Halleluja



Dies war nicht wirklich ein Haus Gottes - also keine Kirche. Da war er sich sicher. Dennoch hielt er sich zurück, einzutreten. Die vielen gläubigen Stimmen, das dröhnende Schlagzeug und die vibrierende Gitarre ließen ihn ernsthaft zweifeln. Was bitte ging da drin ab? Er hätte niemals diesen Auftrag annehmen sollen. Doch die Prämie war einfach zu verlockend gewesen - gleich 50 Seelen auf einen Schlag!
Unschlüssig wippte er auf den Füssen hin und her. Er reckte seine Nase etwas höher und wurde von der Gläubigkeit fast niedergedrückt! Das musste eine Kirche sein! Hier hatte er nichts zu suchen! Entschlossen, zu verschwinden, machte er auf dem Absatz kehrt und stieß mit einer Gruppe junger Männer und Frauen zusammen, die ebenfalls einen intensiven Glaubensduft verströmten. Ihm wurde speiübel.


Du siehst traurig aus, Bruder! Was ist dir widerfahren? Sprich mit uns, bete mit uns und du wirst garantiert Erlösung finden!“, mit diesen Worten hatte ihn ein junger Mann mit wilden Rastazöpfen angesprochen.
Der Brechreiz war gefährlich geworden und er musste sich räuspern.

Ich bin nicht traurig, ich...“

Ich weiß, ich weiß! Es ist niemals einfach, zu glauben!“


Der Glaube glühte in dem jungen Mann und brannte sich in seine Schultern, da er beide Hände auf ihn abgelegt hatte. Seine Augen starrten verzückt in seine. Das hier war einfach unmöglich! Hier konnte er keinen einzigen Kunden gewinnen!


Ja, äh... stimmt. Schönen Abend noch!“


Er zwang sich zu einem Grinsen.
Der junge Mann ließ ihn nicht los.

Komm mit uns! Dort wirst du die Erlösung finden!“

Das Brennen und die Übelkeit verminderten seine Konzentrationsfähigkeit. Für eine Sekunde war er geneigt, diesen Kerl einfach niederzuschlagen und zu fliehen. Doch, was könnte ihn in diesem swingenden Gebäude noch alles erwarten?
Ja, ja – seine Neugier!

Ok.“, stimmte er überzeugt und neugierig zu.


Ein einstimmiges „Halleluja“ ertönte und er wurde von vielen freundlichen Händen in das Gebäude geschoben.

Kaum hatte er mit einem Fuß den Boden berührt, verstärkte sich das Brennen. Er hielt sich eindeutig auf fremden Terrain auf. Auf seinem Rücken spürte er wieder die freundlichen Hände, die ihn sanft und bestimmt Richtung Bühne drückten. Es wurde lauthals gesungen, getanzt und überall schwebten die Menschen verträumt in ihrem Glauben - oder zumindest etwas in der Art. Er wurde zu der kleinen Treppe neben der Bühne geführt.


Warte hier einen Augenblick!“

Warum?“

Wir werden dir helfen, du wirst deinen Glauben wieder finden, Bruder!“

Die Gläubigkeit schwappte in großen Wellen zu ihm, er konnte es riechen und bald auch schmecken. Ihm wurde extrem schwindelig und er drohte ernsthaft in Ohnmacht zu fallen. Doch dann zog ihn der Gitarrist auf die Bühne. Es war mucksmäuschenstill. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Betäubt blinzelte er und sah den jungen Mann nur aus dem Augenwinkeln heranschleichen.


Seht! Dieser Bruder hat seinen Glauben verloren! Gott ist aber gnädig und wird ihn zu sich nehmen!“

Ganz bestimmt nicht!“, flüsterte er und würgte den üblen Geschmack hastig herunter.


Freund, sag', was ist dir geschehen, dass du deinen Glauben verloren hast?“

Ihm wurde das Mikrofon unter die Nase gehalten.


Ein knapp bekleideter Engel hat mich k.o. geschlagen und meine Prämien schwinden.“
Eigentlich hatte er nun verstörte Gesichter erwartet, doch viele nickten verständnisvoll!


Das ist bitter! Ja, das ist es! Doch bedenke: Gott prüft uns unser Leben lang!“

Oh, ja, das macht Gott echt gerne und raubt mir damit den letzten Nerv!“

Zweifle nicht! Singe mit uns, damit Gott dein Fehlen erhören mag!“

Ungern! Ich habe keine gute Singstimme, außerdem muss ich noch meinen Auftrag erledigen. Nebenbei - wie viele sind denn hier?“

Der junge Mann hielt verdattert die Luft an, wirkte komplett verstört.


