14

Weg des Schicksals

 

Sie greifen ihn einer nach dem anderen an, ein endloser Strom, jeder Krieger eifrig bedacht, einen ehrenvollen Einzelkampf zu gewinnen.

Dann …

Dann kommen sie zu zweit.

Als sie anfangen, in Gruppen anzugreifen, müssen sie über die Leichen ihrer toten Kameraden klettern, um ihn zu erreichen. Über einen Haufen von Leichen.

Ganner Rhysode baut eine Festung aus Toten.

 

Von einem sicheren Punkt aus − hinter einem Stück gebogenen Durastahls, das einmal zum großen Tor gehört hatte − beobachtete Nom Anor die Vorgänge entsetzt und fasziniert. Durch den Rauch und die Masse von Kriegern, die sich vordrängten, um mit dem verrückten Jedi zu kämpfen, konnte er nur leuchtende lilafarbene Blitze sehen und hin und wieder den Jedi selbst, wenn er in die Höhe sprang und sich überschlug, stets in Bewegung, stets angreifend, zustechend und -schlagend, und das Atrium mit Leichen und abgetrennten Körperteilen füllte.

»Das ist Wahnsinn!« Nom Anor wandte sich dem Kommandanten an seiner Seite zu. »Können Sie ihn nicht einfach wegsprengen? Ihn vergasen? Irgendetwas

»Nein.« Die Narben im Gesicht des Kommandanten hatten einen hellen Blauton angenommen. »Er kämpft ehrenhaft. Wollen Sie etwa, dass Krieger der Yuuzhan Vong weniger ehrenhaft kämpfen als ein ungläubiger Jeedai

»Sparen Sie sich Ihre Ehre für etwas Besseres auf! Verstehen Sie denn nicht? Im Schacht des Welthirns befindet sich ein Jedi − und dieser Jedi ist Jacen Solo!« Er sprach den Namen so aus, als handele es sich dabei um den des Teufels − und vielleicht war das ja auch der Fall.

Nur ein Teufel hätte die Voxyn-Königin töten können. Nur ein Teufel hätte die Dhuryams, Gestalter und Krieger in der Zuchtstation töten und sich dennoch in Nom Anors Vertrauen einschleichen können, bis zu dem Punkt, an dem er − er, Nom Anor persönlich diesen erschreckend tödlichen Jedi an den einzigen Ort auf Yuuzhan’tar gedrängt hatte, wo er den gesamten Planeten zerstören konnte! »Jacen Solo ist allein mit dem Welthirn …«

»Das Welthirn ist durchaus in der Lage, sich selbst zu verteidigen.« Auf Nom Anors anderer Seite stand Ch’Gang Hool, der Gestalterlord. »Auch wenn man von Angelegenheiten der Ehre einmal absieht, können wir hier weder sprengen noch Giftgase benutzen. Das Welthirn wäre durch einen solch ungeschickten Rettungsversuch in größerer Gefahr, als es je durch einen einzelnen Jeedai sein könnte.«

»Es geht nicht um einen gewöhnlichen Jedi«, sagte Nom Anor eindringlich. »Sie haben keine Ahnung, wozu er imstande ist. Wir müssen dort hineingelangen! Wir müssen ihn aufhalten!«

Der Kommandant gab eine Reihe von Befehlen, und ein Trupp schwerer Infanterie stapfte auf den Torbogen zu. Die Vonduun-Krabben-Rüstungen, die sie von Kopf bis Fuß schützten, schimmerten im Schleimlicht. Er warf einen Blick zu Nom Anor. »Wir werden bald genug hineingelangen. Bleiben Sie ruhig, Exekutor.«

»Ihre Ratschläge können Sie sich ebenfalls für bessere Zeiten aufheben!«

»Sie scheinen ein wenig … mhm, überreizt zu sein«, murmelte Ch’Gang Hool. Seine Mundtentakel zuckten. »Man könnte sich fragen, ob Sie sich in irgendeiner Weise für die Geschehnisse … äh, verantwortlich fühlen?«

Nom Anor öffnete den Mund, holte Luft, setzte dazu an, etwas zu sagen, überlegte es sich anders, setzte dazu an, etwas anderes zu sagen − und schloss den Mund dann wieder. Die Mundtentakel des Gestalterlords verflochten sich zu einer subtil obszönen Form. Nom Anor wandte den Blick ab. Er war nur eine Sekunde davon entfernt, dem Mann die Tentakel aus seinem selbstzufriedenen Bürokratengesicht zu reißen und sie zu verspeisen.

Ein paar Schritte weiter hinten auf der Rampe entdeckte er Vergere inmitten der aufgeregten Priester. Sie erwiderte seinen Blick, und mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete sie ihm, ihr zu folgen. O ja, er würde ihr folgen, dachte er, als er sich entschuldigte und hinter ihr hereilte. Er hatte ein paar sehr ausgewählte Worte für dieses kleine Geschöpf im Sinn.

