EINUNDZWANZIG

Symbol

Zuvor musste ich jedoch noch viele andere Dinge lernen.

Fergal zeigte mir, für den Fall, dass ich wieder in seiner Zeit eintreffen würde und niemand da wäre, wie der Haushalt und alles, was dazugehörte, organisiert war, von dem kleinen Gemüsebeet in dem gestuften Garten hinter den Ställen bis zu dem Brunnen nahe dem Hof.

Als ich mich über den Steinrand des Brunnens beugte, sah ich mein Spiegelbild im Wasser. »Kann man das trinken?«

»Aye, wenn wir Pferde wären. Ich stille meinen Durst lieber mit Ale und Apfelwein.«

Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle einen großen Becher Apfelwein eingeschenkt, um seine Laune zu verbessern, denn er war schroff und ungeduldig, wie Daniel es beschrieben hatte. Wenn mir der Grund nicht klar gewesen wäre, hätte ich es ihm übel genommen. Unter den gegebenen Umständen jedoch fand ich es rührend, dass dieser raue Mann die Rolle meines Beschützers spielte.

Fergal wandte sich von dem Brunnen ab. »Das Wasser ist nicht ungenießbar, aber trotzdem würde ich Ihnen raten, lieber Ale zu trinken. Sie erinnern sich, wo es sich befindet?«

»In dem Fass neben der Kellertreppe.«

»Und wenn das Ale ausgeht, müssen Sie den Apfelwein …?«

»Auf jeden Fall beschützen«, versuchte ich, ihn zum Lachen zu bringen.

Er verzog die Mundwinkel tatsächlich etwas.

»Weiß Jack wirklich nicht, wo er ist?«, fragte ich.

»Nein. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es ihm nicht verraten.«

»Und wenn Sie nicht da sind, er aber schon, und das Ale geht aus …?«

Fergal versicherte mir, dass das Ale in Jacks Anwesenheit nicht ausgehen würde. »Denn wenn, würde er hinunter zum Spaniard gehen und sich dort versorgen. Er braucht meinen Apfelwein nicht. Doch Sie sollten Trelowarth nicht ohne Danny oder mich verlassen.«

Er ging weiter, und ich hatte Mühe, seinen langen Schritten zu folgen. An der nördlichen Stallmauer stand ein kleiner Schuppen mit windschiefem Dach.

»Das Brennholz ist hier«, erklärte Fergal, drückte die Tür auf und zeigte mir die dicht an dicht geschichteten Stapel. »Ich hoffe, dass Sie keines von hier holen müssen, denn eigentlich ist immer genug in der Spülküche.«

Als wir das Haus erreichten, sah ich, dass die Lebensmittel in dem Schrank in der Spülküche bereits geordnet waren. So würde ich kein Problem haben, die Zutaten für ein Porridge zu finden. »Wenn wir Käse haben, was normalerweise der Fall ist, lagert er in dem Behälter da hinten. Und das«, erklärte er, hob den Deckel eines kleinen Fasses und holte etwas Langes, Ledriges heraus, »ist Salzfleisch. Der Fluch des Seemanns; wir haben immer etwas für die Sally da. Damit müssen Sie nie Angst haben zu verhungern.«

Ich nahm den Streifen gepökeltes Fleisch in die Hand und spürte, dass es hart wie Holz war. »Und das isst man?«

»Ja, aber nicht in dem Zustand. Daran würde man sich die Zähne ausbeißen. Nein, man weicht es ein, um das Salz herauszuspülen, und dann kocht man es mit anderen Zutaten zu einer Brühe. Das zeige ich Ihnen heute Abend.«

Anschließend demonstrierte er mir den Gebrauch der Zunderbüchse. Diesmal bekam ich deutlich mehr mit als bei den Bemühungen des Constable. Sobald das Feuer brannte, begann Fergal das Essen zuzubereiten. Trotz seiner schwieligen, vernarbten Hände verfügte er über das Geschick eines erfahrenen Küchenchefs. Ein Mann mit vielen Talenten.

»Fergal?«

»Aye?« Er drehte sich mit dem Messer in der Hand zu mir um.

»Danke.«

»Wofür?«

»Dass Sie sich meiner annehmen. Ich hatte nie einen großen Bruder.«

»Nein?«

»Nein. Eine große Schwester, aber die ist letzten Winter gestorben.«

Er sah mich an. »Gott hab sie selig.« Fergal bekreuzigte sich und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

»Sie haben nicht wirklich sieben Schwestern, oder?«

»Habe ich das behauptet?«

»Das haben Sie dem Constable erzählt.«

»Nun, dann muss es stimmen, denn den Constable würde ich nie belügen.«

Ich schmunzelte. »Ich auch nicht.«

»Habe ich nicht gesagt, dass Sie eine O’Cleary sind?«, meinte er mit einem anerkennenden Nicken.

