21

Kenny fuhr den dunklen, holprigen Feldweg entlang und parkte vor dem Cottage. Er zog die Handbremse an, ein einsamer Laut hier draußen, so spät in der Nacht.

Kenny betrachtete die schwarzen Fenster seines Zuhauses. Der Motor des Bullis kühlte knisternd ab.

Er stieg aus und lief eine Weile durch die Dunkelheit, um seine Beine zu strecken.

Aus einem der Haselbäume, die die Einfahrt säumten, kam ein sanftes Rascheln. Vielleicht war es eine der telleräugigen Eulen, die dort nisteten.

Kenny wusste, dass die Nacht überall um ihn herum lebendig würde, wenn er lange genug stillstand. In der Dunkelheit gab es Fledermäuse und Falter und Dachse. Es gab Würmer und Mäuse und Ratten und Füchse. Maulwürfe gruben unter seinen Füßen.

Er fischte seine Schlüssel heraus und ging hinein. Er war lange und weit genug weg gewesen, um das Cottage riechen zu können: leicht muffig, wie der Boden einer leeren Keksdose, der Geruch von Zuhause.

Ohne das Licht einzuschalten, ging er in die Küche. Er nahm ein gezacktes Steakmesser aus der Schublade, dann holte er den blauen Plastikeimer aus dem Schränkchen unter der Spüle und füllte ihn mit kaltem Wasser.

Er trug den Eimer zum Bulli. Wasser spritzte ihm auf die Zehen. Er machte die seitliche Schiebetür auf und zerrte die Decke von der Gestalt, die darin lag.

Unter der Decke war Jonathan bei Bewusstsein – mit großen Augen wie eine Eule. Deswegen brauchte Kenny das kalte Wasser nicht, um ihn zu wecken, aber er übergoss ihn trotzdem damit.

Jonathan heulte auf, aber das Klebeband erstickte seine Stimme. Er lag durchnässt und zitternd da, als Kenny ihm das Messer zeigte.

Nachdem Jonathans Augen es wahrgenommen hatten, schlitzte Kenny das Klebeband an seinen Füßen auf und sagte: »Geh zum Haus.«

Benommen richtete Jonathan sich auf. Er setzte sich auf den Rand der Ladefläche und schüttelte den nassen Kopf, um ihn klarzubekommen.

Er warf Kenny einen Blick zu. Dann rannte er los, im Zickzack und schwankend, weil seine Hände vor seinem Körper zusammengebunden waren wie die eines Büßers.

Kenny fluchte und folgte ihm. In einer Hand hielt er das Steakmesser. Während er rannte, blitzte die Klinge abwechselnd silbern und schwarz im Mondlicht.

Jonathan folgte dem holprigen Zufahrtsweg und steuerte auf die Straße zu, die zum Dorf führte. Kenny rannte schnell und war bald hinter ihm. Er konnte Jonathans angestrengten Atem hören.

Kenny trat nach ihm wie ein Fußballer und brachte ihn zum Stolpern.

Jonathan knallte auf den Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Er schielte auf das Messer in Kennys Hand. Er keuchte, war bereit.

Kenny packte Jonathans Haar mit der Faust und zerrte ihn mit einem Ruck auf die Knie. Er schleifte ihn zum Cottage und stieß ihn durch die Tür.

Erschöpft machte Kenny die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

Jonathan lag in der Diele, atmete flach und winselnd und beobachtete das Messer, das von Kennys Hand herabhing.

Kenny hasste ihn wegen seiner Hilflosigkeit. Er wollte ihn treten und schlagen und Beleidigungen hinausschreien, weil er so ein Schwächling war.

Stattdessen blieb er mit dem Rücken an der Tür sitzen und sagte: »Da hast du’s, Jonathan. Da hast du’s. Da hast du’s.«

Kenny ließ Jonathan ein wenig über den Boden kriechen, dann stand er auf, folgte ihm und schubste ihn in das hinterste leere Zimmer.

Es war ein kaltes Zimmer. Kenny ging selten hinein. Das einzige Fenster, vor dem eine schiefe, lachsfarbene Jalousie hing, ging auf eine steile, grasbewachsene Fläche. Dadurch war das Zimmer im Winter feucht. Der kalte Heizkörper war ein weißes, gusseisernes Monstrum, dessen zehn Rippen mit alten Farbspritzern bekleckert waren.

Kenny befahl Jonathan, sich in die Mitte des nackten Fußbodens zu setzten, und sah sich einen Moment lang um. Sein erster Gedanke war, die schrottreife Jalousie herunterzulassen, aber dann überlegte er es sich anders und schnitt mit dem Steakmesser ihre Schnur ab.

Er machte aus dem starken, dünnen Seil eine Schlinge und legte sie Jonathan um den Hals. Jonathan wehrte sich zunächst nur leicht, dann heftiger. Er hörte auf, als Kenny ihm das Messer ans Auge hielt.

Kenny zog die Schlinge um Jonathans Hals fest, gerade fest genug. Das andere Ende band er an den Heizkörper.

Dadurch war Jonathan gezwungen, mit geradem Rücken und hoch erhobenem Kopf dazusitzen wie ein stolzer Hund.

Wenn er sich bewegte, würde er ersticken.

Kenny ließ Jonathan in dem leeren Zimmer angeleint zurück und ging durch das hohe Gras außen ums Haus herum, an den rostigen Morris Minors vorbei zu den baufälligen Wellblechhäuschen.

In einem davon lag ein Stapel alter Holzstücke, die Kenny über die Jahre angesammelt hatte. Er trug einen Arm voll feuchte Bretter hinüber zum Fenster des hintersten Zimmers. Er musste zweimal gehen.

Nachdem er das Holz bereitgelegt hatte, spähte er durchs Fenster.

Bald würde die Sonne aufgehen. Jetzt war es noch dunkel – besonders hier, im Schatten des Hauses. Kenny konnte nur erahnen, wie Jonathan mit geradem Rücken vor sich hin starrte.

Kenny ging zurück zu den Wellblechhäuschen, um einen Hammer und ein paar Nägel zu holen, und blickte dabei zum Himmel.

Er schüttelte die Nägel in der hohlen Hand. Er wusste, dass lautes, über die North Somerset Levels hallendes Hämmern seine Nachbarn, größtenteils Bauern, vermutlich nicht aufwecken würde. Wenn sie überhaupt darüber nachdachten, würden sie wahrscheinlich annehmen, dass jemand irgendeine wichtige Reparatur durchführte, vielleicht ein Tor oder einen umgekippten Zaunabschnitt ausbesserte.

Wahrscheinlich.

Er legte die Nägel und den Hammer in den schlammigen Dreck neben dem Bretterstapel und ging hinein.

Kenny schloss die Tür mit einem großen, schwarzen Schlüssel ab. Seine Beine zitterten und waren schwach.

Er sank auf den Boden.

Etwas in seinem Kopf wuchs. Es wuchs, bis es ihm die Sicht versperrte.

Er schien durch einen Tunnel zu rasen.

Er sah ein Schwert.

Er sah einen Sonnenaufgang. Das Skelett eines Königs auf der grünen Anhöhe eines englischen Hügelgrabs. Die Morgenbrise zerrte an den Resten seiner Kleidung.

Er sah einen brennenden Knochen rot aufglühen, wie Eisen in einem Schmiedefeuer.

Er sah die schwarze Silhouette einer Esche.

Er sah das lodernde Auge Gottes.

Er erwachte in verrenkter Position auf dem Küchenboden, von Tränen und Schweiß durchnässt und in dem Bewusstsein, dass die Zeit sehr knapp war.