Unter meinem Stoß stürzt die Mauer zusammen.
Motto des Widders (valdimontone)
17
Donnerstag, 16. August, der Tag des Palio
Es war, als befände sie sich zugleich innerhalb und außerhalb des Körpers. Sie konnte alles sehen und zugleich fühlte es sich so an, als würde sie es am eigenen Leib erfahren.
War es so, wenn man starb? Glitt die Seele aus dem Körper hinaus und verharrte eine Weile zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten?
Sie sah den Baum, an dem der Strick hing. Jetzt hatte er noch Blätter. Der Strick wiederum schien aus einem einfachen weißen Laken gefertigt, das in schmale Bahnen geschnitten und dann zur besseren Stabilität geflochten worden war. Wobei Maria nüchtern feststellte, dass der zierliche Körper, der an dem Strick hing, diesen Aufwand nicht rechtfertigte.
Der leblose Leib war in ein langes, weißes Kleid aus kostbarer zarter Seide gehüllt. Der Rock fiel in voluminösen Stufen und der Ausschnitt, die Ärmelränder und die Schärpe um die schlanke Taille waren mit Spitze gesäumt. Einen Augenblick lang wunderte sich Maria. Dann erkannte sie, dass es sich bei dem Gewand um ein Hochzeitskleid handeln musste, wie es um 1880 modern gewesen war.
Der Körper hing völlig regungslos. Nicht einmal ein leichter Windhauch rüttelte an ihm. Maria spürte bei seinem Anblick eine unfassbare Wehmut in sich aufsteigen. Ein verschenktes Leben. Achtlos weggeworfen. Ein ebenmäßiges Gesicht mit tiefbraunen Augen, die einmal hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt hatten. Eine Zukunft, die es nicht mehr geben würde.
Maria vergaß Raum und Zeit beim Betrachten dieses Gesichts, das fast noch kindlich wirkte. Mit weichen Zügen, die im Laufe des Lebens härter geworden wären.
Nur, dass es kein Leben mehr gab.
Und während Maria ganz und gar im Anblick dieses Antlitz’ versunken war, veränderten sich die Gesichtszüge plötzlich. Die zierliche, fast schon ein wenig stupsige Nase wurde gerader und weniger feminin. Die haselnussbraunen Haare wurden dunkler, bis sie so schwarz wie Ebenholz waren. Die ursprünglich runden Augen schienen sich zu weiten, wurden größer und mandelförmig. Der Mund mit den schmalen Lippen wurde voller, die Wangenknochen traten stärker hervor.
Die Erkenntnis traf Maria wie ein Schlag: Sie schaute in ihr eigenes Gesicht.
Mit einem entsetzten Aufschrei erwachte sie. Ihr Nachthemd – ein altes T-Shirt von Angelo – klebte schweißnass an ihrem Körper. Ihr Herz raste, während sie die Bettdecke zurückschlug und sich hastig aufrichtete.
Erleichtert blickte sie sich um. Es war alles so, wie es sein sollte. Der Schreibtisch am Fenster, die Kommode an der Wand mit den Fotos, die darüber hingen – Angelo und sie Arm in Arm, lächelnd einander zugewandt. Der Sessel vor dem Bücherregal, auf dem noch aufgeschlagen das Buch lag, in dem sie gestern Abend vor dem Zubettgehen gelesen hatte. Der helle, hochflorige Teppich auf dem Holzboden. Die Gardinen vor dem Fenster, aus dem man in den Garten blicken konnte.
Maria schüttelte sich, als könne sie dadurch die letzen Reste des Albtraums loswerden. Doch die Bilder der toten Eva Maria, deren Gesicht sich schließlich in ihr eigenes verwandelt hatte, ließen sich nicht so einfach abschütteln.
Als Maria wenig später durch die noch leeren Gassen schlenderte, hatte sie das Bild der toten jungen Frau immer noch vor Augen. Und auch in ihrer Erinnerung veränderte sich das Gesicht wie bei einer Holografie immer wieder: Mal war es Eva Maria, in deren leblose Augen sie sah, mal waren es ihre eigenen.
Auch die langen Tischreihen, die gestern noch so voller Leben gesteckt hatten, waren jetzt leer und wirkten wie Requisiten einer Geisterstadt. Hier und da standen noch einige leere Flaschen auf den Tischen, die von ihren Besitzern in den frühen Morgenstunden zurückgelassen worden waren. Das meiste jedoch war von fleißigen Helfern aufgeräumt worden und bis zum Abend, an dem das nächste Festbankett stattfinden sollte, würden auch die letzten Reste der gestrigen Feier verschwunden sein. Ob es jedoch heute eine Siegesfeier oder eine Trauerveranstaltung werden würde, stand noch nicht fest. Das lag nun allein in der Hand von Fernando, Fabioncello und Fortuna, der Glücksgöttin.
Maria war auf dem Weg zur Piazza del Campo, wo in einer kleinen Kapelle neben dem Palazzo Pubblico um acht Uhr eine Messe für die Reiter stattfinden würde, bevor sich die fantini zum letzten Mal vor dem eigentlichen Rennen einen Probelauf lieferten.
Dieser allerletzte Probelauf fand im Allgemeinen wenig Beachtung. Keiner der Jockeys nahm so kurz vor dem Palio noch das Risiko einer Verletzung in Kauf und aus diesem Grund verlief das Rennen in der Regel recht unspektakulär. Auch Maria hätte sich normalerweise dafür nicht ins Zentrum der Stadt begeben, doch hoffte sie, Angelo zu sehen und vielleicht ein Wort mit ihm wechseln zu können.
Die Unruhe nagte seit ihrem Streit an ihr. Sie hatte die Stunden gezählt, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte: Es waren vierunddreißig! Und diese letzte Begegnung war so unglücklich verlaufen, dass Maria sich am liebsten gar nicht mehr daran erinnert hätte. Die Vorstellung, Angelo würde den Palio bestreiten, ohne sich vorher mit ihr ausgesöhnt zu haben, war für Maria schier unerträglich. Wie sollte sie jemals damit weiterleben, wenn Angelo beim Rennen etwas zustieß und der letzte Satz von ihr im Zorn gesprochen worden war? Maria versuchte zwar, sich damit zu beruhigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Angelo etwas Ernsthaftes zustieß, recht gering war, doch ausschließen konnte man einen Unfall mit tödlichen Folgen bei diesem gefährlichen Rennen nie. Immer wieder verletzten sich nicht nur die Pferde, sondern auch die Jockeys zum Teil schwer. Und warum sollte nicht das Unfassbare geschehen und jemand so unglücklich stürzen, dass lebensbedrohliche Verletzungen die Folge waren?
Als in diesem Moment Marias Handy klingelte, hoffte sie wider besseren Wissens, dass es Angelo war.
