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Zu jener Zeit lebten in Aztlan immer noch viele Menschen, die sich an den Besuch des Mexicatl erinnerten. Er trug den Namen Tliléctic-Mixtli, ›Dunkle Wolke‹. Natürlich erinnerten sich auch Onkel Mixtzin und seine Kinder Yeyac und Améyatl daran, obwohl die beiden damals noch klein gewesen waren. Ihre Mutter, die Frau meines Onkels, die als erste der Azteca mit dem Besucher gesprochen hatte, war bald darauf gestorben. Ein anderer, der sich an den hohen Gast erinnerte, war mein Urgroßvater Canaútli, denn er hatte mit Mixtli viele lange Gespräche geführt und ihm die Geschichte von Aztlan erzählt. Und natürlich hatte Canaútlis Enkeltochter diesen Mann nicht vergessen, denn sie, Cuicáni, war die Aztécatl gewesen, die den Besucher am herzlichsten und gastfreundlichsten willkommen hieß, ihr Lager mit ihm teilte, von ihm schwanger wurde und schließlich seinen Sohn, das heißt mich, zur Welt brachte. Sie alle und viele andere Azteca würden auch niemals vergessen, wie sich mein Onkel später mit zahlreichen Männern, die ihm halfen, den Mondstein zu rollen, auf den Weg nach Tenochtitlan machte. Die triumphale Rückkehr meines Onkels von jener Reise ist jedem in Aztlan im Gedächtnis geblieben, der sie erlebte. Auch ich war dabei, denn ich war zu dieser Zeit ein drei- oder vierjähriger Junge. Bei seiner Abreise war er nur Tliléctic-Mixtli gewesen, der Tlatocapili von Aztlan. Tlatocapili war kein besonderer Titel, er bedeutete einfach ›Stammeshäuptling‹. Sein Herrschaftsgebiet umfaßte nur ein unbedeutendes Dorf in den Sümpfen. Er selbst hatte Aztlan wiederholt als ›die Spalte im Hintern der Welt‹ bezeichnet. Doch bei seiner Rückkehr trug er einen unglaublich schönen Federkopfschmuck und einen prächtigen Federmantel. Er kam mit einem Gefolge von vielen Dienern, und funkelnde Juwelen schmückten seine Hände. Er trug nicht nur den neuen, edlen Namen Tlilectic-Mixtzin, Dunkle Wolke, sondern auch den Titel Uey-Tecutli, Verehrter Statthalter, und war somit ein ›Herr‹, ein Edelmann.
Sofort bei seiner Ankunft, denn die gesamte erwachsene Bevölkerung hatte sich versammelt, um ihn in seiner neuen Herrlichkeit zu sehen und zu bewundern, sprach er zu seinem Volk. Ich kann seine Worte ziemlich genau wiederholen, denn Canaútli lernte sie auswendig und wiederholte mir die ganze Rede, als ich alt genug war, sie zu verstehen.
»Mitglieder der Azteca«, begann der Uey-Tecútli Mixtzin laut und entschlossen. »An diesem geschichtsträchtigen Tag beleben wir von neuem die lange vergessenen Familienbande mit unseren Vettern, den Mexica, dem mächtigsten Volk der EINEN WELT. Von nun an sind wir eine Kolonie dieser Mexica. Ich kann euch versichern, wir sind eine wichtige Kolonie, denn die Mexica hatten bisher so weit im Norden von Tenochtitlan keinen Vorposten und kein Bollwerk am Westmeer. Und wir werden ein uneinnehmbares Bollwerk sein!« Er wies auf sein stattliches Gefolge. »Die Männer, die mich begleiten, sind nicht nur gekommen, um meine Rückkehr zu einem eindrucksvollen Ereignis zu machen.