Sie ging ein Stück die Rampe hinunter ins blauweiße Sonnenlicht und blieb dann stehen. In einer Hand hielt sie den Zweig eines der Rampenbäume. Nom Anor kochte bereits vor Wut, als er sie erreichte. »Wissen Sie, was Ihr ›Schüler‹ getan hat? Dieser hinterhältige Mensch hat uns verraten − und es ist alles Ihre Schuld!«

»Das ist durchaus möglich.« Ihre Glöckchenstimme war so vergnügt wie eh und je. »Aber wir sollten uns über eins klar sein, Exekutor, wenn wir schon über Schuld reden: Es ist nicht wichtig, wessen Schuld dies wirklich ist; es zählt nur, wem Tsavong Lah die Schuld geben wird.«

Nom Anor zog fleischlose Lippen von nadelspitzen Zähnen zurück. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was Tsavong Lah tun würde, sobald die Nachricht über dieses Desaster an seine Fanatikerohren gedrungen war. »Und warum kommen Sie jetzt zu mir?«

»Weil Sie mich mitnehmen sollten.«

Er erstarrte. »Sie mitnehmen?«, fragte er mit bewusster Ausdruckslosigkeit.

»Sie werden mich brauchen. Ich habe das Leben von Luke Skywalkers Frau gerettet. Mit mir an Ihrer Seite wird die Neue Republik Sie vielleicht nicht sofort erschießen.«

Nom Anor musste zugeben, dass sie vielleicht nicht unrecht hatte, aber sein Gesicht verriet nichts davon. »Sie glauben, ich habe einen Notfallplan?«

»Exekutor, bitte«, tadelte Vergere mit wissendem Blick. »Sie haben immer einen Notfallplan. Diesmal haben Sie sogar noch etwas Besseres: ein geheimes Korallenschiff, das unter dem Schacht gezüchtet wurde.«

»Ich … ich habe nichts dieser Art!« Woher konnte sie das wissen? Ein verborgener Zugang auf der anderen Seite des Schachts, der sich nur ihm öffnen würde, führte zu dem Korallenschiff, das ein von ihm bestochener Gestalter schon vor Monaten gesät hatte, während der ersten Stadien des Umbaus des Galaktischen Senats zum Schacht des Welthirns. »Sie können doch nicht wirklich glauben …«

»Exekutor, glauben Sie wirklich, Sie sind der Einzige, der einen Gestalter bestechen kann? All diese liebevolle Fürsorge für Ihr geheimes Korallenschiff, während es reifte …«

»Still! Das reicht!« Er warf einen Blick über die Schulter zur Rampe. Der Kommandant hatte sich abgewandt, um den Kampf im Auge zu behalten, aber Ch’Gang Hool beobachtete Nom Anor immer noch erwartungsvoll. Jetzt zu gehen würde ihn verdächtig machen − er würde es vielleicht nicht einmal bis zu dem Schiff schaffen.

Vergere schien irgendwie seine Gedanken lesen zu können. »Exekutor, wenn wir jetzt nicht fliehen, wird es überhaupt keine Flucht geben. Es wird nicht einmal mehr ein Schiff geben.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um sich dicht zu ihm zu beugen, und flüsterte: »Jacen Solo wird es stehlen.«

 

Die Oberfläche des blutwarmen Schleimteichs schließt sich so weich wie Lippen über Jacen Solo.

Er spürt es nicht.

Knotige Tentakel strecken seine Arme zur Seite, binden seine Beine, ziehen sich wie eine Garotte um seinen Hals. Ihre raue, schuppige Haut kratzt seine Haut blutig, und das Blut umgibt ihn in einer fraktalen Baumspirale, die im Schleim beinahe reglos festzuhängen scheint. Tentakel drehen ihn und biegen ihn, ziehen ihn tiefer in den Schleim, der goldgelb und scharlachrot leuchtet, grelle Farben, die sich mit seiner Bewegung verändern und beim Kontakt mit seiner Körperwärme wogen.

Er sieht sie nicht.

In der tiefsten Tiefe des Schleimteichs halten die Tentakel ihn mit dem Gesicht nach oben und mit dem Rücken zu einem Ring zerklüfteter Trümmer; dieser Trümmerring war einmal die Basis des Podiums des Staatschefs, auf dem seine Mutter so oft gestanden hat. Die Tentakel packen ihn fester, ziehen ihn auf eine gewaltige, schwellende Masse zu, auf schwarze Wölbungen von Fleisch, das zwischen durchscheinenden grünen Flächen und Eingeweidesträngen hervorquillt. Die Tentakel selbst gehen von einem fleischigen Ring rund um einen klaffenden, hungrigen Mund aus, und auf beiden Seiten dieses leer kauenden Munds starren ihn riesige Augen an, die vor misstrauischer Bosheit gelb leuchten.

Jacen bemerkt es nicht.

Seine Aufmerksamkeit gilt dem Hohlraum in seiner Brust.

Sein leeres Zentrum hallt wider von Zorn, Misstrauen und hungrigem Triumph: die Emotionen des Welthirns, das den früheren Freund, der es einmal umbringen wollte, in seine Gewalt gebracht hat.

Den früheren Freund, dem es vertraute und von dem es verraten wurde.

Bewegliche Zähne, die wie Schwerter aus zungenähnlichen Muskelklumpen ragen, beginnen nun, in dem von Tentakeln umgebenen Mund zu kreisen und gegeneinander zu stoßen.

Jacen kann nur mit Bedauern und Traurigkeit antworten.

Ja, ich habe dich verraten. Ich habe dich gelehrt zu vertrauen, und ich habe dich gelehrt, was es bedeutet, einem Verräter zu vertrauen.

Er kann das Dhuryam nicht lehren zu verzeihen. Diese Lektion hat er selbst noch nicht gelernt: Es gibt so vieles, das er nie verzeihen wird.

