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Über die letzte Schlacht im ›Mixton-Krieg‹, über unsere Niederlage und das Ende dieses Krieges will ich nur kurz sprechen. Es kam dazu durch meinen eigenen schrecklichen Fehler, und ich schäme mich dessen. Ich unterschätzte wieder einmal, wie ich es bereits bei anderen Feinden und sogar bei einigen Frauen in meinem Leben getan hatte, die Verschlagenheit des Gegners. Und ich bezahle diesen Fehler damit, daß ich hier liege und entweder langsam sterbe oder langsam wieder gesund werde. Ich weiß nicht, ob ich leben oder bald tot sein werde. Es ist mir auch ziemlich gleichgültig. Mein Heer könnte immer noch vollzählig und sicher, gesund, stark und bereit für die nächste Schlacht in den Miztóapan-Bergen liegen, hätte ich es nicht aus diesem Tal herausgeführt.

So, wie wir vorher die Soldaten der spanischen Handelsniederlassung in den Hinterhalt gelockt hatten, so wurden wir dazu gebracht, unseren sicheren Zufluchtsort zu verlassen. Es war das Werk des Vizekönigs Mendoza. Er wußte, daß wir in den Bergen unbesiegbar, ja beinahe unangreifbar waren, und er dachte sich eine List aus, um uns herauszulocken, indem er uns Aguascalientes sozusagen als fette Beute anbot.

Ich gebe meinen Kundschaftern, die diese Stadt entdeckt hatten, keine Schuld. Sie sind inzwischen tot wie so viele andere auch. Aber ich zweifle nicht daran, daß der spanische Reiter, dem sie in die Stadt folgten, eine Rolle in Mendozas Plan spielte.

An jenem schicksalhaften Tag nahm ich mein ganzes Heer mit mir und ließ nur die Sklaven und Männer im Tal zurück, die zu alt oder zu jung waren, um zu kämpfen. Die Stadt lag drei Tagesmärsche entfernt. Aber bereits bevor wir sie zu Gesicht bekamen, hatte ich den Verdacht, daß etwas ungewöhnlich war. Wir kamen an militärischen Vorposten vorüber, doch sie waren nicht besetzt. Als wir uns der Stadt näherten, wurden wir nicht vom Dröhnen der Donnerrohre begrüßt. Ich schickte meine Späher aus, die sich vorsichtig in der Stadt umsahen, aber sie hörten keine Soldaten, keine klappernden Pferdehufe, nichts. Sie kamen zurück, zuckten ratlos die Schultern und meldeten, es befinde sich offenbar kein Mensch in der Stadt. Es war eine Falle!

Ich drehte mich im Sattel um und rief: »Zurück!« Doch es war zu spät. Jetzt hörten wir die Arkebusen überall um uns herum. Wir waren bereits von Mendozas Soldaten und ihren Verbündeten, den Indios, eingekreist. Natürlich schlugen wir zurück und ergaben uns nicht einfach. Die Schlacht tobte den ganzen Tag, und auf beiden Seiten starben viele Hunderte. Ich habe an anderer Stelle gesagt, daß jede Schlacht ein gewaltiger Aufruhr, ein Blutrausch und ein Durcheinander ist. So kann es nicht verwundern, daß manche Krieger auf eigenartige Weise starben.

Meine Ritter Nochéztli und Pixqui wurden von Kugeln unserer eigenen Arkebusen-Schützen getroffen, die ihre Waffen zu sorglos gebrauchten. Auf der anderen Seite verlor Pedro de Alvarado, einer der ersten Eroberer der EINEN WELT und der einzige, der immer noch an Kämpfen teilnahm, das Leben, als er vom Pferd stürzte und das Schlachtroß eines anderen Spaniers ihn zertrampelte.

Mendozas Streitmacht und mein Heer waren in Hinblick auf Männer und Bewaffnung ziemlich gleich stark. Deshalb hätte es eigentlich zu einer regelrechten Feldschlacht kommen müssen, aus der die Tapfersten, die Stärksten und Geschicktesten als Sieger hervorgingen.

Doch wir verloren aus einem bestimmten Grund. Meine Männer griffen mutig jeden weißen Soldaten an, der ihnen über den Weg lief. Aber mit Ausnahme der Yaki brachten sie es nicht über sich, Männer ihrer Rasse – die Mexíca, Texcaltéca und andere, die auf Mendozas Seite kämpften, zu erschlagen. Im Gegensatz dazu zögerten diese Verräter unserer Rasse, die sich natürlich um die Gunst ihrer spanischen Herren bemühten, keinen Augenblick, uns abzuschlachten.