»Ciao, Maria!«
»Ach, du bist’s, Claudia!«
»Maria, du musst sofort kommen.«
»Was?«
»Ich weiß, es ist noch früh, aber es ist etwas passiert und ich brauche dich!«
Maria unterdrückte ein Seufzen und schaute zugleich auf ihre Armbanduhr. Das Proberennen würde bald gestartet. Wenn sie Angelo davor oder danach abpassen wollte, um mit ihm zu reden, dann brauchte sie dafür mindestens eine Stunde. »Hat es nicht vielleicht eine Stunde Zeit?«
Claudias Stimme begann zu zittern. »Es tut mir leid, passt es gerade nicht? Ich … ich … muss mit jemandem reden, sonst werde ich noch verrückt …«
Maria verdrehte stumm die Augen. Sie konnte hören, dass ihre Freundin kurz davor war, zu weinen. Und sie wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden zum Reden brauchte und niemand da war. Aber warum ausgerechnet jetzt? Noch einmal warf sie einen prüfenden Blick auf ihre Uhr. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vielleicht vor dem Ende des Proberennens wieder auf dem Campo sein und Angelo dann abfangen.
»Maria?«
»Also gut, ich komme.«
»Grazie! Grazie! Bis gleich!«
Signore Morelli fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Er hatte noch so vieles zu erledigen, letzte Absprachen zu treffen, nach dem Rechten zu sehen. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab zu seiner Tochter.
Maria machte in der letzten Zeit einen bekümmerten Eindruck. Er hatte versucht, mit ihr zu reden, aber sie blockte seine Versuche immer wieder ab. Vielleicht aus Rücksicht auf ihn, da sie wusste, wie sehr ihn die letzten Vorbereitungen für den Palio gefangen nahmen, vielleicht, weil sie einfach nicht mit ihrem Vater über ihr Seelenleben sprechen wollte. Doch wenn sich Filipo Morelli ihr Gesicht ins Gedächtnis rief, ihre traurig blickenden dunklen Augen, mit denen sie ihn auch heute Morgen während des Frühstücks angeschaut hatte, und das blasse, erschöpfte Gesicht, dann zog sich sein Herz eng zusammen.
Ob sie immer noch Streit mit Angelo hatte? Oder machte sie sich Sorgen wegen des Einbruchs und der Beschädigung des Banners? Er hatte gesehen, wie blass Maria beim Anblick des beschmutzten Seidentuchs geworden war. Und wie sich ihre Augen ängstlich geweitet hatten, während sie seiner Geschichte über Eva Maria lauschte, während er von dem Reporter des La Nazione interviewt wurde. Machte sie sich etwa deswegen Sorgen? Glaubte sie womöglich, diese Sache habe etwas mit Spuk und Geistererscheinungen zu tun, so wie manche Leute munkelten? Morelli schob diesen Gedanken beiseite. Nein, das war lächerlich. Seine Tochter neigte wahrhaftig nicht dazu, an einen solchen Unsinn zu glauben. Sie war bodenständig und mit einer gehörigen Portion Verstand ausgestattet.
»Signore Morelli?«
»Si?«
»Der barbaresco wünscht Sie noch einmal zu sprechen.«
»Ich komme.« Seufzend erhob sich der capitano. Was auch immer Maria umtrieb – es musste bis nach dem Rennen warten.
Angelo war mit dem Ergebnis des letzten Proberennens sehr zufrieden. Amarosa hatte sich in den letzten drei Tagen, seit sie sich näher kennengelernt hatten, gut entwickelt. Die Stute hatte viel Potenzial. Wenn sie ihre Nervosität in den Griff bekam, war sie leicht führbar, reagierte gut auf die Hilfen ihres Reiters und setzte ihr Temperament zielgerichtet um. Ab und an musste Angelo sie mit seiner Stimme beruhigen. Aber auch das funktionierte. Er hoffte nur, dass Amarosa sich heute Abend beim echten Rennen ebenfalls so gut beherrschen ließ. Wenn er beim Start einen guten Platz abseites des Gedrängels bekam, dann sah es tatsächlich nicht allzu schlecht aus. Andernfalls … Aber darüber wollte Angelo jetzt lieber noch nicht nachdenken.
Bevor er Amarosa zurück in den Innenhof des Palazzo Pubblico lenkte, schaute er noch einmal über die Schulter zurück und ließ seinen Blick über die Piazza del Campo streifen. Vereinzelt standen kleinere Gruppen von Menschen an den Absperrungen. Aber nirgends konnte er sie erblicken: Maria.
Angelo seufzte und wandte sich ab. Er hatte so sehr gehofft, dass sie die Gelegenheit suchen würde, sich vor dem Rennen mit ihm auszusöhnen. Aber offensichtlich war sie immer noch sauer auf ihn. Nur mit Mühe konnte Angelo gegen seine Enttäuschung ankämpfen. Vielleicht hätte er sich nicht so von ihr provozieren lassen sollen. Er hätte ja genauso gut von Marias Eifersucht gerührt sein können. Stattdessen hatte er sich aufgeführt wie ein Platzhirsch, der seine Freiheit verteidigt. Er stellte sich vor, was Maria sagen würde, wenn er ihr irgendwann erzählte, worüber er mit Antonia geredet hatte, und wie sie dann gemeinsam darüber lachen könnten. Aber im Augenblick war ihm ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Die Vorstellung, dass ihm beim Rennen etwas zustieß und das Letzte, was er zu Maria in seinem Leben gesagt hatte, war im Streit gewesen, bereitete ihm unerträgliche Magenschmerzen.
»Cazzo!«, fluchte Maria. Sie hatte sich so beeilt, nachdem sie Claudia den benötigten Trost zugesprochen und ihrer Freundin versichert hatte, dass alles wieder gut werden würde. Und jetzt? Jetzt stand sie abgehetzt und außer Atem auf der Piazza del Campo und das Proberennen war bereits gelaufen. Weit und breit war nichts mehr von Angelo oder einem der anderen fantini zu sehen. Der Platz lag wie ausgestorben vor ihr.
Und wofür das alles? Nur weil Claudia ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie in der vergangenen Nacht mit Alessandro im Bett gelandet war.
»Na toll!« Maria stampfte wütend mit dem Fuß auf. Ihrer Freundin liefen die Kerle scharenweise zu und sie selbst konnte nur tatenlos zusehen, wie ihre Verlobung gerade in die Brüche ging. Zwar tat ihr Claudia leid, die ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihrem Freund, der in Mailand auf sie wartete, fremdgegangen war. Und sie verstand auch, dass ihre beste Freundin nicht wusste, was sie jetzt machen sollte. Zumal sie sich wohl tatsächlich in Alessandro verliebt hatte. Aber hätte das Gespräch darüber, verdammt noch mal, nicht Zeit gehabt?
