12

 

Ich hatte beschlossen, die Stadt Mexico zu verlassen, schon bevor Alonso mir das so drohend nahelegte. Es bestand keine Hoffnung, jemals mit Bewohnern der Stadt ein Heer aufzustellen. Wie Netzlin und jetzt auch Pochotl waren die Männer von den neuen weißen Herren zu abhängig geworden, um sich gegen sie erheben zu wollen. Selbst wenn sie diesen Wunsch gehabt hätten, waren sie inzwischen so kraftlos und unkriegerisch, daß sie nicht einmal den Versuch zur Rebellion wagen würden. Um Männer zu finden, die sich wie ich nicht der Herrschaft der Spanier beugen wollten und kämpferisch genug waren, die Eroberer der EINEN WELT herauszufordern, mußte ich den Weg zurück in den Norden gehen, in die nicht unterworfenen Länder. »Es wäre natürlich schön, wenn du mitkommst«, sagte ich zu Citláli. »Deine wohltuende Nähe und Unterstützung ist für mich wunderbar gewesen …« Ich konnte sehen, daß sie den Tränen nahe war. Mir fehlten angesichts ihrer unverhüllten Gefühle die Worte. Etwas verlegen und unsicher fuhr ich fort: »… deine Nähe, deine Unterstützung und nun ja, alles, was du mir bedeutest. Aber du bist eine Frau und ein paar Jahre älter als ich. Du wirst vielleicht feststellen, daß ich auf dem langen Weg in den Norden für dich zu schnell bin, insbesondere, weil du Ehécatl an der Hand führen mußt.«

»Du gehst also wirklich«, murmelte sie unglücklich.

»Aber trotz allem, was ich dem Notarius gesagt habe, gehe ich nicht für immer. Ich habe vor zurückzukommen. Ich bin zuversichtlich. Ich werde an der Spitze bewaffneter Truppen die Weißen von jedem Feld, aus jedem Wald, jedem Dorf und jeder Stadt, auch aus dieser hier, wegjagen. Allerdings kann das nicht in naher Zukunft geschehen. Deshalb werde ich dich nicht bitten, auf mich zu warten, liebe Citláli. Du bist eine außergewöhnlich hübsche Frau. Du wirst vielleicht einen anderen guten und liebevollen Mann finden, aquin ixnentla?« Sie schwieg und ließ den Kopf sinken. Ich hatte Mühe, nicht selbst traurig zu werden.

»Ehécatl ist inzwischen alt genug. Du kannst sie mitnehmen, wenn du mit deinen Körben zum Markt gehst. Von den Einnahmen aus dem Verkauf kannst du gut leben. Außerdem bleibt dir für Notfälle die Summe, die wir beiseite gelegt haben. Vergiß nicht, ohne mich hast du einen Mund weniger, der gefüttert werden muß …«

Sie unterbrach mich. »Ich würde auf dich warten, liebster Tenamáxtli, ganz gleich, wie lange es dauert. Aber wie kann ich hoffen, daß du jemals zurückkommen wirst? Du setzt dein Leben aufs Spiel.«

»Das wäre hier genauso, Citláli. Auch du hast bereits dein Leben aufs Spiel gesetzt. Wenn man mich bei den Versuchen mit dem Schießpulver erwischt hätte, wärst du mit mir am Pfahl verbrannt worden.«

»Ich würde überall hingehen und alles tun, wenn wir nur zusammenbleiben könnten.«

»Aber da ist Ehécatl …«

»Ja«, flüsterte sie. Plötzlich brach sie in Tränen aus und fragte: »Weshalb beharrst du so entschlossen auf deinem verrückten Plan? Warum kannst du dich nicht mit der Wirklichkeit abfinden, sie anerkennen und ertragen, wie alle anderen auch?«

»Warum?« wiederholte ich fassungslos.

»Ayya, ich weiß, was die Weißen deinem Vater angetan haben, aber …«

»Ist das nicht Grund genug?« schnaubte ich. »Ich kann immer noch sehen, wie er brennt!«

»Gewiß, und sie haben deinen Freund, meinen Mann, erschlagen. Aber was haben sie dir getan, Tenamáxtli? Du bist weder verletzt noch beleidigt worden, abgesehen von den wenigen Worten des Mönchs im Mesón. Von jedem anderen Weißen, dem du begegnet bist, hast du nur Gutes berichtet. Die Freundlichkeit des Notarius Molina und der anderen Lehrer, die dir ihr Wissen vermittelt haben, selbst der Soldat, der deine Suche nach dem Schießpulver ausgelöst hat …«

»Abfälle von ihrem Tisch, von dem reich gedeckten Tisch, der einmal uns gehört hat! Ich weiß nicht, ob mein Tonáli bestimmt, daß ich unserem Volk diesen Tisch wieder zurückgebe. Aber ich bin sicher, es fordert mich auf, den Versuch zu wagen. Ich weigere mich zu glauben, daß ich geboren wurde, um mich mit Abfällen zufriedenzugeben. Deshalb will ich mein Leben wagen.«

