10
Trautes Heim
Zu Hause.
Die Wohnung der Solos, nicht weit von der Ruine des Imperialen Senats entfernt, war immer noch beinahe unbeschädigt.
Diese Wohnung war Jacens Ziel gewesen, seit er unter der Brücke erwacht war. Wohin sonst konnte er gehen?
Gab es etwas Besseres, als endlich nach Hause zu finden?
Eins hatte er sich jedoch nicht gefragt: Was würde er tun, sobald er zu Hause war?
Er hatte in all diesen Wochen halb erwartet, dass es etwas bedeuten würde, diesen Ort, an dem er aufgewachsen war, zu erreichen, dass er hier eine Art von Sicherheit finden würde. Eine Art von Antwort. Als bräuchte er nur ein Schläfchen in seinem eigenen Bett zu halten, und dann würde er aufwachen und feststellen, dass der Albtraum, in dem er gelebt hatte, nur ein Traum gewesen war, genährt von Teenagerhormonen und einem schwer verdaulichen Abendessen.
Gab es etwas Schlimmeres, als endlich nach Hause zu kommen und festzustellen, dass es auch dort keine Rettung gab?
Er war schon ein paar Stunden zu Hause, als Anakin hereinspazierte.
Jacen saß auf seinem Platz am Esstisch, auf dem Stuhl, auf dem er bei den seltenen Gelegenheiten, an denen die ganze Familie zusammen gewesen war, immer gesessen hatte: links vom Stuhl seiner Mutter und neben Jaina, die immer rechts von seinem Vater gesessen hatte. Gegenüber hatte Anakin gesessen, neben dem speziell für Wookiiee-Proportionen hergestellten Stuhl von Chewbacca.
Jacen versuchte, Erinnerungen an diese glückliche Familie heraufzubeschwören − versuchte Chewbaccas röhrendes, heulendes Lachen zu hören, versuchte zu sehen, wie seine Mutter sich bemühte, bei einer der ein wenig gewagten Geschichten seines Vaters einen missbilligenden Blick aufzusetzen, versuchte Jainas Ellbogen in seinen Rippen oder einen von Anakin hinter dem Rücken der Eltern geschleuderten Brocken Orange-Protato zu spüren − aber es funktionierte nicht. Diese Bilder passten nicht mehr in dieses Esszimmer.
Das Esszimmer war jetzt anders.
Ein kränklich glitzernder blauer Haufen Bofiste − eine Art von Pilzkolonie − hatte sich über Chewbaccas Stuhl und ein Viertel des Esstisches ausgebreitet; hellgelbe Ranken verwurzelten sie in dem belaubten lila Unterholz, das vom Boden her gewachsen war. Der Tisch selbst war in der Mitte gerissen und bog sich unter einer Art blutroter Pfahlwurzel von der Größe eines Hutt, die durch die Decke gebrochen war und entschlossen schien, ihren Weg nun auch durch den Boden zu bohren. An den Wänden wuchsen bunte Kriechpflanzen, die einer Unzahl von handgroßen Tieren als Heimat dienten, die man am besten als mit einem Schuppenpanzer ausgestattete, warmblütige Spinnen beschreiben konnte.
Jacen war sicher, dass sie warmblütig waren − zumindest fühlten sich ihre klauenbewehrten siebenzehigen Füße warm an, wenn sie über seine Arme, seine Brust und seine Schultern liefen. Er blinzelte hin und wieder, wenn eine über sein Gesicht huschte, aber ansonsten bewegte er sich nicht.
Er hätte sich bewegen können, wenn er gewollt hätte. Ihm fiel nur kein Grund dafür ein.
Die Arachnoiden spuckten ein schleimartiges Sekret aus, dicke, glasige Spucke, die zäh an allem klebte, was sie berührte, mit Ausnahme der Spinnen selbst. Solange das Zeug noch nass war, streckten, drehten und zogen sie den Speichel mit ihren Greiforganen zu dicken glitzernden Schnüren, die durchscheinend wurden, wenn sie trockneten, und hatten so bereits die Hälfte des Esszimmers der Solos mit einem faserigen Netz ausgefüllt.
Jacen war ziemlich sicher, dass das Netz dem Zweck diente, ihn an diesen Stuhl zu binden − dass diese Arachnoiden den vagen Zukunftsplan hatten, ihn zu verspeisen. Er hätte sich, bevor das Netz fest geworden war, ohne große Anstrengung losreißen können. Das hatte er nicht getan. Selbst jetzt hätte ein leichtes Aufzucken seines Zorns die Arachnoiden vertreiben und ihr Netz in Sekundenschnelle verglühen lassen können.
Aber ihm fiel kein Grund ein, wieso er sich die Mühe machen sollte.
Anakin ging durch die Netzstränge, als existierten sie nicht. Er trug eine dunkle Weste über einer weiten Tunika und engen Hosen im corellianischen Stil. Er hakte die Daumen hinter einen breiten Ledergürtel, seine Rechte nahe einem leeren Clip, wo sein Lichtschwert hätte sein sollen, und setzte ein schiefes Grinsen auf, das so sehr an Han erinnerte, dass Jacen Tränen in die Augen traten.
wie geht’s, großer Bruder?
Einer der Arachnoiden kletterte über einen Faden, der durch Anakins Brust von der Schulter bis zur letzten Rippe verlief. Es schien weder die Spinne noch Anakin zu stören.
Jacen sah Anakin lange an, dann seufzte er. »Was bist du diesmal?«
diesmal?
