SIEBZEHN
Eine Weile stand ich fassungslos da, dann begann ich zu schreien. Iida und Antti rannten an die Tür. Als ich Iidas entsetztes Gesicht sah, bemühte ich mich, die Fassung wiederzugewinnen.
»Antti, bring Iida ins Haus und ruf die Polizei an! Sag ihnen, sie sollen das Bombenentschärfungskommando herschicken. «
Der Briefkasten war völlig zersplittert. Ein Zeitungsfetzen schwebte an mir vorbei: Joggingschuhe 295,-, Skateboard 150,-.
Einstein war nirgends zu sehen. Ich rief nach ihm, doch er maunzte nicht einmal. Dennoch wagte ich nicht, zum Vogelbeerbaum zu gehen, da ich nicht wusste, wie viele Bomben auf dem Grundstück lagen. Ich versuchte, exakt auf demselben Weg zurück ins Haus zu gehen, auf dem ich gekommen war. Neben dem Schuppen stand mein Auto. Auch dort konnte eine Bombe deponiert worden sein.
Antti sprach mit der Notrufzentrale und erklärte ziemlich verworren, was passiert war. Ich übernahm das Gespräch.
»Genau, eine Bombe. Durch Berührung ausgelöst. Menschen sind nicht verletzt, aber unsere Katze wurde getroffen. Natürlich nicht. Gut. «
Iida weinte. Ich strich ihr über die Haare, während ich mit der anderen Hand Koivus Nummer wählte. Antti nahm das Fernglas vom Garderobenhaken und spähte nach Einstein aus.
»Maria hier. Vor unserem Haus ist eine Bombe explodiert. Einstein, ich weiß nicht, ob er noch lebt. Du musst heute die Besprechung leiten, wir kommen hier vorläufig nicht weg. «
Ruhig gab ich ihm meine Anweisungen, als müsste ich zu Hause bleiben, weil Iida Ohrenschmerzen hatte. Koivu war ein Profi und machte kein großes Gerede, er fragte lediglich: »Salo? «
»Wer sonst? Die Sache geht natürlich ans Kriminalamt. «
Ich nahm Iida auf den Arm, um sie zu beruhigen. Manchmal kam sie morgens mit zum Briefkasten, an den Wochenenden holte sie sogar ganz allein die Zeitung und war sehr stolz auf diese Aufgabe. Was, wenn sie heute als Erste nach draußen gegangen wäre? Oder Antti?
»Was jetzt? «, fragte Antti, der mittlerweile am Küchenfenster Ausschau hielt.
»Wir warten auf das Räumkommando. Iida, komm essen. Es ist alles wieder gut. «
»Ich kann meine Katze nicht einfach verrecken lassen! Ich geh sie suchen«, erregte sich Antti und wich meinem Blick aus. »Sie muss in die Tierklinik. «
»Nein! Womöglich liegen da draußen noch mehr Sprengsätze. Wir bleiben vorläufig im Haus. Iida, möchtest du Erdbeermarmelade zum Brei? «
Es kam mir vor, als wäre ich völlig unbeteiligt. Jemand anders war gerade eben auf den Tod zugegangen und nur verschont geblieben, weil die Katze die Bombe vorzeitig ausgelöst hatte. Ich stellte meiner Tochter den Breiteller hin wie jeden Morgen, trank Kaffee und zwang mich, ein Stück Brot zu essen. Bevor die Kollegen kamen, musste ich mich anziehen und die Zähne putzen.
Als Erstes traf ein Streifenwagen ein, der jedoch zehn Meter vor unserem Grundstück anhielt. Einer der beiden Beamten rief an und sagte, sie würden die Straße absperren und unsere Nachbarn befragen. Ich zog Iida an und füllte die Waschmaschine. Ihr gleichmäßiges Rumpeln öffnete den Weg in den Alltag, einen Alltag mit glatten Bettlaken und friedlichen Morgenstunden. Gleichzeitig versuchte ich mich an das Motorengeräusch zu erinnern, das ich in der Nacht gehört hatte. Auch Taskinen rief an, er war bereits im Präsidium und hatte von dem Vorfall gehört. Seine Stimme klang besorgt und zugleich verärgert, als er sagte, wenn nötig, solle ich mich krankschreiben lassen.