Citláli seufzte so tief, daß sie in sich zusammenzusinken schien. Schließlich fragte sie mit tonloser Stimme: »Wie lange werde ich dich noch bei mir haben? Wann willst du gehen?«

»Nicht sofort. Ich werde mich nicht mit gesenktem Kopf und eingekniffenem Schwanz davonschleichen wie ein Hund. Ich will etwas hinterlassen, was die Stadt Mexico und ganz Neuspanien an mich erinnert. Ich denke dabei an etwas, das wir gemeinsam durchführen können.« Ich konnte Citláli im Grunde nicht widersprechen. Ich hatte durch die Spanier niemals Schmerzen, Entbehrungen, Gefangenschaft oder auch nur Demütigungen erlitten. Doch während meiner Jahre in der Stadt hatte ich eine Vielzahl von Menschen meiner Rasse getroffen und gesehen, denen all das widerfahren war. Es gab zum Beispiel die ehemaligen Krieger, denen man das Zeichen ›G‹, und die anderen Sklaven, denen man die Namenszeichen ihrer Besitzer eingebrannt hatte. Da waren die wehrlosen betrunkenen Männer und Frauen, die vor meinen Augen von Wachsoldaten zu Tode geprügelt worden waren. Netzlin war eines dieser Opfer. Ich hatte erlebt, wie das ehemals reine Blut unserer Rasse durch die Bastarde der Spanier und Moros in vielen Abstufungen der Hautfarbe verändert, beschmutzt und entehrt worden war.

Außerdem kannte ich – zu meinem Glück kann ich sagen nicht aus eigener Erfahrung, sondern durch die Berichte der wenigen Männer, denen die Flucht gelungen war – die Schrecken der Obrajes. Das waren riesige, von hohen Mauern umgebene Hallen mit Eisentoren, in denen Baumwolle und Wolle gewaschen, gekrempelt, gesponnen, gefärbt und zu Tuchen gewebt wurde. In diesen Werkstätten der spanischen Corregidores zog man aus der Arbeit verurteilter Verbrecher – natürlich nur Indios – beispiellose Gewinne. Wer von uns gegen die Gesetze verstieß, wurde nicht eingesperrt und zur Untätigkeit verdammt, sondern mußte schmutzige, trostlose und schwere – für einen Mann erniedrigende – Arbeiten verrichten. Die Zwangsarbeiter erhielten keinen Lohn. Sie hatten nur armselige Unterkünfte und durften keinen Augenblick allein sein. Sie wurden schlecht ernährt, kaum gekleidet, konnten sich niemals waschen und durften die Obraje vor Ablauf ihrer Strafe nicht verlassen. Wenige hielten lange genug durch, um das zu erleben.

Die Obrajes machten derartig große Gewinne, daß selbst spanische Bürger solche Werkstätten unter eigener Führung errichteten. Den Besitzern überließ man großzügig staatliche Gefangene als Arbeitskräfte, bis es schließlich nicht mehr genug Gefangene gab. Danach überredeten die Spanier unsere Leute, ihnen ihre Kinder zu übergeben. Die Weißen versprachen den Eltern, die Jungen und Mädchen würden ein Handwerk erlernen, das sie im späteren Leben ausüben könnten. Die Eltern sparten dadurch die Kosten für den Unterhalt ihrer Sprößlinge. Schlimmer war jedoch, daß sich die Äbte und Äbtissinnen christlicher Waisenhäuser, wie das Refugio de Santa Brígida, bereit fanden, die Kinder unseres Volkes, sobald sie alt und verständig genug waren, vor die Wahl zu stellen, entweder das Gelübde abzulegen, Mönch oder Nonne zu werden, oder in einer Obraje zu leben und zu arbeiten. Mischlingswaisen wie Rebeca Canalluza blieb dieses Schicksal erspart, denn das christliche Waisenhaus mußte damit rechnen, daß eines Tages der spanische Elternteil erschien, das Kind anerkannte und zu sich nahm.

Ganz gleich, ob die versklavten Verbrecher zu Recht oder zu Unrecht verurteilt worden waren, bei ihnen handelte es sich um erwachsene Männer. Die zwangsverpflichteten Waisen und ›Lehrlinge‹ waren das nicht. Doch wie die verurteilten Verbrecher wurden diese Jungen und Mädchen nie mehr außerhalb der Tore der Obrajes gesehen. Man zwang sie mitleidslos zu härtester Arbeit, die sie oft nicht lange überlebten. Sie mußten Tag für Tag Erniedrigungen und Schändungen über sich ergehen lassen, die den erwachsenen Männern erspart blieben. Aufseher und Wächter der Obrajes waren nicht die spanischen Besitzer, sondern schlecht bezahlte Moros und Mulatos. Diese Kreaturen stellten ihre Überlegenheit dadurch zur Schau, daß sie die Kinder schlugen und hungern ließen. Sie zwangen die Mädchen zu Ahuilnéma und die Jungen zu Cuilónyotl. Die christlichen Corregidores und Alcaldes, die christlichen Besitzer der Obrajes und die zum Christentum übergetretenen einheimischen Tepisquin steckten bei den Greueln alle unter einer Decke. Die christliche Kirche duldete stillschweigend solche Unmenschlichkeiten. Natürlich dachten die Weißen dabei nur an die Vergrößerung ihrer Macht und ihres Reichtums. Es gab jedoch noch einen anderen Grund, der den Weißen als Vorwand diente, uns zur Zwangsarbeit zu verurteilen. Die Spanier waren der Überzeugung, unser Volk bestehe nur aus faulen Herumtreibern, die nicht arbeiten würden, wenn ihnen nicht Strafen, Hunger oder ein gewaltsamer Tod drohten.