Jacen schloss die Augen. »Erinnerst du dich an die Geschichten, die Onkel Luke über seinen Meister erzählte? Darüber, dass er Meister Obi-Wan manchmal in der Macht spüren konnte, selbst nachdem er gesehen hatte, wie Darth Vader … nachdem er gesehen hatte, wie unser Großvater ihn auf dem ersten Todesstern tötete? Dass er Meister Obi-Wans Stimme hören konnte, die ihm Ratschläge gab, und ihn manchmal sogar sah?«
sicher, alle kennen diese geschichten.
»Ich nehme an, ich habe erwartet, dass du mir ebenfalls auf diese Weise helfen würdest. Ich meine, ich weiß, dass du nicht mein Meister bist. Und ich habe deine Leiche gesehen. Ich sah … was sie mit dir gemacht haben. Trotzdem … ich habe wohl einfach weitergehofft. Ich wollte einfach nur … ich wollte einfach nur deine Stimme noch einmal hören. Noch ein einziges Mal. Dein Grinsen sehen. Dir eine Kopfnuss verpassen, weil du so blöd warst, dich umbringen zu lassen.«
nicht, dass du je viel grund für so etwas gebraucht hättest.
Jacen schloss die tränennassen Augen. »Ja. Ein letztes Mal, verstehst du?«
klar.
»Und deshalb bin ich darauf reingefallen. Beide Male.«
beide male?
Jacen legte den Kopf schief und deutete ein Achselzucken an. »In der Zuchtstation, als Vergere mich davon abgehalten hat, das letzte Dhuryam zu töten. Sie hat die Macht benutzt, um deine Stimme zu fälschen, und ich …«
woher weißt du das?
Jacen öffnete die Augen und verzog unwillig das Gesicht. »Was?«
bist du sicher, dass sie sie gefälscht hat? Anakins Grinsen war so spielerisch schief wie eh und je.
du sagst, sie benutzte die macht. woher weißt du, dass es nicht die macht war, die sie benutzte?
»Ich nehme an, das weiß ich nicht«, gab Jacen zu. »Aber es macht wirklich keinen Unterschied.«
wenn du das sagst.
»Das letzte Mal hattest du nichts mit der Macht zu tun. Du warst ein telepathischer Köder.«
vielleicht war ich das. bist du sicher, dass ich nichts weiter war?
Jacen starrte ihn wütend an, ohne zu antworten.
was wäre geschehen, wenn du mich nicht auf dem balkon gesehen hättest?
Er senkte den Kopf. »Ich … ich weiß es nicht. Ich hätte mich vielleicht …« Fallen lassen, beendete er den Satz in Gedanken. Er konnte es nicht aussprechen.
Er hatte sich tatsächlich fallen lassen. Er war schneller gefallen und tiefer gesunken als nur in eine tiefe Schlucht und in seinen Tod.
also hat es dein leben gerettet, mich zu sehen, wie?
»Ja. Kann schon sein. Aber wohin du mich geführt hast − ich meine, wohin sie, die telepathische Projektion, mich geführt hat …«
sie, ich, was auch immer. Anakin winkte ab. reg dich nicht wegen bedeutungsloser unterscheidungen auf.
»Aber dort unten … im Magen dieses Tiers …« Bittere Säure stieg in Jacens Kehle auf. Er konnte nicht weitersprechen.
du hast das mädchen gerettet, oder?
»Oh, sicher. Gerettet. Ja, genau.« Jacen hustete und würgte bei der Erinnerung. »Aber die anderen …«
Es waren andere Personen im Bauch des Tiers gewesen: viele andere Personen, fünfzig oder mehr, beinahe alles Menschen. Sie waren zu den Öffnungen der Magenkammergänge gekommen, einen Augenblick, nachdem Jacen das Mädchen befreit hatte.
Keiner von ihnen war froh gewesen.
Mithilfe roher Macht, die in dunklen Wellen durch ihn floss, war er imstande gewesen, die Arbeit seiner Hände telekinetisch zu übertragen und sie wie Werkzeuge zu benutzen, um die fest verschlossenen Lippen des Magenmauls zu öffnen. Er konnte jeden Zentimeter des Mädchens in der Macht spüren, spürte ihre Angst und ihre Hoffnung und die Schmerzen an ihrer mit Säure verbrannten Haut, und mit der Macht hatte er sie ohne weitere Anstrengung herausgehoben und sie sicher auf den Beckenrand gesetzt. Ein ebenfalls von der Macht gestützter Sprung hatte ihn an ihre Seite gebracht, dann hatte er sie in seine körperlichen Arme gehoben und war in den Kropftunnel gesprungen, durch den er gekommen war. Die Kleidung des Mädchens hatte in Fetzen gehangen, seine Haut war rot gewesen, hatte sich geschält und genässt, gekocht in der langsamen Hitze der Säure, die es immer noch überzog. Jacen hatte schnell die Überreste der Kleidung abgestreift und sie durch seine Gewandhaut ersetzt.
Schon gut. Es wird alles wieder gut, hatte er gesagt, die Gewandhaut wird sich um dich kümmern. Sie würde nicht nur die restliche Säure aufnehmen und eliminieren, sondern auch die tote Haut von den Verbrennungen fressen und das Mädchen wahrscheinlich vor einer schweren Infektion oder sogar dem Wundbrand bewahren.
Er hatte das ihr gegenüber selbstverständlich nicht erwähnt; trotz des dunklen Donnergrollens der Macht in ihm war er nicht so grausam gewesen, ihr nach allem, was sie durchgemacht hatte, zu sagen, dass die Kleidung, die er ihr gegeben hatte, bereits Teile ihrer Haut fraß.
