KAPITEL ZWÖLF

Ich bin gar nichts.

Ich bin niemand.

Ich gehöre Ihnen.

Das Mantra lief in Lukes Kopf in Endlosschleife. Es war der Schlüssel zu Lukes leerem Blick, seiner lethargisch klingenden Stimme, seinem regungslosen Gesicht und verbarg somit die Wahrheit. Soresh beobachtete ihn immer noch genau und achtete auf jedes noch so kleine Zeichen von Unabhängigkeit und Ungehorsam. Doch Luke war mittlerweile geübt darin, alle Bewegungen eines willenlosen Sklaven perfekt auszuführen. Er hatte keine Ahnung, woraus er die Kraft geschöpft hatte, um Soreshs Hirnwäsche zu widerstehen - ebenso wenig wusste er, woher die Kraft kam, diese Komödie so lange mitzuspielen. Dennoch war es ihm irgendwie gelungen. Irgendwo tief in seinem Innern musste es etwas geben, das sich nicht beugen wollte. Eine Stimme, die ihm sagte, er solle um jeden Preis durchhalten. Sie ähnelte keiner Stimme, die er je zuvor gehört hatte. Am ehesten klang sie noch nach seiner eigenen, nur tiefer. Stärker. Luke fragte sich manchmal, ob es die seines Vaters war, der ihm aus dem Jenseits helfen wollte.

„Willkommen in meinem Meisterstück", sagte Soresh und führte Luke in einen großen Raum voller Computer. Ein riesiger Bildschirm füllte eine der Wände komplett aus. „Heute fordere ich meinen rechtmäßigen Platz an der Seite des Imperators ein. Und das alles dank deiner Hilfe."

Soresh liebte nichts so sehr, wie mit seinen Plänen vor seinen gehorsamen Wachen anzugeben, die ihm auf Schritt und Tritt folgten. Und seit Luke seinen endgültigen Treuebeweis erbracht hatte, war er Soreshs Lieblingspublikum. Trotzdem hatte Luke immer noch keine Ahnung, was der Commander mit der Rebellenflotte vorhatte. Und demnach ebenso wenig, wie er Soresh aufhalten sollte.

Der Commander aktivierte die Comm-Einheit. Es dauerte nicht lange, da erschien Darth Vader höchstpersönlich auf dem großen Bildschirm. Das Bild war fast drei Meter hoch und überlebensgroß. Luke musste ein Schaudern unterdrücken. Sogar auf dem Bildschirm bot der Dunkle Lord einen furchterregenden Anblick. Zu dieser Furcht gesellte sich Lukes Zorn. Es reichte schon, wenn Luke die dunkle Maske erblickte und das gleichmäßige künstliche Atmen hörte, um im Geiste eine rote Lichtschwertklinge zu sehen, die auf Ben niederging. Und jedes Mal übermannte ihn Wut.

Halt durch, drängte die Stimme, die womöglich seinem Vater gehörte. Du kannst das schaffen.

Ja, das konnte er. Erstand regungslos und leer vordem Dunklen Lord und ließ Soresh sein irres Spiel spielen. Und sobald Soresh seine Aufmerksamkeit dem Bildschirm zugewandt hatte, verschwand Lukes Hand unmerklich im Ärmel, wo er Hans Comlink versteckt hatte. Er aktivierte das kleine Gerät und baute eine Verbindung zu seinen Freunden auf. Jetzt konnten sie alles mithören.

„Ich sagte Ihnen doch, dass ich etwas habe, das Sie suchen", sagte Soresh mit einem Lächeln zum Bildschirm. „Hier ist es."

Darth Vader erwiderte nichts. Doch Wut ging in Wellen von ihm aus. Luke spürte förmlich, wie es in dem Raum wärmer wurde.

„Sag dem Dunklen Lord, wie sehr du dich darauf freust, ihn persönlich kennenzulernen", befahl Soresh Luke.

„Wenn es meinem Meister gefällt, so freue ich mich darauf, Sie persönlich kennenzulernen", sagte Luke gehorsam. Es überraschte ihn, dass Soreshs Spiel mitzuspielen einfacher war, als er befürchtet hatte. Mit jedem neuen Befehl konnte er besser Folge leisten.

„Sie werden Ihre Frechheit schon bald bereuen", sagte Darth Vader, bevor der Bildschirm wieder erlosch.

Soresh begann schallend zu lachen.

Luke konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, Soresh mit heruntergeklapptem Unterkiefer anzustarren. Vaders

Zorn hatte schon Männer in die Panik getrieben, in den Wahnsinn und sogar in den Tod. Aber dass er bei jemandem Freude auslösen konnte?