Mich traf ein Pfeil in die rechte Seite. Er stammte mit Sicherheit nicht von einem Spanier. Soweit ich weiß, kam er von einem meiner unbekannten Verwandten. Einer unserer Wundärzte riß den Pfeil heraus – das war schmerzhaft genug – und bestrich die offene Wunde mit ätzendem Xocóyatl. Das verursachte mir noch sehr viel stärkere Schmerzen, so daß ich tatsächlich nicht gerade heldenhaft laut aufschrie. Der Wundarzt konnte nicht mehr für mich tun, denn im nächsten Augenblick stürzte er, von der Kugel einer Arkebuse getroffen, tot zu Boden. Als es schließlich Nacht wurde, trennten sich unsere Heere oder was davon übriggeblieben war. Die Krieger unseres zersprengten Haufens, die Pferde hatten, zogen sich überstürzt in westlicher Richtung zurück.

Ponzonáli, einer der wenigen Überlebenden, dessen Namen ich kannte, fand Verónica auf dem Hügel, von dem aus sie das brutale Gemetzel beobachtet hatte, und nahm sie mit, als wir uns eilig auf den Rückweg zu unserer Zuflucht in den Bergen machten. Die Schmerzen in meiner Seite waren so qualvoll, daß ich mich kaum im Sattel halten konnte. Deshalb hatte ich an diesem Abend nicht die Kraft, mir Sorgen darüber zu machen, ob wir verfolgt wurden oder nicht. Falls Verfolger hinter uns her waren, so holten sie uns nicht ein. Drei Tage später, für mich drei Tage schrecklicher Schmerzen – und meine Verwundung war durchaus nicht die schlimmste –, erreichten wir die Berge und suchten uns einen Weg durch die Schluchten. Dabei verirrten wir uns häufig, denn uns fehlte der erfahrene Ritter Pixqui als Führer. Von Hunger und Durst, von Erschöpfung und Blutverlust geschwächt, fanden wir schließlich unser Tal.

Ich habe nicht einmal versucht, die Überlebenden der Schlacht von Aguascalientes zu zählen, obwohl ich das vermutlich ohne die Fähnchen und Bäumchen und Punkte hätte tun können, die Zahlen bezeichnen. Mehrere, die es hierher geschafft haben, sind inzwischen ihren Verletzungen erlegen, denn es gibt keine Wundärzte, die uns behandeln könnten. Sie liegen alle wie die vielen Hunderte unserer Krieger tot vor der Stadt der Heißen Quellen.

Ein Yaki-Tícitl ist noch am Leben. Er hat freundlicherweise angeboten, für mich zu tanzen und zu singen, doch ich wäre lieber nach Mictlan verdammt, als mich dieser Art Behandlung zu unterziehen. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß sich meine Wunde allmählich entzündet. Sie ist grün geworden und eitert. Ich glühe vor Fieber, dann wieder zittere ich vor Kälte und falle im nächsten Augenblick in ein Delirium, so wie damals im offenen Acáli auf dem Westmeer.

Verónica pflegt mich aufopfernd und liebevoll, so gut sie kann. Sie legt heiße Kompressen auf die Wunde und behandelt sie mit den Säften verschiedener Bäume und Kakteen, die ihr von den Alten im Lager empfohlen wurden. Doch das alles hat keinen sichtbaren Erfolg. In einem Augenblick der Klarheit hast du gefragt, Verónica: »Was tun wir jetzt, Herr?«

Ich versuchte, unerschütterlich und zuversichtlich zu klingen, als ich erwiderte: »Wir bleiben hier und lecken unsere Wunden. Etwas anderes können wir kaum tun. Hier sind wir wenigstens vor Angriffen sicher. Ich kann keine weiteren Pläne machen, solange diese verwünschte Wunde nicht verheilt ist. Dann werden wir sehen.« Sie nickte stumm, und um sie zu trösten, sagte ich leise: »Inzwischen habe ich nachgedacht. Deine Chronik des Mixton-Krieges, wie die Spanier ihn nennen, beginnt mit der Zerstörung von Tonalá. Mir ist eingefallen, daß es für künftige Geschichtsschreiber der EINEN WELT vielleicht von Nutzen sein könnte, wenn ich von früheren Ereignissen berichte, davon, wie alles angefangen hat. Würde es deine Geduld auf eine harte Probe stellen, Verónica, wenn ich dir mehr oder weniger mein ganzes Leben erzähle, damit du es aufzeichnest?«

»Selbstverständlich nicht, Herr. Ich bin nicht nur da, um Euch zu dienen, sondern ich wäre … sehr daran interessiert, die Geschichte Eures Lebens zu hören.« Ich dachte eine Weile nach. Wo sollte ich beginnen? Dann lächelte ich, so gut ich konnte, und flüsterte: »Ich glaube, Verónica, ich habe dir den Anfangssatz der Chronik schon vor langer Zeit gesagt.«

»Das glaube ich auch, Herr. Ich habe diesen Satz aufbewahrt, und er ist immer noch hier.« Du hast in deinen Papieren gesucht, ein Blatt herausgezogen und laut vorgelesen: »›Ich kann immer noch sehen, wie er brennt. ‹«

»Ja«, sagte ich und seufzte. »Kluges, liebes Mädchen. Fangen wir damit an.«

Ich weiß nicht, über wie viele Tage hinweg ich all das berichtet habe, was du bisher aufgeschrieben hast, auch wenn ich manchmal im Delirium unverständlich rede oder vor Qual verstumme.