Und dann, nur noch mit dem Lendenschurz bekleidet, hatte er sich umgesehen und die anderen entdeckt. Die Höhlentier-Leute, über fünfzig von ihnen. Einige hatten Blaster.
Einige dieser Blaster waren auf ihn gerichtet.
»Es war − es war vollkommen pervers. Ich konnte es einfach nicht glauben.« Jacen schüttelte den Kopf. »Ich wollte es nicht glauben.«
Anakin starrte ihn geduldig an.
»Schlimmer als die Friedensbrigade. Schlimmer als alles, was ich mir vorstellen kann.« Jacen schloss die Augen, um gegen die Erinnerung anzukämpfen. »Sie lebten da drin.«
Das Höhlentier war ein konservatives Raubtier: Wenn seine telepathischen Köder mehr Lebewesen fingen, als es zum Leben brauchte, konnten Gefangene im Magen des Tiers beträchtliche Zeit überleben. Die Flüssigkeit, die von den »Stalaktiten« tropfte, stellte tatsächlich eine innere Nährstoffreserve dar, ähnlich wie die Fett- und Glykogen-Reserven eines Menschen, und sie lieferte den Lebewesen in den diversen Kröpfen des Tiers Flüssigkeit und Nahrung. Das Höhlentier verarbeitete Abfälle ausgesprochen effizient, bezog Nährstoffe aus dem Kot der Gefangenen und Wasser aus ihrem Urin, und die Körperwärme der Gefangenen half ihm, seine innere Temperatur zu regeln. Wenn es die zusätzlichen Nährstoffe eines lebenden Körpers brauchte, konnte es einen seiner bewohnten Kröpfe zusammendrücken und die Gefangenen durch die Röhren in die Magenkammer zwingen.
»Es waren überwiegend Flüchtlinge von den unteren Ebenen, Leute, die die Evakuierung verpasst hatten, aber auch ein paar geflohene Sklaven vom Saatschiff. Die Yuuzhan Vong sind mit den Höhlentieren vertraut, und sie meiden sie; es würde mich nicht überraschen, wenn diese Tiere die ursprüngliche ungeformte Grundlage waren, aus der sie ihre Weltschiffe gezüchtet haben, wie das, wo du … das bei Myrkr.« Er hustete, offensichtlich verlegen. »Tut mir Leid.«
kein problem, jace. Anakins Grinsen war unbeschwert und freundlich. mach dir wegen mir keine sorgen. ich bin nicht empfindlich.
Jacen nickte. »Ich fürchte, ich bin es offensichtlich.«
warst du immer. erzähl weiter.
Jacen seufzte traurig, aber der Zorn begann wieder durch seine Eingeweide zu rauschen. »Also stellen diese Tiere ein perfektes Versteck vor den Yuuzhan-Vong-Patrouillen dar. Das Höhlentier versteckt seine Opfer, gibt ihnen Schutz, Wasser, Nahrung − manchmal lockt es auch Tiere herein, die die anderen Bewohner töten und essen können, oder einen Flüchtling, der eine größere Menge an Trockeneiweiß gehortet hat oder so. Es gibt nur ein Problem. Hin und wieder bekommt es Hunger. Manchmal haben die Bewohner ein Tier oder zwei, das sie in die Mägen werfen können.«
Jacen schluckte und blickte zur Decke auf. Leuchtend grüne Moosfinger hatten sich durch den Riss geschlichen, den die riesige Pfahlwurzel hinterlassen hatte. »Und manchmal …« Seine Stimme klang belegt, heiser vor Wut. »Manchmal gibt es keine.«
Anakin nickte ernst. das mädchen.
»Ja, das Mädchen. Sie hatten eine Regel: Wer als Letzter gekommen ist, geht als Erster. Als Erster … in den Magen. Das Mädchen war nur ein paar Stunden vor mir eingetroffen. Aber einige von ihnen − die, die ihr das angetan hatten …« Sein Atem wurde heiß, und er begann, einen leichten roten Schleier zu sehen. »Einige von ihnen waren seit Wochen da drin. Wochen, verstehst du? Verstehst du, was sie getan haben? Wie viele … wie viele Leute …?« Er musste aufhören und nach Luft ringen, bis er den Zorn wieder zurückdrängen konnte.
Anakin beobachtete ihn ausdruckslos.
Schließlich konnte er weitersprechen. »Sie haben sie nicht mal getötet, haben sie nur auf den Kopf geschlagen und reingeworfen.« Die Muskeln an seinem Unterkiefer waren angespannt Seine Stimme triefte vor Hass. »Ich nehme an, sie haben sie deshalb nicht umgebracht, weil keiner von ihnen einen Mord auf dem Gewissen haben wollte.«
Anakin zuckte die Achseln. die leute können so gut wie alles rationalisieren.
»Aber sie wachte auf, bevor der Magen sich über ihr geschlossen hatte, und wäre beinahe wieder rausgekommen. Hat es den halben Weg geschafft. Weit genug, um zu schreien.« Jacens Stimme verklang zu einem Flüstern. »An diesem Punkt kam ich ins Spiel.«
und was ist passiert?
»Ich wollte auf keinen Fall zulassen, dass sie sie wieder reinwerfen. Ich wollte nicht zulassen, dass sie irgendwen reinwerfen − aber alle Mägen öffneten sich, und die Kröpfe zwangen alle nach unten. Das Höhlentier wollte gefüttert werden, und wenn sie es nicht übernahmen, würde das Tier es selbst tun.«
und der letzte, der hereingekommen war …
»War ich. Genau.«
sie haben versucht, dich an das höhlentier zu verfüttern?