Natürlich wusste Claudia nicht, in welcher Situation Maria gerade steckte. Woher auch – Maria hatte ihr ja bisher noch nichts von ihren Schwierigkeiten erzählen können. Weder ihre beste Freundin noch ihr Vater, der sie auch an diesem Morgen wieder sorgenvoll betrachtet hatte, wussten über ihre Nöte Bescheid. Und auch heute Morgen hatte sie Claudia nichts von ihrem Streit mit Angelo erzählt, stattdessen immer wieder verstohlen auf ihre Uhr geschaut, bis Claudia schließlich fragte: »Hast du noch was vor?«
Maria gab zu, dass sie versuchen wollte, Angelo beim letzten Proberennen abzupassen, und obwohl Claudia nicht einmal ahnen konnte, weshalb Maria dieses Treffen so wichtig war, reagierte sie voller Verständnis: »Oje, und ich heule dir hier die ganze Zeit die Ohren voll! Es tut mir leid, daran habe ich gar nicht mehr gedacht.« Sie stand auf und fuhr fort: »Jetzt aber husch, husch, ab mit dir und wünsch deinem Liebsten viel Glück von mir.«
Trotzdem war Maria zu spät gekommen. Zu spät, um Angelo Glück zu wünschen. Zu spät, ihn um Verzeihung zu bitten. Zu spät, ihm ihrer Liebe zu versichern. Zu spät für … ja, einfach für alles.
»Cazzo!«, fluchte Maria noch einmal und machte sich niedergeschlagen auf den Weg nach Hause.
Mit Glockengeläut begann am frühen Nachmittag in den Contraden die Einkleidung. Alle Mitglieder der Komparserie des Adlers zogen ihre festlichen Kostüme an und bereiteten sich auf den corteo storico vor, der wie in jedem Jahr dem Palio voranging.
Maria hatte die sonnengelbe Bluse angezogen, die sie extra für den Palio neu erworben hatte. Zusammen mit der dreiviertellangen schwarzen Leinenhose, den flachen schwarzen Sandalen und natürlich ihrem fazzoletto, das sie locker um ihre Schultern gebunden hatte, war sie nun bereit für das Ereignis des Jahres. Ihr schwarzes Haar band sie mit einem ebenfalls gelben Haarband zusammen und war mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen ganz zufrieden.
Überall auf den Straßen standen die Bewohner ihres Stadtviertels, die contradaioli, in kleinen Gruppen zusammen. Man traf sich, lachend und scherzend, um gemeinsam zur Kirche Oratorio di San Giovanni Battista zu gehen, wo die Segnung des Pferdes stattfinden würde.
Claudia und Alessandro warteten wie verabredet bereits an der Ecke Via dei Fusari auf Maria und vertrieben sich die Zeit, indem sie heftig miteinander knutschten. Ihr Anblick versetzte Maria einen leisen Stich. Nachdem sie einander begrüßt hatten, schlossen sie sich der Traube von Menschen an, die sich auf dem Weg zur Kirche befand.
»Deine Abneigung gegen den Palio hält dich offenbar nicht davon ab, ihn dir anzuschauen?«, wollte Maria von Alessandro wissen, der Claudia einen Arm um die Schultern gelegt hatte und sichtlich verzückt lächelnd zwischen den beiden jungen Frauen die Gassen entlangschlenderte.
»Was würdest du denn sagen, wenn ich ihn mir nicht anschaute? Dass ich keine Ahnung habe, wovon ich rede?« Alessandro schüttelte den Kopf. »Nein, nur weil man gegen etwas ist, heißt das nicht, dass man sich keinen Überblick über das verschafft, was man ablehnt. Außerdem, Cousinchen …« Er lehnte sich vertrauensvoll zu Maria hinunter. »… muss ich doch sehen, ob unsere Aktion Wirkung zeigt, oder?« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Glaubst du nicht, das hat sie schon?«, gab Maria zurück und musterte Alessandro prüfend. Zu gern hätte sie ihn dabei ertappt, wie er sich verriet und preisgab, dass der Einbruch ins Museum der contrada und die Beschädigung des kostbaren Banners auf sein Konto und das seiner Kumpels ging.
Tatsächlich überzog eine leichte Röte Alessandros Wangen, dennoch blickte er Maria unverwandt an und fragte: »Was meinst du damit?«
»Ja genau«, sagte auch Claudia, die bislang stumm dem Gespräch der beiden gelauscht hatte, »was meinst du damit?«
»Ach, vergiss es«, antwortete Maria.
Denn inzwischen standen sie inmitten unzähliger Menschen vor der noch geschlossenen Kirche. Endlich öffneten sich die Tore, gaben den Blick in die festlich in Gelb und Schwarz geschmückte Kirche frei und Maria ließ sich von dem Strom der Menschen mitziehen. Nur mit Mühe fanden sie noch Platz in einer der letzten Reihen.
Immer mehr Menschen strömten herein. Selbst als schon längst alle Reihen voll waren, verteilten sich die Schaulustigen in den Seitenschiffen oder blieben im hinteren Teil des Mittelschiffes stehen. Erst als tatsächlich kein Quadratzentimeter freier Raum mehr zur Verfügung stand, hob der Priester die Arme und die Menge verstummte.
Maria reckte den Hals, um einen Blick auf ihren Vater zu erhaschen, der irgendwo vorne in der ersten Reihe sitzen musste. Aber sie konnte ihn beim besten Willen nirgends entdecken.
Dann kam Fabioncello. Die pure Anwesenheit des Tieres in der Kirche sorgte für eine außergewöhnliche, festliche Stimmung. Denn normalerweise war das Gotteshaus ja nur den Menschen vorbehalten. Entsprechend fehl am Platze schien sich Fabioncello auch zu fühlen. Er erschrak vor seinem eigenen Hufklappern, das von dem steinernen Boden der Kirche widerhallte, und seine Ohren zuckten nervös.
Maria folgte wie alle anderen dem Weg des Pferdes durch das Mittelschiff mit den Augen. Der Hengst sah prachtvoll aus. Sein sorgfältig gestriegeltes Fell glänzte selbst hier im dämmrigen Schein der Kerzen.
Fernando wartete vor dem Altar auf Fabioncello wie ein Bräutigam auf seine Braut, während der barbaresco das Pferd zu ihm führte. Der fantino trug bereits sein Kostüm, die gelbe Hose mit den schwarzen Streifen an der Seite und die dazu passende Jacke. Auch Fabioncello war schon mit dem spennacchiera, dem kegelförmigen Kopfschmuck in den Farben der contrada, an dessen unterem Ende ein kleiner runder Spiegel eingearbeitet war, geschmückt.
»Allmächtiger und ewiger Gott!«, erhob der Priester seine Stimme. »Gib diesem Tier Fabioncello deinen Segen und beschütze seinen Körper, damit ihm kein Leid geschehe, Amen.«
»Amen«, raunte die Menge, während der Priester Weihwasser auf Fabioncellos und Fernandos Köpfe sprühte.
»Vai e torna vincitore!«, rief der Priester zum Abschluss. Lauf und kehre als Sieger zurück!
Als Fabioncello die Kirche im Anschluss verließ, herrschte erneut absolute Stille, die lediglich von dem Klappern der Pferdehufe durchbrochen wurde. Nur ein kleiner Junge rief irgendetwas, das Maria nicht verstehen konnte, und wurde augenblicklich von seiner Mutter mit einem gezischten »Pssst« ermahnt.