Die Tentakel ziehen sich zusammen, ziehen ihn auf das klaffende Maul zu, und die Schwertzähne schließen sich um sein Fleisch.

Er weicht nicht zurück.

Er leistet keinen Widerstand.

Er kämpft nicht.

Stattdessen öffnet er sich. In seiner geheimsten Mitte, dieser Kluft in seinem Wesen, die ihm einmal Schmerzen zufügte, bietet er eine Umarmung an.

In den Hohlraum in seiner Mitte lässt er Mitgefühl fluten. Vollkommene Empathie. Vollkommenes Verstehen.

Er akzeptiert den Schmerz, den er dem Dhuryam mit seinem Verrat zugefügt hat; er lässt das Dhuryam wissen, welchen Schmerz dieser Verrat ihm selbst bereitet hat.

Er teilt all seine Erfahrungen des Lebens mit dem Dhuryam: das reine Weiß der Agonie, die rote Flut des Zorns, das schwarze Loch der Verzweiflung, der eisige Gammaregen der Trauer … und das üppige Grün wachsender Dinge, die Grautöne von Stein und Durabeton, das Glitzern von Edelsteinen und Transparistahl. Das blauweiße Zischeln der Mittagssonne und ihr exaktes Echo in einer Lichtschwertklinge.

Er lässt das Dhuryam wissen, wie sehr er alles liebt, denn all diese Dinge sind eins: Schmerz und Freude, Verlust und Wiedervereinigung, Leben und Tod. Eines von ihnen zu lieben bedeutet, alle zu lieben, denn nichts kann ohne das andere existieren.

Das Universum.

Die Macht.

Alles ist eins.

Die Yuuzhan Vong und die Spezies der Neuen Republik.

Jacen und das Welthirn.

Als ich dich verriet, verriet ich mich selbst. Als ich deine Geschwister tötete, tötete ich Stücke meiner selbst. Du kannst mich umbringen, aber ich werde in dir weiterleben.

Wir sind eins.

Und Jacen kann nicht sagen, ob diese letzten Worte von ihm ans Welthirn gerichtet wurden oder von dem Welthirn an ihn, denn Jacen und das Welthirn sind nur unterschiedliche Gesichter des Gleichen. Man kann es als das Universum bezeichnen oder als die Macht oder als Existenz: Das sind alles nur Worte.

Es sind Halbwahrheiten. Noch weniger als das.

Es sind Lügen.

Die Wahrheit ist stets größer als die Worte, die wir benutzen, um sie zu beschreiben.

 

Das Pfeifen, wenn Lichtklinge und Amphistab aufeinander prallen, ein Zustoßen, das desintegrierende Energie durch die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger eines Yuuzhan Vong schickt, wo die Hand den Amphistab hält …

Ein blitzschneller, hoher Salto über zwei Krieger hinweg, die Seite an Seite vorstoßen, und ihr Zusammenbrechen, als ein einziges Lichtschwert ihnen von hinten die Hälse durchschneidet und ihre Glieder vom Hirn trennt …

Das erstaunte Blinzeln eines Kriegerauges, als ein amethystfarbener Lichtstrahl nach oben gerichtet in einen offenen Mund fährt, um einen drei Zentimeter breiten Gang vom Gaumen zur Schädeldecke zu öffnen …

Aus solch kurzem Flackern setzt sich der Tod von Ganner Rhysode zusammen − der Verbrannte-Milch-Geruch von Yuuzhan-Vong-Blut, der sich auf seiner Klinge knisternd in Rauch verwandelt …

− Linien aus brennendem Eis, die in Wahrheit Schnitte sind, die Amphistäbe in seinem Fleisch hinterlassen …

− kalte Flammen von Amphistabgift, die seine Nerven verzehren …

Dies sind nur winzige Melodiefragmente aus Ganners Symphonie der Macht. Die Macht gibt ihm nicht nur Kraft, trägt ihn nicht nur und wirbelt ihn umher: Die Macht rauscht durch seine Adern, um sein Herz auf den Rhythmus des Universums abzustimmen.

Er ist die Macht, und die Macht ist er.

Er ist sich der Sequenz seines Todes nicht direkt bewusst: Es gibt schon lange keine Zeit mehr, ebenso wenig wie Angst, Zweifel oder Schmerzen. All das ist in dieser ewigen Sekunde verschwunden, als er seine Selbstbeherrschung aufgab. Als er im Torbogen stand und auf die Yuuzhan Vong wartete, hat Ganner erkannt, dass dies, hier und jetzt, der Augenblick ist, auf den ihn sein gesamtes Leben zugeführt hat.

Der Tag seiner Geburt hat ihn auf diesen Weg gebracht; jeder Triumph und jede Tragödie, jeder dumme Trick und jede Demütigung, jede willkürliche nutzlose Wendung eines grausamen Schicksals − all das baute weiteren Druck in ihm auf, nährte die Sturmflut hinter den Deichen seiner Beherrschung. Diese Deiche waren von seinen Eltern errichtet worden, die versuchten, die scharfen Kanten seiner Arroganz abzuschleifen; sie waren von dem spöttischen Lachen seiner Spielkameraden errichtet worden, die all seine Versuche, sie zu beeindrucken, nur verhöhnten; sie wurden sogar von Luke Skywalkers Ausbildung errichtet − »Ein Jedi prahlt nicht, Ganner. Kämpfen ist kein Spiel. Wenn ein Jedi kämpfen muss, bedeutet das, dass er versagt hat. Es ist eine Tragödie. Wenn Blut vergossen werden muss, tut ein Jedi das schnell und klinisch, mit feierlicher Ehrerbietung. Mit Trauer.«

Ganner hat so lange und so angestrengt versucht zu sein, was alle ihm sagten; er hat versucht, seine Neigung zum Dramatischen, zur Eleganz, zur Anmut, zum Künstlerischen zu beherrschen. Versucht, ein guter Sohn zu sein, ein guter Freund, ein bescheidener Mann, ein guter Jedi. Aber unter dem Torbogen findet das Versuchen ein Ende.