Das Kriminalamt schickte außer dem Bombenentschärfungskommando einen Hauptmeister namens Muukkonen. Auch er rief mich an, ich sah ihn am Waldrand stehen und in sein Handy sprechen. Er sagte, sobald sein Partner einsatzbereit sei, werde er zum Gefängnis fahren und Salo vernehmen. Es gab zahlreiche Zeugen für die Morddrohung, denn Salo hatte nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal gerufen, er werde mich, den Staatsanwalt und einen Kommissar aus dem Rauschgiftdezernat umbringen. An Helfershelfern fehlte es ihm nicht. In Gedanken stellte ich eine Liste der infrage kommenden Komplizen auf, obwohl ich sie nicht selbst vernehmen konnte. In diesem Fall war ich nicht Ermittlerin, sondern Opfer.
Hinter den Gardinen stehend, beobachtete ich den Zeitlupentanz, den die Sprengstoffexperten in unserem Garten aufführten. Die Detektoren fuhren tastend umher, der Sprengstoffspürhund bewegte sich sicher und vorsichtig zugleich. Der Weg von der Tür zum Briefkasten war bereits überprüft; ich hatte den Leiter der Gruppe gebeten, gleich danach die Strecke zwischen Briefkasten und Vogelbeerbaum abzusuchen. Ich wagte nicht zu hoffen, dass Einstein noch lebte, die Wunde hatte schlimm ausgesehen. Sein Fressnapf stand auf dem Küchenboden. Ich konnte mich nur mühsam beherrschen, den Futterrest vom Vorabend wegzukippen, und musste plötzlich an Tommi Laitinen denken, der am Abend von Petris Tod angefangen hatte, die Garderobe leer zu räumen. Der Suchtrupp meldete, die Katze liege halb bewusstlos unter dem Vogelbeerbaum. Sofort holte Antti Tragkorb und Verbandszeug.
»Wohin gehst du? «
»Ich hol Einstein und bringe ihn in die Tierklinik. Ruf mir ein Taxi! « Antti war die ganze Zeit blass und einsilbig gewesen und mir aus dem Weg gegangen. Einstein war seine Katze, er hatte sie schon jahrelang gehabt, bevor wir uns kennen lernten.
»Halte dich an die Anweisungen der Bombenexperten. Ich bestell das Taxi zum Nachbarhaus. Soll ich auch bei der Tierklinik anrufen? «
»Ja klar! «, fauchte er. »Du kümmerst dich wohl um Iida? Zur Tagesmutter können wir sie nicht mehr bringen, sie ist eine Gefahr für die anderen Kinder! «
»Iida bringt niemanden in Gefahr! «, zischte ich wütend, doch er war bereits weg. Während ich ein Taxi rief, sah ich ihn eilig durch das Gras stapfen. Die Bombenexperten schien er gar nicht wahrzunehmen. Er stand mit dem Rücken zu mir, als er die Katze hochhob. Sie hing schlaff in seinen Armen, ihr Blut lief auf seine Jeans, und ich seufzte erschrocken auf, als die Taxizentrale sich meldete. Antti wickelte Einstein in ein Handtuch und legte das Bündel vorsichtig in den Tragekorb. Dann sah er sich um, winkte Iida zu, die neben mir am Fenster stand, und ging am ehemaligen Briefkasten vorbei auf die Straße, wo gerade ein Polizeifahrzeug anhielt. Hakala vom Kriminalamt stieg aus und kam mit seinem Partner Muukkonen ins Haus.
»Ein Glück, dass es nur die Katze erwischt hat«, bemerkte Muukkonen mit einem Blick auf Iida. Nach ihrer Geburt hatte ich endlich begriffen, dass ich bei der Arbeit nicht mein Leben aufs Spiel zu setzen brauchte. Früher hatte ich oft gedankenlos gehandelt, doch in den letzten Jahren hatte ich unnötige Risiken vermieden. Dennoch schien mein Beruf unkontrollierbare Gefahren mit sich zu bringen, nicht nur für mich, sondern für die Menschen, die mir am nächsten standen. Salo und seine Komplizen hatten sicher nicht gewusst, dass wir eine Katze besaßen.
