Wie alle wissen, hub Schoppe an, kam Naudé 1631 im Gefolge des Kardinals Di Bagni in Rom an. Sein neuer Arbeitgeber, einst Apostolischer Nuntius in Paris, war in die Ewige Stadt zurückgekehrt, nachdem er zum Kardinal ernannt wurde.
Naudé tritt als Secretarius in den Dienst des Kardinals. Seine Pariser Freunde, die Du Puy mit ihrem gelehrten Salon, an deren Quellen |328|auch Di Bagni sich labte, haben ihn empfohlen. Der junge Pariser kennt Italien schon gut und spricht Italienisch.
Denn in seiner Jugend hat er die erhabene Universität Padua besucht, wo seit langer Zeit höchst gerissene Denker in Mode sind, die mit dem Atheismus liebäugeln: Pietro d’Abano, Pomponazzi, Zabarella und Agostino Nifo. Die Universität wird von der Republik Venedig bezahlt, die viele offene Rechnungen mit der römischen Kirche hat und aufrührerische Ideen nach Kräften fördert.
In Padua war der junge Naudé Schüler des berühmten Cesare Cremonini, des bestbezahlten Philosophen von Italien. Vor einer unüberschaubaren Menge an Zuhörern erklärt Cremonini die Lehre des Aristoteles und seines barbarischen Kommentatoren Averroes über das Wesen der Welt, des Menschen und Gottes. Doch er wird verdächtigt, bei seinen Vorlesungen die Unsterblichkeit der Seele zu leugnen, weil er Aristoteles Zweideutigkeit bei diesem so heiklen Thema ausnutzt und sich auf die Deutung des Averroes stützt. Cremonini unternimmt nichts, um die böse Nachrede zu leugnen oder zu bestätigen. Nachdem er mehrmals von anonymen Denunzianten beschuldigt wird, macht die Inquisition ihm den Prozess, aber aus mysteriösen Gründen kommt er jedes Mal mit heiler Haut davon. Und jedes Mal überhäuft die Republik Venedig ihn mit Gold, indem sie sein Salär verzehnfacht, während der Lehrstuhl für Moralphilosophie, der Gottesfurcht lehren sollte, so schlecht besoldet ist, dass sich seit geraumer Zeit keine Dozenten mehr finden, die dieses Amt übernehmen wollen, und der Unterricht von einfachen Studenten besorgt werden muss. Das Jahresgehalt von fünfzehn Fiorini wurde seit anderthalb Jahrhunderten nicht erhöht, während andere Dozenten tausendfünfhundert Fiorini und Cremonini über viertausend bekommen. Überdies erhalten die Dozenten für Moralphilosophie nur einen Jahresvertrag, während die anderen Professoren auf Lebenszeit angestellt werden. Und alle wissen, wie unzufrieden die promovierten Studenten sind, wenn sie die Universität verlassen und die fehlende Moral in der universitären Lehre mit dem großen Bedürfnis nach Spiritualität im bürgerlichen, politischen, persönlichen und familiären Leben vergleichen, das zu befriedigen sie aufgerufen sind.
»Nur damit ihr versteht, welch eine gottlose Kaste in Venedig regiert«, erläuterte Schoppe freimütig, da er selbst ja nach langen Jahren der Flucht ausgerechnet in der venezianischen Republik Rettung |329|vor all denen gefunden hatte, die sich für seine giftige Zunge rächen wollten.
Aus Padua schreibt der junge Naudé in seine Heimat: Italien ist ein Land von Ungläubigen und Ketzern, hier glaubt niemand an irgendetwas. Als er an einem schönen ersten Maitag in Rom ankommt, steht Naudé noch unter dem Eindruck der freizügigen, heiteren Atmosphäre seiner Monate in Padua. Bouchard ist schon seit Februar in der heiligen Stadt. Noch kennen die beiden sich kaum, in Paris haben sie sich manchmal bei den Treffen im Haus der Gebrüder Du Puy gesehen.
Es ist normal, dass ihr Kontakt sich in einer fremden Stadt vertieft, sie haben dieselben Freunde und Beschützer. Der große Gelehrte Peiresc, ein geradezu asketischer Philologe (er hasst Frauen), den einige Freie Geister Meister aller Meister nennen, hatte Bouchard, bevor dieser sich nach Rom aufmachte, ein paar Regeln diktiert, damit er sich nicht in Schwierigkeiten brachte: Niemals von Gott oder dem Papst sprechen, weder im Guten noch im Bösen; lange Gewänder tragen, um einen ehrbaren Eindruck zu machen; Verschwendung und Gelage meiden; mit den Franzosen so wenig Umgang wie möglich pflegen und nie Streit mit Italienern anfangen, weder um das Glücksspiel noch um Frauen; Italiener immer ehrerbietig und achtungsvoll behandeln. Und vor allem Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.