Aus dem Kessel über der Feuerstelle stieg der Duft von Salzfleisch und köchelndem Gemüse auf. Ich fühlte mich sehr wohl in Fergals Gesellschaft, obwohl ich noch viel zu lernen hatte.

»Sind die Bewohner von Trelowarth denn nicht mit Ihnen verwandt?«, erkundigte sich Fergal.

Ich erklärte ihm meine Verbindung zu den Halletts, zu Mark, Claire und Susan.

Fergal lauschte aufmerksam. »Und was denken sie, wenn Sie aus ihrer Zeit verschwinden? Was sagen Sie ihnen, wo Sie gewesen sind?«

»Sie merken es gar nicht; deshalb muss ich nichts erklären. Auf der Zeitebene läuft alles ein bisschen anders als hier. Wenn ich dorthin zurückkehre, ist es, als wäre ich nie weg gewesen. Ich kehre zu dem Moment meines Verschwindens zurück.«

Er überlegte. »Aber als Sie das letzte Mal in Ihre Zeit zurückgekehrt sind, haben Sie andere Kleidung getragen.«

»Ja.«

»Und das ist niemandem aufgefallen?«

»Ich war allein unterwegs. Keiner hat mich beobachtet.« Seine Frage erinnerte mich an etwas. »Daniel meint, ich soll meine Kleidung Ihnen geben, damit Sie sie verstecken.«

»Dann bringen Sie sie mir. Ich sehe, was ich tun kann.«

Deshalb traf Daniel, als er sich wenige Minuten später in der Küche zu uns gesellte, Fergal bei der faszinierten Begutachtung meiner Jeans an.

»Schau, Danny«, sagte Fergal, »das ist das Werk eines Genies.« Er machte den Reißverschluss auf und zu. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Und der Saum: ein Stich wie der andere. Nicht einmal meine Oma konnte einen Saum wie diesen nähen, und sie war im ganzen County für ihre wunderschönen Näharbeiten bekannt.« Er ließ seine rauen Finger bewundernd über den Stoff gleiten. »Eine solche Hose hält etwas aus. Schade, dass Sie nicht größer sind«, meinte er, an mich gewandt, »denn ich würde sie Ihnen abnehmen, als Lohn für meine Mühe mit Ihnen.«

Er legte die Jeans zusammen. Mein schlichtes weißes T-Shirt schien ihn nicht so sehr zu interessieren. Allerdings fiel ihm das Schildchen am Rücken auf. »Es wurde in Indien hergestellt. Das heißt also, dass die Handelswege in Ihrer Zeit nach wie vor offen sind?« Ohne auf meine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Ich bin nie in Indien gewesen. In Jamaika, ja, sogar zweimal, aber nie in Indien.«

Ich musste an den schwarzen Strand von Kerala an der Südküste Indiens denken, den ich mit Katrina während einer Drehpause in Mumbai besucht hatte.

Daniel schnupperte. »Was zum Teufel kochst du da, Fergal?«

»Rinderbrühe.«

»Und was verwendest du anstelle des Rindfleischs?«

Fergal bedachte ihn mit einem betrübten Blick. »Salzfleisch, damit Eva damit umzugehen lernt.«

»Das wäre nicht das Erste, was ich zu kochen lernen wollte«, gab Daniel zu bedenken.

»Suchst du eine sinnvolle Beschäftigung?«, fragte Fergal. »Wir brauchen Brennholz für die Spülküche. Wenn du Zeit hast, dir ein Urteil über meine Kochkünste zu erlauben, kannst du auch zum Holzschuppen gehen.«

Daniel sah mich an. »Kommen Sie mit?«

»Zum Holzschuppen?«

»Die Arbeit ist zu zweit erträglicher.«

Ich begleitete ihn ins grelle Licht der Sonne auf dem Hof.

»Hat Fergal Ihnen den Brunnen gezeigt?«, fragte Daniel, als wir daran vorbeigingen.

