11.

»Mein Onkel hat gesagt, es käme vom Wasser, deshalb hat er nur noch in Flaschen abgefülltes getrunken«, sagt Brennan. »Mom hat gemeint, es wären Terroristen, wie eine unsichtbare Bombe oder so.«

Er wartet, dass ich irgendwas dazu sage, aber ich höre nur zu, passe auf, ob sich in seiner Erzählung vielleicht ein Clue versteckt. Er redet viel über seine Mutter, zu viel. Wir sind unterwegs. Es ist Mittag, und das Wetter ist frisch, herbstlich. Meiner ungefähren Berechnung nach muss es schon weit in den September hinein sein.

Mein Schweigen macht ihn ungeduldig. »Du hast echt Glück gehabt, dass du da draußen warst und das Schlimmste nicht mitgekriegt hast. Es ging alles so schnell. Erst haben wir Gerüchte gehört, und dann, höchstens ein paar Tage später, hat der Präsident schon im Fernsehen geredet. Ab da sollten wir alle zu Hause bleiben, und es hieß, dass ein paar Kids in unserer Straße krank wären. Einen Tag später haben sie uns alle in die Kirche gebracht.«

Ich habe noch immer nicht meine Periode. Sie ist überfällig, denke ich.

»Aiden hat in der Schule so einen Sommerkurs gemacht, und Mom hat gesagt, er soll nach Hause kommen, und er hat gesagt, er würde fragen, aber die wollten ihn nicht gehen lassen, und dann funktionierten die Telefone nicht mehr.«

Ich frage mich, ob ich wissen sollte, wer Aiden ist, und mir fällt ein, dass er einen Bruder erwähnt hat. Das muss Aiden sein, aber wenn das stimmt, ist er unbedeutend – bloßes Füllmaterial.

»Wir sind ein paar Tage dageblieben«, sagt Brennan. An seinen Händen hängen Plastiktüten voll mit Limoflaschen, Süßigkeiten und anderem Junkfood. Er hatte Cheetos und eine Flasche Cola zum Frühstück. »Mir war langweilig, ich hab irgendwie den Überblick verloren. Und dann wurden die ersten Leute krank. Ich meine, es waren von Anfang an welche krank, aber die haben sie getrennt untergebracht – in der Kita, glaub ich. Und dann waren es zu viele, und sie waren überall, und es fing an zu stinken, weil die Leute kotzen mussten und so.«

Ich kenne diese Geschichte. Jeder kennt diese Geschichte. Da sind keine Clues drin. »War das Essen knapp?«, frage ich. »Hat ein Typ mit einer Narbe im Gesicht das Wasser gehortet?«

Er schüttelt den Kopf, nimmt mich allem Anschein nach ernst. »Nein, zu essen gab’s immer reichlich – die Kranken wollten nichts essen. Und es gab Leitungswasser. Manche wollten das reguläre Wasser von den Wasserwerken nicht trinken, aber ich hab unsere Flaschen einfach immer an den Wasserhähnen gefüllt. Ich meine, aus dem Hahn am Waschbecken im Bad kommt ja wohl dasselbe Wasser wie aus dem Hahn an der Küchenspüle.«

»Genau«, sage ich und unterstreiche das Wort mit einer schwungvollen Handbewegung.

Ich erinnere mich an eine Fernsehshow mit einem ähnlichen Konzept, die vor Jahren im Discovery Channel lief. Sie wurde als Experiment vermarktet. Die »Überlebenden« eines simulierten Grippeausbruchs mussten eine kleine Siedlung aufbauen, ehe sie einen Weg fanden, sich in Sicherheit zu bringen. Sie durften coole Sachen machen, wie Sonnenkollektoren anschließen und Autos bauen. Ich dagegen muss endlos latschen und mir von einem quasselnden Jungen eine erlogene Story anhören. Außerdem wussten die Leute in der Show, worauf sie sich einließen. Sie wussten vielleicht nicht, wie hart es werden würde, aber sie kannten das Konzept. Hier jedoch, in dieser Show, sollte es nur ums Überleben in der Wildnis gehen.

Ich werfe Brennan einen Blick zu; er redet noch immer von seiner erfundenen kleinen Kirche.