Und so erlernen Naudé und Bouchard in Rom die erhabene Kunst, die Peiresc predigte. Maßvolle Reden und vorsichtige Gesten; wenige, diskrete Vertraulichkeiten; weitgehende Unterwerfung unter die lokalen Gepflogenheiten; gelegentliche Grillen, aber zurückhaltend und kontrolliert.
In der Stadt des Papstes findet Bouchard neue, mächtige Beschützer: die Kardinäle Francesco und Antonio Barberini (Ersterer ein Asket, Letzterer etwas weniger), Neffen des Papstes, die ihn in die Reihen ihrer Secretari aufgenommen haben und jeden Eid auf Bouchards Talente schwören würden. Die Barberini schreiben sogar nach Frankreich an den Regierenden Minister Richelieu, um ihm das mitzuteilen. Sie vertrauen ihm die Übersetzung griechischer Autoren an, deren Werke in der Vatikanischen Bibliothek verwahrt werden. Eine heikle Aufgabe, es handelt sich um Georgios Synkellos und Theophanes, antike Chronologen, die die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zum Ende des Römischen Reiches erzählt haben.
|330|Der Bibliothekar der Barberini, Lukas Holste, hatte darum gebeten, die Ausgabe der Schriften von Synkellos und Theophanes betreuen zu dürfen, doch Kardinal Francesco Barberini übertrug Bouchard die Aufgabe, weil dieser besser ausgebildet und scharfsinniger war.
Bei seiner Ankunft in Italien hatte Bouchard nur die Briefe der Tonsur besessen, die erste Stufe kirchlicher Würden. Er hat Karriere gemacht, nun ist er der Abt Bouchard. Jeden Abend geht er nach St. Peter, um dem Papst die Ergebnisse seiner Arbeit zu präsentieren. Diese Begegnungen dauern bis drei, vier Uhr nachts an, denn der Papst ist selbst ein hochgelehrter, feinsinniger Gräzist. Man flüstert, Bouchard habe interessante Entdeckungen gemacht, die die Geschichte und die Literatur des Altertums revolutionieren könnten. Doch Bouchard achtet sorgsam darauf, dass nichts durchsickert. Er will seine Entdeckungen erst veröffentlichen, wenn seine Forschungen abgeschlossen sind, dann, so verspricht er, werden alle davon erfahren.
Aus Paris erhält Bouchard jedoch beunruhigende Signale. Bei einstigen Gönnern, wie den Gebrüdern Du Puy, ist er in Ungnade gefallen. Einige anerkannte Gelehrte, bekannte Namen in Paris (Balzac, Chapelain), nennen ihn einen Karrieristen, Parasiten und Intriganten, aber sie können nichts beweisen. Vielleicht ist es nur Neid.
In Rom vernimmt man zwar das Echo des Pariser Klatsches, aber es überwiegt die Achtung vor dem, was er ist und kann. Ihn schützen seine Bildung und seine ungewöhnlichen Fähigkeiten als Philologe.
Für die Barberini ist er zum arbiter artium geworden, zum Meister der Künste: Freuden, die zur Lehre werden, die klug dosiert werden müssen. Als die Barberini ein Chamäleon als Geschenk erhalten, obliegt es Bouchard, das exotische Tier spazieren zu führen und den Grüppchen staunender Ordensschwestern zu präsentieren. Und wenn ein Botschafter zu Besuch in Rom ist, muss er ihm die Schönheiten der Stadt zeigen.
Auch sein gesellschaftlicher Erfolg in Rom ist ungebremst: Im Hause Barberini will man zum Karneval eine Komödie auf Latein geben, die Vorbereitung liegt in seinen Händen. Es ist eine große Sache, die Troerinnen von Seneca sollen vertont und als musikalisches Werk aufgeführt werden. Den musikalischen Teil verantworten Virgilio Mazzocchi und Gian Battista Doni, Namen, die jeder kennt, während Bouchard, der Kenner der antiken Welt, das gesamte Konzept des |331|Schauspiels erarbeiten soll. Die Töne müssen sich, den alten hellenischen musikalischen Modi folgend, mit der antiken Dichtung verbinden. Die Troerinnen sind ein Lieblingsstück der Starken Geister, der heimlichen Ungläubigen, der Gladiatoren des Skeptizismus. Die Tragödie enthält berühmte Verse, die jeder Starke Geist liebend gerne als Schmähung in ein Schauspiel einfügen würde, das vor dem Papst aufgeführt wird. Es ist der berühmte Chor, in dem Seneca predigt, dass die Welt nur ein sinnloses Chaos ist und die Seele, wie Naudé im Padua des berüchtigten Cremonini hatte flüstern hören, sterblich:
Ist Vernichtung im Tod? – Wenn mit dem letzten Hauch
Unsre Seele verweht, wenn sie zerrinnt in Luft,
und wie Nebel verfliegt, endet das Daseyn dann? –
Mehr als leblosen Rumpf zehrte der Leichenbrand?
