SECHS
Das Blau des Frühlingsabends verlockte uns zu einer Radtour in den Zentralpark. Iida winkte den vorbeilaufenden Hunden zu und brachte mich zum ersten Mal an diesem Tag zum Lachen.
»Du hast sicher keine Zeit, am Wochenende nach Inkoo zu fahren und das Boot klarzumachen«, meinte Antti, als wir anhielten, um Leberblümchen zu pflücken.
»Nein. Aber fahrt ihr ruhig ohne mich«, antwortete ich niedergeschlagen. Ich führte nicht einmal mehr Buch über meine Überstunden, weil ich ohnehin keine Gelegenheit haben würde, sie abzufeiern. Es wäre schön gewesen, nach Inkoo zu fahren, das Boot von Anttis Eltern, dessen Pflege in den letzten Jahren vor allem die Familie seiner Schwester und wir übernommen hatten, zu säubern, das Aufbrechen der Eisdecke zu beobachten und den Vogelscharen zu lauschen. Doch ich würde das Wochenende auf dem Präsidium verbringen müssen, so abgespannt ich auch war.
Seit einiger Zeit fühlte ich mich ständig müde, denn ich schlief unruhig und hatte entsetzliche Albträume. Obwohl Stroms Tod bereits anderthalb Jahre zurücklag, sah ich mindestens einmal in der Woche im Traum die Hirnmasse in seinem peinlich aufgeräumten Zimmer und glaubte sogar Blut und Pulverqualm zu riechen. Ich grübelte immer noch darüber nach, ob ich seinen Selbstmord hätte verhindern können. Tommi Laitinens Aussage hatte mir Ström besonders lebhaft ins Gedächtnis gerufen. Ich hatte ihn meistens gehasst, doch jetzt vermisste ich ihn.
Der Herbst vor anderthalb Jahren, als ich aus dem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt war und die Leitung des Gewaltdezernats übernommen hatte, war die schwerste Zeit meines Lebens gewesen. Stroms Tod war nicht das einzige Ereignis, das ich so gut wie möglich zu verdrängen versuchte. Im ersten Winter als Dezernatsleiterin hatte ich härter gearbeitet als je zuvor, und auch das zweite Jahr hatte keine Erleichterung gebracht, obwohl ich in meinen Entscheidungen sicherer geworden war. Es fiel mir immer schwerer, nach Feierabend abzuschalten. Am ehesten gelang es mir beim Segeln und beim Spielen mit Iida. Selbst beim Joggen dachte ich mittlerweile viel zu off über ungelöste Fälle nach.
Iidas Gummistiefel machten schmatzende Geräusche auf der feuchten Waldwiese, auf der bereits das erste Grün ans Licht drängte. Die Leberblümchen leuchteten unwirklich im winterfahlen Wald. Iida durfte einige pflücken, doch die meisten ließen wir stehen, damit sich auch andere daran freuen konnten. Iida entdeckte einen umgestürzten Baumstamm, den sie zum Pferd umfunktionierte. Die Zweige dienten ihr als Zügel. Wir betrachteten ihre Reitübungen, und ab und zu glaubte ich beinahe, ein rotbraunes Pony zu sehen. Ich setzte mich auf einen Baumstumpf, Antti hockte sich vor mir auf den Waldboden, legte den Kopf in meinen Schoß und sagte: »Die erste Auflage haben wir gut hingekriegt. Wie würde wohl die zweite aussehen? «
»Hast du immer noch Lust, es zu probieren? «, fragte ich leichthin, obwohl ich wieder die gewohnte Beklemmung aufkommen fühlte. Ich brachte es einfach nicht fertig, mich für ein zweites Kind zu entscheiden. Würde ich es später bereuen, wenn Iida ein Einzelkind blieb?
Vor dem Einschlafen las ich Iida aus »Pettersson und Findus« vor und lachte zum zweiten Mal an diesem Tag. Im Allgemeinen war Antti bei uns derjenige, der in Trübsinn versank und Abende lang die Wände anstarrte, ein Glas Rotwein in der Hand. In diesem Frühjahr hatte ich ihm oft Gesellschaft geleistet, allerdings meist mit Whisky statt mit Rotwein. Diesmal begnügte ich mich mit Kamillentee, denn am nächsten Morgen würde ich den Fall Ilveskivi ganz neu aufrollen müssen.
Obwohl ich mich schon um elf ins Bett legte, fand ich keinen Schlaf. Antti schlummerte friedlich. Ich betrachtete sein scharfes Profil, die schwarzen Augenbrauen, die Hakennase, die Lippen, die im Schlaf zuckten. Vorsichtig drückte ich mich an ihn und war schon fast ganz entspannt, als ich plötzlich an Tommi Laitinen denken musste, der wahrscheinlich auch nicht schlafen konnte. Der Gedanke hielt mich bis fast drei Uhr wach.