So war es nicht und war es nie gewesen. Früher hatten arbeitsfähige Männer und Frauen auf Befehl ihrer Herren – entweder der ortsansässigen Adligen oder der Verehrten Sprecher – zum Teil schwere körperliche Arbeiten unentgeltlich verrichtet. Häufig handelte es sich um öffentliche Bauvorhaben. In dieser Stadt war es beispielsweise der Bau des Chapultepec-Aquädukts gewesen oder die Errichtung des Großen Tempels von Tenochtitlan. Unser Volk hat solche Arbeiten bereitwillig, ja mit Begeisterung geleistet, denn gemeinsame Arbeit war eine Form der Geselligkeit. Jede übertragene Aufgabe wurde erfüllt, wenn man sie den Menschen nicht als Zwang, sondern als Möglichkeit zur Geselligkeit und als Beitrag zum Allgemeinwohl darstellte.

Die spanischen Herren hätten sich diese Tugend unseres Volkes zunutze machen können. Sie griffen jedoch zu Peitsche und Schwert, zu Gefängnis und Obraje. Bei Ungehorsam oder Rebellion drohten sie den ›Schuldigen‹ mit der Verbrennung am Pfahl.

Ich räume ein, es gab unter den Weißen einige gute und bewundernswerte Männer – zum Beispiel Alonso de Molina und andere, die ich später kennenlernen sollte. Sogar unter den schwarzen Moros fand ich einen, der mein treuer Verbündeter, Freund und Gefährte wurde. Vor allem denke ich an dich, mi querida Verónica. Doch von unserer Begegnung will ich später sprechen. Ich gebe zu, der erhoffte Umsturz, der das Ende der Herrschaft der Spanier bedeuten würde, war zumindest teilweise als persönliche Rache für die Ermordung meines Vaters gedacht. Es mögen bei meinem Plan durchaus auch unedle Beweggründe im Spiel gewesen sein, denn wie jeder junge Mann hätte ich stolz den Beifall der Menge genossen, die mir als dem Helden der Befreiung zujubelte. Falls ich in diesem Kampf sterben sollte, hätte ich mich bei meiner Ankunft in der Nachwelt von Tonatiucan über die ehrenvolle Begrüßung durch alle Krieger der Vergangenheit gefreut. Doch ich behaupte, daß ich in erster Linie alle unsere unterdrückten Völkerschaften befreien und die EINE WELT dem Vergessen entreißen wollte.

Um meinen Auszug aus der Stadt Mexico zu einem denkwürdigen Ereignis zu machen, dachte ich mir einen eindrucksvollen Abschied aus. Ich hatte unter den Spaniern bereits zweimal Unruhe und Bestürzung ausgelöst, doch die Aufregung legte sich wieder, nachdem mehrere Tage lang nichts Beunruhigendes mehr geschah. Nur hin und wieder hielt man verdächtig aussehende Leute auf der Straße an, durchsuchte sie oder zwang sie, sich zu entkleiden. Das geschah jedoch nur im Gebiet der Traza. Ich durfte nicht vergessen, daß der Spion der Kathedrale ständig ein wachsames Auge auf mich hatte. Ich achtete darauf, daß er nie etwas sah, das seine Aufmerksamkeit belohnt hätte.

Als ich Citláli erzählte, was ich vorhatte, lachte sie zustimmend, obwohl sie gleichzeitig in einer Mischung aus Angst und freudiger Erwartung zu zittern begann. Sie erklärte sich dennoch bereit, mir zu helfen. Während ich vier Tonkugeln anfertigte, die so groß waren wie die Bälle beim Tlachtli-Spiel, und mit Schießpulver füllte, weihte ich Citláli in alle Einzelheiten meines Plans ein.

