Kapitel 6

Einige Probleme der Logik in der
Verhandlungssituation

6.1. Kategorie 1: Die Wahr-Nehmung

Einige Probleme ergeben sich einfach aus der Tatsache heraus, daß man nicht alles wahrnimmt. Es gibt Dinge, die wir übersehen, überhören oder falsch verstehen bzw. falsch auffassen.

So ergibt sich häufig ein totales Aneinander-vorbei, weil A und B glauben, sie sprächen über dasselbe. Daher lautet unsere

Regel Nummer 9: Falls das Gespräch »grundlos« zum Aneinander-vorbei bzw. Gegeneinander wird, kläre ich ab, ob wir überhaupt dasselbe meinen!

Zum Beispiel:

Chef: Was ist, Frau Huber, haben Sie den Bericht schon fertig? (Im Weggehen gefragt.)
Frau H.: Wie kann er schon fertig sein, wenn Sie ihn mir erst vor 20 Minuten auf den Tisch gelegt haben?!
Chef: Ich meinte den Bauer-Bericht.
Frau H.: Ach den, ja, der ist fertig.

Ein solches Gespräch kann so einfach sein, wenn es richtig geführt wird: Aber die Realität, die diesem Fallbeispiel zugrunde liegt, sah anders aus:

Frau H.: Wie kann er denn schon fertig sein, wenn Sie ihn mir erst vor 20 Minuten auf den Tisch gelegt haben?!
Chef: Es ist phänomenal, mit welcher Fähigkeit Sie einen mißverstehen, Frau Huber!
Frau H.: Natürlich bin ja immer ich schuld, wenn was falsch läuft hier.

Danach wurde zwar abgeklärt, welchen Bericht der Chef meinte, aber beide Gesprächspartner waren »sauer«, als er endlich das Büro verließ.

Zu solchen Fehlern, in denen ein Gesprächspartner falsch interpretiert, was der andere sagt, gehören auch voreilige Ergänzungen der Information:

Kunde: … dann würde mich noch interessieren, ob die Stereolautsprecher für mich die richtigen sind, ich meine in bezug auf…
Verkäufer: Da kann ich Sie nur beruhigen. Sie haben nämlich hier … (erklärt lang und breit, bis der Kunde merkt, daß er auf Klangfeinheiten hinaus will).
Kunde: Aber, das meinte ich doch gar nicht! Ich mache mir Sorgen, inwieweit die Bässe bei so großen Lautsprechern mir Probleme mit dem Nachbarn machen werden. Ich wohne nämlich in einem Apartment-Haus und mein Nachbar hat auch so große Boxen. Der traut sich gar nicht mehr, seine Platten zu spielen, weil die alte Dame neben ihm dann immer anruft und sich beschwert!

Hier hat unser Berater noch Glück gehabt, weil der Kunde sich nicht allzu sehr über das Mißverständnis geärgert hatte. Als Faustregel können wir sagen: Je unsicherer ein Mensch in den Stufen II und III MASLOW (Kap. 1) ist, desto wichtiger ist ihm die vierte Stufe: Anerkennung. Das heißt: Ein Kunde, der falsch interpretiert wird, fühlt sich mißverstanden, nicht respektiert, nicht geachtet; er kann befürchten, daß man ihn nicht ernst nimmt und nicht auf ihn eingeht. Je stärker diese Gefühle ausgeprägt sind, desto eher kann er ins vom Rep. gesteuerte Verhalten »abrutschen«.

Also gehört zur Logik, zur Strategie, auch das Sicherstellen, daß man sich nicht mißversteht.

6.2. Kategorie 2: Denkrinnen

Unser Berater von vorhin hatte auch diesen Fehler gemacht: Er hatte vorschnell angenommen, die Frage des Kunden sei eine Routine-Sache für ihn. Er war in der Denkrinne: Jeder Kunde, der sich über die Boxen Sorgen macht, hat Interesse an Klangnuancen.