Es gibt keinen Grund mehr, sich der Wahrheit über ihn selbst länger zu widersetzen. Nun ist es ihm nicht nur gestattet, die Rolle des Helden zu spielen …

Es ist notwendig.

Um den Torbogen zu halten, genügt es nicht, nur zu verwunden und zu töten, es genügt nicht, ruhig zu sein, klinisch vorzugehen und von Trauer erfüllt zu sein.

Um den Torbogen zu halten, muss er nicht nur töten, sondern mühelos, sorglos, lachend töten. Freudig.

Um den Torbogen zu halten, muss er tanzen und wirbeln und springen und sich drehen und nach mehr Gegnern schreien. Nach mehr Opfern.

Er muss sie dazu bringen, zu zögern, bevor sie sich ihm stellen.

Er muss sie dazu bringen, sich zu fürchten.

Er hat die Worte gesprochen, hat eine magische Beschwörungsformel gefunden, um die Deiche in sich selbst zu brechen und die Flut loszulassen.

Niemand kommt an mir vorbei.

Er schwingt die Klinge eines gefallenen Helden, aber nun ist er selbst der Held, und es sind andere, die fallen.

Er wächst über sich hinaus.

Die Macht tost durch ihn hindurch, und er tost durch die Macht. Als er die Fesseln der Beherrschung abstreift, Vorsicht und Bedenken beiseite lässt und noch nur dem Drängen seiner Leidenschaft und seiner Freude folgt, findet er Kraft, die er sich nie hätte träumen lassen.

Er kämpft nicht mehr, er ist der Kampf.

Er ist sich nicht direkt der Leichen bewusst, die im Gang liegen, und der Tatsache, dass seine Füße ihnen wie von selbst geschickt ausweichen.

Er ist sich nicht direkt der verzogenen Durastahlplatten bewusst, die er aus den Trümmern des großen Tors gezogen hat, Platten, die sich um ihn drehen, um zu Ambossen für die Hämmer von Knallkäfern und zu Schilden für seine Flanken zu werden.

Er ist sich nicht direkt der mit Korallen überzogenen Statue des Atriums bewusst, die er in seinem von der Macht getragenen Tanz gepackt hat, riesige Figuren der Spezies der Neuen Republik, die nun scheinbar zum Leben erwachen, um für seine Sache zu kämpfen, Statuen, die trampeln und wackeln und stürzen, Dutzende und Hunderte seiner Gegner fällen und das Atrium in ein Schlachthaus verwandeln.

Ebenso wenig ist er sich der Struktur der Korallen bewusst, die die Wände überziehen, oder der Qualität des Lichts oder der Anzahl seiner Gegner. Hat er einem Dutzend gegenübergestanden? Hundert? Wie viele haben sich zurückgezogen, nachdem er sie schwer verwundet hat? Wie viele liegen tot im Schwefelrauch?

Er erinnert sich nicht, denn es gibt keine Erinnerung. Es gibt keine Vergangenheit. Es gibt keine Zukunft.

Er ist sich nicht einmal seiner selbst bewusst. Ebenso wenig wie der Yuuzhan. Vong. Er ist zu den Kriegern geworden, gegen die er kämpft, tötet sich selbst mit jedem, der fällt. Es gibt Ganner Rhysode nicht mehr, es gibt keine Yuuzhan Vong und keine Jedi.

Es gibt nur die Tänzer und den Tanz.

Der Tanz ist alles, was ist: Vom Wirbel der Quarks bis zur Drehung der Galaxien ist alles Bewegung.

Alles ist Tanz.

Alles ist.

 

Nom Anor bedeutete Vergere zu warten, während er sich ein letztes Mal schnell umsah. Vor ihm erhob sich der Korallenberg des Schachts. Das halb fertige Dornenlabyrinth ragte hinter ihm auf, aber es hielten sich keine Gestalter mehr darin auf − sie waren wahrscheinlich alle von den Kampfgeräuschen zum Eingang des Schachts gelockt worden. Ferne Explosionen erklangen stotternd und unrhythmisch, gefolgt von leiseren Schreien.

Schließlich überzeugt, dass niemand sie beobachtete, zog Nom Anor ein weiches, moosähnliches Stück falscher Koralle beiseite, unter dem die Nasenzunge einer Schließmuskelluke sichtbar wurde. Er streckte die Hand hinein und schaute sich noch einmal nervös um, während die Nasenzunge die enzymatischen Ausscheidungen seiner Haut schmeckte und analysierte. Eine Sekunde später erkannte sie ihn, und ein größerer Vorhang falscher Koralle in der Nähe kräuselte sich plötzlich, als sich dahinter eine kleine verborgene Luke öffnete. Nom Anor bedeutete Vergere, ihm zu folgen, und ging hindurch.

