals jemandem erzählen, was Ihr heute getan habt.«
Er wandte sich an Tam. »Haltet ihn fest. Ergreift die Ketten seiner Handeisen und zieht seine Arme gerade zu mir hin. Befestigt die Enden der Ketten an meiner Stuhllehne, damit er sich nicht bewegen kann.«
In Sekundenschnelle lag Godwinson mit ausgestrecktem Oberkörper auf dem Tisch, das Gesicht nach unten, die Hände an der Stuhllehne am anderen Ende des Tisches befestigt, die Beine an den Stuhl gefesselt, auf dem er saß. Mit ausdrucksloser Miene streckte Sinclair die Hand nach der Streitaxt am Gürtel eines der Sergeanten aus. Mit einem Kopfnicken nahm er die Waffe entgegen und überprüfte ihre Klinge.
Godwinson, der wusste, was ihm bevorstand, begann auf dem Tisch zu stöhnen. Sinclair presste die Lippen aufeinander, dann deklamierte er: »Für das dreifache Verbrechen des Mordes werdet Ihr die Hände verlieren, die die tödliche Tat begingen. Für die grauenvolle Sünde der Verschwörung werdet Ihr die Zunge verlieren, mit der Ihr in dieses Verbrechen eingewilligt habt. So soll es sein.«
Zwei schwere Hiebe mit der scharfen Axt ließen Godwinsons erstickte Schreie verstummen.
»Im Feuer stecken zwei Eisen, kauterisiert die Stümpfe, rasch. Und zieht ihm den Knebel heraus.« Er legte die Axt nieder und zog den Dolch aus seinem Gürtel. Dann beugte er sich über den Bewusstlosen und schob ihm die Spitze des Messers in den Mund.
Im nächsten Moment richtete er sich wieder auf, das Gesicht leichenblass, der Mund ein lippenloser Strich.
»Bringt ihn zu den Ärzten, so schnell Ihr könnt. Tragt ihn mit dem Gesicht nach unten, damit er nicht an seinem Blut erstickt.«
Er warf seinen Dolch in das flammende Herz des Kohlebeckens und wischte sich die blutigen Finger an den Resten des Knebels ab.
»So soll es sein«, wiederholte er den uralten Wahlspruch der Templer. Dann wandte er sich ab und verließ den Zellenblock.