Oder hatten sie uns seit langem observiert, hatten sie beobachtet, dass meist ich die Zeitung holte, während Antti Kaffee kochte? Vielleicht war es Salo aber auch egal, ob sein Anschlag mich persönlich traf oder meine Angehörigen.
Ich berichtete von den Geräuschen, die ich gehört hatte: das Moped des Zeitungsboten und kurz darauf ein Auto. Wenn ich doch nur aufgestanden wäre, haderte ich mit mir selbst. Dann hätte ich den Bombenleger gesehen. Wenn es allerdings ein Profi war, hatte er sich sicher maskiert. Nachdem sie alles notiert hatten, verabschiedeten sich Muukkonen und Hakala, während die Sprengstoffexperten ihre Arbeit fortsetzten. Ich brannte darauf, ins Präsidium zu fahren und nach eventuellen Verdächtigen zu suchen, wollte das Haus aber nicht verlassen, bevor das Grundstück vollständig überprüft war. Taskinen hatte versprochen, unser Haus vorläufig von einer Streife überwachen zu lassen. Ich dachte an Anttis Worte. Sollte ich tatsächlich auch für Iidas Tagesmutter Polizeischutz anfordern? Salo war wegen diverser Drogendelikte und Körperverletzung zu acht Jahren verurteilt worden. Auf ein paar Jahre mehr kam es ihm offenbar nicht an. Wenn ihm seine Rache wirklich eine längere Gefängnisstrafe wert war, würde er es erneut versuchen.
Ich spielte mit Iida, doch sie spürte meine Nervosität und hörte die aufgeregten Stimmen der Sprengstoffexperten und konnte sich nicht auf das Spiel konzentrieren. Kurz vor Mittag rief Antti an und berichtete, Einstein werde gerade operiert. Er hatte viel Blut verloren, und eine Niere war zerstört, doch die Tierärzte taten ihr Bestes, um ihn zu retten. Antti sagte, er werde in der Klinik bleiben, bis man ihm etwas über Einsteins Chancen sagen könne.
Als ich die Meldung erhielt, mein Auto sei sauber, beschloss ich, zum Präsidium zu fahren. Vorher machte ich für Iida eine Portion Nudelauflauf warm, ich selbst hatte immer noch keinen Hunger.
»Iida darf jetzt mit Mama zur Arbeit fahren«, erklärte ich.
»Iida Arbeit! «, jubelte sie. »Pekka spielt mit Iida! «
Koivu war Iidas Patenonkel und ihr großes Idol. Er gab sich alle Mühe, nicht zu zeigen, wie wohl ihm ihr anbetender Blick tat. Ich hatte verwundert beobachtet, wie sie um ihn herumscharwenzelte. Sie war nicht einmal drei Jahre alt, wer hatte ihr das Flirten beigebracht? Meine Waffe lag in einem verschlossenen Schrank im Wohnzimmer. Ich holte sie heraus, lud sie und steckte zusätzliche Munition ein. Das Schulterhalfter wurde vom Mantel verdeckt, doch ich war mir nur allzu bewusst, dass ich es trug. Kugelsichere Westen und Helme wären nützlicher gewesen, aber die hatte ich nicht im Haus. Die Sprengstoffexperten blieben noch auf dem Grundstück, während ich mit Iida zum Präsidium fuhr und mich dabei die ganze Zeit umschaute. Die kurze Strecke kam mir endlos vor.
Im Foyer des Polizeigebäudes spürte ich, dass ich angestarrt wurde. Die Nachricht hatte sich rasch herumgesprochen. Iida wollte mit dem riesigen Polypen in der Eingangshalle spielen, doch ich zog sie in den Aufzug. Dort waren wir in Sicherheit.
Koivu stand im Sozialraum. Er stürzte auf uns zu und umarmte mich.
