Vom Adler Schnabel, Kralle und Flügel.

Motto des Adlers (aquila)

 

 

1

 

Sonntag, 15. Juli, einen Monat und einen Tag vor dem Palio

 

Am nächsten Morgen stand Maria in dem kleinen Badezimmer, das unmittelbar an ihr Schlafzimmer angrenzte, und kämmte sich die Haare.

»Hundert Bürstenstriche am Tag lassen dein Haar glänzen.« Das hatte ihre nonna Giuletta immer zu ihr gesagt, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Und wer wollte das nicht? Glänzendes Haar … Ob es nun an den hundert Bürstenstrichen pro Tag lag oder an etwas anderem, Marias schwarzes langes Haar glänzte jedenfalls wie frisch poliertes Ebenholz. Sie hielt ihr Gesicht nah an den Spiegel und betrachtete es eingehend. Eigentlich war sie mit dem, was sie sah, ganz zufrieden. Sie hatte eine reine Haut, große, braune, mandelförmige Augen mit langen, schwarzen Wimpern, einen vollen Mund mit schön geschwungenen roten Lippen und ausgeprägte Wangenknochen. Alles so, wie es sein sollte – wenn da nicht diese Nase gewesen wäre! Sie war nicht wirklich groß (gut, klein war sie auch nicht gerade), aber sie setzte zu weit oben an und war viel zu markant für ihr Gesicht. Maria fand, sie wirke dadurch streng und unweiblich. Natürlich wollte sie auch keine Stupsnase, die in den Himmel aufragte, aber ein kleines bisschen zierlicher hätte ihre Nase schon sein dürfen. Irgendwie passte sie nicht zum Rest. Doch Angelo sagte immer, er liebe ihre Nase, sie stünde ihr ganz hervorragend, denn sie wirke damit so »aristokratisch«.

Angelo sagte oft witzige Dinge. Zumindest fand Maria sie witzig. Auf jeden Fall brachte er sie mit seinen Bemerkungen häufig zum Lachen. Auch jetzt musste sie bei dem Gedanken an den gestrigen Abend unwillkürlich lächeln.

Angelo war so anders, als sie zuerst gedacht hatte. Wenn man ihn nicht kannte, wirkte er cool, unnahbar, fast schon ein wenig arrogant. Obwohl er jedem mit Freundlichkeit begegnete. Aber es war manchmal eine herablassende Freundlichkeit, die keinen Zweifel daran ließ, dass der »fliegende Engel« (Maria fand diesen Spitznamen ziemlich affig, doch Angelo gefiel er) unantastbar war. Manche nannten ihn auch »den unbestechlichen Drachen«, weil er – entgegen der Mehrzahl seiner Jockey-Kollegen – den Ruf hatte, dass man sich auf sein Wort verlassen konnte. Und dabei war er so sanft, zärtlich, warmherzig und in seiner Sehnsucht nach tiefer, aufrichtiger Liebe wirkte er fast schon ein wenig unsicher.

Maria dachte an den Tag zurück, als sie Angelo zum ersten Mal begegnet war. Ihr Vater hatte sie miteinander bekannt gemacht, während Angelo in der Eingangshalle des Palazzo Morelli wartete, um seine damalige Freundin Antonia von ihrer Arbeitsstelle abzuholen. Bei dem Gedanken daran, dass Angelo vor ihr mit der Haushälterin zusammen gewesen war, durchfuhr Maria immer noch ein kalter Schauer. Andererseits war das jetzt schon so lange her, dass es wohl kaum noch eine Rolle spielte. Immerhin waren Angelo und sie schon seit fast anderthalb Jahren ein Paar und seit drei Monaten sogar verlobt! Und Antonia hatte sich längst mit einem anderen Mann getröstet.

Am Anfang hatte Maria befürchtet, Antonia würde kündigen. Das hätte ihr Vater sicher nicht gutgeheißen, der der neuen Liebesbeziehung seiner Tochter ohnehin mit gemischten Gefühlen gegenüberstand. Aber Antonia hatte nicht gekündigt. Sie war jeden Tag pünktlich zur Arbeit erschienen und hatte sich, falls sie gekränkt gewesen war, zumindest nichts anmerken lassen.