Kurz vor dem großen zweiflügeligen Tor der Kirche hob Fabioncello den Schweif und ließ einige wohlgeformte Pferdeäpfel auf den Kirchenboden fallen. Eine Gruppe junger Mädchen kicherte leise und eine alte Frau neben Maria raunte: »Das ist ein gutes Omen, ein wahrhaft gutes Omen.«
Kaum hatte Fabioncello die Kirche verlassen, ertönte der laute Ruf der Menge: »Aquila vola!« Und die Menschen strömten schwatzend und lachend hinaus in die gleißende Sonne auf dem Kirchvorplatz.
Maria hatte Alessandro und Claudia in dem Gedränge aus den Augen verloren, doch sie wartete einfach am Rand des kleinen Platzes vor dem Gotteshaus auf ihre Freunde. Als sie die beiden Arm in Arm auf sich zukommen sah, musste sie unwillkürlich lächeln. Es war, wie sie gesagt hatte: Sie gaben ein verdammt hübsches Paar ab.
Maria, Claudia und Alessandro folgten den Komparserien ihrer Contrade durch die verschlungenen Gassen der Stadt. Immer wieder stoppten die Fahnenschwenker auf ihrem Weg und vollführten an den unterschiedlichsten Plätzen ihre einstudierten kunstvollen sbandierate – ihre Fahnenschwünge – unter den Blicken und dem Applaus der Zuschauer, bis sie schließlich die Piazza del Campo erreichten.
Marias Herz klopfte. Nicht nur wegen der Aufregung des kurz bevorstehenden Palio, sondern auch wegen der Gewissheit, dass Angelo hier irgendwo ganz in ihrer Nähe sein musste, obwohl sie ihn nirgends sehen konnte.
Die Bahn war bereits geräumt – Carabiniere sorgten dafür, dass sie auch frei blieb – und der sunto läutete unentwegt, bis alle Contraden auf dem Platz eingezogen waren und der corteo storico beendet worden war.
Insgesamt bestand der Umzug aus vierzehn unterschiedlichen Gruppen und siebenhundert Darsteller nahmen daran teil. Zunächst kamen die Stabträger der Gemeinde, die Fahnenträger zu Pferd, ein Dutzend Trommler, Trompeter und Musiker des Palastes, siebenundsechzig Fahnenträger und diverse Armbrustschützen aus Massa Marittima, der Stadt, die 1335 durch Siena erobert worden war, sowie Trommler, Fahnenträger und Bogenschützen aus Montalcino, dem Städtchen, das Massa Marittimas Schicksal als Unterlegene teilte.
Ihnen folgten die Fahnenträger des capitano del popolo mit drei Pagen, die sein Schild, seinen Helm und sein Schwert trugen, der capitano del popolo zu Pferd mit einem Reitknecht sowie drei Bannerträger der Stadtdrittel Sienas zu Pferd und mit Reitknechten.
Capitano del popolo nannte man im Mittelalter den gewählten Stadtherrn. Er durfte bei keinem corteo storico fehlen. Schließlich stellte der historische Umzug die Geschichte des mittelalterlichen Sienas seit dem Jahr 1260 dar, die mit dem Sieg über die rivalisierende Stadt Florenz im Jahr 1555 endete. Dieser Sieg wurde symbolisiert durch den Triumphwagen, gezogen von vier weißen Ochsen, der den Abschluss des Zuges bildete.
Fast drei Jahrhunderte Stadtgeschichte wiedergegeben in nur drei Stunden, dachte Maria, während die Männer in ihren farbenfrohen, prächtigen Kostümen an ihr vorbeikamen.
Jetzt zogen die Repräsentanten der Universität an ihr vorüber, gefolgt von den Vertretern der unterschiedlichen Zünfte Sienas und den Komparsen der zehn am Rennen teilnehmenden Contraden.
Marias Herzschlag beschleunigte sich, als sie Angelo erkannte, der auf einem soprallasso, einem Paradepferd, an dem Umzug mitwirkte. Seine Stute Ambrosa wurde ebenso wie die anderen für das Rennen ausgewählten Pferde geschont und wartete im Innenhof des Palazzo Pubblico auf ihren späteren Einsatz.
Maria versuchte, Angelos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie wünschte sich wenigstens einen Blick von ihm, ein Lächeln, das ihr versichern würde, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war! Doch Angelo starrte angestrengt geradeaus. Erst als er schon an ihr vorüber war, wandte er einmal den Kopf und ließ seinen Blick durch die wartende Menge schweifen, als suche er jemanden. Doch ihre Augen fanden sich nicht und schon erschien die nächste Gruppe, die Pagen der Gemeinde, die eine Lorbeergirlande trugen, und denen dicht auf dem Fuße die Komparsen der sieben Stadtteile folgten, die nicht an diesem Rennen teilnahmen.
»Schau mal!« Claudia stupste Maria mit dem Ellbogen an und deutete auf die sechs Reiter, die nun an ihnen vorbeikamen und die die nicht mehr existierenden Contraden Hahn, Löwe, Bär, Eiche, Schwert und Viper symbolisierten.
Maria nickte beflissen, doch sie schaute nicht wirklich hin. In ihren Gedanken war sie noch bei Angelo. Und so verpasste sie auch die nächsten Gruppen: die Fahnenträger, Armbrustschützen, Trommler und den Hauptmann der Justiz. Erst als der Triumphwagen mit dem Palio von den vier Ochsen an ihr vorbeigezogen wurde, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spektakel.
Die Straßen waren nun von Menschenmassen gesäumt. Und auch die Piazza del Campo füllte sich zusehends. Durch die Via Duprè, den letzten geöffneten Eingang zum Platz, strömten immer mehr Menschen, bis schließlich der gesamte Platz gefüllt war. In den Fenstern des Palazzo Pubblico versammelten sich die berühmten Gäste, Politiker und Prominente, auf den rot gesäumten Balkonen der umstehenden Palazzi, ja, sogar auf den Dächern standen Menschen und warteten auf den Höhepunkt des Palio: das eigentliche Rennen.
An fest vereinbarten Stellen der Bahn warfen die Fahnenschwinger der Contraden, die alfieri, zu Trommelwirbeln ihre Fahnen hoch. Wenn eine Fahne besonders hoch flog, was als gutes Omen für das Rennen gewertet wurde, ertönte begeisterter Jubel aus der Menge.
Die vielfältigen Fahnenschwünge trugen alle eigene Namen, von denen manche nach traditionellen Mustern ausgeführt wurden, andere wiederum neu erfunden waren. Dazu erklang immer wieder der passo della Diana, ein spezieller Trommelwirbel, der ausschließlich während des historischen Festzugs gepielt wurde. Doch jede contrada kannte auch ihre eigenen Trommelwirbel und Fahnenschwünge, die von klein auf geübt wurden. Und nur die besten Trommler und Fahnenschwenker erhielten die Ehre, beim corteo storico mitzumachen.
Endlich fand der Festzug an der mit einem weißen Tuch behängten Tribüne vor dem Palazzo Pubblico sein Finale und die capitani, darunter auch Signore Morelli, nahmen neben den anderen Würdenträgern ihre Plätze ein. Ein letztes Mal warfen die Fahnenträger der siebzehn Contraden ihre Fahnen hoch in die Luft und fingen sie wieder auf, bevor die Trompeten erklangen und der carroccio, der Triumphwagen, mit dem Banner vor der Tribüne ankam. Das Banner wurde vom Wagen gehoben, auf das Podest für die Richter am Start– und Zielpunkt getragen und dort für alle gut sichtbar aufgehängt.