Sie und ihre Familien werden sich bei uns niederlassen. Aztlan wird ihre Heimat sein, wie es einst die Heimat ihrer Vorväter war. Jeder dieser Getreuen – von den Kriegern bis zu den Wortkundigen – wurde wegen seines Könnens und seiner Erfahrung in den verschiedenen Künsten und Handwerken ausgewählt. Sie werden euch zeigen, was diese entfernteste Bastion Tenochtitlans sein kann. Und ich frage euch: Was kann sie sein? Ich werde euch die Antwort geben: ein kleines Tenochtitlan, das stark, zivilisiert, kultiviert und stolz in die lange und glückliche Zukunft blicken kann, die vor uns allen liegt.« Seine Stimme hob sich noch mehr, als er gebieterisch fortfuhr: »Ihr werdet alle auf eure Lehrer hören und ihnen folgen. Wir in Aztlan werden nicht länger träge und unwissende Fischer ohne Manieren sein und uns mit diesem einfachen Leben zufriedengeben. Von diesem Tag an werdet ihr alle, Männer, Frauen und Kinder, lernen und arbeiten. Ihr werdet euch um das neue Wissen bemühen, bis wir in jeder Hinsicht auf einer Höhe mit unseren bewundernswerten Mexica-Vettern stehen.« Ich erinnere mich nur undeutlich daran, wie Aztlan in jener Zeit aussah, denn ich war schließlich noch ein Kind. Und ein Kind achtet oder verachtet seine Heimatstadt nicht, nimmt sie nie als prächtig oder armselig wahr. Sie ist vertraut und das, woran es gewöhnt ist. Doch entweder dank bruchstückhafter Erinnerungen oder dank dessen, was man mir in späteren Jahren erzählte, kann ich recht gut beschreiben, in welchem Zustand sich die Heimat der Schneereiher befand, als jener andere Tliléctic-Mixtli, der Forschungsreisende, sie betrat. Zum einen besaß der Palast, in dem mein Tlatocapili-Onkel und seine beiden Kinder lebten – außerdem ich und meine Mutter, denn sie führte ihm nach dem Tod seiner Frau den Haushalt –, eine größere Zahl von Räumen, aber nur ein Stockwerk. Das Gebäude bestand aus Holz, Schilf und Palmblättern. Ein Putz aus zerstoßenen Muschelschalen ›schmückte‹ die Wände und verlieh ihnen einen gewissen Halt und Festigkeit. Die übrigen Wohn- und Handelshäuser von Aztlan waren, wenn man das glauben darf, noch sehr viel weniger widerstandsfähig und hübsch gebaut.
Die Stadt lag auf einer ovalen Insel in der Mitte eines ausgedehnten Sees. Er war nicht durch klar gezogene Ufer begrenzt. Das brackige, ungenießbare Salzwasser wurde immer seichter und ging auf allen Seiten in Sumpfland über, an das sich im Westen das Meer anschloß. Aus den Sümpfen stiegen feuchte Nachtnebel auf, die von lästigen Insekten und möglicherweise von bösen Geistern bevölkert wurden. Meine Tante war nur eine unter vielen, die Jahr für Jahr von einem heimtückischen Fieber dahingerafft wurden. Unsere Ärzte behaupteten, dieses Fieber sei irgendwie auf die Sümpfe zurückzuführen.
Ungeachtet unserer Rückständigkeit auf vielen Gebieten gab es für uns Azteca stets viel und gut zu essen. Hinter dem Sumpfland lag das Westmeer. Dort fingen unsere Fischer mit Netzen, Leinen und Haken nicht nur die gewöhnlichen und in großer Zahl vorhandenen Fische wie Rochen, Schwertfisch, Plattfisch sowie Tintenfisch und Krabben, sondern auch köstliche Delikatessen, die sie zum Teil vom Meeresboden lösten: Austern, Herzmuscheln, Abalone, Schildkröten und Schildkröteneier, Garnelen und Panzerkrebse. Manchmal gelang es ihnen nach heftigen und langen Kämpfen, bei denen gewöhnlich ein oder mehrere Fischer ertranken oder verletzt wurden, einen Yeyemichi an Land zu bringen. Das ist ein riesiger grauer Fisch – manche so groß wie ein Palast –, und es lohnt sich, ihn zu erlegen. Für uns, die Bewohner von Aztlan, gab es dann einen Überfluß köstlicher Filetstücke, die man aus einem einzigen dieser gewaltigen Fische herausschneiden konnte. Im Meer gab es auch Peri-Austern, doch wir ernteten sie nicht. Über den Grund dafür werde ich später sprechen.
An Gemüsen gab es außer den zahlreichen eßbaren Arten von Seetang und Algen eine Vielfalt von Sumpfpflanzen. Überall wuchsen Pilze, manchmal sogar an unerwünschten Stellen, etwa auf den immer feuchten Lehmfußböden unserer Häuser. Das einzige Grün, das wir tatsächlich anpflanzten, war Picietl, das getrocknet und dann geraucht wurde. Aus dem Fleisch der Kokosnüsse wurden unsere Süßigkeiten zubereitet. Vergorene Kokosmilch ergab ein sehr viel stärker berauschendes Getränk als das überall sonst in der EINEN WELT so beliebte Octli. Eine andere Palmenart schenkte uns die Coyacapúli-Früchte. Das Mark einer dritten Art wurde getrocknet und zu wohlschmeckendem Mehl zermahlen. Wieder eine andere Palmenart lieferte Fasern, aus denen Stoffe gewebt wurde. Haifischhaut ergab das feinste, dauerhafteste Leder, das man sich wünschen konnte. Die Pelze von Seeottern lagen als Decken auf unseren weichen Lagern und wurden für jene, die in die