Die Kandidaten im Discovery Channel hatten ein begrenztes Areal: eine bestimmte Anzahl Häuserblocks in Staffel eins und ein genau festgelegtes Sumpfgebiet in Staffel zwei, wenn ich mich recht entsinne. Ich habe inzwischen eine Strecke zurückgelegt, die zighundert Häuserblocks entspräche. Vielleicht sogar zigtausend. Und ich bin nicht die einzige Kandidatin. Wie machen die das? Wie kriegen die das hin, dass die ganze Gegend menschenleer ist?

Die Antwort ist ebenso naheliegend wie die Frage: Geld. Die Produktionskosten von Realityshows sind bekanntermaßen niedrig, aber die hier hat ein Blockbuster-Budget. Das haben sie gleich im Bewerbungsverfahren betont. Sie meinten, die Show wäre eine Gelegenheit, an einem »bahnbrechenden Entertainment-Erlebnis« teilzunehmen. Eine Gelegenheit. Die könnten Hunderte Häuser evakuieren, Dutzende Outdoor-Läden reparieren und neu ausstatten, und das wären bloß Peanuts für sie. Es ist maßlos, aber es ergibt einen Sinn. Ich kann mir erklären, wie sie das alles hinkriegen.

»Als keiner mehr da war außer mir«, sagt Brennan, »bin ich einfach losgegangen.« Schauspielerisch war er schon mal besser; sein sachlicher Ton passt nicht ganz zu der Geschichte, die er erzählt. Ich weiß nicht, warum mich diese Ungereimtheit stört, aber sie tut es.

Für die Show mit der Grippe-Pandemie war eine dritte Staffel geplant, aber sie wurde noch vor Ausstrahlung der ersten Folge abgesetzt. Die Mitwirkenden mussten ihre ganzen coolen Gerätschaften auch verteidigen. Einer der Kandidaten – Probanden? – in Staffel drei bekam von einem gefakten Plünderer bei einem gefakten Überfall einen Schlag auf den Kopf und starb daran, was nur bedeuten kann, dass der Überfall wohl doch nicht so gefakt war. Zumindest haben bestimmte Websites das als Erklärung für die Absetzung angeführt. Vielleicht stimmt es sogar. In unserem Vertrag stand dagegen ausdrücklich, dass niemand auf den Kopf geschlagen werden darf.

Werden unsere Episoden deshalb so schnell hintereinander ausgestrahlt? Für den Fall, dass jemand stirbt?

Ich bezweifele, dass das die Hauptsorge der Macher ist, aber ein Unfall, der die Produktion stoppen könnte, ist nun mal nicht auszuschließen. Ich muss daran denken, wie krank ich war. Da hätte nicht viel gefehlt, und es wäre aus gewesen, nicht mit der Produktion, aber auf jeden Fall mit meiner Teilnahme. Und sie haben diese Scheinwelt ja bereits mit einer Reihe von Leichenattrappen bevölkert, mit einer kreischenden Babypuppe, einem interaktiven Kameramann. Da ist es nicht mehr weit bis zu einem Plünderer. Ich bin sogar überrascht, dass ich bisher lediglich einen Anfall von Biberfieber und einen animierten Kojoten abwehren musste.

Und dieser quasselnde Junge kann mir egal was erzählen, er ist auf ihrer Seite. Ihrer Seite, nicht meiner. Das darf ich nicht vergessen.

»Ich wollte nur noch weg«, sagt er und schwingt seine Plastiktüten. »Irgendwohin, wo ich noch nie war. Und dann hab ich dich getroffen.«

Als ob unsere Begegnung Schicksal gewesen wäre. Aber sie war nicht Schicksal, sie war inszeniert.

»Dann ist deine Mutter also tot?«, sage ich.

Er atmet scharf ein und stolpert fast.

»Ich meine, sie muss ja tot sein«, argumentiere ich. »Ihr zwei mit Hunderten anderen eingepfercht in einer Kirche, alle husten und kotzen und machen sich in die Hose. Du bist eindeutig ein Muttersöhnchen, und du bist hier und sie nicht. Das kann doch nur bedeuten, dass sie tot ist, hab ich recht?«

Er antwortet nicht. Ich hatte gedacht, ich würde ihn dazu bringen, ein bisschen mehr Emotionen in seine Schauspielerei zu legen, aber das ist noch besser. Schweigen.

Während wir dahintrotten, kommen mir Gedanken an meine Familie in den Sinn. Die Familie, die ich gewählt habe, und die Familie, in die ich hineingeboren wurde. Meine Gleichgültigkeit gegenüber Letzterer. Meine Angst, dass mein Kind, sollte ich je eins bekommen, irgendwann die gleiche Gleichgültigkeit mir gegenüber empfindet.