Denkrinnen ergeben sich aus Erfahrungswerten, wobei diese zehn Sekunden oder zehn Jahre alt sein können. Im folgenden Beispiel für eine 10-Sekunden Denkrinne: Es handelt sich dabei um eine Denksportaufgabe in zwei Teilen. Wenn Sie Ihre Freunde damit hereinlegen, werden Sie die Denkrinne gut beobachten können:

Frage: Ein Taubstummer kommt in einen Laden. Es ist kurz vor Ladenschluß. Vor ihm warten Menschen, hinter ihm stehen auch noch drei Personen. Er will ein Messer kaufen. Aber er kann ja nicht sprechen. Hilfesuchend blickt er sich um, ob er ein Messer sieht, auf das er dann deuten könnte, aber er findet keins. Er hat weder Papier noch Bleistift, so daß er weder »Messer« schreiben, noch eine Zeichnung anfertigen könnte. Nun kommt er an die Reihe. Ungeduldig blickt die junge Verkäuferin ihn an. Wie kann er ihr zeigen, daß er ein Messer will?

Jetzt warten Sie, bis Ihre Freunde anfangen, Pantomimen zu machen. Der eine »schneidet« mit dem Zeigefinger den Hals »ab«, der nächste »säbelt« mit dem Zeigefinger auf dem Tisch usw. Dann erst stellen Sie die zweite Frage:

Frage: »Hinter ihm steht ein Blinder. Der will ’ne Schere. Was macht jetzt der?«

Jetzt warten Sie, bis die ersten Ihrer Freunde mit Zeige- und Mittelfinger in der Luft scherenartige Klapp-Bewegungen machen. Sofort sagen Sie: »Aber der kann doch sprechen!« (Warten Sie nicht zu lange, denn einen Augenblick später sagt ein Anwesender das gleiche.)

Wenn diese Denkrinne »sichtbar« geworden ist, lachen die Leute. Weil eine 10-Sekunden-Denkrinne eben heiter ist! Ausgelöst wurde diese Denkrinne durch zwei Faktoren:

1. Durch das Problem des Taubstummen wird das Denken in die Denkrinne der Pantomime geschoben.

2. Durch die Fragestellung: »Was macht jetzt der?« ist das Denken in der Rinne verstärkt worden.
Sollten Sie experimentierfreudig sein, können Sie die Story auch mit der zweiten Fragestellung: »Was sagt jetzt der?« probieren. Aber es fallen Ihnen weniger Menschen in die Denkrinne als bei der ersten Version (»was macht jetzt der?«, s.o.).

Wenn wir eine Sekunden-Denkrinne bemerken, finden wir dies durchaus noch heiter.

Aber wenn wir feststellen, daß wir schon seit Jahren in einer Denkrinne »entlanggeschwommen« sind, wird die Sache problematisch. Dann wehren wir uns gegen die neue Information (Rep.). Dann werden wir »sauer«. Dann gehen wir in Abwehrstellung.

Auch dies ist ein Grund, der für die Fragetechnik spricht. Mit einer Frage, die eine Denkrinne »angreift«, kann sich der andere noch eher denkerisch auseinandersetzen als mit einer Aussage.

6.3. Fallbeispiel: Gülleanlage

Beispiel:

Ein Berater für Gülleanlagen1 erklärte gerade die Vorzüge seiner Anlage: » … und da das Becken aus Beton … «

»Was?!« rief der Kunde aus, »Aus Beton? Nein, das ist ja unmöglich!«

»Aber nein, wir haben festgestellt, daß … «

»Das ist mir egal, was Sie festgestellt haben, ich würde nur eine … «

»Aber so hören Sie doch«, rief der Berater und versuchte verzweifelt, dem Kunden zu erklären, warum ein Auffangbecken aus Beton besser sein soll.