»Tag, Iida, kommst du uns helfen? «, sagte er dann und hielt seiner Patentochter einen der klebrigen Haferkekse hin, die immer wieder nachgekauft wurden, obwohl Lahde der Einzige war, der sie mochte.
»Einstein ist krank, Papa hat ihn ins Krankenhaus gebracht«, erzählte sie, und Koivu sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Achseln. Antti hatte versprochen, sofort anzurufen, wenn es etwas Neues gab.
»Die Jungs vom Kriminalamt haben Salo schon in der Mangel. Mal sehen, ob er gesteht. «
»War die Bombe in Tötungsabsicht gelegt? «, fragte Koivu, doch ich konnte es ihm nicht sagen, denn das Gutachten der Sprengstoffexperten stand noch aus. Die Bombe war nach oben detoniert, wahrscheinlich hätte sie demjenigen, der zum Briefkasten ging, die Hände und das Gesicht zerfetzt. Die Sachverständigen würden uns sicher bald über Bauart und Professionalität Auskunft geben können.
»Ich will mir meine Liste von Salos Komplizen ansehen. Jarkola hat ja auch mal für ihn gearbeitet«, sagte ich und goss mir Kaffee ein. Er war abgestanden und hatte auf nüchternen Magen eine ähnliche Wirkung wie ein Whisky.
»Ob Salo bei dem Mord an Seppälä doch seine Hände im Spiel gehabt hat? «, überlegte Koivu. »Vielleicht hat er die Bombe legen lassen, um dich von dem Fall abzulenken. «
»Ich weiß nicht, aber darüber können wir uns später Gedanken machen. Rate mal, wo ich gestern war. « Ich erzählte ihm von meinem Karaoke-Auftritt im »Café Escale« und brachte ihn zum Lachen. Er versprach bereitwillig, Iida Gesellschaft zu leisten, solange ich am Computer saß. Das entsprach zwar nicht ganz den Vorschriften, doch Koivu schien nichts dagegen zu haben. Ich hatte ein paar Bilderbücher mitgebracht, die er ihr vorlas. Ich selbst ging als Erstes in die Rüstkammer und ließ mir zwei kugelfeste Westen aushändigen. In Kindergröße gab es sie leider nicht. Nach kurzem Überlegen nahm ich auch einen Helm mit.
Ich fand zahlreiche Angaben über Salos Dealerring und mailte sie an Muukkonen weiter. Es fiel mir schwer, mich aus den Ermittlungen herauszuhalten, doch das war nun einmal die übliche Marschordnung. Als ich gerade die Strafregisterauszüge von zwei Aufmischern las, die Salo gelegentlich eingesetzt hatte, kam Taskinen herein.
»Ich hab dich vom Fenster aus gesehen, als du mit Iida gekommen bist, aber ich saß gerade in einer Besprechung mit dem Polizeichef. Du hättest lieber zu Hause bleiben sollen. «
»Hier fühle ich mich sicherer. Stell dir vor, Jyrki, ich hab in der Nacht ein Auto gehört. Wenn ich nur aufgestanden wäre, vielleicht hätte ich wenigstens das Kennzeichen gesehen…«
»Wir haben mit dem Polizeichef vereinbart, dass ich die Kontakte zum Kriminalamt koordiniere. «
»Okay, aber ich will sämtliche Vernehmungsprotokolle sehen, sobald sie vorliegen. Ich muss doch wissen, vor wem ich mich in Acht nehmen soll. «
»Hast du über Krankschreibung nachgedacht? Du könntest mit Iida eine Weile verreisen, zu deinen Eltern nach Nordkarelien zum Beispiel«, sagte Taskinen, doch sein besorgtes Gesicht gefiel mir nicht. Ich spürte, dass seine Sorge nicht mir und meiner Familie galt.
Bevor ich mir eine Antwort zurechtlegen konnte, klingelte das Telefon. Antti berichtete knapp, Einstein habe die Operation überstanden, und sein Zustand sei stabil. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er mit dem Leben davonkommen, er müsse aber noch mehrere Tage in der Klinik bleiben.