Seltsam, dass meine Träume immer um einen kleinen Jungen kreisen, aber die Möglichkeit, ein Mädchen zu bekommen, bereitet mir die größte Angst. Eine Tochter: Es erscheint mir unmöglich, eine Tochter gut großzuziehen.

»Alle, die du kennst, sind auch tot«, sagt Brennan.

Ich sehe ihn an, überrascht. Sein Gesicht ist meinem ganz nahe, seine Augen sind rot, und Tränen tropfen von seinem bebenden Kinn. Rotze läuft ihm aus der Nase über die Lippen. Er muss sie schmecken können.

»Deine Familie«, sagt er. »Die Freunde, mit denen du raften warst. An ihren Gesichtern knabbern wahrscheinlich jetzt gerade die Fische.«

»Das ist … krass«, sage ich. In seiner Stimme schwingt etwas mit, das ich nicht genau benennen kann. Es ist keine Boshaftigkeit. Ich glaube nicht, dass er mir weh tun will. Ich weiß nicht, was er damit erreichen will.

»Das sind nun mal Tatsachen«, murmelt er. Er hängt sich die Plastiktüten in die Armbeugen und verschränkt die Arme. Das Zifferblatt seiner Uhr ist auf mich gerichtet.

Er ist gekränkt, wird mir klar. Der Gedanke erstaunt mich. Andererseits – wieso nicht? Wahrscheinlich hat er Heimweh. Und wahrscheinlich hat er nicht geahnt, worauf er sich einlässt. Er tut mir fast ein wenig leid, aber vor allem bin ich froh, dass er wieder den Mund hält.

Was, wenn meine Mutter tatsächlich tot wäre? Über diese Frage habe ich schon öfter nachgedacht. Sie ist erst sechsundfünfzig, sieht aber viel älter aus, hauptsächlich wegen ihrer Haut. Zweimal die Woche je vierzig Meilen hin und zurück, um ihre Ganzjahresbräune zu erhalten, wobei sie ununterbrochen qualmt. Ob Winter oder Sommer, in Vermont ist diese tiefe Sonnenbräune praktisch nur bei Farmern natürlich, die den ganzen Tag draußen verbringen. Rechnet man ihre Ernährung mit ein – eine typische Mahlzeit besteht bei ihr aus Tiefkühlwaffeln mit Burgern, die in Sirup schwimmen, und zum Nachtisch ein Ahorn-Softeis –, landet sie garantiert früh im Grab.

Sie ist tot.

Ich denke die Worte, um festzustellen, wie ich mich dabei fühle. Sie lösen nichts aus, soweit ich das sagen kann. Eigentlich müssten sie mich traurig machen, ich will sogar, dass sie mich traurig machen, aber dem ist nicht so. Ich weiß noch, wie sie in der ganzen Nachbarschaft damit prahlte, als ich an der Columbia angenommen worden war: Das war ihr Erfolg, nicht meiner. Aber jedes Mal, wenn ich scheitere – als ich mit acht Jahren das Derby verlor oder vor zwei Jahren bei der Wildlife Conservation Society abgelehnt wurde –, tut sie so, als hätte sie gewusst, dass ich es nicht schaffen würde, als wäre es vermessen von mir gewesen, es überhaupt anzugehen. Und dennoch habe ich es versucht, jahrelang habe ich es versucht. Ich erinnere mich an meinen Hochzeitstag, wie fröhlich ich war. Wie glücklich. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mir auf dem anschließenden Empfang einen Kuss auf die Wange gab. »Du siehst schön aus«, sagte sie. »Genau wie ich, als ich jung war.« Ihre Vergangenheit: meine Gegenwart. Ihre Gegenwart: meine Zukunft. Wie ein Fluch. Das Schlimmste ist, dass ich die Fotos gesehen habe; ich weiß, dass auch sie mal glücklich war.

Mit meinem Dad ist das anders. Schwieriger. Wir stehen uns nicht nahe – irgendwann während meiner Pubertät haben wir die Fähigkeit verloren, zu kommunizieren, und ich glaube nicht, dass er verstehen kann, warum ich mich so dafür abgerackert habe, von einem Ort wegzukommen, den er über alles liebt. Aber ich kann nicht ohne ein warmes Gefühl von Wehmut an ihn denken, ohne mir das süße Aroma von Zimt und Ahorn aus dem Backofen vorzustellen. Immer Ahorn.