Dies war gottseidank nur ein Rollenbeispiel im Seminar, aber der Fall war echt. Dieser Bauer (den ein Teilnehmer, der ihn kannte, im Seminar darstellte) saß in einer Denkrinne: Er meinte nämlich noch immer, Güllebecken sollten aus Holz sein. Diese Meinung hatte er vor Jahren von seinem Vater übernommen und nie geändert. Damals gab es noch keine Betonbecken, aber heute?

Solange unser Berater meint, mit Logik allein könne er den Kunden überzeugen, kann er nur verlieren. (Selbst, wenn er die Diskussion gewinnen sollte, hat er darüber den Kunden verloren.)

Bauer: Was?! Aus Beton? Das ist ja unmöglich! (Dies ist ein Nein. Also folgt eine Warum-Frage).
Berater: Warum ist das unmöglich, Herr Meier?
Künde: Ja, weil eine Auffanggrube doch aus Holz sein muß. Das weiß man doch. (Sätze wie »das weiß man doch«, oder: »Das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand«, werden nur allzu häufig eingesetzt, wenn man keine guten, sachlich begründeten Argumente hat.)
Berater: Welche Vorzüge hat die Holzgrube denn, Ihrer Meinung nach?
Kunde: Erstens, weil eine Güllegrube immer aus Holz gemacht worden ist. Dafür werden’s schon Gründe gehabt haben. Und überhaupt Beton! Wer hat schon von einer Güllegrube aus Beton gehört?

Jetzt weiß der Berater zweierlei:

1. Der Kunde hat keine guten Gründe anzubieten.

2. Er hat zunächst sehr heftig protestiert, so daß ihm die Holz-Grube doch »am Herzen« liegen muß. Also weiß der Berater jetzt, daß er seine Strategie so planen muß, daß er die bio- und psycho-logischen Aspekte miteinbezieht.

Nur wenn wir es lernen, solche Analysen vorzunehmen, können wir eine Strategie planen, die »logisch« ist.

6.4. Kategorie 3: Unzulässige Schlußfolgerungen/ Annahmen über die Situation

Wiederum kann man das Beispiel des Stereoanlagen-Beraters auch hier eingliedern, weil seine Denkrinne gleichfalls eine falsche Schlußfolgerung darstellen würde, wenn er denkerisch zu dem Schluß gekommen wäre, er wüßte, was der Kunde will (statt automatisch, routinemäßig zu unterbrechen).

Eine Schlußfolgerung ist eine Folgerung, zu der wir aufgrund gewisser Daten/Fakten/Informationen gekommen sind. Hier unterscheidet man jetzt in der formalen Logik zwischen Schlüssen, die valide (logisch korrekt) sind und solchen, die wahr sind. Im folgenden finden Sie zwei Syllogismus-Angebote. Ein Syllogismus besteht aus einer Schlußfolgerung, die aus zwei Aussagen (sog. Prämissen) hergeleitet wurde, so daß ein Syllogismus immer aus drei Sätzen besteht:

6.5. Klassischer Syllogismus

1. Alle X sind Y.

2. T ist X.
Demzufolge: T ist Y.

Nun geht man davon aus, daß eine Schlußfolgerung valide (logisch korrekt) sein kann, egal ob die Prämissen wahr oder unwahr sind. Gleichermaßen kann man von wahren Prämissen auch falsche (von der Logik her) Schlußfolgerungen ziehen. Diese sind dann unzulässig:

Beispiel 1: Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist sterblich.
Demzufolge ist Sokrates ein Mensch.
Beispiel 2: Alle Spinnen haben 53 Beine.
Charley ist eine Spinne.
Demzufolge hat Charley 53 Beine.

Nun ist das erste Beispiel zwar wahr, aber nicht valide. Also ist die Schlußfolgerung unzulässig. Während die Schlußfolgerung des zweiten Beispiels valide (zulässig) ist, wiewohl wir genau wissen, daß die Aussage »alle Spinnen haben 53 Beine« nicht wahr ist.