Am nächsten Morgen segnete ich den Kamillenteebeutel, der auf der Spüle liegen geblieben war. Iida wunderte sich, als ich beim Kaffeetrinken abwechselnd ein Auge mit dem Teebeutel bedeckte. Als ich Antti von meinen Schlafproblemen erzählte, machte er ein besorgtes Gesicht und ließ mich schwören, ihn beim nächsten Mal zu wecken.
»Ein mieses Gefühl, dich allein zu lassen. Geh doch heute Abend mit irgendwem ins Kino, damit du auf andere Gedanken kommst«, sagte er und wühlte mit dem Gesicht in meinen Haaren.
»Mal sehen, vielleicht kann ich ja morgen Abend nach Inkoo nachkommen«, meinte ich optimistisch. Womöglich brachte die Morgenbesprechung eine positive Entwicklung im Fall Ilveskivi.
Meine Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht. Unsere Ermittlungen steckten fest. Jani Väinölä war unschuldig, und andere Verdächtige hatten wir bisher nicht. Aufgrund der Augenzeugenberichte hatte ein Polizeizeichner ein Phantombild des Motorradfahrers erstellt, das jedoch ausgesprochen vage war.
»Wann bekommen wir die DNA-Analyse von der Zigarettenkippe, die in der Nähe des Tatorts lag? «, fragte ich Koivu.
»Nächsten Dienstag. An Ilveskivis Jacke wurden drei verschiedene Haare gefunden, die auch zur DNA-Analyse geschickt wurden. Ein teurer Spaß, aber was will man machen. «
»Richtig. Was ist mit dem Jogger, der Ilveskivi gefunden hat, und mit den anderen Zeugen, die vor den Sanitätern am Tatort waren? Hat sich bei ihren Vernehmungen etwas Neues ergeben? «
Puupponen schüttelte den Kopf.
»Der Mann hat ziemlich genau beschrieben, in welcher Stellung Ilveskivi auf dem Boden lag, davon haben wir eine Zeichnung. Wir müssen sie noch mit dem Bericht des Gerichtsmediziners vergleichen. «
Der einzige Ermittlungsstrang, von dem wir noch etwas erwarten konnten, war Puustjärvis Liste der ins Profil passenden Gewohnheitsverbrecher. Sechs von ihnen besaßen ein Motorrad, davon fünf eine Harley-Davidson. Ich bat Puustjärvi und Lehtovuori, das Alibi der sechs Männer zu überprüfen.
Puupponen blieb nach der Besprechung im Sozialraum und verwickelte mich in ein Gespräch über die anstehende Eishockey-WM, die mich herzlich wenig interessierte. Erst als der letzte Kaffeetrinker gegangen war, fragte er wie nebenbei: »Sag mal, Maria, stimmt es, dass Frauen bei einem Mann als Erstes auf den Hintern gucken? Sprecht ihr zum Beispiel von einem knackigen Po? «
»Hat dir jemand gesagt, du hättest einen? Warum auch nicht, an deinem Hintern ist nichts auszusetzen«, scherzte ich, doch Puupponen lief rot an, bis sein Gesicht fast die Farbe seiner Haare hatte und die Sommersprossen auf den schmalen Wangen nicht mehr zu erkennen waren. Erst da wurde mir bewusst, dass ich meinen männlichen Chefs einen ähnlichen Kommentar über meine körperlichen Vorzüge übel genommen hätte. Hatte Puupponen mich absichtlich zu einer Äußerung verleitet, die man als sexuelle Belästigung auslegen konnte? Ich verwarf diesen Gedanken jedoch, denn er blieb hartnäckig bei seinem Thema: »Um meinen Arsch geht es nicht, aber gucken Frauen wirklich…«
»Ich glaub, das ist genau so ein Klischee wie die Behauptung, Männer guckten als Erstes auf den Busen. «
»Worauf achtest du denn bei einem Mann zuerst? « Sein Gesicht wurde noch röter.
»Hmm… auf sein Gesicht wahrscheinlich, auf das Mienenspiel. Wieso? «
»Na ja… Ich hab nur über eine Frau nachgedacht. Ob sie zum Beispiel denken könnte, der hat aber einen tollen Hintern. «
Ich sah ihn verwundert und belustigt an. Worum in aller Welt ging es?
»Natürlich kann ihr der Gedanke durch den Kopf gehen. Wenn du so eine Bemerkung gehört hast, kann es durchaus sein, dass die Frau dich gemeint hat. «
»Es geht hier nicht um mich! «, knurrte Puupponen und stürmte mit erdbeerrotem Gesicht hinaus. Ich starrte ihm verblüfft nach. Er hatte eine ganz normale, schlanke Figur, ohne besondere Mängel oder Vorzüge. Sein sommersprossiges, jungenhaftes Gesicht wirkte sympathisch, sein großer, ständig grinsender Mund verriet, dass er Humor besaß. Zweifelte er an seinen Chancen bei den Frauen, oder was war mit ihm los?
