Der Fonds

 

Es gab ein Gerücht in der Stadt. Wahrscheinlich war Pfeifenberger der Überträger. Pfeifenberger hatte in den Achtzigern auch eine antibiotikaresistente Grippe von Sri Lanka aus eingeschleppt, an der nicht nur das halbe Nordend erkrankte, sondern sogar eine Ansagerin des hessischen Rundfunks, die öfter im Nordend übernachtete. Die Arme erlitt eine Gesichtslähmung, die ihr nur noch Auftritte im Dritten Programm und nach 23 Uhr erlaubte. Der Fall wurde allgemein als tragisch angesehen, zumal sich ihr Gatte wegen der häufigen Übernachtungen im Nordend von ihr trennte.

Wenn Pfeifenberger erst einmal ein Gerücht einschleppte, dann hielt es sich gegen jedes vernünftige Argument wie eine Heuschreckenplage. So auch damals, als behauptet wurde, der bisexuelle Outcast Manderscheid lebe eine Zweitexistenz in einem Reihenhaus in Bad Vilbel mit Frau und drei erwachsenen Kindern. Die gerade aufkeimende, hochromantische Beziehung mit einem Feuerschlucker aus Preungesheim ging darüber in die Brüche.

Diesmal wurde gemunkelt, ein Immobilienfonds sei gegen die Wand gefahren worden. Nicht einmal die Bank, die den Fonds angeboten hatte, war bekannt. Aber jeder konnte betroffen sein.

Es handelte sich um einen geschlossenen Fonds. Angeblich eine todsichere Sache. Mehrere Immobilien in bester Lage. Geschäftsgebäude. Über Jahrzehnte an Banken vermietet. Nach dem Ablauf von fünfundzwanzig Jahren sollten die Anleger ihre Anteile zu 150 Prozent zurückbekommen. Bis dahin gab es einen garantierten Zinssatz von zuerst zweieinhalb, dann fünf, schließlich sogar sieben Prozent. Die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten waren aufgrund einer satten Verlustzuweisung optimal.

Die Luft brannte in der Stadt. Manche Banken entschlossen sich zu schriftlichen Erklärungen, in denen sie gleich lautend versicherten, nichts mit dem besagten Fonds zu tun zu haben. Doch wirklich beruhigen konnte das niemanden.

»Da ist man geradezu glücklich, über kein Vermögen zu verfügen, das man bei solchen Geschäften aufs Spiel setzen könnte«, sagte Germersheimer. Die anderen seufzten bloß. Jeder hoffte, nicht betroffen zu sein.

Pfeifenberger erklärte: »Ich finde, der Vorgang zeigt nur, dass der Markt durchaus auch pädagogische Momente hat: Er erzieht die Kleinanleger zur Demut. Der Kapitalismus ist keine Spielwiese. Nur ernsthafte und verantwortungsvolle Charaktere dürfen sich den Unbilden der Konjunktur aussetzen. Ich erinnere nur an die Ernüchterung, die an der Börse eingetreten ist …« Damit war jedem klar: Pfeifenberger gehörte nicht zu den unglücklichen Zeichnern des havarierten Fonds.

»Ich sehe das etwas anders«, vermerkte Schmalenbach ernst. »Die Bank hat den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen. Es wird welche geben, die haben ihr Leben lang gespart. Sie wollten keine großen Spekulationsgewinne, sie wollten bloß etwas Geld fürs Alter anlegen. Man kann diesen Menschen nicht sagen: Ihr seid naiv gewesen, euch den Kräften des Marktes auszusetzen. Unsere Gesellschaft muss die Anleger schützen.«

Jetzt wussten alle: Schmalenbach gehörte zu den Gelackmeierten.

Eigentlich war die Sache damit erledigt: Die Schadenfrohen hatten ein Opfer gefunden. Die anderen konnten jemanden bedauern und sich glücklich schätzen, zum fraglichen Zeitpunkt nicht flüssig genug gewesen zu sein, um auf die Versprechungen der Bank hereinzufallen.