Was halten Sie von folgender Logik?

»Eine Untersuchung von 5000 Drogenabhängigen (Heroin-Süchtigen) hat gezeigt, daß 93 % von ihnen mit Marihuana angefangen haben. Wieder einmal hat sich gezeigt, wie gefährlich es ist: 93 % aller Marihuana-Raucher steigen später auf harte Drogen um« (CBS1-Report, 1969).

Haben Sie gemerkt, wo die Unzulässigkeit liegt? Es handelt sich hier um einen unzulässigen Umkehrschluß. Eine Gegenstudie (ebenfalls in USA) hat nämlich bewiesen, daß von 5000 Marihuana-Rauchern, die jeweils länger als vier Jahre geraucht haben, nur 17 % jemals eine andere Droge (z.B. Hasch/Kokain/Heroin/LSD) probiert haben und daß nur 12 % die andere (härtere) Droge später regelmäßig eingenommen haben!

Daraus können wir die nächste Regel ableiten:

Regel Nummer 10:
Je wahrscheinlicher eine Schlußfolgerung klingt, desto eher hält man sie für logisch, d.h. für zulässig (valide).
Je unwahrscheinlicher sie klingt, desto eher wird sie angezweifelt.

Nun gilt es allerdings noch festzuhalten:

Eine zulässige Schlußfolgerung, die von zwei wahren Prämissen hergeleitet wurde, ist immer auch wahr (weil sie valide ist).

Beispiel:

Prämisse 1: Alle Menschen sind sterblich.
Prämisse 2: Sokrates ist ein Mensch.
Schluß: Sokrates ist sterblich.

Wenn Sie solche Schlußfolgerungen üben wollen, brauchen Sie nur obiges Schema anzuwenden:

Im ersten Satz wird die Aussage gemacht, die alle Mitglieder der Gruppe XXX betrifft, wobei die beschreibende Angabe (in unserem Beispiel sterblich) rechts stehen muß.

Im zweiten Satz steht links 222, d.h. also das Objekt, über das wir die Aussage machen, daß es zur Gruppe der XXX gehört. (Sokrates ist ein Mensch.)

Im Schluß steht links direkt darunter wieder dieses eine Wort, und rechts der Begriff, der im ersten Satz ebenfalls rechts gestanden hatte:

Image

Es gibt noch eine andere Art der Schlußfolgerung, und zwar eine, die eine Kausalität erstellt, d.h. eine Kette von Ursache und Wirkung.

6.6. Die Kausalkette

Dabei gilt es zu bedenken, daß gerade bei Kausalketten gewisse Denk-Gefahren bestehen. Wenn ein Mensch nämlich festgestellt hat, daß eine bestimmte Ursache eine bestimmte Wirkung erzeugt, dann meint er, dies müsse immer so sein, nur weil er es zehn- oder lOOmal beobachtet hat. Dieser Mechanismus ist an und für sich sinnvoll, weil er uns hilft, Regel- und Gesetzmäßigkeiten zu finden. Dies kommt unserem Bedürfnis nach Ordnung und nach Orientierung (MASLOW II, Kap. 1) zugute. Allerdings kann eben dieser Prozeß gewisse Denkrinnen schaffen.

Zum einen kann es sein, daß man eine Korrelation1 für kausal hält. Weil man z.B. oft beobachtet hat, daß alte Leute auch weise waren, meint man, daß Alter a priori auf Weisheit schließen lasse. Oder: Weil die meisten Kinder noch nicht »weise« sind, meint man, in einem Kinde nie Weisheit entdecken zu können. Oder: Weil man doch »weiß«, daß die Nachrichten im Fernsehen nicht »lügen«, meint man, daß alles, was im Fernsehen in den Nachrichten erzählt wird, auch unbedingt wahr sein müsse…

Was die Korrelation angeht, ein Fallbeispiel: Ende der sechziger Jahre glaubte die Medizin, daß folgender Schluß valide sei:

1. In den Jahren 1945 bis 1967 stieg der Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten erheblich an.

2. Im selben Zeitraum ist das Vorkommen an Lungenkrebs ebenfalls erheblich angestiegen.

ergo: Rauchen führt zu Lungenkrebs.