»Na endlich!«, stöhnte Claudia. »Ich dachte schon, dieser Umzug läuft in Echtzeit, dauert drei Jahrhunderte und endet niemals mehr!«
Alessandro lachte und küsste Claudia auf die Lippen.
Maria wandte den Kopf ab. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte dieser Umzug niemals enden müssen. Denn ihre Angst, dass Angelo etwas zustoßen könnte, wuchs von Sekunde zu Sekunde.
Ein Böller krachte und jetzt kamen die Reiter auf ihren Pferden aus dem Innenhof des Palazzo Pubblico. Maria entdeckte sowohl Fernando im gelben Kostüm des Adlers als auch Angelo in dem grün-roten Kostüm des Drachen sofort. Und sie hörte auch die begeisterten Rufe der Zuschauer: »Angelo volante!«
Fliegender Engel!
Claudia zwinkerte Maria zu, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Er sieht wirklich gut aus, dein Angelo.«
Maria bemühte sich zu lächeln. Jetzt war nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt, ihrer Freundin zu erklären, dass sie gar nicht wusste, ob es tatsächlich noch ihr Angelo war.
Die fantini brachten ihre Pferde zum Startpunkt und Maria stellte erschrocken fest, wie nervös Ambrosa war. Die Stute tänzelte und versuchte zu steigen, und Angelo hatte alle Mühe, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Sobald ihr eines der anderen Pferde zu nah kam, schlug Ambrosa mit dem Kopf und bockte. Maria hoffte inständig, dass Angelo keinen Startplatz in der Mitte zugewiesen bekam, wo sein Pferd von links und rechts zugleich bedrängt werden würde.
Endlich hatten die Jockeys den provisorischen Führring erreicht und drehten dort ihre Runden. Auch Ambrosa beruhigte sich, als sie nun nichts anderes zu tun brauchte, als hinter den anderen Pferden her im Kreis zu gehen, bis der mossiere, der Startrichter, die Startreihenfolge bekannt gab.
Die Reihenfolge wurde mit einem besonderen Instrument ausgelost. Im Inneren eines Hohlraums befanden sich zehn hölzerne Kugeln in den Farben der Contraden, die an dem Rennen teilnahmen. Auf diesen Hohlkörper wurde ein schmaler Zylinder geschraubt, in den die zehn Holzkugeln in einer willkürlichen Reihenfolge hineinrutschten, sobald man den Hohlkörper umdrehte. Auf dem Zylinder waren zehn Öffnungen, die zunächst noch mit einer beweglichen Scheibe verschlossen waren und erst geöffnet wurden, wenn die fantini den Führring erreicht hatten. Dann konnte der mossiere die einzelnen Contraden ermitteln, indem er nach und nach die Scheiben zur Seite schob und nachsah, welche Kugel an welcher Position lag.
»Istrice«, verkündete er jetzt durch ein Mikrofon und alle Menschen auf dem Platz wiederholten den Namen der contrada wie in einem gemeinsamen Gebet: »Istrice.«
Der Jockey des Stachelschweins führte sein Pferd als Erster aus dem Führring zwischen die beiden gespannten Seile. Es war ein junger und noch recht unerfahrener Reiter, ein Greenhorn, der jedoch mit diesem bevorzugten Platz an der Innenseite der Bahn einen kostbaren Trumpf in die Hand gespielt bekam. Er ritt einen wunderschönen Rappen, dessen Fell so tiefschwarz war, dass es schon fast bläulich schimmerte. Und so passte der Name des Hengstes, Mirtillo – Blaubeere – ausgesprochen gut.
Maria betete darum, dass der Startrichter als Nächstes den Drachen aufrief. Eine Position an der Innenseite der Bahn wäre gut für Angelo. Normalerweise hätte sie gehofft, dass Fernando und Angelo als Verbündete nebeneinander Aufstellung nahmen. Doch sie fürchtete, dass zwischen den beiden immer noch böses Blut herrschte, nachdem Fernando Angelo im ersten Proberennen so hart angegangen war. Deshalb war es vielleicht besser, wenn die beiden weit voneinander entfernt standen.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen, merkte Maria, dass ihr Herz anscheinend stärker für den Drachen schlug als für ihre eigene contrada, den Adler. Warum wünschte sie nicht, dass der Mossiere den Adler als Nächstes aufforderte, seine Startposition einzunehmen?
»Torre«, sagte der Startrichter in diesem Augenblick und der fantino des Turms, Giorgio, verließ mit seiner Stute Fairway den als Führring abgegrenzten Bereich.
»Onda«, verkündete der Startrichter jetzt, und der Jockey der Welle machte sich mit seiner bildhübschen Stute Stella auf den Weg zwischen die Startseile.
Maria fluchte innerlich. Mit jeder Position weiter weg von der kurzen Innenseite der Bahn sanken die Chancen auf einen Sieg. Zugleich stieg die Gefahr, dass Fernando und Angelo einen Platz nebeneinander in der Mitte fanden oder – schlimmer noch – die Feindin des Adlers, der Panther, neben Fernando zur Aufstellung kam. Maria überlegte, ob sie ihre Hoffnungen bereits jetzt darauf setzen sollte, dass Fernando (oder doch lieber Angelo?) der zehnte Platz an der Außenseite der Bahn zugewiesen wurde. Denn diese Position, die rincorsa, ermöglichte dem Reiter, den Startzeitpunkt zu bestimmen und sich aus dem Getümmel der nervösen Pferde und drängelnden Jockeys herauszuhalten. Erst wenn er lospreschte, wurde das Rennen gestartet.
»Pantera«, ließ sich die Stimme des mossiere vernehmen und damit war für Maria eindeutig klar, dass sie nur darauf hoffen konnte, dass Fernando die zehnte Position einnehmen musste.
»Drago«, sagte der Startrichter und Maria atmete erleichtert auf. Wenigstens stand der Adler nicht unmittelbar neben seinem Feind. Aber Angelo würde mit diesem Platz in der Mitte nicht zufrieden sein.
Nun standen bereits fünf Pferde dicht gedrängt am Startseil und allmählich verbreitete sich unter den Wartenden Unruhe. Stella, die Stute mit der sternförmigen Blesse, die für die Welle laufen sollte, wurde zwischen Fairway und Pinnochio fast zerdrückt und machte ihrem Unmut mit heftigem Kopfschlagen Luft. Bevor sie jedoch steigen konnte, wurde sie von ihrem Reiter mit einem gezielten Schlag der Reitgerte dazu gebracht, nach hinten auszubrechen. Fabio ließ die Stute hinter den anderen Pferden zwei Runden im Kreis gehen, damit sie sich beruhigte, dann führte er sie an ihre Position zurück.