Jacen sagte: »So weit kam es nicht.«
nein?
»Ich habe mich verändert, Anakin. Ich habe … Ich kann es nicht entschuldigen. Ich kann es nicht mal erklären. Aber du … du solltest wissen …«
schon gut, jace. ganz gleich, was passiert ist − ganz gleich, was du getan hast oder was man dir angetan hat −, du bist immer noch mein großer bruder. und das wirst du auch bleiben.
»Großer Bruder«, wiederholte Jacen tonlos. Seine Augen taten weh. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in seine verbrannten Hände. »Komisch − in diesen letzten paar Jahren hatte ich das Gefühl, du wärst der große Bruder.«
das ist albern.
»Tatsächlich? Du − Anakin, du warst so selbstsicher. Du warst dir aller Dinge so sicher. So stark. Ich habe − ich habe wirklich zu dir aufgeblickt, Anakin. Du schienst immer zu wissen, was als Nächstes zu tun war. Es war so einfach für dich.«
alles ist einfach, wenn man keine zweifel hat.
»Aber genau das war, was ich wollte. Überzeugt sein. Ich dachte, darum ginge es dabei, ein Jedi zu sein.« Er hob den Kopf wieder, und seine Augen waren feucht. Er lachte verbittert durch die Tränen. »Verstehst du nicht? Du bist genau das, was ich sein will, wenn ich groß werde.«
was, tot?
»Du weißt, was ich meine.«
ich habe die dinge nicht hinterfragt, weil ich nie der typ für fragen war. ich war nie nachdenklich wie du. ich war mehr wie onkel luke: eine menschliche waffe. zeig mir die bösen und lass mich auf sie los, ich erledige sie, und alle jubeln.
aber jetzt ist es anders. wenn man auf die alte art vorgeht − so wie ich, wie onkel luke −, endet es nur damit, dass leute sterben. sieh nur, was mir passiert ist, was mit uns allen passiert.
»Besser als das, was mit mir passiert ist«, flüsterte Jacen. »Ich wäre tot besser dran.«
glaubst du wirklich?
Bedauern stieg in ihm auf, schuf einen solchen Druck von Schuldgefühlen und Selbsthass, dass er ihn nicht mehr wegschieben konnte. Er schaute seine Hände an: die verbrannte, gerissene Haut in der Mitte seiner Handflächen, verbrannt in seinen Zornesblitzen. »Anakin, ich habe die Dunkle Seite benutzt.«
tatsächlich?
»Unter dem alten Jedi-Tempel, als Vergere mich Nom Anor ausliefern wollte − was ich getan habe, war schlimm, aber es war nicht böse. Ich war voller Panik, ich war erschöpft, und plötzlich die Macht wieder zu finden, nachdem ich geglaubt hatte, dass man sie mir für immer genommen hatte, hat mich überwältigt. Dieses Mädchen zu retten … das tut mir nicht Leid. Zorn war alles, was mir geblieben war. Und ich habe niemandem wehgetan.«
außer dir selbst.
»Aber das ist in Ordnung, oder? Gehört das nicht dazu, ein Jedi zu sein − sein eigenes Wohlergehen zu opfern, um andere zu retten?«
Anakin drehte eine Handfläche nach oben. sag du’s mir.
Jacen wandte den Blick ab. Sich zu erinnern tat weh. Zu sprechen tat noch mehr weh. Aber nicht darüber zu reden − nicht zuzugeben, was er getan hatte, es zu rationalisieren, zu rechtfertigen −, das wäre noch schlimmer.
So tief bin ich nicht gesunken, dachte er.
Noch nicht.
Er hatte die Dunkelheit benutzt, um stärker zu werden, hatte sie durch seine Adern rauschen lassen wie Blut, damit sie ihn aufrecht hielt, als die Höhlentier-Leute erschienen, als er erfuhr, wer sie waren und was sie getan hatten, um zu überleben. Er wäre vielleicht imstande gewesen, sich zusammenzunehmen, wenn es nur das gewesen wäre. Was sie getan hatten − was aus ihnen geworden war −, war Übelkeit erregend, aber Jacen sah sich nicht als Richter. Er war ein Jedi. Er hätte immer noch eine Möglichkeit finden können, ihnen zu helfen. Während die Magenmäuler rings um sie her aufklafften und den Raum mit Säuregasen füllten, während die Höhlentier-Leute näher kamen, die Blaster auf ihn gerichtet, kalt und mörderisch, während sie so taten, als bedauerten sie ihre Absicht, hätte er immer noch seinem dunklen Bedürfnis, ihnen Schaden zuzufügen, widerstehen können.
Die letzte Unze von Druck auf Jacens Auslöser war von dem Mädchen gekommen.
Er ist als Letzter gekommen!, hatte sie gerufen. Nehmt ihn − ihn! Er ist der Letzte!
»Sie hat sich gegen mich gewandt«, sagte Jacen leise.
nimmst du ihr das übel?
Er schüttelte den Kopf. »Wie kann ich das? Sie ist nur ein Mädchen. Ein Mädchen, das weiß, wie es sich anfühlt, bei lebendigem Leib verdaut zu werden. Ein Mädchen, das weiß: Wenn ich es nicht bin, wird sie es sein. Zum zweiten Mal.«
ich wollte wohl fragen, hast du es ihr übel genommen?