„Siehst du?", kicherte Soresh. „Alles läuft nach Plan. Er peilt jetzt gerade unsere Koordinaten an. Wenn ich alles richtig berechnet habe - und ich berechne immer alles richtig -, dann wird er pünktlich hier ankommen, um von eurer Rebellenflotte in Empfang genommen zu werden. Ich bin fast versucht, noch etwas länger hierzubleiben, nur um miterleben zu können, wie Vader von einer riesigen Ansammlung Rebellenabschaum abgeschossen wird." Er schüttelte kurz den Kopf. „Aber das wäre etwas maßlos. Nein, ich darf nichtzulassen, dass persönliche Gefühle meinem sorgsam geplanten zeitlichen Ablauf in die Quere kommen. Vader wird mit den anderen zusammen in Flammen aufgehen, und das reicht mir."

„Vader wird in Flammen aufgehen", sagte Luke in der Hoffnung, den Monolog noch etwas voranzutreiben. Er brauchte mehr Details. Irgendetwas, mit dessen Hilfe er herausfinden konnte, worin seine Aufgabe in der Stunde der Wahrheit bestand.

„Ja, das passiert normalerweise, wenn eine Sonne zur Supernova wird", sagte Soresh mit einem bösen Kichern.

Plötzlich wurde Luke klar, dass Soresh wirklich verrückt war, wenn er glaubte, Kontrolle über eine Sonne zu haben. Silexa war ein sogenannter Blauer Riese. Der Stern würde eines Tages sicher zur Supernova werden, aber nicht während der nächsten paar Millionen Jahre.

Luke wartete, bis Soresh fortfuhr, aber es folgte keine Erklärung. Stattdessen fläzte Soresh sich in einen Stuhl und legte die Beine auf eines der großen grauen Instrumentenpulte. „Und jetzt warten wir."

Sie warteten so lange, bis Luke langsam zu schwanken begann. Er konnte kaum noch stehen. Die anderen Wachen standen jedoch immer noch stramm. Sie waren sich ihrer eigenen Erschöpfung offenbar gar nicht bewusst. Luke gab sein Bestes, es ihnen gleichzutun.

Ich könnte ihn jeden Augenblick überfallen, dachte er. Angesichts der anwesenden Wachen war ihm allerdings klar, dass er bei dem Versuch höchstwahrscheinlich zusammen mit Soresh sterben würde. Luke hatte keine Angst vor dem Sterben. Er wollte nur nicht umsonst sterben. Und genau das wäre der Fall, wenn er Soresh angriff, bevor er den ganzen Plan kannte.

„Dal", stieß Soresh hervor und sprang auf die Füße.

Der Bildschirm war voller Sterne. Und während Luke hinsah, wurde einer der Sterne heller, bevor er sich in zwei, dann fünf und schließlich hundert Punkte teilte.

Die Flotte war angekommen.

„Bist du bereit?", fragte Soresh Luke.

„Bereit wofür?"

„Deine Bestimmung zu erfüllen natürlich." Er führte

Luke zu einer schmalen grauen Konsole direkt unter dem Bildschirm. Mitten auf dem Pult war ein großer gelber Knopf. „Die Resonanztorpedos sind scharfgemacht und zum Abschuss bereit", sagte Soresh. „Grand Moff Tarkins größte Errungenschaft. Ein einziger Knopfdruck wird sie in die Sonne schicken und eine Fusionskettenreaktion auslösen. Und dann ..." Er warf die Arme in die Luft und imitierte mit dem Mund das Geräusch einer Explosion. „Wenn wir uns beeilen, haben wir Zeit, um uns das Feuerwerk aus dem Weltraum anzusehen. Aber natürlich erst, nachdem wir uns in Sicherheit gebracht haben. Ich würde dich niemals zurücklassen, Luke", sagte er, als hätte Luke eine entsprechende Besorgnis geäußert. „Du bist meine Eintrittskarte." Er holte etwas unter seinem Mantel hervor - ein Lichtschwert. „ Das hättest du gerne zurück, richtig?"

„Wenn es Ihnen gefällt", sagte Luke und versuchte sich einen Überblick verschaffen, ohne den Kopf zu bewegen. Es waren sechs Wachen hier. Plus Soresh. Wenn er irgendwie an sein Lichtschwert und an einen Blaster kam, konnte er Soresh vielleicht ausschalten, bevor der Knopf gedrückt wurde. Aber er musste den richtigen Augenblick zum Handeln abpassen.

Lass dich von der Macht leiten, sagte die tiefe Stimme in seinem Innern.

Soresh ließ das Lichtschwert vor ihm baumeln. „Du kannst es für immer zurückhaben", sagte er. „Du musst nur diesen Knopfdrücken."

Luke rührte sich nicht.

„Jetzt gleich", sagte Soresh eindringlich.

Jetzt.

Luke schlug zu. Er trat Soresh in die Kniekehlen und brachte ihn zu Fall. Der Commander verlor das Lichtschwert, und Luke fing es aus der Luft.

„Tötet ihn!", rief Soresh.