hohen kalten Berge im Inland wanderten, zu Umhängen verarbeitet. Das Öl von Kokosnüssen und Fischen diente als Brennstoff für unsere Lampen. Ich gebe zu, für jeden, der an den Geruch dieser Öle nicht gewöhnt ist, muß es in unseren Häusern entsetzlich gerochen haben. Als die Handwerksmeister der Mexica ihren ersten Rundgang durch Aztlan machten, um zu sehen, was sie zur Verschönerung und Verbesserung der Stadt beitragen konnten, muß es ihnen schwergefallen sein, nicht laut zu lachen oder die Nase zu rümpfen. Mit Sicherheit fanden sie unsere Vorstellung von einem ›Palast‹ einfach lächerlich. Der einzige, der Mondgöttin Coyolxáuqui geweihte Tempel der Insel war nicht prächtiger als der Palast meines Onkels, wenn man davon absah, daß in den Putz um seinen Eingang kunstvoll die Schalen verschiedener Seemuschelarten eingelassen waren. Immerhin, das, was sie vorfanden, entmutigte die Handwerker nicht. Sie machten sich sofort an die Arbeit. Zuerst suchten sie einen Platz, wo sie für sich und ihre Familien Behelfsunterkünfte bauen konnten, und fanden in einiger Entfernung von Aztlan eine verhältnismäßig trockene, flache Bodenerhebung. Die Frauen übernahmen die meiste Arbeit beim Bau der Häuser und benutzten dazu alles, was gerade zur Hand war: Schilf, Palmblätter und Lehm. Die Männer erkundeten das Land in Richtung Osten und hatten keinen weiten Weg zurückzulegen, bis sie die Berge erreichten. In den Wäldern fällten sie Eichen und Kiefern und schleppten die Stämme hinunter ins flachere Land an das Ufer eines Flusses. Dort wurden sie gespalten, gebrannt, behauen und zu Acáltin zusammengefügt, die sehr viel größer waren als alle unsere Fischerboote. Sie waren groß genug, um schwere Lasten zu befördern. Diese Lasten kamen ebenfalls aus den Bergen, denn einige der Männer waren erfahrene Steinhauer, die Kalksteinlager suchten, Steinbrüche anlegten und große Quader und Platten brachen. Die Steine wurden an Ort und Stelle grob behauen und geglättet, dann in die Acáltin geladen, die den Fluß hinunter zum Meer fuhren, und dort an der Küste entlang bis zu dem schmalen Arm gebracht, der zu unserem See führte. Die Steinmetze glätteten die ersten ankommenden Steine weiter, polierten sie und bauten daraus, wie es sich gehörte, einen neuen Palast für Onkel Mixtzin. Nach seiner Fertigstellung konnte er sich wahrscheinlich nicht mit einem der Paläste in Tenochtitlan messen, doch in unserer Stadt war es ein Gebäude, das man bestaunte. Der Palast hatte zwei Stockwerke und ein stufenförmig zurückspringendes Dach, das ihn noch einmal so hoch machte. Es gab darin so viele Räume, einschließlich eines eindrucksvollen Thronsaals für den Uey-Tecútli, daß sogar Yeyac, Améyatl und ich eigene Zimmer hatten. Damals war das in Aztlan etwas Unvorstellbares, vor allem, wenn es sich um Kinder im Alter von zwölf, neun und fünf Jahren handelte. Doch bevor einer von uns einzog, kam eine Schar Handwerker – Zimmerleute, Bildhauer, Maler und Weberinnen –, die jeden Raum mit Statuetten, Wandbildern, Wandteppichen und ähnlichem ausschmückten.
Unterdessen säuberten andere Mexica die Gewässer in Aztlan und der Umgebung und leiteten sie um. Sie entfernten den alten Schlamm und die Abfälle aus den Kanälen, die schon immer die Insel wie ein Netz durchzogen, und faßten sie in Stein. Sie legten die Sümpfe um den See trocken, indem sie neue Kanäle gruben, die das Wasser abzogen. Dann wurde aus weiter landeinwärts fließenden Bächen frisches Wasser eingeleitet. Der See blieb brackig, da sich Süßwasser und Salzwasser mischten, doch er war kein stehendes Gewässer mehr. Die Sümpfe trockneten aus und wurden zu festem Land. Danach verringerten sich schlagartig die ungesunden Nachtnebel und die Wolken lästiger Insekten. Es war der Beweis dafür, daß unsere Ärzte recht gehabt hatten. Fortan quälten die Sumpfgeister jedes Jahr nur noch ein oder zwei Personen mit dem tückischen Fieber.
Nachdem der Palast fertig war, machten sich die Steinmetze daran, einen Steintempel für Coyolxaúqui, die Schutzgöttin unserer Stadt, zu errichten, der den alten weit in den Schatten stellte. Er war so schön, daß Onkel Mixtzin brummte: »Ich wünschte, ich hätte den Stein mit dem Abbild der Göttin nicht nach Tenochtitlan gerollt, denn jetzt hätten wir für den Stein einen Tempel, der ihrer stillen Schönheit und Güte angemessen ist.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« erwiderte meine Mutter. »Hättest du das nicht getan, gäbe es keinen neuen Tempel und auch keine der anderen Wohltaten, die uns das Geschenk des Mondsteins für Motecuzóma eingebracht hat.«
Mein Onkel brummte noch eine Weile vor sich hin, denn er mochte es nicht, wenn seine Meinung in Zweifel gezogen wurde, doch er mußte schließlich zugeben, daß seine Schwester recht hatte.
