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Louis Friedmans alter Kasten rumpelte los, während ich mir immer noch darüber klar zu werden versuchte, ob die Szene mit Benny Lucas gerade Wirklichkeit oder nur ein Produkt meiner überheizten Phantasie gewesen war.

»Die beiden sollten sich wieder vertragen«, sagte Louis Friedman.

»Ich hatte eigentlich nicht den Eindruck, daß sie sich böse wären«, meinte ich.

»Wer fragte er verständnislos.

»Pee-wee und Francine.«

»Ich rede von Benny und Manny Tyrrel«, versetzte Louis unwillig. »Wer sind denn Pee-wee und Francine, zum Teufel

»Die beiden Mädchen, die Benny bei sich hatte.«

»Ach die sagte er geringschätzig. »Wenn sich Benny damit zufriedengeben würde, seine Frau zu beschlafen, hätten wir jetzt nicht dieses Problem am Hals

»Wenn Benny und Manny miteinander im Streit liegen, ist es da nicht ein Risiko für Sie, mich zu Manny zu fahren wollte ich wissen.

»Nein«, erwiderte er zuversichtlich. »Manny kennt mich. Ich bin kein Freund von Gewalt, Holman. Darum habe ich auch gesagt, die beiden sollten sich wieder vertragen«, kam er auf sein ursprüngliches Thema zurück. »Wenn es so weitergeht wie jetzt, wird bestimmt jemand ins Gras beißen. Womöglich sogar ich!« Er schüttelte sich bei dem Gedanken.

»A propos ins Gras beißen«, sagte ich. »Sind Ihnen schon einmal ein paar Ganoven mit den Namen Skip und Chuck über den Weg gelaufen

»Skip und Chuck wiederholte er. »Ist das alles

»Skip hat rote Haare und einen roten Bart. Chuck sieht nicht nur wie ein Gorilla aus, sondern ist auch einer

»Vielleicht«, sagte er.

»Vielleicht?« Ich sah ihn vorwurfsvoll an. »Was für eine Antwort soll denn das sein

»Haben die beiden mit den Fotos zu tun, hinter denen Sie her sind

»In gewisser Weise«, entgegnete ich.

Er pfiff durch die Zähne. »Das sind ziemliche Schlägertypen. Denen sollten Sie lieber aus dem Weg gehen, Holman. Sonst könnten Sie etwas abbekommen

»Das habe ich bereits festgestellt«, sagte ich.

»Die beiden sind ein Team«, erläuterte Friedman. »Arbeiten sozusagen auf freier Basis. In Los Angeles treiben sie sich schon ein paar Jahre herum. Benny hat sie auch schon einmal engagiert. Aber er war mit ihrer Arbeitsweise nicht einverstanden. Deshalb hat er es bei diesem einen Mal bewenden lassen

»Was hat ihm an der Arbeitsweise nicht gefallen wollte ich wissen.

»Zu gewalttätig«, erwiderte Louis Friedman. »Benny wollte den Kerl damals nicht umbringen lassen, sondern ihm nur einen kleinen Denkzettel verpassen

»Sie wissen nicht zufällig, für wen die beiden im Augenblick arbeiten

Er schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte — die beiden arbeiten für jeden, der zahlt. Wer weiß, vielleicht sogar für Manny Tyrrel

»Sie sind wirklich eine große Hilfe«, sagte ich.

Er bog nach links ab, verlangsamte das Tempo und lenkte den Veteran in die Einfahrt eines imposanten Hauses. Dann schaltete er den Motor ab.

»Ich werde auf Sie warten«, sagte er. »Manny weiß, daß Sie kommen

»Woher?«

»Ich habe ihn angerufen«, erwiderte Friedman schlicht, »und ihm gesagt, daß Sie ihn sprechen möchten. Ich habe ihn auch gebeten, Sie anzuhören

»Und er war einverstanden? Ich meine, er weiß doch, daß Sie eigentlich für Benny Lucas arbeiten

»Manny kennt meine Meinung«, versetzte er ruhig. »Ich will, daß die beiden sich wieder zusammentun

Ich stieg aus dem Wagen, ging auf das Haus zu und klingelte an der Tür. Sekunden später wurde mir von einem jungen Mann geöffnet. Er mochte Anfang Zwanzig sein und etwa meine Größe haben. Sein langes blondes Haar fiel ihm fast bis auf die Schultern, seine Augen waren leuchtend blau. Er trug einen knallroten Pullover und enge lachsrosa Hosen. An seinem rechten Ohrläppchen baumelte ein goldener Ring.

