~Cassandra~

Früh am Morgen erwachte Cassandra. Sie hatte sich wieder völlig den Zeiten der Jäger angepasst und nicht mehr ausgeschlafen, seit sie James verlassen hatte.

Vorsichtig befreite sie sich aus James‘ Umklammerung und stand auf. Ihr Blick wanderte durch den Raum.

Es kam ihr so bekannt vor und doch war es fremd. Wochen lagen zwischen ihrem letzten Aufenthalt und diesem.

Zum wiederholten Male waren all ihre Waffen zurückgeblieben und Cassandra wollte sie holen. Cassandra zog ihre Kleider an, dass die Corsage am Rücken zerrissen war störte sie nicht weiter. James murmelte etwas und sie sah ihn an, noch immer schlief er. Aufatmend zog sie ihre Stiefel an und verließ ihr Gemach.



Der Geruch des Frühstücks war schon von weitem verführerisch und Cassandra ging dem Duft von gebratenem Speck, Eiern, Würsten und allerlei anderen Köstlichkeiten nach. Sie hörte ihre Mitstreiter schon laut miteinander diskutieren, dass man diese Werwölfe umgehend finden müsse.

Guten Morgen die Herren“, grüßte sie die neun Jäger, als sie den Speisesaal betrat, und nahm an der Tafel Platz.

Guten Morgen Lady Cassandra“, sagten sie vereinzelt und sahen sie an.

Sie beachtete sie nicht und lud sich eine großzügige Portion auf ihren Teller. Die Augen der Jäger wurden größer, selten hatten sie Cassandra eine solche Menge essen sehen, wie jetzt.

Hungrig?“, fragte Caith mit hochgezogenen Augenbrauen.

Wie ein Wolf“, erwiderte Cassandra mit halbvollem Mund und aß weiter.

Der Rest des Frühstücks verlief schweigend. Xaido saß ihr gegenüber und musterte sie eindringlich.

Ich werde gleich noch einmal zum Gasthaus reiten, um meine Waffen und meine Kleider zu holen. Ich werde gegen Mittag zurück sein“, ergriff Cassandra das Wort, als Esra und Margret das benutzte Geschirr abräumten.

Ich werde dich begleiten“, meinte Xaido, während die anderen Männer nickten.

Sehr gut, dann kannst du mir tragen helfen“, erwiderte sie und erhob sich von der Tafel.

Außerdem können wir so gemeinsam auf einem Pferd reiten, denn meines ist noch im Stall des Gasthauses“, fuhr sie fort und wandte sich zur Tür. James stand dort und nickte ihr zu.

Guten Morgen Herrschaften. Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen“, sagte er und betrat den Speisesaal.

Ja vielen Dank, Graf Avabruck“, erwiderte Hernan.

Xaido folgte Cassandra hinaus und wusste nicht recht, wie er beginnen sollte. Er würde warten bis sie auf dem Ross saßen oder im Gasthaus ihre Habseligkeiten holten, um sie auf die vergangene Nacht und ihren Bericht anzusprechen. Schnell hatte der junge Jäger sein Pferd gesattelt und war aufgestiegen, Cassandra reichte ihm die Hand und mit Schwung hatte er sie hochgezogen. Wiehernd setzte sein brauner Hengst sich in Bewegung und sie ritten davon. Die Jägerin hielt sich an ihrem Mitstreiter fest, hatte ihn mit ihren Armen umschlungen, damit sie nicht herunterfiel.

Hast du letzte Nacht gut geschlafen?“, fragte Xaido beiläufig.

Ja, wie ein Stein. Nach dem Erlebnis ist das kein Wunder“, antwortete sie.

Das glaube ich gern. Ich wollte noch einmal nach dir sehen, hörte aber, dass der Graf dich in deinem Gemach aufgesucht hatte“, fuhr er fort.

Cassandra versteifte sich etwas.

Der Graf hatte sich nach meinem Befinden erkundigt“, erwiderte sie.

Ich hörte mit an, dass du wohl schon früher auf seinem Anwesen warst“, meinte Xaido kühl und fragte: „Wann warst du das letzte Mal dort?“

Nach meiner Flucht vor den Dieben. Ich war verletzt und bat ihn für eine Nacht um Asyl“, log sie ihren Mitstreiter an.

Cassandra ich bitte dich, du weißt genauso gut wie ich, dass das ein Lügengespinst ist“, herrschte Xaido sie an.