Wiewohl es inzwischen als gesichert gilt, daß Rauchen zu Lungenkrebs führt geht es hier nur um die Validität der Argumentation, unabhängig davon, ob der Schluß nun wahr ist oder nicht: Ein englischer Autor stellte in einem Büchlein »You May Smoke« fest, worin der Denkfehler des obigen Arguments lag: Die Wissenschaftler hätten zwei Faktoren unberücksichtigt gelassen:

1. In den Jahren 1945 bis 1967 sind die Möglichkeiten der Krebserkennung durch bessere Diagnosegeräte und -methoden erheblich gestiegen.

2. Im selben Zeitraum haben sich mehr und mehr Leute sicherheitshalber auf Krebs (Vorsorge) untersuchen lassen.

Das heißt, es mußte auf alle Fälle ein erhöhtes Volumen an Krebsdiagnose stattfinden.

Eine Studie in den USA hat gezeigt, daß Menschen einen Korrelations-Schluß besonders dann für valide halten, wenn die Schlußfolgerungen ihre eigene Meinung widerspiegelt. Also können Anti-Raucher die letzte Argumentation schwerer akzeptieren als Menschen, die nicht gegen das Rauchen eingestellt sind.

6.7. Selbstabdichtende Erklärungen

Eine weitere Gefahr des Kausalschlusses liegt in der Tatsache, daß der Mensch dazu neigt, sog. »selbst-abdichtende« Erklärungen zu erstellen. Das sind Erklärungen, die zu einer Annahme werden, welche nicht mehr falsifiziert werden kann WATZLAWICK (48). Damit meint man Schlußfolgerungen, die für uns so absolut »gelten«, daß wir selbst akute Gegenbeweise verdrehen, damit sie unsere These »beweisen«. Man wird am Ende unfähig, auch nur theoretisch anzunehmen, daß es »anders« sein könnte. Dazu sagt WATZLAWICK (48) in einer Fußnote:

Mit Hilfe solcher unwiderlegbaren Beweisführungen kommt man schließlich zu Überzeugungen, deren Unerschütterlichkeit nur von ihrer Merkwürdigkeit übertroffen wird Besteht z.B. die Annahme darin, daß Krankheiten durch Gebet geheilt werden können, so »beweist« der Tod des Patienten, daß sein Glaube zu wünschen übrigließ, und dies wiederum »beweist« die Richtigkeit der Annahme von der Macht des Gebetes.

Mit ganz ähnlicher Logik erklärt Stalin-Preisträger Sergej MICHALKOV in einem Interview schlicht: »Ein überzeugter Kommunist kann kein Anti-kommunist werden. Ein Kommunist war SOLSCHENIZYN nie.«

Man wird vielleicht etwas vorsichtiger, wenn man diese Denk-Fallen in Betracht zieht: Vielleicht hat doch der andere recht? Vielleicht handelt es sich um eine Wirklichkeit zweiter Ordnung (Kap. 2), in welchem Falle »keiner alleine recht« hätte? Vielleicht sitzen wir in einer Denkrinne und können »oben« nicht mehr herausgucken?

Wer seine Fähigkeit, Aussagen logisch richtig zu interpretieren, testen möchte, dem seien die Logeleien von ZWEISTEIN (50) empfohlen.

Auch die Mengenlehre ist eine hervorragende Methode, das Denken zu trainieren.

Allerdings fällt diese Mengenlehre gerade den Menschen so schwer, die »anders« zu denken gelernt haben und die jetzt in ihrer Denkrinne sitzen.