Was am Aufgang die Sonn, was sie am Niedergang
Schaut, was des Oceans bläuliche Wog umspült,
Wenn sie ebbend sich senkt, oder in Fluth erschwillt,
Das mit flüchtigem Schritt alles entrafft die Zeit.
Wie dort kreisenden Laufs wirbelt das Zwölfgestirn,
Wie das Königsgestirn rollet der Zeitenstrom,
Wie auf schlängelnder Bahn Hekate niedereilt:
So auch taumeln wir all unserem Ende zu.
Der lebt nimmer, der ihn jetzmahls, des Göttereids
Furchtbar’n Bürgen berührt hätte, den Strand des Styx.
Wie der Rauch schnell verfliegt über der hellen Glut,
Wie des nördlichen Sturms jache Gewalt zerreißt
Wetterschwang’res Gewölk, das wir noch eben sah’n:
So zerrinnt der Geist, welcher uns hier belebt.
Ja, der Tod ist auch Nichts, ist nur die äußerste
Mark des engen Bezirks, der uns bemessen ward. –
Eure Hoffnung ist Schaum, die ihr da wünscht und strebt;
Und die sorgend ihr zagt, Schaum nur ist eure Furcht.
Fragst, wo du nach dem Tod wohnen wirst? –
Da, wo das Ungewordene liegt.
Naudé und Bouchard lieben diese mächtigen, schrecklichen Verse, die den Feinden des naiven Glaubens aus der Seele gesprochen sind. Und sie werden direkt vor dem Papst rezitiert.
|332|Merken die Barberini etwas? Natürlich nicht, sie sind viel zu beschäftigt mit der Regierung Roms und ihren tausenderlei Händeln mit den europäischen Mächten. Andernfalls hätte die Karriere des jungen französischen Abts einen schweren Schlag erlitten.
Das Gegenteil geschieht: Die Accademia degli Umoristi, der Treffpunkt von Gelehrten und Künstlern, zu dem die ganze Familie Barberini einschließlich Seiner Heiligkeit gehört, bittet ihn um eine Gedenkfeier für den verstorbenen Peiresc. Am Himmelfahrtstag beauftragt der Heilige Vater persönlich Bouchard mit einer Rede und ihm wird sogar die Ehre zuteil, sie öffentlich, in Gegenwart des Papstes, verlesen zu dürfen. Am Tag des heiligen Ludwig, des Schutzpatrons von Frankreich, darf er in der Kirche der französischen Gemeinde zwischen der Piazza Navona und dem Pantheon die Predigt halten. Die Kirche ist gesteckt voll, unzählige Kardinäle und Adelige sitzen in den Reihen, darunter auch der französische Botschafter und sein Gefolge aus sechzig Kutschen.
Die Krönung erfolgt im Januar 1641, genau zehn Jahre nach seiner Ankunft in Rom. Die versammelten Kardinäle wählen ihn unter großem, allgemeinem Applaus zum Priester des Heiligen Konsistoriums. Die Ernennung zum Bischof, die er seit Jahren betreibt, ist keine ferne Schimäre mehr.
Naudé hat ihn natürlich nie aus den Augen verloren. Immer diskret, doch hartnäckig hat er Kontakt mit dem Freund gehalten und ist über all seine Erfolge informiert.
Dann geschieht die Tragödie. Eines Abends im März, also kurz nach der Erhebung in den Priesterstand durch die Kardinäle, wird Bouchard von zwei Unbekannten auf der Piazza San Pietro überfallen und niedergeschlagen. Es gibt keine Zeugen. Man hat ihn mehrmals am Kopf getroffen, blutüberströmt kann er sich mühsam in eine Kirche schleppen und um Hilfe bitten. Er wird in seine Wohnung im Palazzo der Päpstlichen Kanzlei gebracht. Um seinen Ruf zu schützen, verbreiten Freunde das Gerücht, er sei mit dem Schwert angegriffen worden – einen Stock benutzt man gegen Dienstboten und Untergebene.