Der Obduktionsbericht, den ich auf meinem Schreibtisch vorfand, ließ mich Puupponens merkwürdige Frage vergessen. Nach Ansicht des Gerichtsmediziners hatten Ilveskivis Stichwunden stark pulsiert, sodass der Täter aller Wahrscheinlichkeit nach Blutspritzer abbekommen hatte. An einer schwarzen Motorradkluft stachen sie kaum ins Auge; dennoch wunderte es mich, dass niemand einen blutbespritzten Nachbarn oder Passanten gesehen haben wollte.
Eine halbe Stunde später rief Puupponen an und bat mich, niemandem von der Poszene, wie er es nannte, zu erzählen. Meine Verwirrung wuchs, doch ich versprach ihm, Stillschweigen zu bewahren. Die Kollegen versuchten ständig, ihm seinen Ruf als schlagfertigster Witzbold der ganzen Mannschaft streitig zu machen und seine treffenden Frotzeleien zu überbieten. Natürlich würde ich den Mund halten.
Endlich hatte ich einmal Zeit, mit Taskinen zu Mittag zu essen. Am angenehmsten wäre es natürlich gewesen, in ein Restaurant zu gehen, wo man sich ungestört unterhalten konnte, aber dazu war die halbstündige Mittagspause zu kurz. Da wir in der Kantine des Polizeigebäudes keine allzu privaten Dinge besprechen konnten, begnügten wir uns damit, über die offenen Fälle und über Siljas Unfall zu reden.
»Nächste Woche findet das Seminar ›Sichere Stadt 2000‹ statt«, erinnerte Taskinen. »Es wäre gut, wenn ihr den Fall Ilveskivi bis dahin aufklären könntet. «
»Na klar, damit wir den städtischen Entscheidungsträgern eine makellose Fassade präsentieren können. Warum hab ich nur versprochen, einen Vortrag zu halten! Allerdings werde ich mich auf die Probleme konzentrieren, über die im Allgemeinen geschwiegen wird, wie z. B. häusliche Gewalt. Das Publikum will natürlich viel lieber hören, wie man sich als anständiger Bürger vor Drogengangstern und Teufelsanbetern schützt. «
Taskinen lachte auf und erwiderte, nach Siljas Unfall würde er am liebsten über den Verfall der Verkehrsdisziplin sprechen, doch man habe ihn ausdrücklich um einen Vortrag über Firmenschutz und über den Kampf gegen Drogenkriminalität gebeten.
»Dann solltest du darauf hinweisen, dass die Stadt in puncto Sicherheit immer deutlicher in zwei Klassen zerfällt. Die Reichen an der Küste können es sich leisten, Zigtausende für Alarmanlagen in ihren protzigen Villen und Luxusautos auszugeben, während sich in irgendwelchen Hochhaussiedlungen die Rentnerinnen aus Angst vor Fixern nicht mehr zum Bankautomaten trauen, um ihre wöchentlichen fünfhundert Mark abzuheben. «
»Und du findest es natürlich wichtiger, den Fünfhunderter einer alten Frau zu schützen als die Yachten der Reichen«, sagte Taskinen und lächelte mich an. »Fein, dass du deinen Punkergeist noch nicht ganz verloren hast. Mitunter redest du so zynisch, dass ich mir schon Sorgen gemacht habe. «
Es fiel mir schwer, seinen Blick zu erwidern, denn ich hatte in letzter Zeit besorgt festgestellt, dass ich mich kaum noch für etwas begeistern konnte und ständig erschöpft war. Wie um ihn und mich selbst zu beruhigen, zog ich weiter über die städtischen Entscheidungsträger her. Taskinen steuerte die Kommentare seiner Frau Terttu bei, die als Koordinatorin für Kindertagespflege bei der Stadtverwaltung arbeitete und sich darüber ärgerte, dass die Kinderbetreuung mehr und mehr privatisiert wurde und man arbeitslosen Eltern, die ihre Kinder in der Hoffnung auf eine neue Stelle nicht zu Hause betreuten, ein schlechtes Gewissen einredete.
Taskinen beteiligte sich selten an Politikerschelte und Weltverbesserungsdiskussionen, aber diesmal zogen wir beide kräftig vom Leder und lachten so laut, dass Laine vom Begeka, dem Dezernat für Berufs und Gewohnheitskriminalität, mit neugierig hochgezogenen Augenbrauen hinter einer Grünpflanze hervorspähte.
»Was amüsiert die werten Kollegen denn derartig? Vielleicht der Terroranschlag gegen die Baustelle an der Schnellstraße? War dein Mann daran beteiligt, Kallio? «, fragte er scheinbar scherzhaft.
In der vorigen Nacht hatten Umweltschützer auf der einige Kilometer von unserem Haus entfernten Baustelle wieder »Naturmörder« auf einen Bagger gesprayt.
Antti hatte mit der Aktion natürlich nichts zu tun, aber Laine hatte ihn einmal auf einer Demonstration gegen privaten Autoverkehr gesehen und hielt ihn seither für einen Ökoterroristen, was er mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase rieb. Zwar maskierte er seine Bemerkungen als Scherz, konnte seine tiefe Empörung aber nie ganz verhehlen. Bisher hatte ich es geschafft, mich nicht provozieren zu lassen.