6.8. Die Strategie

Wenn wir jetzt davon ausgehen, daß A, der B überzeugen will, Aussagen des B von der Logik her richtig einstufen kann, dann hat er nur einen Teil seiner Aufgabe erfolgreich gelöst: den inhaltlichen. Gleichzeitig jedoch muß er seine Strategie richtig planen. Auch hierzu muß er logisch denken können. Denkfehler führen sonst zur falschen Strategie.

Zum Beispiel:

Herr Y unterhält sich mit Frau Z. Herr Y glaubt zu wissen, daß Frauen nicht logisch denken können. Also wird er seine Strategie dementsprechend anlegen. Wenn aber Frau Z logisch denken kann, dann kann es sein, daß er dies zunächst gar nicht merkt, weil er ja von der Annahme ausgeht:

1. Alle Frauen können nicht logisch denken.

2. Frau Z ist eine Frau.

Ergo: Frau Z kann nicht logisch denken.

Dieses Argument ist logisch valide. Es ist nur unwahr, weil die erste Prämisse unwahr ist.

Nachdem mein erstes Buch erschien, bekam ich den Brief eines Herrn Y, der mir u.ä. wörtlich schrieb: »Als ich Ihr Buch gelesen hatte, empfahl ich es meinem Freund. Ich hatte gar nicht bemerkt, daß Sie eine Frau sind. Ich sagte ihm nur Ihren Nachnamen. Als er mich später darauf aufmerksam machte, daß es zwei BIRKENBIHLs gäbe und daß ich ihm den Vornamen hätte nennen müssen, stritt ich mich mit ihm bis aufs Messer. Es wollte mir einfach nicht einleuchten, daß eine Frau ein derart logisches Buch verfaßt hätte!« Zwar waren diese Worte als Lob gemeint, aber m.E. spricht diese Aussage nicht so sehr für mich als gegen das Vor-Urteil dieses Herrn Y. Dessen Frau, die ich später ebenfalls kennenlernte, sagte mir, daß sie jahrelang darunter gelitten habe, weil er immer

• alles dreimal sagte, damit sie es auch »begreifen könne«,

• sämtliche Schlußfolgerungen mitlieferte, als könne außer ihm in der Familie kein Mensch denken (er hatte zwei Töchter),

• ständig behauptete, gewisse Dinge seien doch »logisch«, aber das könnten sie wohl nicht verstehen,
usw.

Nun sieht die Praxis meist so aus, daß sich Familienmitglieder entweder wehren oder unterdrücken lassen. Aber bei Verhandlungen mit Kunden können wir uns solche Denkfehler, die dann zu strategischen Fehlern führen, nicht leisten. Denn der Kunde braucht sich das ja nicht gefallen zu lassen. Insbesondere heutzutage, wo es in kaum einer Branche noch »weiße Flecken« auf der Landkarte gibt, d.h. wo alle Neukunden aus dem »Gebiet« der Konkurrenz gewonnen werden müssen, ist dies ein nicht zu unterschätzender Faktor.

6.9. Fallbeispiel: Landmaschinenberater

Ein neuer Berater einer Landmaschinenfirma machte seine ersten Besuche bei Kunden. Er trifft die Frau und den Sohn an, grüßt die Bäuerin, ohne dem Jungen Beachtung zu schenken, stellt sich vor und fragt dann, ob der Bauer da sei.

Die Bäuerin: »Der ist auf dem Feld, worum geht es denn?«

Der Berater geht auf ihre Frage nicht ein:

»Wann wird er denn wieder da sein?«

»Worum geht es denn?« fragt die Frau zum zweitenmal.

Wieder weicht er aus. Zufällig kommt der Bauer gerade heim.

Der Berater beginnt erleichtert sein »Männergespräch«, allerdings sagt jetzt der Bauer:

»Das hätten Sie genausogut mit meiner Frau besprechen können. Erstens wird der Traktor meistens von ihr und dem Buben gefahren (deutet auf seinen 13jährigen Sohn, den der Berater völlig mißachtet hatte) und zweitens kaufen wir den Schlepper gemeinsam oder gar nicht.«

Dieser Bauer arbeitet nämlich in einer Fabrik, so daß der Hof überwiegend von der Familie bewirtschaftet wird.