»Kann Backen zu einer schlechten Kindheitserinnerung werden?«, überlege ich.

»Was?«, sagt Brennan.

»Nichts«, sage ich, und ich denke: Diese Gedanken gehen dich nichts an.

Mein Dad und ich haben achtzehn Jahre gemeinsam verbracht, aber Backen ist so ziemlich das Einzige, woran ich mich erinnere. Als ich klein war, half ich ihm vor der Schule in seiner Backstube. Meine Aufgabe war es, Bananen für das Ahorn-Bananenbrot zu zerdrücken. Und wenn der Teig dann in die Brotformen gegossen worden war, bestreute ich ihn mit Ahornzucker. Ich möchte mich noch an irgendetwas anderes erinnern, an etwas, das nichts mit Essen zu tun hat, aber mir fällt nur mein Geburtstag ein, als ich in der vierten Klasse war. Die Party stand unter dem Motto »Delphin«, damals mein Lieblingstier, obwohl es noch Jahre dauern sollte, bis ich einen in natura zu sehen bekam. Mein Dad backte natürlich den Kuchen – in Delphinform, dick beschichtet mit Ahornbuttercreme –, und es gab eine Piñata. Auch die in Delphinform. Die meisten aus meiner Klasse waren da. David Moreau schenkte mir einen Flugdrachen. Wir ließen ihn an dem Wochenende zusammen steigen. Oder war das in der fünften Klasse? Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich, wie mein Dad den Delphinkuchen servierte und meine Mom an einem Daumennagel kaute, während sie Orangenlimo aus einer Dose in einen durchsichtigen Plastikbecher schüttete.

Und dann fällt mir doch etwas ein – mein Dad, der auf der Tribüne sitzt und jubelt. Das war auf der Highschool, bei einem Leichtathletiksportfest, als ich in der Neunten war, lange bevor ich Mannschaftskapitänin wurde. War es mein erster Wettkampf? In meiner Erinnerung ist er so intensiv, als wäre es mein erster gewesen. Ich erinnere mich, dass mir vor Startfieber schlecht war, erinnere mich an den leichten Schmerz beim Dehnen der Oberschenkel. Ich erinnere mich, dass mein Vater meinen Namen rief und winkte. Die Wettkämpfe fanden nicht auf dem Sportplatz unserer Highschool statt, sondern auf dem einer anderen Schule, eine halbe Autostunde entfernt. Dad hatte extra früher Feierabend gemacht, um mich anzufeuern.

»Mae, es tut mir leid.«

Ich blinzele. Das eigentliche Rennen ist weg. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich gelaufen bin, ob ich einen der ersten drei Plätze belegte.

»Es tut weh, an sie zu denken«, sagt Brennan. »Sie fehlt mir. Und … und sie fehlt mir einfach.«

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, von wem er spricht.

»Schon gut«, sage ich. »Ich bin sicher, sie schaut dir jetzt zu.«

»Ich weiß«, sagt er. Er bekreuzigt sich; die Tüte in seiner Hand klatscht ihm gegen den Bauch.

Schlagartig beginnen meine Wangen zu glühen. So habe ich das nicht gemeint. Selbst wenn ich glauben würde, dass seine Mutter tot ist, hätte ich es nicht so gemeint. Noch schlimmer ist – jetzt, da er meine Worte falsch interpretiert hat, werden sie wahrscheinlich gesendet. Der Gedanke, zu der belanglosen Spiritualität amerikanischer Medien beigetragen zu haben, wenn auch nur irrtümlicherweise, widert mich an.

Nach ein paar weiteren Schritten fängt Brennan wieder von seinem blöden Kampffisch an, erzählt, dass er ihn in seinem Glas mit in die Kirche genommen hat, doch dann hat die Katze eines Nachbarn ihn gefressen. Er war gerade im Bad und füllte Wasserflaschen, als es passierte.