Signore Morelli war hoch erstaunt gewesen, als er dem bekannten Jockey so unerwartet in seinem eigenen Haus begegnete. Angelo war in seiner Heimatstadt Siena eine kleine Berühmtheit, nicht zuletzt deswegen, weil er im letzten Jahr den Palio gewonnen hatte. Und als capitano, der für sein Stadtviertel, den Adler, alle Fäden der Organisation des weltberühmten Pferderennens in den Händen hielt – angefangen von der Geldbeschaffung bis hin zur Auswahl des Jockeys –, kannte Signore Morelli natürlich auch fast jeden Berufsreiter. Er stellte Maria und Angelo einander vor, die sich bis dahin nie persönlich begegnet waren. Doch das sollte sich kurz darauf ändern. Denn nicht nur Marias Herz hatte schneller geschlagen, als sie Angelo die Hand reichte, auch das Herz des jungen Mannes war bei dieser ersten zaghaften Berührung ordentlich aus dem Takt geraten.

Maria hatte sich einige Zeit von Angelo umwerben lassen. Sie kannte den Ruf des »fliegenden Engels«, der nicht nur auf dem Rücken eines Pferdes über die Erde dahinschwebte, sondern dem man auch nachsagte, dass er von einem Frauenherz zum nächsten flog.

Aber schließlich hatte sie seinem Werben nachgegeben und sich mit ihm verabredet. Und danach war alles ganz selbstverständlich geworden und Angelo hatte mit seiner aufrichtigen Art ihr Herz im Sturm erobert. »›Die oder keine‹, habe ich gedacht, als ich dich sah«, verriet er ihr an ihrem ersten gemeinsamen Abend. Sein Verhältnis mit Antonia hatte er zu diesem Zeitpunkt längst beendet.

Maria hatte schnell gespürt, dass er meinte, was er sagte. Angelo sehnte sich ebenso nach wahrer Liebe wie sie. Vielleicht war er deswegen früher so unstet gewesen, weil er der richtigen Frau noch nicht begegnet war. In Maria hatte er sie endlich gefunden, und Maria hatte nie einen Grund gehabt, daran zu zweifeln, dass seine Liebe zu ihr aufrichtig und tief war.

Jetzt erinnerte sie sich daran, wie Angelo und sie sich am gestrigen Abend erschreckt hatten, als plötzlich das Fenster hinter ihnen aufschwang, während sie ihm die traurige Geschichte ihrer Vorfahrin Eva Maria Morelli erzählte. Jemand musste das alte Fenster nachlässig geschlossen haben, sodass ein leichter Windstoß reichte, um es aufzustoßen. Und sie erinnerte sich daran, dass Angelo gesagt hatte, ihre beiden Geschichten würden sich ähneln. Wie recht er doch hatte. Das war ihr bis jetzt gar nicht aufgefallen!

»Aber das Ende wird bei unserer Geschichte ein anderes sein«, sagte sie lächelnd zu ihrem Spiegelbild und legte die Bürste auf die Ablage. Immerhin waren seit damals weit mehr als hundert Jahre vergangen und vieles, wenn auch nicht alles, hatte sich geändert.

Maria wollte gerade nach ihrem Push-up-BH greifen, der über dem Handtuchhalter bereitlag, als die Tür mit Schwung aufgestoßen wurde. Erschrocken wirbelte sie herum – und blickte in Antonias Gesicht, die einen Putzlappen in der Hand hielt und nicht weniger erschrocken aussah als Maria.

»Oh … mi scusi … Signorina Morelli«, stotterte Antonia, sichtlich verlegen. Dabei flackerte ihr Blick unstet zwischen Marias Gesicht und ihren nackten Brüsten hin und her.

Maria versuchte, Haltung zu bewahren und ihre Blöße mit den Armen zu verstecken, während ihr gleichzeitig peinlich bewusst wurde, dass Antonia Angelos Ex-Freundin war und vielleicht ein besonderes Interesse daran hatte, ihre Figur zu begutachten. Gleich fühlte sie sich noch unwohler, zumal sie nur davon träumen konnte (was sie auch oft genug tat), so wundervoll geformte Brüste wie Antonia zu besitzen, die sich unter ihrer eng sitzenden Bluse deutlich abzeichneten.

Um so lieber hätte sie das Hausmädchen jetzt gern so richtig angefahren, was ihr einfiele, an einem Sonntagmorgen einfach so in ihr Badezimmer zu platzen. Sonntags bestand ihre Aufgabe ausschließlich darin, das Mittagessen für Signore Morelli zuzubereiten. Hier oben hatte sie also nichts zu suchen!