Als nächstes errichteten die Baumeister eine Tlamanacáli auf eine Weise, die wir alle höchst sinnreich, praktisch und interessant zu beobachten fanden. Die Männer schichteten stufenförmig zurückspringende Steine aufeinander und bauten so die Hohlform einer Pyramide. Andere Arbeiter brachten gleichzeitig Traglasten von Erde, Steinen, Kieseln, Treibholz und allem möglichen Schutt und Abfall herbei, den man sich vorstellen konnte. Der Inhalt ihrer Körbe wurde in den Hohlraum geschüttet und festgestampft. Auf diese Weise wuchs eine vollkommen geformte Pyramide in die Höhe, die aus glänzendem Kalkstein zu bestehen schien. Mit Sicherheit war sie solide genug, um hoch oben die beiden kleinen, sie krönenden Tempel, dem Gott Huizilopochtli und dem Regengott Tlaloc geweiht, zu tragen und der Treppe an der Vorderseite festen Halt zu geben, auf der in den folgenden Jahren zahllose Priester, Gläubige, Würdenträger und Opfer hinaufsteigen sollten. Ich behaupte nicht, unsere Tlamanacáli sei so ehrfurchtgebietend gewesen wie die berühmte Große Pyramide von Tenochtitlan, die ich natürlich nie gesehen habe, aber bestimmt war sie das erhabenste Bauwerk nördlich der Länder Mexicas.
Es folgten Steintempel für andere Götter und Göttinnen der Mexica – ich nehme an, für alle überirdischen Wesen, obwohl einige unbedeutendere Gottheiten sich zu dreien oder vieren einen Tempel teilen mußten. Unter den vielen, vielen Mexica, die mit meinem Onkel gekommen waren, befanden sich auch Priester all jener Götter. In den ersten Jahren halfen sie den Baumeistern, und sie arbeiteten ebenso schwer wie alle anderen. Nachdem sie jedoch alle ihre Tempel hatten, widmeten die Priester neben der Erfüllung der geistlichen Pflichten einen Teil ihrer Zeit dem Unterricht an unseren Schulen, die als nächstes gebaut worden waren. Danach wandten sich die Mexica weniger wichtigen Gebäuden zu – einem Getreidespeicher, Werkstätten, Lagerhäusern, einem Zeughaus und anderen für ein zivilisiertes Leben unerläßlichen Dingen. Schließlich brachten sie Holz aus den Wäldern der Berge und bauten feste Holzhäuser für sich sowie für jede Azteca-Familie, die es wünschte – das waren alle, bis auf ein paar Eigenbrötler, die das alte Leben vorzogen.
Wenn ich sage ›die Mexica‹ taten dieses oder jenes, soll das nicht heißen, sie hätten es ohne Hilfe getan. Jede Gruppe Steinhauer, Steinmetze und Zimmerleute verpflichtete einen Trupp unserer Männer, die sie bei diesen Vorhaben unterstützten. Für leichtere Arbeiten wurden auch Frauen und sogar Kinder herangezogen. Die Mexíca zeigten den Azteca, wie die Arbeit verrichtet wurde, und beaufsichtigten sie dann. Dabei gaben sie Anweisungen, schimpften, korrigierten, tadelten und lobten, bis die Azteca nach einiger Zeit viele neue Dinge selbständig tun konnten. Ich selbst habe lange vor dem Tag meiner Namensgebung leichte Lasten getragen, den Männern Werkzeuge gebracht und Essen und Trinken an die Arbeiter verteilt. Frauen und Mädchen lernten, mit neuen Materialien zu weben und zu nähen – Baumwolle, Metl-Stoff und Faden und Reiherfedern –, die sehr viel feiner waren als die bisher verwendeten Palmfasern. Am Ende eines Arbeitstages ließen die Mexica-Aufseher unsere Männer nicht einfach nach Hause gehen, damit sie herumlagen und sich mit der vergorenen Kokosmilch betranken. Nein, die Aufseher übergaben unsere Männer den Mexica-Kriegern. Auch diese hatten im allgemeinen den ganzen Tag schwer gearbeitet, aber das hinderte sie nicht daran, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen. Unsere Männer bekamen von ihnen eine militärische Grundausbildung. Sie lernten exerzieren, paradieren, den Kampf mit dem Obsidianschwert sowie den Umgang mit Pfeil und Bogen und Speer. Der Einsatz lohnte sich, denn im Laufe der Zeit stellten sie ihren meisterhaften Gebrauch dieser Waffen unter Beweis. Danach übten sie verschiedene Kampftaktiken und Manöver. Frauen und Kinder waren von der militärischen Ausbildung befreit. Von den Frauen neigten jedoch nur wenige dazu, sich die freie Zeit mit Trinken und Nichtstun zu vertreiben. Die Knaben, und dazu gehörte auch ich, wären überglücklich gewesen, an der militärischen Ausbildung teilnehmen zu dürfen, aber das wurde uns nicht erlaubt, solange wir nicht alt genug waren, das Schamtuch zu tragen.
