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»Punkin? Alles in Ordnung?«
»Ja, aber … es ist doch ein bisschen beängstigend,
was?«
Jetzt muss sie nicht
in die Reflektorbox sehen, um zu wissen, dass etwas passiert; der
Tag wird dunkler, als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben.
Aber es ist keine Wolke; der Dunst hat sich verzogen, und die
wenigen Wolken hängen weit entfernt im Osten.
»Ja«, sagt er, und als sie ihn ansieht, stellt sie
zu ihrer großen Erleichterung fest, dass es ihm ernst ist.
»Möchtest du auf meinem Schoß
sitzen?«
»Darf ich?«
»Klar doch.«
Also macht sie es und
freut sich über seine Nähe und Wärme und den süßlichen
Schweißgeruch – den Geruch von Daddy -, während der Tag noch
dunkler wird. Am meisten freut sie sich aber, weil es wirklich ein bisschen beängstigend ist,
beängstigender, als sie es sich vorgestellt hat. Am meisten macht
ihr Angst, wie ihre Schatten auf der Veranda verblassen. Sie hat
noch nie gesehen, wie Schatten auf diese Weise verblassen und ist
fast überzeugt, dass sie es nie wieder sehen wird. Das macht ihr
überhaupt nichts aus, denkt sie, kuschelt sich an und ist froh
(zumindest für die Dauer dieses unheimlichen, kurzen
Zwischenspiels), wieder ihres Vaters kleine Punkin zu sein, statt
der normalen alten Jessie – zu groß, zu schlaksig … zu
nörglerisch.
»Kann ich schon durch das Rußglas sehen,
Dad?«
»Noch nicht«, sagt er, und seine Hand liegt warm
und verschwitzt auf ihrem Schenkel. Sie legt ihre Hand auf seine,
dreht sich zu ihm um und grinst.
»Aufregend, nicht?«
»Ja. Das ist es, Punkin. Sogar mehr, als ich gedacht
habe.«
Sie rutscht wieder
hin und her und will eine Möglichkeit finden, sich den Platz mit
diesem harten Teil von ihm zu teilen, auf dem ihre Kehrseite jetzt
ruht. Er zieht rasch und keuchend Luft über die Unterlippe
ein.
»Daddy? Bin ich zu schwer? Habe ich dir
wehgetan?«
»Nein. Alles bestens.«
»Kann ich schon durch das Glas sehen?«
»Noch nicht, Punkin. Aber bald.«
Die Welt sieht nicht
mehr so aus, als wäre die Sonne hinter einer Wolke verschwunden;
jetzt sieht sie aus, als wäre am helllichten Nachmittag die
Dämmerung hereingebrochen. Sie hört die alte Heule-Eule im Wald und
erschauert bei dem Laut. Bei WNCH werden die Dixie Cups
ausgeblendet, und dem Discjockey, der übernimmt, wird gleich Marvin
Gaye folgen.
»Schau auf den See, Jessie!«, sagt Daddy zu ihr,
und als sie gehorcht, sieht sie eine unheimliche Dämmerung über
eine ausgeblutete Welt heraufziehen, aus der jegliche Farbe
gewichen ist, bis nur gedämpfte Pastelltöne übrig geblieben sind.
Sie erschauert und sagt ihm, dass es unheimlich ist; er sagt ihr,
sie soll versuchen, nicht so sehr Angst zu haben, dass sie es nicht
genießen kann, eine Bemerkung, die sie Jahre später gründlich –
vielleicht zu gründlich – nach einer Zweideutigkeit abklopfen wird.
Und jetzt …
»Dad? Daddy? Sie ist fort. Kann ich
…?«
»Ja. Jetzt ist es gut. Aber wenn ich aufhören sage, musst
du aufhören. Keine Widerrede, verstanden?«
Er gibt ihr drei
Scheiben gerußtes Glas als Stapel, aber vorher gibt er ihr einen
Topflappen. Er gibt ihn ihr, weil er die Scheiben aus einem alten
Schuppenfenster herausgelöst hat und seiner Fähigkeit als
Glasschneider alles andere als vertraut. Und als sie in diesem
Erlebnis, das sowohl Traum als auch Erinnerung ist, die Topflappen
betrachtet, springt ihr Gedächtnis plötzlich so behände wie ein
Akrobat, der einen Salto schlägt, noch weiter zurück, und sie hört
ihn sagen:
»Ich will auf keinen Fall …«