»Mr. Holman?« Er bedachte mich mit einem jener betörenden Lächeln, die nur ein Schwuler zustande bringt.

»Ja, der bin ich«, bestätigte ich.

»Bitte, kommen Sie herein. Mr. Tyrrel erwartet Sie

Ich machte einen Schritt in die Diele, und er trat hinter mich, um die Tür zu schließen. Im nächsten Augenblick hatte er den linken Arm wie einen Schraubstock um meinen Hals geschlungen, so daß ich kaum noch Luft bekam. Bevor ich reagieren konnte, hatte er mir mit der Rechten schon meine Pistole aus dem Halfter gezogen. Dann ließ er mich ebenso schnell wieder los.

»Es tut mir leid«, sagte er in verbindlichem Ton. »Aber Mr. Tyrrel wird nervös bei dem Gedanken, sich mit jemandem zu unterhalten, den er nicht kennt und der eine Pistole trägt

»Sie hätten mich danach fragen können«, wandte ich ein.

»Ich entschuldige mich, Mr. Holman. Aber manche Leute haben die merkwürdigsten Reaktionen, wenn man sie fragt, ob sie eine Waffe tragen. Sie bekommen, wenn Sie gehen, Ihre Pistole selbstverständlich zurück

Es hatte keinen Zweck, meinen Ärger weiter zu pflegen, deshalb machte ich gute Miene zum bösen Spiel.

»Mr. Tyrrel ist im Wohnzimmer Der junge Mann wies auf eine Tür. »Wenn Sie bitte hineingehen würden, Mr. Holman

Manny Tyrrel war schätzungsweise um die Fünfzig und körperlich das genaue Gegenteil von Benny Lucas. Hochgewachsen und hager, hatte er dichtes eisengraues Haar, ein gefurchtes schmales Gesicht und kalte dunkle Augen. Als ich hereinkam, stand er hinter der Bar und machte sich einen Drink zurecht.

»Möchten Sie auch etwas trinken, Mr. Holman fragte er mit einer weichen, klangvollen Stimme.

»Ja, bitte einen Bourbon mit Eis«, erwiderte ich.

»Louis Friedman sagte mir, ich solle mit Ihnen reden«, fuhr er fort. »Nun sind Sie also hier. Worum geht es, Mr. Holman

Er schenkte mir meinen Bourbon ein und schob das Glas über die Theke. Ich durchquerte den Raum und trat an die Bar, um das Glas entgegenzunehmen.

»Lloyd Dalton«, antwortete ich. »Ein Fotograf. Er hat ein paar Fotos, an denen ein Klient von mir interessiert ist. Aber Dalton scheint verschwunden zu sein

»Ah!« Er lächelte dünn.

»Ich habe gehofft, Sie könnten mir vielleicht helfen, diesen Fotografen zu finden

»Darf ich fragen, welcher Art genau Ihre Verbindung mit Louis ist, Mr. Holman

»Wir sind uns vor kurzem in der Wohnung dieses Fotografen begegnet«, erwiderte ich.

»Ihr Klient ist nicht zufällig Benny Lucas

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mit ihm gesprochen, bevor ich zu Ihnen kam, Mr. Tyrrel. Ihr Streit mit Benny Lucas geht mich nichts an. Ich will lediglich Dalton finden und die Fotos meines Klienten zurückbekommen

»Hatten Sie eine Waffe bei sich, als Sie in mein Haus kamen, Mr. Holman fragte er höflich.

»Ja.«

»Und Bruce hat sie Ihnen abgenommen

»Wieder ja.«

»Bruce steht in diesem Augenblick draußen vor der Zimmertür«, erläuterte er. »Ich brauche nur die Stimme zu heben, und er kommt herein

»Ich bin beeindruckt, Mr. Tyrrel«, versicherte ich.

»Ich habe diese Tatsache nur erwähnt, weil ich nicht möchte, daß Sie womöglich auf dumme Gedanken kommen und etwa versuchen, ein paar Fotos zu zerreißen, wenn ich sie Ihnen zeige

»Ich versuche nie etwas Unüberlegtes, wenn man mich vorher auf die Konsequenzen hinweist«, erwiderte ich.

