Advent, Advent - er hat es fast verpennt
Mürrisch knabberte er an seiner Unterlippe. Der Regen prasselte eiskalt auf ihn nieder. Wunderbar. Er war viel zu spät dran, um seinen nächsten Kunden zu finden. Nun ja, er wusste ja, wo er den Kunden finden konnte. Dennoch war die Zeit knapp.
Die Straßen waren bis auf einige dunkle Gestalten leer. Nur wenige wagten sich an diesem Adventssonntag überhaupt auf die Straßen. Die Gedankenfetzen, die in seinen Verstand drangen, waren angefüllt mit Fröhlichkeit und Eile. Niemand wollte länger als nötig im Regen unterwegs sein. Die Weihnachtszeit hatte brutal begonnen - wie jedes Jahr. Wäre nicht die schon fast spürbare Nächstenliebe gewesen, er hätte es vielleicht gar nicht erst bemerkt. Ja, die Nächstenliebe war eine gewitzte Erfindung Gottes – einzig für ihn, damit er sich ekeln durfte.
Er verabscheute diese Zeit, denn die Menschen aalten sich dann in Fröhlichkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, dass ihm immer schlecht wurde.
Endlich tauchte der Billardladen auf. Die Leuchtreklame blendete ihn und wieder dimmte er mit einem konzentrierten Gedanken das Licht auf ein angenehmes Minimum.
Drinnen roch es aufdringlich nach Menschen. Es waren hauptsächlich Männer; ihre Gedanken waren fast ausnahmslos langweilig. Hier spielten Familienväter und Studenten zum Spaß. In der hintersten Ecke jedoch stand sein nächster Kunde und nuckelte verträumt an seiner Bierflasche.
Er konzentrierte sich auf sein eigenes Aussehen und verwandelte sich optisch in einen jungen Mann mit kurzem dunkelbraunem Haar. Niemandem fiel der Veränderung auf. Nur der Besitzer des Ladens ärgerte sich wegen der flackernden Beleuchtung, die er nicht auf Anhieb reparieren konnte.
Lächelnd bestellte er sich ein Bier und gestellte sich zu seinem Kunden. Der junge Mann mit Zopf starrte immer noch verträumt und ziellos durch die Gegend. Während er einen großen Schluck nahm, tauchte er in seine Gedankenwelt ein. Der Mann hatte Schulden, wollte seiner Freundin unbedingt etwas Wunderschönes zu Weihnachten schenken und überlegte angestrengt, wie er an genügend Geld kommen konnte.
Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm die Lösung ins Ohr. Der junge Mann riss die Augen auf, trank sein Bier sofort aus und rannte aus dem Billardladen.
Nun galt es, abzuwarten. In kleinen Schlückchen trank er sein Bier aus und schielte immer wieder zum Fernseher herüber, damit er nicht die neusten lokalen Nachrichten verpasste.
Nach wenigen Stunden war es dann so weit. Er lächelte in freudiger Erwartung und wurde dennoch enttäuscht, denn sein Kunde hatte den Raubüberfall gründlich vermasselt. Auf dem Weg nach draußen war der junge Mann auf Hundekot ausgerutscht und war somit leichte Beute für die Polizei gewesen. Wütend über den neuen Misserfolg knallte er die leere Bierfalsche auf die Theke und hastete nach draußen.
Ewig diese Verlierer, die nie den Sinn für ihre nähere Umgebung besaßen!
Draußen prasselte unverändert der Regen auf ihn ein, der wegen seiner Wut sofort auf ihm verdampfte. Eine junge Frau blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn neugierig. Ihre Gedanken waren immens langweilig. Sie hatte enormen Hunger nach einem Salat mit Tofu.
Er schrie innerlich auf und kümmerte nicht sich über die schreckensgeweiteten Augen der jungen Frau, die sein wütendes Gesicht wie gebannt anstarrte.
Mit einem Plopp verschwand er vor ihren immer noch großen Augen. Jedoch hatte er ihr einen neuen Gedanken ins Gehirn gepflanzt, den sie sofort in die Tat umsetzte.
Zielstrebig ging sie zum nächsten Restaurant, das in der Nähe war und bestellte einen Döner. Sie hatte vollkommen vergessen, dass sie seit 15 Jahren strenge Veganerin war.
Resultat ihres Heißhungers auf Döner waren extreme Blähungen und Darmkrämpfe.
Auf der Toilette in ihrer Wohnung krümmte sie sich und verfluchte den Döner samt Dönerladen. Sie hätte schwören können, dass in ihrer unmittelbaren Nähe ein Mann gehässig lachte, doch sie war vollkommen allein in ihrer Wohnung.