31

Detective Barrott hatte mir aus einem bestimmten Grund vor der Wohnung aufgelauert. Er wollte den Zettel, den Mack in die Kollekte geschmuggelt hatte. Ich hatte ihn zu den Unterlagen über Mack im Büro meines Vaters gelegt. Ich lud Barrott ein, mit mir nach oben zu kommen, und er folgte mir in die Wohnung.

Ich war absichtlich unhöflich, ließ ihn im Eingangsflur stehen, während ich den Zettel holen ging. Er lag immer noch in dem Plastikbeutel. Ich nahm ihn heraus und untersuchte ihn. Zehn Wörter in Großbuchstaben. »ONKEL DEVON, SAG CAROLYN, SIE SOLL NICHT NACH MIR SUCHEN.«

Wie konnte ich sicher sein, dass Mack diese Wörter ausgedruckt hatte?

Der Zettel war anscheinend aus einem größeren Blatt Papier ausgeschnitten worden. Als ich ihn Barrott am Montag gezeigt hatte, war sein Interesse nicht besonders groß gewesen. Er sagte, dass ihn mindestens ein Gottesdiensthelfer, mein Onkel, meine Mutter und ich selbst in der Hand gehabt hätten. Ich erinnerte mich nicht, ob ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn auch Elliott gezeigt hatte. Bestand überhaupt noch eine Chance, dass Fingerabdrücke von Mack darauf waren?

Ich steckte ihn zurück in den Plastikbeutel und brachte ihn zu Barrott. Er sprach gerade in sein Handy. Als er mich kommen sah, beendete er das Gespräch. Ich hatte gehofft, dass er einfach den Zettel an sich nehmen und gehen würde, doch er sagte: »Ms. MacKenzie, ich muss Sie sprechen.«

Hoffentlich gelingt es mir, ruhig zu bleiben, dachte ich, während ich ihn ins Wohnzimmer führte. Ich bekam weiche Knie, also setzte ich mich in den breiten Queen-Anne-Ohrensessel, den Lieblingsplatz meines Vaters. Ich warf einen Blick auf sein Porträt, das meine Mutter hatte malen lassen und das immer noch über dem Kamin hing. Der Sessel stand dem offenen Kamin gegenüber, und Dad pflegte scherzhaft zu sagen, dass er immer nur sich selbst bewunderte, wenn er darin saß. »Mein Gott, Liv, schau dir doch mal diesen gut aussehenden Teufelskerl dort an«, sagte er dann. »Wie viel hast du dem Maler zusätzlich gezahlt, damit er mich so großartig hat aussehen lassen?«

Es gab mir irgendwie Mut, in Dads Sessel zu sitzen. Detective Barrott nahm auf der Couch Platz, ohne sich anzulehnen, und blickte mich unverwandt an. »Ms. MacKenzie, mir wurde soeben mitgeteilt, dass ein Aaron Klein aus Darien, Connecticut, bei uns im Büro angerufen und behauptet hat, Ihr Bruder sei derjenige, der seine Mutter vor neun Jahren ermordet hat. Er sagte, er hätte immer das Gefühl gehabt, ihr Mörder hätte es darauf abgesehen, etwas aus ihrer Wohnung zu entwenden. Er ist nunmehr überzeugt, dass es die Tonbänder waren, auf denen Ihr Bruder zu hören ist. Er sagte auch, Sie hätten die Absicht gehabt, ihm ein Tonband vorzuspielen. Haben Sie dieses Band bei sich?«

Ich fühlte mich, als ob er mir eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet hätte. Mir war sofort klar, was für einen Eindruck dieses Band auf ihn machen würde. Er und alle anderen im Büro der Staatsanwaltschaft würden davon überzeugt sein, dass Mack in großen Schwierigkeiten gesteckt und sich Esther Klein gegenüber offenbart hatte. Ich umklammerte die Lehnen des Ohrensessels. »Mein Vater war Anwalt, genau wie ich«, sagte ich, »und bevor ich noch etwas dazu sage oder Ihnen irgendetwas übergebe, werde ich einen Anwalt zurate ziehen.«

»Ms. MacKenzie, lassen Sie mich Ihnen Folgendes sagen«, sagte Barrott. »Wir wissen, dass Leesey Andrews am Samstagmorgen noch gelebt hat. Es gibt im Moment nichts Wichtigeres, als sie zu finden, falls es dafür nicht schon zu spät ist. Sie haben sicherlich in den Nachrichten gehört, dass sie ihren Vater vor zwei Tagen angerufen hat, um ihm zu sagen, sie würde ihn wieder an Muttertag anrufen. Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass es wohl kaum ein Zufall sein kann, dass sie der Vorgehensweise Ihres Bruders folgt oder dass sie dazu gezwungen wird, ihr zu folgen.«