Laine nahm unaufgefordert an unserem Tisch Platz. Taskinen setzte sofort eine seriöse Miene auf und wechselte das Gesprächsthema, während ich rasch meine Gemüselasagne aufaß und mich in mein Dienstzimmer verzog.
Als Puustjärvi gegen eins anklopfte, sah ich ihm sofort an, dass etwas Entscheidendes passiert war.
»Eine seltsame Geschichte, Maria. Ich habe gerade bei einem der Kandidaten auf meiner Liste angerufen, Marko Seppälä heißt er. Dort hat sich ein vielleicht siebenjähriger Junge gemeldet und gesagt, sein Vater sei seit ein paar Tagen weg. Er sei am Dienstag mit blutigem Gesicht nach Hause gekommen und gleich wieder gegangen. Sein Motorrad sei auch nicht mehr da. Als ich fragte, woher er wisse, dass es am Dienstag war, sagte er, dienstags käme ›Stadtmaus und Feldmaus‹ im Fernsehen, und seine alberne kleine Schwester gucke sich das immer an. «
»Stimmt, Iida ist auch ganz verrückt auf die Serie. Was hat die Mutter gesagt? «
»Die war nicht zu Hause. «
»Erzähl mir was über diesen Seppälä. Weshalb ist er vorbestraft? «
Puustjärvi reichte mir den Strafregisterauszug. Marko Tapani Seppälä war 1971 geboren und mit siebzehn Jahren wegen einer Reihe von Autodiebstählen zum ersten Mal auf Bewährung verurteilt worden. Mit achtzehn war er bei einem bewaffneten Raubüberfall erwischt worden und hatte zwei Jahre in einer Jugendstrafanstalt gesessen. In den neunziger Jahren hatte er in regelmäßigen Abständen kurze Gefängnisstrafen wegen Körperverletzung und Eigentumsdelikten abgesessen, er war mittlerweile vom Autoknacker zum Hehler aufgestiegen. Rauschgiftdelikte standen nicht auf der Liste, aber ich stellte fest, dass er zur gleichen Zeit wie Jani Väinölä und der Drogenkönig Salo in der Haftanstalt Sörkka eingesessen hatte und dass einer seiner Hehlerkumpane als Dealer für Salo arbeitete.
»Der Kerl ist ja häufiger hinter Gittern als zu Hause. Wie hat er es fertig gebracht, zu heiraten und drei Kinder zu zeugen? «, fragte ich und versuchte meine Aufregung zu verbergen. Das Profil des Zufallstäters passte mit gewissen Abstrichen auf Seppälä. Oder war er ein Kumpel von Jani Väinölä? Hatte Väinölä ihn auf Petri Ilveskivi gehetzt?
»Seppälä fährt eine Kawasaki 750 GPZ, und einer der Zeugen hat geschworen, die Nockenkette an dem Motorrad hätte heruntergehangen wie bei seiner alten Kawasaki. Von denen, die das Motorrad gesehen haben, wirkte er am zuverlässigsten. Der kleine Junge, der bei Seppäläs ans Telefon gegangen ist, meinte, seine Mutter käme um drei nach Hause. Sollen wir hinfahren und sie vernehmen? «
»Ja, aber zuerst müssen wir uns Väinölä nochmal vorknöpfen«, sagte ich und rief im Zellentrakt an.
»Kallio, Gewalt eins. Ist Väinölä noch im Haus? «
»Ich weiß nicht. Kann sein, dass er schon raus ist, Kettunen hat vor zwei Minuten seine Entlassungspapiere quittiert. «
»Scheiße! «, fluchte ich. »Komm, Petri, wir müssen ihn stoppen. «
Puustjärvi war langsamer als ich. Bevor er reagierte, hatte ich bereits das Treppenhaus erreicht. Der Zellentrakt befand sich im Erdgeschoss des Polizeigebäudes, das Gewaltdezernat im fünften Stock. Ich stürmte ins Vestibül und wäre beinahe gegen das Maskottchen der Polizei, einen großen Plüschpolypen geprallt.
Jani Väinölä war nirgends zu sehen. Ich lief zum Schalter des Diensthabenden gleich neben der Tür.
»Hast du einen Glatzkopf in einer Bomberjacke gesehen, mit einer Hakenkreuztätowierung am Hinterkopf? «
»Ist vor einer Minute rausgegangen. Er hat sich schon im Windfang einen Glimmstängel angesteckt, ganz demonstrativ«, sagte der Beamte entrüstet, der selbst vor einem halben Jahr mit dem Rauchen aufgehört hatte.
Ich lief hinaus und sah mich um. Einige hundert Meter weiter schlurfte Väinölä über den Parkplatz. Meine Büroschuhe waren eigentlich zu dünn zum Laufen, doch schon nach zwei Minuten hatte ich ihn eingeholt.