»Und den Garten und wo sich alles im Haus befindet. Er hat mir sogar gezeigt, wo der Apfelwein ist.«

»Tatsächlich?«

Ich nickte. »Er wollte sicher sein, dass ich nicht verdurste, wenn kein Ale da ist.«

»Und was machen Sie, wenn es auch keinen Apfelwein mehr gibt?«

»So lange würden Sie nicht wegbleiben.«

»Wenn alles gut geht, nicht, das stimmt. Aber auf See kann viel passieren.« Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Da wäre noch ein anderer Ort, an dem Sie Wein finden könnten, doch der Weg dorthin erfordert Trittsicherheit und etwas Mut.«

»Die Höhle unter dem Cripplehorn.«

»Woher kennen Sie sie?«

Ich sah keine Veranlassung zu lügen. »Aus einem Buch, und mein Freund, der hier wohnt, hat als Junge in der Höhle gespielt. Er hat sie mir gezeigt.«

»Wie sieht sie aus?«

»Sie ist praktisch leer; es liegen nur noch ein paar alte Fässer darin, die wohl nicht die Ihren sind.« Die Sache mit dem Dolch verschwieg ich ihm. »Wenn Sie das beruhigt: In dem Buch steht, dass niemand je Ihr Versteck verraten hat.«

Kurz vor dem Holzschuppen blieb er stehen, um mich ungläubig anzusehen. »Das steht in dem Buch? Ist darin auch von mir die Rede?«

Ich nickte zögernd.

»Wird mein Name genannt?«

Ich versuchte, mich zu erinnern. »Ihr Name kommt nicht vor. Es heißt nur ›die Butler-Brüder von Trelowarth‹.«

»Warum erwähnt der Verfasser uns überhaupt?«

Ich holte tief Luft. »Weil Sie in Ihrer Zeit bekannte Schmuggler waren. Es ist ein altes Werk.« Ich verriet ihm nicht, dass Jack eines Tages selbst ein Buch verfassen würde. »Ein Naturführer über Vögel, Felsen und Bäume mit kurzen Ausflügen in die örtliche Geschichte. Es steht lediglich darin, dass Sie Schmuggler waren, die Leute hier Sie schätzten und Sie die Höhle unter dem Cripplehorn benutzten.«

Daniel überlegte.

»Und wie sind Sie auf dieses Buch gestoßen?«

Ich hob das Kinn. »Ich wollte mehr über Sie erfahren.«

»Ach. Den Dingen, die man in Büchern liest, sollte man nicht vertrauen. Wenn Sie etwas wissen wollen, müssen Sie nur fragen.«

Wenn er mich so anlächelte, fiel es mir schwer, eine vernünftige Frage zu formulieren oder überhaupt etwas zu sagen. Außerdem erschienen mir plötzlich alle Fragen unwichtig.

Zu meiner Erleichterung wandte er den Blick ab, um zum Himmel hinaufzuschauen. »Ich glaube, wir haben Zeit, ein wenig spazieren zu gehen.«

»Das Feuerholz … und Fergals Essen …«

»Wird in einer Stunde genauso ungenießbar sein wie jetzt. Salzfleisch ist unzerstörbar. Es überdauert jede Zivilisation.«

Und so ließ ich mich von ihm am Holzschuppen und am Feld hinter den Ställen vorbei zu dem gepflegten Garten hinaufführen, wo Fergal sein Gemüse anbaute.

Hier wehte ein starker Wind, der mir den Rock um die Beine blies und es mir schwer machte, den vor mir gehenden Daniel zu verstehen, wenn er etwas sagte. Er musste den Kopf zu mir wenden, um eine Frage zu wiederholen. »Können Sie reiten?«

Ich bejahte. Nicht sonderlich gut, aber ich konnte es.

»Dann bringe ich Sie zu meiner Lieblingsstute. Vielleicht werden Sie sie irgendwann einmal reiten. Kommen Sie, die Koppel ist nicht weit weg.«

Ich wusste nicht, welche Weide er meinte. Der Hügel hatte sich im Lauf der Jahrhunderte verändert. Was ich als Gartenanlagen mit Mauern und Hecken kannte, war nun offenes Land mit hohem, windgepeitschtem Gras, und der Wald lag zu meiner Linken. Wir erreichten die Hügelkuppe und die Straße, die jetzt ein furchiger, grasüberwachsener Feldweg war. Sie verlief so wie in meiner Zeit, und ihre Windungen ergaben auf einmal einen Sinn, als ich den Baum sah, um den sie sich herumwand.

Die alte Eiche trotzte mit ihren dicken Ästen dem Wind. Der Weg führte geradewegs auf sie zu, machte eine Kurve um den Baum und den Hügel herum und verlief weiter in Richtung St. Non’s. Die Eiche sah aus, als würde sie noch viele Jahre an dieser Stelle stehen, doch ich wusste, dass es sie in meiner Zeit auf dem Anwesen von Trelowarth nicht mehr gab. Und ich hatte auch nie etwas über sie gehört.