»Das ist etwas anderes.« Jacens Miene war so trostlos wie eine Sandsteinklippe auf Kirdo III. »Ich habe es ihnen allen übel genommen. Ich hasste sie. Und ich wollte ihnen wehtun.«
tatsächlich?
»Ich wusste, was ich tat; ich wusste genau, was es bedeutete. Ich habe mich bewusst der Dunkelheit bedient. Ich wollte es so. Ich habe es genossen. Ich erinnere mich daran, dass ich lachte. Ich erinnere mich daran, dass ich ihnen drohte. Ich erinnere mich, dass ich durch die Macht spürte, wie ihr geheucheltes Bedauern zu echter Angst wurde. Ich erinnere mich, dass es mir gefiel.«
Sie hatten auf ihn geschossen; Blastergeschosse waren scharlachrot durch den grünlichen Säurenebel gerast. Lachend hatte Jacen die Geschosse mit der rechten Handfläche aufgefangen und ohne jede Anstrengung die destruktiven Energien abgeleitet, bevor sie ihm Schaden zufügen konnten. Mit einem Schnippen des Handgelenks hatte er die Blaster mithilfe der Macht gepackt und sie nachlässig beiseite geworfen.
wie viele von ihnen hast du getötet?
»Alle.« Jacen blickte auf seine zitternden Hände hinab. Er ballte sie zu Fäusten, bis die Brandwunden auf den Handflächen anfingen zu bluten. »Keinen. Wo ist der Unterschied?«
Während die Macht durch seinen Kopf toste, hatte er tief in die hohle Mitte seiner Brust gegriffen, in die Leere, wo der Sklavensamen gewesen war, und dort hatte er das trübe Halbbewusstsein des Höhlentiers gefunden. Mithilfe der Macht hatte er eine Illusion geschaffen: eine schlichte Überzeugung, so tief in dem trüben Geist des Höhlentiers verankert, dass kein Beweis des Gegenteils sie je erschüttern könnte.
Menschen sind giftig.
Ebenso wie jede andere Spezies der Neuen Republik.
Das Höhlentier hatte keine Möglichkeit gehabt, sich gegen diese Art von Trick zu verteidigen; ihm hatte die grundlegende Fähigkeit gefehlt, sich selbst zu sagen: Aber keiner von denen, die ich schon gefressen habe, hat mir geschadet … Es hatte nur einen einzigen Verteidigungsreflex.
Es übergab sich.
Massive peristaltische Bewegungen hatten die Leute, das Mädchen, Jacen und alle fremden Gegenstände durch das gewaltige Innere des Höhlentiers getrieben und sie alle durch den leicht schimmernden Knorpelhals gewaschen, durch den Jacen hereingekommen war.
Er erinnerte sich an den Zorn und die wachsende Panik der anderen, als sie sich auf einem Haufen vor dem Maul des Höhlentiers wiedergefunden hatten und feststellten, dass ihre Zuflucht die Zähne gegen sie zusammenbiss. Sie würden sich ihre Sicherheit vor den Yuuzhan Vong nicht mehr mit dem Leben anderer erkaufen können. Du hast uns umgebracht!, hatte jemand geschluchzt. Du hast uns alle umgebracht.
Jacen hatte sie eisig angestarrt. Noch nicht.
Diese weichen, schwachen, verachtenswert verräterischen Geschöpfe − er konnte sich nichts Hassenswerteres vorstellen. Er hatte ihnen den Rücken gekehrt und war davongegangen.
Er hatte sie den Yuuzhan Vong und einander überlassen.
aber du hast ihnen geholfen. besser sterben als ein leben führen, das mit unschuldigem blut erkauft wurde.
»Soll das alles wieder gutmachen? Ich habe nicht versucht, ihnen zu helfen. Ich wollte, dass sie leiden. Ich kann nicht mal der Dunklen Seite die Schuld geben … Die Dunkle Seite hat mich zu gar nichts gezwungen.«
ich weiß. so funktioniert es nicht.
»Es war nur ich, Anakin. Ich habe mich meiner eigenen Dunkelheit überlassen. Ich habe meine dunkle Seite losgelassen …«
du hättest sie alle töten können. du hattest die macht. du hättest das höhlentier töten können. ich wette, dafür hattest du ebenfalls genug kraft. genau, wie du vergere hättest töten können und nom anor. aber du hast es nicht getan. stattdessen hast du die kraft, die du gefunden hast, genutzt, um leben zu retten. deine dunkle seite ist gar nicht so dunkel, bruder.
»Das ist gleich. Man kann Dunkelheit nicht mit Dunkelheit bekämpfen.«
das ist onkel luke, der da redet. die dunkelheit zu bekämpfen war sein job. die yuuzhan vong sind nicht dunkel. sie sind fremdartig.
»Und ich kann mich offenbar nicht zwingen, gegen sie zu kämpfen.«
wer sagt denn, dass du das tun musst?
Jacen riss den Kopf hoch. »Du. Alle. Welche andere Möglichkeit gibt es denn?«
warum fragst du mich das? Anakin hatte das spielerische schiefe Grinsen verloren und stand nun nahe genug am Tisch, dass Jacen ihn hätte berühren können, wenn er die Hand ausstreckte …
Wenn er sich dazu hätte bringen können, die Hand auszustrecken.
Wenn irgendetwas da gewesen wäre, das er hätte berühren können.