Schon gut, es war eine Lüge. Er rettete mich vor den Straßenräubern nachdem sie alle Männer abgeschlachtet hatten und gab mir Obhut, damit ich mich erholen konnte. Ich verschwieg dem Rat diesen Umstand, um dem Grafen unangenehme Fragen zu ersparen“, sagte sie und sprach nur die halbe Wahrheit aus.

Liebst du ihn?“, fragte Xaido ohne Umschweife.

Nein“, erwiderte Cassandra sofort und war froh, dass das Wirtshaus bereits zu sehen war.

Ihrer beider Schweigen war beklemmend, doch Cassandra wollte nicht mit ihm sprechen.

Würde er den anderen Jägern von dieser Tatsache berichten, würde er sie in große Erklärungsnot bringen. Vor dem Gasthaus kam der Hengst zum Stehen und Xaido sprang ab. Auch Cassandra schwang sich hinab und ging auf die Tür zu, die nur noch halb in den Angeln hing. Unbehagen machte sich in ihr breit.

Sie war völlig unbewaffnet, scheinbar schien Xaido es zu spüren, denn er reichte ihr eine seiner Silberklingen.

Bewaffnet begaben die Jäger sich in das Gasthaus und erst jetzt konnte Cassandra erkennen, dass viel mehr Menschen umgekommen waren, als bloß die Wirtin.



Bei Gott“, sagten sie leise und sahen sich um.

Überall lagen abgetrennte Gliedmaßen herum und das Blut war stellenweise bis an die Decke gespritzt.

Sie sind alle tot“, sagte Cassandra, hoffte aber darauf noch einen Lebenden unter den Toten zu finden.

Wenn noch jemand lebt haben er oder sie großes Glück, dass letzte Nacht kein Vollmond war“, erwiderte Xaido und ging durch den Gastraum, um sich zu überzeugen, dass es keine Überlebenden gab. Cassandra wartete an der Tür auf ihn und sah ihn an.

Sie sind alle tot“, sagte er bedauernd. Gemeinsam stiegen sie die Stufen zum Dachzimmer empor, um Cassandras Habseligkeiten zu holen.

Überall stank es nach den Leichnamen und geronnenem Blut.

Sie beeilten sich mit dem einpacken ihrer Kleider und Waffen. Sie hatten sich noch einmal umgesehen und den Dorf Arzt informiert, bevor sie miteinander zurück zu James‘ Anwesen ritten. Glücklicherweise war Athene unversehrt geblieben.

~James~

James hatte den gesamten Vormittag in seinem Schreibzimmer verbracht und mehrmals einen Blick aus dem Fenster geworfen. Seine Sorge galt Cassandra, er hatte Angst, dass die letzte Nacht eine einmalige Sache war und sie keine Nähe mehr zu ihm wünschte. Er hatte das Glasfenster geöffnet und hörte, wie sich Pferde näherten. Zwei an der Zahl.

Immer wieder hatte sein übersinnliches Gehör ihm geholfen und nun atmete er auf, weil sie zurückkehrte. Ebenso gut hätte Cassandra auch in ein anderes Gasthaus gehen können, doch nun blieb sie, war greifbar für ihn. James konnte kaum fassen, wie sehr er sich nach dieser kurzen Zeit in sie verliebt hatte.

Er sah die beiden Jäger auf ihren Rössern. Athene hatte er ganz vergessen, aber was war ein Pferd verglichen mit der Liebe, man konnte es nicht vergleichen.

Sein Herz machte einen Sprung, als er Cassandra auf dem Rücken der Stute sah. Sie war so eine anmutige und starke junge Dame.

James hörte mit an, wie Esra ihnen die Tiere abnahm und anbot Cassandras Gepäck ins Haus zu bringen, doch sie hatte es abgelehnt.

Wie es sich anhörte, ging sie gleich zurück in ihr Gemach um die Taschen dort abzustellen. Sicherlich hatte sie Silberklingen dabei und auch ihre Mitstreiter.

Beim nächsten Vollmond würde er sich in Acht nehmen müssen und gemeinsam mit Caleb fernab von Avabruck die Verwandlung geschehen lassen. Jedoch hörte James auch Schritte, die sich seinem Schreibzimmer näherten. Der Graf schloss das Fenster. Es klopfte an der Tür.