Ich möchte darauf hinweisen, daß die völlige Umgestaltung von Aztlan und die grundlegende Veränderung seiner Bewohner natürlich nicht so plötzlich geschah, wie es meinem Bericht nach den Anschein haben mag. Ich wiederhole, zu Beginn dieser Ereignisse war ich noch ein Kind. Also schien sich für mich das Niederreißen des alten Aztlan und das Errichten des neuen im gleichen Tempo und ebenso unmerklich und unauffällig zu vollziehen, wie ich selbst wuchs, stärker, reifer und klüger wurde. Erst im Rückblick kann ich mir die vielen Versuche und Irrtümer, die mühsame Arbeit, den Schweiß und die schweren, langen Jahre, die notwendig waren, um Aztlan zu kultivieren, vor Augen führen. In meinem Bericht übergehe ich, daß es beinahe ebenso viele Rückschläge, Enttäuschungen und mißlungene Versuche gab, die ebenfalls mit diesem Vorgang verbunden waren. Doch das Unternehmen gelang, wie Onkel Mixtzin es befohlen hatte, und am Tag meiner Namensgebung, nur wenige Jahre nach der Ankunft der Mexica, waren bereits die Telpochcáltin-Schulen erbaut und warteten darauf, daß ich dort am Unterricht teilnahm. Morgens gingen ich und die anderen Jungen meines Alters sowie eine ganze Reihe älterer Jungen, die vorher keine Schule besucht hatten, in das Haus der Körperstärkung. Dort machten wir unter Anleitung eines Mexica-Kriegers Übungen zur Kräftigung unserer Muskeln. Bei ihm lernten wir das äußerst komplizierte rituelle Ballspiel, das Tlachtli. Schließlich brachte er uns auch die Grundzüge des Kampfs von Mann gegen Mann bei. Allerdings hatten unsere Schwerter, Pfeile und Speere keine Klingen oder Spitzen aus Obsidian, sondern nur mit roter Farbe getränkte Federbüsche, die blutige Treffer vortäuschen sollten.
Nachmittags besuchten ich und die Jungen zusammen mit gleichaltrigen Mädchen das Haus für Anstand und Sitte. Dort unterrichtete uns ein Priester in Hygiene und Sauberkeit – Dinge, von denen sehr viele Kinder der unteren Schichten keine Ahnung hatten. Außerdem erlernten wir das Singen ritueller Lieder und die Aufführung zeremonieller Tänze sowie das Spielen einiger Musikinstrumente – zum Beispiel verschieden großer, unterschiedlich gestimmter Trommeln, der Flöte mit vier Löchern und des Trillerkrugs. Um die Zeremonien und Rituale richtig vollziehen zu können, mußten wir lernen, die Lieder, die Trommelschläge, die Bewegungen und Gesten genauso wiederzugeben, wie es seit alter Zeit geschah. Der Priester verteilte dazu ein Blatt mit gezeichneten Anweisungen. Auf diese Weise erlernten wir bereits in Ansätzen die Wortkunde. Meine Mutter konnte nicht lesen oder schreiben, obwohl sie dem höchsten Adelsgeschlecht von Aztlan angehörte. Onkel Mixtzin hatte bereits vor langer Zeit als Dorf-Tlatocapili unter Anleitung jenes Mexicatl-Besuchers, des anderen Mixtli, angefangen, beides zu studieren. Er lernte sein ganzes Leben lang. Auf dem Rückweg von Tenochtitlan setzte er sich jeden Abend im Lager mit einem Priester aus seinem großen Gefolge von Mexica zusammen und ließ sich unterrichten. Nach der Ankunft in Aztlan behielt er diesen Priester als persönlichen Lehrer bei sich. Als ich die Schule begann, konnte er bereits Berichte in Weltbildern über die Fortschritte in Aztlan an Motecuzóma schicken. Mehr noch, er gönnte sich das Vergnügen, Gedichte zu verfassen – die Art Gedichte, die wir, die ihn kannten, auch von ihm erwartet hatten – spöttische Betrachtungen über die Unvollkommenheiten des Menschen, der Welt und des Lebens im allgemeinen. Er las sie uns vor. An eines kann ich mich noch gut erinnern.
Verzeihen?
Du darfst niemals verzeihen!
Aber gib vor zu verzeihen.
Sag freundlich, du würdest verzeihen.
Überzeuge die anderen, daß du verziehen hast.
Dann ist die Wirkung verheerend,
Wenn du ihnen schließlich mit einem vernichtenden
Satz an die Kehle springst.