Statt von Yorikkorallen waren sie nun von altersschmutzigem Durabeton umgeben; der Flur wurde zum Labyrinth. Nom Anor gratulierte sich zur Klugheit seines Fluchtplans. Seit der Umbau begonnen hatte, war außer den Meistergestaltern und ihren Helfern niemand mehr im Schacht gewesen; niemand wagte, den mörderischen Zorn von Ch’Gang Hool heraufzubeschwören bis auf einen Gestalter, dessen Gier größer war als seine Feigheit. Von allen Yuuzhan Vong hatten nur dieser Gestalter und Nom Anor selbst gewusst, dass sich unterhalb des Teichs des Welthirns riesige Räume befanden einstmals die Büros des Kanzlers der Alten Republik.

Diese Räume waren zerschossen und halb zerstört, beschädigt bei der Zerstörung des Senats, und danach waren sie nicht wieder repariert worden. Nom Anor stieg über Trümmerhaufen und durch einen Dschungel aus verbogenem Durastahl und baumelnden Kabeln und führte Vergere weiter. Hier unten funktionierten einige der Leuchtkugeln der Neuen Republik immer noch; sie waren nicht als Ketzerei zerstört worden, weil nur Nom Anor und sein zahmer Gestalter von ihrer Existenz gewusst hatten.

Nom Anor kletterte über einen verborgenen Träger, und dann stand es vor ihm: lang gezogen und schlank, geformt für Geschwindigkeit in der Atmosphäre, mit zwei Dovin-Basalen − einer für Bewegung, einer für Verteidigung −, die Oberflächen zerklüftet, um Sensoren abzulenken, und von mattschwarzer Farbe, um kein sichtbares Ziel zu bieten.

Der Gestalter, der es gezüchtet hatte, hatte garantiert, dass dieses Korallenschiff zu den schnellsten der Yuuzhan-Vong-Flotte gehören würde; Nom Anor hatte die verborgene Luke mehrmals genutzt, um das Schiff insgeheim aufzusuchen, während es wuchs, um dem Pilotenhirn seine geistige Signatur aufzuprägen. Bei diesen Besuchen hatte er den Gedanken, dass er einen neuen Nutzen für die Räume gefunden hatte, die einmal dem legendären Palpatine gehört hatten, immer sehr amüsant gefunden …

Der Verteidigungs-Dovin-Basal würde einen Tunnel durch den Durabeton und durch Yorikkorallen brechen und sie aufreißen wie ein Tor zum Himmel. Das Pilotenhirn war mit den notwendigen Erkennungskodes versehen, um den Flottenkordon rings um den Planeten passieren zu können, und es hatte sich die Koordinaten für den Sprung in den Raum der Neuen Republik bereits eingeprägt. Sobald sie dort waren, würde ihn nichts mehr aufhalten können.

Sobald sie dort waren, würde er in Sicherheit sein.

»Wunderschön, nicht wahr?«, murmelte er und legte die Hand auf die Nasenzunge des Korallenschiffs. Die Luke klaffte sofort gehorsam auf. »Dies, Vergere, ist das Ergebnis von Notfallplanung. Ich erwarte nie Erfolg. Deshalb überlebe ich. Ich habe immer einen Notfallplan, für jede erdenkliche Katastrophe.«

»Immer?« Etwas an ihrer Stimme ließ ihn erstarren. »Für jede erdenkliche Katastrophe?«

Bevor er Luft holen konnte, um zu fragen, was sie meinte, wurde seine unausgesprochene Frage von einem Übelkeit erregenden Geräusch beantwortet …

Von einem Zischen …

Langsam und voller Angst vor dem, was er sehen würde, aber unfähig, sich zu bremsen, wandte sich Nom Anor einem neuen Licht in dem alten Büro zu: Licht, das grün zischelte und auf den schwarzen Wölbungen seines Korallenschiffs weiße Lichtblitze tanzen ließ.

Er starrte direkt in das tödliche Ende einer Lichtschwertklinge, das sich einen Zentimeter von seiner Nase entfernt befand.

»Ein Lichtschwert ist eine interessante Waffe«, sagte Vergere beiläufig. »Eine in der Geschichte der Kriegskunst einzigartige Klinge. Ein Paradox, nicht unähnlich den Jedi, die sich dieser Waffen bedienen: diese friedlichen Krieger, die im Dienst des Lebens töten. Ist Ihnen das je aufgefallen? Die Klinge ist rund. Sie hat keine Schneide. Aber es ist ein Lichtschwert − was bedeutet, dass es nur Schneide ist. Es gibt keinen Teil dieser Klinge, der nicht schneidet. Seltsam, nicht wahr? Symbolisch, könnte man sagen.«

»Was?« Sein Mund öffnete sich, schloss sich, öffnete sich erneut. Er wollte fragen, was sie da machte. Er wollte fragen, woher sie das Lichtschwert hatte. Er wollte so vieles fragen, aber alles, was aus seinem Mund kommen wollte, war: »Was?«

Wieder schien Vergere seine Gedanken zu lesen. »Es ist Jacens Lichtschwert«, sagte sie vergnügt. »Ich glaube, er hätte es gerne zurück − was meinen Sie?«

»Sie können doch nicht …«

»Doch, ich kann.« Sie nickte ins Dunkel hinter dem Korallenschiff. »Ich sollte imstande sein, mir meinen Weg in den Schacht zu schneiden.«

»Wenn Sie mich töten …«, begann Nom Anor verzweifelt.