Er langte unter die Theke und brachte einen Stoß Bilder zum Vorschein, die er vor mich hin blätterte.

»Mich persönlich können diese Fotos zwar nicht in Ekstase versetzen«, sagte er, »aber sie sind beachtlich. Finden Sie nicht

Sie waren tatsächlich beachtlich, das konnte man nicht leugnen. Vergrößerungen von optimal ausgeleuchteten Aufnahmen eines Fotografen, der sein Handwerk verstand. Benny Lucas sowie Pee-wee und Francine waren auf Anhieb zu erkennen. Eigentlich hatte ich angenommen, daß den erotischen Spielereien eines Terzetts natürliche Grenzen gesetzt seien. Aber die drei hatten wirklich Phantasie bewiesen. Benny war immer mittendrin und lieferte Beweise seiner Vielseitigkeit.

Nachdem ich die ganze Kollektion betrachtet hatte, reichte ich sie Tyrrel zurück, der sie wieder unter der Theke verstaute.

»Benny hängt sehr an seiner Frau. Wußten Sie das Tyrrel grinste zufrieden. »Er wird sterben, wenn sie diese Bilder zu Gesicht bekommt! Und sie wird auch nicht gerade glücklich sein

»Mir ist völlig wurscht, wie er reagiert«, entgegnete ich. »Mich interessieren bloß die Fotos meines Klienten

»Da kann ich Ihnen leider nicht helfen, Mr. Holman. Ich habe den Fotografen nicht einkassiert. Diese Fotos habe ich heute früh mit der Post bekommen. Ein Geschenk.« Er hob die Schultern. »Ein phantastisches Geschenk.«

»Ich will Ihnen glauben«, sagte ich. »Aber ich bin nicht so sicher, daß Benny Lucas das ebenfalls tun wird

»Ich möchte Sie um einen kleinen Gefallen bitten, Mr. Holman. Sagen Sie Benny, ich besäße diese Fotos und hätte sie Ihnen selber gezeigt. Und sagen Sie ihm auch, ich werde dafür sorgen, daß seine Frau diese Fotos bekommt, sobald sie wieder zu Hause ist. Als Geschenk!«

»Ich werde es ihm ausrichten

»Ihnen wird er das abnehmen«, sagte Tyrrel. »Und wenn er irgendwelche Zweifel hat, können Sie ihm jederzeit ein paar der saftigsten Szenen beschreiben

»Ist gut. Darf ich Sie dann auch um einen kleinen Gefallen bitten

»Und zwar?«

»Es geht um zwei Schläger. Skip und Chuck.«

»Was ist mit ihnen

»Wo kann ich die beiden finden

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich leider auch nicht, Mr. Holman. Und wenn ich Sie wäre, würde ich alles andere tun, als nach diesen Kerlen zu suchen. Das sind ausgesprochene Sadisten, Mr. Holman, denen es Spaß macht, kräftig drauflos zu dreschen

»Ich weiß«, nickte ich. »Sie haben mir bereits einen Besuch abgestattet

»Und trotzdem wollen Sie nach ihnen suchen Seine Stimme klang überrascht. »Sie sind ein mutiger Mann, Mr. Holman

»Könnten die beiden über Benny Bescheid wissen? Und wie er zu seiner Frau steht fragte ich.

»Sie meinen, es wäre möglich, daß die beiden mir die Fotos geschickt haben Er überlegte einen Augenblick. »Davon wissen könnten sie schon. Wenn es auch ziemlich unwahrscheinlich ist. Sie haben einmal für uns gearbeitet. Aber dann nicht wieder.«

»Denn Benny wollte keine Leiche, sondern dem Mann nur einen Denkzettel verpassen lassen«, ergänzte ich.

Er verzog die Mundwinkel. »Sie haben sich mit Louis unterhalten. Seitdem habe ich die beiden nicht mehr gesehen. Aber ich denke, sie lassen sich noch immer für besondere Aufgaben anheuern

»Dann muß ich eben auf eigene Faust weitersuchen«, sagte ich.

»Vergessen Sie nicht, Benny von den Bildern zu erzählen, Mr. Holman. Ich möchte, daß er genug Zeit hat, sich die Reaktion seiner Frau vorzustellen

»Ich werde ihm alles ausrichten«, versetzte ich und trank mein Glas aus. »Auf Wiedersehen, Mr. Tyrrel.«

Ich kehrte in die Diele zurück, wo Bruce auf mich wartete.