»Das letzte Mal«, sagte ich, »ist es mir nur gelungen, an dem Gebäude der spanischen Soldaten einen schwarzen Fleck auf der Mauer zu hinterlassen. Die Explosion hat einen Tarnemi das Leben gekostet. Diesmal will ich die Pólvora im Innern eines militärischen Gebäudes zünden. Ich bin sicher, es wird dort große Zerstörung anrichten und keine Unschuldigen töten. Zugegeben, es sind immer ein paar Maátime in der Nähe, die sich an die Soldaten verkaufen. Aber solche Frauen sind in meinen Augen nicht unschuldig, wenn sie sich den Weißen hingeben.«

»Denkst du an die Kaserne in der Traza?«

»Nein. Auf der Hauptstraße drängen sich Tag und Nacht viele Leute. Ich denke an ein Gebäude, in dem sich grundsätzlich nur Spanier und die Maátime aufhalten. Du wirst die Polvora-Bälle für mich hineintragen. Es ist die Festung auf dem Heuschreckenberg, wo die spanischen Soldaten ausgebildet werden.«

Citláli rief: »Ich soll die todbringenden Bälle in eine Kaserne tragen? In ein Gebäude voller Soldaten?«

»Vor den Palisaden stehen viele der uralten Bäume. Das Gelände auf dem Heuschreckenberg wird nicht sehr streng bewacht. Ich habe mich vor kurzem einen ganzen Tag lang dort hinter den Bäumen versteckt und unbemerkt von den Wachen alles genau beobachtet. Ich weiß, wie du ungefährdet in die Festung hinein- und wieder herausgehen kannst.«

Sie sagte: »Davon würde ich mich sehr gern selbst überzeugen.«

»Die Tore in den Palisaden stehen immer weit offen. Die Cadetes, wie die Rekruten genannt werden, gehen ebenso wie ihre Ausbilder und gewöhnliche Spanier, die Essen und Vorräte und solche Dinge bringen, ungehindert ein und aus. Am Tor steht nur ein einziger Soldat Wache. Der kümmert sich um nichts. Er hält niemanden an, nicht einmal die Maátime. Vermutlich glauben die Spanier, sie können sich diese Nachlässigkeit leisten, denn welcher Mensch, der bei Verstand ist, würde versuchen, in einer Militärfestung Schaden anzurichten?«

»Wer außer mir, Citláli, der tapfersten aller Frauen?« rief sie scherzhaft. »Tenamáxtli, ich bin nicht bei Verstand, wenn ich das wage.«

»Wenn ich dir alles erklärt habe, wirst du sehen, wie ungefährlich mein Plan ist. Ich kann nicht durch das Tor in der Palisade gehen, ohne angehalten zu werden. Bestimmt würde man mich festnehmen. Aber du kannst es.«

»Soll ich mich als eine Maátitl ausgeben? Ayyo, sehe ich wirklich wie eine Dirne aus?«

»Wohl kaum. Du bist weit hübscher als eine von denen. Du wirst einen Korb mit Früchten tragen und Ehécatl an der Hand halten. Nichts wirkt harmloser als eine junge Mutter, die mit ihrem Kind durch den Wald spaziert.

Wenn dich jemand anspricht, dann behauptest du, eine der Maátime ist deine Cousine. Du willst ihr die Früchte als Geschenk bringen. Oder du sagst, du hoffst, die Früchte an die Rekruten zu verkaufen, weil du das Geld für dein behindertes Kind brauchst.« Noch ehe sie ihren Einwand aussprechen konnte, fügte ich schnell hinzu: »Ich bringe dir genug spanische Worte bei, damit du das sagen kannst. Niemand wird dich aufhalten. Im Innern der Festung stellst du deinen Korb einfach ab und gehst langsam wieder hinaus. Stell ihn möglichst in die Nähe von etwas Brennbarem.«

»Einen Korb mit Früchten? Die Tonbälle sehen nicht nach Früchten aus.«

»Laß mich ausreden. Hier, siehst du? Ich schiebe in die Öffnung dieses einen Balls ein Poquietl, das so lang ist wie mein Unterarm. Ich werde es anzünden, bevor du zum Tor der Kaserne gehst. Die Glut wird eine ganze Weile brauchen, bevor sie den Ball erreicht. Bis dahin bist du mit Ehécatl wieder draußen bei mir. Wenn der eine Ball explodiert, wird er die anderen drei zünden. Das müßte eine gewaltige Explosion geben.« Citláli nickte langsam. »Wenn die Bälle getrocknet und steinhart sind, werde ich sie in einen deiner hübschen kleinen Körbe legen und sie mit Früchten vom Markt zudecken.« Ich machte eine Pause und sagte mehr zu mir als zu Citláli. »Es sollten Coyacapúli-Früchte sein. Ich muß versuchen, welche mit Würmern zu finden.«

»Wie?« fragte Citláli verwirrt.

»Ein persönlicher Scherz, weiter nichts …«Ich lachte beruhigend und fuhr fort: »Coyacapúli-Früchte sind leicht, sie machen den Korb nicht zu schwer. Ich werde ihn bis zur Festung tragen. Am ersten sonnigen Tag verlassen wir drei das Haus und machen einen Ausflug in Richtung Westen über die Insel. Ich trage den Korb, du führst Ehécatl an der Hand …«

Das taten wir ein paar Tage später auch. Wir waren alle drei weiß gekleidet und benahmen uns wie unschuldige und unbekümmerte Spaziergänger. Auf einen Beobachter hätten wir wie eine glückliche Familie gewirkt, die unterwegs war, um irgendwo im Freien an einem hübschen Platz etwas zu essen. Ich vermutete, daß es in der Tat einen interessierten Beobachter gab – den Spion im Dienst der Kathedrale.