Vor Erleichterung stiegen mir Tränen in die Augen. Antti erklärte, er wolle ein paar Stunden zur Arbeit gehen.
»Morgen steht die Geschichte natürlich in der Zeitung. Sieh bloß zu, dass Iida nicht fotografiert wird«, sagte er böse. Ich fand es ungerecht, dass er seine Wut an mir ausließ, ich fühlte mich ohnehin mies genug. Wie oft hatte ich vergewaltigten oder verprügelten Frauen erklärt, nicht das Opfer sei schuld, sondern der Täter. Und doch fiel es mir nun schwer, die Schuld für den Anschlag nicht auch bei mir selbst zu suchen. Ich erinnerte mich an Salos Vernehmungen. Wir waren hart mit ihm umgesprungen, keiner von uns war der Meinung gewesen, er hätte Freundlichkeit verdient.
Muukkonen und Hakala würden ihn jetzt erneut in die Zange nehmen. Anschläge auf Kollegen nahm jeder Polizist besonders ernst. Der Fall würde mit Sicherheit aufgeklärt werden, aber niemand konnte garantieren, dass die Drohungen und Gewalttaten damit ein Ende hatten.
»Ich möchte keine Krankschreibung. Das Erfolgserlebnis gönne ich Salo nicht. Schauen wir erst mal, was das Kriminalamt herausfindet«, sagte ich ruhig, obwohl die Unsicherheit an mir nagte. Vielleicht sollten sich Antti und Iida für eine Weile eine andere Bleibe suchen. Der Gedanke, mich von meiner Familie zu trennen, war schrecklich, aber eventuell gab es keine andere Möglichkeit.
»Maria, du brauchst nicht besonders zäh zu sein, nur weil du eine Frau bist«, sagte Taskinen ernst. »Überleg es dir noch mal. «
Ich machte keine Versprechungen. Als er gegangen war, packte ich Laptop und Modem ein, um zu Hause arbeiten zu können, wenn Iida schlief. Inzwischen hatte sich auch Wang im Sozialraum eingefunden. Iida wollte gar nicht mehr gehen, obwohl ihr die Augen fast zufielen. Bevor wir an die erste Ampel kamen, war sie bereits eingeschlafen, und ich merkte plötzlich, wie hungrig ich war. Mein Blutzucker war vermutlich auf Rekordtiefe gesunken, denn meine Hände zitterten so stark, dass ich kaum fahren konnte, doch der Hunger war ein gutes Zeichen: Mein Körper erholte sich allmählich von dem Schock.
Der Wagen der Spurensicherung stand neben dem zersplitterten Briefkasten. Die Männer fotografierten Reifenabdrücke und sammelten unter den Bäumen Zeitungsfetzen ein. Ich trug die im Schlaf vor sich hin murmelnde Iida ins Haus, zog ihr Schuhe und Mantel aus und legte sie ins Bett. Sie hatte rote Bäckchen und feuchte Haare, ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Am liebsten hätte ich mich in eine Festung verwandelt, die Iida vor allem Bösen schützte.
Ich aß ein paar belegte Brote und trank ein Glas Buttermilch. Die Polizisten im Garten vermittelten ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Den perfekten Schutz für Iida und mich gab es nicht.
Ich stöpselte den Computer ein, schloss das Modem an und begann zu arbeiten. Unbewusst lauschte ich auf die weichen Schritte unserer Katze, glaubte sogar einmal fast, sie vorbeihuschen zu sehen, doch es war natürlich nur ein Phantombild, das mir mein Gehirn vorgaukelte. Als das Telefon klingelte, nahm ich sofort ab. Jukka Muukkonen erkundigte sich nach meiner E-Mail-Adresse.
»Du willst sicher wissen, was Salo zu sagen hatte. Ich schick dir das Protokoll, sobald ich im Büro bin. «
»Danke! «, rief ich und verschwieg ihm, dass Taskinen die Ermittlung selbst in der Hand behalten wollte. »Hat Salo zugegeben, dass er hinter dem Anschlag steckt? «
»Er hat es weder zugegeben noch abgestritten. Lies das Protokoll! Wir machen inzwischen weiter. Pass auf dich auf«, sagte Muukkonen. Im Hintergrund hörte man Tangomusik, offenbar hatte sein Partner gerade das Autoradio angestellt.