Hier hatte der Berater zwei Denk-Fehler gemacht:

1. Mit Frauen kann man über technische Dinge nicht reden.

2. Kinder haben bei einem Kauf eines so teuren Gerätes überhaupt nichts mitzureden.

Zugegeben, er kam aus der Stadt. Vielleicht denken Sie nun, jemand in seiner Firma hätte ihm das sagen müssen. Aber, die nächste Regel zeigt uns, warum dies vergessen worden war:

Regel Nummer 11:
Was uns geläufig, gewohnt, völlig »normal« erscheint, erklären wir nicht.

Im Nachhinein war dem Niederlassungsleiter klar, daß jemand die Sachlage hätte erklären sollen. Aber es erschien den »alten Hasen« dermaßen »normal«, daß keiner daran dachte.

Dies gilt für unsere Strategie ebenfalls. Deswegen sagten wir ja, das Motto zu diesem Buch sei:

Kühner, als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.

Vielleicht könnte dieser Satz von Alexander VON HUMBOLDT Ihnen helfen, in Zukunft nicht mehr alles »Bekannte« nur als bekannt hinzunehmen, und nicht mehr automatisch davon auszugehen, daß Sie einen Routinefall mit einem Routineproblem vor sich haben, welches Sie routinemäßig mit dieser oder jener erprobten Strategie lösen wollen. Dann, aber nur dann, haben Sie die Chance, unsere fünf Regeln des Vorwortes mehr und mehr außer Kraft zu setzen. Damit erhöht sich auch Ihre Chance, die ab Kapitel 5 erarbeiteten 12 Regeln aktiv anwenden zu lernen. Hier ist die zwölfte:

Regel Nummer 12:
Im Zweifelsfalle gar nichts sagen -
lieber irgend etwas fragen.

6.10. Die Logik des Fragens, strategisch betrachtet

Eine fragende Strategie hat folgende 12 Vorteile:

I. BIOLOGISCHE VORTEILE:

1. Fragen können (wenn sie ruhig und sachlich gestellt werden) kaum als Angriff aufgefaßt werden, so daß jede Frage die Gefahr von Rep.-Reaktionen verringert.

2. Fragen »reizen« das Denk-Hirn, so daß eine etwaige teilweise vorhandene Denk-Blockade über Fragen am leichtesten aufgelöst wird.

II. PSYCHOLOGISCHE VORTEILE:

3. Jede Frage stellt eine SE (Streicheleinheit) dar. Sie zeigt Anerkennung und Respekt für den anderen. Sie zeigt ihm, daß uns seine Information, seine Meinung, seine Situation interessiert. Daher baut sie die »Brücke« zum anderen und verhindert das Aneinander-vorbei bzw. das Gegeneinander.

4. Außerdem helfen Fragen, die Beziehungs-Ebene positiv zu erhalten (bzw. wieder zu verbessern), so daß die Gefahr des psychologischen Nebels verringert wird.

III. LOGISCHE VORTEILE:

5. Wir überprüfen die Information des Gesprächspartners.

6. Wir überprüfen, ob Mißverständnisse vorliegen.

7. Wir ahnen Denkrinnen des anderen, ehe er verärgert wird, falls unsere Informationen seine Denkrinne anzugreifen scheinen.

8. Wir erfahren, welche Argumente er in seiner Argumenten-Truhe hat, ehe wir unsere »Karten« gezeigt haben (Kap. 5).

9. Somit können wir, ehe wir anbieten, entscheiden, ob unser Angebot für ihn wohl attraktiv sein wird, bzw. wir wählen unter verschiedenen möglichen Angeboten das für ihn passende aus.