»Wirklich?«, meinte Daniel, als ich es ihm erzählte. »Wurde sie gefällt?«

»Ich weiß es nicht.« Ich würde Oliver fragen.

»Hier würde niemand es wagen, die Eiche von Trelowarth abzuschlagen«, erklärte Daniel. »Der Volksglaube ist stark in dieser Gegend, und ein einzelner Baum, besonders eine Eiche, wird als heilig erachtet. Bitten Sie doch Fergal, Ihnen etwas über Eichen zu erzählen«, schlug Daniel mit einem Lächeln vor. »Er glaubt zwar nicht an Hexen, ist aber dem Volksglauben durchaus zugetan.«

Die Bewohner von Irland, Cornwall und Wales stammten von den Kelten ab, und Mythen und Aberglaube verbanden sie. Fergals »Volksglaube« würde sich also nicht allzu sehr von dem unterscheiden, woran Claires Großmutter geglaubt hatte. Meine Neugierde war geweckt.

Die Blätter eines niedrigen Astes strichen sanft über mein windzerzaustes Haar, als ich mit Daniel vom Feld auf den Weg trat. Die Kirche sah bis auf den Friedhof, der kleiner und verlassener wirkte, aus wie in meiner Zeit und stand frei, ohne Wald und schützende Steinmauer, da. Ich schaute verstohlen über die Schulter, doch von dieser Stelle aus konnte ich Ann Butlers Grab nicht entdecken.

»Keine Angst«, beruhigte Daniel mich, der meinen Blick falsch deutete. »Zu dieser Zeit sind auf der Straße nicht viele Menschen unterwegs, und außerdem sind Sie in meiner Begleitung sicher.« Er verlangsamte seine Schritte, sodass ich zu ihm aufschließen konnte.

Nach einer Wegbiegung gelangten wir an ein langes, flaches Stück Land mit Zaun und Tor. Im Gras erkannte ich die dunkle Linie eines schmalen Bachs, der die Koppel durchquerte, unter dem Zaun sowie unter einer Holzbrücke hindurchführte und schließlich den Wasserfall speiste, der sich über das Cripplehorn ergoss.

»Hier lassen wir die Pferde weiden, wenn wir nicht zu Hause sind«, teilte Daniel mir mit.

Die schattenspendenden Bäume, das fließende Wasser und das üppig grüne Gras machten dieses Feld zu einem Paradies für Pferde.

»Von hier wollen die Tiere bestimmt nur ungern in den Stall zurück«, bemerkte ich.

»Aye, wahrscheinlich verfluchen sie mich jedes Mal, wenn ich sie hole.«

Im Moment stand nur eine braune Stute auf der Koppel. Sie schaute uns vom anderen Ende der Weide aus an und schien tatsächlich nicht sonderlich begeistert, als Daniel pfiff. Sie hob den Kopf und blieb, wo sie war.

Daniel lachte und pfiff noch einmal.

Die Stute rührte sich nicht von der Stelle, doch von der Straße hörte ich das Klappern von Hufen. Ich drehte mich um, und Daniel trat einen Schritt näher zu mir. Obwohl ich nicht sah, wie sich seine Hand zum Gürtel bewegte, wusste ich, dass er den Dolch herauszog.

Wir hatten keine Zeit, uns zu verstecken. Die Pferde erreichten bereits die kleine Brücke und überquerten sie nacheinander. Jack saß auf dem vorderen.

Mir fiel auf, dass seine Hände seltsam starr auf dem Nacken des Pferdes lagen. Kurz darauf sah ich das Seil, mit dem sie zusammengebunden waren, und seinen warnenden Blick in unsere Richtung.

Hinter ihm ritt mit zufriedener Miene der Constable, begleitet von einem kleinen Mann, den ich nicht kannte, sowie einem halben Dutzend anderer Leute, die keinen allzu glücklichen Eindruck machten, als sie Daniel am Straßenrand entdeckten.

Daniel stellte sich vor mich, so dicht, dass ich die Klinge des Dolches in seiner Faust, halb verborgen unter dem Ärmel seiner Jacke, erkennen konnte.

Dann trat er auf die Straße und ergriff mit der freien Hand die Zügel des Pferdes, auf dem sein Bruder saß. »Jack«, begrüßte er seinen Bruder in einem Tonfall, als wäre er betrunken nach Hause gekommen. »Was hat das zu bedeuten?«