»Findest du mich so sexy, dass du mir nachrennst? «, grinste Väinölä, als ich mich keuchend vor ihm aufbaute. Puustjärvi kam in aller Seelenruhe aus dem Gebäude. Die Sonne schien plötzlich so warm wie im Juli, ich fror überhaupt nicht, obwohl ich nur ein dünnes T-Shirt anhatte.
»Nein. Aber du musst nochmal mitkommen. «
»Wieso? Ich bin doch gerade erst entlassen worden. Anscheinend habt ihr wen gefunden, der bezeugen kann, dass ich weit weg war, als der warme Bruder abgestochen worden ist. «
»Wir haben trotzdem noch ein paar Fragen. Also los! «
Er sah mich von oben herab an. In meinen flachen Schuhen maß ich gerade einssechzig, und Väinölä holte aus den knapp zehn Zentimetern Größenunterschied das Letzte heraus. Er zündete sich die nächste Zigarette an und blies mir den Rauch direkt in die Augen. Beinahe hätte ich über die Hingabe schmunzeln müssen, mit der er den harten Burschen mimte.
»Willst du mich schon wieder festnehmen, du Tussi? Mit welcher Begründung? «
»Wenn es sein muss, kann ich dich auch festnehmen. Ich möchte über deinen Bekanntenkreis mit dir reden. «
Endlich kam auch Puustjärvi an. Ein Schweißtropfen lief ihm über die Nase, er zog ein blau kariertes Tuch aus der Hosentasche und wischte ihn ab.
»Bilden sich die Drogenfahnder etwa ein, ich würde dem Gewaltdezernat verraten, wer von meinen Freunden dealt? Komische Logik. «
»Dealer interessieren mich nicht. Aber über Marko Seppälä könntest du mir was erzählen. «
Es war schwer, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. War er erleichtert?
»Wer soll das sein? Den Namen hab ich nie gehört. « Er setzte sich wieder in Bewegung, mit schnellen, kurzen Schritten, bei denen die dicken Oberschenkel aneinander rieben. Es fiel mir nicht schwer, mit ihm Schritt zu halten.
»Du erinnerst dich nicht an ihn? Ihr wart sechs Monate zusammen in Sörkka. «
»Das ist eine Riesenanstalt, da kann man nicht alle kennen. «
»Auch nicht, wenn man im selben Trakt sitzt? «, fragte ich auf gut Glück. In Wahrheit hatte ich keine Ahnung, in welcher Abteilung die beiden untergebracht gewesen waren.
»Ist das so ein magerer Kerl mit Rattengesicht, Triefnase und lächerlich langen Haaren? Handelt mit geklauten Fahrrädern und so 'nem Zeug? Den kenn ich nur vom Sehen, mit solchen Clowns geb ich mich nicht ab«, sagte Väinölä großspurig.
Ich überlegte kurz. Eigentlich war es gleichgültig, ob Väinölä die Wahrheit sagte, viel wichtiger war im Moment, Marko Seppälä zu finden.
»Wenn dir noch etwas zu Seppälä einfällt, ruf an. Du erreichst mich im Präsidium«, sagte ich fröhlich, als ginge es um einen Flirt, und machte auf dem Absatz kehrt. Puustjärvi brauchte zehn Sekunden, bis er auf die Idee kam, mir zu folgen.
»Was sollte das denn? «, fragte er aufgebracht, als er mich am Eingang endlich eingeholt hatte.
»Ich wollte nur Väinöläs Reaktion testen. Er hat Reiseverbot, wenn nötig, schnappen wir ihn uns wieder. Fährst du nachher mit Lehtovuori zu Frau Seppälä? «
»Lehtovuori musste zum Zahnarzt und kommt heute nicht mehr. Er war heute früh schon ganz nervös, weil ihm ein Weisheitszahn gezogen wird. Der Anblick von Blut macht ihm gar nichts aus, solange es nicht sein eigenes ist. «
»Typisch Mann! «, lachte ich. Dann hörte ich mich plötzlich sagen: »Ich kann mitkommen. Immer noch besser, als am Schreibtisch zu versauern. Um drei, sagst du? «
Puustjärvi nickte, wirkte aber konsterniert. Hoffentlich nahm er nicht an, dass ich ihn kontrollieren wollte.
»Die Vernehmung kann uns immerhin den Durchbruch bringen. Jedenfalls klingt die Sache viel versprechend. «
»Meinst du, man kann sich auf die Worte eines Erstklässlers verlassen? «, wandte Puustjärvi ein, doch ich ließ mich nicht beirren.