Schließlich sagte ich: »Ich habe dir alles erzählt, woran ich mich erinnern kann, selbst wenn es sich um belanglose Unterhaltungen und Vorfälle handelte. Vermutlich ist es trotzdem nur ein trockener Bericht.«

»Nein, lieber Herr. Seit wir zusammen sind, habe ich ohne Euer Wissen Aufzeichnungen über Eure beiläufigsten Bemerkungen und meine Beobachtungen über Euch, Eurer Wesen und Euren Charakter gemacht. Denn um die Wahrheit zu sagen, ich habe Euch bereits geliebt, Herr, als ich noch nicht wußte, daß Ihr mein Vater seid. Mit Eurer Erlaubnis werde ich meine Beobachtungen in die Chronik einflechten. Das wird dem nackten Gerippe etwas Fleisch geben.«

»Tu das, mein Kind. Du bist die Chronistin, und du weißt es am besten. Wie dem auch sei, du weißt jetzt alles, was es zu wissen gibt, und alles, was irgendein Geschichtsschreiber wissen muß.«

Nach einer Pause fuhr ich fort: »Du weißt jetzt auch, daß du in Aztlan eine Verwandte hast. Wenn ich mich jemals von diesem fürchterlichen Fieber und der Schwäche erhole, werde ich mit dir dorthin gehen. Ich zweifele nicht daran, daß Améyatzin dich und Ponzonáli herzlich willkommen heißen wird. Ich hoffe, mein Kind, du wirst den jungen Mann heiraten. Die Götter haben ihn in der letzten Schlacht beschützt, und ich glaube wirklich, sie haben ihn nur deinetwegen gerettet.« Meine Gedanken begannen wieder zu wandern, doch ich fügte mit letzter Kraft hinzu: »Von Aztlan könnten wir vielleicht weitergehen … zu den Inseln der Frauen. Ich war dort glücklich … sehr glücklich …«

»Ihr seid müde, mein Herr und Vater. Und Ihr habt durch das viele Reden in diesen Tagen Eure Kräfte verausgabt. Ich finde, Ihr solltet Euch jetzt ausruhen.«

»Ja …«, erwiderte ich mühsam. »Aber ich will doch noch etwas sagen, und das schreibst du bitte an das Ende deiner Chronik.«

Es lag mir sehr am Herzen, diesen Bericht nicht nur mit dem Tod und dem Sterben enden zu lassen. Im Delirium hatte ich oft die Vision des Paradieses vor mir, das, wenn es nach meinem Willen gegangen wäre, hier in der EINEN WELT hätte entstehen können. Meine Schmerzen riefen mich meist schnell wieder ins Bewußtsein zurück, und da erkannte ich, daß die Welt kein Paradies sein konnte. In dieser Hinsicht schien ich noch immer wie ein kleiner Junge zu sein, der nicht alt und erwachsen werden wollte. Ich überlasse es den Geschichtsschreibern und den Lesern, darüber nachzudenken. Das eine weiß ich jedoch, die Stärke des Feindes, und selbst seine Verschlagenheit, entspricht der eigenen Schwäche. Wer sie nicht überwindet, wird so leiden müssen wie ich. Bei diesem Gedanken mußte ich lächeln, und ich fand plötzlich die Kraft, meiner Tochter Verónica das zu sagen, was meinem Wunsch für die Zukunft entsprach, auch wenn es die EINE WELT dann nicht mehr geben sollte.

»Unser Mixton-Krieg ist verloren, und das mit Recht. Ich hätte ihn nie beginnen sollen.«

Du wolltest etwas sagen, aber ich bat dich, zuzuhören und zu schweigen.

»Seit dem Tag der Hinrichtung deines Großvaters Mixtli habe ich die Fremden unter uns gehaßt und mich ihnen widersetzt. Doch im Laufe der Zeit habe ich viele dieser Fremden kennengelernt und bewundert … den weißen Alonso, den schwarzen Esteban, den Pater Quiroga, deine Mulattenmutter Rebeca und schließlich dich, meine liebe Tochter, in der sich das Blut so vieler verschiedener Völker mischt. Jetzt erkenne ich, daß dein hübsches Gesicht, Verónica, das neue Gesicht der EINEN WELT ist. Und ich finde mich damit ab, ja, ich bin sogar stolz darauf. Ich wünsche dir, deinen Söhnen und Töchtern und der EINEN WELT ein Leben, das uns Menschen, die wir die Auserwählten der Götter sind, Würde, Ehre und Glück schenkt.«