Ich ging ins Erdgeschoss und kochte Kaffee. Im Gefrierschrank fand ich eine Packung Hefeteilchen, die ich mit Iida an einem Regentag gebacken hatte. Sie machte am liebsten Lachkuchen, runde Hefebrötchen mit Augen und lachendem Mund aus Rosinen. Ich mochte keine gebackenen Rosinen, aber was meine Tochter backte, aß ich natürlich. Ich taute das Gebäck auf, holte Kekse aus dem Schrank und lud die Männer von der Spurensicherung zum Kaffee ein. Andersson, einer der Beamten, brachte unsere Post mit, die der verdatterte Briefträger ihm ausgehändigt hatte, als er sah, dass von unserem Briefkasten nur noch der Betonsockel übrig war. Viel war es nicht. Die Zeitung der Grünen für Antti, die Rechnung für die Kinderbetreuung für mich und für Iida eine Ansichtskarte aus Tartu von ihren Großeltern.
»Es war eine ganz simple Konstruktion, die hätte sogar ein Kind zusammenbauen können«, berichtete der Bombenexperte. »Die Katze hat nicht die volle Ladung abgekriegt, weil sie so klein ist, aber für einen Erwachsenen wäre die Bombe gefährlich gewesen. Er wäre nicht unbedingt ums Leben gekommen, aber das Augenlicht hätte er mit Sicherheit verloren. «
Andersson machte ein wütendes Gesicht und schlug seine Zähne in ein Hefeteilchen. Plötzlich kam mir ein absurder Gedanke: Wenn wir uns eine Alarmanlage zulegen würden, wäre das ein Vorwand, mich mit Reijo Rahnasto in Verbindung zu setzen. Seine Firma war zwar auf Unternehmenssicherheit spezialisiert, aber unter Hinweis auf unsere Bekanntschaft könnte ich ihn um Rat bitten. Oder wäre das zu durchsichtig? Sollten wir uns lieber eine neue Wohnung suchen und die Adresse geheim halten?
Iida kam verschlafen die Treppe herunter und fremdelte eine Weile. Nachdem sie Kuchen und ein Glas Milch bekommen hatte, taute sie auf und bezauberte die Männer mit ihrem Geplauder so gründlich, dass sie ihre Arbeit vergaßen. Als sie endlich gingen, setzte ich Iida vor den Fernseher, ließ ein Mumin-Video laufen und sah nach, ob E-Mails gekommen waren. Muukkonen hatte sein Versprechen gehalten und das Vernehmungsprotokoll geschickt.
Sein Partner Hakala war ein guter Protokollant, ich konnte beim Lesen beinahe Salos Stimme hören. Niko Salo war um die dreißig, nicht besonders groß, aber kräftig. Er hatte ausdruckslose Augen, deren Farbe an grauen Aprilschnee erinnerte, eine Boxernase und einen gierigen Mund. Die Haare trug er meist kurz und schwarz gefärbt, bei unserer letzten Begegnung hatte er außerdem schwarze Koteletten und einen modischen, einige Zentimeter langen Kinnbart gehabt. Salo kleidete sich nach dem neuesten Trend und schien alle seine Gesten in Tarantino-Filmen gelernt zu haben. Ohne die goldenen Ketten, die ihm um den Hals hingen, hätte er als Rockmusiker oder Literaturstudent durchgehen können. In einer Illustrierten war kürzlich ein Beitrag über ihn erschienen, in dem es hieß, vor ihm zitterten Gangster und Polizisten gleichermaßen. Obwohl er im Gefängnis saß, bekam er wöchentlich mindestens zwei Heiratsanträge. Wäre er nun ein Polizistenmörder, würden es womöglich noch mehr werden. Muukkonen war gezwungen gewesen, Salo den Grund für die Vernehmung zu nennen: Er stehe unter dem Verdacht der Beteiligung an einem Bombenanschlag, der in der letzten Nacht in Espoo verübt worden sei.