Vor der Abfahrt besorgten wir uns weitere Informationen über Marko Seppälä. Bei seiner letzten Haftstrafe hatte er um Versetzung in den drogenfreien Trakt gebeten, was darauf schließen ließ, dass er Probleme mit dem Stoff oder mit Dealern hatte. Er hatte nach der Geburt seines ersten Kindes geheiratet, damals war er neunzehn und seine Frau Suvi siebzehn gewesen. Mittlerweile hatten die beiden drei Kinder, die neunjährige Janita, den siebenjährigen Tony, mit dem Puustjärvi am Telefon gesprochen hatte, und die dreijährige Diana. Vom Begeka-Dezernat erfuhr ich Einzelheiten über Seppäläs Karriere. Wer weiß, welche Berufsangabe in seiner Steuererklärung stand, jedenfalls hatte er sich in Bagatelldelikten solide Fachkenntnisse angeeignet. Der bewaffnete Raubüberfall hatte einem Kiosk gegolten, wo er die Verkäuferin mit einem Messer zur Herausgabe der Kasse gezwungen hatte. Die Beute belief sich auf achthundert Finnmark und drei Schachteln Zigaretten. Vor vier Jahren hatte er einen Passanten zusammengeschlagen, der ihm keine Zigarette geben wollte. Durchaus denkbar, dass er Petri Ilveskivi aus einem ähnlich banalen Grund angegriffen hatte.
Um Viertel vor drei machten wir uns in meinem zivilen Dienstwagen auf den Weg nach Kauklahti. Puustjärvi ertrug offenbar keine Stille, denn er schaltete das Autoradio ein und drehte so lange an der Senderwahl, bis er Tangomusik fand. Seine Wahl überraschte mich, denn ich hatte erwartet, dass ein Go-Spieler mittleren Alters eher klassische Musik bevorzugte.
Die Seppäläs wohnten in einem flachen Plattenbau mit Blick auf eine idyllische Ackerlandschaft. Nicht zum ersten Mal wunderte ich mich über die Doppelgesichtigkeit der Stadt, in der ich lebte. Mitten im ländlichen Gebiet war das hässlichste Stadtzentrum Finnlands entstanden, doch unmittelbar dahinter erstreckten sich immer noch fast unberührte Wälder. Die Zeit der Kontraste war allerdings bald abgelaufen, in einigen Jahren würden alle Grüngürtel zugebaut sein. Die Preise waren in die Höhe geschnellt wie ein Stabhochspringer der Weltklasse. Auch für unser Haus und das einen halben Hektar große Grundstück müsste man mittlerweile weit über eine Million hinblättern. Da das Baurecht auf dem Grundstück noch nicht ausgeschöpft war, würde die Erbengemeinschaft, der es gehörte, über kurz oder lang der Versuchung nachgeben, es zu verkaufen. Man würde uns natürlich ein Vorkaufsrecht anbieten, aber wir waren uns nicht sicher, ob wir davon Gebrauch machen wollten, denn die Umgebung hatte sich in den letzten Jahren radikal verändert.
»Das Haus hat die Nummer J 62. Hier ist ein Parkplatz für Besucher. «
Ich parkte in der schmalen Bucht und versuchte mich aus dem Wagen zu winden, ohne mir an den Büschen die Kleider zu zerreißen. Zwischen den Autos spielten Kinder, eine prachtvolle rotbraune Katze lag auf einer Treppenstufe und genoss den wärmsten Tag des Frühlings. Ich begrüßte sie freundlich, worauf die Katze mich anblinzelte und sich wohlig reckte, während Puustjärvi belustigt lächelte.
An der Haustür der Seppäläs hing ein gusseisernes Schild mit den Namen aller Familienmitglieder. Vielleicht stammte es aus der Gefängniswerkstatt, womöglich war Marko ein braver Familienvater, der seine Haftzeit zur Anfertigung von Hausrat nutzte. Ich klingelte. Ein mageres, langhaariges Mädchen in einem rosa Spice-Girls-Hemd öffnete. Im Hintergrund war Pistolengeknall zu hören, offenbar lief ein Video.
»Hallo. Ist deine Mutter oder dein Vater zu Hause? «
»Nein. « Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass die sechs witzigen Rattenschwänzchen hin und her flogen. »Mutti kommt aber bald. Wir dürfen keine Fremden reinlassen. «
»Sehr vernünftig. Wir warten draußen«, sagte ich und setzte mich auf die Vortreppe, die in der prallen Sonne lag. Nach dem dunklen, schneereichen Winter erschien mir die Wärme wie ein Luxus, ich sog das Licht auf, als wäre es Medizin. Puustjärvi stand mit grimmiger Miene daneben, fing aber bald an, die trockenen Blätter von dem Klettergewächs an der Hauswand abzuzupfen.
Wir warteten etwa zehn Minuten, dann fuhr ein leuchtend gelber Datsun auf den Hof. Nostalgisch betrachtete ich ihn: Der große Bruder des Bassisten unserer Band hatte das gleiche Modell gefahren. In seinem Datsun hatten wir an regnerischen Abenden gehockt, eine Flasche Bier in der Hand, und die Hurriganes gehört, obwohl mir Clash oder Eppu Normaali lieber gewesen wären.