Die Verzweiflung, die ihn auf dem Stuhl festhielt, schwoll zu einem schwarzen Loch der Hoffnungslosigkeit an, das ihm die Luft aus der Brust saugte. »Wen sonst kann ich fragen? Was kann ich tun? Was soll ich jetzt tun?« Er sackte zitternd in sich zusammen »Ich bin vollkommen durchgeknallt, wie? Hier sitze ich und streite mich mit einer Halluzination. Es gibt dich nicht mal!«
zählt das denn? es ist nicht so einfach, zu dir durchzudringen, großer bruder. ich muss alle vorhandenen mittel nutzen.
»Wie kann es nicht zählen?«, schrie Jacen plötzlich. »Ich brauche … ich weiß nicht, was ich glauben soll! Ich weiß nicht mehr, was wirklich ist!«
auf dem saatschiff war ich eine machtprojektion. dann war ich ein telepathischer köder. jetzt bin ich eine halluzination. das bedeutet nicht, dass ich nicht ich wäre. warum muss alles entweder das eine oder das andere sein?
»Weil es so ist! Weil Dinge entweder eines sind oder etwas anderes. So ist es nun mal! Du kannst nicht gleichzeitig echt und eine Fälschung sein.«
warum nicht?
»Weil … weil du es nicht kannst, das ist alles!«
die macht ist eins, Jacen. sie umfasst alle gegensätze. wahrheit und lüge, leben und tod, neue republik und yuuzhan vong. licht und dunkel und gut und böse. sie sind jeweils auch alles andere, weil alles und jedes dasselbe ist. Die macht ist eins.
»Das ist eine Lüge!«
ja. und die wahrheit.
»Du bist nicht Anakin!«, schrie Jacen. »Das bist du nicht! Anakin würde nie so reden! Anakin würde das niemals glauben! Du bist nur eine Halluzination!«
na gut. ich bin eine halluzination. das bedeutet, dass du mit dir selbst redest.
das bedeutet, was ich sage, ist das, was du selbst glaubst.
Jacen wollte heulen, toben, vom Stuhl springen und kämpfen − was auch immer. Aber das schwarze Loch fraß seinen Atem, seine Kraft, seinen Zorn; es verschlang sogar das Universum des Hasses, und am Ende war es leerer als zu Anfang. Wo früher all seine Hoffnung, all seine Liebe, all seine Sicherheit gewesen waren, klaffte nun eine kalte Leere, gefüllt nur von dem leeren, unbelebten Hunger des Vakuums, und Jacen brach zusammen Er hatte nicht einmal mehr die Kraft zu weinen.
Er fiel in das schwarze Loch.
Zeitalter vergingen oder Nanosekunden.
Im schwarzen Loch gab es da keinen Unterschied.
Sterne verdichteten sich aus intergalaktischem Wasserstoff, zündeten, schmolzen, brannten Schwermetalle, schrumpften zu weißen Zwergen, die zu Braun verblassten, alles zwischen einem Atemzug und dem nächsten.
Eine Ewigkeit in der Dunkelheit.
Dann drang Information über den Ereignishorizont: eine Stimme.
Er kannte die Stimme, wusste, dass er nicht zuhören sollte − aber er war nicht nur im schwarzen Loch, er war das schwarze Loch, nahm alles auf und hielt es für immer fest.
»Was ist Wirklichkeit? Was ist Illusion? Wo liegt die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge? Zwischen Richtig und Falsch? Es ist ein kalter, einsamer Ort, Jacen Solo: die Leere des Nichtwissens.«
Er antwortete nicht. Ein schwarzes Loch kann nicht antworten. Ein Ereignishorizont ist das ultimative Ventil: Alles kann ihn in einer Richtung überqueren, nichts in der anderen.
Aber die eintreffende Stimme bewirkte, dass sein schwarzes Loch zu verfallen begann. Sein persönlicher Ereignishorizont schrumpfte sofort zu einer Punktmasse in der Mitte seiner Brust …
Und Jacen öffnete die Augen.
»Vergere«, sagte er matt. »Wie hast du mich gefunden?«
Sie hatte sich katzenhaft auf dem Esstisch der Solos niedergelassen, Arme und Beine unter sich gefaltet. Sie starrte ihn mit interstellaren Augen an. »Ich teile das Vorurteil unserer Herren gegen Technologie nicht. Ein Teil der planetaren Datenbank hat überlebt. Die Adresse der ehemaligen Staatschefin zu finden, war nicht besonders schwer.«
»Aber woher wusstest du es? Woher wusstest du, dass ich nach Hause gehen würde?«
»Es ist ein Instinkt aller Rudeltiere: Die tödlich Verwundeten kriechen zurück in ihre eigenen Höhlen, um zu sterben.«
»Verwundet?«
»Die größte Wunde, die ein Jedi davontragen kann: Freiheit.«
Noch ein Rätsel. Er hatte keine Kraft für Rätsel. »Das verstehe ich nicht.«
»Wenn du immer gewusst hast, was richtig ist, wo war die Freiheit? Niemand wählt das Falsche, Jacen Solo. Unsicherheit macht dich frei.«
Jacen dachte sehr lange darüber nach. »Zu Hause sterben«, murmelte er. »Schönes Zuhause. Hast du diese Wohnung gesehen? Jainas Zimmer ist voll mit einer Pflanze, die versucht hat, mich zu fressen. Die Küche sieht aus wie ein Korallenriff. Meine Sammlung …« Er konnte nur den Kopf schütteln. »Das hier ist nicht mein Zuhause.«