Äh - so um die 50 würde ich mal schätzen, wieso?“

Gib mir das Mikrofon - danke. Also, wenn ich mich so umschaue...oh, mir echt nicht gut, also wenn ich euch so sehe, frage ich mich echt, wann einer von euch mal Spaß gehabt hat.“

Die Versammlung hing gebannt an seinen Lippen. Es erinnerte ihn voller Wehmut an seine grandios bösen Zeiten im Mittelalter.


Also, wer hat schon mal Alkohol getrunken - Hände hoch!“

Niemand hob die Hand.


Dachte ich es mir doch! Dabei lernt man im volltrunkenen Zustand auf jeden Fall sehr viel über sich selbst!“

Er starrte in die Menge und sofort rannten zehn von ihnen in den nächsten Getränkemarkt, um sich hochprozentigen Whiskey zu kaufen. Sie gossen ihn gleich auf dem angrenzenden Parkplatz in sich hinein.


Herrlich! Das läuft ja ganz gut. Nächste Frage: Wer von euch wäre gerne auf einem Titelblatt?“


Drei Handpaare erhoben sich zackig in die Luft. Er unterdrückte einen Rülpser und schickte die eitlen Männer und Frauen zur nächsten Modelagentur.


Ok und nun die beste Frage: Wer von euch hebt sich auf - ist also keusch?“

30 Handpaare schnellten nach oben, so auch von dem jungen Mann neben ihm.


Alles klar, ihr wisst, was ihr tun dürft. Viel Spaß!“


Er ließ das Mikrofon fallen und stürmte aus dem Gebäude, denn der Massenorgie wollte er ungern zusehen. Außerdem glatt es, seine Prämie abzugreifen.
Draußen stand er und schüttelte nur den Kopf - Michael. Er war von Kopf bis Fuß in Knallrot eingekleidet.


Lu, was ist denn nur mit dir los?“, war seine Begrüßung.


Du schon wieder! Kratz' die Kurve und lass mich endlich in Ruhe!“


Du hast diesmal zehn Engeln die Prämie versaut!“

Oho... Michael war echt schlecht gelaunt.


Na, und? Bedachte du lieber deine Wortwahl! Versaut - ich bitte dich! Das ist selbst für dich sehr vulgär.“

Er wandte sich ab und wollte Michael einfach stehen lassen. Doch der stand blitzschnell wieder vor ihm und funkelte ihn böse an.


Du nervst unsäglich! Schwirr' ab! Kümmer‘ dich um dein Geschäft! Bestimmt muss ein Engel neue Unterhosen erhalten - hach, hab ich ja vergessen: wo nix ist, kann ja auch nix eingepackt werden, nech?“

Michael fletschte die Zähne - eine eigentlich ernsthafte Drohgebärde.


Du hast dich in einem seiner Gebäude aufgehalten? Bist du vollkommen von Sinnen?“, brüllte er und spuckte ihm dabei auf die Brust.


Igitt! Ist das ekelig! Reiß' dich mal zusammen.“

Er fummelte ein Taschentuch aus seinem langen Umhang und wischte den Speichel fort. Als er wieder aufblickte, sah er einen Engelsboten, der Michael aufgeregt am roten Ärmel zupfte.


Was störst du mich?!", brüllte er.


Der Engelsbote war nicht eingeschüchtert.


Der Auftrag kam von Gott höchstpersönlich!“, wisperte er in Michaels Ohr.


Seine Augen weiteten sich ungläubig.


Was? Unmöglich! Warum denn nur?"


Michael raufte sich verzweifelt die Haare.


Ja, das würde mich auch mal interessieren.“

Der Engelsbote stieß gelangweilt die Luft aus.


Ach, das Übliche eben.“

Und da wäre?“, fragte er nach.


Die haben ständig falsch gesungen und außerdem hast du zu sehr gejammert, das hat Gott echt genervt."


Er lachte dröhnend und streckte Michael die Zunge zum Abschied raus, bevor er mit einem Plopp schadenfroh verschwand.


Das ist nicht zu glauben!“, jammerte Michael und riss verzweifelt die Arme gen Himmel.


Nimm‘s nicht persönlich. Du kennst ja Gottes Launen.“

Hinter ihnen torkelten schwer betrunkene Gläubige herum und grölten ein bekanntes Lied von den Toten Hosen.
Michael drehte sich nach ihnen um und verzog wehleidig das Gesicht.

Furchtbar!“

Nimm‘s nicht so tragisch. Ich habe noch eine Prämie einzulösen. Da drinnen werde ich sie bestimmt einlösen können.“


Der Engelsbote leckte sich lüstern über die Lippen, zog seine Hose mit einem Ruck nach oben und ging beschwingt in das Gebäude, das inzwischen mit beschlagenen Fenstern gesegnet war.