Die Frau, die aus dem gelben Wagen ausgestiegen war, schleppte sich mit zwei Einkaufstüten ab. Sie hatte die magere Figur eines Menschen, der sich von Kaffee, Zigaretten und Fertigpizza ernährt. Ihre dunkelblaue Jeans war eng geschnitten, um die Augen zog sich ein schwarzer Kajalstrich. Die kurzen, weizenblonden Haare waren am Ansatz dunkel nachgewachsen. Die Frau kam näher und sah uns wütend an. »Was habt ihr hier zu suchen? «
»Kriminalhauptkommissarin Maria Kallio und Kriminalhauptmeister Petri Puustjärvi von der Polizei Espoo, guten Tag«, sagte ich und streckte meine Hand aus. Suvi Seppälä übersah sie geflissentlich.
»Von der Polizei? Haben die Fürsorgeweiber wieder rumspioniert? Ich kann nichts dafür, dass ich für die Blagen so schnell keine Nachmittagsbetreuung gefunden hab, der Kurs ist ganz plötzlich angesetzt worden! Und Marko ist auch oft zu Hause. Verdammt nochmal! « Sie setzte die Einkaufstüte so vehement ab, dass die zuoberst liegende Packung Tiefkühlpommes herausfiel. Dann holte sie eine Zigarettenschachtel aus der Tasche ihrer Lederfransenjacke und zündete sich eine an.
»Deswegen zetern sie auch immer. Nicht mal in der eigenen Wohnung darf ich rauchen, und wenn ich nach draußen geh, beschweren sich die Nachbarn. Sagt den Schnüffelweibern, dass das Arbeitsamt mich gezwungen hat, den Kurs zu machen. Wenn ich nicht hingehe, sperren sie mir die Stütze. Die sollen mir gefälligst einen Kindergartenplatz besorgen oder mich in Ruhe lassen! «
Sie sprach schnell, mit gellender Stimme, die offenbar bis ins Haus zu hören war, denn die Tür ging auf, und ein fröhliches Jungengesicht schaute heraus.
»Mama! Ich war in unserer Klasse der Beste im Weitsprung! «
»Wow, toll! « Als Suvi Seppälä ihren Sohn anlächelte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, alles Harte verschwand. »Nun kommt schon rein und überzeugt euch selbst, dass den Kindern nichts fehlt. «
Sie drückte die Zigarette aus und warf die Kippe in ein fast volles Literglas neben der Tür. Seufzend nahm sie die Einkaufstüten und ging ins Haus.
Im Flur lagen Schuhe bunt durcheinander wie bei uns zu Hause. Nach den Geräuschen, die aus dem Wohnzimmer drangen, lief im Fernsehen gerade eine Verfolgungsjagd ab. Wir folgten Suvi in die enge Küche, wo sie die Tüten auspackte. Sie breitete Pommes, Milch und Fleischwurst vor uns aus, als wolle sie uns zeigen, dass ihre Kinder ausreichend zu essen bekamen.
»Es geht nicht um Ihre Kinder, sondern um Ihren Mann. Wann kommt er nach Hause? «
»Marko? « Der Joghurtbecher in ihrer Hand zitterte unmerklich. »Der ist verreist. «
»Und wann kommt er zurück? «
»Das weiß ich nicht. «
»Ist er irgendwie zu erreichen, über sein Handy zum Beispiel? «
»Er ist auf dem Motorrad unterwegs, und beim Fahren kann er nicht sprechen«, sagte Suvi abweisend. Ihr Gesicht konnte ich hinter der Schranktür nicht sehen. Ich fragte sie nach der Handynummer ihres Mannes, die nicht im Telefonbuch stand.
»Was wollt ihr überhaupt von ihm? «, fragte sie mürrisch und knallte den Kühlschrank zu.
»Seine Telefonnummer«, gab ich ebenso unfreundlich zurück. »Wohin ist er gefahren und wann? «
»Er hat in Kotka was zu erledigen, ist Dienstagabend weggefahren«, murmelte sie ausweichend. »Janita, Tony, habt ihr schon was gegessen? Gut. Ich muss jetzt Diana aus der Kita holen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schwierig es war, sie da unterzubringen, als ich zu dem Ledernähkurs abkommandiert wurde! Die Stadt schert sich einen Dreck um ihre Pflichten. Die hohen Herren brechen nämlich auch das Gesetz, aber die werden nicht wegen jeder Kleinigkeit eingesperrt wie mein Marko. Der kriegt keine Arbeit, weil er so oft gesessen hat. Versucht ihr mal, von der Stütze drei Kinder großzuziehen! «
Sie zündete sich eine Zigarette an, schaltete die Abzugshaube ein und blies den Rauch hinein. Ihre große, glänzende Nase kräuselte sich bei jedem Lungenzug vor Genuss. Der silberne Schlangenring an ihrem schmalen Ringfinger wirkte riesig.
»Hat Marko Bekannte in Kotka, oder übernachtet er im Hotel? «
»Weiß ich nicht. Ich muss jetzt Diana abholen. Sie ist schon seit sieben in der Kita, der beschissene Kurs fängt um acht an, am anderen Ende der Stadt. « Sie stand auf und ging auf Puustjärvi zu, der vor der Küchentür stand.