Herein“, bat James laut und der Jäger Xaido Barross betrat den Raum.

Guten Tag Mr. Barross“, grüßte James den Monsterjäger.

Guten Tag Graf Avabruck“, erwiderte Xaido den Gruß und schloss die Tür hinter sich.

Was kann ich für Euch tun?“, fragte der Graf und nahm an seinem Schreibtisch Platz.

Der Jäger zog ein blutiges Taschentuch hervor und reichte es James, der es skeptisch ansah.

Das Blut ist meines“, sagte Xaido und fuhr fort: „Aber vielleicht könnt Ihr mir sagen, von wem es ist. Die Initialen M.P. haben meine Neugier geweckt.“

Das wird das Taschentuch von Mira sein, sie ist Margrets Tochter und vor einigen Wochen abgereist“, erklärte James.

Der Jäger nickte und musterte den Grafen.

Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“, fragte der Graf freundlich.



Es interessiert mich, woher Ihr Lady Cassandra kennt“, antwortete Xaido ruhig.

James sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

Ich denke, dass dieser Umstand, woher Lady Cassandra und ich uns kennen, Euch nicht zu interessieren hat. Denn sie ist eine erwachsene Dame und hat ein Recht auf ihre Privatsphäre“, sagte James bestimmt.

Der Graf war aufgebracht wegen der Frechheit, die dieser Jäger sich erlaubt hatte.

Nun, Lady Cassandra und ich sind sehr gute Freunde, sicher hätte sie nichts dagegen, wenn Ihr mir von diesem Umstand, wie Ihr es nennt, berichtet“, widersprach Xaido.

Dann solltet Ihr Lady Cassandra danach fragen und nicht mich“, konterte James spitz.

Wenn ich Euch nun bitten darf zu gehen. Ich habe noch einiges an Schreibarbeit zu erledigen“, sagte James und deutete auf die Tür.

Mit verkniffenem Gesicht erhob Xaido Barross sich und verließ das Schreibzimmer des Grafen.

Der Graf schenkte sich ein Glas Whiskey ein und lehnte sich in seinem Ohrensessel zurück. Dieser Geck war eine Zumutung und James fragte sich, wie Cassandra mit einem solchen Herrn befreundet sein konnte. Es war eine Unverschämtheit des Jägers gewesen, diese Frage zu stellen und auch noch eine Antwort zu verlangen.

Esra!“, rief er und klingelte mit dem kleinen Glöckchen, damit sein Butler zu ihm kam.

Es dauert nur wenige Augenblicke und er erschien.

Ihr habt geläutet Herr?“, fragte er.

Ja, bittet Caleb zu mir“, wies er ihn an und Esra entfernte sich nickend.

Es vergingen einige Minuten bis sein Freund das Schreibzimmer betrat und James ansah.

Du wolltest mich sehen?“, fragte Caleb neugierig.

Ja, dieser Jäger. Xaido Barross stellt unangenehme Fragen und ich möchte, dass du ihn im Auge behältst. Außerdem sind diese Jäger auf der Jagd nach zwei Werwölfen, was für uns heißt, dass wir vor dem nächsten Vollmond abreisen und fernab Avabrucks die Verwandlung über uns ergehen lassen müssen“, antwortete James.

Das war mir bereits bewusst, James und garantiert werde ich diesen Jäger im Auge behalten“, sagte Caleb und lächelte ihn an.

Würdest du mir deine Herzensdame vorstellen? Es war mir unmöglich euch beide letzte Nacht zu überhören“, neckte er seinen Gastgeber.

James schüttelte amüsiert den Kopf.

Natürlich werde ich dir Cassandra vorstellen, aber nicht, solange die anderen Jäger im Haus sind. Außerdem möchte ich dich bitten ihr gegenüber solche Anspielungen zu unterlassen, denn sie ist eine ehrenhafte Dame“, sagte James grinsend.

Ich werde sie sicherlich nicht verärgern oder necken“, lächelte Caleb und fragte: „Hast du noch eine Bitte?“

Der Graf nickte.

Wir müssen noch einmal in die Wälder, um Mira zu suchen und ich sah, dass es zwei Werwölfe sind. Wer weiß, ob sie nicht schon jemanden verwandelt oder Hilfe von Tariya hat.“

Heute Abend?“, fragte Caleb.

Heute Abend!“, nickte James.