Der erste Verdächtige ist der Marschall d’Estrées, Botschafter des Allerchristlichen Königs von Frankreich, der Bouchards Ernennung zum Konsistorialpriester nicht gutgeheißen hat. Sie war gegen seinen Willen und ohne seine Einwilligung erfolgt. Die Empörung ist groß: |333|Die beiden Kardinäle Barberini erklären sich »in tiefster Seele verstört«, das Konsistorium sendet Protestschreiben nach Frankreich, der Papst persönlich lässt eine Galeere vorbereiten, um d’Estrées des Landes zu verweisen, wenn der Allerchristlichste König nicht von sich hören lässt. Am Bett des Verletzten drängeln sich die wichtigsten Namen des päpstlichen Hofstaates zu Dutzenden, Botschafter, Fürsten und Kardinäle, und auf dem Nachttisch häufen sich die Briefe mit herzlichen Genesungswünschen. Im Kardinalskollegium wird sogar gefordert, ihm als Anerkennung für seine treuen Dienste am heiligen Glauben, die er ungeachtet aller Gefahren bis zum Martyrium leistete, die lang ersehnte Bischofswürde zu verleihen. Es gibt in Frankreich zwar keine vakanten Bischofssitze, doch der Posten in Cagli im Kirchenstaat ist frei. Hier könnte der Ärmste die ehrgeizigen Werke verfassen, die er plant: eine Geschichte der griechischen Kirche und eine Geschichte der Gegenwart.
Monate vergehen, aber sein Zustand bessert sich nicht, Bouchard bleibt in sein Zimmer in der Kanzlei verbannt. Mit Höhen und Tiefen vergehen der Frühling und Sommer, selten ist er fieberfrei, auch in der Sommerhitze nicht, was kein gutes Zeichen ist. Er hat d’Estrées Diener angezeigt, von dem er seiner Meinung nach angegriffen wurde, einen gewissen Charlier, der aber nach Frankreich flieht, von wo er nach königlichem Gesetz nicht ausgeliefert werden kann. Sein Testament hatte Bouchard schon früher gemacht, am 15. August fühlt er sein Ende nahen und setzt ein neues Testament auf. Er legt eine Summe zurück, damit am Tag seines Ablebens hundert Messen für seine Seele gelesen werden, und eine jedes Jahr an seinem Todestag im Kartäuserkloster von Paris. Er bittet darum, in der Kirche Santa Maria degli Angeli bestattet zu werden. Seine privaten Papiere vermacht er zum Teil den Barberini, andere ihrem Kammerherrn, dem Cavaliere und Commendatore Cassiano dal Pozzo, Fürst der römischen Gelehrten. Die Arbeit über die griechischen Chronisten Synkellos und Theophanes bleibt unvollendet.
Zwei Wochen später verbreitet die Französische Gazette die traurige Nachricht im ganzen Königreich: Der Abt Bouchard, französischer Abstammung, Doktor der Theologie und Kleriker des Konsistoriums, starb mit fünfunddreißig Jahren in seiner Wohnung in der Päpstlichen Kanzlei am Fieber, nachdem er die Sakramente empfangen |334|und zahlreiche fromme Verfügungen in sein Testament aufgenommen hatte.
Die Barberini ordnen an, ihm zu Ehren ein Grabmal in der Kirche zu errichten, wo er bestattet liegt. Die Dichter sollen diesen jungen Mann von kleiner, unscheinbarer Statur, aber von erhabenen Geist und Kenntnisreichtum vor allem in der griechischen und lateinischen Literatur mit pompösen Hymnen feiern. Postum wird er für den großen Eifer gelobt, mit dem er Freunden half, für seine sanftmütigen Umgangsformen, für seine Schlichtheit, die Schmeichelei und Stolz abhold war, für seinen geduldigen Dienst an der Wissenschaft und seine Gesprächskunst – kurzum, wenn das Schicksal ihn der Welt nicht vorzeitig entrissen hätte, würde er zu den größten Geistern aller Zeiten gehören.

»Da sind wir wieder! Wie geht es den Verletzten?«
Jäh wurden wir durch diese Worte in die Wirklichkeit zurückgeholt. Mustafa und Malagigi waren von ihrer Suche zurückgekehrt, sie brachten einige üppige Büschel Luzerne, ein treffliches Heilkraut gegen Verletzungen, und ein wenig Wasser, das sie geduldig von den Blättern geschöpft hatten.
»Kein Grund zur Besorgnis«, erklärte Kemal, während er Naudés Kopfwunde und die Abschürfung an Hardouins Hüfte noch einmal untersuchte.
»Sag ich doch. Der hat einen Dickschädel«, knurrte Schoppe, bevor er seinen Bericht wiederaufnahm.