»Aquila!«, fuhr der mossiere fort und Maria stieß einen leisen Fluch aus. All ihr Hoffen und Beten hatte nichts genutzt. Auch Fernando stand – noch dazu genau neben Angelo – auf einer der mittleren Positonen. Die denkbar schlechteste Ausgangssituation für einen guten Start.
»Lupa!«
Maria und Claudia warfen sich einen Blick zu und verzogen beide zugleich die Mundwinkel. Die Aufstellung der noch fehlenden Contraden war für sie nicht mehr von großem Interesse, aber als Angehörige der contrada dell’ aquila konnten sie mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein.
»Oca.«
Die Jockeys tuschelten miteinander. Hier und da wurden nur Minuten vor dem Start neue Verabredungen getroffen und alte gelöst. Das Nicken oder Kopfschütteln fiel in jedem Fall sehr dezent aus, fast unmerklich, denn der fantino, der dabei erwischt wurde, wie er mit gegnerischen Contraden Abkommen traf, durfte mindestens mit einer saftigen Tracht Prügel im Anschluss an das Rennen rechnen.
»Leocorno!«
Die Stute Farfalla wurde von Marcello auf ihre Position geführt, und sofort begann der Jockey des Einhorns damit, die anderen fantini nach innen abzudrängen.
»Selva.«
Dass der mossiere die zehnte Contrade noch nannte, war lediglich eine Formalität. Auch ohne die Nennung des Namens hätte jeder auf dem Platz gewusst, dass selva, der Wald, in den Genuss der rincorsa kam und den Startzeitpunkt bestimmen würde.
Während sich die neun Pferde am vorderen Startseil drängelten und die Jockeys bereits jetzt alles taten, um ihre Kontrahenten zu behindern, indem sie ihre Pferde nach links oder rechts ausscheren ließen, hielt sich Gabriel, der Jockey des Waldes, im Hintergrund. Er wartete hinter dem zweiten Startseil und beobachtete das Scharmützel der anderen, um den bestmöglichen Zeitpunkt für seinen Start nicht zu verpassen. Erst wenn er sein Pferd Callimero in den Bereich zwischen den beiden Startseilen, die mossa, lenkte, senkte der mossiere das vordere Seil und gab das Rennen damit frei.
»Vai! Vai!«, riefen die Menschen um Maria herum voller Ungeduld. Das lange Warten hatte die Nerven aller bis aufs Äußerste strapaziert. Lauft! Lauft!
Und dann war es endlich so weit: Gabriel auf Callimero stieß seinem Hengst die Fersen in die Flanken und das Tier preschte davon. Das Startseil fiel, die Pferde galoppierten los und die Menge begann zu schreien.
Die unerwarteten Böllerschüsse ließen Maria zusammenzucken.
Claudia stöhnte und mit ihr etwa zehntausend weitere Zuschauer. Alessandro hingegen kicherte schadenfroh und Maria fragte sich insgeheim, wie ihre Freundin zu Alessandros oftmals kriminellem Engagement als Tierschützer stand. Wusste sie überhaupt davon? Und was würde sie davon halten?
»Fehlstart«, stellte Claudia unnötigerweise fest und lenkte Marias Aufmerksamkeit damit wieder auf das Geschehen.
Es dauerte einige Meter, bis die fantini ihre Pferde zum Stehen gebracht hatten und zum Startbereich umkehren konnten.
Marias Herz klopfte, als sie sah, dass Angelo Ambrosa etwa auf ihrer Höhe anhalten ließ. Und als er die Stute wendete, blickte er ihr genau in die Augen. Maria hielt die Luft an. Auf Angelos Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, als er sie erkannte. Dann führte er eine Hand zum Mund, legte die Finger auf seine Lippen und streckte ihr die offene Hand entgegen. Marias Erleichterung in diesem Moment war so groß, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie lächelte zurück und spitzte ebenfalls die Lippen zu einem Kussmund.
»Oh, wie süß«, zischte Claudia neben ihrer Freundin. »Wenn das keine wahre Liebe ist.«
Und zum ersten Mal seit Langem war Marias Lächeln, das sie ihrer Freundin schenkte, kein bemühtes. Endlich ließ die Anspannung, die sie die ganze Zeit gespürt hatte, nach und sie konnte sich voll und ganz auf den Palio konzentrieren. Angelo liebte sie noch! Er hatte ihr die dumme kleine Eifersuchtsszene, die sie ihm geliefert hatte, verziehen.
Maria atmete einmal tief ein und stieß die Luft wieder aus, dann sah sie zu, wie die Pferde erneut Aufstellung nahmen. Über der Piazza lag eine drückende Hitze und Maria fühlte sich mittlerweile etwas erschöpft. Das lange Stehen zwischen Tausenden anderer Menschen empfand sie als anstrengend. Die Hitze war neben den Gefahren, die dieses Rennen unter Umständen auch für die Zuschauer barg, wohl der Hauptgrund dafür, dass beim Palio keine kleinen Kinder unter den Zuschauern waren. Über die Köpfe der Erwachsenen hinweg hätten sie ohnehin nichts von dem Rennen mitbekommen.
Zum zweiten Mal lieferten sich die Jockeys jetzt ein ruppiges Hin und Her. Jeder versuchte, für sich selbst die beste Startposition zu erkämpfen und die anderen bereits in dieser Phase des Rennens zu benachteiligen. Die Pferde wurde mit Tritten in die Flanken dazu gebracht, einander aus dem Weg zu schieben oder nach hinten abzudrängen, bis sich Vento, das Pferd der Wölfin, schließlich weigerte, seinen Platz zwischen Fabioncello und Manolo wieder einzunehmen. Der Startrichter machte Tino, den Jockey der Wölfin, darauf aufmerksam, dass er das Rennen nicht starten könne, wenn er Vento nicht endlich auf seine Position zurückbrachte, und Tino wies mit einer empörten Geste auf seine Kollegen, die ihre Pferde so eng nebeneinandergestellt hatten, dass zwischen ihnen nicht einmal ein Schweifhaar Platz gefunden hätte. Schließlich trieb er Vento barsch voran, sodass Fabioncello und Manolo gar keine andere Wahl blieb, als ihm Platz zu machen.
Das Ohrspiel der Pferde verriet ihre Nervosität. Ambrosa schlug unwillig mit dem Kopf und bleckte sogar einmal die Zähne, als Pinnochio ihr zu nahe kam.
»Siehst du das?«, wandte sich Alessandro an Maria. »Die Pferde sind alle total gestresst!« Er schüttelte wütend den Kopf.
Maria schwieg. Von Alessandro darauf aufmerksam gemacht, musste sie zugeben, dass das stimmte. Ihr Augenmerk hatte bislang stets nur auf dem taktischen Spiel der Jockeys gelegen. Über die Pferde hatte sie sich dabei wenig Gedanken gemacht.
Noch einmal dauerte es nahezu eine Viertelstunde, bis endlich alle Pferde so standen, dass der mossiere zufrieden war und den Start freigab.
Gabriel auf Callimero, der von dem Tumult verschont geblieben war, reagierte blitzschnell. Er dirigierte seinen Hengst in die mossa, das vordere Startseil fiel und die Pferde preschten los, von ihren Reitern kraftvoll mit der Reitgerte angetrieben.