»Es war kein Geheimnis, dass Mack immer an Muttertag angerufen hat«, protestierte ich. »Viele Leute wussten davon. Zwei Jahre nach Macks Verschwinden schrieb ein Reporter einen Artikel über ihn, in dem das erwähnt wurde. Außerdem steht das alles auch im Internet; jeder hat die Möglichkeit, sich darüber zu informieren.«

»Es steht aber nicht im Internet, dass nach dem Mord an der Schauspiellehrerin Ihres Bruders sämtliche Bänder mit seiner Stimme aus ihrer Wohnung gestohlen wurden«, gab Barrott zurück. Er warf mir einen strengen Blick zu. »Ms. MacKenzie, falls es irgendetwas auf diesem Band gibt, das uns in irgendeiner Weise weiterhelfen könnte, Ihren Bruder zu finden, dann sollte Ihr Gefühl für Anstand Sie dazu bewegen, es mir jetzt auszuhändigen.«

»Ich werde Ihnen das Band nicht geben«, sagte ich. »Aber ich schwöre Ihnen, dass nichts darauf ist, was Ihnen irgendeinen Hinweis auf Macks Aufenthaltsort geben könnte. Ich werde Ihnen sogar noch mehr verraten. Die Aufnahme dauert nicht länger als eine Minute. Mack sagt ein paar Worte zu seiner Lehrerin und beginnt dann eine Gedichtpassage von Shakespeare zu rezitieren. Das ist alles.«

Ich hatte den Eindruck, dass Barrott mir glaubte. Er nickte. »Falls Sie irgendetwas von ihm hören«, sagte er, »oder falls Ihnen doch noch etwas einfällt, was uns bei unserer Suche nach ihm helfen könnte, dann sollte Ihnen immer bewusst sein, dass das Leben von Leesey Andrews sehr viel wichtiger ist als jeder Versuch, Ihren Bruder zu schützen.«

Als Barrott gegangen war, tat ich das, was keinen weiteren Aufschub duldete. Ich rief Aaron Kleins Chef Elliott Wallace an, den besten Freund meines Vaters, meinen Nennonkel und möglicherweise den zukünftigen Mann meiner Mutter. Ich gestand ihm, dass ich unsere Verabredung, sich an Macks Wunsch zu halten, gebrochen und damit meinen Bruder zu einem Verdächtigen sowohl in einem Mord- als auch in einem Entführungsfall gemacht hatte.

Warte, bis du schlaefst
cover.html
e9783641100681_cov01.html
e9783641100681_toc01.html
e9783641100681_fm01.html
e9783641100681_fm02.html
e9783641100681_c01.html
e9783641100681_c02.html
e9783641100681_c03.html
e9783641100681_c04.html
e9783641100681_c05.html
e9783641100681_c06.html
e9783641100681_c07.html
e9783641100681_c08.html
e9783641100681_c09.html
e9783641100681_c10.html
e9783641100681_c11.html
e9783641100681_c12.html
e9783641100681_c13.html
e9783641100681_c14.html
e9783641100681_c15.html
e9783641100681_c16.html
e9783641100681_c17.html
e9783641100681_c18.html
e9783641100681_c19.html
e9783641100681_c20.html
e9783641100681_c21.html
e9783641100681_c22.html
e9783641100681_c23.html
e9783641100681_c24.html
e9783641100681_c25.html
e9783641100681_c26.html
e9783641100681_c27.html
e9783641100681_c28.html
e9783641100681_c29.html
e9783641100681_c30.html
e9783641100681_c31.html
e9783641100681_c32.html
e9783641100681_c33.html
e9783641100681_c34.html
e9783641100681_c35.html
e9783641100681_c36.html
e9783641100681_c37.html
e9783641100681_c38.html
e9783641100681_c39.html
e9783641100681_c40.html
e9783641100681_c41.html
e9783641100681_c42.html
e9783641100681_c43.html
e9783641100681_c44.html
e9783641100681_c45.html
e9783641100681_c46.html
e9783641100681_c47.html
e9783641100681_c48.html
e9783641100681_c49.html
e9783641100681_c50.html
e9783641100681_c51.html
e9783641100681_c52.html
e9783641100681_c53.html
e9783641100681_c54.html
e9783641100681_c55.html
e9783641100681_c56.html
e9783641100681_c57.html
e9783641100681_c58.html
e9783641100681_c59.html
e9783641100681_c60.html
e9783641100681_c61.html
e9783641100681_c62.html
e9783641100681_c63.html
e9783641100681_c64.html
e9783641100681_c65.html
e9783641100681_c66.html
e9783641100681_c67.html
e9783641100681_c68.html
e9783641100681_c69.html
e9783641100681_c70.html
e9783641100681_c71.html
e9783641100681_c72.html
e9783641100681_c73.html
e9783641100681_c74.html
e9783641100681_c75.html
e9783641100681_c76.html
e9783641100681_c77.html
e9783641100681_c78.html
e9783641100681_bm01.html
e9783641100681_ack01.html
e9783641100681_ata01.html
e9783641100681_cop01.html