»Und du wirst hier auch nicht sterben«, sagte Vergere vergnügt. »Hast du es vergessen? Du bist bereits tot. Das warst du all diese Monate; du hast die Durchquerung der Lande der Toten beinahe hinter dir. Jetzt ist keine Zeit zum Sterben, sondern für neues Leben. Du bist geheilt, Jacen Solo. Steh auf und wandle!«
Jacen sackte auf seinem Stuhl tiefer in sich zusammen und starrte blind durch das Durcheinander von Spinnenschnüren. »Warum sollte ich?«
»Selbstverständlich weil du kannst. Warum sonst sollte sich jemand die Mühe machen aufzustehen?«
»Ich weiß es nicht.« Er schloss die Augen wieder. »Es scheint nicht zu zählen, ob ich aufstehe oder hier sitzen bleibe, bis ich verhungert bin. Nichts zählt. Nichts hat Bedeutung.«
»Nicht einmal der Tod deines Bruders?«
Er zuckte teilnahmslos die Schultern. Leben, Tod − alles war eins. Eins mit der Macht. Er sagte: »Der Macht ist es egal.«
»Und dir ebenfalls?«
Er öffnete die Augen. Ihr Blick hatte diese seltsame, beinahe heitere Intensität, die er schon in der Umarmungskammer, in der Zuchtstation, am Krater gesehen hatte. Aber er war zu müde, zu gebrochen, um darüber nachzudenken, was sie von ihm erwartete. »Ob es mir egal ist oder nicht, ist ebenfalls egal.«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Ist es denn für dich wichtig?«
Nach langem, langem Schweigen seufzte er. »Ja. Ja, das ist es.« Es wäre ihm nie eingefallen, sie zu belügen. »Aber was zählt das schon? Sicher, mir ist einiges nicht egal − aber wer bin ich denn schon?«
Sie zuckte so subtil mit den Schultern, dass es beinahe nur ein Schaudern war. »Das war immer die Frage, oder?«
»Aber du hattest nie eine Antwort …«
»Ich habe eine Antwort«, sagte sie sanft. »Aber es ist meine Antwort, nicht deine. Du wirst in mir keine Wahrheit finden.«
»Das sagst du, immer wieder.« Bittere Asche kratzte tief in seiner Kehle. »Auch nicht in irgendwem sonst, fürchte ich.«
»Genau«, sagte sie.
Ein hohes, summendes Heulen erklang in seinen Ohren, pfiff in seinem Kopf wie eine zornige Funkenbiene, die in seinem Schädel festsaß. »Wo sonst soll ich die Wahrheit finden?«, fragte er verschwommen »Wo? Sag es mir! Bitte.« Er konnte seine Stimme über das Summen hinweg kaum mehr hören. Es wuchs zu einem Tosen.
Sie beugte sich vor und lächelte, und das Tosen übertönte, was sie sagte, aber er konnte einige Worte von ihren Lippen lesen.
Frage … dich selbst, wo … sonst … suchen.
»Wie?«, keuchte er schwach. »Was?«
Als das Tosen zu einem Sturm in seinem Kopf wurde und alle Worte, jede Hoffnung auf Sinn übertönte, drückte sie ihre vier Finger zu einer Spitze zusammen und tippte damit leicht gegen seine Brust − direkt in die Mitte, direkt über der Leere, die die Sklavensaat hinterlassen hatte, direkt über der Punktmasse seines persönlichen Ereignishorizonts −, als klopfe sie an eine Tür.
Drunten in dieser Leere war es still. Dort herrschte Ruhe: das Auge des Sturms, der in ihm tobte. Er warf seinen Geist in diese ruhige, stille Leere, ließ die Stille wachsen, um alles zu umgeben, was er war.
Der Sturm verwehte.
Das schwarze Loch verschluckte sich selbst.
Er war nicht allein in der Stille. Es gab die Macht: diese lebendige Verbindung zwischen ihm und allem, was war, allem, was je gewesen war, und allem, was je sein würde. Und auch die Vong-Lebensformen waren da: von der trüben Zufriedenheit des blauen Bofists, der sich in der Wärme von Jacens und Vergeres Körpern sonnte, über die fleißige Konzentration der Arachnoiden, die durch ihr wachsendes Netz kletterten … bis zu der Bereitschaft zu sofortiger Gewalttätigkeit der zwölf Yuuzhan-Vong-Krieger, die jetzt hereinkamen …
Und der atemlosen Vorwegname des Triumphs, die Nom Anor erfüllte, der ihnen folgte.
Yuuzhan-Vong-Krieger. Zwölf von ihnen. Bewaffnet.
Und Nom Anor.
Die Krieger verteilten sich.
Jacen betrachtete sie ruhig und ohne Panik. Hier in der stillen Ruhe seiner Mitte gab es keine Überraschungen, keine Gefahren. Es gab nur ihn und sie alle und das Universum, von dem sie alle ein kleiner Teil waren.
Er sah Vergere staunend an. Er wusste nun, was er nie zuvor hätte verstehen können. Sie hatte nicht gesagt: Frage dich selbst, wo man sonst suchen sollte.
Sie hatte gesagt: Frage dich selbst. Wo sonst sollte man suchen?
Nom Anor trat vor, die Hände in den weiten Ärmeln einer bodenlangen Gewandhaut gefaltet, die so schwarz war, dass sie glänzte. Jacen konnte sein eigenes verzerrtes Spiegelbild auf ihrer glänzenden Oberfläche sehen.
Nom Anor, dachte Jacen, steht in unserem Esszimmer.