»Sie werden Ihre Pistole wiederhaben wollen, Mr. Holman Er verbeugte sich leicht und reichte mir die Waffe mit dem Griff voran. Wenn ich also diese Fotos haben wollte, brauchte ich nur den Lauf auf Bruce zu richten und ihn vor mir her in das Wohnzimmer zu dirigieren. Aber Bruce sah nicht dumm aus. Ich zog das Magazin heraus und sah, daß es leer war.

»Sie würden überrascht sein, wie wenig Leute daran denken, das vorher zu tun«, sagte er. »Und das gibt mir meistens Grund, herzlich zu lachen

»Schicken Sie mir die Patronen per Post zurück fragte ich. »Oder muß ich die als eine Art Eintrittsgeld betrachten

»Ich denke, Sie können sie als Eintrittsgeld betrachten«, erwiderte er freundlich. Er ging zur Tür und öffnete sie schwungvoll.

»Ihr Stil gefällt mir, Mr. Holman«, sagte er. »Sollten Sie einmal genug von Mädchen haben, rufen Sie mich an. Ich kann Ihnen vielleicht ein paar Sachen beibringen Er ließ seinen Blick lüstern auf meiner Hose haften. »Sie sehen aus, als ob Sie einiges zu bieten hätten

»Ach ja sagte ich. »Aber würde Mr. Tyrrel nichts dagegen haben

»Mr. Tyrrel brauchte ja nichts davon zu wissen, Süßer«, erwiderte er mit einem Anflug von Koketterie. »Außerdem kann er, bloß weil er mein Chef ist, nicht verlangen, daß ich mich nicht auch einmal mit jemandem wie dir amüsiere. Natürlich müßten wir diskret sein! Aber das würde alles noch viel interessanter machen, stimmt’s? Die verbotenen Früchte schmecken am besten, heißt es doch Er kam etwas näher an mich heran.

»Wie du das sagst, klingt es sehr verlockend, Bruce«, flüsterte ich.

Er warf mir sein betörendes Lächeln zu. »Ach, fast könnte ich dich beneiden«, seufzte er. »Du bist bis jetzt immer standhaft geblieben, wie? Hast es immer wieder mit den Weibern probiert und nie richtig Spaß daran gehabt. Aber laß dir von mir das eine versprechen, Süßer: Für dich wird sich eine ganz neue, faszinierende Welt auftun! Ich verstehe eine Menge von Erotik

»Weckst du in anderen Leuten die gleichen Gefühle wie in mir fragte ich mit ernstem Gesicht.

»Na, welche denn?«

»Dieses beinahe unwiderstehliche Bedürfnis zu kotzen, du Süßer sagte ich schroff.

Er wurde unter seiner Sonnenbräune blaß. »Du...« Er hatte Mühe, die Worte herauszubringen. »Du Schwein! Du hast mich auf den Arm genommen

Tyrrel kam mit undurchdringlicher Miene aus dem Wohnzimmer. »Gibt es irgendwelche Probleme fragte er trocken.

»Keine Probleme«, erwiderte ich. »Bruce wollte mir nur einen unsittlichen Antrag machen. Er hat mir erzählt, wieviel er von Erotik versteht. Und er findet, Sie hätten an ihn keine Besitzansprüche. Ich habe ihm nur gesagt, daß ich Mädchen vorziehe Ich zuckte die Achseln. »Wer könnte ihn außerdem mit dieser Frisur ernst nehmen? Er sieht doch aus wie eine Witzblattfigur

Bruce stieß ein Schimpfwort hervor und kam auf mich losgeprescht. Ich hielt noch immer die entladene Pistole in der Hand und schlug ihm mit dem Lauf genau zwischen die Augen. Seine Haut platzte auf, und das Blut begann zu fließen. Er taumelte rückwärts zu Boden. Im nächsten Augenblick kniete Tyrrel bereits neben ihm.

»Bruce wimmerte er. »Bist du in Ordnung, Bruce Dann hob er seinen Blick zu mir. »Wenn Sie ihn umgebracht haben, Holman«, sagte er heiser, »sind Sie ein toter Mann

»Ich habe ihn nicht umgebracht«, beruhigte ich ihn. »Das Schlimmste, was er haben wird, ist eine dicke Beule am Kopf. Und Sie werden ihn bestimmt darüber hinwegtrösten