Doch dann wurde Maria bewusst, dass sie die Badezimmertür auch einfach hätte abschließen können. Außerdem fiel es ihr nach wie vor schwer, Antonia für irgendetwas zur Rechenschaft zu ziehen, seit sie ihr den Freund ausgespannt hatte.

Früher hatte sie sich oft mit Antonia angelegt, die die Unart besaß, sämtliche Unterlagen auf ihrem Schreibtisch durcheinanderzubringen, indem sie sie zu völlig unübersichtlichen Stapeln »ordnete«. Da lagen dann plötzlich persönliche Briefe zwischen Schulunterlagen und Quittungen zwischen alten Zeitschriftenseiten. Einmal hatte Maria deswegen sogar eine Schularbeit abgegeben, in der ein sehr persönlicher Brief von ihrer Freundin Claudia an sie gesteckt hatte, und ihr Lehrer hatte ihr den Brief mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen zurückgegeben. Manchmal hatte Maria sogar das Gefühl, Antonia wolle sie damit absichtlich ärgern. Oder sie schnüffele heimlich in ihren Papieren. Jedenfalls hatte sie Antonia noch nie besonders gut leiden können und ihrer Ehrlichkeit immer misstraut. Auch wenn sie dafür keinerlei Beweise hatte.

Mittlerweile hatte sie es sich jedoch vollkommen abgewöhnt, etwas zu sagen. Zu dankbar war sie dafür, dass Antonia nicht gekündigt hatte und ihr und Angelo augenscheinlich nichts nachtrug. Wäre es anders gewesen, hätte sie ihrem Vater gegenüber Rechenschaft ablegen müssen, der nicht wusste, dass Angelo vorher mit Antonia zusammen gewesen war.

»Es tut mir wirklich leid, Signorina«, entschuldigte sich Antonia jetzt ein zweites Mal. »Ich habe es am Freitag nicht mehr geschafft, Ihr Bad zu putzen, da dachte ich …«

Maria zwang sich zu einem Lächeln. »Schon gut, Antonia, ich bin gleich fertig. Wenn Sie mir bitte noch zehn Minuten Zeit geben?«

»Selbstverständlich!« Antonia machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen, und Maria ließ bereits die Arme vor ihrer Brust sinken, als sie die Haushälterin sagen hörte: »Ach, übrigens ist Ihr Cousin bereits eingetroffen. Er leistet Ihrem Vater in der Küche beim Frühstück Gesellschaft.«

»Alessandro ist schon da?«, fragte Maria erstaunt und vergaß vor Überraschung ganz, ihre Blöße wieder zu bedecken.

Antonia grinste als Antwort, so als verstünde sie Marias Überraschung, und schloss endlich die Tür von außen.

Maria wunderte sich. Ihr Cousin Alessandro war ihr bislang nicht gerade als Frühaufsteher bekannt. Und jetzt war es gerade einmal neun Uhr morgens. Vermutlich hatte er die Nacht mit seinen Kumpels durchgemacht und war direkt im Anschluss hierhergekommen, um sich ein bisschen mit seinem Onkel zu zanken.

Maria mochte Alessandro eigentlich sehr gern, obwohl er in ihren Augen ein ziemlicher Chaot war, der sein Leben nicht auf die Reihe bekam. Aber sie beide verbanden eine ganze Menge Kindheitserinnerungen – auch an Marias Mutter, Alessandros Tante, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, als Maria gerade acht Jahre alt gewesen war.

Die auf dieses Unglück folgende Zeit hatte Maria nicht gerade in guter Erinnerung: Marias Vater versank nach dem Tod seiner über alles geliebten Frau monatelang in Schweigen und überließ seine kleine Tochter meistens sich selbst. Doch natürlich war auch für Maria die Mutter der Mittelpunkt ihrer Welt gewesen und ihr Verlust warf sie vollkommen aus der Bahn. Erst als die Lehrerin Signore Morelli mehrmals darauf aufmerksam machte, dass Maria – wenn überhaupt – zu spät in die Schule kam, nur schweigend im Klassenzimmer saß, mit ungekämmten Haaren, schmutzigen Kleidern und Tränen in den Augen, erwachte ihr Vater wie aus einem bösen Traum. Er engagierte Giuletta, die sich Maria mit all ihrer Liebe annahm und sich außerdem darum kümmerte, dass das Mädchen endlich wieder etwas Anständiges zu essen bekam und frisch gewaschen und vor allem regelmäßig zum Unterricht erschien. Das mit den Tränen erledigte sich dann – wenn auch erst nach einigen weiteren Monaten – von selbst.