Selbst in den niederen Schulen lernten wir ein wenig von der Geschichte der EINEN WELT. Obwohl ich noch klein war, fiel mir auf, daß sich manches, was man uns sagte, beachtlich von dem unterschied, was uns mein Urgroßvater, der Geschichtserinnerer von Atzlan, gelegentlich im Familienkreis anvertraute. So konnte man nach den Erklärungen des Mexicatl-Priesters glauben, das ganze Volk der Mexica sei eines Tages plötzlich der Erde der Insel Tenochtitlan entsprungen, und zwar gebildet, zivilisiert und kultiviert und im Vollbesitz seiner Kräfte. Das widersprach jedoch dem, was ich, mein Vetter und seine Schwester von Urgroßvater Canaútli gehört hatten. Deshalb gingen Yeyac, Améyatl und ich zu ihm und baten um eine Erklärung.
Er lachte und sagte nachsichtig: »Ayya, die Mexica sind ein Volk von Aufschneidern. Manche verdrehen ohne Gewissensbisse unbequeme Tatsachen, damit sie dem edlen Bild entsprechen, das sie von sich haben.« Ich sagte: »Als Onkel Mixtzin die Mexica mitbrachte, hat er sie als ›unsere Vettern‹ vorgestellt und von irgendwelchen lange vergessenen Familienbanden gesprochen.«
»Ich könnte mir denken«, antwortete der alte Canaútli, »daß die meisten lieber nichts von diesen Banden gehört hätten. Aber es ist die Wahrheit, die sich nicht verheimlichen oder verdrehen läßt, nicht seitdem dein …. ich meine, seitdem dieser andere Mixtli den Ort zufällig gefunden und Motecuzóma von unserer Existenz berichtet hatte. Wißt ihr, dieser andere Mixtli hat mich, so wie ihr drei es gerade getan habt, nach der wahren Geschichte der Azteca und ihrer Beziehung zu den Mexica gefragt. Er glaubte alles, was ich ihm erzählt habe.«
»Wir werden dir auch glauben!« rief Yeyac. »Sag uns die Wahrheit.«
»Unter einer Bedingung. Benutzt nichts von dem, was ihr von mir erfahrt, dazu, eure Lehrer zu verbessern oder ihnen zu widersprechen. Die Mexica sind sehr gut zu uns. Es wäre nicht richtig von euch Kindern, wenn ihr die lächerlichen, aber harmlosen Täuschungen widerlegen würdet, an denen die Mexica festhalten.« Wir versprachen ihm alle drei, das nicht zu tun. »Dann hört zu, Yeyac-Chichiquíli, Patzcatl-Améyatl und Téotl-Tenamáxtli. Vor langer Zeit, vor vielen, vielen Jahren, aber zu einer Zeit, die jedem Geschichtserinnerer bekannt ist und von der er seinem Nachfolger berichtet, war Aztlan nicht nur eine kleine Stadt am Meer. Es war die Hauptstadt eines Landes, das sich bis weit in die Berge erstreckte. Wir lebten einfach – heute würden die Leute sagen ›primitiv‹. Aber es ging uns gut, und wir litten selten Not. Das hatten wir unserer Mondgöttin Coyolxaúqui zu verdanken, die sicherstellte, daß uns die dunklen Fluten des Meeres und die dunklen Wälder der Berge reichlich mit Nahrung versorgten.«
Améyatl unterbrach ihn: »Du hast einmal gesagt, daß wir Azteca früher keine anderen Götter verehrten.«
»Das stimmt. Wir haben nicht einmal jene Götter verehrt, die ebenso wohltätig sind wie Coyolxaúqui.« Er lachte. »Der Regengott Tlaloc, um nur einen zu nennen. Sieh dich um, Mädchen. Was brauchen wir Tlaloc darum zu bitten, daß er uns Wasser schenkt?« Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, wir waren zufrieden mit den Dingen, wie sie waren. Das bedeutet nicht, daß wir Schwächlinge gewesen wären. Ayyo, wir verteidigten unsere Grenzen unerbittlich, wenn ein anderes, neidisches Volk versuchte, sie zu überschreiten. Aber im allgemeinen waren wir friedlich. Wenn wir Coyolxaúqui Opfer darbrachten, töteten wir niemals eine Jungfrau oder auch nur einen der gefangenen Gegner. Wir legten kleine Geschöpfe des Meeres und der Nacht auf den Altar der Mondgöttin … etwa die makellose Schale einer vollkommen geformten Flügelschnecke oder einen der sanftgrünen Mondfalter mit den großen Flügeln …« Er schwieg eine Weile und dachte offenbar über die gute alte Zeit nach. Aber die lag schon lange zurück, sogar schon als sein Urgroßvater geboren wurde. Deshalb half ich behutsam nach, damit er die Geschichte nicht vergaß, die er erzählen wollte.