Außer dem Korb trug ich unter dem Mantel meine Arkebuse. Ich hatte mir den Schaft unter den Arm geklemmt, so daß sie senkrecht nach unten hing. Das zwang mich, etwas steif zu gehen, aber die Waffe blieb auf diese Weise unsichtbar. Ich hatte sie vorher nach den Anweisungen des jungen Vogelstellers geladen und eine großzügig bemessene Menge Schießpulver, Stoffstückchen und eine Bleikugel in das Rohr gefüllt. Die Katzenpfote hielt einen Splitter Falschgold, und die Waffe brauchte nur eine Prise Pulver auf dem kleinen Cazoleta-Plättchen, um ihr tödliches Geschoß abzufeuern. Ich wußte nicht, wie ich zielen sollte, außer sie irgendwie in die Richtung des Opfers zu halten. Wenn die Arkebuse ihren Dienst tat und mir das Glück günstig gesinnt war, würde meine Bleikugel tatsächlich einen spanischen Soldaten oder Rekruten treffen und verwunden. Ich versuchte, den Spion abzuschütteln, indem ich am Ufer einen Fährmann mit seinem Acáli herbeiwinkte. Ich ließ uns zuerst nach Süden, in Richtung der Blumengärten von Xochimilco bringen – manchmal machen sogar spanische Familien Tagesausflüge dorthin –, bis ich sicher war, daß uns kein anderes Acáli folgte. Dann wies ich den Fährmann an, die Richtung zu ändern, und wir landeten am sumpfigen Ufer des ehemaligen Chapultépec-Parks. Wir stiegen den Hügel hinauf, ohne jemandem zu begegnen, bis das Dach des Castillo vor uns auftauchte. Dann gingen wir geduckt von Baum zu Baum. Schließlich waren wir so nahe, daß wir das Tor und die zahlreichen Menschen sahen, die hineingingen und herauskamen. Ein paar Spanier hielten sich vor dem Tor auf, schlenderten auf und ab oder saßen im Schatten der Palisaden und vertrieben sich die Zeit. Uns hatte bis jetzt niemand bemerkt. Nicht mehr als hundert Schritte vom Tor entfernt erreichten wir endlich den Ahuéhuetl mit dem mächtigen Stamm, den ich bei meinem letzten Besuch ausgewählt hatte, und kauerten uns dahinter.

»Für die Rekruten scheint es ein ganz gewöhnlicher Tag zu sein«, flüsterte ich, während ich die Arkebuse unter dem Mantel hervorzog und neben mir auf die Erde legte. »Ich sehe keine zusätzlichen Wachposten, niemand wirkt besonders aufmerksam. Je schneller wir es tun, desto besser. Seid ihr beide soweit, Citláli?«

»Ja«, antwortete sie mit fester Stimme. »Ich habe es dir nicht gesagt, Tenamáxtli, aber wir waren gestern abend zusammen bei einem Priester der gütigen Göttin Tlazoltéotl. Ich habe alle Missetaten meines Lebens gebeichtet, einschließlich dieser, wenn es eine ist.« Sie sah meinen Gesichtsausdruck und fügte hastig hinzu: »Nur für den Fall, daß etwas schiefgehen sollte. Also gut, wir sind bereit.«

Ich war bei der Erwähnung der Göttin zusammengezuckt, denn üblicherweise ruft man die Unrat-Fresserin nur an, wenn man das Gefühl hat, der Tod sei nahe, um sie dann zu bitten, alle Sünden an sich zu nehmen und zu verschlingen, damit man geläutert und rein in das Leben nach dem Tod eingeht. Doch wenn Citláli sich dadurch besser fühlte …

»Das Poquietl wird eine Rauch- und Geruchsspur hinterlassen, wenn es brennt«, sagte ich, als ich mit Hilfe meiner Kristallinse und eines Sonnenstrahls das Papier entzündete, das etwas aus dem Korb hervorragte. »Aber es weht ein leichter Wind, und deshalb wird man das kaum bemerken. Wenn jemand etwas riecht, wird er sicher denken, ein paar Rekruten hätten mit ihren Büchsen geübt. Und ich wiederhole noch einmal, das Poquietl wird dir genug Zeit lassen, um …«

»Gib mir den Korb«, sagte sie, »bevor ich vor Unruhe oder Feigheit davonlaufe.« Sie nahm den Korb am Henkel und griff nach Ehécatls Hand. »Und gib mir einen Kuß, Tenamáxtli, als … als Unterstützung.« Das hätte ich freudig und liebevoll auch ohne ihre Bitte getan. Sie zögerte und blickte um den Baum herum, bis sie sicher war, daß niemand in unsere Richtung sah. Dann trat sie hinter dem Stamm hervor und trat mit dem Kind an der Hand unbeschwert aus dem dichten Baumschatten in das strahlende Sonnenlicht, als seien sie gerade durch den dichten Wald den Hügel heraufgekommen. Ich ließ sie nur so lange aus den Augen, wie ich brauchte, um eine Fingerspitze Schießpulver auf die Cazoleta meiner Arkebuse zu streuen und die Katzenpfote zu spannen. Doch als ich wieder den Kopf hob, sah ich etwas Beunruhigendes.