Und dieses Mal war der Start gültig.
In gestrecktem Lauf sprintete Callimero, während sich die anderen noch aus dem Startknäuel zu befreien suchten, nach vorne und wechselte zügig auf die Innenbahn. Die Zuschauer kreischten. Dann hatten es auch die anderen Reiter geschafft, sich zu ordnen, und setzten Gabriel nach.
Bereits vor der ersten Kurve, der gefährlichen San Martino, hatten sie den Ausreißer eingeholt. Gabriel wurde von den nachfolgenden Pferden nach außen abgedrängt, prallte gegen die materassi, die matratzenartige Polsterungen, die den Aufprall von Pferden und Reitern etwas mindern sollten, wurde hoch in die Luft geschleudert und knallte hart auf dem Boden auf. Callimero jedoch ließ sich von dem Verlust seines Reiters nicht beeindrucken. Er reagierte so, wie es die Natur vorgesehen hat, und rannte den anderen einfach hinterher, während sich Gabriel fluchend aufrichtete und sich, so schnell es ging, vor den nachfolgenden Pferden in Sicherheit brachte.
»Nummer eins«, konstatierte Alessandro mit heruntergezogenen Mundwinkeln.
Maria hatte sich kaum von dem Schreck erholt und erleichtert registriert, dass Gabriel offensichtlich unverletzt geblieben war, als der entsetzte Aufschrei Claudias ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Geschehen in der Bahn lenkte.
An seinem gelb-schwarzen Kostüm erkannte sie sofort, dass es Fernando war, der jetzt, nur Sekunden nach Gabriel, vom Pferd zu stürzen drohte. Die Unebenheiten der Bahn, die hohe Geschwindigkeit und das Reiten ohne Sattel hatten ihn im Gedränge der beinahe rechtwinkligen, abfallenden San-Martino-Kurve das Gleichgewicht verlieren lassen. War dies etwa schon das Ende vom Traum? Dem Traum der Adler-Anhänger, den Palio zu gewinnen und Glanz und Gloria für ihr Stadtviertel zu erringen?
Einen Augenblick lang hielt sich Fernando noch an Fabioncellos Mähne fest und die Anhänger der contrada dell’ aquila falteten die Hände wie zum Gebet. Dann verließ den fantino offensichtlich die Kraft und er stürzte zu Boden. Sein Körper wurde von den Hufen der nachfolgenden Pferde hin und her geschleudert wie ein lebloser Sack. Und als er sich aufrichten wollte, preschten die letzten zwei Pferde heran und mähten ihn erneut nieder.
Die Zuschauer kreischten entsetzt auf. Männer und Frauen gleichermaßen hielten sich erschrocken die Hände vor den Mund oder verbargen ihre Augen. Das konnte nicht gut gegangen sein!
Schwankend rappelte sich Fernando auf. Beinahe verlor er sofort erneut das Gleichgewicht, er torkelte wie ein Betrunkener. Als einer der Helfer auf ihn zustürmte, um ihn zu stützen und von der Bahn zu führen, riss er abwehrend und mit vor Panik verzerrtem Gesicht die Arme hoch, um sich zu schützen. Dann erst realisierte er, dass es nicht ein weiteres Pferd war, das auf ihn zukam, sondern helfende menschliche Hände, die ihn festhielten und fortbrachten.
Fabioncello folgte wie zuvor Callimero dem Pulk der Reiter. Doch ohne Fernando auf seinem Rücken schien es für ihn keinen Grund mehr zu geben, das hohe Tempo beizubehalten. Callimero hingegen war ohne das lähmende Gewicht seines Reiters auf dem Rücken jetzt ungleich schneller als alle anderen und holte Platz um Platz auf!
Die begeisterten Rufe der Zuschauer verliefen gleich einer akustische La-Ola-Welle um den Platz. Selbst wenn Maria nicht sehen konnte, was auf der anderen Seite der Strecke vor sich ging, so konnte sie dank der gezeigten Begeisterung genau erkennen, wo die Pferde sich gerade befanden.
Dreimal würde die Piazza auf diese Weise umrundet werden. Dreihundertneununddreißig Meter in nicht einmal hundert Sekunden. Zwei Jockeys waren bereits vorzeitig aus dem Rennen ausgeschieden. Wie viele würden ihnen noch folgen?
Wie alle anderen neben ihr, hinter ihr und vor ihr, wandte Maria den Kopf, um vielleicht doch über die zigtausend Köpfe hinweg zu sehen, was unter den verbliebenen Reitern vor sich ging. Doch dazu gab es nicht die geringste Chance. Sie überlegte, ob sie nicht besser das Angebot ihres Vaters, für sie einen Platz auf einer der Tribünen oder Balkone zu besorgen, angenommen hätte. Maria hatte Filipos Angebot abgelehnt, weil sie den Palio lieber in Gesellschaft ihrer Freunde erleben wollte. Auch wenn Alessandros finstere Miene ihre Freude ein wenig minderte.
Jetzt galoppierten die Pferde in ihrer zweiten Runde an ihr vorbei. Erneut zog sich das Feld vor der San-Martino-Kurve, wo die Geschwindigkeit gedrosselt werden musste, enger zusammen. Maria sah, dass Angelo sich bis auf den ersten Platz vorgekämpft hatte. Dicht gefolgt von seinem ärgsten Feind Danilo, der so heftig mit der Reitgerte auf die Kruppe seines Pferdes einschlug, dass Maria glaubte, der nerbo würde jeden Moment zerbrechen. Hinter den beiden Führenden prallten die Pferde aufeinander auf, und Fabio, der Jockey der Welle, konnte sich nicht länger auf dem Rücken seiner Stute Stella halten, als sie gegen die Bahnbegrenzung gedrückt wurde und stolperte.
Zum Glück rappelte sich Fabio direkt wieder auf. Stella humpelte ein Stück alleine weiter, blieb dann aber einfach mitten auf der Bahn stehen. Ihr linkes Vorderbein hielt sie angehoben und ihr Huf hing in einem merkwürdigen Winkel hinunter.
Alessandro neben Maria fluchte. »Siehst du?«, wandte er sich mit zornesrotem Gesicht an seine Cousine. »Das ist der Grund, warum dieser Palio nichts weiter ist als Tierquälerei!« Er stieß harsch die Luft aus. »Von wegen Tradition«, schimpfte er. »Tradition war es auch mal, dass Frauen nicht wählen durften. Und dass man ihnen verbot, lesen und schreiben zu lernen. Wie fändest du das, hä?«
Maria antwortete nicht. Ihr Blick ruhte auf der verletzten Stute. Widerwillig musste sie Alessandro in diesem Moment zustimmen, während Stella so ungünstig in der Mitte der Bahn stand, dass niemand es wagen konnte, das arme Tier in Sicherheit zu bringen, ohne das eigene Leben dabei aufs Spiel zu setzen.