»Es war bloß ein Fisch«, entfährt es mir barsch. »Fische sind dazu da, gegessen zu werden.«

»Aber –«

»Bitte – bitte halt einfach mal fünf Minuten lang den Mund.«

Er starrt mich mit großen Augen an, aber es dauert nicht mal eine Minute, da fängt er an, von seinem Bruder zu erzählen und wie sie das erste Mal allein zusammen U-Bahn gefahren sind. Er lamentiert über die vielen Ratten, die er gesehen hat, und dass das ganze U-Bahn-Netz inzwischen rattenverseucht ist. »Ich hasse Ratten«, sagt er, und zumindest in dem Punkt kann ich ihm nicht widersprechen. Es gehört zu meinem Job, für Ratten ein gutes Wort einzulegen, ihren falschen Ruf richtigzustellen – sie sind in Wahrheit sehr saubere Tiere –, und das tue ich auch. Ich lächele, um die Ekelgefühle und Ängste meiner Schüler zu zerstreuen, aber innerlich ekele ich mich selbst. Ich habe es noch nie ertragen können, wenn so ein nackter Rattenschwanz auf der Innenseite meines Arms liegt. Deshalb stehe ich lächelnd da, heuchele eine Aufgeschlossenheit, die ich noch nie empfunden habe, und hoffe, dass sie eines Tages wahr wird.

Als Brennan an dem Abend in seinen wackeligen Windkanal gekrochen ist, versuche ich gar nicht erst, zu schlafen. Ich sitze am Feuer, halte es in Gang und lausche seinem leisen Knistern. Meine Gedanken wandern zurück zum ersten Tag der Dreharbeiten, nachdem alle Verträge unterschrieben waren und wir das letzte Mal zu Hause angerufen hatten – jede Menge Liebesbeteuerungen und Erfolgswünsche, alles real, aber nichts Neues. Ich denke daran, wie ich zu der Wiese ging, auf der die erste Challenge anfing, und dass ich keine Angst hatte, nicht mehr. Ich war glücklich, aufgeregt. Ich weiß, dass ich mich so gefühlt habe, aber die Erinnerung ist wie eine verflogene Süße hinten im Hals – eine Erinnerung, kein Geschmack. Ich möchte mich wieder so fühlen. Ich möchte wissen, dass ich mich wieder so fühlen kann.

Ein Virginia-Uhu ruft irgendwo entfernt in der Dunkelheit. Ich schließe die Augen und lausche. Für mich hat der Virginia-Uhu schon immer leicht aggressiv geklungen, sein Ruf ein fast kehliges hur hur-hur hurrrr hur-hur statt des neugierigen huh, das seinen Artgenossen gemeinhin zugesprochen wird. Ich finde auch nicht, dass sie weise aussehen. Eher verärgert, würde ich sagen, durch die spitz zulaufenden Brauen und die langen Federohren.

Cooper kam mir am Anfang so vor. Reserviert. Keine Ahnung, was ich an ihm gleich so anziehend fand. Nein – ich weiß es. Diese fast sagenhafte Kompetenz, die er ausstrahlte. Die Art, wie er jeden von uns in Augenschein nahm, uns taxierte, ohne auf der Suche nach Verbündeten zu sein, denn von dem Moment an, als er in den Baum sprang, war klar, dass er niemanden brauchte außer sich selbst. Ich wette, er war schon sein ganzes Erwachsenenleben so: vollkommen autonom – eine kompromisslose, erstaunliche Existenz. Ich war noch nie einem so völlig unabhängigen Menschen begegnet, und ich war fasziniert. Zuerst fand ich es merkwürdig, dass sie jemanden gecastet hatten, der so einsilbig war, aber seine Handlungen genügten, sagten gewissermaßen mehr als Worte. Und wir anderen, die wir seine Fähigkeiten nicht besaßen, füllten die Stille.

Wenn ich wieder einen von ihnen als Teampartner auswählen könnte, würde ich Cooper nehmen. Heather wäre meine letzte Wahl; da würde ich sogar lieber Randy nehmen.

Würde Cooper mich wählen?

Der Uhu ruft wieder. Ein anderer antwortet, weiter weg. Eine Unterhaltung: ein Hin und Her von Rufen. Es ist keine Paarungszeit, daher weiß ich nicht, worüber sie sich unterhalten, ob ihre Rufe freundlich sind oder Imponiergehabe. Ich schließe die Augen. Während ich diesen vertrauten Klängen lausche, kann ich mir fast einreden, dass ich auf einem Campingausflug bin, nur für eine Nacht. Dass ich morgen früh meine Ausrüstung hinten in meinen Subaru Outback werfe und nach Hause fahre, wo mein Mann wartet, sein obligatorisches Rührei mit Speck und Schnittlauch auf dem Herd brutzelt und der Duft von frisch gekochtem Kaffee mir schon im Flur entgegenweht, um mich zu begrüßen. Ich kann ihn fast riechen.

Fast.