Viele der Männer vor dem Tor blickten der hübschen Frau, die sich ihnen näherte, mit einem anerkennenden Lächeln entgegen. Das war nicht ungewöhnlich. Doch dann fiel ihr Blick auf die augenlose Ehécatl, und auf ihre Gesichter trat der Ausdruck ungläubigen Staunens. Die allgemeine Aufmerksamkeit rief auch den Wachposten, der am Tor lehnte, auf den Plan. Er musterte die Näherkommenden, richtete sich auf und trat ihnen in den Weg. Diese Möglichkeit hätte ich voraussehen und Citláli entsprechend vorbereiten müssen.

Sie blieb vor dem Wachposten stehen. Die beiden wechselten ein paar Worte. Ich vermutete, daß der Mann eine Bemerkung von der Art machte: ›Um Gottes willen, was für eine Mißgeburt hast du bei dir?‹ Citláli würde das nicht verstehen und ihm deshalb auch keine sinnvolle Antwort geben können. Wahrscheinlich erwiderte sie so gut sie konnte, was ich ihr beigebracht hatte: daß sie ihre Cousine, eine Maátitl, besuchen wolle oder daß sie Obst verkaufe.

Als die hübsche Frau so dicht vor ihm stand, verlor der Wachposten offenbar das Interesse an ihrer mißgestalteten kleinen Begleiterin. Soweit ich aus meinem Versteck erkennen konnte, grinste er und gab einen Befehl, wobei er drohend die Arkebuse hob. Citláli ließ die Hand des Kindes los und gab zu meiner Verblüffung den Korb Ehécatl. Die Kleine mußte ihn mit beiden Händen tragen. Citláli drehte Ehécatl in Richtung des Tors und gab ihr einen sanften Schubs. Während das Kind folgsam geradewegs auf das offene Tor zuging, hob Citláli die Hände und löste langsam die Knoten, die ihre Huipil-Bluse schlossen. Weder der Wachposten noch die anderen Männer achteten auf das Mädchen, das den Korb durch das Tor trug. Alle Blicke richteten sich auf Citláli. Der Wachposten hatte ihr offensichtlich befohlen, sich für eine gründliche Durchsuchung zu entkleiden. Das stand in seiner Macht, und Citláli tat es langsam und so aufreizend wie nur irgendeine Maátitl, um die Aufmerksamkeit aller von Ehécatl abzulenken, die inzwischen hinter den Palisaden den Blicken entschwunden war. Das war eine Wendung, auf die ich mich nicht vorbereitet hatte. Was sollte ich tun? Von meinen früheren Erkundungen wußte ich, daß sich das Tor der Festung in einer geraden Linie hinter dem Palisadentor befand. Vermutlich würde die kleine Ehécatl hindurchgehen und in das Innere der Festung gelangen. Und was dann? Ich stand inzwischen aufrecht hinter dem Baum, streckte den Kopf weit genug hervor, um das Geschehen beobachten zu können, und betastete unsicher den Gatillo meiner Büchse. Sollte ich jetzt schießen? Ich war in der Tat versucht, ein paar der Weißen zu töten, die sich mit gierigen Blicken um Citláli drängten, die inzwischen von der Hüfte aufwärts nackt war. Ich sah nur ihren wohlgeformten Rücken, doch ich wußte, daß ihre Brüste einen verführerischen Anblick boten. Immer noch langsam und aufreizend begann sie, das Band zu lösen, das ihren Rock hielt. Mir kam es vor – und den grinsenden Zuschauern möglicherweise ebenfalls –, als vergehe eine Ewigkeit, bis der Rock schließlich auf die Erde fiel. Danach brauchte Citláli noch einmal so lange, um ihr Tochómitl-Untergewand aufzuwickeln. Der Wachposten trat einen Schritt näher. Die anderen Männer drängten sich hinter ihm, als Citláli endlich das Tuch fallen ließ und nackt vor ihnen stand.

In diesem Augenblick ertönte irgendwo weit im Innern der Palisade, in der eigentlichen Festung, ein dumpfer Knall, und eine schwarze Rauchwolke stieg auf. Die Männer zuckten zusammen und drängten sich dabei noch näher um Citláli. Doch als es in der Festung noch einmal donnerte und dann ein drittes Mal, drehten sie sich um und starrten mit offenen Mündern auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Die roten Dachziegel der Festung hüpften und tanzten, und ein paar fielen herunter. Das immer noch nachhallende dreimalige Dröhnen war nur ein Vorspiel gewesen, so wie sich der große Vulkan Citlaltépetl vor einem zerstörerischen Ausbruch manchmal drei- oder viermal räuspert. Im nächsten Augenblick flog die Festung mit einer ohrenbetäubenden Detonation in die Luft, die man überall im Tal hören mußte.

