Bewusstseinserweiterung
Dies war sein letzter Versuch, an diese Kunden heranzukommen. Heute wollte er es noch mal wissen, sich und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Sie standen wie erwartet vor dem kleinen Spätkauf. Natürlich warteten sie auf jemanden, auf ihre Lieferung. Die zwei Typen teilten sich ein Paar Ohrenkopfhörer und nickten gemeinsam zu dem Beat, den nur sie hören konnten. Er stellte sich etwas abseits und beobachtete sie ein paar Minuten. Das konnte wirklich etwas schwierig werden, denn in diesen Köpfen war nicht viel los. Der Nebel und die sich überschlagenden Gedanken in ihren Köpfen waren wirklich kniffelig, kaum zu entschlüsseln. Sie dachten eigentlich nur an ihre überfällige Lieferung. Der Typ mit dem weißen Cap starrte scheinbar seelenlos durch die Gegend und der andere mit dem roten Cap dachte an die letzte Nacht mit seiner Freundin. Warum nur wurden ihm diese Versager zugeteilt?! Da gab es nichts, was er ihnen anbieten konnte! Vielleicht war durch ein zwangloses Gespräch etwas zu erfahren. Er konzentrierte sich auf ein typisches Aussehen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Binnen weniger Sekunden sah er ihnen sehr ähnlich, an den kleinen Schmierbauch hatte er auch gedacht.
„'Nabend.“, brummelte er und stellte sich zu ihnen.
„Yo, Mann, was geht?“, wurde er von dem weißen Cap begrüßt.
„Nich' viel, Mann. Und bei euch?“
„Hab versucht, Lotto zu spielen.“
„Ich nich'!“, kicherte er andere.
Dies konnte sich zu einer Chance entwickeln, falls sie nicht sofort wieder im gedanklichen Nebel abtauchten.
„Warum nur versucht?“, erkundigte er sich und stellte sich breitbeinig hin.
„Hihi..ich konnte mir meine Zahlen nich' merken! War voll anstrengend!“
Die beiden gackerten zusammen und hörten sich dabei wie betrunkene Hühner an.
Plötzlich lichtete sich der gedankliche Nebel und er konnte tatsächlich etwas erkennen. In ihren Gedanken schwebten sie im Raphimmel: hübsche Frauen und eine derbe Anlage, die ihre Musik abspielte und im Hintergrund diverse Preise. Sehr schön!
„Kenn' ich, Mann. Aber ich brauch gar kein Lotto spielen, ich freestyle viel lieber!“
Die beiden drehten erstaunlich schnell ihre Köpfe zu ihm um.
„Cool Mann! Dann lass hören!“
„Nein, ich hab was laufen. Mit Glück wird das veröffentlicht und ich hab erstmal ausgesorgt.“
„Krass!“
„Respect, Mann!“
„Wie schaut's bei euch aus? Auch Bock auf'n Track?“
„Klar, Mann!“
„Na, dann... Ich wüsste da 'n Producer, der könnte euch was mixen...“
„Geil, Mann!“
Das Gespräch verlief bisher sehr gut, viel versprechend. Er musste die Gunst der Minute nutzen, holte Luft für das Angebot, doch neben ihm stand plötzlich ein nervöser junger Mann.
„Endlich, Mann! Wat hat'n das so lange gedauert?!“,wurde er nölig begrüßt.
„Schnauze! Hab grad erst meine Schicht beendet!“
„Schon gut. Dann lass uns endlich gehen, Mann!“
Die drei setzten sich erstaunlich zackig in Bewegung, ihn hatten sie komplett vergessen. Es lohnte sich wirklich gar nicht, sie nochmals anzusprechen. Frustriert stand er vor dem Spätkauf und fühlte seine Wut aufsteigen. Neben ihm bremste ein Auto laut, Türen wurden aufgerissen und er war von vier Männern umzingelt.
„Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?“
Der Befehlston konnte nur zu einer ganz bestimmten Berufsgruppe gehören, folglich stand ihm höchstwahrscheinlich eine Festnahme kurz bevor. Er drehte sich wütend zu den Männern um. Einer hatte Angst, es war sein erster Einsatz. Die anderen drei warteten ruhig ab, wie er reagieren würde. Alle waren in Zivil unterwegs. Er starrte jeden einen Moment lang an, pflanzte ihnen neue Ideen ein. Sie blinzelten alle gleichzeitig, blickten sich an und hüpften sofort ins Auto zurück.
Am nächsten Tag war es in allen Zeitungen zu lesen, dass sich vier Polizisten in Zivil zu später Stunde spontan vor dem Europacenter eingefunden und lauthals "YMCA" gemeinsam geschmettert hatten. Keiner von ihnen konnte sagen, woher diese Idee kam.