10. Wir können durch die Kontrollfrage (»Angenommen …?«) Vor-Wände leichter von Einwänden trennen. Dies wiederum gibt uns einen wichtigen Hinweis auf unsere Strategie (Vor-Wände keinesfalls entkräften, wegen der Gefahr, die Diskussion zu gewinnen, aber den Kunden zu verlieren).

11. Wir führen den anderen gedanklich dorthin, wo wir ihn haben wollen. Damit ersparen wir uns lange Erzählungen, die oft nur schwer wieder abzubremsen sind (insbesondere beim Kunden: Vielredner).

12. Während er antwortet, können wir nachdenken: Über das, was er gesagt hat und darüber, was die Information in bezug auf unser Angebot bedeutet.

6.11. Zwölf Grundsätze erfolgreicher Verhandlungs-Strategie

Hier zum Schluß noch einmal zusammengefaßt die 12 Regeln, die uns helfen, eine erfolgreiche Strategie zu planen:

1. Je mehr mir an dem Ziel liegt, das ich zu erreichen trachte, desto mehr Energien muß ich investieren.

2. Es muß sich der Versuch lohnen, B von meinem Angebot zu überzeugen, und zwar für beide.

3. Wenn der andere ablehnt, versuche ich zu erfahren, warum er ablehnt.

4. Wer fragt, führt!

5. Wenn B zu unfairen Kampfmaßnahmen greift, muß ich mich mit diesen so analytisch wie möglich auseinandersetzen, wenn ich strategisch geschickt vorgehen will.

6. Wenn der Verdacht besteht, daß ein Argument von B ein Vor-Wand sein könnte, darf ich diesen Grund keinesfalls entkräften.

7. Wird die Angenommen-Frage mit Nein beantwortet, stelle ich eine Informationsfrage, um nach weiteren Gründen zu forschen. Wird die Angenommen-Frage bejaht, dann handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Einwand.

8. Wenn mehrere Vor-Wände nacheinander folgen, besteht die Gefahr von negativen Gefühlen beim anderen. Jetzt über die Gesamt-Situation sprechen statt über mein Ziel.

9. Falls das Gespräch »grundlos« zum Aneinander-vorbei bzw. Gegeneinander wird, kläre ich ab, ob wir überhaupt dasselbe meinen!

10. Je wahrscheinlicher eine Schlußfolgerung klingt, desto eher hält man sie für logisch, das heißt für zulässig (valide). Je unwahrscheinlicher sie klingt, desto eher wird sie angezweifelt.

11. Was uns geläufig, gewohnt, völlig »normal« erscheint, erklären wir nicht.

12. Im Zweifelsfalle gar nichts sagen – lieber irgend etwas fragen.

6.12. Inventur-Übung Nr. 6

Zum Abschluß wieder eine Inventur-Übung: Suchen Sie beim Zeitungslesen unzulässige Schlußfolgerungen, anhand deren der Artikelschreiber Sie überzeugen möchte, ohne auf Ihre Fähigkeit, logisch zu denken, Rücksicht zu nehmen. Sie werden feststellen, wie viele Argumente man nur allzuleicht akzeptiert, weil sie so »logisch« klingen!

Prüfen Sie zwei Faktoren, wenn Sie die »Wahrheit« finden wollen:

1. Sind die Prämissen überhaupt wahr?

2. Wenn ja, ist die Schlußfolgerung valide?

Wenn beide Fragen mit Ja beantwortet werden können, dann ist die Schlußfolgerung sowohl zulässig als auch vom Inhalt her wahr.

Kann nur die erste Frage mit Ja beantwortet werden, dann kann die Schlußfolgerung zwar wahr sein, selbst wenn sie logisch unzulässig ist, sie muß es aber nicht sein.

Kann nur die zweite Frage bejaht werden, dann ist die Schlußfolgerung eben nicht wahr, auch wenn sie valide ist, selbst wenn man meint, es müsse stimmen …