Noch heute hing Maria mit kindlicher Liebe an Giuletta wie an einer leiblichen Großmutter, auch wenn die Haushälterin mittlerweile ihren wohlverdienten Ruhestand genoss, seit Antonia sie vor zwei Jahren abgelöst hatte.

Jetzt band Maria ihr widerspenstiges Haar mit einem Gummi zu einem lockeren Knoten zusammen und verließ anschließend eilig das Badezimmer. Die Tür ließ sie offen stehen, damit Antonia wusste, dass sie fertig war.

Als Maria die geräumige Küche betrat, saß ihr Vater an dem alten Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand, und hatte einen Teller vor sich, während Alessandro mit einem doppelten Espresso in der Hand lässig an der Arbeitstheke lehnte.

Sie spürte sofort die gereizte Stimmung. Offensichtlich hatten die zwei Männer wie üblich ohne Verzögerung ein Thema gefunden, über das sie sich streiten konnten.

»Ciao, Cousinchen«, sagte Alessandro, als Maria ihn zur Begrüßung dreimal auf die Wangen küsste. Erst links, dann rechts, dann wieder links. Er war unrasiert und roch ein wenig nach Alkohol und Zigaretten. Also hatte sie recht mit ihrer Vermutung, dass ihr Cousin den Samstagabend mit seinen Freunden verbracht und sich nach einer durchzechten Nacht direkt auf den Weg zu seinem Onkel gemacht hatte.

»Du siehst wie immer bezaubernd aus«, stellte Alessandro fest, während Maria sich beeilte, auch ihrem Vater einen Guten-Morgen-Kuss zu geben.

»Und du siehst aus, als hättest du seit mindestens vierundzwanzig Stunden kein Bett mehr gesehen«, antwortete Maria.

»Das könnte ungefähr hinkommen«, bestätigte Alessandro und gähnte ausgiebig.

Signore Morelli grunzte missbilligend.

»Und was treibt dich so früh zu uns?«

»Wir bereiten eine geile Aktion gegen den Palio vor«, erklärte Alessandro und war sich der provozierenden Wirkung seiner Worte im Haus des capitano durchaus bewusst.

Offiziell war er als Student der Naturwissenschaften in Siena immatrikuliert und das schon seit vier Jahren. Allerdings glaubte Maria, dass ihr Cousin in dieser Zeit noch nicht eine einzige Prüfung abgelegt hatte. Vermutlich wusste er nicht einmal, wie das Universitätsgebäude von innen aussah. Dafür kannte er sich bestens in Sienas Nachtleben aus und war außerdem eifrig damit beschäftigt, Hühner aus Legebatterien zu befreien, gegen die Jagd und den Verzehr von Singvögeln zu demonstrieren und sich für den Kampf gegen die sogenannten Hundeheime einzusetzen, in denen es den Tieren oft schlechter ging, als wenn man sie auf der Straße gelassen hätte, und die nur der Profitgier der Betreiber nutzten.

Einerseits bewunderte Maria Alessandro, weil er sich so für den Tierschutz engagierte. Andererseits hatte sie manchmal das Gefühl, dass es ihm neben seiner Tierliebe vor allem um die Action ging, die sein Protest mit sich brachte. Und außerdem fand sie, dass er manchmal etwas übertrieb. Zum Beispiel, was den Palio anging. Sie konnte beim besten Willen nicht verstehen, was an diesem Rennen so schlimm sein sollte. Misstrauisch fragte sie deshalb, während sie sich ebenfalls aus der silbernen Kanne auf dem Herd Espresso in eine Tasse füllte und diese mit viel Milch auffüllte: »Was denn für eine Aktion?«

»Das hast du doch gehört«, brummte ihr Vater. »Eine Aktion gegen den Palio! Was spielt es da noch für eine Rolle, wie diese Aktion aussehen soll?«

Maria und Alessandro sahen sich hinter Signore Morellis Rücken schweigend an. Sie zog die Augenbrauen hoch und er verzog die Lippen zu einem Grinsen.

Erst im letzten Jahr, so erinnerte sich Maria, hatte Alessandro mit seiner Tierschutzorganisation eine Demonstration gegen den Palio auf die Beine gestellt. Und dafür handfeste Prügel von den Palio-Befürwortern kassiert.

