8. Kapitel

Die Handwerker hatten Wort gehalten. Das Gästebad war fertig. Gestern hatte die Putzfrau den ganzen Tag damit zugebracht, die gesamte Villa von den Spuren der umfangreichen Umbauarbeiten zu reinigen. Jetzt erstrahlte alles in neuen, sauberen Glanz und wunderbare Ruhe erfüllte die Räume.

Wunderbare Ruhe? Wilma hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da ertönte draußen ein markerschütternder Schrei. Wie von der Tarantel gestochen Schoss sie von ihrem Stuhl hoch und stürzte ans Fenster.

Drüben im Nachbargarten stand der kleine Roger und klammerte sich am Treppengeländer fest, während sein Vater unnachgiebig an ihm herumzerrte.

Der Kleine schien sich vor irgendetwas panisch zu fürchten. Obwohl ihn Wilma von ihrem Platz am Fenster nur undeutlich erkennen konnte, spürte sie förmlich die Not des Kindes. Entschlossen verließ sie das Esszimmer und lief in ihren Garten hinaus, um nachzusehen, was sich auf dem Nachbargrundstück abspielte und notfalls einzugreifen.

Sie brauchte keine langen Vermutungen anzustellen. Als sie auf die Terrasse hinaustrat, erkannte sie sofort, was sich abspielte.

Droste hatte am Zaun, zwischen den Sommerastern gegraben. Jetzt stand sie mit hängender Zunge da und sah zu dem Jungen hinüber, der sich immer noch am Treppengeländer festhielt.

"Du wirst jetzt mitkommen!" hörte Wilma die strenge Stimme des Vaters. "Deine alberne Angst vor Hunden gewöhne ich dir jetzt ein und für alle mal ab!"

"Nein, nein, nein!" Roger war hysterisch vor Angst. Sein kleines Gesichtchen war knallrot angelaufen, ja, die Haare standen ihm buchstäblich zu Berge, während er sich mit allen Kräften gegen das Ansinnen seines Vaters zur Wehr setzte.

Wilma stieß einen Pfiff aus, auf den Droste umgehend kehrt machte und zu ihr gerannt kam. Schwanzwedelnd blieb sie vor Wilma stehen und sah sie erwartungsvoll an.

"Lassen Sie den Hund hier!"

Es dauerte einen Moment, ehe Wilma begriff, dass der Nachbar mit ihr sprach. Was heißt "sprach"! Er erteilte ihr einen Befehl!

Da war dieser Mensch aber an die verkehrte Adresse geraten. Wütend fuhr Wilma herum und Schoss einen giftigen Blick über den Zaun.

"Wie belieben?" Der süße Klang ihrer Stimme täuschte über ihre wahre Gemütsverfassung hinweg.

Der Nachbar richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Mit gestrafften Schultern kam er näher und blieb schließlich am Zaun stehen.

"Ich sagte, dass Sie Ihren Hund ruhig im Garten lassen sollen", wiederholte er, doch es klang jetzt etwas verbindlicher. "Mein Sohn hat eine derart alberne Angst vor beinahe allen Tieren entwickelt, dass es höchste Zeit wird, sie ihm abzugewöhnen."

"Und dazu soll ausgerechnet mein Hund dienen?"

Wilma zog die Brauen zusammen. Auch sie hatte sich dem Zaun genähert. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass ihr Nachbar im Grunde ein gutaussehender Mann war. Wenn er bloß nicht so grimmig dreinblicken würde!

"Ich finde die Idee nicht gut", wies sie das Ansinnen ab. "Erstens wird sich die Angst Ihres Sohnes nur noch verstärken, wenn Sie ihn zwingen, sich mit Droste anzufreunden und zweitens finde ich es reichlich unverantwortlich, das Kind einfach auf meinen Hund loszuscheuchen. Sie kennen Droste doch gar nicht. Sind Sie sicher, dass sie nicht beißt?"

Ihre Worte schienen den Nachbarn nicht sonderlich zu beeindrucken.

"Ich habe früher selber jahrelang Schäferhunde gehalten", erwiderte er unfreundlich. "Glauben Sie mir, ich erkenne genau, welche Tiere aggressiv sind und welche nicht. Ihr Hund ist lammfromm. Der lässt wahrscheinlich jeden Einbrecher ins Haus, solange dieser nur freundlich lächelt."

Mit dieser Bemerkung brachte er Wilma in einen Zwiespalt. Zum einen ärgerte es sie, dass dieser Mann recht hatte. Zum anderen hätte sie ihm gerne widersprochen, doch sie wollte Drostes wirklich gutmütigen Charakter nicht ableugnen.

"Trotzdem finde ich es nicht richtig, Ihren Sohn so zu behandeln", wich sie schließlich aus. "Es gibt sicherlich einen Grund für seine Phobie. Sie sollten versuchen, diese auf andere Weise zu lösen."

"Wunderbar!" Simon Hartmann verzog ärgerlich die Mundwinkel. "Noch eine von diesen Hobby-Psychologinnen und Freizeitpädagoginnen, die zwar keine Ahnung haben, aber meinen, genau Bescheid zu wissen." Er schoss Wilma einen scharfen, glitzernden Blick zu. "Sie können mitreden, wenn Sie eigene Kinder haben. Solange dies nicht der Fall ist, halten Sie am besten den Mund." Damit machte er kehrt und ließ Wilma einfach stehen.

Zitternd vor Wut sah sie ihm hinterher. Bevor sie sich richtig über ihr Tun im klaren war, hatte sie bereits die Worte ausgesprochen.

"Arroganter Besserwisser!"

Simon Hartmann blieb wie angenagelt stehen.

"Wie nannten Sie mich eben?" fragte er, den Kopf über die Schulter gewandt.

Wilma Biss sich auf die Lippen. Es war bestimmt pädagogisch nicht sinnvoll, sich vor dem Jungen zu streiten. Also beschloss sie, der Szene ein Ende zu machen.

"Vergessen Sie's", knurrte sie ärgerlich, drehte sich um und ging davon, bevor Simon noch etwas sagen konnte. Droste folgte ihr mit hängendem Kopf.