Und schon preschten die Reiter erneut heran. Immer noch führte Angelo mit Ambrosa das Feld an. Und immer noch folgte Danilo auf Pinocchio ihm in weniger als einer Pferdelänge Abstand. Maria atmete erleichtert auf, als Angelo die gefürchtetste Kurve der Rennstrecke zum dritten Mal unbeschadet überwand und unfallfrei an Stella vorbeigaloppierte. Jetzt konnte eigentlich nicht mehr viel schiefgehen!
Von ihrem Platz aus hatte Maria ein langes, gerades Stück der Rennstrecke im Blick. Und doch verschwand Angelo schnell hinter der nächsten Kurve und sie musste sich auf ihr Gehör verlassen, wenn sie wissen wollte, was geschah. Die entsetzten Aufschreie am andere Ende des Platzes verhießen nichts Gutes. Maria spürte Panik in sich aufsteigen. Was hätte sie darum gegeben, sehen zu können, was sich in diesem Augenblick an der zweitgefährlichsten Stelle der Rennbahn abspielte!
Doch sie konnte nichts sehen.
Sie konnte nicht sehen, wie Angelo in der zweiten Kurve von Danilo weit nach innen gedrängt wurde. So weit, dass er an der Ecke der scharf zu nehmenden Kurve anstieß und von Ambrosas Rücken rutschte. Sie konnte nicht sehen, wie sich ihr Verlobter verzweifelt am Zügel der Stute festzuhalten versuchte und einige Meter weit mitgeschleift wurde, während Danilo die Führung übernahm. Sie konnte ebenso wenig sehen, wie Angelo von dem nachfolgenden Pferd überrannt wurde und völlig bewegungslos auf dem ockerfarbenen Sand liegen blieb.
Nun übernahm Danilo in Führung und wurde von Camillero verfolgt, der sich reiterlos bis an die zweite Position vorgekämpft hatte und immer noch näher herankam. Die Zuschauer kreischten. Würde ein cavallo scosso diesen Palio für sich entscheiden? Die Regeln des Palio sahen vor, dass auch ein reiterloses Pferd das Rennen gewinnen konnte, solange es nur sein spennachiero noch am Kopf trug. Und Callimero wäre nicht das erste Pferd, dem ein solcher Sieg gelang.
Doch in der letzten Kurve vor der Zielgeraden verlor Callimero plötzlich den Halt unter den Hufen. Er stolperte, stürzte und riss Pinnochio mit sich zu Boden, als er mit seinen fast fünfhundert Kilo Gewicht von hinten in ihn hineinrutschte. Danilo flog in hohem Bogen vom Rücken seines Pferdes und konnte nur noch zusehen, wie der junge, unerfahrene Jockey Santo auf dem Rappen Mirtillo regelrecht an ihm vorbeiflog.
Santo hatte das Beste aus seiner guten Startposition an der Innenseite der Bahn herausgeholt. Das gesamte Rennen über hatte er seinen vierten Platz verteidigen können. Und nun, nachdem die drei Pferde vor ihm sich selbst aus dem Rennen geworfen hatten, sah er seine große Chance gekommen. Er warf einen kurzen Blick zurück über die Schulter. Giorgio auf Fairway, der Jockey des Turms, folgte ihm mit einer guten Pferdelänge Abstand.
Santo stieß Mirtillo die Fersen in die Flanken und schlug mit der Reitgerte auf die Kruppe des Rappen ein. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Ziellinie und als der Böllerschuss das Ende des Rennens verkündete, konnte er sein Glück kaum fassen. Es war sein erster Palio. Und er hatte ihn gewonnen! Gewonnen!
Von überallher stürzten die Anhänger des Stachelschweins auf ihn ein.
»Istrice! Istrice!«, hallte es über die Piazza. Die Männer hoben Santo vom Rücken des Pferdes und trugen ihn auf ihren Händen zur Tribüne, auf der das Banner für den Sieger bereitstand.
»Daccelo!«, riefen sie. »Daccelo!« Gebt ihn uns!, forderten sie und meinten den Palio.
Die Zuschauer stürmten die Rennstrecke und die Bahn füllte sich zusehends mit Menschen, die einander vor Freude oder Trauer weinend in die Arme fielen. Wie in einem Ameisenhaufen rannten die Menschen hin und her, an einigen Stellen kochten die Gefühle über und junge Männer gingen mit Fäusten aufeinander los, während die Anhänger des Stachelschweins unter den Klängen des suono di vittoria, dem Trommelwirbel, der nur nach dem Palio-Sieg ausgeführt wird, bereits ihren Siegeszug zur Kirche antraten.
Maria ließ all diese Eindrücke unbeteiligt an sich vorüberziehen. Immer noch stand sie regungslos an ihrem Platz und schaute suchend über die Menschenmassen. Wo war Angelo? Warum war er nicht ins Ziel gekommen? Was war geschehen? Noch einmal hallten die entsetzten Aufschreie am anderen Ende des Platzes in ihr nach, die sie zwar gehört hatte, deren Ursache sie aber nicht hatte sehen können. Hatten sie etwa Angelo gegolten? Ihr Herzschlag geriet aus dem Takt, während sie diese Möglichkeit in Erwägung zog.
Wie eine Schlafwandlerin bewegte sie sich schließlich durch den Menschenstrom, der ihr entgegenkam. Sie wurde angerempelt und gestoßen und musste immer wieder zurückweichen, aber sie nahm nichts davon wirklich wahr. Nur ein einziger Gedanke beschäftigte sie: Wo war Angelo?
Endlich hatte sie die entfernteste Stelle der Rennbahn erreicht. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als sie die Sanitäter sah, die sich um einen am Boden liegenden fantino versammelt hatten. Sein rot-grüner zucchino, der in den Farben der Contrade bemalte Helm, lag neben ihm. Die Rettungskräfte beugten sich über den bewegungslosen Körper und führten mit hastigen Bewegungen Erste-Hilfe-Maßnahmen durch: Sie legten dem Bewusstlosen einen Zugang und einer von ihnen hielt den Infusionsbeutel hoch. Auf ein Zeichen hin hoben sie den Verletzten mit vereinten Kräften auf eine bereitstehende Bahre und trugen ihn mit eiligen Schritten von der Bahn.
Maria schaute auf den schwarzen Haarschopf des Verletzten. War das Dunkle, das sie dort sehen konnte, etwa … Blut? Dann fiel ihr Blick auf die rechte Hand des Reiters, die leblos von der Bahre hing und an deren Ringfinger ein Ring saß, der ihr nur allzu bekannt vorkam. Er war auffallend breit aus Weiß- und Gelbgold mit einem hervorgehobenen, abstrakten Muster. Unwillkürlich tastete sie nach dem Ring, den sie selbst an ihrem rechten Ringfinger trug, als müsste sie sich vergewissern, dass es tatsächlich der gleiche war. Ihr Verstand weigerte sich zu glauben, was ihr Herz längst wusste.
»Angelo!«, brach es schließlich aus ihr heraus, als wäre sie aus einem Traum erwacht. »Angelo!« Und sie rannte los, den Rettungskräften hinterher, die den regungslosen Körper bereits in einen bereitstehenden Krankenwagen geschoben hatten und in diesem Moment die Türen schlossen.