»Sie töten? Seien Sie nicht albern.« Kabel aus dem baumelnden Dschungel von Trümmern erwachten plötzlich zum Leben und peitschten durch die Luft, um Nom Anors Arme und Beine zu fesseln. Sie wickelten sich fest genug um ihn, um die Luft mit einem Keuchen aus seiner Lunge zu pressen, dann banden sie sich zu lächerlich komplizierten Knoten. Vergere beobachtete, wie all das geschah − sie war es, die es geschehen ließ, erkannte Nom Anor −, und ihre heitere Miene und das hell orangefarbene Leuchten ihres Kamms zeigten ihre Zufriedenheit. »Wenn ich will, dass Sie sterben, brauche ich Sie nur hier zurückzulassen. Tsavong Lah wird sich schon um den Rest kümmern.«

»Aber Sie können mich nicht zurücklassen«, sagte Nom Anor. Er begann, die Fassung wiederzugewinnen. »Sie können mein Schiff nicht fliegen. Es ist von mir geprägt. Nur ich kann …«

»Das mag sein«, gab sie zu. »Aber ich bezweifle es. Ihr Korallenschiff ist ein lebendes Geschöpf − und Jacen hat, wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, eine gewisse Begabung, wenn es darum geht, Freunde zu finden.«

»Sie … er … Sie sind verrückt! Das hier kann nicht wahr sein!«

»Exekutor«, sagte sie ernst und schnitt ihm mit einem Zucken des Lichtschwerts das Wort ab, »hatte ich nicht gesagt, dass Jacen Solo Ihr Schiff stehlen wird?«

Nom Anor konnte sie nur anstarren.

»Wann werden Sie lernen«, fragte sie und schüttelte in gespielter Traurigkeit den Kopf, »dass alles, was ich Ihnen sage, die Wahrheit ist?«

 

Abrupt stockt der Tanz. Er stolpert, beginnt zu hinken.

Es ist kein Gegner mehr übrig.

Ganner schwankt, schwindlig, sterbend, vergiftet von den Toxinen der Amphistäbe, die durch unzählige Wunden eingedrungen sind. Sein Blut ist überall: auf dem Boden, unter seinen Stiefeln, an den Tunnelwänden, die ihn umgeben.

Nur die Macht hält ihn noch aufrecht.

Ein knirschendes, grollendes Geräusch kommt näher, und bald schon kann er sehen, was dieses Geräusch erzeugt, was das Beben bewirkt, das er unter seinen Füßen spüren kann: Etwas Riesiges, Dunkles trampelt auf krummen, knotigen Beinen wie Strebepfeiler herein; gespreizte Klauen zerdrücken achtlos die Yuuzhan-Vong-Leichen, als es näher kommt. Seine Masse ist von riesigen Hornplatten gepanzert, und sein gewaltiger Kopf schwankt von einer Seite zur anderen wie die Kontrollkabine eines AT-ATs im Jagdmodus. Aus seinem riesigen Maul triefen Flammen.

Krieger nähern sich an seinen Flanken.

Ich nehme an, es war nicht zu vermeiden, denkt Ganner mit einer Spur von Melancholie. Früher oder später bringen die Bösen immer die schweren Panzer ins Spiel.

Es wird bald vorbei sein; gegen ein solches Tier, unterstützt von Infanterie, hat er keine Chance − und dennoch bietet die Macht ihm einen letzten Trick an.

Die Macht ist blind für die Krieger, das Panzertier und die Korallen ringsumher, aber Ganner kann in ihr deutlich die Durabetonmauern des Senats wahrnehmen, die das Skelett des Schachts bilden; er spürt, dass der Tunnel zum Schacht durch mehrere tragende Strukturen geschnitten wurde er kann spüren, dass der Durabeton ringsumher unzählige Risse hat und unter den unvorstellbaren Tonnen von Korallen ächzt, die sie umgeben.

Ganner lächelt.

Das Panzertier spuckt brüllend einen Batzen konzentrierter Säure aus; mithilfe der Macht hebt Ganner einen Splitter des großen Tors, um einen Durastahlschild zu bilden, der die Säure zur Seite spritzen lässt, auf eine Wand. Korallen qualmen, sterben, verflüssigen sich. Der Splitter des großen Tors beginnt zu schmelzen.

Knallkäfer sausen auf ihn zu, geworfen von Kriegern, und der schmelzende Durastahlsplitter tanzt vor ihm und lenkt die Wurfgeschosse in die von Säure brennende Wand. Explosionen verspritzen flüssige Korallen- und Durabetonsplitter.

Über ihren Köpfen ächzt das Gebäude. Krieger zucken zusammen, blicken in plötzlicher Angst nach oben. Das Panzertier heult.

Ganner lacht. Die Macht ist mit ihm, und er ist wieder zum Tänzer geworden.

Er ist der Tanz.

Mithilfe der Macht greift er in den Durabeton und beginnt zu schieben.

 

Jacen stellte überrascht fest, dass er lebte.