»Bis die Frau kam …«
»Ja, ausgerechnet eine Frau. Stellt euch vor, es war eine Frau der Yaki. Die Yaki sind das wildeste und bösartigste Volk der EINEN WELT. Ein paar unserer Jäger fanden sie, als sie hoch oben in unseren Bergen, unvorstellbar weit von der Wüste der Yaki entfernt, ziellos herumwanderte. Die Männer gaben ihr zu essen, etwas anzuziehen und brachten sie hierher nach Aztlan. Aber, ayya ouiya, sie war eine verbitterte Frau. Zum Dank dafür, daß unsere Vorfahren so freundlich zu ihr waren, hetzte sie Freund gegen Freund, Familie gegen Familie, Bruder gegen Bruder.«
Yeyac fragte: »Hatte sie einen Namen?«
»Ja, einen häßlich klingenden Yaki-Namen. G’nda Ké. Und dann begann sie, unsere einfache Lebensweise und unsere gütige Göttin Coyolxauqui zu verspotten. Warum, so fragte sie, verehrten wir nicht den Kriegsgott Huitzilopóchtli? Er würde uns in allen Kriegen den Sieg schenken, damit wir andere Völker unterwerfen und viele Gefangene machen könnten. Die müßten wir dem Gott opfern, der sich dadurch überreden lassen werde, uns zu anderen Eroberungen zu verhelfen, bis wir schließlich die unangefochtenen Herrscher über die EINE WELT sein würden.«
»Aber wieso«, wollte Améyatl wissen, »hatte sie Interesse daran, solche Leidenschaften zu wecken und Kriegsgelüste zu schüren, die unserem Volk fremd waren? Was hätte ihr das genutzt?«
»Die Antwort auf deine Frage wird nicht schmeichelhaft sein. Die meisten der früheren Erinnerer schrieben das dem widerspenstigen Wesen aller Frauen zu.«
Améyatl sah ihn mit großen Augen an und rümpfte die hübsche Nase. Canaútli grinste zahnlos und fuhr fort: »Dann sollte es dich freuen zu hören, daß ich eine etwas andere Meinung vertrete. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Männer der Yaki ebenso grausam zu ihren Frauen sind wie zu allen Nicht-Yaki. Ich glaube, diese Frau war von dem Wunsch besessen, daß jeder Mann so unmenschlich behandelt würde, wie sie von den Yaki-Männern behandelt worden war. Sie wollte alle Männer der EINEN WELT dahin bringen, daß sie sich im Krieg gegenseitig töteten und daß den Gefangenen zur größten Zufriedenheit des einen oder anderen Gottes auf den Altären die Herzen aus dem Leib geschnitten wurden.«
»Wie es bei fast allen Völkern und Stämmen der EINEN WELT in unserer Zeit geschieht«, sagte Yeyac. »Und wie es uns die Priester und Krieger der Mexica lehren. Aber wir haben ein gutes Verhältnis zu allen unseren Nachbarn. Wir müßten bis weit hinter die Berge marschieren, um Krieg zu führen oder Gefangene zu machen, die wir opfern könnten. Aber offenbar hatte die niederträchtige G’nda Ké tatsächlich großen Erfolg.«
»Beinahe wäre ihr Plan nicht gelungen«, sagte Canaútli. »Sie brachte Hunderte der Bewohner von Aztlan dazu, ihrem Beispiel zu folgen und den blutrünstigen Gott Huitzilopóchtli zu verehren. Aber ebenso viele andere lehnten es vernünftigerweise ab, sich bekehren zu lassen. Im Laufe der Zeit hatte sie die Azteca in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Ich habe bereits gesagt, damals stand Bruder gegen Bruder. Schließlich verließen sie und ihre Anhänger die Stadt und suchten in sieben Höhlen in den Bergen Unterschlupf. Dort bewaffneten sie sich, übten sich im Kriegshandwerk und warteten auf den Befehl der Yaki-Frau, loszumarschieren und andere Völker zu unterwerfen.«
»Bestimmt wären die ersten Opfer die friedlichen Einwohner von Aztlan gewesen«, sagte Améyatl, die ein weiches Herz hatte.
»Ganz bestimmt. Aber glücklicherweise war der damalige Tlatocapili von Aztlan ebenso jähzornig, reizbar und unduldsam gegenüber Dummköpfen wie dein Vater Mixtzin. Er und die ihm treu ergebene Stadtwache zogen in die Berge, kreisten die Abtrünnigen ein und erschlugen viele von ihnen. Zu den Überlebenden sagte er, ›nehmt euren abscheulichen neuen Gott und eure Familien und verschwindet, oder ihr werdet bis auf den letzten Mann, die letzte Frau und das letzte Kind, selbst bis auf das letzte Kind im Mutterleib erschlagen‹.«
»Und sie sind gegangen«, sagte ich.