»Die Bedeutungslosigkeit und Verzweiflung, unter der Sie leiden«, sagte Nom Anor aalglatt, »sind die unvermeidlichen Folgen Ihrer bankrotten Religion. Diese Macht, von der Sie immer reden, hat kein Ziel. Sie ist einfach nur das, was ist: korrupt von der Fäulnis, die diese gesamte Galaxis befallen hat. Voller Lügen und Illusionen, kleinlicher Eifersüchteleien und Verrat. Aber es gibt ein Ziel im Universum Es gibt einen Grund aufzustehen, und Sie können ihn finden. Ich kann Ihnen sagen, worin dieser Grund besteht.«
Er hat gelauscht, dachte Jacen. Selbstverständlich. Vergere hat ihn hierher geführt.
»Es ist Zeit«, fuhr Nom Anor fort, »Ihre nutzlose Macht hinter sich zu lassen. Es ist Zeit, die Dunkelheit und die Illusionen Ihres Lebens hinter sich zu lassen. Es ist Zeit, Ihren Platz im reinen Licht der Wahrheit einzunehmen.«
Jacens Stimme schien um ihn herum zu hallen, als wäre die ruhige, stille Leere, von der aus er sprach, eine gewaltige Höhle. »Wessen Wahrheit?«
»Ihre Wahrheit, Jacen Solo«, sagte Nom Anor mit großer Geste. »Die Wahrheit des Gottes, der Sie sind.«
»Des Gottes, der ich bin …«
Aus einem dieser weiten Ärmel zog Nom Anor ein Lichtschwert. Alle zwölf Krieger spannten sich an und verzogen ihre Gesichter zu Masken des Hasses, als er die Klinge zündete und vortrat. Leuchtende lilafarbene Energie schnitt durch die Spinnennetze; Jacen sah mit ausdrucksloser Miene zu, wie Nom Anor schnell und effizient die Schnüre aus Spinnenspeichel durchtrennte, die ihn an den Stuhl gebunden hatten.
Der Exekutor ließ die Aktivierungsplatte los und kniete zu Jacens Füßen nieder. Er senkte den Kopf ehrfürchtig und reichte Jacen das deaktivierte Lichtschwert mit ausgestreckten Händen.
Jacen erkannte den Griffentwurf.
Es war Anakins Schwert.
Er sah Vergere an.
Sie erwiderte seinen Blick ungerührt. »Entscheide dich und handle.«
Jacen sah mit übernatürlicher Klarheit die Entscheidung, die vor ihm lag. Die Möglichkeit.
Anakins Lichtschwert. Anakin hatte es hergestellt. Anakin hatte es benutzt. Es hatte ihn verändert, und er hatte es transformiert. Der Kristall dieses Schwerts war nicht von der gleichen Art wie die anderer Lichtschwerter, sondern ein lebender Vong-Kristall.
Teils Jedi. Teils Yuuzhan Vong, dachte er. Beinahe wie ich.
Sie boten ihm Anakins Leben: seinen Geist, seine Fähigkeiten, seinen Mut.
Seine Gewalttätigkeit.
Jacen war nur drei Jahre alt gewesen, als er zum ersten Mal ein Lichtschwert zum Zweikampf benutzt hatte. Er war ein Naturtalent.
Und nun konnte er die Yuuzhan Vong spüren. Und die Macht war mit ihm.
Er konnte Anakins Weg folgen. Er konnte ein reiner Krieger sein. Er konnte noch größer sein, als sein Bruder gewesen war: Mit der dunklen Macht, über die er verfügte, konnte er jeden lebenden Jedi übertreffen, selbst Onkel Luke. Selbst die Jedi der alten Zeiten.
Er konnte das größte Schwert der Macht sein, das es je gab.
Mehr noch: Er konnte seinen Bruder mit der Waffe rächen, die Anakin selbst hergestellt hatte.
Ich könnte dieses Schwert nehmen, dachte er, und sie alle umbringen.
Ist es das, was ich bin?
Ist das, was ich sein möchte?
Er sah Nom Anor an.
Der Exekutor sagte: »Nehmen Sie die blasphemische Waffe, und töten Sie − oder wählen Sie das Leben. Entscheiden Sie sich, die Wahrheit zu erfahren. Entscheiden Sie sich, die Wahrheit zu lehren, die Wahrheit mit Ihrem Volk zu teilen. Ich werde Sie die Wahrheit lehren, die Sie mit ihnen teilen können: die Wahrheit des Gottes, der Sie sind!«
Jacen griff nach dem Lichtschwert, aber nicht mit der Hand.
Der Griff schien zu schweben, hing über Nom Anors Handflächen in der Luft − dann hüpfte es davon und auf Vergere zu. Sie fing es geschickt auf und legte es neben sich auf den Tisch.
Jacen starrte sie an und doch nicht sie − er betrachtete sein Spiegelbild auf der glänzenden, gekrümmten schwarzen Oberfläche ihrer bodenlosen Augen. Er sah schweigend und ausdruckslos hinein, bis er spürte, dass er selbst das Spiegelbild reflektierte: Er war reine Oberfläche, schimmernd über einem unendlichen Brunnen der Dunkelheit.
Ein Spiegel für jedes Bild von Dunkelheit.
Er füllte sich mit Stille; als er so still war, dass er spüren konnte, wie sich das Universum um die Achse drehte, zu der er geworden war, stand er auf.
Nom Anor zischte triumphierend. »Sie werden ein Stern werden, eine Sonne, die Sonne − und Sie werden die Galaxis mit dem Licht des Wahren Wegs erfüllen.«
»Also gut«, sagte Jacen. Eine kalte, makellos stille Oberfläche: nicht bewegt von Schwäche, Gewissen oder Menschlichkeit.
»Warum nicht?«