Doch Pfeifenberger, der Mephisto aus dem Nordend, gab sich nicht zufrieden. »Ich habe aus einer verlässlichen Quelle erfahren, dass es sich nicht nur um kleine Leute handelt, die geschädigt wurden. Es wird kolportiert, es seien auch Prominente unter den Anlegern.«

»Und?«, fragte selbst der sonst eher stoische Germersheimer. »Kannst du Namen nennen?«

»Kann ich. Aber ich will das Vertrauen, das einige Banker in mich setzen, nicht enttäuschen. Diese Dinge sind äußerst prekär. Der betreffende Prominente ist doch erledigt. Eine Schlagzeile in der Bild-Zeitung. Eine indiskrete Bemerkung in einer Talkshow – und die Ansagerin kann nicht einmal mehr bei Butterfahrten auftreten.«

Nun war es raus. Die Stimmen überschlugen sich. Und Pfeifenberger wollte mal wieder nichts gesagt haben.

Schmalenbach hatte ein anderes Problem: Er fragte sich, wie er es Elke beibringen sollte.

Elke und Geldanlagen, das war nämlich ein besonderes Kapitel. Elke hatte – unter uns gesagt – nicht das Format für langfristige Strategien. Für Elke war sogar ein Sparbuch schon ein Vabanque-Spiel. In ihrer weitläufigen Familie hatte ein Onkel aus Koblenz mal für 500 DM Lose der Fernsehlotterie gekauft und nichts gewonnen. Dieser Verlust lastete seither auf der Sippe wie Inzucht.

Aus diesen Gründen tätigte Schmalenbach seine bescheidenen Geldgeschäfte hinter Elkes Rücken. Die verlorenen Fondseinlagen aber würde er nicht vor ihr verheimlichen können, hatte er das nötige Kapital doch von ihrem gemeinsamen Sparbuch abgehoben. Natürlich – da war Schmalenbach Ehrenmann – hatte er nur seinen Anteil verschleudert. Dennoch würde Elke bemerken, dass ein beträchtlicher Teil des Geldes fehlte. Gut, die Sache wäre über kurz oder lang auch herausgekommen, wenn der Fonds sich wie im Prospekt garantiert entwickelt hätte. Aber dann hätte Schmalenbach Elkes kleinbürgerlichen Tiraden elegant mit aus dem Zinsertrag finanzierten Preziosen begegnen können. Nun würde ihm dieser großartige Nebeneffekt versagt bleiben.

»Am besten ist, du besänftigst Elkes Wut, indem du ihr erzählst, dass die HR-Ansagerin mit von der Partie ist. Wie ich Elke kenne, wird deine Strafe dann etwas günstiger ausfallen«, riet Pfeifenberger in einem vertrauten Gespräch.

Also begann Schmalenbach noch am gleichen Abend seine häusliche Schadensbegrenzung: »Manchen Leuten spielt das Schicksal aber auch brutal mit. Erst die Gesichtslähmung, dann die Trennung, und nun hat die Arme sich auf einen Fonds eingelassen. Ich weiß, du hältst nichts davon …«

Elke schlug beide Hände entsetzt vors Gesicht. »Wahrscheinlich ihre letzten Reserven …«

Na also! Elke zeigte Mitleid mit der Leidensgenossin. Das war schon die halbe Miete.

»Gestern Abend noch hat sie das Hessenwetter angesagt«, seufzte sie. »Und sie machte so einen zuversichtlichen, lebensbejahenden Eindruck – trotz des Tiefdruckgebiets, das vom Golf von Biscaya zu uns herüberzieht. Wenn man ihr nur helfen könnte. Vielleicht gibt der HR ein Spendenkonto bekannt …«

Rührend, wie Elke sich in ein fremdes Schicksal einfühlen konnte. Sie war den Tränen nahe. »Vielleicht sollten wir ihr einfach eine kleine Summe anonym zukommen lassen. Man ist ja doch Mensch«, überlegte sie.

Nun war der Moment da, wo Schmalenbach die harten Fakten auf den Tisch legen musste. »Apropos: unser gemeinsames Sparbuch …«

Elke fiel ihm ins Wort. »Das Sparbuch, das wollte ich dir sowieso sagen. Die Zeiten sind so unsicher. Ich hab’s in ein Bankschließfach getan. Zur Sicherheit …«

Die Gute! Wenn sie wüsste, wo die eigentlichen Gefahren liegen, die so ein gemeines Sparbuch bedrohen, dachte Schmalenbach. Die schlimmsten Verbrechen geschehen innerhalb der Familien, sagte die Kriminalstatistik, das Unheil kommt selten von außen.