»Das haben sie getan. Nachdem sie mehrere lange Jahre herumgezogen waren und neue Generationen geboren worden waren, erreichten sie schließlich eine andere Insel in einem anderen See, wo sie das Wahrzeichen ihres Kriegsgottes sahen – einen Adler, der auf einem Nopáli-Kaktus saß. Also ließen sie sich dort nieder. Sie nannten die Insel Tenochtitlan, Ort des Tenoch. Das war in einem inzwischen vergessenen örtlichen Dialekt das Wort für den Nopáli-Kaktus. Aus einem Grund, den herauszufinden ich mir nie die Mühe gemacht habe, gaben sie sich einen neuen Namen: ›Mexica‹. Im Laufe vieler Jahre waren sie erfolgreich; sie führten Kriege und unterwarfen zuerst ihre Nachbarn und dann weiter entfernt lebende Völker.« Canaútli zuckte resigniert die knochigen Schultern. »Und nun, Tenamáxtli, sind wir durch die Bemühungen deines Onkels und jenes Mexicatl, der ebenfalls Mixtli heißt, zum Guten oder zum Schlechten wieder miteinander vereint. Wir werden sehen, was daraus entsteht. Aber jetzt will ich mich nicht länger erinnern. Geht Kinder, laßt mich allein.«
Wir wandten uns zum Gehen, doch ich drehte mich noch einmal um und fragte: »Die Yaki-Frau, G’nda Ké …. was ist aus ihr geworden?«
»Als der Tlatocapili die sieben Höhlen stürmte, war sie unter den ersten, die erschlagen wurden. Aber sie hatte sich mit mehreren ihrer Anhänger gepaart. Deshalb fließt ihr Blut zweifellos in den Adern vieler Mexica-Familien. Vielleicht in den Adern aller. Das würde erklären, daß die Mexica immer noch so kriegerisch und blutrünstig sind, wie diese Frau es war.«
Ich werde nie erfahren, weshalb Canaútli es damals unterließ, mir zu sagen, daß ich mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest einen Tropfen von dem Blut der Yaki-Frau in mir hatte und in Anspruch nehmen konnte, das erste Ergebnis einer Familienverbindung von Azteca und Mexíca zu sein. Denn ich war von einer Aztéca-Mutter geboren und von Mixtli, dem Mexicatl, gezeugt worden. Vielleicht zögerte der alte Mann, mir das zu sagen, weil er es seiner Enkeltochter überlassen wollte, das Familiengeheimnis entweder zu enthüllen oder zu wahren.
Eigentlich kann ich mir nicht erklären, warum sie es verschwieg. In meiner Kindheit lebten in Aztlan so wenige Menschen und sie waren so eng miteinander verbunden, daß viele gewußt haben müssen, wer mein Vater war. Eine gewöhnliche Frau der Macehuáli-Schicht, die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hätte, wäre wahrscheinlich streng getadelt und möglicherweise bestraft worden. Aber als Schwester des damaligen Tlatocapili und späteren Uey-Tecutli mußte Cuicáni einen Skandal kaum fürchten. Trotzdem ließ sie mich bis zu jenem schrecklichen Tag in der Stadt Mexico in Unwissenheit über meinen Vater. Ich kann nur vermuten, daß sie all die Jahre hoffte, der andere Mixtli werde eines Tages nach Aztlan und in ihre Arme zurückkehren und sich darüber freuen, daß sie einen Sohn hatten.
Um ehrlich zu sein, ich weiß auch nicht, weshalb ich mich weder in meiner Kindheit noch später nach meinem Vater erkundigte. Yeyac und Améyatl hatten einen Vater und keine Mutter; ich hatte eine Mutter, aber keinen Vater. Ich muß mir gesagt haben, daß etwas so Offensichtliches nur normal und allgemein üblich sein konnte. Weshalb sollte ich dann darüber nachdenken?
Meine Mutter machte gelegentlich stolze mütterliche Bemerkungen. »Ich sehe, Tenamáxtli, daß du einmal ein gutaussehender Mann mit ausgeprägten Zügen werden wirst, genau wie dein Vater.« Oder: »Du bist sehr groß für dein Alter, mein Sohn. Aber das war dein Vater auch. Er war viel größer als die meisten Männer.« Doch ich achtete kaum auf solche Äußerungen. Jede Mutter glaubt, ihr Küken werde sich als Adler entpuppen.
Sicherlich würde mich, wenn jemand eine anzügliche Andeutung gemacht hätte, so etwas dazu veranlaßt haben, Fragen nach meinem Vater zu stellen. Doch ich war der Neffe des Herrschers und der Sohn seiner Schwester, die im Palast wohnten, und niemand mit einem Funken Vernunft hätte es gewagt, Mixtzins Unwillen zu erregen. Ich wurde nie von meinen Spielkameraden oder den Kindern in der Nachbarschaft gehänselt. Zu Hause lebten Yeyac, Améyatl und ich in Freundschaft und Eintracht zusammen, fast so als sei ich ihr Halbbruder und nicht ihr Vetter.
Um bei der Wahrheit zu bleiben, war das nur bis zu einem bestimmten Tag der Fall.