Das ganze Dach hob sich von den Mauern und barst in tausend Stücke, so daß die Balken und Ziegel hoch in den Himmel geschleudert wurden. Eine gewaltige gelbrot-schwarze Wolke aus Flammen, Rauch, Funken und nicht erkennbaren Bruchstücken schoß aus dem Innern der Festung empor. In ihrem Sog flogen Menschen und Teile menschlicher Leiber durch die Luft. Ich war sicher, meine gefüllten Pulver-Bälle konnten diese Zerstörung nicht angerichtet haben. Die kleine Ehécatl mußte ungehindert bis zu dem Raum vorgedrungen sein, in dem das Schießpulver der Festung lagerte oder andere leicht entzündbare Vorräte. Der Korb mit meinen Bällen war explodiert, als das Kind an der richtigen Stelle stand. Ich fragte mich flüchtig, ob vielleicht Huitzilopóchtli, unser Kriegsgott, Ehécatl geführt hatte. Der Geist meines toten Vaters? Oder Ehécatls eigenes Tonáli?

Doch ich konnte mich solchen Überlegungen nicht lange hingeben. Als die Trümmer der Festung in die Luft flogen, taumelten und schwankten die Menschen vor den Palisaden, auch der Wachposten und Citláli, als würden sie von schweren Schlägen getroffen. Mehrere Männer verloren das Gleichgewicht und stürzten zu Boden. Citlális Kleider, die auf der Erde gelegen hatten, wurden vom Luftstrom erfaßt und mitgerissen. Ich konnte die Ursache für diese Vorkommnisse nicht erkennen. Doch plötzlich hatte ich den Eindruck, jemand habe mir unvermittelt mit hohlen Händen auf die Ohren geschlagen. Ein mächtiger Windstoß von der Gewalt einer stürzenden Steinmauer traf meinen Ahuéhuetl und alle anderen Bäume in der Umgebung. Laub, Zweige und kleine Äste flogen durch die Luft. Die Mauer aus Wind verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war, aber hätte ich nicht hinter dem Baum gestanden, wäre das Schießpulver von meiner Cazoleta gefegt worden, und ich hätte die Arkebuse nicht mehr verwenden können. Die Männer vor dem Tor fanden ihr Gleichgewicht wieder und starrten voll Entsetzen auf die Verwüstungen hinter den Palisaden, auf die hoch auflodernden prasselnden Flammen und auf die Dinge – Steine, Holz, Waffen und ihre Kameraden –, die buchstäblich vom Himmel regneten. Die Männer, die auf die Erde fielen, standen nicht mehr auf. Sie wurden unter Trümmern begraben, die durch die Wucht der Explosion nach allen Seiten flogen.

Der Wachposten begriff als erster, wer für die Katastrophe verantwortlich war. Er starrte Citláli mit wutverzerrtem Gesicht an. Citláli drehte sich um und rannte in meine Richtung. Der Wachposten zielte mit seiner Büchse auf ihren Rücken.

Ich zielte auf ihn und drückte ab. Meine Arkebuse funktionierte wie erwartet mit einem Knall und einem Rückstoß, der meine Schultern gefühllos werden ließ und mich ein oder zwei Schritte zurückwarf. Ich habe keine Ahnung, wohin meine Bleikugel flog, ob sie den Wachposten traf oder einen der anderen, denn der blaue Rauch meiner Büchse nahm mir den Blick. Doch leider konnte ich nicht verhindern, daß der Wachposten seine Waffe abfeuerte. Citláli rannte auf mich zu. Im nächsten Augenblick wurde ihr ganzer Oberkörper zu einer roten Blüte. Sie stürzte und blieb reglos liegen.

Es gab weder sichtbare noch hörbare Anzeichen für eine Verfolgung, als ich den Hügel hinunter floh. Offenbar war der Schuß aus meiner Waffe ungehört geblieben, so wie ich es im allgemeinen Tumult erwartet hatte. Falls ich tatsächlich jemanden getroffen hatte, nahmen die Überlebenden vermutlich an, die in weitem Bogen durch die Luft fliegenden Trümmerteile der Festung seien dafür verantwortlich.

Am Seeufer blieb ich nicht stehen, um auf ein Acáli zu warten. Ich watete über die Schlammbänke und durch das knietiefe trübe Wasser zurück zur Stadt. Dabei blieb ich im Schutz der Stützpfähle des Aquädukts, damit man mich weder vom einen noch vom anderen Ufer sehen konnte. Nachdem ich die Insel erreicht hatte, mußte ich allerdings eine Weile warten, bevor ich mich unbemerkt unter die Menschenmenge mischen konnte, die sich dort versammelt hatte. Die Leute redeten aufgeregt miteinander und starrten verwundert auf die turmhohe Rauchwolke, die immer noch über dem Heuschreckenberg hing.