»In Espoo? Eh, Mann, ich war die ganze Nacht im Knast. Wie hätt ich nach Espoo kommen sollen? «
Er gab zu, dass er nach dem Prozess gedroht hatte, mich umzubringen. Muukkonen fragte, wie er das bewerkstelligen wolle.
»Eh, Mann, warum soll ich dir das sagen? Die Polizistenhure soll ruhig weiter zittern. «
Salo hatte nichts zugegeben und nichts abgestritten, sondern lediglich gedroht, seinen Anwalt einzuschalten, als Muukkonen erklärte, er werde die Überprüfung von Salos Telefonaten aus dem Gefängnis beantragen. Selbst das würde nicht unbedingt etwas bringen. Wahrscheinlich besaß Salo mehrere SIM-Karten, die er nach Belieben wechseln konnte, und hatte den Gefängnisbehörden nur die Nummer angegeben, über die er die unverfänglichsten Gespräche führte. Die winzigen SIM-Chips ließen sich mühelos ins Gefängnis schmuggeln.
»Ach, die Kallio hat in ihrem Garten Bombenzauber gehabt? Was hab ich damit zu tun? «
Muukkonens Fragen waren immer unsicherer geworden, während Salo den Ahnungslosen spielte. Ich wusste, dass er ein guter Schauspieler war, und auch, dass niemand wagen würde, ihn zu verpfeifen. Sein Bombenleger würde, falls er geschnappt wurde, darum betteln, in einer anderen Haftanstalt sitzen zu dürfen, damit Salo sich nicht für den verpfuschten Anschlag rächen konnte.
Die Vernehmung verlief ergebnislos, obwohl Muukkonen und Hakala zum Schluss mit allen Mitteln versucht hatten, Salo zu einem Geständnis zu provozieren. Auch das hatte nichts genutzt. Salo wusste, dass er als Verdächtiger lügen durfte, so viel er wollte. Als Nächstes wollten die Herren vom Kriminalamt sich die als Bombenexperten bekannten Gangster vornehmen, die zurzeit auf freiem Fuß waren. Als ich den letzten Satz in Muukkonens Nachricht las, platzte mir fast der Kragen:
»Euer Begeka-Chef Laine hat sich gemeldet und seine Hilfe zugesagt. Er war sehr besorgt über deinen Gesundheitszustand. «
Na klar, Laine will den Bombenleger finden, um ihn zu einem neuen Versuch anzustacheln, dachte ich wütend. Im selben Moment ging die Tür, und obwohl ich wusste, dass es kein anderer als Antti sein konnte, rannte ich ins Erdgeschoss, um Iida zu schützen.
Anttis Hose war blutbefleckt, er war den ganzen Tag so in der Stadt herumgelaufen.
»Wie lange werden die uns bewachen? «, fragte er als Erstes und zeigte auf den Streifenwagen vor dem Haus.
»Mindestens die Nacht über. Wir müssen uns überlegen, was danach werden soll. Das Haus in Inkoo steht noch bis Montag leer, vielleicht solltest du mit Iida hinfahren. «
Antti trank ein Glas Wasser und fing zerstreut an, sich die Hose auszuziehen.
»Hat die Tierklinik schon angerufen? Die Ärzte haben versprochen, sich sofort zu melden, wenn es etwas Neues gibt. «
»Nein. Komm, ich helf dir«, sagte ich leise und zog ihm die Hose von den Beinen. Iida saß immer noch gebannt vor dem Fernseher, und das Abendessen konnte warten. Ich hatte Lust, unser Überleben zu feiern.