»Der Schlüssel zum Schließfach ist verloren gegangen«, stieß Elke hervor.

Schmalenbach brauchte eine Weile, bis er die Konsequenzen der neuen Lage überschauen konnte. Wenn sie nicht an das Sparbuch rankamen, sah Elke auch nicht, dass Geld fehlte. Dann musste er auch nicht jetzt schon gestehen, dass er in einen falschen Fonds investiert hatte. Also widmete Schmalenbach sich wieder seiner Lektüre.

»Was die Ansagerin angeht …«, begann Elke wieder.

»Ich konnte die Schnepfe noch nie leiden. Die spekuliert doch bloß auf eine Frührente.«

»Bist du da nicht etwas hart, Schmalenbach? Wir Frauen sind nicht so vordergründig.«

»Trotzdem, was macht die dumme Pute auch Geldgeschäfte, von denen sie nichts versteht? Geschieht ihr doch recht, dass sie auf die Nase fällt.«

Jetzt wurde Elke richtig wütend. »Typisch Kerl. Eine Frau darf schön sein, aber sie darf nicht auch noch Köpfchen haben.«

»Von schön war keine Rede. Diese Ansagerinnen haben doch alle Durchschnittsgesichter.«

»Auf jeden Fall hat sie ihr Leben gelebt. Und dass sie sich mit einem Fonds vergriffen hat, mein Gott, wem passiert das nicht mal im Leben? Sogar mir ist es schon passiert.«

Schmalenbach ließ sein Buch sinken. »Wie bitte?«

Elke war verlegen. »Ja, ich habe in einen todsicheren Fonds eingezahlt. Bankgebäude. In einer super Gegend.«

Ein tiefer Seufzer. »Was konnte da schon passieren?«

»Doch nicht etwas in den Fonds, von dem jetzt alle reden?«

Elke wurde kleinlaut. »Doch. Deshalb habe ich auch das Sparbuch vor dir verschlossen.«

»Wie oft habe ich dir schon gepredigt: Das Bankwesen erfordert besondere Umsicht!«

»Ich wollte es eben auch mal versuchen. Mein bisschen Geld vermehren.«

Nun hatte Schmalenbach Mitleid mit dem armen Ding. »Versprichst du mir, es nie wieder zu tun – es sei denn, du holst dir vorher Rat bei mir?«

Sie kuschelte sich an ihn. »Schön, dass bei dir doch immer die menschliche Seite durchkommt.« Dann machte sie sich los. »Was hast du eigentlich mit deinem Anteil des Geldes gemacht, das wir auf dem Sparbuch angelegt hatten? Als ich – du weißt schon – das Geld für den blöden Fonds abgehoben habe, war dein Anteil schon weg.«

Er tat zerknirscht. »Ich wollte es dir erst an Weihnachten sagen. Ich habe ihn angelegt.«

»Angelegt?«

»Todsicher. Eine Schiffsbeteiligung. Containerschiff MS Fidelitas. Sie zahlen zehn Prozent Zinsen. Eine immense Steuerersparnis. Unterm Strich springt für dich ein Pelzmantel heraus.«

»Schmalenbach!«, schrie Elke auf und umarmte ihn.

»Das tust du? Von deinen Zinsen? Obwohl ich so leichtsinnig bin?«

Schmalenbach brummte. »Ich bin eben sentimental wie ein alter Hofhund.«

Der Abend endete im Bett. Elke war sehr anhänglich. Als alles vorbei war, hauchte sie: »Weißt du was, mit der Ansagerin hattest du Recht. Sie ist eine dumme Pute.«

Doch Schmalenbach war mit seinen Gedanken woanders. Er überlegte gerade, in welcher Meerenge er die MS Fidelitas havarieren lassen sollte. Am besten, man ließ die Container verrutschen. Dafür konnte niemand was. Schmalenbach war für einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz: Die tibetanische Besatzung würde er natürlich retten lassen. Durch das deutsche Forschungsschiff »Meteor«, für das er schon als Junge geschwärmt hatte. Bis auf den Schiffshund. Ein bisschen Tragik musste sein. Elke musste nach dem Unglück leider auf den Pelz verzichten. Als Trost würde er sie zum Essen einladen. Zu ihrem Lieblingsitaliener. Oder ins »Promi« – falls bei dem verunglückten Fonds überhaupt nichts mehr herauskam.