Die Zähne des Welthirns hatten sich nicht geschlossen. Seine Tentakel hatten ihm nicht das Fleisch von den Knochen gerissen. Er war nicht in dem Schleimteich ertrunken, erstickt an phosphoreszierendem klebrigem Schleim. Keine Yuuzhan-Vong-Krieger umdrängten ihn, um ihn aus dem Schleim zu ziehen und mit ihren Amphistäben das Leben aus ihm herauszuschneiden.

Stattdessen hatte sich eine Luftblase um ihn gebildet, Tentakel hatten ihn gewiegt wie ein schlafendes Kind, und Lippen hatten sich über Zähnen mit Schwertschneiden geschlossen, um ihn mit einem Kuss zu berühren.

Denn er war das Welthirn, und das Welthirn war er, und sie waren jeweils auch alles andere, und Jacen hatte erfahren, dass man dem Universum und all seinem irrationalen Schmerz − und sich selbst − mit Angst, Hass oder Verzweiflung begegnen konnte.

Oder man konnte sich entscheiden, ihm mit Liebe zu begegnen.

Jacen hatte sich entschieden.

Aber er war immer noch erstaunt zu entdecken, dass das Universum seine Liebe erwiderte.

Am anderen Ende einer unendlichen Entfernung − was das Gleiche war wie hier spürte er, wie eine ozeanische Woge der Macht sich zu einem interstellaren Fortissimo symphonischer Freude sammelte; zur gleichen Zeit spürte er mit dem Hohlraum in seiner Mitte Zorn, Schmerz und wilden Kampf, und er verstand, dass es noch einen weiteren Grund für sein Überleben gab.

Ganner! Er breitete seine Gefühle aus und sammelte Kraft von der anderen Seite des Universums.

Tentakel lösten sich von seinen Armen und Beinen, und die Luftblase um ihn herum brach. Er streifte das Welthirn leicht mit den Fingern; ein Abschiedsgruß an einen Freund. Dann brach Jacen Solo wie von einem Torpedowerfer abgeschossen aus dem Schleimteich.

Er schoss in den Schwefelrauch hinaus, sein Gewand leuchtend von Schleim, der in glänzenden Strängen von ihm abfloss und abtropfte wie Sternschnuppen; er segelte über den Schleimteich und landete auf dem Schalenrand, wo die Korallen auf den nackten Durastahl einer Senatsplattform trafen. Er hob den Kopf, richtete den Blick auf die Brücke, die wie eine Zunge in den Schacht ragte, eine Zunge aus einem Mund, der Rauch rülpste, scharlachrote Flammen und das amethystfarbene Licht eines Lichtschwerts, das in Fleisch schnitt.

Und er konnte dort oben eine Menschenstimme hören. Er konnte keine Worte verstehen, aber der Tonfall war unmissverständlich.

Ganner lachte

 

Tief in der Macht packte Jacen die Brücke mit geistigen Händen. Ein Ziehen würde ihn hinaufheben, und er konnte an Ganners Seite eilen und sich seinem Kampf anschließen, an seiner Schulter gegen die Yuuzhan Vong kämpfen.

»Jacen, warte.«

Die Worte wurden nicht laut gesprochen, waren aber so perfekt geleitet, dass sie sein Ohr erreichten, als befände sich die Sprecherin direkt neben ihm. Und das hätte sie durchaus auch sein können: In der Macht spürte er eine unsichtbare Hand, die ihn an der Schulter packte.

Er nickte. »Ich hätte es wissen sollen. Ich hätte wissen sollen, dass du dort sein würdest.«

Vergere stand nur ein paar Meter oberhalb und rechts von ihm, auf der mit Korallen überzogenen Senatsplattform, die einmal der Delegation von Kashyyyk gehört hatte. »Komm, Jacen. Deine Reise durch die Lande der Toten hat ihr Ende erreicht. Es ist Zeit, dass du wieder über die leuchtenden Felder des Tages schreitest.«

Statt zu antworten, wandte er sich wieder der Brücke zu − aber ihr Machtgriff an seiner Schulter wurde fester.

»Du kannst ihn nicht retten, Jacen. Du kannst nur mit ihm sterben. Er hat sein Schicksal gewählt. Du kannst ihm nur noch helfen, indem du seine Entscheidung respektierst. Du stehst direkt an den Toren des Todes; das Leben liegt vor dir. Wenn du jetzt umkehrst − und sei es für einen einzigen Blick über die Schulter −, bist du verloren.«

»Was willst du, dass ich tue? Ich werde ihn nicht zurücklassen! Nein!« Er wandte sich ihr zu. Ein Beben begann in seinem Nacken und schauderte durch seine Arme und Beine. »Ich kann nicht zulassen, dass jemand sein Leben für mich gibt.«

»Er gibt nicht sein Leben für dich. Er gibt dir dein Leben. Willst du das Geschenk eines Sterbenden ablehnen?«

»Ich kann nicht … Vergere, ich kann doch nicht einfach …«

»Wenn du die Geschichte deines Lebens betrachtest, wäre das das beste Ende?«

Er versenkte sich in die Macht und riss sich aus ihrem Griff. »Ich werde ihn nicht verlassen.«

Sie zuckte die Achseln. »Dann wirst du das hier brauchen.«

Sie warf etwas zu ihm herunter. Es wirbelte träge durch die Luft, blitzte silbern im Schleimlicht; er fing es instinktiv auf.

Es war ein Lichtschwert.

Sein Lichtschwert.

Es fühlte sich seltsam an. Merkwürdig. Fremd.