»Komm mit nach oben«, sagte ich und schmiegte mich an ihn. Doch als Antti das Schulterhalfter spürte, machte er sich los, küsste mich auf die Wange und sagte:
»Jetzt nicht, Maria. «
Da fiel mir plötzlich ein, dass ich am Morgen die Pille vergessen hatte, die ich normalerweise vor dem Frühstück nahm. Wahrscheinlich würde ich nicht gleich schwanger werden, wenn ich sie einmal vergaß, aber sicherheitshalber holte ich das Versäumte sofort nach. Da aus dem Sex offenbar nichts wurde, fing ich an, das Abendessen zu kochen. Während Antti in der oberen Etage herumpolterte, mischte ich die Masse für Fischklößchen und rieb Meerrettich für die Soße. Es war angenehm und friedlich in der Küche, nur die auf Fischabfälle wartende Katze fehlte. Ein Anruf bei der Tierklinik ergab, dass sich Einsteins Zustand nicht verändert hatte. Für sein Alter hatte er ein gesundes Herz, daher war die Prognose nun bereits ein wenig optimistischer.
»Muukkonen will auch dich vernehmen«, sagte ich zu Antti, nachdem ich die Fischklößchen in den Ofen geschoben und die Kartoffeln aufgesetzt hatte.
»Mich? Warum denn das? «
»Das ist doch klar. Du bist einer der Geschädigten. «
»Habt ihr schon etwas herausgefunden? «
Als ich den Kopf schüttelte, zuckte er zusammen und schlug vor, gleich nach dem Essen zu packen. Der Gedanke, nach Inkoo zu fahren, gefiel ihm, aber er bestand darauf, dass ich mitkam.
»Ich müsste eigentlich hier bleiben und einen neuen Briefkasten kaufen«, sagte ich halb im Spaß. Natürlich war ich bereit, mitzufahren. Beim Kochen hatte ich die Waffe abgelegt, aber nun legte ich das Halfter wieder an. Als ich Antti die kugelsichere Weste zeigte, seufzte er.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so ein Ding tragen muss. «
Viele Männer hätten die Situation genossen und die Nacht hindurch schwer bewaffnet über die Sicherheit ihrer Familie gewacht. Das waren die Typen, die es auch zu Abenteuerwanderungen drängte und die im Wald Krieg spielten. Im Herbst lebten sie sich bei der Elchjagd aus, und sonntags fieberten sie mit Mika Häkkinen oder schrien sich als Zuschauer beim Eishockey die Seele aus dem Leib. Diese Männer sehnten sich nach spannenden Erlebnissen, nach den Indianerspielen ihrer Kindheit, die sie jederzeit abbrechen konnten, wenn ihnen danach war. Was hätte mein im Krieg gefallener Großvater wohl dazu gesagt?
Zum Einkaufen zog ich die Kugelweste dann doch nicht an. Niemand folgte uns auf dem schmalen Weg, auf den Uferfelsen saßen nur Seeschwalben. Das Meer glitzerte, es strahlte zwar noch Kälte aus, verhieß aber bereits Segeltörns und Badefreuden. Am nächsten Wochenende wollte Antti mit seinem Vater das Boot zu Wasser lassen. Am Samstag musste ich zur Polizeimesse, aber am Sonntag konnten wir eine kleine Fahrt unternehmen.
Das Wochenende verlief ruhig. Wir aßen frische Frühjahrslorcheln und junge Brennnesselblätter, träumten von einem Haus am Meeresstrand und von einer jungen Katze als Spielgefährten für Einstein. Die Vögel lärmten von früh bis spät, am Sonntag entdeckten wir die ersten Schwalben. Zwar hatte ich die Waffe immer in Reichweite, doch ich schlief tief und traumlos. Als wir am Sonntagabend wieder zu Hause waren, warteten auf dem Anrufbeantworter reihenweise Nachrichten. Eine kam von meiner Schwester Helena, die sich vergewissern wollte, dass mir nichts passiert war, eine weitere aus der Tierklinik. Einstein hatte das Bewusstsein wiedererlangt und war nicht mehr in Lebensgefahr.
In meiner Freude hätte ich die letzte Nachricht beinahe überhört: »Hier ist Eila Honkavuori. Entschuldige bitte, dass ich dich am Sonntag störe, aber ich habe mich ein wenig umgehört, und allmählich zeichnet sich eine Idee ab. Ruf mich bitte so bald wie möglich an. «