Die Klinge des Lichtschwerts flammte in dem Augenblick auf, in dem die Wachen das Feuer eröffneten. Luke kämpfte mit dem Lichtschwert gegen die Männer, aber sie wichen ihm permanent aus. Sie waren ihm immer einen Schritt voraus. Er war etwas zu langsam. Vielleicht, weil er nun verstand, was diese Wachen waren: Leute wie er, die taten, was Soresh von ihnen verlangte, weil ihnen keine andere Wahl blieb. Er wollte ihnen nichts antun.

Aber er wollte auch nicht sterben.

Luke versuchte sich an sein Training zu erinnern und benutzte das Lichtschwert dazu, um jeden Laserblitz in seiner Nähe abzuwehren. Das Laserfeuer zuckte quer durch den Raum, riss Löcher in die Wand und schlug in die riesigen Computer ein. Bald lagen Drähte bloß, und die Flammen schlugen an den Wänden empor. Beißender schwarzer Rauch erfüllte den Raum und verbarg die Kontrahenten. Luke lenkte das Laserfeuer bloß noch mithilfe seines Instinkts ab. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er sich nur darauf stützen, dass die Macht ihm zeigte, woher der nächste Schuss kommen würde. Unermüdlich wirbelte er im Kreis und lenkte einen Laserblitz nach dem anderen mit seiner Waffe ab.

Soresh hatte sich zu Boden geworfen und kroch auf dem Bauch in Richtung Ausgang. Luke spürte, wie ihn die Lichtschwertklinge geradezu in Soreshs Richtung zog, als wünschte sich die Waffe Soreshs Tod ebenso wie Luke. Doch das Laserfeuer trieb ihn in Richtung der anderen Wand, und schon bald saß er dort fest. Seine Waffe lenkte immer noch die Schüsse ab, und seine Arme wurden müde. Er konnte hier nicht ewig durchhalten. Früher oder später würde ihn das Glück verlassen. Und selbst wenn nicht - er konnte Soresh nicht überwältigen, außer er fände einen Weg, die Wachen auszuschalten. Aber es waren einfach zu viele, um sie zu besiegen.

Zumal er Geräusche von Schritten auf dem Korridor hörte. Vermutlich war Nachschub unterwegs. Eine Welle der Hoffnungslosigkeit überkam Luke, die er ignorierte. Es musste einfach etwas geben, was er tun konnte. Irgendeinen Weg, den Feind zu besiegen.

Und dann keimte in ihm eine Idee. Die Wachen waren nicht seine eigentlichen Feinde. Sie waren einfache Wesen wie er, nur dass sie nicht die Stärke besessen hatten, Soreshs Methoden zu widerstehen. Sie hatten gegen ihn verloren. Der Commander war der Feind aller Anwesenden. Luke musste ihnen das nur klarmachen. Während er weiter Laserblitze ablenkte, suchte er fieberhaft nach der Lösung.

Die Macht kann großen Einfluss haben auf die geistig Schwachen, hatte Ben ihm gesagt.

Was konnte schwächer sein als ein Geist, der vollkommen leer war?

Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, während er wie wild sein Lichtschwert schwang und Laserblitzen auswich. Zuletzt war das auch besser so. Konzentration hatte ihm noch nie dabei geholfen, die Macht zu beherrschen. Im Gegenteil. Nur wenn er nicht mehr nachgedacht hatte, sobald er seine Versuche aufgegeben hatte, war es ihm gelungen. Und deswegen sprach er die Wachen jetzt einfach an, ohne nachzudenken, was er tat oder was er überhaupt sagen sollte.

„Ihr seid jemand!", sagte er.

„Ihr gehört ihm nicht!"

„Er ist nicht euer Meister!"

Er sprach die Worte so vehement wie möglich und wiederholte sie immer wieder, um die Stimme im Kopf der Wachen zu übertönen. Allerdings zeigte es keinen Effekt. Der Hagel aus Laserschüssen prasselte weiterhin gefährlich auf ihn ein. Und er war sich sicher, dass er Soresh irgendwo hinter der Rauchwand lachen hörte. Aufgrund dieses Lachens drang Luke alles ins Bewusstsein, was Soresh ihm angetan hatte.

„Er ist nicht euer Meister!", rief er und legte all seine

Wut, all seinen Schmerz, all seine Erschöpfung in die Worte. „Wir gehören ihm nicht!"

Da wurde es still in dem Raum. Ein Blaster fiel zu Boden.

„Wo bin ich?", murmelte jemand.

„Was mache ich hier?"

Laute der Verwirrung und Angst - aber keine Explosionen und Schüsse mehr. Kein Töten auf Befehl mehr. Es hatte funktioniert. Sie waren frei.

Soreshs Gelächter durchdrang die Geräusche. Luke wirbelte herum. Der Commander, blutig und erschöpft, aber immer noch auf den Beinen, warf sich auf den gelben Knopf. „Zu spät", sagte Soresh und drückte ihn.

Luke beobachtete auf dem Bildschirm voller Schrecken, wie drei Resonanztorpedos auf die Sonne zuflogen.