»Der Palio ist nichts weiter als ein überaltertes Relikt, das endlich abgeschafft gehört«, behauptete Alessandro jetzt. Das Grinsen auf seinen Lippen war verschwunden.

Signore Morelli verschluckte sich fast an seinem Kaffee. »Der Palio ist Tradition!«, widersprach er. »Und ein waschechter Sienese wie du sollte das begreifen!«

»Eine Tradition, bei der seit 1970 fast fünfzig Pferde ums Leben gekommen sind!«, ereiferte sich Alessandro.

»Seitdem hat sich vieles getan«, behauptete Signore Morelli. »Die Schutzvorkehrungen während des Rennens werden laufend erhöht und verbessert. Und wenn sich tatsächlich mal ein Pferd verletzt, dann kommt es anschließend auf den Gnadenhof und darf dort ein gutes Leben führen.«

»›Wenn sich mal ein Pferd verletzt‹?« Alessandro schnaubte. »Es verletzen sich andauernd Pferde! Und ja, es hat sich viel getan, weil Leute wie ich dafür sorgen, dass sich etwas tut.« Seine Stimme wurde jetzt schneidend. »Aber es hat sich noch nicht genug getan, solange auch nur ein einziges Pferd bei diesem völlig schwachsinnigen Rennen gefährdet ist!«

Signore Morelli machte eine wegwerfende Handbewegung und fluchte leise vor sich hin. »… stronzo … faccia di culo«, konnte Maria aus dem wütenden Genuschel ihres Vaters heraushören. Scheißkerl. Arschgesicht.

»Für die Jockeys ist es doch genauso gefährlich wie für die Pferde … warum regst du dich darüber denn nicht auf?«, wollte Maria wissen und dachte dabei an Angelo.

»Weil die Jockeys ihre eigene Entscheidung treffen. Ihnen winken Geld und Ruhm, also nehmen sie das Risiko bewusst in Kauf. Aber was winkt den Pferden?« Alessandro machte eine kunstvolle Pause, bevor er seine Frage selbst beantwortete: »Nichts. Sie werden nicht gefragt, ob sie den Palio laufen wollen oder nicht. Sie müssen.«

Maria schwieg. Sie war sich nicht sicher, ob Alessandro recht hatte. Zwar musste sie zugeben, dass auch ihr die Pferde leidtaten, die sich verletzten, was tatsächlich relativ häufig vorkam. Dennoch liebte sie den Palio, das Rennen, die Aufregung, die Vorbereitungen in der contrada, wenn alle zusammenarbeiteten und jeder sein Bestes gab. Nicht zuletzt ihr Vater, der capitano. Und schließlich fand dieses Rennen seit bald tausend Jahren statt! Es war eine fest mit Siena verbundene Tradition, nirgendwo in Italien gab es etwas auch nur annähernd Vergleichbares. Touristen aus aller Welt kamen nach Siena, um an diesem einzigartigen kulturellen Ereignis teilzuhaben. Auch wenn man vielleicht noch ein bisschen mehr zum Schutz der Pferde tun konnte. Was das anging, musste sie Alessandro zustimmen. Trotzdem konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, ganz und gar auf dieses Fest zu verzichten.

Maria war immer noch in Gedanken versunken, als ihr Vater abrupt aufstand.

»Ich muss los«, sagte er. »Ich habe noch einiges zu erledigen.«

»Für den Palio?«, wollte Alessandro wissen und um seinen Mund spielte ein spöttisches Lächeln.

»Sicher für den Palio. Ich bin der capitano. Hast du das vergessen? Morgen findet die Auslosung der letzten drei teilnehmenden contradas statt, und davor gibt es noch etliches zu tun.«

»Du meinst, Bestechungsgelder zahlen?«

Signore Morelli hob drohend den Arm. »Pass auf, was du sagst«, ermahnte er seinen Neffen.

Der dunkle Geist des Palio
titlepage.xhtml
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_000.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_001.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_002.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_003.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_004.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_005.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_006.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_007.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_008.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_009.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_010.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_011.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_012.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_013.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_014.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_015.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_016.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_017.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_018.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_019.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_020.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_021.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_022.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_023.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_024.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_025.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_026.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_027.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_028.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_029.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_030.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_031.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_032.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_033.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_034.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_035.html
CR!AVNCZ4NV353VQ03FHCBHC2DWEYZ3_split_036.html