»Du solltest unsere Fragen lieber beantworten, sonst müssen wir dich aufs Präsidium mitnehmen«, sagte ich streng. Ich verspürte keine große Lust, eine Mutter von drei Kindern festzunehmen, die offensichtlich alle Hände voll zu tun hatte, um den Alltag zu bewältigen, aber ich hatte einen Mord aufzuklären.
»Aufs Präsidium? Ich hab nichts getan! «
»Behinderung der Ermittlungen ist Grund genug für eine Festnahme. Die Kindertagesstätte macht jetzt noch nicht zu. Beantworte uns ein paar Fragen, dann kannst du deine Tochter abholen. «
Wenn sie festgenommen wurde und Marko unauffindbar war, würde das Jugendamt die Kinder in seine Obhut nehmen, das wusste Suvi genau. Sie riss einen Streifen von einem Werbeprospekt ab, schnappte sich den Magnetstift von der Kühlschranktür und schrieb eine Nummer auf.
»Da. Markos Kumpel, ein Gebrauchtwarenhändler in Kotka. Bis gestern hatte Marko sich noch nicht bei ihm blicken lassen. Scheiße, wenn er sich mit einer Frau rumtreibt, bring ich ihn um! «
Ich zählte zwei und zwei zusammen. Sie wusste offensichtlich nicht, wo ihr Mann war, wollte sich ihre Besorgnis aber nicht anmerken lassen.
»Er ist also am Dienstagabend weggefahren«, schaltete sich Puustjärvi ein. »Ist Ihnen irgendetwas Besonderes an ihm aufgefallen? «
»Nein. «
»Tony, komm mal her! «, rief Puustjärvi ins Wohnzimmer, doch der Junge konnte sich offenbar nicht von den Robotern losreißen, die über den Bildschirm wuselten. Also gingen wir zu ihm. Suvi folgte uns auf den Fersen.
»Was wollt ihr von Tony, er ist doch noch ein Kind! Lasst ihn in Ruhe! «
»Tony, erinnerst du dich, dass wir heute am Telefon miteinander gesprochen haben? Du hast gesagt, dein Vati wäre blutig gewesen, als er am Dienstag nach Hause kam«, fing Puustjärvi an, doch Suvi unterbrach ihn.
»Ihr vernehmt meine Kinder nicht ohne meine Erlaubnis, oder ich bringe euch vor Gericht! «, schrie sie und stieß Puustjärvi weg. »Marko hatte ein bisschen Blut im Gesicht, weil er auf irgendeinem Schotterweg einen Stein an die Schläfe gekriegt hat. Die Kinder haben sich erschreckt, das war alles. «
»Benutzt er denn keinen Helm? «, fragte ich.
»Das Visier war hochgeklappt oder was weiß ich. Lasst mir eure Nummer da, dann sag ich Marko, er soll euch anrufen. Mehr kann ich nicht tun. Marko hat sich ein Pflaster ins Gesicht geklebt und ist weggefahren. Er hat gesagt, er müsste was nach Kotka bringen, für einen Antiquitätenhändler, den ich nicht kenne. Schwarzarbeit natürlich, ihr könnt uns also auch noch das Finanzamt auf den Hals hetzen! Jetzt geh ich Diana abholen, also verlasst bitte mein Haus. «
Wir legten unsere Visitenkarten neben das Telefon. Nachdem sie mit uns hinausgegangen war, machte Suvi sich im Laufschritt auf den Weg zur Kindertagesstätte. Ich sah ihr eine Weile nach und warf dann einen Blick in den winzigen Vorgarten. Der Rasen hatte den Winter nicht gut überstanden, an einigen Stellen schimmerte die blanke Erde durch, und dort waren Reifenabdrücke zu sehen.
»Seppälä stellt sein Motorrad offenbar auf dem Rasen ab, weil der Stellplatz von dem Datsun belegt ist. Auf einen derart vagen Verdacht hin bekommen wir bestimmt weder einen Durchsuchungsbefehl noch die Erlaubnis, Gipsabdrücke zu machen, aber wir können die Reifenspur ja mal skizzieren, nur so zum Vergnügen. Vielleicht hat sie dasselbe Muster wie der Abdruck vom Tatort. Du kannst doch gut zeichnen, probier's mal. Aber beeil dich, Suvi Seppälä kommt sicher gleich zurück. «
Puustjärvi machte auf seinem Notizblock eine Skizze und maß die Breite des Abdrucks. Als wir an der Kindertagesstätte vorbeifuhren, sahen wir Suvi Seppälä, die ein aufgeweckt aussehendes Mädchen mit großer Nase in einer Sportkarre schob. Ich dachte an Iida und Antti, die sicher schon auf dem Weg nach Inkoo waren, und hatte plötzlich wahnsinnige Sehnsucht nach den beiden.