Die Straßen waren beinahe menschenleer, als ich in das Viertel San Pablo Zoquipan und zu dem Haus eilte, das Citláli und ich so lange geteilt hatten. Ich bezweifelte, daß mir der Spion der Kathedrale immer noch auf den Fersen war. Er stand bestimmt wie beinahe alle anderen Einwohner der Stadt am See. Aber falls er mir folgte, war ich entschlossen, ihn zu töten.

Im Haus lud ich die Büchse, um für den Notfall bereit zu sein. Dann legte ich mir den Tragegurt mit dem Bündel meiner Habe, das ich klugerweise bereits gepackt hatte, um die Stirn. Sonst nahm ich aus dem Haus nur unsere wenigen Ersparnisse in Form von Kakaobohnen, Kupferblech und den verschiedensten spanischen Münzen mit, sowie den Sack Salpeter, den einzigen Bestandteil des Schießpulvers, der sich möglicherweise schwer beschaffen lassen würde. Aus einem Seil knüpfte ich eine Schlinge für meine Büchse, damit ich sie unauffällig unter dem Bündel und dem Sack tragen konnte. Auf der Straße nahm keiner der Vorübergehenden von mir Notiz. Wenn ich von Zeit zu Zeit zurückblickte, sah ich niemanden, der mir folgte. Ich ging nicht in nördlicher Richtung zur Tepayáca-Dammstraße, über die meine Mutter, mein Onkel und ich vor so langer Zeit in die Stadt Mexico gekommen waren. Falls man Soldaten zu meiner Verfolgung ausschickte, würde der Notarius Alonso, von seinem Gewissen getrieben, bestimmt darauf hinweisen, daß ich mit größter Wahrscheinlichkeit die Richtung nach Aztlan, von dem ich ihm erzählt hatte, einschlagen werde. Deshalb nahm ich den Weg nach Westen und verließ die Stadt Mexico über die Dammstraße, die zur Stadt Tlácopan führt. Als ich dort festen Boden betrat, blieb ich nur so lange stehen, um die geballten Fäuste in Richtung der Stadt zu heben, die meinen Vater und meine Geliebte getötet hatte. Damals schwor ich mir, daß ich zurückkommen und mich rächen werde.

In meinem Leben haben sich viele Dinge ereignet, die mir schwer auf dem Herzen lasten. Citlális Tod gehört dazu. Ich habe viele bedauerliche Verluste erlitten, die leere, nie wieder gefüllte Stellen in meinem Herzen hinterließen. Citlális Tod konnte ich nie verwinden. Ich habe sie als meine Geliebte bezeichnet, und in körperlicher Hinsicht war sie das. Außerdem war sie liebenswert und fürsorglich. Kein Wunder also, daß ich lange untröstlich war und unter dem Verlust litt. Doch in Wahrheit habe ich sie niemals rückhaltlos geliebt. Das wußte ich damals, und ich weiß es heute noch besser, denn zu einer späteren Zeit liebte ich von ganzem Herzen. Selbst wenn ich völlig und bis über beide Ohren in Citlali verliebt gewesen wäre, so hätte ich es doch nie über mich gebracht, sie zu heiraten. Zum einen war sie vor ihrer Beziehung zu mir die Frau eines anderen gewesen. Ich war sozusagen der Zweitbeste. Zum anderen hätte ich, das traurige Beispiel von Orne Ehécatl ständig vor Augen, nie auf eigene Kinder von ihr hoffen können. Ich bin sicher, Citlali war sich meiner Gefühle oder der Unzulänglichkeit meiner Gefühle durchaus bewußt. Doch sie ließ sich niemals auch nur andeutungsweise etwas anmerken. Sie hatte gesagt: ›Ich würde alles tun …‹, und das bedeutete, sie würde für mich sterben, wenn es notwendig sein sollte. Das und noch mehr hatte sie getan. Dadurch, daß sie meinen unvergeßlichen Abschiedsgruß an die Stadt Mexico so erfolgreich überbracht hatte, war ihr und Ehécatl nicht nur meine Dankbarkeit gewiß, sondern auch die der Götter. Ich habe darauf hingewiesen, daß für Ehécatl keine Hoffnung bestanden hätte, der Verdammnis im ewigen Nichts von Míctlan zu entrinnen – und für Citlali ebenfalls nicht, denn sie hatte ein Kind geboren, das mit einem so schweren Makel behaftet war, daß sich jeder unserer Priester geweigert hätte, diese Mißgeburt als Opfer für einen Gott anzunehmen. Doch nun war es Citlali gelungen, beide, Mutter und Kind, zu opfern und gleichzeitig vielen der fremden weißen Männer das Leben zu nehmen. Diese Tat war eines heldenhaften Kriegers würdig und würde mit Sicherheit allen unseren Göttern gefallen. Deshalb war ihr und Ehécatl ein ewiges Leben in Sorglosigkeit und Überfluß gewiß. Ich wußte, sie würden in der Ewigkeit der anderen Welt glücklich sein. Ich hoffte sogar, die Götter würden in ihrer Güte Ehécatl Augen schenken, damit sie die Herrlichkeit des Paradieses sehen konnte, in das sie eingegangen waren.