Er hatte es seit dem Tod der Voxyn-Königin nicht mehr gesehen.

Als er es zum letzten Mal in der Hand gehalten hatte, war er ein anderer gewesen. Ein Junge. Ein trauriger, hin- und hergerissener Junge, der verzweifelt nach etwas suchte, dessen er sicher sein konnte, bereit, lieber für ein sicheres Nichts zu sterben, als für ein unsicheres Etwas zu leben.

Sie sagte: »Entscheide dich und handle.«

Er sah das Leuchten des Kampfs droben. Er sehnte sich danach, zu gehen, brannte darauf, zu gehen, in sich diese Befreiung, die kosmische Symphonie zu spüren, die er jetzt nur als Ganners Echo wahrnahm … aber …

Er schaute zurück zu Vergere. »Jedes Mal, wenn du das zu mir sagst, ist es ein Trick.«

»So ist es jetzt auch«, gab sie zu. »Aber es ist nicht der gleiche Trick. Beim ersten Mal warst du nur ein Junge. Du hast nicht wirklich verstanden, was du weggeworfen hast. Beim zweiten Mal hattest du dich im Dunkeln verirrt, und du brauchtest Feuerstein und Stahl, um eine Fackel anzuzünden. Jetzt allerdings − was bist du jetzt, Jacen Solo?«

In einem einzigen Augenblick raste alles durch ihn hindurch, von Sernpidal und Belkadan über Duro und Myrkr bis zur Umarmung des Schmerzes, der Zuchtstation, dem Jedi-Tempel und dem Höhlentier …

Er war kein Krieger, dessen war er sicher. Nicht, wie Jaina es war oder wie Anakin es gewesen war. Er war kein Held wie Onkel Luke oder sein Vater, kein großer Politiker wie seine Mutter, kein Stratege wie Admiral Ackbar und kein Wissenschaftler wie Danni Quee. Dann erinnerte er sich daran, dass er nicht wissen musste, was er war. Er musste sich nur entscheiden.

»Ich … ich nehme an …«, sagte er langsam und betrachtete die Waffe in seiner Hand stirnrunzelnd. »Ich nehme an … ich bin ein Schüler.«

»Mag sein.« Vergere nickte. »Und dann bist du ebenfalls ein Lehrer, denn die beiden sind eins. Aber um das zu sein, musst du lernen, und du musst lehren. Du musst leben

Sie hatte recht. Er wusste, dass sie recht hatte. Er konnte es sicherer spüren, als er je zuvor etwas gespürt hatte. Aber Ganner. Als er aufblickte, wurde eine neue Sonne im Schacht des Welthirns geboren, irgendwo tief in dem Gang über ihm, ein gelbes Leuchten, das heller wurde, dann weiß, das strahlte, bis Jacen die Augen mit der Hand abschirmen und sich abwenden musste.

Der Schacht bebte, und er konnte den plötzlichen Schrecken des Welthirns spüren, als die Brücke und die Plattform einstürzten und hundert Meter tiefer in den Schleimteich fielen. Die Welt schien zu zittern und zu beben, und eine Wolke von Rauch und Staub brach aus dem Tunnel »Was …?«, keuchte Jacen und hustete in dem Staub, der nach brennendem Blut und Durabeton roch. »Ist das … Ganner? Was passiert da oben?«

»Es könnte Ganner sein. Es könnte eine Waffe der Yuuzhan Vong sein. Das ist gleich. Du stehst immer noch vor der Entscheidung, ob du bleibst oder gehst.«

Das helle Licht von oben erstarb in einem langen Erdbebengrollen und neuen Staubwolken, und als Jacen noch einmal in der Macht nach ihm suchte, war Ganner nicht mehr da.

In dem Hohlraum in seiner Brust waren die Krieger, die gegen ihn gekämpft hatten, ebenfalls abwesend.

Jacen starrte hinauf zum Ausgang des Tunnels. Er konnte erkennen, dass er nun von Trümmern verstopft war. Dann begannen die Plattformen um ihn herum herunterzusacken und abzureißen; sie rutschten in das Becken hinunter zum Schleimteich. Selbst die im trüben Licht halb verborgene Decke schien sich zu senken, und er spürte eine warme Hand auf seiner Schulter und hörte ein warmes Flüstern in seinem Ohr: Geh.

Es klang wie Ganner Er sah Vergere verärgert an. Sie erwiderte seinen Blick ausdruckslos.

Er würde nie erfahren, was dort oben geschehen war.

Er würde nie erfahren, ob diese Stimme, die er gerade gehört hatte, tatsächlich die von Ganner gewesen war oder nur wieder einer von Vergeres Tricks.

Er würde nie wirklich viel von allem erfahren − konnte es nie wirklich erfahren. Wahrheit ist flüchtig, und Fragen sind nützlicher als Antworten.

Aber er wusste eins: Leben ist eher eine Sache der Entscheidungen als des Wissens. Er konnte nie wissen, wo das Ziel seines Wegs lag, aber er konnte bei jedem Schritt entscheiden, in welche Richtung er ihn machte.

Er entschied sich.

»Du bist doch angeblich meine Führerin durch die Lande der Toten«, sagte er. »Also geh voran und führe mich. Zeige mir den Weg nach draußen.«

Sie lächelte liebevoll auf ihn herab.

»Selbstverständlich«, sagte sie. »Ich habe nur darauf gewartet, dass du mich bittest.«